zurück ins ich, Die Suche nach meinen Aramäischen Wurzeln

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zur체ck ins ich die suche nach meinen aram채ischen wurzeln ein buch von ranja ristea-makdisi


inhalt

Der Historische Teil befindet sich jeweils am äußeren Rand der rechten Seite. seite

thema > die geschichte

seite

05

die geschichte der aramäer

13

thema > die klöster das patriarcha-lische kloster von saydnaya

Wer wir sind, Siedlungsgeschichte und Ursprung der Aramäer

23 17

das patriarchalische alschirobim kloster

Woher wir kommen, Tur-Abdin Heimat der Aramäer

25

35

das haus des heiligen hananias

39

das st. moses kloster nähe nabek

Wohin uns unser Weg geführt hat, Aramäer heute

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die aramäische sprache

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das kloster deir zafaran

51

die aramäische

129

das kloster mor gabriel,

sprachgeschichte

das spirituelle zentrum der syrischen religionen

55 77 89

die aramäische schrift 147

die stadt hah

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mutter-gottes-kloster von hah

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ursprung des klosters

die aramäische religion die kirche und ihre bedeutung

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der bau der kirche

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die rechtliche situation inner­halb der kirche und die beziehungen zur hierarchie und zum volk

mor jakob in salah

seite 45

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thema > die interviews interview mit bruder jens

weihnachten in der syrisch–

petzhold, mönch im „deir mar

ortodoxen kirche

musa al-habaschi“

hochzeitsrituale bei den

95

interview mit jan jamiel daud, trainer des keschafs in kamechli

ostsyrischen christen. nach pfr. emanuel youkhana, wiesbaden 163 171

interview mit sabri isa,

das fasten in der syrisch-

vorstandsvorsitzende des

orthodoxen kirche

aramäischen vereines von schweden


Ich bin eine Aramäerin. Mit 12 Jahren habe ich meine Heimat verlassen und bin mit meiner Familie nach Deutschland ausgewandert. In Deutschland bin ich mit zwei Kulturen aufgewachsen. Zum einen mein Zuhause, das familiäre Umfeld, in dem es immer wichtig war das aramäische Erbe lebendig zu halten. Nicht zuletzt um es irgendwann weitergeben zu können. Zum anderen außerhalb die deutsch geprägte Umgebung in der Schule, in der Freizeit und meine deutschen Freunde. Meine Erinnerungen an meine aramäische Heimat werden mit der Zeit verschwommener. Ich weiß, dass ich eine gute Kindheit hatte. Ich hatte viele Freunde und der größte Teil meiner Fami­ lie lebt noch in Syrien. Ich wurde und werde immer wieder gefragt: , meine Antwort ist stets die gleiche: „Ich komme aus Syrien und bin eine Aramäerin.“ Die Gesichter meiner Gegenüber füllen sich mit Fragen. Viele Menschen wissen nichts über das Volk der Aramäer und als Kind hatte ich selber Schwierigkeiten, es anderen zu erklären. Ich wusste nur, dass die Aramäer die ersten Christen waren und dass Jesus aramäisch gesprochen hat. Dabei wollte ich es nicht belassen.

her?“

„Wo kommst du

„Was sind Aramäer?“

Heute bin ich 29. Ich möchte die Spuren meiner Kindheit aufnehmen, meine Erinnerungen auffri­ schen, Vergessenes wieder entdecken und neue Eindrücke gewinnen, um mehr über meine „Wurzeln“, über „mein Volk“ zu erfahren. Mit dem Wissen meine Wurzeln nun genauer zu kennen bereitet es mir Freude, Interessierte zu begeistern und teilhaben zu lassen an der kulturellen, kulinarischen und lebensfrohen Seite meiner Herkunft. Meine Freundin und Fotografin Britta Radike begleitete mich auf dieser Reise nach Syrien und in die Türkei. Vor ihr stammt ein Großteil der Aufnahmen zu diesem Buch und ihr Blick für Perspektiven, Details und Momente war eine Bereicherung für mich. In diesem Buch zeige ich einerseits meine ganz eigene Sichtweise der Reise. Augenblicke, die meine persönliche Bindung zum Volk der Aramäer, insbesondere zu meiner Familie erkennen lassen. Es sind Momentaufnahmen, die jeden so berühren sollen wie sie mich berührt haben. Ergänzt wird die Doku­ mentation durch einen informativen Teil, der Hintergründe der aramäischen Kultur im Zusammenhang mit ihrer Schrift und Sprache, Religion und Traditionen erläutert. Klöster spielen eine wesentliche Rolle in der Kulturgeschichte, weshalb ich ihnen einen Großteil der Reise gewidmet habe. Ihre Ent­ stehungsgeschichten und Interviews runden diesen Teil ab.

Auf der Reise mich näher kennen zu lernen ist ein Buch entstanden, das eine Bereicherung sein soll, für das Verständnis einer fast vergessenen Kultur.


10.08. DI.

10:00 Uhr, Dortmund. Unruhig habe ich geschlafen. Eine Menge Gedanken schwirren mir immer wieder durch den Kopf. Müde und aufgeregt zugleich ergreife ich meine Koffer. Ich hoffe, dass ich nichts vergessen habe. Stefan und Maikel begleiten mich. Wir holen Britta aus Essen ab und fahren zum Düsseldorfer Flughafen. Nun gibt es kein Zurück mehr. Abschied von zu Hause, Freude auf daheim ... In der ersten Stunde des Fluges bin ich von Kindergeschrei und Rum­ trampelei umgeben. Es sollte einen Symbolcharakter für diese Reise bekommen. Neugierig, aufgeschlossen, unermüdlich. 16:55 Uhr, Buda­ pest. Das Gelände des Transfer-Flughafens ist winzig. Und es darf nicht verlassen werden. Leider. Buda und Pest locken uns eigentlich zu einem Stadtbummel. In unserem übermüdeten Zustand werden uns die sechs Stunden in der Einöde des Flughafen-Cafes zur Qual. Ich döse in die bevorstehende Reise hinein. Tagträume sind herrlich entspannend. 23:00 Uhr, endlich! Wir steigen in die Maschine Richtung Damaskus. Der Puls des Orients lockt.

DÜSSELDORF

HI F BUDAPEST

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die geschichte der aramäer

deutschland – syrien


11.08. MI.

„Ein umherirrender Aramäer war mein Vater“ (Dtn 26,5)

04:00 Uhr, in Damaskus gelandet. Angekommen. Angekommen? Endlich daheim ...? Ich kann es kaum erwarten, unsere Koffer abzuholen, in die Empfangshalle zu stürmen. Dort werden sicherlich einige meiner Verwand­ ten schon auf uns warten. Als stände es in unseren müden Gesichtern geschrieben, sind die Einreiseformalitäten schnell erledigt. 30 Minuten. Rekordzeit. Die Beamten sind freundlich und zuvorkommend. Mein Herz schlägt schneller, als ich meinen Onkel Johanna (44) (auf Deutsch Jo­ hannes genannt) in der Menschenmenge entdecke. Er, seine zwei kleinen Töchter Orkina (10), Miriam (8) und mein Cousin Abbud (24) erwarten uns sehnlichst. In der Wartehalle angekommen rasen die vier auf mich zu und drücken mich ganz fest. Die Umarmungen und Küsse, wollen nicht enden. Der herzliche Empfang lässt alle Müdigkeit vergessen.

die geschichte der aramäer Wer wir sind, Siedlungsgeschichte und Ursprung der Aramäer. Man muss nicht lange suchen, um Informationen über die Geschichte und das Volk der Aramäer zu finden. Schlägt man das alte Testament auf, wird über Sprache und Volk der Aramäer berichtet. Weite Teile des Alten sowie des Neuen Testaments wurden ursprünglich in Aramäisch verfasst.

„Ein umherirrender Aramäer war mein Vater.“ (Dtn 26,5). In diesem Satz wird eine uralte Erinnerung Israels festgehalten. Eine Erinnerung an die Vorfahren Israels. Diese waren Nomaden,

Ich freue mich richtig hier zu sein. Ich bin endlich wieder daheim! Sonnenaufgang über Damaskus. Eine Metropole erwacht. In diesen Mor­ genstunden ist der Straßenverkehr noch mäßig. Eine Stunde nach unserer Landung sitzen wir in Abbuds Studenten-WG bei Tee und dampfendem Käse­ gebäck. Frühstück und Abendessen zugleich. Auf engstem Raum hocken wir zusammen, plaudern gemütlich und machen jede Menge Späße miteinander. Abbud studiert Medizin und teilt sich die Wohnung mit zwei Freunden aus Kamechli, meiner Geburtsstadt. Erste Kindheitserinnerungen werden wach. Nach nur vier Stunden Schlaf innerhalb von zwei Tagen starten wir zu einem „Extrem-Familienbesuchstag“. Da ich sehr viele Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen habe, müssen wir sie alle besuchen.

und sie gehörten zu den Aramäern. In dem so genannten „kleinen geschichtlichen Credo Israels“ hat sich damit die Erinne­ rung an die Vorfahren Israels und an deren Zugehörigkeit zur aramäischen Sprachfamilie erhalten. In dem aramä­ ischen Text der Apostelgeschichte steht geschrieben, dass Timotheus und Titus durch die Heirat mit jüdischen Familien verwandt waren, ihre Väter waren Aramäer und ihre Mütter Jüdinnen. Israel weiß, dass seine Vorfahren zu den Aramäern gehörten. Die Bücher des Nahen Ostens sind voll davon. Die Vorfahren der Aramäer aber, waren ursprünglich

Um die alle auseinander halten zu können, bedarf es etwas Systematik: die Onkel väterlicherseits heißen „Amo“, die Tanten „Ame“. Mütterlicherseits heißen die DAMASKUS Tanten „Chale“, die Onkel „Chalo“. Mein „Chalo Johanna“ ist folglich der Bruder meiner Mutter und auf dieser Reise unser Begleiter und Führer.

E

wahrscheinlich Nomaden, die auf der arabischen Halbinsel beheimatet waren. Von dort aus müssen diese dann in größeren Verbänden in das palästinische Kulturland gezogen sein.

Dieser Einzug ins palästinische Kulturland geschah in zwei großen


fr체st체ck in der studenten-wg seite

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die geschichte der aram채er

syrien/damaskus


Wellen. Die erste davon ist im 19. bzw. 18. Jahrhundert v. v.Chr.. Die zweite aramäische Wander-Welle begann im 14. und 13. Jahrhundert v. v.Chr.. Auch diesmal strömten die Aramäer ins palästinische Kulturland. Dies war, betrachtet vor dem Hintergrund der Lebensbedingungen von Nomaden, nichts uUngewöhnliches. Das Nieder­ lassen im Kulturland hat sich vermutlich auf ganz normalem Wege ereignet, wohl vornehmlich im Zuge des Weidewechsels. Diese Vorgänge dürften den äußeren Rahmen für das Sesshaftwerden der israelitischen Stämme abgegeben haben. Waren diese doch aus den oben erwähntemn biblischen Erzvätergruppen hervorgegangenen. Somit sind die Aramäer die Urväter der Israeliten.

Zahlreiche Parallelen zwischen der Aaramäischen und der Iisraelitischen Kultur deuten ebenfalls darauf hin:

– Namensgebung, – Vokabular,

Um 15:00 Uhr fangen wir mit meinem Opa Simon (väterlicherseits) an. Anschließend zu Ame Magdalena, dann zu Amo Said. Wir begrüßen und küssen sie alle nacheinander. Überall werden wir mit der gleichen Herzlichkeit aufgenommen, trinken Mokka oder selbst gemachte Limonade und werden mit dem besten frischen Obst überhäuft. Die aramäische Gastfreundschaft ist herzlich – gestern wie heute. Sie leben diese Tradition von ganzem Herzen.

– Sprache,

22:00 Uhr, Jdaydet-Artus. Den Abend verbringen wir bei meinem Amo Nabil. Seine Frau Malika macht uns ein wahnsinniges Abendessen aus kleinen arabischen Spezialitäten – ein Zauber wie aus tausend und einer Nacht. Ich kann mich kaum satt sehen und wir alle erreichen den „Kurz-vor-dem-Platzen“-Status. Die Ess-Kultur ist ein wichtiger Teil der Gastfreundschaft und daher nicht wegzudenken. Gästen wird grundsätzlich viel zu viel auf den Teller aufgetischt. Als Einheimischer weiß man, dass nicht alles gegessen werden muss. Britta allerdings muss sich noch daran gewöhnen. Ihr voller Bauch lässt ihr irgendwann auch keine andere Wahl. Zum guten Schluss dieses wunderbaren Tages besuchen wir Ame Chitam und ihren Mann Nasef. Beide haben schon in Deutschland gelebt und beherrschen die deutsche Sprache. Doppelte Freude für Britta: sie kann sich mit beiden ohne Dolmetscher unterhalten und alle sind mit einem Kännchen Tee vollends zufrieden.

denn ihre Geschichte reicht noch we­

– soziologische Struktur, – Rechtsbräuche – und kultische Einrichtungen.

Doch die Aramäer sind noch viel mehr,

sentlich weiter zurück. Sie lebten seit mehr als 3000 Jahren v.Chr. zwischen Euphrat und Tigris in Mesopotamien „Aram-Nahrin“, dem biblischen Zwei­ stromland. Heute ist Mesopotamien zwischen Syrien, Libanon, Irak und der Türkei aufgeteilt und existiert nicht mehr auf den aktuellen Landkarten. Wann genau sich die Aramäer in Mesopotamien


12.08. DO.

ALEPPO

HAMMA PALMERA

Saydnaya

DAMASKUS

kloster 覺 kirche reiseroute

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die geschichte der aram瓣er

syrien/saydnaya


niedergelassen haben und woher die

TUR ABDIN MIDYAD

ersten Siedler kamen, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Nach dem Alten Testament ist die Urheimat der Aramäer „KIR“, das sich im südlichen Irak vermuten lässt.

KAMECHLI

Erst Mitte des 3. Jahrtausends v.Chr. lässt sich die Geschichte der Aramäer konkreter bestimmen. Die Aramäer gründeten viele Staaten und Königreiche und konnten sich durch ihre, in vielen Bereichen hoch entwickelte, Kultur, gegenüber größeren Völkern (z.B. den Babyloniern, Chaldäern, Assyrern) be­ haupten. Es werden unter Tiglatpilesar III. (745-727 v. Chr.). nicht weniger als 36 aramäische Stämme erwähnt, die sich im südöstlichen Babylonien niedergelassen haben. Eine späte Erinnerung an die Gegenwart von Aramäern in Babylonien ist auch der geographische Begriff „Beth Aramaye“, der sich in aramäischen Tex­ten des ersten nachchristlichen Jahrtausends für diese Gegend erhalten hat. Im Orient bis hin nach Asien und Indien dominierten Ssie den Handel und hatten viel Einfluss im gesamten Mittelmeerraum.

Durch den prosperierenden Handel setzte sich Aramäisch schnell als Handels­sprache durch. Das Volk der Aramäer wurde oft von anderen Völkern

Die Offenbarung der Heiligen Mutter

(Assyrer, Juden) angegriffen, meist ging es dabei um Handelsinteressen. Weil die zahlreichen aramäischen Stämmen oft zerstritten waren, gelang es nicht ein vereintes Königreich zu gründen.

Wir haben so viel Programm abzuarbeiten, dass wir kaum zum Schlafen, geschweige denn zum Schreiben kommen. Aber den halben Tag mit der WG frühstücken und zu vertrödeln ist auch schön. Die andere Hälfte des Tages werden wir von Johanna durch Klöster und Kirchen geführt.

Im Laufe der Jahrhunderte drangen kurdische und arabische Stämmen in das Land ein. Ihre massive Einwanderung


ansicht kloster saydnaya seite

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die geschichte der aram채er

syrien/saydnaya


drängte die Aramäer zurück. Seit dem die Aramäer das Christentum annahmen und verbreiteten, wurden sie von den kurdischen und arabischen Stämmen ständig verfolgt und vertrieben.

Die Aramäer sind ein christliches Volk, hauptsächlich Ssyrisch-Oorthodox. Sie haben eine eigenständige Kultur und sprechen eine eigene Sprache, Aramäisch. Die christliche Religion der Aramäer war ein wesentlicher Faktor für das tragische Schicksal eines der bedeutendsten Kulturvölker des Orients. Die erste christliche Gemeinde außerhalb Palästinas, in Antiochien, wurde von den Aramäern gegründet. Die syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, die sich aus dieser urchristlichen Ge­ meinde entwickelte, ist die erste aller christlichen Kirchen.


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das patriarchalische kloster von saydnaya

syrien/saydnaya


kloster saydnaya ı wand mosaik

das patriarchalische kloster von saydnaya „Saydnaya“ ist ein aramäisches Wort und bedeutet „unsere Herrin“. Trennt man die beiden Silben „Sayd Naya“ bedeutet es „Jagdrevier“.

In Saydnaya befindet sich eine „Marienikone“. Sie ist ein Original, gemalt von dem Apostel Luka Al-Baschir. Sie hat den aramäischen Namen „Schahura oder Schagura“ und bedeutet „die Bekannte“ oder „die Berühmte“. In dem Kloster befinden sich auch andere origi-

14:00 Uhr. Das Mutter-Gottes-Kloster in Saydna­ ya. Das Kloster liegt etwa eine halbe Stunde au­ ßerhalb von Damaskus. Es hat einen aramäischen Ursprung, jetzt gehört es zur römisch-orthodoxen Kirche. Es ist das berühmteste Kloster in Syri­ en. Hier ist es wunderschön. Allerdings sind die Menschen sehr kamerascheu. Portraitaufnahmen sind daher selten. Wir respektieren diese Scheu und beschränken uns auf die architektonischen Schönheiten.

nale Kunstwerke und Ikonen aus dem fünften, sechsten und dem siebtemn Jahrhundert. Die Bücherei des Klosters besitzt Hunderte von wertvollen Büchern, Schriften und Plänen. Diese belegen die Zeit der Erbauung.

547 n. Chr. wurde das Kloster auf dem Hügel von Saydnaya gebaut. Die Geschichte hierzu lautet folgendermaßen: aAls der byzantinische Imperator Justinianus I mit seinem Heer in die

Ein mittelalterlicher Hauch umgibt diese Mauern. Spielte Umberto Ecos „Name der Rose“ etwa hier? Ich erforsche zahllose Gänge, durchdringe alte Türen, immer gespannt, welch’ „Wunder“ mich dahinter erwartet; ... schmale Treppen ... wunderschöne Wandmosaike - all dies aus alten massiven Steinen in den Berg geschlagen. Der Geruch von Weihrauch und die leisen Gebete der Nonnen umgeben mich, dringen in mich ein und hinterlassen ein Gefühl aus Mysterie und Gebor­ genheit, aus Neugierde und Gelassenheit, zeitlo­ ser Entspannung. Was verbirgt sich hinter diesen Mauern?

Schlacht gegen Persien gezogen ist, musste er durch Syrien und durch die Sahara marschieren. Sie schlugen ihr Lager in der Wüste auf. Das Wasser wurde knapper und das Heer fing an zu verdursten. Während dieser Katastrophe, erblickte der König ein Reh und machte sich trotz seiner Müdigkeit auf die Jagd. Das Reh machte auf einem Hügel Halt, ständig verfolgt von dem König. Auf dem Hügel angekommen, entdeckte er eine Wasserquelle. Dies ließ ihn die Jagd für einen Moment vergessen.


kloster saydnaya privat bereich der nonnen

Ein dunkler, von Kerzen duftender und beleuchteter Raum zieht mich in seinen Bann. Er ist voller Goldgaben. Obwohl kreisrund ist er zweigeteilt. In der einen Hälfte befindet sich der Altar mit einer Marienikone. Dieser Raum ist mit Geschenken, Spenden und Schmuckstücken aus Gold überhäuft. In der Mitte des Raums steht ein Tisch mit zahlreichen Kerzen, einer Spendenbox und einem Gefäß mit heiligem Öl. Die darin brennende Kerze darf niemals erlöschen. Zur Segnung Gläubiger wird das heilige Öl vorsichtig entnommen, sparsam auf einen Wattebausch gegossen, dem Gläubigen die Form eines Kreuzes andächtig auf die Stirn gezeichnet. Der Wattebausch darf im Anschluss an die Zeremonie vom Gläubigen mitgenommen werden. Die zweite Raumhälfte ist den Betenden vorbehalten. Die Wän­ de sind rundherum mit zahlreichen kleinen Gemälden geschmückt. Andacht und Neugierde befangen mich. Ich genieße die leisen Klänge der Betenden. Ein beruhigendes Wohlgefühl ergreift mich ... seite

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das patriarchalische kloster von saydnaya

syrien/saydnaya


Plötzlich geschah es – das Reh ver-wandelte sich zu einer hellleuchtenden, strahlenden Marienikone, die ihm ihre strahlend weiße Hand entgegen streckte. „»Nein, Ddu wirst mich nicht töten, Justi-nianus“«, sagte sie. » „Du wirst mir eine Kirche auf diesen Hügel bauen«.“ Dann verschwand sie. Zurück in seinem Königreich, berichte Justinianus seinen Beratern was geschehen war. Er befahl Pläne und Zeichnungen für das Bau der Kirche zu entwickeln. Aber seinen Architekten, Ingenieuren und Bau-meistern gelang es nicht. Sie standen vor mehreren Problemen. »„Auf so einen Hügel zu bauen ist nicht möglich,“« erklärten Ssie.

Da erschien die Mariagestalt ein zweites Mal. Sie erschien dem König im Traum, mit präzisen, prächtigen Plänen der Kirche und dann verschwand sie.

Das Kloster ist bis heute, einesr der prächtigsten, byzantinischen Bauten. Es ist der zweitwichtigste, von Gläu-bigen besuchte Ort im Orient nach Bethlehem. Die Besucher verschiedenster Glaubensrichtungen kommen aus der ganzen Welt, um die Wunder und den Segen der „Heiligen Mutter“ zu empfangen.

Eine Organisation orthodoxer Nonnen lebt in diesem Kloster. Etwa fünfzig Non-nen kümmern sich um das Kloster. Außerdem erziehen und unterrichten sie vierzig Waisenmädchen. Dies wird ermöglicht durch Spendengelder.


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die geschichte der aram瓣er

syrien/saydnaya


die geschichte der aramäer Woher wir kommen, Tur-Abdin Heimat der Aramäer Anfang der 70er Jahre lebten rund 80.000 Aramäer im Tur-Abdin. Sehr viele mussten aus ihren Heimatländern wegen politischer und religiöser Verfol-gung fliehen. Um das traditionelle Siedlungsgebiet der Aramäer führen zwei Völker seit mehr als 20 Jahren einen blutigen Kampf -– Türken und Kurden.

Der Tur-Abdin ist an der syrisch irakischen Grenze im Südosten der Türkei gelegen. Er ist ein wasserarmes, hügeliges Hochland (800-1100 m) aus Kalk- und Basaltgestein. Dieses Gebiet gehört zum „Urgestein“ der ökumenischen Bewegung weltweit und ist eines der ältesten Zentren des christlichen Glaubens. Die Sprache dieser Aaramäischen Christen ist das Turoyo, ein Dialekt des aAramäischen, der Muttersprache Jesu. Das Gebiet des Tur-Abdin ist im Alten Orient erst gegen Ende des 2. Jahrtausends v. v.Chr. schriftlich belegt, obwohl ers schon tausend Jahre früher von akkadischen Königen durchquert worden ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Feldzugsbericht des assyrischen Königs

altar

Assurnassirpal II. (884-858 v. v.Chr.),

spendenbox

der einen Feldzug durch den Tur-Abdin religiöse kunst

führte:

öl-gefäss tür

tür

„Die Assyrer, welche Salmanassar,

kerzen gebetsbereich für besucher goldschmuckgaben

mein fürstlicher Vorgänger, in Halziluha (Kasyari-Gebirge) angesiedelt hatte,

raum-skizze

bereich nur für die nonnen

fielen ab. Sie verbündeten sich mit der einheimischen Bevölkerung, den


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die geschichte der aram瓣er

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Aramäern, gegen den eigenen König.“ Dieses Gebiet war einst das Land der Klöster. In der Blütezeit gab es über 80 Klöster; heute sind es nur noch wenige, die erhalten und bewohnt sind: u.a. Kloster Deir Zafaran, Kloster Mar Melke, Kloster Mar Jakob, das Muttergotteskloster in Hah und das Kloster Mar Gabriel. Die Kirchen und Klöster in den Dörfern stammen aus dem 5. bis 7. Jahrhundert, einige sind sogar älter. Das Kloster Deir Zafaran in der Nähe von Mardin war 630 Jahre Sitz des Ssyrischorthodoxen Patriarchen von Antiochien und ist in seiner Architektur –- neben dem Muttergotteskloster von Hah –- das bedeutendste christliche Bauwerk des Tur-Abdin.

Durch den Krieg zwischen Kurden und dem tTürkischen Militär sind die meisten der aramäischen Dörfer ent-weder von Kurden besetzt oder vom türkischen Militär zerstört. In den übrigen Landesteilen gewinnen die wiedererstarkten, funda-mentalistischen Moslems immer mehr an Einfluss und versuchen eine Staatsform zu etablieren, die keine Toleranz gegen-über christlichen Minderheiten kennt.

Der Tur-Abdin war einst ein rein christliches Gebiet. Ethnisch, kulturell und sprachlich gehören diese Christen zum alten Kulturkreis der Aramäer. Doch durch Verfolgungen, Genozid und staatliche Unterdrückung sowie durch regelmäßige und systematische Übergriffe der benachbarten fanatischen


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die geschichte der aram瓣er

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Moslems, ist es zu einer Auswanderungswelle aus dem Kerngebiet der Aramäer gekommen. Dieses führte dazu, dass nahezu alle in der Türkei lebenden Aramäer ihre Heimat verlassen haben. Rund 2.000, vor allem ältere, Aramäer, leben heute noch im Tur-Abdin. Die aramäischen Christen sind eine religiöse und ethnische Minderheit mit einer leidvollen Geschichte, geprägt von Flucht und Verfolgung.

Der traurige Höhepunkt dieser Geschichte war der Völkermord 1914/1915 an den Armeniern, dem auch zehntausende ara--mäische Christen zum Opfer fielen. Verursacht wurde er von denm nationalistisch eingestellten „Jungtürken Re-gime“. Seit Mitte der siebziger Jahre haben die Menschenrechtsverle tzungen im Tur-Abdin (heutige Türkei) erheblich zugenommen. Die Christen in dieser Region werden als Minderheit diskriminiert; ihre Menschen-rechte werden nicht geachtet; sie ge-nießen keinen hinreichenden Schutz, um sich religiös, ethnisch und kulturell entfalten zu können. Noch unlängst kam es im Tur-Abdin zu Übergriffen an Aramäern. Eines der dunkelsten Jahre für den TurAbdin war 1993. Damals wurden Christen überfallen, ermordet, entführt und vertrieben.


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Al-Scherobim Saydnaya

DAMASKUS

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das patriarchalische al-schirobim kloster

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TUR ABDIN MIDYAD

das patriarchalische al-schirobim kloster Das AL-Schirobim Kloster hat den höch-sten

KAMECHLI

Gipfel aller östlich syrischen AL-Kalmun Gebirge erobert und be-fin-det sich 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Schirobim ist ein aramä-i-sches Wort und bedeutet Schirob (Singular: der Engel) und bim (Plural: die Engel).

Das Kloster wurde im 4 Jahrhundert ge-baut und ist den Engeln gewidmet. Es soll Gott als Altar dienen. Die Bewohner haben sich in die Dienste des Klosters gestellt. Aus dem Gipfel hat der Besucher eine grandiose Sicht über ganz Damaskus, Al-Bikantal, dern Berg Sanin und dern Berg Al-Schech. Die geschichtlichen Quellen weisen darauf hin, das,s das Kloster aus zwei Teilen besteht. Der erste Teil sind die Höhlenketten und der zweite Teil der prächtige Bau des Klosters. In den Höhlen gibt es nochmal zwei Bereiche. Der eine Bereich dient dem alltäglichen Nutzen, und der andere Bereich dient der Lehre und dem geistlichen Abt der Mönche.

Mit den Jahren verfiel das Kloster. Nur im Volksmund wurde die Geschichte weiter erzählt. Im Jahre 1981 wurde das

Den Engeln zu Ehre und um Gott nah zu sein Unser zweiter Stopp ist das Kloster Al Cherubim. Es ist sehr klein und befindet sich auf dem Berg von Saydnaya. Das Kloster ist sehr schlicht und nur auf das Wesentliche beschränkt. Auf zwölf Bänken finden Gläubige vor dem kleinen Altar Rast und Ruhe zur inneren Einkehr und zum Gebet. Mittlerweile ist es 18:00 Uhr und die Abendmesse fängt an. Das Kloster ist von Höhlen umgeben, in denen sich früher Gläubige vor der Verfolgung versteckt haben.

Kloster mit Hilfe der Mutter Oberin Katrin Abi-Heidar (dier Leiterin des Saydnaya Klosters) wieder aufgebaut, bepflanzt und eröffnet. Heute wird das Kloster gepflegt und instand gehalten. Das Kloster weckte das Interesse des Patriarchen Ignatios IV (Hazim). Er beauftragte den Archimandriten Johannes Al-Talli und seiner Brüderschaft, die seelische-, bauliche- und die dienstliche Entwicklung des altertümlichen Klosters zu erweitern.


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die geschichte der aramäer Wohin uns unser Weg geführt hat, Aramäer heute. Die heutigen Aramäer sind Nachfah­ren der Bewohner der alten syromesopo­ tamischen Reiche von Ur, Uruk, Edessa, Mari, Ugaret, Palmyra, Hatra und anderer.

Sie sind die Urbevölkerung Syriens und des Libanons. Doch sie sind in der ganzen westlichen Welt verstreut. Sowie einst Abraham der Aramäer in Aram-Nahrin umherirrend war, so sind heute seine Nachkommen, in weite Teile der Erde verstreut. Ein großer Teil der Aramäer hat auf der Flucht vor Verfolgungen in den westlichen europäischen Ländern eine neue Heimat gefunden. Etwas über 150.000 Aramäer leben heute in Europa, davon rund 70.000 in Deutschland

Doch es gibt auch viele kleine Hoffnungs­ zeichen, die den starken Lebenswillen der Christen dokumentieren, die noch im Tur-Abdin leben und dort bleiben wollen. Die Lehrer haben sich zusammengeschlossen und organisieren gemeinsame Kurse, um den Jugendlichen ihre Muttersprache, den christlichen Glauben und ihre Kultur weitervermitteln zu können. Sie haben Kontakte mit aramäischen Jugendlichen im Ausland aufgenommen und hoffen auf ihre Unterstützung. Viele Dörfer wurden mit Wasserleitungen und Brunnen versorgt; Straßen wurden gebaut, um die Dörfer besser erreichen zu können und um die Gefahr der Minen zu reduzieren.


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die geschichte der aram瓣er

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Ein „Sozialfonds“ wurde eingerichtet, damit unbürokratisch und schnell in Notsituationen diakonisch gehandelt und eine finanzielle Unterstützung angeboten werden kann. Im Kloster Mar Gabriel wurde ein neuer Brunnen gebaut, der soviel Wasser gibt, dass um das Kloster herum ein kleiner „Garten Eden“ angelegt und Wasser an umliegende Dörfer abgegeben werden kann. Fast jedes Dorf ist mit Telefon versorgt, so dass die Kommunikation untereinander und zu den Angehörigen im Ausland wesentlich verbessert wurde. Häuser wurden renoviert, damit junge Familien eine Bleibe haben und eine Existenz aufbauen können. Auch die noch vorhandenen Klöster wurden zum Teil sehr gut saniert.

Dies sind viele kleine Zeichen, die etwas vom „Bleiben“ und vom „Überleben“ in einer gefährdeten Umgebung erzählen, und diese Aufzählung könnte noch fortgesetzt werden.


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die aram瓣ische sprache

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die aramäische sprache Die drei Hauptdialekte Das Spezifische des Aramäischen ist, dass es in zahlreiche Dialekte eingeteilt wird. Es gibt drei Hauptdialekte.

Das nördliche oder galiläische Aramä­ isch war die von den Aramäern gespro­ chene Mundart. Sie gewann große Bedeutung und wurde durch den Auf­ stieg und die große Ausdehnung des assyrischen Reiches während des elften vorchristlichen Jahrhunderts für weite Gebiete Vorder-Asiens die eigentliche Umgangssprache.

Südliches oder chaldäisches Aramä­ isch sprachen die Juden in Judäa, deren Vorväter in die babylonische Gefangenschaft geführt worden waren.

Westliches Aramäisch, bekannt als „Aramäan“, war schon zu Abrahams Zeiten die Sprache im Aramäischen Königreich (Aram-Nahrin). Nach seiner Eroberung durch die Assyrer im Jahre 722 v.Chr. wurde es jedoch durch das Nordaramäische stark verdrängt.

Ein westaramäischer Dialekt war jüdischpalästinensisches Aramäisch. Es ist die eigentliche Sprache Jesu.

Die ostaramäischen Dialekte umfassen jüdisch-babylonisches Aramäisch, die Sprache der jüdisch-mesopotamischen Gemeinschaft und Mandäisch. Der altsyrische Dialekt, der sog. Peshitta, ist


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die aram瓣ische sprache

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Draußen auf der Spitze des Berges erinnert ein von Metallstäben eingezäun­ tes Denkmal daran, dass hier noch Mythen allgegenwärtig sind.

der Dialekt mit der ältesten kompletten Bibelübersetzung. Der letzte Dialekt

Die Überlieferung besagt, dass ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn man im Geheimen darum bittet und dann ein Tuch an die Metallstäbe knotet. Nicht, dass da nicht auch mir gleich ein Wunsch einfiele. Doch woher ein Tuch nehmen? Die Industriegesellschaft hinterlässt ihre Schatten. Ich nehme also ein Tempotaschentuch.

ist ein spätliterarischer Dialekt, der heute umgangssprachlich als modernes Aramäisch bezeichnet wird – Suroyo. Er entwickelte sich mit dem Aufstieg des Islam.

Um die Zeit von Christi Geburt sprachen alle Bewohner der semitischen Kultur­ länder von Palästina im weiten Bogen nach Norden über Syrien und Nord­meso­ potamien bis nach Assyrien und Baby­ lonien ein und dieselbe Sprache, das Aramäische. Dieser einheimische Name machte später, hauptsächlich in Folge jüdisch-christlicher Literatureinflüsse, der griechischen Bezeichnung Syrer Platz. Aramäisch wurde auch zur gesprochenen Sprache der Israeliten. Das mit dem Hebräischen eng verwandte Aramäisch nahm bei den Juden den Platz der Schriftund Umgangssprache ein.

Das Hebräische war bis zur Neugründung des Staates Israel nur auf die Bibel und den Gottesdienst beschränkt. Jesus

links miriam / rechts oekina

Christus und seine Zeitgenossen sprachen Aramäisch. Der mehr als tausendjährigen Vorrangstellung des Aramäischen wurde erst durch das Arabische des Islams ein Ende bereitet. Dennoch hat sich mit nur geringen Abweichungen zwischen der geschriebenen und gesprochenen Form die Sprache bis heute erhalten.

20:00 Uhr. Langsam haben wir alle Hunger bekommen. Die Kinder sind noch superfit und toben herum. Solche Kinder habe ich noch nicht gesehen: unerschöpflich und immer fröhlich. Wir fahren in ein Bergrestaurant, um dort zu essen. Und wieder einmal kommen wir sehr spät ins Bett.

Trotz zahlreicher politischer Veränderun­ gen im Nahen Osten blieb das Aramäi­sche die Kirchensprache der Aramäer, Juden, Chaldäer und der Christen in Palästina, Syrien, Aram-Nahrin (Mesopotamien), der

Die bezaubernden Eindrücke des Tages begleiten uns in unsere Träume.

Türkei (Tur-Abdin), Persien und Indien.


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HAMMA PALMERA

Al-Scherobim Saydnaya

Altstadt

DAMASKUS

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die aram瓣ische sprache

syrien/damaskus


Sie ist immer noch die Sprache der alten

TUR ABDIN MIDYAD

Kirche des Ostens. In Syrien allein beten 700.000 unierte römisch-katholische Maroniten aramäisch, und in einigen Dörfern des Libanongebirges ist es sogar noch die Umgangssprache. In manchen

KAMECHLI

Ländern des Orients beherrschen gewisse Teile der Bevölkerung zwei Sprachen: Sie sprechen im Familienkreis aramäisch, im Geschäft und mit Regierungsstellen jedoch arabisch.

Verborgen unter der Altstadt 3 Stunden nach Sonnenaufgang. Ich bekomme meine Augen kaum auf und soll mich aus dem Bett quälen. Heute fahren wir in das Kloster Anania, mitten in der Altstadt von Damaskus. Es ist 11:00 Uhr, als wir es nach mehrmaligem Nachfragen endlich erreichen.


kloster hanania / kapelle seite

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das haus des heiligen hananias

syrien/damaskus


das haus des heiligen hananias Innerhalb der Mauern der Altstadt von Damaskus wurde dieses Haus in eine Kirche umgewandelt, die dem Heiligen Kreuz geweiht war. Man weiß nicht wann dies geschah, aber es passierte mit Sicherheit vor der arabischen Er­obe­rung 636 n.Chr. 1921 hat eine archäologische Mission unter der Leitung des französischen Eustace de Lorey hier Ausgrabungen gemacht und die Apsis der Heiligen Kreuz Kirche, auf Arabisch „Musallabeh“, entdeckt. Sie ist eine der Kirchen, die Walid I., der sechste Omajjadenkalif, den Christen zurückgab, im Tausch gegen die St. JohannesBasilika, die er zur Moschee umgestalten ließ, die heutige „Omajjaden-Moschee“.

Diese Ausgrabungen haben auch gezeigt, dass an der Stelle der Kirche zuvor ein heidnischer Tempel gestanden hat und dem „Himmelsgott von Damaskus“ geweiht war, der in Gestalt eines Last tragenden Stieres dargestellt wurde. Dieser heidnische Tempel kann in das 2.-3. Jh. n.Chr. datiert werden (vgl. die wissenschaftliche Zeitschrift „Syrie“ 5/1924, 205 und 6/1925, 356).

der name hananias Hintergrund für die Namensgebung ist folgende Begebenheit aus der Apostel­ geschichte im Neuen Testament: Die Bekehrung des Paulus (auch „Saul“ oder „Saulus“ genannt – Apg 9, 1-19). Saulus verfolgte die Christen leidenschaftlich. Es erschien ihm ehrenvoll, sie dem Gericht


kloster hanania / kleiner raum seite

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das haus des heiligen hananias

syrien/damaskus


zu überliefern. Er tat dies jedoch aus einer aufrichtigen Überzeugung heraus; er glaubte, damit Gott wohlgefällig zu sein. Auf seinem Weg nach Damaskus in Syrien, wo er mit der Verfolgung der Christen ebenfalls beginnen wollte, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, und er hörte eine Stimme: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Saulus fiel auf die Erde und sprach: „Herr, wer bist du?“ – „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Saulus erblindete, und Jesus beauftragte ihn, nach Damaskus weiterzureisen, dort werde ihm gesagt, was er zu tun habe. Die Gefährten nahmen Saulus bei der Hand.

In Damaskus wohnte Hananias, ein Jünger Jesu. Auch dieser erhielt von Jesus eine Botschaft, nämlich Saulus zu begegnen und die Hand auf ihn zu legen. Sogar der Straßenname und das Haus

Das Kloster befindet sich unter der Altstadt. Das Besondere daran: es war früher ein ganz gewöhnliches Haus. Es ist sehr klein und dunkel. Eine schmale Treppe führt hinunter. Es besteht aus einer Kapelle und einem noch kleineren, niedrigen Raum. In diesem befinden sich Zeichnungen, auf denen wir die Geschichte des Heiligen Ananias in Aramäisch, Arabisch und Englisch lesen können. Die runde Kuppel des Raumes ist mit einem Metall­ gitter verstärkt. Besucher können Bilder von sich oder von Verwandten daran befestigen. Man erhofft sich dadurch Glück, Zufriedenheit und Schutz von den Heiligen. Altertümliche und frühchristliche Mystik verschmelzen ... Die schlichte Kapelle fasziniert durch Details. Prachtvolle, mit Schutzfolie abge­ deckte Stühle beispielsweise. Leider können sie so nicht benutzt werden. Einige Meter weiter entdecken wir eine klitzekleine, kaum 10 qm große Kapelle: „Mor Georges.“ Mir erscheint sie einem Souvenirshop zum Ver­ wechseln ähnlich. Sie ist voll gestopft mit Bildern, Lampen, Kerzen und Anhängern mit Heiligenmotiven. Die alte Frau am Eingang ist die Hüterin des ganzen Krimskrams.

wurden genannt. Hananias erschrak und äußerte Bedenken. Saulus ist ja der verrufene Christenverfolger! Jesus antwortete: „Gehe hin, denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.“ Hananias gehorchte, begegnete Saulus und ließ ihn den Grund seines Kommens wissen: „Der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir erschienen ist auf dem Wege, da du herkamst; du sollst wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.“ Die Handauflegung des Hananias hatte Sauls sofortige Genesung von der Blindheit und seine Erfüllung mit dem Heiligen Geiste zur Folge. Dann lesen wir: „... er ward wieder sehend, und stand auf, ließ sich taufen ...“

Welch’ unzählige Geschichten sich mit diesen ganzen Sammelstücken verknüpfen mögen?


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Mar Musa Al-Habaschi Al-Scherobim Saydnaya

Altstadt

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das st. moses kloster nähe nabk

syrien/nähe nabk


das st. moses

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kloster nähe nabk geografie und historie Das alte syrische Kloster St. Moses Al

KAMECHLI

Habaschi „Deir Mar Musa Al-Habaschi“ überragt ein raues Tal in den Bergen östlich der kleinen Stadt Nebck, etwa 80 km nördlich von Damaskus. Es liegt auf einem Berg etwa 1320 m über dem Meeresspiegel.

Prähistorische Jäger und Hirten be­wohnten als Erste die Gegend rund um das Kloster, die mit ihren natürlichen Zisternen und Weiden ideal für die Schafs­zucht ist. Vielleicht bauten einmal die Römer oder andere Völker einen Wachturm hier. Später nutzten christliche Einsiedler eine Höhle zur Meditation, wodurch das erste klösterliche Zentrum entstand. Gemäß der lokalen Überlieferung war St. Mosis der „Habyssinian“, Sohn eines äthiopischen Königs. Er verweigerte die Krone, die Ehre und die Heirat. Stattdessen verpflichtete er sich dem Königreich Gottes. Er durchreiste Ägypten und dann in das Heilige Land. Später lebte er als ein Mönch im syrischen Qara und dann als Einsiedler im Tal, wo heute das Kloster steht, bevor er schließlich von byzantinischen Soldaten gemartert wurde. Nach der Überlieferung holte seine Familie seinen Körper zurück in

Durst nach Stille 13:00 Uhr. Nach einer Stunde Fahrt kommen wir zum nächsten Bergkloster: der Musa Al-Habashi. Wunderbar majestätisch liegt es dort oben über allem Land. Als hätte ich es geahnt - wir müssen zu Fuß da hoch. Wir lassen also das Auto am Fuße des Berges zurück. Während wir die Steintreppe hochäch­ zen zähle ich die Stufen. Oben angekommen, fallen meine Beine ab und ich bekomme keine Luft mehr.

die Heimat, aber ein Wunder trennte den Daumen von seiner rechten Hand, der als eine Reliquie zurück blieb. Heute befindet sich dieser Daumen in der syrischen Kirche von Nabk.

Nach archäologischen und historischen Funden wissen wir, dass das Kloster St. Moses seit Mitte des 6. Jahrhunderts


der musa al-habaschi/ vom kloster hinunter seite

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das st. moses kloster n채he nabk

syrien/n채he nabk


besteht und dem syrisch antiochischen (rum-orthodoxen) Brauchtum zuzurech­ nen ist. Die heutige Klosterkirche ist im islamischen Jahr 450 bzw. im Jahr 1058 n.Chr. unserer Zeitrechnung erbaut worden, was aus arabischen Inschriften an den Wänden hervorgeht, die mit den Worten beginnen: „Im Nahmen Gottes, dem barmherzigen und anteilnehmenden…“

Die Fresken in der Kirch datieren auf das 11. und 12. Jahrhundert zurück. Im 15. Jahrhundert wurde das Kloster teilweise erneuert und erweitert. Es wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlassen und verfiel langsam. Dennoch verblieb es im Besitz der syrischen katholischen Diözese von Homs, Hama und Nabk. Die Bewohner der Stadt Nabk besuchten weiterhin das Kloster mit Andacht und der lokale Priester bemühte sich, dieses aufrecht zu erhalten. Im Jahr 1984 begann die Restaurierung des Klosters durch eine gemeinsame Initiative des syrischen Staates, der lokalen Kirche und einer Gruppe von arabischen und europäischen Freiwilligen.

Die finanzielle Unterstützung durch den syrischen Staat und Italien konnte die Restauration im Jahr 1994 abgeschlossen werden. Im Jahr 1989 wurde die syrischitalienische Schule für die Restauration von Fresken in „Deir Mar Musa“ gegrün­ det, welche die Restauration der Wand­ malereien im Kloster im Rahmen der syrisch-europäischen Kooperation fortsetzen wird. Die neue Stiftung der klösterlichen Gemeinschaft wurde im Jahr 1991 ins Leben gerufen.


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das st. moses kloster n채he nabk

syrien/n채he nabk


Die im Jahr 1058 n.Chr. erbaute Kirche erstreckt sich auf einer Fläche von 10 mal 10 m und ist in zwei Bereiche unterteilt. Der größere Bereich ist das Kirchenschiff mit zwei Seitenschiffen, die durch ein hohes Fenster nach Osten erleuchtet werden. Der zweite Bereich ist der Altarraum, mit dem Altar und der Apsis. Er wird vom Rest der Kirche durch ein steinernes und hölzernes Kanzelbild abgetrennt.

Zum heutigen Zeitpunkt sind drei Schichten von Fresken ans Tageslicht gekommen. Die erste Schicht ist aus der Mitte des 11. Jahrhunderts n.Chr. und die zweite vom Ende dieses Jahrhunderts. Die dritte Schicht wurde schließlich zum Ende des 12. und dem Beginn des 13. Jahrhunderts aufgetragen. Die Bilder der jüngsten Farbschicht sind nahezu komplett erhalten und bestehen aus zwei integrierten ikoneographischen Kreisen. Der erste und größte Kreis bildet die Dimensionen der sakralen Geschichte ab. Der zweite Kreis, der sich im Altarraum befindet, repräsentiert das Mysterium

Es sind 347 Stufen! Nach einer winzigen Verschnaufpause gönne ich mir dann doch eine Zigarette. Bewunderung überkommt mich; solch ein Platz stellte vor zweitausend Jahren Anreiz zur Einkehr und zum Verweilen dar? Wir stehen vor einer Öffnung, die nicht größer als 60 x 100 cm ist. Da muss ich rein? Da muss ich rein! Ich habe doch Platzangst. Ich nehme meine ganzen Mut zusammen - Augen zu und durch. Ohne zu wissen, was mich erwartet, trete ich in das schwarze Nichts ein. Nach einem kleinen Tunnel offenbart sich mir ein schöner, heller Innenhof voller junger Menschen.

des ewigen und heutigen Augenblicks.


der musa al-habaschi/ bruder jens

Ein junger Franzose bietet mir direkt ein Glas Wasser an (kann er meine Gedanken lesen?). In dem Kloster laufen jede Menge Leute aus aller Welt herum – Individualtouristen, Aussteiger, Palästinenser und Studenten. Der Ort scheint nichts von seiner historischen Faszination eingebüßt zu haben. Für Übernachtung und Verpflegung ist es üblich, etwas zu spenden oder im Klosterleben mitzuhelfen. Eine unver­ gessene Geste ist es, uns spontan zum Essen einzuladen. Es gibt „Mgadara“, eine Mischung aus Erbsen, Reis und gebratenen Zwiebeln. Nicht gerade etwas für das Auge, aber für den Gaumen – köstlich!!! Beim Essen lernen wir Bruder Jens mit seinem grauen Gewand und Schweizer Akzent kennen. Danach hat er ein wenig Zeit für ein Interview. Britta bietet sich die Möglichkeit, noch ein biss­ chen herumzulaufen und zu fotografieren. seite

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interview mit bruder jens petzhold

syrien/nähe nabk


interview mit bruder jens petzhold, mönch im „deir mar musa al- habaschi“ Woher kommen Sie und wie haben Sie zu diesem abgelegenen Kloster gefunden? „Ich komme gebürtig aus der Schweiz. Ich bin als Postulant vor elf Jahren nach Syrien gekommen und wollte ins Noviziat aufgenommen werden. Postulant – ist ein Bewerber um ein Kirchenamt. Es dient dem Kennenlernen des Ordens, seiner Lebensweise und einer ersten Erprobung. Es dauert in der Regel 6 Monate. Daraufhin folgt das Noviziat, das auf 13 Monate festgelegt ist. Unter Anleitung des Novizenmeisters wachsen die jungen Brüder in die Gemeinschaft und in das religiöse Leben hinein. Sie werden zur intellektuellen Auseinandersetzung angeregt und nehmen in begrenztem Umfang apostolische Aufgaben wahr. Ich aber verbrachte drei Jahre im Noviziat. Danach kamen die drei ewigen Gelübde, die da wären: Keuschheit, Armut und Gehorsamkeit. Es können sechs bis höchstens zwölf Jahre vergehen, bis man die Gelübde hat. Momentan studiere ich Theologie in Rom. Ich habe meine Philosophieprüfung schon abgeschlossen

der musa al-habaschi/ aramäische wandmalerei

und habe noch vier Jahre Studium vor mir. Momentan habe ich Sommerferien, die ich gerne hier im Kloster verbringe.

Jedes Kloster hat auch seine zusätzlichen Gelübde. In diesem gelten, neben den Ordensregeln, natürlich auch die drei Gelübde – dazu kommt noch das Gebot der Gastfreundschaft, das der manuellen Arbeit und für das Kontemplative Leben.“


der musa al-habaschi/ aram채ische wandmalerei seite

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interview mit bruder jens petzhold

syrien/n채he nabk


Wie sieht ein Tag im Kloster aus? „Der Tagesablauf sieht in etwa so aus: – 6:00 Uhr, wird aufgestanden. Zuerst werden die Tiere versorgt, dann werden kleinere Arbeiten im Haus erledigt. – 7:30 Uhr, Morgengebet, Frühstück. Darauf folgt die Aufteilung der Arbeit im Kloster. Es laufen kleine Projekte, die erledigt werden müssen, wie zum Beispiel die Ordensregeln umschreiben, landwirtschaftliche Tätigkeiten, der Bau des Nonnentraktes. Besucher zu empfangen gehört auch zu den alltäglichen Aufgaben. – 14:30 Uhr, Mittagsessen. Nachmittag ist theoretisch Zeit für eigene Studien und Gebete – wenn keine Besucher da sind. Im Winter ist es ruhiger. – 19:30 Uhr, eine Stunde Meditation. Dann folgt die Abendmesse. Wir versuchen ein Gleichgewicht zwischen Gebet, Arbeit und den Gästen zu halten.“

Wie finanziert sich das Kloster? „Wir versuchen Situationen und Möglich­ keiten zu finden, um mit der Wüste zu arbeiten. Hierzu nutzen wir die Erfahrung der örtlichen Administration. Wir versuchen dieses Land irgendwie nutzbar zu machen und zu erhalten. Ich bezweifele aber, dass wir jemals mit der Landwirtschaft Geld verdienen können.“

Welche Ansätze gibt es dazu? „Wir haben einen Forschungsgarten, in dem wir eine Art wildes Mandelgewächs züchten (eine kleine Unterspezies der gewöhnlichen Mandel).


der musa al-habaschi/ gebetsbücher

17:00 Uhr. Britta würde so gerne die Kinder beim Spielen fotogra­ fieren. Aber es kommt anders. Johanna zieht es vor, uns von Kirche zu Kirche zu führen. Ehrlich gesagt habe ich auch noch keine Kinder getroffen, die so versessen auf Kirchenbesuche sind. Ich hätte als Kind sofort angefangen zu quengeln.

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interview mit bruder jens petzhold

syrien/nähe nabk


in der wg / abudd und ich

Es ist ein ganz interessanter Busch. Er überlebt die Kälte und die Wärme. Es dient als Tierfutter und hält auch den Ziegen stand – sehr widerstandsfähig also. Das Gewächs ist keine großartige Entdeckung, aber eine Hoffnung, die eine Lösung sein kann, um doch einige Früchte zu haben. Im Garten befinden sich auch ein paar Heilpflanzen, die auch kommerziell genutzt werden können.“

Was sind das für Gruppen, die das Kloster besuchen? „Es sind Touristen, kulturell interessierte und spirituelle Leute. Im Sommer sind es oft reisende Pilger, die einer Standard-Route folgen, um alle Klöster zu besuchen (von Aleppo über Malula, Saydnaya, Hanania, Mar Georges ...).

Die jungen Leute aus Syrien kommen hierhin, um sich zu begegnen. Besucher, die hier über Nacht bleiben sind meistens jung. Zum Teil sind das westliche Touris­ten, die von uns gehört haben oder christlich interessiert sind und niedrige Ansprüche

20:00 Uhr. In Damaskus sitzen wir wieder gemütlich mit Abbud und seinen Mitbewohnern zusammen und quasseln. Wir rauchen eine mit Fruchttabak gefüllte Wasserpfeife (viiiiel besser als die stinkigen Zigaretten), trinken Raki (hmm!!) und erholen uns von dem anstrengenden Tag

haben. Wir nehmen kein Geld für die Übernachtungen, daher können wir auf die Mithilfe der Besucher hoffen, was kleinere Arbeiten anbelangt.“

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? „Wir sind ein Orden, der nur hier in Syrien existieren kann. Daher werde ich wohl hier bleiben, denn meine Zukunft ist das Kloster.“


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Mar Musa Al-Habaschi

Reifenpanne

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die aram瓣ische sprachgeschichte

syrien/damaskus


die aramäische

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sprachgeschichte Die aramäische Sprache gehört zur semitischen Sprachfamilie und ist eng

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mit der arabischen Sprache verwandt. Sie wurde nach Sem, einem der drei Söhne Noahs, semitisch genannt. Die ältesten Zeugnisse der aramäischen Sprache reichen bis 4500 Jahre vor Chr. zurück. Somit ist Aramäisch die drittälteste Sprache der Welt.

Aramäisch war in alttestamentarischer Zeit eine „Lingua franca“, d.h. allgemeine Verkehrs- und Diplomatensprache des Orients. Sie verdrängte schnell die Sprachen des Nahen Ostens und breitete sich im gesamten Orient aus. Mit dem Beginn der Perserherrschaft (540 v.Chr.) wurde das Hebräische als Umgangssprache im jüdischen Volk vom Aramäischen allmählich verdrängt. Zur Zeit Jesu sprach das Volk in Palästina aramäisch. Große Teile des Alten sowie des Neuen Testaments wurden in aramäisch verfasst. So wurden Teile des Daniels- und Esrabuches nicht in hebräisch, sondern in aramäischer Sprache geschrieben. Aramäisch ist somit die „zweite Sprache des Alten Testaments“.

Erste Träger des Aramäischen sind Aramäer seit dem 2. Jahrtausend vor

In den Morgen hinein 05:30 Uhr. Damaskus ist um die Zeit des Sonnenaufgangs noch wunderschöner als bei Nacht. Die hässlichen und dreckigen Häuser wirken in der so genannten „blauen Stunde“ wie ge­ malt. Nach einer Frühstückstasse Kaffee lassen wir Damaskus hinter uns und fahren in den Sonnenaufgang hinein, Richtung Wüste.

unserer Zeitrechnung im Land Aram Nahrin, im Norden Mesopotamiens um die heutige Stadt Damaskus in Syrien. In Mesopotamien verdrängte das zunächst als Sprache von internationalem Handel und Diplomatie dienende Aramäische langsam das Akkadische beziehungsweise seine späteren Vertreter, Assyrisch und


johanna wechselt den reifen seite

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die aram채ische sprachgeschichte

syrien/richtung palmera


Babylonisch, die dann um die Zeitenwende ausstarben. Als die Perser um 500 vor unserer Zeit­rechnung ein riesiges Gebiet, das Kleinasien, Ägypten, den „Fruchtbaren Halbmond“ sowie das Iranische Hochland bis hin nach Zentralasien umfasste, eroberten, verwendeten sie das bereits weit verbreitete Aramäische als „Lingua franca“ ihres riesigen Reiches, weshalb diese Sprache auch „Reichs-Aramäisch“ genannt wird.

In frühchristlicher Zeit wurde das Ara­ mäische sowohl von vielen Ostkirchen als auch von den Juden als Literaturund Sakralsprache genutzt und weiterentwickelt. Wie schon erwähnt, sind der Talmud und kleine Teile des alten Testaments im Original in aramäischer Sprache geschrieben. Dieses jüdische Aramäisch ist jedoch im Unterschied zum nichtjüdischen Aramäisch stark mit hebräischen Worten durchsetzt. Während in Teilen seines Sprachgebiets Aramäisch allmählich durch Griechisch abgelöst wurde, setzte erst durch die islamische Eroberung all dieser Gebiete ein allgemeiner Niedergang des Aramäischen ein, das fast überall vom Arabischen verdrängt wurde, außer in einigen Orten im

09:00 Uhr. Mitten in der Wüste muss es passieren: Reifenpanne! Völlig zer­ fetzt hängt das Gummi an der Felge. Johanna ist der Held: Er hat das Auto stuntmäßig in der Spur gehalten. Ein kleines Kunststück, auf diesen Pisten. Doch die kleine Unterbrechung unserer Fahrt dauert nicht lange. Professi­ onell wechselt er den Reifen – anscheinend hat er Übung in diese Dingen. Und schon geht es weiter.

Libanon, in Jordanien, in Syrien, im Irak und

In Tadmor (Palmera), einer Ruinenstadt aus der Römerzeit, machen wir noch mal Halt. Wir genießen das Schlendern zwischen den Säulen der Ruinen.

Sprache der Religion leben aber sowohl

im Tur Abdin, wo es noch wenige Sprecher gibt, die die genozidalen Massenmorde im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in diesem Gebiet überlebten.

Viele andere Sprecher wanderten aus. Als

das Talmud-Aramäische im Judentum als auch das Mittelsyrische in den Altorientalischen Kirchen weiter.


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die aram채ische schrift

syrien/palmera


palmera die ruinenstadt

die aramäische schrift Diese Schrift entstand aus der phöni­ zischen Schrift und legte den Grundstock für die meisten anderen semitischen Schriften. Die aramäische Schrift hat unter den nordwestsemitischen Schriften die weiteste Verbreitung gefunden.

Seit 1000 v.Chr. wurde sie in Babylonien, Assyrien (Akkadisch), Syrien und Palästina gebraucht. Sie hat sich in verschiedene Zweige gespalten, von denen viele bis zum heutigen Tage erhalten geblieben sind. Darunter die arabische Schrift genauso wie die indische oder hebräische. In der Spätantike war das Aramäische wichtige Sprache der östlichen Christenheit und wurde als Verkehrssprache bis nach China getragen, wo die Mongolen ihre Schrift aus der Aramäischen entwickelten.

Diese Schrift wurde dann auch von den Mandschu übernommen, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts ganz China und seine Randgebiete eroberten und die Mandschu-Dynastie errichteten (1644-1911). Viele chinesische Texte wurden damals in die alphabetische Schrift der Mandschus übertragen, was bis heute zum Verständnis klassischer

Die rauchspuckenden, vereinzelt in die Wüste gesetzten Industrieanlagen, an denen wir vorbei sausen, wirken wie aus einem Science-Fiction-Film. Britta genießt die stundenlange Fahrt durch die Wüste. Mal hängt sie ihren Kopf aus dem Fenster und saugt die vorbei sausenden Landschaftseindrücke in sich auf, dann schläft sie ein. Ich dagegen unterhalte Johanna, damit er nicht auch noch müde wird. Es ist 12:00 Uhr Mittags. Die Sonne knallt hemmungslos auf alles was noch lebt (oder auch nicht). Keiner kann sich ihr entziehen. Es ist sogar zu heiSS zum Rauchen!

chinesischer Texte überaus wichtig ist, da die chinesische Wortschrift oft große Interpretationsspielräume offen lässt.

Erst seit dem 7. Jh. n.Chr. wichen die aramäische Sprache und Schrift langsam vor dem Arabischen zurück. Die ältesten Funde des Aramäischen reichen bis ins 8. Jh. v.Chr. zurück. Bis ins 5. Jh. v.Chr. ändern sich die phönizischen Schriftzeichen kaum.


meine großmutter vor dem haus

15:00 Uhr. In Kamechli (meinem Geburtsort) angekommen, werden wir von meiner Familie (mütterlicherseits) empfangen. Opa, Oma, Chale Schuschan, Johannas Frau Tidora und die kleine Naya, seine jüngste Tochter, mein Chalo Daniel seine Frau Fahima und seine drei Töchter, Delfi, Maya, Miriana und sein Sohn Raby warten schon vor der Tür und haben das Essen vorbereitet. Ich bin glücklich sie alle wieder zu sehen, aber auch traurig zugleich.

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die aramäische schrift

syrien/kamechli


chale schuschan, miriam und ich

Die ersten entsprechenden Zeugnisse der Umgestaltung der alten Zeichen zu den typisch aramäischen Formen werden in Ägypten in der Zeit der 5.-3. Jh. v.Chr. verwendet. Besonders in Oberägypten findet im 5. Jh. v.Chr. die aramäische Schrift immer stärkere Verwendung, sie ist dort auf zahlreichen Steintafeln und Papyrusrollen zu finden.

Die aramäische Schrift behält bis um die Wende des 3. und 2. Jh. v.Chr. im größten Teil Vorderasiens eine sehr einheitliche Form. Von da an spaltet sie sich, begünstigt durch die politische Zersplitterung, die zur Bildung verschie­ dener politischer und kultureller Sonder­ gemeinschaften führte, in mehrere Zweige, die ihre völlig eigene, z.T. sehr bedeutsame Entwicklung nahmen.

Ich war schon lange nicht mehr da. Als ich meine Großeltern in meine Arme nehme kommen mir die Tränen. Sie sind sehr alt geworden und es geht ihnen nicht gut. Meine Oma ist halbseitig gelähmt und hat die Parkinsonsche Krankheit. Sie sitzt auf einem selbst gebauten Rollstuhl und kann sich nicht bewegen. Mein Opa, der starke Mann aus meinen Erin­ nerungen, sieht so zerbrechlich aus. Er ist fast blind. Meine Chale Schuschan hat sich ganz dem Glauben gewidmet. Ihre Kleidung erinnert an eine Nonnentracht. Sie wirkt auf mich etwas merkwürdig und wunderlich.

Dieses sind die hebräische, indische, syrische und nabatäische Schrift bzw. die arabische Schrift.

Hier einige Schriftbeispiele:

aramäisch


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die aram瓣ische schrift

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aramäisch

Til-Ghan

KAMECHLI

chaldäisch Die christlichen Bewohner Chaldäas, welche die nestorianische Lehre bewahrt haben, bedienen sich einer Schrift, die dem älteren Estrangelo-Charakter mehr entspricht als die Peshitoschrift der östlichen Syrer. Nur das Aleph zeigt einen abweichenden und der Peshitoschrift ähnlichen Charakter.

Ein Fest zu Ehren Marias 17:30 Uhr. Til-Ghan, der Geburtsort meiner Mutter. Vom Dorf aus können wir den Zaun sehen, der als Grenze zur Türkei dient. Eine „grüne Grenze“ in der Wüste, denn einen offiziellen Grenzstreifen gibt es nicht. Heute wird die neu erbaute Kirche eingeweiht - zu Ehren der „Heiligen Mutter“. Das Kirchengelände ist gerammelt voll. Einige der Gläubigen haben Gaben mitgebracht. Trauben bei­ spielsweise, Feigen, Brot und sogar Schafe zum schlachten.

Heute ist die syrische Sprache in Chaldäa nur mehr die der Kirchenbücher, denn die Nestorianer haben die arabische Sprache angenommen, so wie sie auch die arabischen Zahlzeichen entlehnt haben. Ebenfalls im Gebrauch der Vokal- und Lesezeichen unterscheiden sich die Nestorianer von den Maroniten oder westlichen Syrern, indem diese die griechischen Vokalzeichen anwenden, während die Nestorianer die ältere Bezeichnung durch Striche und Punkte,

Die ganzen Gaben werden an arme Menschen verteilt. Britta und ich gehen erst mal herum und fotografieren alles und jeden, der uns vor die Linse springt. Wir haben schließlich nur eine halbe Stunde Zeit bevor das Licht verschwindet. Wir versuchen in die Kirche zu gelangen, bevor die Messe vorbei ist.

welche durch den Bischof von Edessa eingeführt wurden, beibehalten haben.


innenhof der neuen kirche seite

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die aram채ische schrift

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chald채isch


Die Kirche ist abgeschottet und eine Übertragung wird nach außen auf eine riesige Leinwand im Kirchenhof gelegt. „Vor Überfüllung geschlossen“. Wo gibt’s das noch in Europa? Doch Britta und mir fällt es nicht schwer hineinzugelangen. Erstens ist Britta die einzige Weiße (exotische Blonde, das macht Eindruck) und einer der Türsteher ist der Cousin meiner Mutter. Die Kirche ist nicht so voll wie ich geglaubt habe. Nur Leute, die in der Kirche Dienst tun, und viele Journalisten tummeln sich vorm Altar. Britta wird von den anderen vorgelassen, so dass ihr ein paar Nahaufnahmen gelingen. Der alte Patriarch leitet die Messe. Er ist das Oberhaupt der gesamten aramäischen Kirche – in etwa ver­ gleichbar mit dem Papst.

in der mitte der patriarchen ignatios iv

Das erklärt wohl auch den ganzen Rummel.

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die aramäische schrift

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die zeremonie des abendmahls

syrisch-peshito Die syrische Schrift, Peshito genannt, ist den westlichen Syrern, den Maroniten und Jakobiten, oder vielmehr den rö­ misch-katholischen Syrern im Gegen­ satz zu den nestorianischen, eigen. Die hauptsächlich in Syrien und dem Libanon lebenden Maroniten sind eine christliche Völkerschaft, die nach dem hl. Abt Maron (* vor 423) benannt ist. Sie wurden im 7. Jahrhundert Monotheleten und bildeten mit den Melchiten Syriens eine eigene Kirchengemeinschaft. Sie sind seit dem 15. Jahrhundert mit der römischen Kirche uniert.


sehr erfrischend: wasser aus einem riesigen k체hlbeh채lter seite

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die menge feiert

mandäisch Das klassische Mandäisch ist die Litera­ tursprache der Mandäer, der letzten Anhänger einer gnostischen Religion der Spätantike. Das klassische Mandäisch ist ein aramäischer Dialekt (syrisch), der dem Aramäischen des babylonischen Talmud nahe steht. Neben dem klassischen Mandäisch existiert auch eine moderne, gesprochene Form des Mandäischen, die Neumandäisch genannt wird.

Die südbabylonische Umgebung von Wasith, Howaizah und Bassora (Südirak und die angrenzende persische Provinz Khuzistan) wird noch heute von dem Rest eines Volkes bewohnt, das sich Sabier, Nazaräer, Nasoräer oder Mandäer nennt.

Ein paar Verwandte wohnen in dem Haus direkt neben der Kirche. Wir steigen bei ihnen aufs Dach und genießen den herrlichen Ausblick auf den ganzen Trubel. Uns streicht der warme Wüstenwind durch das Haar. Etwas mulmig ist es nur, dass das Lehmdach gerade neu gemacht worden ist und man bei jedem Schritt etwas einsinkt. Aber es hält – eigentlich werden auch nur neue Schichten Lehm über den alten gepackt. Wir fotografieren noch ein paar tanzende Leute, quasseln noch mit diesem oder jenem. Schließlich machen wir uns mit der gesamten Familie auf der Ladefläche des Pick-up auf den Weg nach Kamechli.

Die Araber nennen sie auch Nabathäer, Galiläer oder St. Johanneschristen.


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Mar Musa Al-Habaschi

Reifenpanne

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mandäisch

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Til-Ghan

KAMECHLI Til-Uardiat

malabarisch-syrisch Durch die Missionare der Nestorianer gelangte die syrische Schrift auch nach Malabar (Vorderindien), wo die christlichen Nachkommen der von den Nestorianern „Bekehrten“ den Namen St. Thomaschristen führen. Durch diese

Eine himmlische Fahrt

wurde die syrische Schrift auch auf die dravidischen Sprachen angewendet und durch mehrere dem Malayalam entlehnte

Geschlafen haben wir auf dem Dach des Hauses in und unter einem wunderschönen Himmelbett. Eigentlich ist es nur ein Metallbett mit Matratzen und Kissen, um das abends Laken gespannt werden. Sie dienen zum Schutz gegen die doch schon sehr heiße, morgendliche Sonne und zugleich schirmen sie die neugierigen Blicke der Nachbarn ab. Nachdem wir von der Hitze geweckt werden, verkriechen wir uns noch ein Weilchen im Schatten der Kinderzimmer. Bei 45 °C im Schatten kann man nicht viel unternehmen. Der Kopf ist leer, der Körper müd’ und immer durstig und so gammeln wir bei Kaffee und leichten Gesprächen in den Tag hinein. Auf einmal ist die Zeit rum und wir müssen uns ziemlich schnell fertig machen, da wir um 17:00 Uhr von meinem Cousin Raby abgeholt werden. Heute ist Maria Himmelfahrt.

Zeichen vermehrt. Die Schrift hat noch den altertümlichen Zug der syrischen Schrift des 8. Jahrhunderts.


britta glöcklich auf ladefläche des pick-ups

Ein Freund von Raby, Sako, besorgt einen Pick-up. Er bringt noch zwei andere Freunde mit, Simon und Isa. Mit fünf Personen fahren wir zu einem Dorf (Til-Uardiat), etwa eine Stunde von Kamishli entfernt, um dort das kirchliche Maria Himmelfahrtsfest zu besuchen. Hinten auf dem Pick-up liegen Matten und ein Sonnenschutz, so dass die Fahrt durch die Wüste sehr bequem ist. Hoffen wir, dass uns eine Vollbremsung bei einer Reifenpanne erspart bleibt. Alles geht gut. Im Dorf angekommen, hat sich schon wieder eine große Menschenmenge rund um den Patriarchen gesammelt. Die Gruppen der jungen christlichen Aramäer (des Keschaf) bereiten sich für den bevorstehenden Umzug vor. Der Keschaf ist vergleichbar mit der jungen deutschen christlichen Gemeinde oder den Pfadfindern.

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die aramäische schrift

syrien/til-uardiat


phönizisch Die phönizische Schrift, welche in zahlreichen Varianten aus vielen Inschriften bekannt ist, wird von rechts nach links geschrieben und ist mit der moabitischen Schrift und den Schriftzeichen der Makkabäermünzen eine der ältesten kanaanitischen Schriften.

Die um einiges jüngere punische Schrift geht sehr wahrscheinlich in weiten Teilen aus dieser hervor.

Sie kommen nicht nur aus Kamishli, sondern aus allen möglichen Orten und tragen entsprechend unterschiedliche Uniformen. Wir schauen uns ein wenig um und gehen in die Kirche. Hier kommen uns gerade die großen Kirchenoberhäupter auf dem Weg zu ihrem Podest entgegen.


die kirchenväter links: bischof d. kamechli-region mitte: der patriarch rechts: seine begleiter

Der Bischof der Kamishli-Region machte sich von der Gruppe los und kommt direkt auf uns zu. In einem makel­ losen Englisch begrüßt er Britta: „Hello, how are you? Britta ist geschmeichelt. Ihre blauen Augen funkeln unter ihrer blonden Mähne. Mit leicht gerötetem Kopf sagt sie etwas schüchtern: „Fine, thank you!“ Das Fotografieren soll sich als problemlos erweisen, da wir direkt neben dem Podest der Kirchenmänner stehen. seite

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die aramäische schrift

syrien/til-uardiat


nabathäisch Die nabathäische Schrift Ostpalästinas entwickelte sich im 1. Jahrhundert n.Chr. aus der aramäischen Schrift, mit der sie eng verwandt ist. In Stein gemeißelte Inschriften wurden in der zwischen hohen Felsen eingebetteten Stadt Petra, der Hauptstadt des semitischen Königreichs der Nabathäer (ca. 150 v.Chr. bis 100 n.Chr; ab 106 n.Chr. Hauptstadt der römischen Provinz Arabien) im transjordanischen Wadi Musa (Mosestal) sowie in Damaskus und Medina gefunden.

Während des 4. und 5. Jahrhundert n.Chr. entwickelte sich aus der nabathäischen Schrift das arabische Alphabet. Die nabathäische Schrift ist eine Konsonantenschrift, ohne Vokalzeichen, die in horizontalen Linien

die tanzenden blümchen

von rechts nach links geschrieben wird.

Hier ist es zwar etwas enger, dafür bekommen wir aber unsere Fotos aus einer exklusiven Top-Position. Nach dem ganzen Trubel warten wir auf eine Gelegenheit, den Bischof oder Patriarchen persönlich zu sprechen. Doch sie dinieren. Lange und ausgiebig. Wir machen uns auf den Rückweg.


Eigentlich wollen wir zum Tee zu einer Tante der Jungs fahren, aber wir finden den Weg nicht. So irren wir bei Nacht durch die stockfinstere Wüste und versuchen den einen oder anderen Pfad. Aber die Pisten haben nun mal keine Wegweiser. Nach über einer Stunde geben wir enttäuscht auf, um nach Kamishli zurückkehren. Hier angekommen fahren wir nicht nach Hause, sondern entschließen uns im „Greenland“, einem Schwimmbad, essen zu gehen.

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die aramäische schrift

syrien/til-uardiat


nabathäisch

arabisch Die arabische Schrift hat – wie die meisten heute noch verwendeten Schriften außer den ostasiatischen – ihren Ursprung in der Byblos-Schrift und der phönizischen Schrift. Die Form der Buchstaben und die Grundlagen für die weitere Schriftentwicklung wurden in der aramäischen Schrift gelegt.

Die Entwicklung ging dann über die Sinai-Schrift und die nabatäische Schrift zu einer Schriftform, die heute meist als Kufische Schrift bezeichnet wird, aber

die musikgruppe des keschafs

weiter zu fassen ist. Diese Schriftform ist der Anfang der heutigen arabischen Schrift. Die Tradition der südarabischen Inschriften ging zwischenzeitlich wieder verloren.


von links : isa, britta, simon und raby seite

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die aram채ische schrift

syrien/kamechli


arabisch

Das „Greenland“ ist eine der neuen Locations, in der Familien tagsüber baden können. Abends ist es für öffentliche wie auch private Veranstaltungen (Verlobungen, Hochzeiten etc.) geöffnet. Hier kann man wirklich sehr gut essen und feiern. Im vorderen Teil des Bades gibt es Life-Musik und eine Tanzfläche, auf der sich gerade die Gäste einer Verlobungsfeier vergnügen. Im hinteren Bereich sitzen wir. Britta riskiert ihren ersten Tanzversuch, was gar nicht so leicht ist, wenn man von allen beobachtet wird. Sie erregt Aufsehen, da sie unverkennbar aus Europa stammt. Wir genießen den Abend und haben viel Spaß. Die Sonne ist schon aufgegangen, als wir uns gegen 05:30 Uhr auf den Heimweg machen.


16.08. MO. ALEPPO

HAMMA PALMERA

Mar Musa Al-Habaschi

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Altstadt

DAMASKUS

kloster 覺 kirche reiseroute

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die aram瓣ische religion

syrien/kamechli


die aramäische

TUR ABDIN MIDYAD

religion Die Entstehung des Christentums und die Aramäer

Til-Ghan

KAMECHLI

Die Aramäer sind die Träger des Christen­tums im Orient. Als die ersten

Til-Uardiat

Christen, aus Jerusalem verdrängt, in Antiochien am Orontes eine neue Heimat gewonnen hatten und von dort aus ihre Missionsreisen unternahmen, scheint der Nahe Osten für die Aufnahme der neuen Religion nicht minder bereit gewesen zu sein als der griechische und römische Westen.

Ein Vorteil für die neue Lehre mag dabei gewesen sein, dass sie in derselben Sprache von Antiochien bis nach Baby­ lonien und Elam verkündigt werden konnte. Wir kennen die einzelnen Etappen der Ausbreitung gegen Westen, entbehren aber gänzlich gleichzeitiger Nachrichten über den Weg, den das Evangelium in seiner Verbreitung nach

Eine Mütze voll Schlaf Ich weiß gar nicht, wo die Zeit bleibt. Es ist schon 14:00 Uhr und ich bin dabei „Spagetti à la Ranja“ zu kochen. Britta hilft mir beim Gemüse schneiden.

Osten eingeschlagen hat.

Es ist anzunehmen, dass das Christen­tum, den großen Landstraßen folgend, frühzeitig die Hauptstadt Nordmesopotamiens, Edessa, erreichte und dass diese Stadt

18:00 Uhr. Die größte Hitze ist vorbei, also machen wir uns für die Stadt fertig. Delfi (meine Cousine) holt uns ab. So gehen Britta, Delfi, Tidora und ich ein paar Dinge einkaufen. In der Stadt gibt es jedoch keine schönen Sachen und Schuhe kaufen erweist sich als echtes Problem für Britta. Wahrscheinlich hat hier niemand so kleine Füße wie sie. Zum Abendessen sind wir bei Onkel Daniel, dem zweiten Bruder meiner Mutter. Er und seine Frau Fahima haben fünf erwachsene Kinder: Delfi, Abbud, Raby, Maya und Miriana. Nach dem Abendessen gehen wir zu Raby - ein Spaziergang von 15 Minuten. Er hat einen Computerladen. Wir nutzen den Internet-An­ schluss, um den Kontakt daheim mit ein paar E-Mails aufzufrischen. Reisebe­ richte online. Mit Stefan, meinem Mann, chatte ich eine halbe Stunde. Es ist sehr schön, von ihm wieder etwas zu erfahren und ihm zu berichten.

nach Antiochien zu einem neuen Zentrum der Mission wurde. Von dort strebte sie dem Tigris zu und durchzog die von ihm getränkten Kulturländer, bis nach Babylonien und Elam, Ktesiphon und Susa.

Das Christentum ist eine semitische Religion. Es breitete sich zuerst unter den Menschen semitischen Ursprungs und kulturellen Hintergrundes aus. Die Propheten und Jesus samt seinen


die beliebte fresierkomode seite

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die aram채ische religion

syrien/kamechli


Aposteln waren Orientalen. Das Alte Testament war für die Aramäer in seiner semitischen Sprache, Aramäisch, abgefasst worden. Jesus gab seinen Jüngern den Auftrag, zuerst zu den „Verlorenen Schafen aus dem Hause Israel“ zu gehen. Diese waren vor allem in Aram-Naharain und Persien weit zerstreut worden.

Die Galiläer der Zeit Jesu stammten hauptsächlich von den Stämmen ab, die auf der Ostseite des Euphrat ansässig gewesen waren und durch den Assyrerkönig gezwungen wurden, sich im nördlichen Palästina anzusiedeln. Im mesopotamischen Dura Europos des Nikanor am mittleren Euphrat – wenig oberhalb von Mari – befindet sich die älteste ausgegrabene christliche Kirche der Welt. Die Aramäer, Galiläer und Judäer nahmen als Erste die Lehre Jesu an. Außerdem predigten die Apostel anfänglich in den Synagogen.

Deshalb waren die von ihnen Bekehrten ihre eigene Landsleute und auch Aramäer, besonders solche, die durch Heirat mit jüdischen Familien verwandt waren, wie Timotheus und Titus, von denen der aramäische Text aussagt, dass ihre Väter Aramäer und ihre Mütter Jüdinnen gewesen sind (Apg. 16:1; Gal. 2:3). Die Christen des Westens vergessen oft, dass das Christentum eine östliche Religion ist und die Bibel ein orientalisches Buch, das von Morgenländern in erster Linie für den


maya beim n채gel lckieren

17.08. DI.

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die aram채ische religion

syrien/kamechli


Gebrauch durch ihre eigenen Landsleute aufgezeichnet wurde. Sie vergessen ebenfalls, dass biblische Manuskripte schon von den ältesten Zeiten an im Nahen Osten weit verbreitet waren, ganz im Gegensatz zur großen Seltenheit und relativ späten Erwerbung und Benutzung der Heiligen Schrift in Europa und Amerika.

Der Westen übersieht, dass Martin Luthers „Biblia“ in Wittenberg erst 1534 erschien und die englische „King James Version“ im Jahre 1611 herauskam. Die europäischen Völker erhielten erst etwa anderthalb Jahrtausende nach den Christen des Orients Zugang zur Bibel. Der größte Teil Europas wurde um die Jahre 800-1000 zum Christentum bekehrt, und zwar durch kaiserliche Erlasse, ohne dass das Volk viel von den Lehren Christi erfuhr. Die Franken, Langobarden, Sachsen und Briten wurden zur Annahme des westlichen Christentums gezwungen.

Schönheit ist ein Licht im Herzen Den ganzen Tag verbringt Britta mit Lesen und ich beschäftige mich mit meinen Cousinen. Wir lackieren uns die Fingernägel und probieren die aus Deutschland mitgebrachte Gesichtsmaske aus. Danach lasse ich mich mit einer Wachmasse enthaaren. So was Schmerzhaftes habe ich noch nicht erlebt. Die Mädels hier sind es gewohnt. „Aua“ - ich fühle mich wie ein gerupftes Huhn.

Das Lesen der Bibel blieb dem Volk jedoch bis gegen das sechzehnte Jahrhundert hin verboten. Europäische Christen wurden lebendig verbrannt oder auf andere schreckliche Weise getötet, wenn man heilige Schriften bei ihnen fand oder sie sich gar an Übersetzungsversuche wagten. In auffallendem Gegensatz zur Seltenheit biblischer Manuskripte in Europa befanden die aramäisch geschriebenen Heiligen Schriften sich in Palästina, Aram und Aram-Nahrin in großer Zahl

20:00 Uhr. Wir müssen in die Stadt zum Fotografen. Britta braucht Passbil­ der für das Immigration Office. Der Fotograf ist ein schrecklicher Stümper, der sich nichts von einer Fotografin sagen lassen will. Auf diesem Wege entstehen ihre wohl schrecklichsten Passbilder aller Zeiten.

im Umlauf und wurden in Kirchen vom Beginn des Christentums an bis heute dort eifrig gelesen.


Danach geht es zum „Killer-Frisör“, der Britta mit seinem weißen Kittel, seinen OP-Handschuhen und seinem Mundschutz eine gehörige Portion Angst einjagt. Neben ihm stehen seine beiden Assistenten, die ihm abwechselnd Farbe oder Klämmerchen reichen, wie bei einer Operation. Dank dieses eingespielten Teams hat er Brittas Strähnchen ganz gut hinbekommen. Jetzt bin ich dran. Meine blonden Strähnchen sehen ebenfalls „bezaubernd“ aus. So blond. Jetzt noch ein bisschen Farbe. Ich habe mir einen Kupferton ausge­ sucht. Sehr schön. Nach dem Auftragen der Farbe wird es plötzlich dunkel im Raum. In der ganzen Stadt haben wir Stromausfall. Bei Kerzenlicht arbeitet er weiter, und ich kann es kaum erwarten das Ergebnis zu sehen. Zu Hause angekommen, bekomme ich einen Schreikrampf. Es ist alles heller geworden!! Wo sind meine ganzen dunklen Haare geblieben? War da etwa Aufheller in der Farbe??? Es sollten doch nur Kupferstränchen sein. Der Zauberlehrling fällt mir ein: „... die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht wieder los ....“. Was bleibt’s, als es mit Humor zu nehmen! seite

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die aramäische religion

syrien/kamechli


Tatsächlich war die Bibel die einzige Quelle, aus der diese Völker, die um ihrer Religion willen soviel erduldet haben, immer wieder Mut schöpften, um ihren Glauben aufrecht zu erhalten. In vielen Gegenden des Orients gab es außer den auf Häute geschriebenen Bibeln keinerlei andere Literatur, bis Missionare vor relativ wenigen Jahren gedruckte Bücher einführten.

Die altaramäischen Estrangelo-Manus­ kripte wurden ohne jegliche Verfälschung überliefert, denn die Kirchen des Orients blieb frei von den Ketzereien und Pole­ miken, die anderswo auftraten. Teile des östlichen Christentums bewahrten sich immer ihre Unabhängigkeit von Byzanz und Rom. Das Neue Testament wurde von einer Sprache in die andere übersetzt. Ursprünglich hatte man es aramäisch in der Sprache, welche die ersten, d.h. die galiläischen, palästinensischen und aramäischen Nachfolger Jesu sprachen und schrieben, aufgezeichnet. Später wurde es auch den andern Völkern anderer Rassen zugänglich gemacht.

Anders ausgedrückt heißt das: Das Christentum entstand in Palästina, Aram und Aram-Nahrin, wo es sich zu-nächst unter den einheimischen, semitischen Völkern ausbreitete, die durch Blutbande, Überlieferungen und Lebensgewohnheiten miteinander verbunden waren; später erreichte es die Griechen, Römer, Franken, Briten und die

der killer-frisör

Bewohner anderer europäischer Länder.


ALEPPO 18.08. MI.

HAMMA PALMERA

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kloster 覺 kirche reiseroute

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die aram瓣ische religion

syrien/hasake


die aramäische

TUR ABDIN MIDYAD

religion Aramäische Theologie und Kirchen in Kürze

Til-Ghan

KAMECHLI

Zur Volksgruppe der Aramäer oder der Syrer gehören heute folgende Kirchen:

Til-Uardiat

- Die Syrisch-Orthodoxe Kirche von

Hasake

Antiochien

- Die Ostsyrisch-Nestorianische oder Assyrische Kirche

- Die Chaldaeische Kirche (mit Rom uniert)

- Die Syrisch-Melkitische Kirche (mit Konstantinopel uniert)

- Die Syrisch-Maronitische Kirche (mit Rom uniert)

- Die Syrisch-Katholische Kirche (mit Rom uniert)

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel

- Die Syrisch-Evangelische Gemeinde

Die aramäische Theologie leitet ihre Lehre ab von der göttlichen Inspiration, geoffenbart in der Heiligen Schrift, wie

09:00 Uhr morgens. Wir müssen zum Immigration Office (in Hasake) um Brittas Aufenthalt zu bestätigen. Eine Stunde Autofahrt bringt uns zum gewünschten Ziel. Hier soll jeder nicht-syrische Tourist, der länger als 15 Tage in Syrien verweilt, eine Auf­ enthaltsgenehmigung beantragen. Von einem Büro ins nächste schicken sie uns, um irgendwelche Unterschriften und Marken zu bekommen. Nach einem hin und her ist es überstanden. Brittas Aufenthalt ist verlängert.

sie von den heiligen Vätern ausgelegt

Nach dem Verlust etlicher Schweißtropfen - und einem Besuch bei Johannas Arbeits­ stelle - kommen wir endlich zu Hause an und dürfen uns für die bevorstehende Hochzeit hübsch machen. Wie sollte es anders sein, wir kommen pünktlich zum Schluss der Trauung in der Kirche an. Das Schönmachen hat viel Zeit in Anspruch genommen. Dafür entschädigt die anschließende Party für alles – gute Musik, nette Leute, super Stim­ mung und gutes Essen – was will man mehr!

n.Chr.), das Konzil von Konstantinopel

wird, und von den Traditionen, die wir von heiligen Aposteln empfangen haben. Sie bejaht die ersten drei großen ökumenischen Konzilien der Christenheit, das Konzil von Nicäa (325

(381 n.Chr.) und das Konzil von Ephesus (431 n.Chr.). Ihre Wesensmerkmale sind: Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität.


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die aram채ische religion

syrien/kamechli

von links: fahima, ich, tidora und die kleine naya gratulieren dem brautpaasr


Es werden wie in den anderen ortho­ doxen und katholischen Kirchen die sieben Sakramente anerkannt; sie werden von einem geweihten Priester gespendet. Teile der syrischen Kirche, die armenische Kirche, die Kopten in Ägypten und Äthiopien, und teilweise auch die Christen in Indien gehören zur der Gruppe der altorientalischen Kirchen. Die Spaltung geht auf das Konzil von Chalzedon im Jahr 451 zurück. Damals wurde die so genannte „Zwei-NaturenLehre“ definiert. Demnach ist Jesus Christus „wahrer Gott“ und „wahrer Mensch“ zugleich – eine Lehre, die aber nicht von allen Christen in dieser Form akzeptiert wurde.

Wie immer hatte auch dieses „Schisma“ politische Hintergründe. Die Armenier etwa konnten am Konzil gar nicht erst teilnehmen, da sie wieder einmal eine Invasion abzuwehren hatten. In ihrer äußeren Erscheinungsform sind orthodoxe und „altorientalische“ Kirchen für den westlichen Besucher nur schwer zu unterscheiden. Eine Besonderheit weist die armenische Kirche auf: Sie kennt als einzige Kirche des Ostens die Orgelmusik.


der traditonelle gruppentanz von links: johanna und tidora seite

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die kirche und ihre bedeutung

syrien/kamechli


Wir sehen schon wirklich toll aus. Ich habe ein neues schwarzes CinderellaKleid à la Makdisi (das hat meine Mutter für mich genäht). Britta trägt ein lila Kleid mit rückwärtigen Pailletteneinsätzen, das ihr Hugo (Boss) hat nähen lassen. Auch die anderen Gäste sind sehr schick zurechtgemacht. Der erste Gruppentanz, bei dem sich alle nebeneinander aufstellen und sich ausschließ­ lich an den kleinen Fingern festhalten, führt bei Britta beinahe zu Knochenbrü­ chen. Die restlichen arabischen Tänze lösen dann noch den bleibenden Hüft­ schaden aus. Brittas wildes, europäisches Tanzen erregt die Aufmerksamkeit der anderen Gäste. So wird sie begafft, gefilmt und bejubelt.

die kirche und ihre bedeutung Nach syrischem Verständnis bedeutet Kirche das Zusammenkommen einer christlichen Gemeinde. Der syrische Name – ito – bedeutet Zusammenkunft, genauer „Versammlung“. Nach Moses Bar Kephä ist `ito als weibliche Form von

Zu einer komischen Situation kommt es, als Britta von einem seltsamen Typen ein Glas Whisky angeboten bekommt. Eine gute Reaktion ist in die­ sem arabischen Land nicht so ganz einfach. Die Regeln sind hier etwas an­ ders. Der Typ guckt sie an, sie guckt mich an und ich gucke Johanna an. Wir sind mit der Situation überfordert – was nun? Nach dem Austausch einiger weiterer hektischer Blicke gibt Johanna mir endlich das OK. Dem Typen mit dem Whiskyglas ist in der Zwischenzeit auch nicht der Arm abgefallen und Britta kann den Whisky endlich genießen. So etwas wäre bei einer Aramäerin undenkbar. Sie würde sofort als „schlechte Frau“ abgestempelt werden. Das sind Momente, die das Leben schreibt! Da Johanna morgen wieder arbeiten muss, machen wir uns schon um 4:30 Uhr auf den Heimweg. Im Hinblick auf die Tage vorher kommen wir heute richtig zeitig ins Bett. Er fährt gedul­ dig seine fünf Prinzessinnen nach Hause. Frei nach seinem Slogan:

`ido (= Feier) abzuleiten. Die Kirche wird im Syrischen `ito genannt, um sie von der jüdischen Synagoge zu unterscheiden, die man ito nennt.

Um einen speziellen Ort der Gemeinde Christi für den liturgischen Gottesdienst, die Spendung der Sakramente nach dem Bild des Offenbarungszeltes des Mose, (und des Tempels des Salomo) zu bauen, haben die Kirchenväter im Laufe der Zeit grundsätzlich die Art und Weise für den Bau einer Kirche festgelegt. Als früheste Quellen berichten uns das II. Buch der apostolischen Konstitutionen (4. Jh.), das

von rechts: britta und ich

„Drink and Drive“ bringt er uns, wenn auch etwas eierig, sicher ans Ziel. „Schlechte“ Aramäer gibt’s natürlich kaum oder doch?

VIII. Buch der Klementinischen Liturgie (4. Jh.) sowie die Jakobusliturgie über die Kirchengebäude.

kirchengebäude Die frühesten syrischen Kirchengebäude sind in Edessa, der Metropole der früheren Missionstätigkeit des aramä­ ischen Christentums, vorhanden. Bar `Ebroyo (1286†) lässt uns in seiner Chronicum Ecclesiasticum die ersten Bautätigkeiten der Kirchen im Orient schon auf das 1. und 2. Jh. zurückführen. Er berichtet, dass der Apostel Addai eine Kirche in Edessa vom Geld des (aramäischen) Königs Abgar ukomo „des Schwarzen“ nach dessen


ALEPPO

19.08. DO.

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die kirche und ihre bedeutung

syrien/kamechli


TUR ABDIN MIDYAD

Heilung vom Aussatz und Bekehrung zum Christentum baute, wo er dann auch später begraben wurde. Die um 550 entstandene „Edessanische Überlieferung“ erwähnt von dieser Kirche

Til-Ghan

KAMECHLI

nämlich, dass im November 513, während der Regierungszeit von König Abgar, der „große heiklo (Tempel = Kirche) der

Til-Uardiat

Christen“ durch die Fluten des Daisan Hasake

beschädigt wurde. Diese älteste „große Kirche“ heißt auch „Mor Phoruqo“ (Erlöser-), Addai oder Abgarkirche.

Zum letzten Mal wird sie bei Michoel Rabo (1166-1199) erwähnt, er berichtet, dass sie von den „tayoye“ (Arabern) im Jahre 1186 zusammen mit anderen Kirchen Edessas zerstört wurde. Die große Kirche in Nisibis wurde ebenfalls schon früh von Mor Ja`qob von Nisibis (338†) innerhalb von sieben Jahren gebaut. Zusammenfassend kann man also sagen, dass es die ältesten christlichen Kultstätten auf syrischem Gebiet gibt, zumal wenn man die älteste bis jetzt datierte Kirche aus dem Jahre 372 in Antiochien berücksichtigt. Der Kirchenbau wird nach den in altchristlicher Zeit erfolgten Bestimmungen in der Apostolischen Konstitution, der Didascalia, der Apostel und im Testamentum Jesu Christi, lang gestreckt und nach Osten gerichtet

Nicht leben, um zu essen

durchgeführt.

ostung

Irgendwann gegen Mittag wachen wir auf. Wir genießen unseren allmorgend­ lichen (mittäglichen) Kaffee, pflegen uns ein bisschen, machen Naja, der Kleinsten, eine Haarkur ins völlig vertrocknete, brüchige Haar. Zum Mittages­ sen rollen wir Weinblätter mit Reis und Hackfleisch zusammen. Das ist eine zwar sehr aufwendige, aber sehr eine beliebte Speise des Orients, bekannter­ maßen auch eine Art „Exportschlager“.

Auf eine Frage über die Ostung der Kirche antwortete ein Verfasser, der zu dieser Zeit lebte, dass die Apostel die Kirche nach Osten gerichtet haben, damit die Menschen auf das Vaterland, das


gerollte weinbl채tter (malfuf) seite

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die kirche und ihre bedeutung

syrien/kamechli


Paradies, hinschauen und Gott bitten, sie wieder dorthin zurückzuführen, von wo sie verbannt wurden. Osten ist wohl die wichtigste Richtung überhaupt und spielt eine große Rolle für das Christentum. Die geheimnisvolle Deutung für die syrische Kirche nährt sich aus alt- und neutestamentlichen Zeugnissen; z.B. den biblischen Aussagen: „Sonne der Gerechtigkeit“ bei (Maleachi 3,20); im Osten geht die Sonne auf (Gen 2,8); aus dem Osten kommt der Herr Jesus Christus wieder (Mt 24,27).

Den Kirchenbau konsekriert der Bischof in dem dafür vorgesehenen Ritus der

chale schuschan beim schlafen

„Kirchweihe“ – des ersten Sonntags des

14:30 Uhr. Wir essen unten mit der ganzen Familie zu Mittag. Der Aufbau des Hauses ist ziemlich eigenartig. Wenn man hinein geht, sind links auf gleicher Höhe die Küche, das Bad und ein WC. Unten ist der alte Teil des Hauses. Dort leben meine Großeltern und hier treffen sich alle zum gemeinsamen Essen mit der Familie. Dann gibt es den vor drei Jahren fertig gestellten neuen Teil, eine halbe Treppe über dem Eingang. Der Wohnbereich von Johanna und Tidora besteht aus einem Schlafzimmer mit Klimaanla­ ge, einem Kinderzimmer und einem nur für Festlichkeiten benutzten Wohnzimmer. Der untere und obere Bereich des Hauses sind von außen über zwei Terrassen miteinander verbunden. Von der oberen Terrasse gelangt man über eine Eisenleiter aufs Dach des Hauses, auf dem die Kinder in einem riesigen Metallbett in den heißen Sommernächten schlafen. Wenn man sich jetzt fragt, wo meine wunderliche Tante eigentlich lebt, ist das eine gute Frage.

syrischen Kirchenjahres (dieser Sonntag entspricht dem abendländischen ersten Adventssonntag). Der Bischof salbt die vier Wände des Kircheninnenraums mit heiligem Myron im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Wenn aber die konsekrierte Kirche von Ungläubigen und Häretikern betreten oder dort Blut vergossen wird, soll sie noch einmal – nicht jedoch so feierlich wie am Anfang – am hamsho d‘roze „Donnerstag der Geheimnisse“ (= Gründonnerstag) von einem Geistlichen geweiht werden“. In den von den Häretikern übernommenen Kirchen erlaubt Ja‘qob von Edessa (um 633-708) nicht, „ohne das Gebet des Oberpriesters (des Bischofs), die Heilige Messe zu

Die Antwort ist: überall und nirgends. Man trifft sie völlig unerwartet in so ziemlich jedem Teil des Hauses zu unmöglichen Zeiten an. Am oberen Treppenabsatz, dort wo es ins Wohnzimmer geht, hat sie eine kleine Ecke zu einer Art Altar umfunktioniert. Hier brennt immer eine kleine Kerze. Ein Bett hat sie nicht, da sie nicht wie andere Leute ihre Nachtruhe pflegt. Wenn sie schläft, dann irgendwo auf dem Dach. Manchmal sitzt sie aber auch in einer Art „Halbliegeposition“ zusammengekauert in einer Ecke, manchmal ist sie unten bei meinen Großeltern. Gegen 18:00 Uhr sind wir mit Miriana in der Kirche verabredet, um zum Keschaf zu gehen.

zelebrieren, auch wenn sie vor her den Orthodoxen gehörten“.


lager des keschafs seite

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interview mit jan jamiel daud

syrien/kamechli


interview mit jan jamiel daud, trainer des keschafs in kamechli Seit wann sind Sie der Trainer des Keschafs? „Seit 1981 trainiere ich die musikalische Gruppe des Keschafs. Außerdem bin ich zuständig für die gesamte Kommunikation und das Management des Keschafs. Aber hauptberuflich bin ich Tierarzt. “

Was ist Keschaf? „Es ist eine internationale Jugendbewegung, ähnlich den Pfadfindern. Inzwischen hat sie weltweit etwa 26 Millionen Mitglieder. Damit ist diese Pfadfinderbewegung die größte freiwillige Jugendbewegung weltweit. Sie ist definiert als eine freiwillige, nicht-politische Erziehungs­ bewegung für junge Leute. Unter dem Namen „Boy Scouts“ wurde die Pfadfinderbewegung 1907 von dem britischen General Robert BadenPowell gegründet. Das Motto der Boy Scouts (Be prepared: Allzeit bereit) basiert auf den Initialen des Gründers. Die Uniform der Boy Scouts ist der Uniform der südafrikanischen Polizei nachempfunden. Erst 1967 wurden auch Mädchen zugelassen. Im Jahre 1917 gelang die Bewegung nach Syrien und 1932 nach Kamechli. Die Kirche hat das als eine sehr gute Idee angenommen und die Aktivitäten dieser Bewegung gefördert.


die musikgruppe beim training seite

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interview mit jan jamiel daud

syrien/kamechli


Seitdem wird das Keschaf für kirchliche und öffentliche Anlässe eingesetzt.“

Wie ist das Keschaf strukturiert? „Wir haben verschiedene Gruppen im Keschaf, die da wären:

1. Die Gruppe von 6-9 Jahren sind die „jungen Löwen“ für die Jungs und die „Blümchen“ für die Mädchen. Sie werden theoretisch ausgebildet über die Geschichte des Keschafs und seine Aufgaben. Bei Paraden werden sie am Anfang eingesetzt.

2. Die Gruppe von 10-15 Jahren sind die jungen Einsteiger. Sie werden unterrichtet immer Gutes zu tun. Sie übernehmen kleinere Aufgaben, wie z.B. das Einstudieren von Tänzen und Vorführen kleinerer Schauspielstücke bei diversen Veranstaltungen.

3. Die Gruppe von 16-19 Jahren sind die jungen Fortgeschrittenen. Sie übernehmen schon kleinere, organisatorische Aufgaben und arbeiten der älteren Gruppe zu.

4. Die Gruppe von 20-30 Jahren sind die

An die eigentliche Kirche schließen sich noch soziale Einrichtungen wie z.B. eine Schule, ein Kindergarten und andere Unterrichtsräume an. Im Keller­ geschoss der Kirchenräume treffen sich die Jugendlichen ein bis drei Mal die Woche zum Trommel- und Trompetenunterricht. Wir machen ein paar Fotos und nehmen die lieblichen Trommelklänge auf. Danach führe ich im Anschluss an den Unterricht ein Interview mit ihrem Lehrer, über die Bedeu­ tung des Keschaf innerhalb der Kirche.

Verantwortlichen. Sie organisieren, sorgen für Ordnung und Sicherheit, delegieren und kümmern sich um die Jüngeren.

5. Die musikalische Gruppe ist alters­ unterschiedlich von Jung bis Alt. Sie


Wieder zu Hause, wollen wir ein paar Sachen packen, um die Nacht bei Chalo Daniel zu verbringen. Aber Johanna und Tidora sind nicht da, und so sind alle Zimmertüren abgeschlossen. Deswegen setzen wir uns zu meinen Großeltern vor die Haustür und genießen das Stra­ ßenleben. Nachmittags, wenn die Sonne langsam untergeht, wird die Straße mit einem Wasserschlauch vom Staub befreit und abgekühlt. Etwas später sitzen alle vor ihren Haustüren, in etwa so wie andere im Wohnzimmer sitzen. Irgendwann kommt Tidora zurück.

opa und ich, vor der tür

Wir packen unsere Sachen und haben einen schönen, entspannten Abend mit meinen Cousinen.

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interview mit jan jamiel daud

syrien/kamechli


werden alle zwei Jahre durch einen

04:00 Uhr. Eine gute Zeit sich abzuseilen, um zu fotografieren. Raby, Britta und ich machen uns auf den Weg und holen Simon und den Armenia (Rabys Freunde) ab. Wir fahren mit dem Auto quer durch die Stadt, auf der Suche nach guten Motiven. Für sie ist es völlig unverständlich, dass man so viel Zeit braucht, um ein Foto zu schießen. Ich glaube sie verstehen nicht, was wir da tun.

Musik Wettbewerb ausgewählt.

Alle Gruppen tragen verschiedene Uniformen.“

Wir haben uns vorhin das Training mit angeschaut. Sie haben ja eine große Gruppe von Schülern. Wie oft trainieren Sie? „Die Trommel-Gruppe und die

Dennoch haben wir sehr viel Spaß und sind endlich, nach dem Sonnenaufgang um 06:45 Uhr, morgens im Bett.

Blasinstrumente-Gruppe trainieren einzeln einmal und einen Tag in der Woche gemeinsam. Bei Anlässen und bei neu einstudierten Stücken aber kann es

caesar palace von aussen

bis zu viermal die Woche vorkommen.“

Machen Sie mit dem Keschaf auch Ausflüge? „Ja, natürlich. Wir machen öfter kleinere Ausflüge zu nahe gelegenen Städten, die auch einen eigenen Keschaf haben. So können sich unsere jungen Leute kennen lernen, austauschen und Kontakte knüpfen.

Für kirchliche oder auch für öffentliche Anlässe müssen wir öfter mal für ein oder zwei Tage innerhalb Syriens reisen. Aber einmal im Jahr werden ca. fünfzehn Mitglieder des Keschafs ausgesucht und zu einem Camp, beispielsweise in den Libanon, geschickt. Da treffen sich die Keschafmitglieder aus aller Welt.“


die strassen von kamechli seite

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der bau der kirche

syrien/kamechli


der bau der kirche

teile des kircheninnenraums Der Kirchenraum hat drei wesentliche Teile: Qdushqudshin, Qestrumo = Chorraum und Heiklo = Kir-chenschiff. Außerhalb der alten Kirchen gibt es auch die „dor-to“ und vor dem Kircheneingang einen Vorraum, wo die Gemeinde sich versammelte und der Gottesdienst bei zu warmem Wetter gehalten wird. Hier steht auch meistens ein Brunnen für die Erfrischung und Reinigung.

der altar Der Altar, als wichtigster Gegenstand sozusagen das Herz der Kirche, steht in der Mitte östlich des Qdushqudshin, also in Längsrichtung von Norden nach Süden, nach Bar Salibi (1171†) wie das Grab Christi und wie in der Hebräer(Juden)Tradition. Er heißt auch phothuro oder phothuro d‘haye „Tisch“ oder „Tisch des Lebens“. Der Name Altar als „eucharistischer Tisch“ ist bildlich für das auf ihn niedergelegte eucharistische


die strassen von kamechli seite

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der bau der kirche

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Brot, den Leib des Herrn, zu verstehen. Tronus und madbho „Schlachtort“ sind als Bezeichnungen des Altares des wahren (Gottes) Jahwe im Tempel zu Jerusalem und als Bezeichnung des christlichen Altars im Hebräerbrief bekannt. Für Dionosios von Athen weist der Altar auf „Immanuel, der der Baum des Lebens ist“, hin. Anderen ist er der Ort, auf dem der „Herr, der das Opfer ist“, gekreuzigt und geopfert wird. Iwannis von Dara interpretiert: Der Altar ist das Grab Christi. Das vertritt auch Mose Bar Kefa und sagt: Der Altar wird „Christus, der Baum des Lebens und die Kreuzigung (Christi),“ genannt. Bar Salibi ist aber gegen die Deutung von „Immanuel und Kreuzigung“ und bezeichnet den Altar wie Iwannis und Bar Kepha als „Grab“; der Altar ist „anstatt des Grabes“.

In früher Zeit war er ganz einfach, dann wurde er einheitlich mit einer Dekoration aus wertvollem Stein oder Marmor auf vier Säulen gestellt. Darauf steht eine Kuppel als Sinnbild des Himmels mit vier weiteren Säulen, inkrustiert zuerst mit Silber und später mit anderen Farben. Die Altarfront wurde auch mit einem Trauben- und Weinstockbaum dekoriert. In der Kuppel sind Sternchen und in der Mitte eine Gestalt der Taube als Sinnbild für den Heiligen Geist. In einer sugitho „Dialog“ über die „große Kirche von Edessa“ liest man, dass es auch einen Kerub über den Altar gab. Im „anonymen Chronikon von Edessa“ wird nochmals über diesen „Chiborion“


Til-Tamr

ALEPPO

20.08. FR.

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Altstadt

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kloster 覺 kirche reiseroute

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der großen Kirche von Edessa berichtet,

TUR ABDIN MIDYAD

dass „Chyros, Gouverneur von Edessa ... das Silber über den Chiborion, über den Altar und über die vier Säulen des Altars und Säulen vor dem Altar (über den)

Til-Ghan

Bema in der Mitte der Kirche (wegnahm)

KAMECHLI

... und dem Chosros (schickte). Das Silber wog 112000 Zentner (litre). Der

Til-Uardiat

Altartisch ist, so Iwannis von Dara, aus Hasake

Holz und dekoriert mit Gold, denn mit Gold dekoriertes Holz symbolisiert die Einigung der Gottheit mit der Mensch­ heit. Solche Altäre aus Holz findet man heute noch in einigen Kirchen Tur`Abdins: in Anhel, Hbob und im Kloster Zafaran. Heute sind sie aus Stein in einer wohl anderen Gestalt: links und rechts ist ein kleines Fenster angebracht und im Osten auch ein kleines Loch als Fenster. Hinter dem Altar gibt es ein Altargrab, eine kleine Kammer, in der namentlich am „Freitag der Kreuzigung“ (Karfreitag) ein Kreuz als heiliges „Grab Christi“ niedergelegt wird“‘. Das Altargrab wird auch beth gazo genannt, wo man früher, z.B. im 8. Jh., die heiligen Geräte und auch heiliges Myron sowie Salböl für die Taufe bewahrte.

Die Liebe kommt nach der Hochzeit Mittags gibt es viele orientalische Köstlichkeiten: Tabule (ein Petersiliensalat), Malfuf (das sind die gefüllten Weinblätter), gegrill­ ten Fisch, Mtabal (gemahlene Kichererbsen), Baba Ganug (gegrillte Auberginen mit Knoblauch), Kebe Naye (Tatar mit Weizenschrot und Peperonipaste) und zuletzt selbst gemachte Pommes. Dies alles ist eine Gaumenfreude.

An beiden Seiten des Altars hängen die beiden maruhotho und ein (kleinerer) Vorhang, „sathro/wilo“, auf dem Engel eingestickt sind; er wird während bestimmter Gebete während der Eucharistiefeier auf- und zugezogen. Auf dem Altar sollten ein Kreuz in der Mitte und mindestens zwei Leuchter links und rechts und ein weiterer Leuchter für das Messbuch auf der rechten Seite aufgestellt werden.

Um 15:00 Uhr kehren wir zu Johanna zurück, der um 17:00 Uhr schon wieder los will. Uns erwartet nämlich mal wieder eine Hochzeit (schon die zweite auf dieser Reise).

Außerdem liegt dort die Phardisqo, der „Kommunionbehälter“. Ja‘qob von


Wir fahren zu viert los (Johanna, Tidora, Britta und ich) und kommen genau rechtzeitig beim Freund meines Onkels an. Er wird heute, mit 38 Jahren, eine gerade mal zwanzigjährige junge Frau heiraten. Die Familie und die Freunde des Bräutigams versammeln sich trommelnd und tanzend vor seinem Haus. Die Damen schwenken wild ihre bunten Tücher und üppigen Hüften. Währenddessen begrüßt uns der Bräutigam, immer noch in Shorts und Unterhemd. Vom männlichen Teil seiner Familie wird er gebadet und zurecht­ gemacht. Ein Schauspiel, dem ich leider nicht beiwohnen darf.

jubelnde hochzeitsgäste

Vor dem Haus steht das Brautauto, ein gemieteter Bus. Damit wird die Braut von ihrer Sippschaft zuhause abgeholt und zur Kirche gebracht, wo sie der liebende Bräutigam in Empfang nimmt. Vor dem Haus der Braut warten bestimmt hundert Leute, die den Weg für die Bräutigamfamilie frei machen. Wie es Brauch ist, geht die Familie des Bräutigams in das Elternhaus der Braut, um dort he­ rumstehende Sachen mitzunehmen. Sprich, jeder kann klauen, was gefällt. Unmöglich! Vom einfachen Teeglas bis hin zum Spiegel ist alles dabei. Bestimmt hat die Braut vorher alle wertvollen und schönen Gegenstände versteckt und nur noch Gerümpel dagelas­ sen. Jedenfalls, wenn sie den Brauch kennt. Die Leute haben inzwischen die ganze Bude leer geräumt. Aber es ist eine sehr schöne warmherzige Stimmung. Die Menschen sind sehr nett und die Braut sieht – wie wohl fast jede Braut – fantastisch aus.

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Nach der „Plünderung“ fahren alle zusammen – darunter zwei mit Ramsch voll ge­ packte Busse – im Konvoi zur Kirche. Verwunderlich ist nur, dass in der Kirche nur die ersten fünf Reihen besetzt sind. Alle anderen Gäste haben sich verdrückt. Britta fragt mich, woran es liegt. Ich erkläre ihr, dass die meisten keine Lust mehr auf die einstün­ dige Zeremonie haben. Schließlich finden im Sommer immer so viele Hochzeiten statt. Die Gäste machen sich lieber in der Zwischenzeit noch einmal hübsch, erholen sich von ihren „Beutezügen“ oder gehen Kaffee trinken. Im Anschluss an die Kirche kommen wieder alle überpünktlich zur Party, um noch einen guten Platz zu erwischen. Wie auch immer, wir tun es dem Rest der unanständigen Gäste gleich: Wir fahren zu einem alten Studienfreund von Johanna, ziehen uns um, frischen unser Make-up auf und trinken ein Tasse Kaffee. Eigentlich wollen wir uns beeilen, um das Ende der Zeremonie noch mitzubekommen. Aber anscheinend hat der Pfarrer auch keine Lust länger zu arbeiten, und da sie mit Verspätung angefangen haben, verkürzt er die ganze Prozedur einfach auf 40 Minuten. Wieder verpassen wir den spannendsten Teil der Zeremonie.

Edessa verbietet Bilder (Blumen) oder so etwas Ähnliches als Schmuck auf den Altar zu legen sowie Bilder von den Götzenbildern auf den Altartüchern einzusticken“‘. Auf dem Altartisch selbst steht die so genannte tablitho, die „Altartafel“, die mit einem Leinen-, (nicht mit einem Wolltuch!), zugedeckt ist. Auf der Altartafel liegen Kelch und Patene, die mit zwei „Tücher“ bedeckt werden sollen, sowie möglicherweise eine Christus-Ikone. Außerdem sind acht phete = hophoye; (kleine Velen) paarweise auf den vier Ecken des Altars gelegt“. Sie sind heute aber nicht mehr im Gebrauch. Vor dem Altar sollte auch eine Treppe sein, die nur vom Zelebrant betreten werden darf. In der frühen Kirche ist der Altar aber um drei Stufen erhöht. Der Altar darf nach Johannes von Tella nur am „Donnerstag der Geheimnisse“ zur Ehre der Feier von Ostern aufgeräumt werden, indem der Priester ihn mittels eines „bmai herume“ (mit duftendem Wasser der Kräuter) mit Ausnahme der tablitho reinigt.

der qdushqudshin Der Qdushqudshin liegt ostwärts erhöht und ist getrennt durch eine, zwei oder drei Treppe(n) vom qestrumo und dem Kirchenschiff. Dort stehen der Zelebrant,

das brautpaar beim betreten der kirche

die Diakone und andere Geistliche. Den Teil des qdushqudshin dürfen die Laien und v.a. „die Frauen nicht betreten“. Aber wenn keine Geistlichen sich dort befinden kann der Priester einem von den „Brüdern“ den Eintritt erlauben, um die Kerzen zu entzünden. In der Mitte oberhalb des qdushqudshin gibt es ein kleines Fenster (meistens


freudestrahlend nach der trauung

Wenigstens können wir uns noch mit dem Brautpaar in der Kirche fotografieren. Nicht ganz so toll wie bei der letzten Hochzeit ist die anschließende Party mit den ca. 1200 (!) Gästen. Wir haben die Ehre, am Tisch der Bräuti­ gamfamilie zu sitzen. Das bewahrt uns dennoch nicht vor dem mangelnden Service der Veranstalter. Das Essen ist dürftig und kalt, die Aschenbecher fehlen ganz und die Getränke gingen irgendwann aus und wurden auch nicht mehr aufgefüllt. Zu allem Übel füllen sich die Toilettenlöcher und sind extrem dreckig und stinken. Für das viele Geld, das der Bräutigam bezahlt hat und von dem man sich hier sicherlich eine Eigentumswohnung hätte kaufen können, ist dies eine schwache Leistung. Dennoch ist die Stimmung gut und das Brautpaar glücklich. seite

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der bau der kirche

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längs) oder auch drei, die als Symbol für die „Dreieinigkeit Gottes“ eine Rolle spielen, für die Aufnahme der Sonnenstrahlen. Links und rechts befindet sich ein Eingang zu den gnize = „Geheim(Altäre)“.

der thron Auf der nördlichen Seite des qdushqu­ dshin in der Kathedrale befindet sich der Thron des Patriarchen und auf der südlichen Seite der Bischofsthron, der schon in den Quellen für Kirchenbauten des 3. Jh. bezeugt wird. Nach Codrington ist der Patriarchalthron mit Baldachin und fünf Treppen eingerichtet, der Diözesanbischofsthron mit drei Treppen und der Patriarchalvikarsthron (Bischof ) nur mit einer Treppe. Normalerweise stand der Thron hinter dem Altar mit Blick nach Westen, und war von den Priestersitzen umgeben. Im Laufe der Zeit wurde er nicht mehr genutzt. Der Patriarchalthron von Deyrulzafaran, der ehemaligen Patriarchalresidenz von Antiochien (1293-1924), hat aber nicht so viele Treppen und außerdem ist die Blickrichtung nach Süden. In der Mitte des Thrones sind die Namen und die Residierdaten von allen Patriarchen von Antiochien vom Apostel Petrus an bis zum heute residierenden Patriarch Mor

Es wird viel getanzt und gequatscht. Der Bruder des Bräutigams kümmert sich darum, dass uns die Beine nicht einschlafen und zerrt uns mit zu den Gruppentänzen. Um 02:00 Uhr morgens wird auf einmal die Musik abgeschaltet, die meisten Gäste verschwinden und der Familie fällt ein, die traumhafte Hochzeitstorte anzuschneiden. Auf die Verteilung haben wir dann auch nicht mehr gewartet. So fahren wir circa eine Stunde in kleinen Schlangenlinien (Johanna hatte sein altes Motto „Drink and Drive“ beibehalten) durch die Wüste zurück und sind kurz nach 04:00 Uhr endlich im Bett.

Ignaios Zakkai I. vermerkt.

die geheimaltäre In den syrisch-orthodoxen Kirchen stehen an beiden Seiten des qdusqudsin Räume für die gnize, die „Geheim(Altäre)“; in jedem Raum gibt es einen anderen, aber kleinen Altar


auff端hrung eines volklorest端ck

22.08. SO.

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für die Erfüllung der Bedürfnisse der Zelebrationen der Eucharistiefeier. In früheren Jahrhunderten gab es aber nur einen Altar in den (orientalischen) Kirchen“. Auf den Geheimaltären konzelebriert man die Eucharistie am „großen Fasten“ (vierzigtägige Fastenzeit), besonders am „Samstag der Verkündigung“ (= Karsamstag), weil ab Karfreitag bis Osternsonntag früh das Kreuz (= Jesus Christus) im Grab des Hochaltars begraben wird. Deswegen darf die Messe in dieser Zeit nicht am Hochaltar gefeiert werden. Im Süden vom qdusqudsin liegt das Diakonikon, wo die liturgischen Gewänder und Geräte

Die Ruhe vor dem Sturm

aufbewahrt werden. Hier ziehen die Diakone ihre Gewänder für die Feier der Heiligen Messe an. Der Zelebrant aber zieht seine liturgischen Gewänder vor

Jede Nacht schlafen wir unter freiem Sternenhimmel. Da kann auch die über dem Bett befestigte Fernsehantenne den Blick nach oben nicht trüben. Gelegentlich huscht eine, vom Licht der Straße angestrahlte, Fledermaus vorbei. Die angenehm kühle Luft wiegt einen leicht in den Schlaf. Auf fast jedem Haus steht so ein großes Himmelbett aus Metall, circa 3m x 2m, um welches abends weiße Stoffe gespannt werden. Der nächtliche Anblick all dieser weißen Himmelbetten ist so friedlich und mit nichts auf der Welt vergleichbar, die Kühle der Nacht erholsam. Schon die Morgensonne hat Kraft und wärmt. Der Schlaf wird unruhiger, bis man unweigerlich das Dach verlassen muss, weil die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt. Da bietet nur noch das Haus Schutz vor der Hitze. Auf das Frühstück verzichte ich meistens, abgesehen mal von meinem „hochheiligen“ Morgenkaffee, um einen klaren Kopf zu bekommen. Es ist eine Art Ritual, diesen Kaffee als Übergang vom Schlafzustand der Nacht in den Wachzustand des Tages zu zelebrieren. Es hat wenig mit dem „BüroKaffee-trinken“ daheim zu tun. Irgendwann gibt es dann Mittagessen. Heute gibt es verdammt leckere Lamachun, in Deutschland als eine türkische Pizza bekannt. Nach dem gestrigen Ruhetag starten wir heute zu einem dreitägigen Musikfestival, bei dem Anfänger und Profis etwas vorsingen und in lustigen Trachten Stücke aufführen. Als wir ankommen ist die ganze Straße bereits gerammelt voll.

dem Altar an.

der beth qadise In den Kirchen, meist im Norden des Allerheiligsten, v.a. auch in den Klöstern, gibt es beth söhde oder beth qadise (= Martyrion), wo die Reliquien der Heiligen aufbewahrt werden“. Nach Überlieferungen vom Jahre 507 gab es sogar ein „Theotokosmartyrion“ in Edessa. Der beth qadise, „Haus (der Gräber) der Heiligen“, bestimmt für das Begräbnis von Bischöfen und/oder Patriarchen, ist „meistens in einer offenen Kammer außerhalb der Kirche, wie der beth qadise vom Kloster Zafaran, wo viele Patriarchen von Antiochien und Bischöfe begraben sind.

Der beth qadise vom Kloster Mor Gabriel (erbaut 397) liegt ca. 20-30


gäste des festivals

Die Schule, in der das Spektakel stattfindet, hat die Türen wegen Überfüllung geschlossen. Es passt nicht einmal mehr eine Ameise dort hinein. Für alle, die draußen bleiben müssen, gibt es eine Live-Übertragung auf eine Leinwand (kennen wir ja schon aus der Kirche in Til-Ghan.). Mit schubsen, treten und drängeln gelingen wir doch noch hinein. In der ersten Reihe befinden sich wieder die ganzen aramäischen Kirchenväter. In ihrer Mitte sitzt der Patriarch auf einem extra Thron. Britta fotografiert fleißig. Eine Kirchenfrau macht mich schließlich höflich darauf aufmerksam, dass Britta nicht vor den Kirchen­ leuten herumlaufen kann, da ihr Rock zu kurz ist und die Kirchenmänner nicht umhinkommen auf ihre Beine zu schauen (spricht natürlich für Brittas Knie). Daher muss ich jetzt fotografieren. Britta kann sich einen Sitzplatz ergattern. Ich gehe hin und her, um ein paar Aufnahmen zu machen. Einige Stunden später kann ich nicht mehr stehen. Meine Beine sind schwer und angeschwollen. seite

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der kinder chor

m weit entfernt von der Hauptkirche. Daneben liegen aber die Kirche von den „Vierzig Märtyrern“ von Sebaste und die Gottesgebärerinkirche. Hier sind zwölftausend Heilige begraben: darunter sind einige Reliquien von den Vierzig Märtyrern, von den Heiligen Sergios und Backos und das Haupt von Mor Philoxinos von Mabbug (523†).

Im beth qadise wird eine Prozession (teshmeshto) nach der Sonntagskomplet, samstags in der Nacht, noch heute in diesen Klöstern abgehalten. Gräber von Heiligen sind auch im Kirchenschiff zu finden (z.B. die Gräber von Mor Qraphus (352†) und von Mor Esa‘yo Holoboyo in der Hauptkirche vom Kloster Mar Gabriel), oder ihre Reliquien werden in einem glusqmo (= Sarg-Kasten), einem Kasten aus Silber oder Marmor, an der Innenwand bewahrt (z.B. Reliquien von Mor Dodo in Basibrin).

Solche Gräber befinden sich nicht nur im Kirchenschiff, sondern auch in den gnize, den Geheim-(Altarräumen): Patriarch Yeshue `iwardnoyo im südlichen gnizo der Kirche von Mor Sobo in Hah oder Mor Aho in Deyro daslibo. Es können sich auch Gräber von den Heiligen unter dem Chorraum (qestromo) befinden, wie das Grab von Mor Ja`qob in Nisibis, dem Lehrer von Mor Ephrem der Syrer.

Britta geht mit mir hinter die Bühne aufs Klo, um eine zu rauchen. Ein paar Trachten­ mädchen kommen dazu und Britta kann einige „Backstagefotos“ machen. Das ist viel spannender! Als wir uns gerade entschließen zu gehen, kommt eine von den Aufseher­ damen, begrüßt uns freudig, gibt uns Wasser und zerrt uns wieder nach vorn, wo sie uns einen Platz hinter den Kirchenmännern verschafft hat. Ich muss noch ein wenig stehen, bis ich mich bei einer Frau auf den Schoß setzen kann. Zum Abendessen kommen Maya, ihr Verlobter Fadi und Raby vorbei. Wir quatschen noch mit Onkel Johanna und Tidora bis 03:00 Uhr morgens.


die kleine naya beim wasserspiel

23.08. MO.

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die rechtliche situation innerhalb der kirche...

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die rechtliche situation innerhalb der kirche und die beziehungen zur hierarchie und zum volk zölibatäre: - patriarch: Er kommt aus dem Kloster und ist Mönchpriester.

- maphirjan ´(Katholikos): Er kommt aus dem Kloster und ist Mönchpriester. Jeder Patriarch muss einen Maphirjan haben, der ihn in fernen Ländern oder aus politischen Gründen vertritt. Er kann wie der Patriarch Bischöfe weihen.

- bischof (Metropolit): Er kommt aus dem Kloster und ist Mönchspriester.

- episkopos: Er war früher verheirateter Pfarrer, Horiepiskopos, Diakon oder Archediakon. Nach dem Tod seiner Frau wurde er erst Mönch und dann

Ins Wasser kehrt alles zurück

Episkops-Bischof. Er hat dieselben Funktionen inne wie der zölibatäre Bischof, nur darf er nicht zum Patriarch

Es ist 09:00 Uhr morgen und ich bin erstaunlicherweise schon wach. Gestern kam uns die Idee, in die Türkei zu fahren. Tidora will mit uns kom­ men. So fahren Johanna und Tidora nach Hasake, um für sie einen Pass zu beantragen. Ich fühle mich aktiv und muss mir eine Beschäftigung suchen. Da Tidora weg ist, mache ich den Hausputz und bereite das Essen zu. Britta hat endlich mal genügend Zeit, sich um ihren Vortrag für die Fachhochschule Dortmund zu kümmern. Nach dem Mittagessen gibt es eine kleine Wasser­ schlacht. Zur Freude der Kleinen haben sie uns komplett nass gemacht. Abends, als Johanna und Tidora wieder kommen, können wir zur Abwechs­ lung mal zu Hause bleiben. Sonst haben wir jeden Abend die Verwandten besucht. Heute kommen einige zu uns. Das ist wirklich entspannend.

gewählt werden.

- mönchspriester: Der zum Priester geweihte Mönch.

- scharwoyo: Bruder.

verheiratete: - horiepiskopos: Weltpriester für den pastoralen Dienst der Gemeinden; er ist für mehrere Gemeinden zuständig und entspricht dem katholischen Dekan.


macht des st채rkeren: britta und orkina seite

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die rechtliche situation innerhalb der kirche...

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- pfarrer: Ab dem 30. Lebensjahr Weltpriester für den pastoralen Dienst der Gemeinde.

- archediakon: Jeder Bischof soll einen Archediakon haben, der im Übrigen dieselben Funktionen wie der Diakon hat.

- diakon: Ab dem 23. Lebensjahr. Wo es keinen Pfarrer gibt, hält er den Wort­ gottesdienst, spendet Taufe und Trauung, liest das Evangelium und predigt.

- subdiakon: Ab dem 17. Lebensjahr. Er liest die Lesungen in der Messe (früher hieß er Türhüter).

- koruyo: Ab dem 12. Lebensjahr. Schüler in der katechetischen Schule.

- mzamrono: Ab dem 10. Lebensjahr. Er soll einige liturgische Gesänge, Psalmen und Gebete können.

Aus dieser Aufstellung wird schon deutlich, dass die Klöster die Quellen der Hierarchie sind (Bischöfe und Patriarchen müssen ja Mönche sein.) patriarch Ignatius Zakai I. Beth Iwas

katholikos bischof Bischöfe werden aus den Reihen der Mönche geweiht

mönche

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pfarrer

Mönche müssen im Zölibat leben

archidiakon diakon subdiakon leser

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lektor

psalmist

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sänger

gläubige


fadi lässt das feuer tanzen

24.08. DI.

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weihnachten in der syrisch – ortodoxen kirche

syrien/kamechli


weihnachten in der syrisch-orthodoxen kirche Jahr für Jahr feiern die christlichen Kirchen die Feste ihres Herrn. Der Kranz dieser kirchlichen Feiertage ist Weihnachten. Mit Jesus begann eine neue Ära der Mensch­ heitsgeschichte. Von diesem Ereignis an zählt heute fast die ganze Welt die Jahre und Jahrhunderte. Bei uns in der syrischen Kirche, wie auch in den anderen östlichen Kirchen, hat man ursprünglich den Geburtstag Jesu nicht am 25. Dezem­ ber, sondern mit dem Gedächtnis seiner Taufe am 06. Januar gefeiert. Seit dem 4. Jahrhundert feiert unsere Kirche, als einzige orthodoxe Kirche, mit der katholischen und den anderen westlichen Kirchen Weihnachten am 25. Dezember.

Die Vorweihnachtszeit beginnt nicht nach Art der westlichen Kirchen mit dem 1. Advent, so etwas kennt die syrische Kirche erst seitdem sie in Europa lebt. Aber es gibt doch so etwas wie eine Vorweihnachtszeit.

Herrlich ist die Feuerskraft Um 18:00 Uhr machen Tidora und ich uns auf dem Weg in die Stadt, um Goldschmuck zu kaufen als nachträgliches Verlobungsgeschenk für meine Cousine Maya. 22:00 Uhr abends sind wir bei einem Freund von Johanna zum Grillen im Garten eingeladen. Dort angekommen wird in Windeseile der Pick-up ausgeladen, Musik gemacht. Schon geht es los mit Tanzen, wilden „GrillAnzündversuchen“, Salat schneiden, Tisch decken und so weiter. Ruckzuck, so schnell kann man gar nicht gucken, werden die leckersten Sachen auf dem Grill zubereitet, dabei trinken alle (außer den Kindern) Raki und Bier. Mit vollem Bauch und nach einer Wasserpfeife bewege ich mich mit einem satten Lächeln in Richtung Bett.

Die letzten 6 Sonntage vor der Geburt Christi bereiten auf Weihnachten vor, insofern sie an die Ereignisse erinnern, die der Geburt Christi vorausgingen.

Am ersten Sonntag in dieser Reihe wird das Evangelium von der Verkündung an Zacharias, den Vater von Johannes dem Täufer, gelesen. Am vierten Sonntag vor Weihnachten gedenkt man der Begegnung der beiden hoffenden Frauen Elisabeth und Maria, und am letzten Sonntag vor Weihnachten gedenkt man der Vorfahren des Erlösers, und verkündigt den Stammbaum Jesu. Die zum Weihnachtsfest


lächelnd auf dem heimweg seite

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weihnachten in der syrisch – ortodoxen kirche

syrien/kamechli


hinführenden Sonntage werden „Sonntage der Verkündigung“ genannt.

Die „Verkündigungs-Sonntage“ sind von festlicher Vorfreude geprägt. Als Bußzeit werden die Wochen vor Weihnachten nicht erlebt. Trotzdem gibt es bei uns, in der syrisch-orthodoxen Kirche, ein Fasten vor dem Fest. Das so genannte „Fasten der Geburt“ ist ein fest eingebürgerter Brauch in unserer Kirche. Früher fasteten manche 40 Tage, andere nur zwei Wochen (ab dem 10. Dezember). Heute jedoch beginnt das Weihnachtsfasten erst am 15. Dezember (10 Tage). Den Brauch der Weihnachtskrippe und des Weihnachtsbaumes haben wir, die syrischen Christen, erst in jüngster Zeit von unseren westlichen Mitchristen über­ nommen. Heutzutage hat fast jede Familie Heilig Abend einen schön beschmückten Weihnachtsbaum mit vielen Geschenken davor in ihren Wohnzimmern stehen. Eine Besonderheit die wir alleine in unserer Kirche haben ist das Weihnachtsfeuer. Es wird während der (nächtlichen) Weihnachtsmesse unter freiem Himmel, im Hof der Kirche entzündet. Im Freien singt der Priester die vorgesehenen Gebete und verkündet das Weihnachtsevangelium. Bei den Worten: „Der Glanz des Herrn umstrahlte sie,“ zündet der Priester selbst das Weihnachtsfeuer an, und alle Gläubigen umschreiten es.

Das Weihnachtsfeuer der Syrer ähnelt dem Osterfeuer der lateinischen Kirche. Man darf es nicht vordergründig als ein Nachahmen des„ Hirtenfeuers“


Deir Al Zafaran

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kloster ı kirche reiseroute

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weihnachten in der syrisch – ortodoxen kirche

syrien/kamechli – türkei


missverstehen. Der helle Feuerschein in

TUR ABDIN MIDYAD

der dunklen Winternacht will ChristusSymbol sein. Das Weihnachtsfeuer sagt: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. “ (Das wahre

Jakob Kirche Til-Ghan

Licht, das jeden Menschen erleuchtet,

KAMECHLI

/ kam in die Welt. Joh 1,9). Es weist auf Christus „das Licht der Welt“ (Als Jesus

Til-Uardiat

ein andermal zu ihnen redete, sagte Hasake

er: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh 8,12) und die „Sonne

Eine Strapaze kommt selten allein

der Gerechtigkeit“ hin. Wenn die Gläubigen mit brennenden Kerzen den Schluss des Weihnachtsevangeliums vom Besuch der Hirten an der Krippe hören, erfahren sie sich selbst als Menschen, die wie die

08:30 Uhr. Schon früh zieht es uns aus den Betten. Heute sollte es endlich in die Türkei gehen. Aber was ist das für ein Drama am frühen Morgen? Alle möglichen Leute kommen vorbei, bringen Tee und Kerzen als Spenden für die Klöster in der Türkei. Die kleine Naya schreit wie am Spieß, weil ihre Mutter mitfährt. Sie bekommt hysterische Anfälle und trampelt wie wild gegen die Tür und alles was in ihrer Nähe ist. So ein Krach ist morgens ein­ fach zu viel. Als wir endlich loskommen, brauchen wir mit dem Auto keine fünf Minuten bis zur Grenze.

Hirten zum Licht des Lebens gefunden haben. Wenn sie Weihnachtskörner ins Feuer werfen, huldigen auch sie wie einst die Weisen dem neugeborenen König, der „Licht vom Licht und wahrer Gott vom wahren Gott“ ist.

Die Weihnachtsmesse dauert ca. 3,5 bis

11:00 Uhr. Dort läuft alles problemlos ab. Den Wagen müssen wir in Syrien lassen und so überqueren wir zu Fuß in einer Affenhitze mit all unserem Gepäck das Stückchen Grenze zwischen den Ländern. Nur ein kleines bisschen länger, und ein Hitzschlag wäre inklusive gewesen. Als wir endlich drüben ankommen sind, ist unser Fahrer, den wir schon in Syrien gebucht haben, nicht da. Nach einigen Telefonaten erfahren wir, dass er auf dem Weg zur Grenze nicht durchkommt. Auf der Strecke gibt es irgendwelche Kampfhandlungen zwischen Kurden und der Polizei. Somit muss er einen anderen Weg einschlagen und wir müssen warten. Wie die Geier stürmen die Taxifahrer auf uns zu, umzingeln uns und wollen an uns Geld verdienen. Wir sind überrascht wie teuer so eine Taxifahrt in der Türkei ist, denn in Syrien ist eine Fahrt spottbillig. Aber hier in der Türkei sind wir eben auch „nur“ Touristen. Nach langer Wartezeit nehmen wir doch ein völlig über­ teuertes Taxi zu einer 300 m nah gelegenen Kirche. Hätten wir es vorher gewusst, wären wir zu Fuß gegangen, aber in der Hitze vermeidet man fast jeden Schritt. Wir haben uns gemütlich in den Hofschatten einer Kirche zum Teetrinken gesetzt und dabei eine Honigmelone gegessen. Nach und nach trudeln immer mehr Leute ein, die auf ihre Fahrer warten. Später stellt sich heraus, dass es sich um ein und denselben Fahrer handelt.

4 Stunden. Die Kirche ist immer so voll, dass man sich kaum bewegen kann. Alle kommen zur Weihnachtsmesse, Jung und Alt, um die Geburt Jesu zu feiern, und das Abendmahl zu empfangen. Nach der Weihnachtsmesse wünschen sich dann alle Frohe Weihnachten im Vorhof der Kirche, und fahren anschließend nach Hause. Nach einem festlichen Frühstück beginnt man dann alle Verwandten und Freunde zu besuchen, und ihnen ein Frohes Fest und ein schönes neues Jahr zu wünschen. Im Syrischen heißt Weihnachten „´idho d´mawlodeh d´moran “ (Geburtsfest unseres Herrn).


im hof des klosters al zafaran

13:00 Uhr. Als er endlich ankommt, dauert es noch eine Stunde, bis wir abfahrbereit sind. Und es liegt nicht an unserem Teetrinken! Wütend, frustriert und schweißge­ badet quetschen wir uns mit zehn Personen in den Minibus. Das hatten wir bei der Reservierung nicht ausgemacht! Eine schreckliche Großfamilie im Bus will innerhalb von zwei Tagen alle Klöster und Kirchen abklappern. Na, schönen Dank! Wir geben unserem Fahrer zu verstehen, dass etwas Derartiges nicht in unserem Interesse liegt. seite

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das kloster deir zafaran

türkei/nähe mardin


das kloster deir zafaran Das Kloster Deir Zafaran und die Kloster­ kirche aus dem 4./5. Jahrhundert nach Christus, nahe Mardin. Es war Zentrum und Sitz des Patriarchen von 12931932. Die schöne, alte Klosteranlage hat Überreste, die in die vorchristliche Zeit zurückführen. Im Hintergrund des Klosters: Felsen, in denen sich die ersten christlichen Wanderprediger des 2. Jahrhunderts in Höhlen aufhielten. Sie waren die Ersten, die die christliche Botschaft in dieser Region ausbreiteten. Der Ort führt ganz zu den Anfängen des Christentums.

Gegenwärtig gehen etliche Jungen aus der Umgebung in die „Kloster­schule“, in der sie Religions- und muttersprach­ lichen Unterricht bekom­men; vormittags besuchen sie die offizielle türkische Schule in Mardin. Das Kloster lebt vor allem von Spenden. Die rege Bau­ tätigkeit der letzten Jahre im Innen- und Außenbereich des Klosters ist ein sicht­ barer Hinweise auf das „Dableiben“ und „Überleben wollen“ im Tur Abdin!

Abt Ibrahim ist Patriarchalvikar für das Gebiet von Mardin, das nicht zum Gebiet des Erzbischofs vom Tur Abdin gehört, sondern direkt dem Patriarchen in Damaskus unterstellt ist.

Das Kloster war wegen seiner zentralen Lage in den letzten Jahren immer wieder „Treffpunkt“ auch für politische


auf dem dach des klosters seite

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das kloster deir zafaran

t체rkei/n채he mardin


Begegnungen, z.B. im Februar 1993, als deutsche Bundestagsabgeordnete und Vertreter der türkischen Regierung sich über den Tur Abdin informierten. Im Mai 1994 trafen sich die türkischen Botschafter Europas und Vertreter der türkischen Regierung mit Erzbischof Timotheos Samuel Aktas in diesem Kloster, um über die Ereignisse der letzten Jahre im Tur Abdin zu sprechen. Die politischen Kontakte wurden im darauf folgenden Jahr auf höchster Ebene in Ankara fortgesetzt.

Manchmal ist es fast grotesk: Eine religiöse und ethnische Minderheit, die nach der bisherigen Interpretation des „Lausanner Vertrages“ 1923 eigentlich nicht existent ist, ist doch existent und wird wahrgenommen, langsam auch von der Türkei. Zu viele Freunde gibt es im Ausland, die die politisch Verantwortlichen immer wieder auf das Schicksal dieser Christen im Tur Abdin hinweisen und protestieren, wenn deren Menschenrechte verletzt werden. Eine heilsame Unruhe geht von dort aus und gibt den Christen im Tur Abdin das Gefühl von Solidarität.

Gegenwärtig ist es relativ ruhig im Tur Abdin; sogar so ruhig wie schon lange

Wir nehmen das erste Kloster – Al Zafaran – in Angriff. Das Kloster Al Zafaran ist ein sehr abgelegenes, romantisches Kloster. Man hat das Gefühl 100 Jahre zurückversetzt zu sein. Überall stehen alte Requisiten aus dem vorigen Jahrhundert. Im Dunkeln verbor­ gen, unter dem Kloster, befindet sich ein ehemaliger Sonnentempel.

nicht mehr. Hoffentlich trügt diese Ruhe nicht ...! Die vielen deprimierenden Ereignisse und Erfahrungen der letzten Jahre können nicht einfach vom Tisch gewischt und ungeschehen gemacht

Unser Klosterführer erklärt die bemerkenswerte Bauweise. Ähnlich dem Glockenbau wurde zunächst ein Körper aus weichem Erdreich angehäuft, der später zum Innenraum werden sollte. Später wurden massive Felsen aufgeschichtet und das Erdreich im Innern entfernt. So ist der heutige Anblick der scheinbar haltlosen Felsen recht imposant. Nach der Besichtigung sind wir hungrig und müde. Trotz der verspäteten Ankunft im Kloster haben uns die netten Nonnen das Mittagessen vorbereitet. Zum Abschied bekommen wir wieder Tee im Innenhof des Klosters serviert.

werden. Sie sind leider ein wesentlicher Teil der Wirklichkeit im Tur Abdin.


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kloster ı kirche reiseroute

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Mor Jakob in Saleh

das kloster mor

TUR ABDIN MIDYAD

gabriel, das spiri­

Mor Gabriel

tuelle zentrum der syrischen

Jakob Kirche Til-Ghan

KAMECHLI

religionen

Til-Uardiat

Das Kloster Mor Gabriel liegt 19 km Hasake

südöstlich von Midyad im Tur‘Abdin (Südosten der heutigen Türkei). Es war von 615-1049 Bischofssitz vom Tur‘Abdin und war dann bis 1915 eine eigene selbständige Diözese. Seit 1995 ist es wieder Zentrum der Diözese. Tur‘Abdin hat eine geistlich geprägte Geschichte hinter sich. Dabei ist es eine Schutzburg und Wallfahrtsort für die Syrer, und es wird sogar als das zweite Jerusalem bezeichnet.

das kloster in der geschichte Das Kloster Mor Gabriel oder das Kloster von Qartmin – so die in der syrischen

Der liebliche Duft der Freiheit Um die andern Fahrgäste wegzubringen, setzt uns unser Fahrer in der Stadt bei seiner Mutter ab. Zusammen mit ihr warten wir eine endlose Stunde auf ihn, beobachten dabei die dreckigen Kinder, wie sie sich gegenseitig mit Spielzeugpistolen abknallen, kaufen Wasser und wieder mal leere Batterien. Da wir seit ein paar Tagen keine Batterien mehr haben, waren keine Interviews mehr mit dem Diktiergerät möglich. In den nächsten zwei Tagen ist Tidora so lieb und schreibt alles mit, bis wir endlich volle Batterien kaufen können. Gegen Abend, kurz vor Sonnenuntergang, kommen wir im Kloster Mor Gabriele an. Wir erhalten gleich ein schönes Zimmer und können sofort die Abendmesse besuchen. Im Anschluss haben wir noch eine halbe Stunde Zeit, um im noch verbleibenden Licht zu fotografieren.

Kirchengeschichte ebenfalls vorkommende Bezeichnung – wurde im Jahre 397 von Mor Shmuel (†409) und seinem Schüler Mor Shem‘un (†433) durch Anweisung des Engels des Herrn gegründet. Dann wurde es im 7. Jahrhundert nach dem Bischof Mor Gabriel benannt, der von 634 bis zu seinem Tod im Jahre 668 dort residierte. Das Kloster wurde im Laufe der Zeit immer bekannter und zum Zentrum der syrischen Mönche. Obwohl es mit nur zwei Mönchen begann, stieg ihre Zahl später rasch an, so dass dort im 6. Jahrhundert bis zu 1000 Mönche zusammenlebten.

Das Kloster war sowohl Exerzitienstätte der einheimischen Mönche als auch für 800 Kopten, die sich zuerst als Händler


ein eingang im klosters mor gabriel seite

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nach Tur‘Abdin begaben und dann im Kloster für ein asketisches Leben entschieden.

Das Kloster Mor Gabriel spielt seit seiner Gründung bis heute eine wichtige Rolle im Tur‘Abdin. Es ist nicht nur Kloster ausschließlich für die Mönche gewesen, sondern auch eine theologische Ausbil­ dungsstätte für den ganzen Tur‘Abdin und sogar für die syrische Kirche ins­ gesamt. Die Klosterschule machte sich einen Namen und bildete sehr viele Kleriker und namhafte Wissenschaftler aus; daraus gingen vier Patriarchen, ein Maphryono (Katholikos) und 84 Bischöfe hervor. Namentlich zu erwähnen wären u.a. Mor Yuhannun Sa‘oro (†503), Bischof von Amida. Mor Philoxenos von Mabug (†523) – auch Mor Achsnoyo genannt –, der sich dem Chalkedonismus widersetzte, war ein weltweit berühmter Theologe. Der Patriarch Theodosius Romanus (†896), der ein berühmter Mediziner war, und Patriarch Behnam von Hedil (†1454).

Das Kloster verfügte übrigens über eine reiche, wertvolle Bibliothek, deren Manuskripte zum Teil von den großen syrischen Kalligraphen auf Pergament abgeschrieben wurden. In der Klosterbibliothek findet man heute nichts mehr von diesen Handschriften. Die meisten von ihnen wurden bei Verfolgungen geplündert oder ver­ brannt; nur einige wenige davon konnten gerettet und in europäischen


gebetsgewänder der mönche seite

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Bibliotheken aufbewahrt werden. Das Kloster Mor Gabriel hat eine Ge­ schichte hinter sich, von der mehrere altertümliche Kirchengebäude, eine Asketenstätte und viele Ruinen mit den Gräbern von „zwölftausend Heiligen“ zurückgeblieben sind.

das kloster in der gegenwart Die Geschichte des Klosters Mor Gabriel am Beginn unseres Jahrhunderts war geprägt von dem grausamen Massaker von 1915, dem sog. Jahr des Schwertes. Alle seine Bewohner wurden damals auf Befehl der türkischen Regierung von den Kurden umgebracht und das Kloster wurde von ihnen vier Jahre lang besetzt. Erst ab 1919 konnte es nochmals von den Syrern bewohnt und geleitet werden. Unter der Leitung des Abtes Sabo Günes (†1962) konnte ab 1956 mit der Renovierung des Klosters und mit neuen Baumaßnahmen begonnen werden, die ab 1962 unter dem jungen Abt Yeshu Çiçek (gegenwärtiger Erzbischof von Mitteleuropa) fortgesetzt wurden.

Dabei wurden die meisten Neubauten und der Kirchturm eingerichtet, die v.a. von dem Metropoliten der USA, Mor Athanasius Y. Samuel (†1995), finanziert wurden. Die erste Autostraße zum Kloster wurde gebaut und Elektrizität durch einen Generator zum ersten Mal in der Geschichte des Klosters angeschafft, nicht zuletzt aber das Priesterseminar eröffnet, das noch bis heute im Betrieb ist.


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der gebetsspalt des heiligen gabriel, so konnte er tagelang ohne ein zuschlafen beten


ein bildnis des heilign gabriel

Als der Abt Samuel Aktas (gegenwärtiger Erzbischof vom Tur‘Abdin) ca. 1972 die Leitung des Klosters übernahm, konnte mit weiteren Baueinheiten be­ gonnen und bis heute weiter gebaut werden. Dabei sind im letzten Jahrzehnt die Wohneinheiten der Nonnen und der Seminaristen sowie des Bischofs zeitgemäß geworden. Die Möglichkeiten des Klosters wurden verbessert, der öffentliche Strom (1979), fließendes Wasser (1983) und Telefon eingerichtet. Außerdem wurden große Gartenanlagen für die Versorgung der Bewohner mit befestigter Mauer um das Kloster ange­baut, wonach leider von den histo­ rischen Ruinen nichts mehr zu sehen ist. Die Ruinen hätten möglicherweise bei eventuellen Ausgrabungen eine bedeutende Geschichte dieses Klosters nachweisen können.

Das Kloster ist nun eine Burg und ein Zentrum für die Syrer im Tur‘Abdin. Seit der Bischofsweihe seines Abtes Mor Timotheos Samuel Aktas ist es nochmals der faktische Bischofssitz vom Tur‘Abdin geworden, obwohl dies theoretisch noch immer die Stadt Midyad ist. Was die Anzahl der Bewohner des Klosters heute angeht, kann man sie sicherlich nicht mehr mit der Vergangenheit vergleichen,

Das ganze Hin und Her mit dem Fahrer hat uns einen halben Tag gekostet. Darüber bin ich immer noch ein bisschen sauer. Wir bekommen noch schnell Abendbrot, dann machen wir uns an die Arbeit. Das Kloster sieht bei Nacht wunderschön aus. Die Mutter Oberin gibt uns noch eine Führung durch den alten, ursprünglichen Teil des Klosters.

weil damals Tur‘Abdin ausschließlich von den Syrern bewohnt war. Im Kloster leben zz. außer dem Bischof zwei Mönche, ca. 15 Nonnen und 40 Schüler sowie drei Familien der Lehrkräfte und

Danach fotografieren wir weiter, bis das Licht ausgemacht wird. Die Stimmung im Klos­ ter ist etwas angespannt, da wir mit unseren Kameras nicht sehr willkommen sind. Das Kloster will kein Aufsehen erregen, da es vor einer Zeit Ärger mit einem Mönch gab, der sich in der Öffentlichkeit kritisch über politische Zusammenhänge äußerte. Die politi­ sche Lage ist für die Aramäer in der Türkei nicht so gut. Immerhin sind die Aramäer eine Minderheit. Viele Ländereien wurden ihnen weggenommen und auch das Kloster sollte schon einige Male geschlossen werden.

Mitarbeiter. Das Priesterseminar Mor Gabriel hat in den letzten 40 Jahren einen wichtigen Beitrag für die syrische Kirche und Kultur geleistet, denn viele von den Klerikern und Lehrern in verschiedenen


tidora und ich, auf dem dach des klosters

Dennoch ist das nicht der einzige Grund, warum die Stimmung etwas bedrückend ist. Eine Nonne muss uns, aus welchem Grund auch immer, ziemlich hassen. Sie ist sehr grimmig und meckert uns bei jeder Gelegenheit an. Aber die meisten Nonnen sind zurückhaltend nett. An die Mönche kommen wir allerdings erst gar nicht ran. Aber der weite Blick vom Dach über die Ländereien entschädigt für alles. Die klare Luft riecht nach Freiheit.

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Diözesen wurden hier ausgebildet und die syrische Sprache gepflegt. Bis 1980 konnten die Seminaristen intensiv in syrischer Theologie ausgebildet werden. Aber nachdem die türkische Regierung die syrischen Priesterseminare geschlossen hatte, mussten die Schüler dann in die türkische Schule täglich nach Midyad geschickt werden.

Damit erschwert sich das geistliche Leben der Klosterbewohner, weil für sie nicht genügend Zeit für eine ausreichende theologische Ausbildung bleibt. Darüber hinaus steht das Kloster Mor Gabriel in einem Sozialdienst für die Syrer im Tur‘Abdin. Durch einen sog. Sozialfonds, der von den Organisationen Freunde des Tur‘Abdin und Solidaritäts­gruppe Tur‘Abdin gegründet wurde, werden schwache syrische Familien in Notfällen unterstützt. Über das Kloster wird ebenfalls syrischen Pfarrern und Lehrer mit einem Zuschuss finanziell unter die Arme gegriffen, der vom Ökumenischen Rat der Kirchen gefördert wird.


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hochzeitsrituale bei den ostsyrischen christen...

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TUR ABDIN MIDYAD Mor Gabriel

Jakob Kirche Til-Ghan

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hochzeitsrituale bei den ostsyrischen christen. nach pfr. emanuel youkhana, wiesbaden

Til-Uardiat

Hasake

Es gibt ein kirchliches Verlöbnis, das nicht länger als 6 Monate dauern darf.

Dabei werden zunächst Braut und Bräutigam nach ihrem Alter gefragt. Sind sie unter achtzehn, brauchen sie das Einverständnis ihrer Eltern – über achtzehn können sie frei entscheiden. Es werden die 64 Ehehindernisse aufgezählt, alle nur denkbaren Verwandtschaftskombinationen, darunter auch die „geistige Verwandtschaft“ (durch die Patenschaft bei der Taufe).

Die Eltern werden gefragt, ob ihnen eine Krankheit der Braut oder des Bräutigams bekannt ist. Es werden zwei

Grauen im Morgengrauen Wir sind nicht nur die Letzten, die schlafen gehen, sondern auch die Ersten, die wieder aufstehen. Schon um 04:30 Uhr sind wir mit Kamera und Stativ auf unserem Posten, um die schönen, morgendlichen Lichtspiele mitzuerleben. Als wir aufs Dach wollen, stehen wir noch vor verschlossenen Türen. Selbst die Nonnen schlafen noch. So warten wir, bis sie aufstehen und uns nach oben lassen. Wir freuen uns ... Doch da ist sie wieder – die schreckliche Nonne, die auch schon unsere Nachtauf­ nahmen kreischend beendet hat. Wir müssen auf der Stelle das Dach wieder verlas­ sen, obwohl wir niemand gestört haben – oder es zumindest nicht wollten. Schade!

Verlobungszeugen, zwei ältere Frauen, gefunden, welche die Namensnennung der beiden und die Ringübergabe an die Braut übernehmen.


innenhof des klosters seite

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Der Bräutigam wird gefragt, ob er den Brautpreis entrichtet hat, und seine Schwiegereltern werden um Bestätigung gebeten. Dann wird der Ring durch die beiden Zeuginnen an die Braut überreicht. Steckt sie ihn an, ist sie einverstanden. (Andernfalls wirft sie ihn von sich.) Sie werden beide vom Priester gefragt, ob sie in guten und bösen Tagen beieinander bleiben wollen, und ihre Ringe werden gesegnet.

In früheren Zeiten wurden alle Fragen den beiderseitigen Eltern gestellt und von ihnen beantwortet! Die Jungfräulichkeit der Braut aber ist auch heute noch eine Selbstverständlichkeit! Innerhalb der Sechsmonatsfrist ist die Hochzeit, die sich früher über eine Woche hinzog. Vor der eigentlichen Zeremonie werden erneut beide vom Priester gefragt, ob sie einander heiraten wollen. Danach bringt der Priester einen Kelch, der mit zwei Dritteln Wein und einem Drittel Wasser gefüllt ist. Er wird


Da wir uns noch mal kurz ins Bett legen, verpassen wir das Frühstück – also ist doch alles „wie immer“. Die Hitze scheint das Schlafbedürfnis deutlich zu erhöhen. Aber wir bekommen von einer netten, verständnisvollen Nonne heimlich noch Tee und Kekse. Nach unserem Blitz-Frühstück macht uns die schreckliche Nonne unmissver­ ständlich klar, dass wir hier verschwinden müssen. In einem unangenehmen Tonfall fordert sie, das Zimmer für andere Gäste zu räumen. Nebenbei bemerkt ist das Kloster fast leer. Aber wir wollen ja sowieso um 16:00 Uhr fahren. Wir machen uns fertig, fotografierten noch ein wenig, gehen zur Messe und zum Mittagessen, wo wir noch beim Abwasch helfen. Schließlich fahren wir zum nächsten Kloster der Muttergottes in Hah. seite

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hochzeitsrituale bei den ostsyrischen christen...

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gesegnet, und die Brautleute versenken ihre beiden Ringe und ein Kreuz in diesem Kelch, der abermals gesegnet wird. Dann wird ein Stückchen Ton, möglichst aus einem Ziegelstein der Kirche, in den Kelch geworfen mit den Worten:

„Wie Adam aus Lehm gemacht ist und Eva von Adams Seite ... so bitten wir dich, dieses Paar zu segnen, wie du Adam und Eva gesegnet hast, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und damit trinken die Brautleute den Kelch aus. Auch die Zeugen werden gesegnet. Dem

Brautpaar werden Hochzeitskronen aufgesetzt (nicht immer), mit je zwei Bändern, einem roten und einem weißen werden die Häupter berührt und die Bänder dann über den linken Arm gelegt. Heiratet ein Diakon, bekommt er die Bänder auf die rechte Schulter. Heiratet aber ein Priester, berührt niemand mit den Bändern seinen Kopf, weil seine Priesterschaft einen höheren Rang hat als jede – auch symbolische – Krone. Diese Bänder bleiben das Eigentum der Brautleute und sind wiederum für die Taufzeremonie ihres ersten Kindes bestimmt.


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Wenn all dies getan ist, gibt es einen letzten Segen für die Brautleute, die

Zeugen und die Gemeinde. In früheren Zeiten war es üblich, mit Scheren zu klappern, um die bösen Geister zu vertreiben, oder die Braut mit einem langen Nagel ins Hinterteil zu pieken, was die Potenz des Bräutigams beschwören sollte, oder aber den Fuß des Bräutigams auf den der Braut zu setzen, wozu es keines Kommentars bedarf. Dies alles aber fand auch Pfr. Emanuel ziemlich heidnisch und hat es auch nur nach längerem Zögern erzählt.


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die stadt hah

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Marienkloster in Hah

TUR ABDIN MIDYAD

die stadt hah Die einst historische Stadt Hah (879

Mor Gabriel

v.Chr.) liegt 29 km östlich von Midyat im Zentrum einer fruchtbaren, hügeligen

Jakob Kirche Til-Ghan

Landschaft, welche von kleinen Wäldern,

KAMECHLI

Obst-, Walnuss- und Mandelbäumen sowie Weinfeldern reichlich geprägt ist.

Til-Uardiat

Dieser Ort ist von einem kilometerweiten Hasake

Ruinenfeld umgeben. Trotz seiner nörd­ lichen Lage und obwohl es in einem Gebiet liegt, welches hauptsächlich von Kurden beherrscht wird, nimmt Tur-Abdin im Bewusstsein der Aramäer – auch Syrer genannt – einen solchen Platz ein, dass es von ihnen trotz aller Schwierigkeiten noch besiedelt wird. Die wissenschaftlichen

Erkenntnisse belegen, dass Hah früher bis in die christlichen Jahrhunderte eine der bedeutendsten Städte und Zentren des Tur-Abdin war. Der Name Hah stammt vom vorchristlichen Namen Habhi(a). Dieses war früher womöglich die Bezeichnung für die umliegende Region/Land, das dem heutigen TurAbdin entspricht.

Die Formulierungen Habi, Habhi oder Habhia kommen bereits zur Zeit des assyrischen Königs Assurnassirpal II. vor, der die aramäische Bevölkerung vom Tur-Abdin (= Berg der Einsiedler) im Jahre

Die Spuren der Zeit

879 v.Chr. tyrannisierte.

Hah war einst die größte Metropole von Tur-Abdin, und spielte kirchenge­

Eigentlich wollen wir im Marienkloster schlafen, aber das Kloster ist gerade im Umbau, so dass nicht mal die Nonnen hier sind. Die Umbauarbeiten sind voll im Gange, eine neue Treppe wird gebaut. Das Dach wird mit neuen Stei­ nen umrandet und die Sonne will sich langsam verabschieden. Wir schauen uns das Spektakel an und trinken dabei ein Glas Tee.

schichtlich eine sehr wichtige Rolle. Die erste Diözese für ganz Tur-Abdin wurde Hah; erst im Jahre 1089 wurde es in zwei Diözesen, Qartamin‘s Kloster Mor


dach des „muttergotes“ kloster in hah seite

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die stadt hah

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Gabriel und Hah, aufgeteilt. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts residierten hier mehr als 18 Bischöfe.

Die bekanntesten Autoren, die aus Hah stammten, waren u.a. Metropolit Mor Sargis, Sohn des Priesters Qar‘uno (Ü1508), Priester Yeshu Bar Kaylu (Ü1309) und nicht zuletzt der berühmte Priester Saliba Bar Khayrun (Ü1340), der das Kalendarium der syrischen Kirche gänzlich erneuerte. Durch den immer währenden Zuwachs der Menschen in den anderen Dörfern des Tur-Abdin verlor die einstige große Metropole Hah an Bedeutung und wurde somit ein kleines Dorf. Im Jahr 1870 lebten in Hah nur noch 80 aramäische Familien, und deren Zahl sollte sich bis in den heutigen Tag nicht mehren. Heute leben hier um die 18 aramäische Familien – sprich 114 Seelen.

Viele Bewohner von Hah wanderten wegen der Unterdrückung ihres christ­ lichen Glaubens in den 70er und 80er Jahren nach Europa aus, wo die meisten in Baden-Württemberg ihr Glück gefun­ den haben. Von hier aus wurde ihnen finanziell geholfen, so dass seit 1984 Strom, Telefon und fließendes Wasser für die Zurückgebliebenen erbaut wurden. Das Marienkloster von Hah wird heute von dem syrisch-orthodoxen Mönch Mushe (Mose) Gürbüz seelsorgerisch betreut.

Hah während des Völkermordes 1915 In der Zeit des Sayfo (= Schwertkrieg) des Jahres 1915 suchten die Bewohner im Dorf in Hah bzw. im Burg von Hah


im inneren der kapelle seite

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(Qasro), genannt „Burgo d-Malak Hanna“, die aramäische Bevölkerung der nahe liegenden Dörfer von: Bekusyone, Dayro Da-Slibo, Eshtrako, Kerburan, Zaz, Bote und Salah Schutz. Die Burg konnte nicht erobert werden, da die Aramäer hier tapfer gegen die Angreifer – Kurden und Türken – gekämpft und diese zurückgeschlagen haben.

mutter-gotteskloster von hah Das Mutter-Gottes-Kloster von Hah ist das berühmteste und zugleich bedeu­ tendste Bauwerk des Dorfes Hah und somit das Wahrzeichen von Tur-Abdin. Das Marienkloster ist das „Juwel ara­mäischer Architektur“. Das Mutter-Gottes-Kloster erhebt sich seit fast 2000 Jahren über den Dorfbewohnern von Hah. Es ist Sinnbild der aramäischen Orthodoxie und Architektur. Nach einer historischen Überlieferung soll die Klosterkirche während der byzan­ tinischen Ära durch die Stiftung Kaiser Theodosius II. (Ü449) errichtet worden sein. Die mündliche Überlieferung datiert die Grundfundamente auf die Zeit der Geburt Jesu Christi.

Zwölf Könige kamen aus dem Osten, einem Stern folgend, den sie als Zeichen eines neugeborenen Königs im Lande Juda deuteten. Sie kamen nach Hah und

Ein netter junger Mann, der dort lebt, begleitet uns durch das Kloster und erzählt dessen Geschichte. Er zeigt uns anhand der Architektur wie das Kloster vor ca. 2000 Jahren gebaut worden ist. Wir hören interessiert zu und genießen die tolle Atmosphäre.

sandten von hier aus drei von ihnen nach Jerusalem. Diese fanden das Kind und beschenkten es.


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mutter-gottes-kloster von hah

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Sie erhielten als Andenken ein Kleid des Kindes, das sie, nach Hah zurückgekehrt, nicht zerteilen wollten. Sie verbrannten es, um dann die Asche zu teilen. Doch im Feuer verwandelte sich das Kleid in 12 Medaillen. Als sie dieses Wunder sahen, beschlossen sie, ein Denkmal zu Ehren der Mutter Gottes zu bauen, das bis zum Ende der Welt bestehen sollte. Das Feld, wo sich das Wunder zutragen haben soll, wird bis zum heutigen Tag Parpuso (das Zerrissene) genannt. Im Laufe der Jahrhunderte sind im Marienkloster weitere Gebäude errichtet worden. Das Bild von O. H. Parry im Jahre 1892 zeigt noch den alten Baustil der Kuppel. Sie stellte eine Quadrat mit kegelförmiger Spitze dar, ringsherum mit Säulen versehen.

Die Veränderung der Kuppelspitze zur Halbkugel – nur von außen – erfolgte im Jahre 1907 durch Abt Yausef, genannt Uske. Die heutige Form der Kuppel mit einer zweiten Säulenreihe und kegelförmiger Spitze, oben drauf an der Spitze eine kleine Kuppel mit Kreuz versehen, besteht seit 1939. Dieser Umbau geschah auf Initiative des Abtes Malke Be Qascho (Aydin) von Hah. Die

Im Dorf befinden sich eine ältere Klosterruine und ein Friedhof, die uns locken. Zu viert gehen wir den schmalen Schotterweg hoch. Uns kommt eine stinkende Schafherde entgegen. Wir halten unsere Nasen zu und gehen vor­ bei, da springt uns plötzlich aus dem Nichts ein gefährlich aussehender Hund an. Er bellt und knurrt wie verrückt. Da ich Respekt vor Hunden habe und immer einen großen Bogen um sie mache, verstecke ich mich rasch hinter Britta – das ist feige, ich weiß.

Renovierung selbst nahm der aramäische Baumeister Muqsi Elyas aus Midyat vor.

sanierung des mutter-gottesklosters Witterung und Umwelteinflüsse haben durch die Jahrhunderte dem historischen Marienkloster geschadet.

Ein leiser Laut von dem Herdenführer befreit uns aus dieser misslichen Situ­ ation – der Hund dreht sich um und verschwindet wieder. Zuerst überqueren wir den Friedhof und dann die Klosterruine.

Um dieses baugeschichtliche Kleinod für die folgenden aramäischen Genera­


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mutter-gottes-kloster von hah

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tionen zu erhalten, ist es dringend notwendig, in immer kürzeren Zeit­ abständen Instandsetzungs- und Repa­raturmaßnahmen durchzuführen. Durch die Initiative der Dorfbewohner, der Hahoye in der Diaspora, im Einver­ nehmen mit dem Diözesanbischof Mor Timotheos Samuel Aktas von TurAbdin und mit technischen Hinweisen und Hilfestellungen einer Gruppe der Universität Libanon hat die Gemeinde am 4. November 1999 die nötigen und wichtigen Renovierungsarbeiten von außen und innen begonnen.

Im Einzelnen erhielten dadurch der innere Bereich der Kirche, sprich Altar­

Ganz vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. Der Weg sieht nicht sehr sicher aus. Bei jedem Schritt bewegen sich die Steine unter unseren Fersen oder sinken ein. Oben auf einer Wand der Ruine stehend, beobachten wir das schlafende Dorf. Es ist keine Menschenseele mehr zu sehen. Als wir zurückkommen ist es bereits dunkel.

raum, und das Kirchenschiff, den alten Zustand. Darüber hinaus wurde ein großes Tor an der Westseite mit einem typisch aramäischen Baustil eröffnet. Es werden weitere Baumaßnahmen u.a. im Kirchhof, an den Treppen des Klosters Yoldath Aloho (= Mutter Gottes) und der Kirchenschule (aram. Madrashto) zur Erlernung der religiösen Pflichten und der aramäischen Sprache folgen. Heute leben 25 Familien vor den Füßen des Mutter-Gottes-Kloster von Hah.


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Mor Jakob in Saleh

Marienkloster in Hah

TUR ABDIN MIDYAD Mor Gabriel

ursprung des klosters mor jakob in salah

Jakob Kirche Til-Ghan

KAMECHLI

Salah/Baristepe erreicht man, wenn man die Straße von Midyat Richtung Kerburan (heute Dargecit) nach ca. 5 km und die

Til-Uardiat

nordwestliche Abzweigung (ca. 3 km) Hasake

nimmt. Die beiden restaurierten Kirchen des ehemaligen Jakobsklosters stehen ca. 500 m außerhalb des Dorfs, in dem nur noch wenige Christen leben. Mar Jakub, der Einsiedler bzw. der Ägypter, der von Alexandria über Amida / Diyarbekir hierher kam und 421 n.Chr. starb, gründete das Kloster, das von 1364 bis 1494 Sitz eines Gegenpatriarchen gegen jenen von Mardin/ Deir Zafaran war. Ende des 19. Jh. setzte der Nieder­gang ein. Zur Zeit leben im Kloster Mor Jakob drei Mönche, zwei Nonnen und einige Schüler.

Salah war eine große Stadt im Turabdin. Es war der Ort eines großen Tempels des Herakles, des Gottes der Perser und anderer, der dort in alten Zeiten errichtet wurde. Von ihm sind noch zwei Bögen

Ein Licht in der Dämmerung Mit dem Auto fahren wir weiter zum Kloster Mor Jakob in Saleh. Das Land ist im Mondlicht wunderschön. Deswegen strecke ich den ganzen Weg über den Kopf aus dem Fenster und genieße den Fahrtwind. Die Türen des Klosters sind schon verschlossen. Dennoch klopfe ich an die Tür und frage nett, ob wir hier übernach­ ten dürfen. Ganz freundlich bittet der alte Mönch uns hinein. Es ist kein Problem unterzukommen. Brot, Joghurt und Früchte erhalten wir zum Abendbrot.

erhalten. Der persische Heer­führer Shamir kam am Ende des 4. Jh. n. Chr. dorthin, um seinen Göttern Menschenopfer darzu­ bringen. Morshabo, seine Schüler und ein Perser wurden geopfert. Doch damit kam das Ende des Herakles und seines Kultes, denn alle Bewohner des Dorfes nahmen das Christentum an.

mor jakob, der einsiedler

Die Leute im Kloster sind viel jünger als in den anderen Klöstern und heißen uns herzlich willkommen. Die Aramäer aus Schweden, die wir schon an der Grenze ge­ troffen hatten, sind auch hier. Fast alle wollen auf dem Dach schlafen, was Britta dazu veranlasst, ihre Zeit lieber in dem badewannenwarmen Raum zu verbringen. Sie ist auch gar nicht böse darüber, die nächtliche Schnarch-Symphonie der Leute zu verpassen.

Er wurde um das Jahr 330 in Ägypten ge­ boren. Er ging in die Wüste und errich­tete ein kleines Kloster in der Nähe des Tores der großen Stadt Alexandrien. Dort lebten


tor des klosters mor jakob in saleh seite

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mit ihm vier Mönche mit Namen Markus, Elischa, Josef und Jesaja. Zusammen mit ihnen begann er ein asketisches Leben und vertiefte sich in das Wort Gottes. Er focht tapfer gegen den Satan. Als Julian der Abtrünnige regierte, stieß er gefährliche Drohungen gegen die Kinder des Glaubens aus. Denen, die seinen Befehlen nicht ge­horchten, sollte ein Glied nach dem andern abgehackt werden. Als die Mönche davon hörten, gerieten sie in große Angst und wollten fliehen. Der selige Jakob sah in einem Traum einen Mann, der zu ihm sagte: „Nimm deine Brüder und zieh in diese Wildnis, denn der Herr hat einen Platz für dich bereitet.“ Als er erwachte, erzählte er den Traum seinen Freunden.

auf dem weg nach syrien Sie und der Selige verließen das Kloster und gingen in die Wüste hinaus auf dem Weg, der nach Syrien führt. Sie gingen drei Tage. Sie waren ganz erschöpft, als sie zu einer Säule kamen, die vom Eremiten Gabriel errichtet worden war. Sie war 30 Ellen hoch, hatte 20 Ellen im Durchmesser und oben einen Ausgang. Als sie am Fuß der Säule saßen, waren sie niedergeschlagen. Gabriel schaute aus dem Fenster und sah einen Glanz. Dann rief er und sagte: „Seliger Jakob!“ Er antwortete: „Ja, hier bin ich, Herr.“ Er sagte: „Warum sitzt du dort? Steh auf, komm herauf zu deinem Bruder, denn der Herr hat dich geschickt und befiehlt dir, mein Begräbnis zu halten.“ Während er sprach, starb er. Als sie zu weinen be­ gannen, hörten sie eine Stimme, die rief: „Komm, du Mann, der den Willen des


Ich höre Brittas leise Stimme. Sie säuselt: „Ranja, aufstehen!“ Oh, nee, ich will noch nicht ... Es ist erst 04:30 Uhr! Ein paar Minuten später stehen wir – zwei schlaftrunkene Mädchen – fotografierend auf dem Dach und genießen den Sonnenaufgang. Auch ein Spaziergang um das Klostergelände herum kann unsere müden Geister nicht beleben und so ziehen wir es vor, uns bis zum Frühstück um neun noch einmal auf’s Ohr zu hauen.

schlafend auf dem dach

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Herrn erfüllt hat. Das Reich des Gerechten gehört dir.“

Später finden wir das Frühstück in einem wunderschönen Speisesaal mit Marmortischen vor. Wunderschön, dass wir nicht verschlafen haben. Männer und Frauen sitzen getrennt voneinander, immerhin in einem Raum. An der Stirnseite der Tafel steht ein dritter Tisch, an dem die drei Mönche sitzen. Sie läuten das Essen mit einem Gebet ein. So wird das Essen später auch beendet.

die letzten tage des jakob Als der Selige Jakob sah, daß seine Freu­ nde getötet wurden, war er sehr traurig. Aber der Selige beschloß, von seinem Platz nicht wegzugehen. Er errichtete für sich selbst eine Bleibe aus Erde. Er lebte in ihr mit seinen Schülern Holo und Daniel. Und er baute den großen Tempel für Vorüberziehende. Die Ereignisse um den Seligen gingen in alle Welt hinaus: zu den Römern, Armeniern, Syrern. Von überall kamen sie zu ihm, auch Kranke und Leidende. Gott richtete sie auf durch seine Hände.

Die Bewohner der Gegend scharten sich um ihn. Sie baten ihn, Geschenke anzunehmen, doch er wollte sie nicht haben. Sie bauten eine kleine Kirche über dem Ort, wo Bar Shabo und seine Schüler gemartert wurden. Als die Kapelle errichtet war, gaben alle Bewohner der Gegend ihre Gaben. In der Nacht hörte man die Stimmen der Märtyrer „Halleluja“ singen wie die Engel im Himmel. Bis zum heutigen Tag wird es „Haus der Märtyrer des Abtes Bar Shabo und elf seiner Schüler“ genannt Diese Märtyrer wurden gekrönt am 18. August. Mögen ihre Gebet mit uns sein. Amen!

Der heilige Jakob wurde alt und fragte Gott: „Herr, mein Gott, gib Frieden in den Tagen deiner Knechte“! Nach 32 Jahren Einsiedlerleben wurde er todkrank... Er bezeichnete sich mit dem Kreuz und gab seinen Geist seinem Schöpfer zurück am 18. September des Jahres 421.


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interview mit sabri isa

tĂźrkei/saleh


interview mit sabri isa, vor­stands­ vor­sitzende des aramäi­schen vereines von schweden Wo sind Sie geboren? „Ich bin in Kamechli/Syrien geboren“

Wann sind Sie aus Syrien ausge­ wandert? „1976 bin ich auf die Idee gekommen auszuwandern und mein Ziel war Schweden.“

In diesem Kloster sind alle wirklich nett zu uns. Wir fühlen uns sehr wohl hier. Die heiße Zeit des Tages verbringe ich mit den Aramäern aus Schweden. Ich sitze plaudernd mit ihnen zusammen. So bietet sich die Möglichkeit, einen von ihnen zu interviewen. Der nette, junge Mann, der sich hier um die Gäste kümmert, führt uns in den frühen Nachmittagsstunden im Kloster herum. Dann müssen wir schon wieder weiter. Wir sind schon ein wenig traurig, die netten Menschen dort zu verlassen.

Kannten Sie zu der Zeit jemanden in Schweden und was waren Ihre Ziele? „Nein. Zu der Zeit lebten nur wenige Aramäer in Schweden und da habe ich erst einige Familien kennen gelernt. Wir haben uns zusammengeschlossen und haben entschieden, dass wir eine aramäische Kirche eröffnen wollen. Das ist 1979 geschehen. Wir haben die Kirche Mor Gabriel genannt. Von Tag zu Tag wurden wir (Aramäer) zahlreicher. Fünf Jahre nach meiner Ankunft holte ich meine restliche Familie aus Syrien und der Türkei. Wir zogen um nach Södertälje.

Dort haben wir auch viele Aramäer getroffen. Es gab eine Kirche und Festräume. Da haben wir eine lange Zeit, ca. 14 Jahre verbracht. In Södertälje konnten wir auch nicht tatenlos bleiben und so bauten meine Freunde und ich 1991 noch eine Kirche, mit dem Namen Mor Jacob de Nsewen. Zu der Zeit gab es einige Probleme zwischen dem Bischof Ablahad und dem


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interview mit sabri isa

tĂźrkei/saleh


Vorstand der aramäischen Gemeinde in Schweden. Im ersten Jahr war ich in dem Verein der aramäischen Gemeinde und seit dem zweiten Jahr bin ich der Vorstandsvorsitzende des Vereines.“

Wie viele Aramär leben dort? „Es sind ca. 1200 Familien, die dort leben.“

Warum sind Sie jetzt erst nach Tur Abdin gekommen? „Seit langer Zeit wollte ich zurückkehren, um zu den Wurzeln unsere Ahnen, in die Stadt Midyad, zurückzukehren. Ich bin mit Freunden und fünf Mitgliedern des Vorstandes und des Frauenvereins hierhin gekommen. Wir sind für 15 Tagen hier, um die Klöster, die Dörfer unsere Vorfahren zu besuchen. Das haben wir auch getan. Wir haben kein Kloster ausgelassen. (Kloster Mor Gabriel, Kloster Mor Jacob de Nsewen, Kloster al Safaran, Kloster Mutter Gottes in Hah und Mor Jacob in Saleh...).“

Wie waren Ihre Eindrücke und Emotionen? „Es gab bestimmt Zeiten als alles hier in Ordnung war, aber der jetzige Zustand einiger Klöster ist

Bevor wir losfahren, bekommen wir doch noch eine Führung durch das Klos­ ter. In der Kapelle sitzen wir mit Safar, dem netten jungen Mann, der sich so reizend um uns gekümmert hat. Er erzählt uns die Geschichte des Klos­ ters. Mich hat es interessiert, warum er Mönch werden will. Aber in seinem Gesicht konnte ich lesen, dass er nicht darüber sprechen will. Ich hielt mich zurück und hakte nicht nach. Unser Fahrer will uns für heute Nacht mit zu seiner Familie nehmen. Doch vorher hat er noch etwas zu erledigen. So bringt er uns nach Mediat. Von dort laufen wir den Berg runter ins Dorf. Später lässt er ganz schön auf sich warten. Als er endlich kommt und wir noch etwas einkaufen gehen, wird es schon dunkel. Tidora kauft viele Süßigkeiten für die Kinder, ich viel Putzmit­ tel für Tidora und Britta einen Käse für alle. In Kamechli benutzen die Leute Seife zum Putzen, da Reiniger schwer zu bekommen ist.

traurig. Die Dörfer sind leer, alle sind ausgewandert. Christliche Dörfer sind jetzt in moslemischer Hand. Aber ich bin in guter Hoffnung, da die türkische Regierung grünes Licht gibt, um den zurückkehrenden Christen ihr Land zurück zu geben. Mittlerweile wollen viele Aramäer, die seit Langem im Ausland leben, wieder zurück zu ihren Wurzeln.“

Haben sich die im Ausland lebenden Aramäer in ihren Traditionen und ihrer Kultur, im Gegensatz zu den hier


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interview mit sabri isa

t羹rkei/miden


Mor Jakob in Saleh

TUR ABDIN MIDYAD

Marienkloster in Hah

Lebenden geändert? „Das ist eine Miden

sehr schöne Frage. Ich glaube, dass zur damaligen Zeit viele hier lebende

Mor Gabriel

Aramäer türkisch, kurdisch oder arabisch sprachen. Seitdem ich in Schweden lebe

Jakob Kirche Til-Ghan

– und das immerhin schon seit 28 Jahren

KAMECHLI

– habe ich beobachtet, dass die Aramäer dort an ihrer Kultur, Tradition und der

Til-Uardiat

Sprache festhalten wie nie zuvor. Viele Hasake

sind zur der Sprache ihrer Ahnen (das Aramäische) zurückgekehrt. Die Sprache wird im oder außer Haus gesprochen und das macht mich glücklich. Außerdem wird hier in Midyad ebenso an der Sprache festgehalten und das ist schön.“

Was ist uns (den Aramäern) an Denkmälern, Monumenten und Schätzen geblieben? „Ja, es sind die

Von Freundlichkeit umgeben Nach einer weiteren schönen Nachtfahrt erreichen wir ein winziges, kleines Dorf. Hier wohnt unser Fahrer. Vor der Tür laufen jede Menge Schafe und Ziegen herum, durch die wir uns den Weg zum Hof bahnen müssen. Im Hof stehen noch mehr Tiere. Eine kleine Treppe hoch, schon sind wir auf der Terrasse mit dem angrenzenden Wohnraum für die 11-köpfige Familie: unser Fahrer, seine gerade mal 26-jährige Frau, ihre sechs gemeinsamen Kinder, seine Mutter, seine Schwester und sein etwas debiler Bruder, der uns die meiste Zeit begafft. Über Umwege sind unsere Familien obendrein miteinander verwandt. Seine schwangere Schwägerin aus Deutschland ist auch noch mit ihren zwei Kindern zu Besuch. So sind wir also 17 Leute heute Abend und endlich ist mal jemand dabei, mit dem man sich den ganzen Abend auf Deutsch unterhalten kann. Im ersten Moment kommt mir das Landleben sehr dreckig vor, aber so ist es nicht. Für mich ist es die schönste Zeit hier in der Türkei. Derweil kommt die Oma mit einem sehr einfachen, aber sehr leckeren Abendessen aus der Küche und das Schlemmen kann beginnen: Es gibt frischen, selbst gemachten Zie­ genkäse, Brot, Bulgur, eine Art von Weizenschrot, frisches Gemüse und gefüllte Auberginen. Die mag Britta sonst gar nicht so gerne, aber hier sind sie richtig schmackhaft, da sie mit selbst gemachter Butter zubereitet sind. Hinterher gibt es noch frisch geerntete Honigmelone und geröstete Wassermelonenkerne. Noch ein paar Tage länger und wir wären 10 Kilo schwerer.

ganzen Klöster die uns geblieben sind. Einige alte, runtergekommene Klöster werden jetzt restauriert. Es werden alte Denkmäler, Steine, Gefäße und Gräber wieder ausgegraben und den Besuchern zugänglich gemacht. In den Klöstern werden Schlafräume gebaut, damit die Besucher einige Tage dort verbringen können. Es werden Führungen angeboten, um die Geschichten der Klöster nachzuvollziehen. Eins der größten und bekanntesten Klöster ist Mor Gabriel. Dorthin kommen Besucher aus aller Welt.“

Was werden Sie unseren Leuten in Schweden über die Heimat berichten? „Tag für Tag haben wir aufgeschrieben, welche Klöster wir besucht haben, was wir erlebt und was wir kennenund dazugelernt haben. Wir werden auch berichten, dass wir Aramäer aus aller Welt (Deutschland, Holland,


28.08. SA.

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interview mit sabri isa

t端rkei/miden


Syrien, auch aus Schweden ...) getroffen haben. Verwandtschaften mit Leuten, die wir im Leben noch nie gesehen haben, wurden entdeckt. Wir haben uns zusammengesetzt, zusammen gegessen,

Gegen 24:00 Uhr machen wir uns endlich auf ins Bett. Die Kinder des Fahrers schlafen in einem riesigen Himmelbett auf der Terrasse. Wir schlafen zu dritt in einem Bett, das über verschiedene Dächer zu erreichen ist. Wir fabrizieren ein bisschen Unfug und kichern so laut wie im Ferienlager, so dass uns schon das Militär vom entfernten Wachturm mit Scheinwerfer aufs Korn nimmt. Irgend­ wann schlafen ein. Um 04:30 Uhr klingelt der Wecker. Ich schlage die Augen auf, es ist noch dunkel, einfach zu dunkel um aufzustehen. Aber eigentlich sollten wir uns aus dem Bett bewegen, um einen Morgen auf dem Land mitzuerleben. Doch ich mache meine Augen wieder zu. Zehn Minuten später plagt uns unser schlech­ tes Gewissen und wir verlassen das Bett ganz leise, um in den kühlen Morgen hinauszutreten. Vorsichtig tasten wir nach unseren Schuhen, immer in der Angst, auf einen Skorpion oder sonstige Viecher zu treten. Wir klettern über ein paar Dächer und landen verschlafen aber sicher auf der Terrasse, wo die Kinder noch schlafen. Von hier aus haben wir einen guten Blick nach unten zum Vieh, wo die Oma schon fast alle Ziegen gemolken hat. Wir wissen gar nicht, wo wir hintreten sollen, denn die Tiere haben über Nacht den gesamten Boden mit Kot bedeckt. Ein paar Köttel später ist es gar nicht mehr so ekelig. Zum Fotografieren ist es noch zu dunkel und blitzen will Britta aus Rücksicht auf die Tiere nicht. Es könnte sie erschrecken. So schauen wir der alten Frau zu, wie sie sich durch das liebe Vieh kämpft. Mittlerweile steigt die Sonne langsam auf. Wir steigen aufs Dach, machen ein paar Fotos von den Schlafenden und der Umgebung, genießen den Ausblick und die immer noch kühle Luft. Als wir vom Dach runterklettern, weist uns die Oma an ihrem Sohn zu folgen. Gemeinsam treiben wir das Vieh quer durch das Dorf, durch andere Herden hindurch bis zum Hirten. Der nimmt alle Tiere in Empfang, um sie den Tag über zu hüten.

zusammen gebetet. Eine schöne Erfahrung war oben auf dem Dach mit vielen Menschen im Freien zu schlafen.“

War das der erste Schritt, jenen in der Ferne Mut zu machen, wieder zu ihren Wurzeln zurückzukehren? „Ja, unbedingt. Wir werden denen, die noch nicht in der Heimat waren, Mut machen ihr Geburtsland oder für diejenigen, die im Ausland geboren sind, ihre Heimat zu besuchen. Wir haben mit alten und jungen Menschen gesprochen und sie ermutigt wieder zurückzukehren.“

Was unternimmt Ihr Verein um die Heimat zu unterstützen? „Familien haben wir finanziell noch nicht unter­stützen können, aber wir unterstützen die Klöster. In diesem

Von allen Seiten kommen Tiere auf uns zu – Esel, Schafe, Ziegen und Pfer­ de. Ich frage mich, wie sie die wieder auseinander sortieren wollen. Doch die Menschen hier kennen ihr Vieh wie ihre Kinder. Eine alte Frau kommt strahlend die Straße entlang auf uns zu, um uns zu begrüßen. Auch die alten Männer mit anderen Viehherden begrüßen uns sehr herzlich. Wieder mal ist Britta eine kleine Attraktion. Als wir das Vieh los sind gehen wir schweigend rauchend den ganze Weg zurück. Die Luft ist unvergleichlich klar und mild, gleichzeitig aber von Viehgestank erfüllt. Zurück auf dem Hof, welcher durch ein schweres Eisentor geschützt ist, kehren die Frauen den Kot zusammen und schaffen ihn schubkarrenweise vom Hof. Nun ist der Hof wieder sauber und fast leer. Ein paar Jungtiere, die Hühner und eine Kuh sind zurückgeblieben. Ich gehe in die Küche und mache uns einen Nescafe, der um diese Uhrzeit wohl der leckerste ist, den wir je getrunken haben. Wir genießen unseren Kaffee, eine Zigarette und die hervorlugende Sonne auf dem Dach, während die Oma unten auf der Terrasse den spannendsten Teil ihrer Arbeit beginnt.

Besuch speziell, haben wir das Kloster Mor Jakob de Nsewen finanziell durch Spenden unterstützt. Jedes Kloster, das wir besucht haben, bekam private Geldspen­den, das ist wohl das Mindeste was wir tun konnten.“

Wann denken Sie, werden Sie wieder zurückkehren? „Am liebsten jedes Jahr wieder, wenn es mir möglich ist. Die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, waren sehr schön und so etwas kann man nur hier erleben.“


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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

t端rkei/miden


das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche Das Fasten ist eine freiwillige Askese, ein Hinweis darauf, Gott und seinen Geboten gehorsam zu sein und ein Praktizieren der Gebote Gottes, indem man sich freiwillig des Essens und des Trinkens für eine bestimmte Zeit enthält, danach nimmt man leichte Speisen zu sich, die frei von tierischen Fetten sind, so dass der Fastende sich auf das Verzehren von Getreide, Hülsenfrüchten, Obst und pflanzlichen Fetten beschränkt und sich der tierischen Produkte enthält mit Ausnahme der Fische und aller Meerestiere und des Honigs, denn die Bienen sind Tiere ohne Begierde.

die stufen des fastens Der Gelehrte Bar Hebräus (†1286) sagt: „Es gibt für das Fasten drei Stufen: ein allgemeines, ein spezielles und ein sehr spezielles. Das allgemeine Fasten ist, dass der Fastende sich den ganzen Tag jeglichen Essens und Trinkens enthält und am Abend sich mit dem Essen von

Sie macht frische Butter zum Frühstück. Dafür vermischt sie die gerade gemolkene Milch mit etwas Wasser in einem Kessel, der die Mischung ca. 40 Minuten lang rührt. Als sie den Deckel wieder öffnet, kann sie die Schicht, die sich oben abgesetzt hat, abschöpfen und zu Butter zusammenk­ neten. Dieser nicht besonders appetitlich aussehende Klumpen liegt schon eine halbe Stunde später auf unserem reichlich gedeckten Frühstückstisch und schmeckt vorzüglich. Noch nie im Leben habe ich so leckere Butter gegessen. So ziemlich alles, was auf diesem Tisch liegt, ist selbst gemacht. Ich kann gar nicht aufhören zu essen. Später im Auto hängt mein Bauch richtig über der Hose. Nach dem Frühstück machen wir uns zu einem kurzen Spaziergang durch’s Dorf auf, da Tidora – die mittlerweile schon fast heilig geworden sein muss – selbst die kleinste Kirche besuchen will. Danach fahren wir wieder los Richtung Grenze.

Getreide und Hülsenfrüchten begnügt oder sich tagsüber des Fleisches und tierischer Produkte enthält. Und für dieses Fasten gibt es Regeln. Denn obwohl es sein kann, dass einige ohne eine bestimmte Absicht zu hegen sich der Nahrung enthalten müssen, sind sie trotzdem keine Fastende. Aber das spezielle Fasten ist das Fasten der Einsiedler ... und das ganz spezielle Fasten ist das Fasten der Vollkommenen, die das Fasten vor dem Verzehren von Speisen mit dem Fasten für die


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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

türkei – syrien/kamechli


Mor Jakob in Saleh

TUR ABDIN MIDYAD

Marienkloster in Hah

Sinne verbinden, indem die Seele frei Miden

von schlechten Gedanken wird. Die einzige Bedingung dieses Fastens ist

Mor Gabriel

die Eliminierung jeglichen weltlichen Denkens aus dem Herzen. Obwohl das

Jakob Kirche Til-Ghan

Erreichen dieser Stufe sehr schwer ist,

KAMECHLI

wird es jedoch durch die Übung leichter, denn es wurde gesagt: Der Geist ist

Til-Uardiat

willig, wenn Du ihn willig machst, und Hasake

wenn Du ihn zur Genügsamkeit führst, wird er genügsam.“

der zweck des fastens Die Absicht des Fastens ist die Schwächung der Leibeskraft, der Begierde und die Übung, den Körper unter Kontrolle zu bringen und der Seele die wertvolle Gelegenheit zu geben, sich von den irdischen Dingen fernzuhalten und den himmlischen Dingen zuzuwenden; sie wird geläutert, gereinigt und drückt ihre Liebe zu Gott dem Erhabenen aus und sie bevorzugt das geistliche Leben statt des leiblichen und so besiegt der Geist das Fleisch; in diesem Sinne sagt Paulos: „Darum sage ich: Lasst euch vom Geist leiten, dann

Im Schoß der Familie Die ellenlange „Grenz-Überschreitungs-Prozedur“ geht wieder los. In der glü­ henden Mittagssonne laufen wir zu Fuß zur syrischen Seite, schwitzen uns die Seele aus dem Leib und warten und warten, bis auch wirklich jeder, der glaubt etwas zu sagen zu haben, sich unsere Papiere angesehen hat. Drüben warten Johanna und die Kinder bereits auf uns. Wieder zu Hause können wir endlich unsere sehnlichsten Bedürfnisse stillen. Das erste ist die Dusche, das zweite die immer noch nach Tier stinkenden Klamotten in die Wäsche zu schmeißen und der dritte Wunsch ist der lange, ausgiebige Schlaf. Bis zum späten Nach­ mittag sind dann auch alle diese Bedürfnisse befriedigt und wir wieder startklar für die 2. Runde Syrien. Wir sind froh, dass heute Abend kein Programm ansteht. So bleiben wir zu Hause, essen gemütlich Abendbrot, sitzen in Ruhe vor dem Haus auf der Straße und schauen uns die vorbeigehenden Leute an.

werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so dass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt. Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.“ (Gal 5,16-18). Und an einer anderen Stelle sagt er: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben.“ (Röm 8, 13). Und der Psalmist sagt: „Ich aber zog


die ganze familie tanzt

29.08. SO.

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/kamechli


ein Bußkleid an, als sie erkrankten, / und quälte mich ab mit Fasten.“ (Ps 35,13) Die Demütigung der Seele ist das Trauern, das der Herr erwähnte, als er den Jüngern von Johannes das Fasten beschrieb: „Jesus antwortete ihnen: Können denn die Hochzeitsgäste trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; dann werden sie fasten.“ (Mt 9,15) Die Demütigung und das Trauern ist ein und dasselbe, und sie sind das sichtbare Zeichen der wahren Buße, die die wichtigste Absicht des Fastens ist, welches von Gott angenommen wird. Eine seiner Bedingungen ist es, dass nicht nur der Leib vom Essen und Trinken fastet, sondern die Seele auch mitfastet vor der Begehung der Sünde und dass beide ihre Ursache vermeiden. Und das ist es, was wir von dem Gebot Gottes verstehen durch den Propheten Jöel: „Auch jetzt noch – Spruch des Herrn: / Kehrt um zu mir von ganzem Herzen / mit Fasten, Weinen und Klagen.“ (Joel 2,12)

die befreiung vom fasten Das Fastengebot wird allen gesunden und volljährigen Gläubigen auferlegt und von diesem Gebot werden die Betagten, die Kleinkinder, die Säuglinge, die Kranken, die stillenden Mütter und die schwangeren

Tanzen beflügelt die Füße Wir sind noch so erschöpft, dass wir Stunde um Stunde mit Lesen und Schlafen verbringen. Erst abends machen wir uns mit der gesamten Sippe zum Essen ins Caesar Palace auf. Wir laden die Familie als Dankeschön für die schöne Zeit ein. Geldtechnisch haben wir uns ganz schön übern Tisch ziehen lassen (zu spät merken wir, dass der Kellner mehr Essen berechnet hat, als bestellt), ansonsten ist der Abend echt schön. Nach ein paar Gläser syrischem Bier und Raki macht Britta dann auch das Tanzen Spaß.

Frauen befreit und die Befreiung der vorhin genannten Gruppen ist keineswegs ein Zeichen des Wohlstandes, sondern eine Notwendigkeit.

das fasten in den schriften des alten testamentes Gott, erhaben sei sein Name, verpflich­ tete den ersten Menschen zu fasten, als


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syrien/til-ghan


Mor Jakob in Saleh

TUR ABDIN MIDYAD

Marienkloster in Hah

er ihm im Garten Eden gebot: „Von allen Miden

Mor Gabriel

Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“

Jakob Kirche Til-Ghan

KAMECHLI

(Gen 2, 16-17). Weil der Mensch das Gebot Gottes nicht bewahrte und das Gebot Gottes zu fasten brach, hat Gott

Til-Uardiat

ihn bestraft und ihn aus dem Paradies Hasake

in das Land des Elends vertrieben. Es wird auch berichtet, dass die Speise des ersten Menschen im Garten Eden ein Fastenessen war, das sich auf Getreide und Früchte der Bäume beschränkte, und als Hinweis darauf hören wir, was in Genesis steht: „Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“ (Gen 1,29)

Nach der Sintflut erlaubte Gott den Menschen in der Person Noahs, das Fleisch der Tiere zu essen: „Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen.“ (Gen 9,3) Die Väter des Alten Testamentes, die

Eine Kindheit voller Leben Wir fahren mit Johanna, Orkina und Miriam nach Til-Ghan, wo die Familie meiner Mutter herkommt. Es ist ein kleines verschlafenes Nest mit ca. zwölf bewohnten Häusern, von denen sechs aramäischen Familien gehören. Moslems und Christen leben hier in relativ friedlicher Eintracht zusammen.

Propheten, die Rechtschaffenen, die Gerechten haben das Gebot des Fastens praktiziert, um Gott durch Glauben und gute Werke näher zu sein. So steht es in der Heiligen Schrift über den Propheten Mose, bevor er die Tafeln der Zehn Gebote aus der Hand Gottes empfing, fastete er vierzig Tage und vierzig Nächte; er aß kein Brot und trank kein Wasser.

Hier ist es so üblich, dass jede Familie eine Patenfamilie hat, wobei die Rangfolge über Generationen über die männliche Linie weitervererbt wird. Die Patenfamilie meiner Mutter wirkt ein wenig distanziert. Sie sind gerade damit beschäftigt Sonnenblumenkerne aus den Blüten zu schlagen. Wir sind so dreist und knabbern einfach daran herum.

„Mose blieb dort beim Herrn vierzig Tage und vierzig Nächte. Er aß kein Brot und trank kein Wasser. Er schrieb die Worte des Bundes, die zehn Worte, auf Tafeln.“


lehmhaus der patenfamilie seite

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syrien/til-ghan


ein blick auf die türkische grenze

(Ex 34,28). Über Elia steht geschrieben, in Gehorsam gegenüber Gott „... stand er auf, aß und trank und wanderte, durch die Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“ Und der Prophet Daniel vermied den Verzehr von Fleisch und das Trinken von alkoholischen Getränken, und er sagt über sich selbst: „Nahrung, die mir sonst schmeckte, aß ich nicht; Fleisch und Wein kamen nicht in meinen Mund“. (Dan 10, 3).

Von der Geschichte Daniels und seiner Freunde wissen wir, dass sie sich mit pflanzlicher Nahrung begnügten (Dan 1, 8-16); sie sind ein Vorbild für die Fastenden, deren Essen sich auf pflanzliche Nahrung beschränkt, aber dem Propheten Ezechiel befahl Gott: „Du, nimm dir Weizen, Gerste, Bohnen, Linsen, Hirse und Dinkel; tu sie zusammen in ein Gefäß und mach dir Brot daraus! Solange du auf der Seite liegst, dreihundertneunzig Tage lang, sollst du davon essen. Das Brot, das du isst, soll genau abgewogen sein, zwanzig Schekel am Tag; davon sollst du von Zeit zu Zeit essen. Auch das Wasser, das du trinkst, soll genau abgemessen sein: ein sechstel Hin; davon sollst du von Zeit zu Zeit trinken.“ (Hes 4, 9-11)

das fasten zur buße Und als der Prophet Jona die Bewohner

Im Hof des Hauses bemerke ich eine verkohlte Öffnung, meine Neugier zwingt mich dahinzugehen und einen Blick hineinzuwer­ fen. Eine Stimme aus dem Hintergrund sagt: „Das ist ein Ofen, hier backen wir unser Brot.“ Schwups, kam die Frau auf mich zu und übergab mir ein Stück Brot.

von Ninive gemäß dem Befehl Gottes warnte und sagte: „Jona begann, in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag lang und rief: Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört! Und die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und

So was Köstliches habe ich noch nie gegessen!


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syrien/til-ghan


Klein, zogen Bußgewänder an. Als die Nachricht davon den König von Ninive erreichte, stand er von seinem Thron auf, legte seinen Königsmantel ab, hüllte sich in ein Bußgewand und setzte sich in die Asche. Er ließ in Ninive ausrufen: Befehl des Königs und seiner Großen: Alle Menschen und Tiere, Rinder, Schafe und Ziegen, sollen nichts essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. Sie sollen sich in Bußgewänder hüllen, Menschen und Tiere. Sie sollen laut zu Gott rufen und jeder soll umkehren und sich von seinen bösen Taten abwenden und von dem Unrecht, das an seinen Händen klebt. Wer weiß, vielleicht reut es Gott wieder und er lässt ab von seinem glühenden Zorn, so dass wir nicht zugrunde gehen. Und Gott sah ihr Verhalten; er sah, dass sie umkehrten und sich von ihren bösen Taten abwandten. Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er führte die Drohung nicht aus. Sie erfuhren, dass er vor Jahwe auf der Flucht war; er hatte es ihnen erzählt.“ (Jona 3,4-10).

die vorsteher gebieten ein fasten Auch die Vorsteher des Volkes des Alten Testaments haben von Zeit zu Zeit ein Fasten in Zeiten der Bedrängnis ihrem Volk auferlegt, wie Esra es tat, als er sagte: „Dann rief ich dort am Fluss bei Ahawa ein Fasten aus; so wollten wir uns vor unserem Gott beugen und von ihm eine glückliche Reise erbitten für uns, unsere Familien und die ganze Habe. Denn ich schämte mich, vom König Soldaten und Reiter zu fordern, die uns gegen Feinde auf dem Weg schützen sollten. Vielmehr hatten wir dem König gesagt: Die Hand unseres Gottes ist


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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/til-ghan


schützend über allen, die ihn suchen; doch seine Macht und sein Zorn kommen über alle, die ihn verlassen.“ (Esr 8,21-22). Und die Heilige Schrift erwähnt, dass dem israelischen Volk ein einwöchiges Fasten auferlegt wurde, als Zeichen der Trauer über den König Saul und seine Kinder. „Dann nahmen sie die Gebeine, begruben sie unter der Tamariske von Jabesch und fasteten sieben Tage lang.“ (1Sam 31,13).

das individuelle fasten Der Prophet David fastete und demütigte sich vor dem Herrn, damit sein Sohn die Genesung erlangt (2Sam 2,21) und wie David haben viele Stämme und Gruppen das individuelle Fasten, das sie sich selbst auferlegt haben, praktiziert, freiwillig von Zeit zu Zeit, damit Gott sich

Nach einem kleinen fotografischen Spaziergang durch das winzige Dorf laden uns Leute, die irgendwie auch mit mir verwandt sind, zum Tee ein. So sitzen wir auf einem Hügel, welcher vorher das Lehmhaus meines Großvaters war, und genießen wieder mal einen wunderschönen Sonnenuntergang. Plötzlich kommt eine alte Frau auf mich zu und fragt, ob ich die Tochter von Sayda (der Name meiner Mutter) sei. Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich ganz fest an sich (scheinbar sehe ich meiner Mutter sehr ähnlich).

ihrer erbarmt und sie aus der Versuchung errettet, die ihnen widerfahren war.

die ordnung des fastens im neuen testament Der Herr Jesus erließ das Gebot des Fastens, und die Apostel haben es als geistiges Prinzip übernommen, doch seine Anlässe und die Dauer und wie

Das Lachen in ihrem Gesicht mochte nicht vergehen. Ganz glücklich erzählt sie über die Tage, als meine Mutter noch ein Kind war. „Damals war unser Dorf noch voller Leben,“ sagt sie. „Nach und nach zogen die jungen Leute in die Stadt um zu arbeiten.“ Mit einem Lächeln verabschieden wir uns und fahren zurück nach Kamechli.

gefastet wird, obliegt der Verantwortung der Kirche, der der Herr die geistliche Vollmacht gab, als er seinen reinen Jüngern sagte: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat.“ (Lk 10,16) Oder auch als er sagte: „Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei


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Mor Jakob in Saleh

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Marienkloster in Hah

Männer mit, denn jede Sache muss durch Miden

die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werden. Hört er auch auf sie

Mor Gabriel

nicht, dann sag es der Gemeinde. Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht,

Jakob Kirche Til-Ghan

dann sei er für dich wie ein Heide oder

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ein Zöllner. Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das

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wird auch im Himmel gebunden sein und Hasake

alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 18,15-18) Und sein Wort an Petrus das Haupt der Apostel: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ (Mt 16,19). Durch

Ein Abschied schmerzt immer 07:00 Uhr klingelte schon der Wecker. Sehr traurig umarme ich meine Großel­ tern und drücke sie ganz fest an mich. Der Versuch meine Tränen zu unterdrü­ cken ist fehlgeschlagen. Ich frage mich, wann ich sie das nächste Mal wieder sehe – ob ich sie überhaupt jemals wieder sehen kann. Auf dem Weg zum Busbahnhof holen wir Raby ab. Als er unser Gepäck sieht, will er sich verdrü­ cken. Dabei sind wir noch nicht mal richtig shoppen gewesen. Am Busbahnhof geht auch alles sehr schnell. Das ist auch ganz gut so, denn der Abschied von Johanna und Tidora, die wirklich viel für uns getan haben, fällt mir sehr schwer. Es ist schrecklich die Liebsten zu verlassen. Orkina und Miriam sind zu müde, um irgendetwas zu verstehen. Die Busfahrt nach Aleppo dauert ca. 5 Stunden. Britta und ich sitzen gleich hinter dem Fahrer und lauschten den mitgenommenen Hörspielen. Raby sitzt ein bisschen weiter hinten und kann die Fahrt nach seinen 1,5 Stunden Schlaf nicht so genießen. Als wir in Aleppo ankommen, schnappen wir uns erst mal ein Taxi und fahren direkt zum Hotel, um unser Gepäck loszuwerden. Der arme Raby schleppt die ganze Zeit unsere schweren Taschen. Das sind bestimmt 50 kg. Das Hotel ist ganz schön, aber wie überall muss ich ganz schön handeln, da Touristen viel mehr bezahlen müssen. Ich erzähle, dass ich in Deutschland studiert habe, aber jetzt hier lebe und Britta eingeladen habe. Das macht es etwas günstiger. Im Hotel warten wir die Mittagshitze ab, machen uns frisch und ziehen dann wieder los.

diese geistliche Vollmacht, die die Kirche vom Herrn empfangen hat, ordnete sie die allgemeinen kanonischen Fastentage an und verpflichtete den Klerus und das Volk, sich daran gebunden zu fühlen. Wer sich außerhalb stellt, begeht eine Sünde, denn der Gehorsam gegenüber der Kirche ist auch ein Gehorsam gegenüber dem Herrn und ein Auflehnen gegen ihre Gebote ist auch ein Auflehnen gegen Gott.

Der Klerus und das Volk haben seit Beginn der Christenheit das Fasten, das eine Enthaltung vom Essen und Trinken ist, während einer Zeit, die von der Kirche festgelegt wurde, praktiziert und sie haben sich beim Fastenbrechen nur vegetarisch, d.h. ohne tierische Produkte wie Fleisch, Milchprodukte, Eier usw. ernährt. Die apostolischen Kirchen kamen überein, überall auf der Welt das Prinzip des Fastens zu heiligen, und sie haben es immer als heiliges und von Gott eingesetztes erachtet.


ein stein mit aram채ischer schrift im aleppo museum seite

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/aleppo


aramäische kunstwerke im aleppo museum

das paschafasten Das erste Fasten, das von der Kirche eingesetzt wurde, ist das Paschafasten, das auch das Fasten der Leiden (Kar­ fasten) genannt wird, in diesem Fasten enthalten sich die Gläubigen des Essens und Trinkens vom Abend des Karfreitags – an dem des Leidens Christi, seiner Kreuzigung und seines Sterbens gedacht wird – bis nach Mitternacht des Ostersonntags, um Teil zu haben am lebenspendenden Leiden, das Christus für uns zur Erlösung der Menschheit erlitten hat, um teilzunehmen an seinem Leiden für uns, in Übereinstimmung mit dem Apostel Paulos, der sagt: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die

Als Erstes suchen wir das Büro der Fluggesellschaft, da ich gerne mit Britta zurückflie­ gen will. Das hat geschlossen und so gehen wir einen Kaffee trinken. Es gibt richtigen Cappuccino mit Schokolade und Sahne. Anschließend geht es ins Nationalmuseum, etwas Kultur zu erleben. Spannend ist es nicht. Das Museum ist sehr heruntergekom­ men und hat keine Klimaanlage. Später, im Büro der Fluggesellschaft, können wir nichts erreichen. Der Mann verweist uns auf das Büro in Damaskus, weil er von hier aus keinen Zugriff auf die Flugdaten hat. Ich glaube, er hatte nur keine Lust dort anzurufen. So machen wir uns auf zurück zum Hotel, um zu duschen, um dann frisch und wohlgelaunt Rabys Freund und Computerteilezulieferer zu besuchen. Der ist so beschäftigt, dass wir nur gelangweilt herumstehen. Als wir endlich loskommen, bummeln wir durch die Einkaufsstraßen der Stadt und ich verfalle dem Kaufrausch. Ich kaufe fünf Paar Schuhe und eine Tasche. Britta hält sich zurück und kauft ein Paar weiße Schuhe. Raby muss Britta die ganze Zeit über an die Hand nehmen, weil sie sonst blöde ange­ gafft, angerempelt und einmal sogar begrapscht wird. Dieser eine Typ ist wirklich dreist. Während wir ins Taxi steigen und losfahren wollen, greift er kurz durchs Fenster, um Britta anzufassen. Durch Händchenhalten signalisierte Raby den Herren auf der Straße, dass Britta zu ihm gehört und sie die Finger von ihr lassen sollen. Am Abend gehen wir mit all unseren Einkaufstüten in einem super edlen Restaurant essen. Wir sitzen im Innenhof eines Hauses aus dem 17./18. Jahrhundert. Das Essen ist extrem lecker. Die Tabule (Petersiliensalat) und das Kebenaije (rohes Fleisch mit Weizenschrot) sind so gut gewürzt, dass es uns vorzüglich schmeckt. Dazu gibt es einen guten Schluck Rotwein. Wieder im Hotel bin ich so müde, dass ich nach einem Glas Ambarie (Likör), den wir von Tidora bekommen haben, schlafen gehe.

Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.“ (Röm 6,3-4)

Die Kirche hat dieses Fastens und des Gedächtnisses des Leidens unseres Herrn Jesus Christus, des Todes und seiner Auferstehung alle 33 Jahre gedacht und feierlich begangen und praktiziert. Und als klar wurde, dass viele, die geboren und gestorben sind ohne das Glück gehabt zu haben, an diesem Gedenken teilhaben zu können, beging sie es feierlich jährlich. Im Laufe der Zeit wurde diesem Fasten vier vorangehende Tage hinzugefügt und so wurde eine ganze Woche daraus, die die Leidenswoche genannt wurde. Es wurde in dieser Woche bis zum Abend ohne Essen und Trinken gefastet, und am Abend nahm man trockenes Brot mit


Deir Al Zafaran

Til-Tamr

ALEPPO

HAMMA PALMERA

Mar Musa Al-Habaschi

Reifenpanne

Al-Scherobim Saydnaya

05.09. SO. Altstadt

DAMASKUS

kloster 覺 kirche reiseroute

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/aleppo


Mor Jakob in Saleh

TUR ABDIN MIDYAD

Marienkloster in Hah

salzigem Wasser zu sich. Heutzutage Miden

wird so gefastet: Einige enthalten sich des Essens und Trinkens bis zum Mittag

Mor Gabriel

oder bis zum Abend und danach nimmt man Fastenessen zu sich, das heißt

Jakob Kirche Til-Ghan

vegan, ohne jegliche tierische Produkte

KAMECHLI

oder Süßigkeiten, um am Leiden des Erlösers teilzunehmen, dem, als er

Til-Uardiat

dürstete, man Essig vermischt mit Galle Hasake

zu trinken gab.

das vierzigtägige fasten Das vierzigtägige Fasten wurde im dritten Jahrhundert verkündet und im zweiten Viertel des vierten Jahrhunderts hat man die Leidenswoche hinzugefügt, die lange Zeit vor diesem Fasten gefastet wurde, und so wurde aus dem vierzigtägigen Fasten zusammen mit der Leidenswoche ein siebenwöchiges Fasten. Das Gebot des vierzigtägigen Fastens ist eine Erinnerung für die Gläubigen an den Kampf Christi und an sein Fasten in der Wüste. Der Herr, der des Fastens nicht bedurfte, hat es öffentlich im Fleisch praktiziert, er fastete vierzig Tage und vierzig Nächte und bekam

Von der Krone abwärts 09:00 Uhr früh weckt mich Britta auf. Das Frühstück ist schon vorbereitet. Wir sitzen entspannt im Hof vom Hotel und frühstücken. Dann machen wir uns zur gigantischen Zitadelle von Aleppo auf. Man hat von hier einen un­ glaublichen Ausblick auf die Stadt, die sich wie ein Krake um die umliegen­ den Hügel schlängelt. Sie steht auf einem zur Hälfte natürlichen, zur Hälfte künstlich aufgeschütteten Hügel.

Hunger (Mt 4,2), um uns das Fasten und den geistlichen Kampf gegen den Widersacher zu lehren.

Und er besiegte den Versucher und verlieh uns die Kraft den Versucher in seinem Namen zu besiegen. Er hat uns auch aufgezeigt wie bitter das Geheimnis des geistlichen Sieges ist durch sein Wort: „Aber diese Art (von Dämonen) kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben

Die Zitadelle finde ich von außen wunderschön, von innen sehr enttäuschend. Es sieht aus wie auf einer Baustelle. Überall liegen Steinhaufen. In der Mitte der Zitadelle steht ein großes, modernes Amphitheater, in dem jeden Som­ mer Konzerte und künstlerische Veranstaltungen stattfinden. Es fasst ca. 5000 Zuschauer.

werden.“ (Mt 17,21) Die Gläubigen haben früher das vierzigtägige Fasten ohne Essen und Trinken bis zum Abend gehalten, danach nahmen sie ein Fastenessen


stadtpark in aleppo die ber체hmten wasserr채der in hama seite

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/aleppo/hamma


zu sich, das nur aus Brot, Wasser, das gesalzen wurde, Hülsenfrüchten, Getreide und pflanzlichen Ölen bestand. Während dieser Zeit übten sie mit den Armen Barm­ herzigkeit, und darum sagt der Heilige Ephräm der Syrer (†373) im vierten Jahr­ hundert: „Faste das Fasten der vierzig Tage und gib Brot dem Hungrigen, und bete am Tage siebenmal so wie du es von dem Sohn Jesse gelernt hast.“

Man unterbricht die Enthaltsamkeit vom Essen und Trinken an den Tagen des Samstags und des Sonntags, in denen die Eucharistiefeier gefeiert wird, nach dem Gottesdienst nimmt der Fastende

Auf dem Rückweg zu Hotel kaufen wir unsere Bustickets nach Hama. Da wir bis zur Abfahrt noch etwas Zeit haben, machen wir noch einen Spaziergang im Stadtpark und setzen uns dort eine Weile ins Gras. Wir holen unser Gepäck aus dem Hotel. Dann geht es los zu einer zweieinhalbstündigen Busfahrt nach Hama. Britta sitzt am Fenster, Raby neben ihr. Ich kann mich schlafend auf zwei Sitzplätzen breit machen. In Hama beschließen wir nur ein Zimmer für das Gepäck zu nehmen und abends gegen 23:00 Uhr nach Damaskus weiterzufahren. Vielleicht ist das ein Fehler, denn wir sehen gar nichts von der Stadt. Im Hotel tref­ fen wir ein deutsch-holländisches Pärchen, die schon mit uns im Bus saßen und wir beschließen, zusammen eine Kleinigkeit essen zu gehen. Aus der Kleinigkeit wird ein köstliches Essen in einem netten Restaurant am Wasser, wo die für diese Stadt berühmten Wasserräder stehen.

ein Fastenessen zu sich. Diesbezüglich steht in den Kanones der Apostel: „Jeder, der am Samstag und Sonntag – außer dem Samstag der Frohen Botschaft – fastet, wird, wenn es ein Kleriker ist, seines Amtes enthoben und wenn es ein Laie ist wird er ausgesondert.“ Der Gelehrte Bar Hebräus (†1286) schreibt in seinem Buch „Die Taube“ Teil 2, Kapitel 6, das er als Hilfestellung für die Mönche und Asketen, die keinen Berater und Leiter haben, verfasste: „Es ist nötig, das Fastengebot aufzuheben in den Tagen des Samstags und des Sonntags, damit die Gesetze eingehalten werden.“

Zur Heiligung und Verehrung des Sonntags beging unsere Kirche keine Fastentage an einem Sonntag und ebenso auch wenn

Als wir das Lokal verlassen, ist es schon dunkel. So spazieren wir zu den Wasserrädern und kehren zurück zum Hotel, um zu duschen und Tee zu trinken. Die Busfahrt von Hama nach Da­ maskus ist eher unangenehm. Wir haben wenig Platz, überall um uns herum sind Gelabie-tragende, eklige Männer, die so was wie ein Gewand tragen. Die Sitze sind unbequem, ich be­ komme kein Auge zu und fühle mich beobachtet.

der Termin des Beginns einer Fastenzeit auf den Sonntag fällt, um den Sonntag zu verehren, beginnen wir erst am Montag mit dem Fasten. So wird die Anzahl der Fastentage in dem betreffenden Jahr um einen Tag verkürzt.


Deir Al Zafaran

Til-Tamr

ALEPPO

HAMMA PALMERA

Mar Musa Al-Habaschi

Reifenpanne

Al-Scherobim Saydnaya

06.09. MO.

Altstadt

DAMASKUS

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/hamma/damaskus


Mor Jakob in Saleh

TUR ABDIN MIDYAD

Marienkloster in Hah

Es wurde untersagt, große Feste Miden

Mor Gabriel

während der vierzigtägigen Fastenzeit zu veranstalten, gemäß dem Beschluss der Heiligen Synode von Latakia aus dem Jahre 364. Ebenso hat man auf der

Jakob Kirche Til-Ghan

KAMECHLI

genannten Synode beschlossen in der Fastenzeit die Eucharistiefeier nicht zu feiern bis auf die beiden Tage des

Til-Uardiat

Sonnabends und des Sonntags. Anstelle Hasake

der Eucharistiefeier hat man in der Fastenzeit die Liturgie des Rschom Koso praktiziert, Bezeichnung des Kelches, das ist eine Messe, in der die Eucharistie in einem früheren Gottesdienst konsekriert wurde. Diese Ordnung wurde von Mor Severus (†538) in unserer Kirche eingeführt. Daher wird die Eucharistie in dem vierzigtägigen Fasten nur am Sonnabend und am Sonntag gefeiert. Eine weitere Ausnahme bildet der Mittwoch „Mitte der Fastentage“ und der Freitag, wo die vierzig Tage des Fastens vollendet werden, sowie Gründonnerstag und der Sonnabend der Frohen Botschaft. Wenn das Fest der Verkündigung terminlich in die Fastentage fällt, dann wird es mit einer Eucharistiefeier gefeiert, auch dann, wenn dieser Termin am Karfreitag liegt, und der Gläubige nimmt nach der Eucharistie ein Fastenessen zu sich.

Diesbezüglich lautet der fünfte Kanon im

Lachen ist die Lebenskraft 02:00 Uhr nachts, wir sind in Damaskus. Raby managt alles mit dem Taxi, was um die Zeit gar nicht so einfach ist und – schwuppdiwupp – sind wir wieder bei Abbud und seinen zwei Mitbewohnern Samir und Milad. Es ist eine sehr vergnügliche Nacht. Abbud ist witztechnisch wieder in Höchstform, und obwohl wir keinen Wodka mehr bekommen, jagt ein Lacher den nächs­ ten. Samir, Milad und ich gehen irgendwann ins Bett. Britta, Abbud und Raby wollen noch wach bleiben.

ersten Teil, Kapitel 5, aus dem Buch Hudojo von Bar Hebräus wie folgt: „Die Kirche begeht das Fest der Verkündigung, wie es terminlich festgelegt wurde,“ denn es ist das Fun­dament aller Herrenfeste und darum sind die Termine dieser Feste absolut unveränderlich. Wir halten das Fasten als Verehrung für das Fasten am Karfreitag oder am Sonnabend der Frohen Botschaft und beten die kanonischen Gebete.


sperrm端llentsorgung in jdajdet-artus seite

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/jdajdet-artus


Wenn das Fest der Darstellung Christi mit einem Montag der großen Fastenzeit terminlich zusammenfällt, so begeht man die Heilige Eucharistie an diesem Tag auch dann, obwohl es selten vor­ kommt, wie es 1915 der Fall war und im

Schon gegen 10:00 Uhr jagt Raby uns wieder hoch. Wir haben noch einiges vor und bis wir gefrühstückt und geduscht haben, vergeht noch viel Zeit. Wieder zu dritt nehmen wir ein Taxi zum Büro der Fluggesellschaft Malev. Britta braucht ihre Flugbestä­ tigung und ich will meinen Flug ändern. Das Flugzeug ist leider schon voll, so dass nichts zu machen ist. Ich muss bis zum 20. September hier bleiben. Brittas Flug geht am 10. Septem­ ber. Anschließend kaufen wir ein Busticket für Raby, der leider am Abend wieder 9 Stunden zurück nach Kamichli fahren muss. Zum Mittagessen sind wir wieder bei Abbud. Es gibt noch ein paar Stunden Spaß.

Jahre 2010 der Fall sein wird, und wenn es so ist, feiert man am Morgen die Eucharistiefeier, die Liturgie des Fastens wird am Mittag gebetet und danach nimmt man Fastenessen zu sich. Aber die Liturgie der Vergebung (S ubqono), die normalerweise am Beginn der Fastenzeit gehalten wird, wird in diesem Fall am nächsten Tag begangen.

Die Kirche verbot das Trinken von Wein und der übrigen alkoholischen Getränke während der Fastenzeit. Die Heilige Kirche hat nicht die Absicht mit ihrer

Wir nehmen unser gesamtes Gepäck und fahren in einen Vorort von Damaskus nach Jdajdet-Artus zu meiner Ame Chitam (der jüngsten Schwester von Papa) und ihrem Mann Nasif, wo wir die nächsten Tage bleiben. Nach kurzer Zeit verabschiedet sich Raby von uns. Wir ruhen uns etwas aus, gehen dann spazieren und die anderen Amos zu besuchen. Vor der Tür meines Amos Nabil bahnt sich ein Spektakel an. Die ganzen Nachbarn ver­ sammeln sich auf der Straße, stellen ihre alten Möbel hin und zünden sie an. Die Kinder haben einen Riesenspaß. Sie sind damit beschäftigt aus den Möbeln Kleinholz zu machen und ins Feuer zu werfen. Das ist eine gute Art des Entsorgens.

Festlegung der Fastenzeit, in der sie eine bestimmte Art von Speisen erlaubt und andere nicht, zu erklären, dass ein bestimmtes Essen rein ist und das andere nicht oder dass an bestimmten Tagen das eine Essen rein ist und an einem anderen Tag dasselbe nicht, sondern sie hat die Absicht, den Willen der Gläubigen Gott, erhaben sei sein Name, in Reinheit gefügig zu machen, sie zu veranlassen das Gute zu tun und ganz besonders die Tugend bei ihnen zu schärfen, gehorsam gegenüber Gott zu sein, der seinen Knechten, den Prälaten der Kirche, die Vollmacht verlieh zu lösen und zu binden und die Kanones zu erlassen und Gesetze und Ordnungen zu schaffen, zum Nutzen der Gläubigen und zur Verherrlichung seines heiligen Namens. Da jedoch die Kirche eine barmherzige Mutter und eine gute Lehrerin ist, bürdet sie den Gläubigen


ame chitam und ich beim faullenzen

07.09. DI.

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/jdajdet-artus


nicht mehr als das auf, was sie im Stande sind zu ertragen, indem sie die Worte des Herrn bedenkt: „Weh auch euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selber aber rührt ihr keinen Finger dafür.“ (Lk 11,46) Aus diesem Grunde erließ der Patriarch Ellias III. (†1932), selig sei sein Gedenken, ein Dekret, Fisch während der vierzigtägigen Fastenzeit essen zu können, und er erlaubte den Gliedern der Kirche in Amerika, lediglich die erste und letzte Woche von der großen Fastenzeit vor Ostern zu fasten und die Tage des Mittwochs und des Freitags dazu, und an den anderen Tagen dazwischen dürfen sie das Fasten brechen.

Der Patriarch Aphram I. Barsaum (†1957), selig sei sein Gedächtnis, erlaubte

Ruhe innerhalb der Familie

ebenso auf eine Bitte der Kirche in Indien, die restlichen Fastentage im Jahr für die gesamte Kirche zu reduzieren. Der

Am nächsten Tag können wir in Ruhe ausschlafen und frühstü­ cken. Nasif fängt immer erst nachmittags an zu arbeiten, so ist es eine lustige Frühstücksrunde. Am Nachmittag machen wir uns mit ein paar zusammengepackten Sachen auf, nach Damaskus zu meiner anderen Ame Magdalena, der zweiten Schwester von Papa. Wir machen einen kleinen Spaziergang durch Damaskus, da es schon zu spät ist, um im überdachten Suk (Stadt) einkaufen zu gehen. Die Nacht schlafen wir bei ihr in Damaskus, da wir am nächsten Morgen schon sehr früh mit meinem Großvater (der Vater von meinem Papa) verabredet sind. Die Wohnung von Ame Mag­ dalena – welche nur die Zweitwohnung neben dem Haus auf dem Land ist – ist wunderschön und sehr edel eingerichtet. Sie gehören wohl zur Oberschicht Syriens. Ihr Mann, der jetzt in Rente ist, war ein hohes Tier beim Militär (irgendwas über einem General).

Patriarch Yacoub III. (†1980) erlaubte, lediglich die erste und letzte Woche von dem vierzigtägigen Fasten vor Ostern zu fasten und die Tage des Mittwochs und des Freitags dazu, und an den anderen Tagen dazwischen dürfen der Klerus und das Volk das Fasten brechen. Er erlaubte ihnen an den Tagen, die sie innerhalb dieses Fastens nicht fasten, auch tierische Produkte zu sich zu nehmen. Dies geschah im Jahre 1966. Und er erlaubte zusätzlich, auch in den Tagen zwischen den beiden Wochen, also die Woche mit dem Beginn der Fastenzeit und die letzte Woche, die die Leidenswoche ist, Feste, Hochzeiten, Taufen, die Eucharistie und das Gedenken der Heiligen zu feiern. Die Erlaubnis meiner berühmten Vorgänger im Amt, das vierzigtägige


der patriarch beim gebet

08.09. MI.

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/damaskus


Fasten zu reduzieren, geschah aus Barm­ herzigkeit. Denn wenn die Gläubigen das Gebot des Fastens brechen, sind sie in einem Zustand, Gott bewahre, wo sie den Zorn Gottes auf sich laden. Wer also von diesem Erlass Gebrauch macht, sündigt nicht und wird zu denen gezählt, die die Gebote einhalten, aber wer das vierzigtägige Fasten und zusätzlich die Leidenswoche dazu einhält, erhält ein Vielfaches an Lohn.

An alle Weihestufen der Kleriker klein

Die Kraft des Glaubens Wir treffen meinen Großvater am Busbahnhof und fahren mit ihm in ein Kloster außerhalb von Damaskus, in dem sich der Patriarch erholen soll. Die meiste Zeit erzählt mein Großvater von sich selbst. Wenn er nicht von sich erzählt, bringt er kirchliche Weisheiten zum Besten, betet die Bibel rauf und runter und erzählt Geschichten von Wundern. Das Kloster liegt in einer wunderschönen Villengegend mit herrlicher frischer Luft. Es wurde ganz neu erbaut. Auch die Mönche hier sind viel netter als in den anderen Klöstern. Ich weiß nicht mal wie alt der Patriarch ist. Ich glaube, er ist sehr alt. Er sieht gar nicht gesund aus. Wir kommen gerade zum Ende der Messe an. Als der Patriarch durch den Gang zum Ausgang will, stürmen alle in Richtung Al­ tar auf ihn zu, um erst sein goldenes Kreuz und dann seine Hand zu küssen. Aus dem geplanten Interview wird leider doch nichts, da der Patriarch sofort in den Libanon zur ärztlichen Untersuchung abfahren muss. Wir laufen also den endlos weiten Weg vom Kloster zurück und lassen uns von der Sonne den Schädel weich kochen. Irgendwann bleibt ein Minibus stehen, der uns wieder nach Damaskus bringt. Bei meiner Ame haben wir Zeit uns auszuru­ hen und ein leckeres Mittagessen zu uns zu nehmen. Nachmittags geht es dann endlich in die völlig überfüllten Suqs der überdachten Altstadt. Hand in Hand schieben wir uns von Laden zu Laden. Ame Chitam stellt sich als wahre Meisterin des Handelns heraus und ihre Ame Magdalena als extrem einkaufssüchtig. In dieser Kombination vergeht die Zeit wie im Flug. Wir schaffen gerade mal die Hälfte unserer Erledigungen. Das bedeutete, dass wir am nächsten Tag noch mal hierher müssen. So holen wir unsere restli­ chen Sachen bei meiner Ame ab und machen uns mit dem Taxi nach JdajdetArtus zu Chitam auf.

und groß, außer den Betagten und Kranken unter ihnen wird gesagt, dass sie ein gutes Vorbild sein sollen, in der Bewahrung der Gebote Gottes und seiner Weisungen und sich an das Gebot des vierzigtägigen Fastens mit der Leidenswoche gebunden fühlen, so wie unsere heiligen Väter es praktiziert haben, sich des Essens und Trinkens zu enthalten bis zum Mittag, und danach ein Fastenessen zu sich zu nehmen. Und es ist lobenswert, wenn alle Gläubigen diese Art des Fastens praktizieren würden.

das fasten an den tagen des mittwochs und freitags jeder woche Die heilige Kirche praktizierte vom Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus das Fasten der zwei Wochentage, den Mittwoch und den Freitag, anstatt der üblichen zwei Tage, den Montag und den Donnerstag, die die gottesfürchtigen Juden praktiziert hatten, wie dies aus dem Beispiel des Pharisäers und des Zöllners deutlich wird. (Lk 18,12). Die Christen fasten am Mittwoch, denn an diesem Tag wurde verabredet, Christus gefangen zu nehmen und ihn zu töten. Am Freitag


die stadt duftet nach gew端rzen

09.09. DO.

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien/damaskus


wird ebenso gefastet, denn an diesem Tag wurde Christus gekreuzigt und ist gestorben zu unserer Erlösung. Dieses Fasten wurde in dem Buch „Didaskalia“ (Lehre der Apostel) erwähnt, dessen Entstehung auf das Ende des ersten Jahr­ hunderts oder den Beginn des zweiten Jahrhunderts zurückgeht. Ebenfalls findet

Der Puls des Orients Am Nachmittag sind wir wieder in Damaskus zum Einkaufen. Diesmal geht alles viel schneller, da meine Ame Magdalena nicht dabei ist. Ruckzuck haben wir weitere Tüten voller Gewürze gekauft, kiloweise Süßigkeiten und zwei Koffer, um den ganzen Kram zu verstauen. Die Altstadt ist schön und impulsiv. Die Menschen rasen von einem Laden zum nächsten. Es duftet nach Zimt, Minze und Gebäck. Die Stadt pulsiert bis in die späte Nacht. Gegen 23:00 Uhr haben wir endlich alles erledigt (Zeitungen, Kaffee und Raki gekauft und ein Auto gemietet, das uns zum Flughafen bringen soll). Britta kann mit dem Einpacken loslegen und schnell noch eine Kleinigkeit essen. Dann ist schon Abbud da, um sich zu verabschieden und zum Flughafen mitzufahren.

dieses Fasten in einigen Schriften der Kirchenväter des ersten Jahrhunderts Erwähnung und es gibt apostolische Kanones, nach denen diejenigen von den Gläubigen unter Fluch stehen, die dieses Gebot nicht einhalten. Es war üblich seit vielen Generationen, dass die Kirche in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten die Fastentage, den Mittwoch und den Freitag, nicht fastete.

Wir fasten ebenso nicht, wenn an diesen Tagen ein Fest des Herrn oder der Heiligen Jungfrau Maria oder das Fest des Patrons einer Gemeinde oder einer Gegend zu feiern ist. Es ist ebenso in den späteren Generationen üblich geworden

Freudestrahlend erkundigte er sich, ob Britta sein Geschenk gefal­ len hat. Er hatte ihr wirklich unseren nach Knoblauch stinkenden, alten Knochen vom Abendessen, als wir mit Raby nach Damaskus kamen, in ihren Rucksack gelegt. Sie fand das Päckchen zwei Tage später. Seine Laune ist wieder in Höchstform und Brittas sinkt im­ mer mehr – schließlich will sie hier gar nicht mehr weg. Raby ruft noch an, um sich zu verabschieden und später sogar noch Johanna und Tidora. Ich finde es super, dass meine Familie Britta so ins Herz geschlossen hat. Alle sind traurig, dass sie abreist. Mir geht es auch so. Sie fehlt mir jetzt schon, wir haben so gut zusammen gearbeitet. Viel zu schnell sind wir am Flughafen angekommen. Nach mehreren Küsse und Umarmungen hat sie eingecheckt, noch ein paarmal winken und das war es. Sie ist weg.

zu erlauben, in den Tagen zwischen der Woche nach Weihnachten und dem Epiphaniasfest mittwochs und freitags nicht zu fasten. Das ist die Woche des Gedächtnisses der verstorbenen Priester und die Woche des Gedenkens der übrigen Seelen.

Wir fasten an diesen beiden Tagen, indem wir bis zum Mittag weder essen noch trinken und danach nehmen wir Fastenessen zu uns oder man fastet vom Abend des jeweiligen Tages bis zum Abend des nächsten Tages, so wie es unsere Väter zu Beginn der

Die restlichen 10 Tage arbeite ich meine Einkaufsliste in Ruhe ab und verbringe einige nette Stunden mit meiner Familie - ohne Stress und Hektik.

Christenheit taten.


20.09. MO.

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das fasten in der syrisch-orthodoxen kirche

syrien – deutschland


die fastenzeit zu weihnachten Die Einsetzung des Fastens zu Weih­ nachten geht auf die Zeit vor dem vierten Jahrhundert zurück. Dies wird deutlich durch die Lektüre der Mimre von Mor Ephräm dem Syrer (†373) und seine Madrosche, die er im vierten Jahrhundert verfasst hat. Dieses Fasten wird praktiziert, um vorbereitet zu sein, das Fest der Geburt Christi im Fleisch würdig zu begehen. Und zum Andenken daran, wie wir vor der Geburt unseres Herrn ein Leben im Zustand der Sünde lebten, in der Dunkelheit der Unkenntnis, der Knechtschaft des Teufels und im

04:00 Uhr, Damaskus – Budapest – Düsseldorf:

irdischen Leiden der Schöpfung in der Erwartung erlöst zu werden. Der Erlöser ist geboren und erlöste uns durch seine

Die herrlichen Bilder der letzten Wochen fahren mir immer und immer wieder durch meinen Kopf. Mit einem weinenden Auge nehme ich Abschied von meinen Lieben daheim, mit einem lachenden Auge freue ich mich auf Stefan und zu Hause ...

Fleischwerdung.

Wir fasten dieses Fasten, damit wir an Seele und Körper geläutert werden, damit wir würdig werden das Gedächtnis der Geburt unseres Erlösers, das fleisch­ gewordene Wort Gottes zu feiern, so wie Mose fastete bevor er das geschriebene Wort Gottes, also die zehn Gebote, die Gebote des Alten Testamentes, in Empfang nahm. Früher fastete man vierzig Tage vor Weihnachten. Die Kirche hat diese Fastentage auf 25 reduziert, und dann im Jahre 1946 nach Beschluss der Synode von Homs in Syrien reduzierte sie Patriarch Aphram I. Barsaum auf 10 Tage. Das Fasten beginnt am 15. Dezember und endet am 25. Dezember, am Tage des Festes der Geburt unseres Erlösers.


danksagungen

quellenangabe

meinen dank gilt britta radike, die mich fotografisch und emotional durch meine reise begleitet hat.

Geschichte, Sprache, Schrift und die Religion der Aramäer http://www.aramaeer.de/geschichte.htm 10.11.2004, 16:00 Uhr

augin yalcin, der mir sehr viele bücher und informationen zur verfügung gestellt hat.

http://www.joerg-sieger.de/ einleit/allgem/02gesch/all11.htm 10.11.2004, 18:30 Uhr

jens hannich, der furchtlos die texte überarbeitet hat. meine freunde felicitas pfisterer und uwe hiester, die mir in rhetorischen fragen jeder zeit zur verfügung standen. prof. hilbig, von der fachhochschule dortmund, der mich während meiner diplomarbeit betreut hat. dank an alle, die uns in syrien aufgenommen, beköstigt und geführt haben. und zuletzt einen groSSen dank an meinen mann stefan, der meine launen ertragen musste und mich in schweren tagen auffing.

http://www.oromoye.de/ 11.11.2004, 10:00 Uhr http://www.muenster.de/~s_hanna/ 11.11.2004, 15:30 Uhr http://www.uni-essen.de/Ev-Theologie/courses/ course-stuff/lit-metzger-02vorsess.htm 11.11.2004, 17:00 Uhr http://www.beth-aram.de 12.11.2004, 09:30 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Aramäer#Sprache 12.11.2004, 11:00 Uhr Die Syrisch-Orthodoxe Kirche und die assyrische Universalallianz http://suryoye.com/ Paul Menebröcker, Dechant Ahlen/Westf. 1979 16.11.2004, 13:30 Uhr Hochzeitsrituale bei den ostsyrischen Christen http://www.margabrielverein.de/mitteilung99/ mitteilung94.htm Von: Ursula von Schlieffen, 2005

Das Fasten in der Syrisch-Orthodoxen Kirche Veröffentlicht im Arab. in: The Patriarchal Journal of the Syrian Orthodox Patriarchate of Antioch and All of the East, Nr. 104, (Damascus 1991), S. 178-196. Iwas, Severius Zakka, al-hamamah. ktobo d-yauno l-maphryono bar ‘ebroyo: mukhtasar fi tarwidh alnssak lil-‘alamah Ibn al-Ibri (†1286) tahqiq wa-ta‘rib. [Die Taube: Kompendium zur Leitung der Asketen von Bar Hebräus († 1286)], arab. Übersetzung mit kritischem Kommentar, al-Adib Druckerei, Bagdad 1974. Herausgegeben von der Syrischen Sprachakademie mit einem gekürzten Vorwort von A. Wensinck. Die 2. Auflage erschien von Maktabat as-Sa-eh, Libanon 1981, (nur arabisch) Teil 2, Kapitel 6, S. 113-115. ad-durar an-nafisa fi mukhtasar tarikh alkanisa [Wertvolle Perlen in der kurzgefassten Kirchengeschichte], Homs 1940, S. 404-405. Dekret des Patriarchen Aphram Barsaum von 24. Juni 1938, Homs. Dekret des Patriarchen, herausgegeben am 10. Februar 1966, in: The Patriarchal Journal, Nr. 37, (1966), S. 370. Dekret des Patriarchen, vom Verfaßer herausgegeben anlässlich des vierzigtägigen Fastens, am 17. Februar, 1987, in: The Patriarchal Journal, Nr. 62, (1987), S. 66-71. Vgl. Magallat al-hikmah,

Texte der jeweiligen Klöster Klostereigenen Broschüren. Übersetzungen vom arabischen ins deutsche von Ranja Ristea-Makdisi Kloster Mor Jakob in Salah Von Fr. Dale A. Johnson and Malphono Isa Gülten Übersetzt aus: Mor Yohanon Dolabani, Die Blume der Freude, Libanon 1973


Š2005 ranja ristea-makdisi, dortmund



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