FINISHER Magazin #03 | 2014

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Wissenschaft

Triathlon

als Wissenschaft?

In diesem Jahr geht es für das Dreiergespann Martin Auferbauer (Soziologe), Johannes Reiser (Techniker) und Christian Jopp (Sportwissenschafter) um die Beleuchtung von wissenschaftlich untersuchten und leistungsrelevanten Themen. Dabei steht vor allem die Herangehensweise aus drei völlig verschiedenen Blickwinkeln im Mittelpunkt. Text: Christian Jopp, Martin Auferbauer, Johannes Reiser

In der zweiten Folge beschäftigt uns die Frage: Umfang um jeden Preis? MAG. CHRISTIAN JOPP Sportwissenschafter und Lehrbeauftragter am Institut für Sportwissenschaften Graz.

Im Ausdauersport generell und im Triathlon-Sektor speziell halten sich einige tradierte Haltungen bzw. Überzeugungen hartnäckig. Vor allem herrscht die Überzeugung, dass man unabhängig von der Jahreszeit, der Witterung und der Trainingsphase zwischen dem Oktober des einen Jahres und dem August des anderen Jahres zumindest zweistellige Wochentrainingsstunden-Umfänge erreichen muss. Ruhetage erzeugen einen massiven Anstieg des Stresspegels, und über eine modern strukturierte (und schlussendlich auch befolgte) Trainingsplanung, über eine gezielte Dosierung der Trainingsumfänge sowie über einen gezielten Formaufbau stolpert man nur höchst selten. Außerdem gibt es fast ausschließlich klassische Vier-Wochen-Periodisierungen und die hochstilisierte Vermeidung von Alternativsportarten (außer in den maximal vier Wochen der „trainingsfreien Zeit“ der Off-Season, in der man den Urlaub nachholt, meist im Job Gas gibt, die sozialen Kontakte wieder auf Vordermann bringt und massig Alternativsportarten betreibt). Manchmal erinnert mich die Trainingsgestaltung von Triathleten an den legendären Film mit Bill Murray: „Und täglich grüßt das Trainingsmurmeltier“. Von durch Training erwirkter Leistungsentwicklung ist zumeist ab einem gewissen Saisonzeitpunkt keine Spur, und der Umweg über die Abkürzung der Leistungssteigerung mittels des Dopings durch verbotene Mittel dürfte dann auch manchmal verlockend sein. Durch meine aktive Beteiligung am Sportsektor im vergangenen Vierteljahrhundert habe ich die Überzeugung gewonnen:

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Grundsätzlich müssen der Gesundheitszustand, die Konstitution und die Körperzusammensetzung für die Sportart tauglich und belastbar sein. Zusätzlich muss die organische Komponente Entwicklungspotenzial besitzen und der Sportler muss das berühmte „G’spür“ für den eigenen Körper mitbringen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, dann reichen acht Nettostunden Training pro Woche im Jahresschnitt für ausgezeichnete Leistungen über die Olympische Distanz, zehn Stunden für die Mitteldistanz und zwölf Stunden für die Ironman-Distanz. MAG. MARTIN AUFERBAUER Soziologe und Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Steiermark und Karl-Franzens-Universität Graz.

Allzu oft hört man von eisernen Männern (seltener auch von ebensolchen Frauen), die sich in Vorbereitung auf ihre herkulischen Aufgaben stählen: dabei wird von sagenhaften Trainingsumfängen von dauerhaft 20 Stunden und mehr pro Woche berichtet, die sich auf mindestens zehn wöchentliche Trainingseinheiten verteilen. So wird jeder Arbeitstag von zwei soliden Bewegungseinheiten eingerahmt, gemäß dem althergebrachten Prinzip „Mehr ist mehr!“. Gerade in Hinblick auf den Hobbysport darf man dies mit gelassener Heiterkeit betrachten. Vielleicht gibt es tatsächlich Personen, die das dauerhaft aushalten können und deren Gemüt ebenso duldsam ist wie der eigene Körper und das soziale Umfeld – vielleicht haben wir es aber mit einer spätmodernen Form des Jägerlateins zu tun, das wenigstens den diversen Wildtieren im Wald und auf der Heide keinerlei Unheil beschert. Eine mögliche Erklärung wäre auch in der unterschiedlichen Wahrnehmung zu finden, zumal sich die Interpretationen von „Trainingszeit“ stark unterschei-


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