Thorsten-Durbahn-Story - FASTBIKE 0310

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Thorsten durbahn


„Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, dass es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde.“ Immanuel Kant, 1793

Text  Ralf Steinert  Bilder  Julia Wallstab

Die Kritik der reinen Vernunft.


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Seinen Namen kennt jeder rennsportbegeisterte Motorradfahrer, seine Produkte   besitzen wenige. Über die Person Thorsten Durbahn gehen die Meinungen auseinander: Vom Genie bis zum Scharlatan, vom Pegeltrinker der Delta-Klasse   bis zum querdenkerischen Tuning-Philosophen scheint alles vorhanden zu sein.   Dabei ist es gar nicht so wichtig, wer er ist. Viel wichtiger ist, wie er denkt.

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horsten Durbahn hasst Fliegen. Die Decke seiner Werkstatt im ländlichen Umfeld Hamburgs ist vollgenagelt mit Fliegenstrips, deren lethale Trefferquote von jungfräulich-unschuldig bis zum überfüllten Massengrab reicht. „In der Philosophie gibt es die Ansicht, dass man ein Tier töten darf, wenn es Deine Haut berührt und damit die Grenze verletzt“, sagt Durbahn. Darüber, welcher große Philosoph dies gesagt haben soll, lässt er mich im ­Unklaren – es hört sich auch irgendwie nach selbstgezimmerter Rechtfertigung für einen Insekten-Genozid an. Die besonders hartnäckigen Brummer erledigt Durbahn manuell und höchstpersönlich, in dem er sie mit einer ungeladenen Paintball-Pump-Action-Knarre während des Überflugs pneumatisch an die Decke nagelt. Null Chance für ein Insekt, auch nur in die Nähe von Durbahns Haut zu gelangen. Ich lasse meinen Blick durch die Werkstatt streifen. Alle Abteilungen eines modernen Tuning-Betriebs sind vorhanden: ElektronikCompartment mit Laptop, Messgeräten und Versuchsanordnungen, Schrauber-Areale mit Hebebühnen, Teilelager, Versandabteilung, Cafeteria – allerdings fehlen trennende Wände, die Übergänge sind fließend wie in einem Hundertwasser-Haus. Abteilungs-übergreifendes Element ist der gleichförmig beige-graue Schleifstaubüberzug auf dem gesamten Inventar – die Abteilung „Bodywork & Shaping“ ist nämlich ebenso offen integriert und wird rege genutzt.

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Wir trinken ein paar Tassen Kaffee und rauchen ein paar Zigaretten. Eigentlich hatte ich einen verschrobenen, maulfaulen Schrauberfreak erwartet und bin positiv überrascht. Durbahn ist kommunikativ und wohnt anscheinend nicht einsam in einem Fass. Als wir jedoch an den hochkarätigen Motorrädern vorbeischlendern, die entstellt und ausgebeint auf ihren Grip-Montagebühnen ruhen, wird es etwas unangenehm für mich. Denn während es normalerweise ausreicht, ein paar Fragen zu stellen, aufmerksam der Antwort zu lauschen und sie gegebenenfalls zu hinterfragen, ist es Durbahn, der mir Fragen stellt und sie selbst beantwortet – weil ich es nicht kann. Auf diese Weise zerrt er mich im Affentempo durch seine Argumentationsketten.

Die wahre Lehre des Rennsports.

„Nimm ein aktuelles Supersport-Motorrad, wie es im Laden steht. Es wurde konstruiert, um möglichst vielen Anforderungen möglichst gut zu entsprechen. Es muss in der ganzen Welt zulassungsfähig sein und auch überall dort funktionieren. Es dient seinen Käufern als Alltagsbike auf dem Weg zur Arbeit, auf der Urlaubsreise in den Alpen und auf dem Kringel bei Renntrainings. Ein einziger großer, aber natürlich erfolgreicher Kompromiss.“ Durbahns Freundin Parissa öffnet die Werkstatttür. Zwei große, junge Rigdebacks toben herein und begrüßen uns stürmisch. Sie ahnen offensichtlich nichts von der Sache mit der Haut. „Wenn ich aus


To be continued: Die Arbeit an der teuersten Serien-Ducati ist Herausforderung und Prestigeobjekt. Die ersten Ergebnisse machen uns das Warten auf den ersten Roll-out dieser „wahren“ Desmosedici fast unerträglich.

solch einem Motorrad ein pures Trackday-Bike bauen will, reicht es nicht, einen Racing-Auspuff und eine andere Verkleidung dran zu bummeln. Ich muss ich mir zwangsläufig einige Fragen stellen: Was soll ich mit einem 17-Liter-Tank, wenn ich sowieso nur ein paar Liter Sprit für die nächste Session brauche? Wozu eine Lichtmaschine samt schwerer Batterie, wenn es ultraleichte und leistungsstarke Batterien gibt, die in einer Viertelstunde wieder geladen sind? Was ist mit den Kühlerventilatoren, dem Thermostat, dem Sicherungskasten? Alles überflüssiges Zeug, wenn Du nur 20 Minuten lang schnelle Runden durchziehen willst. Was soll ich mit einem derart schweren Schwungrad?“ Mein zaghafter Einwand wird im Keim erstickt. „Wie oft stehst Du während eines Turns auf der Rennstrecke im Standgas rum?“ Durbahn verfolgt die wahre Lehre des Rennsports: Was nicht da ist, wiegt nichts, braucht nicht getunt werden und geht nicht kaputt.

Brainfuck statt Teileorder.

Seine Arbeitsweise ist unkonventionell. Ein neues Projektbike wird aufgebahrt, auseinander gerissen, als Ganzes analysiert, jedes einzelne Teil kritisch betrachtet. Tage, Wochen, unter Umständen monatelang dauert es, bis das Konzept klar ist. Oder auch nicht – falls sich das betreffende Gerät konstruktiv oder finanziell als nicht tuningfähig erweist. Es gibt kaum ein Regal, in das Thorsten Durbahn greifen könnte. Die meisten Teile entstehen in seinem Kopf und werden von seinen Händen geschaffen: ein kleiner, ultraleichter Carbon-Tank mit integrierter Einspritzeinheit, der sich zwischen die beiden Ducati-Zylinder schmiegt. Spezielle Verkleidungshalter-/Lufteinlass-Geweihe. Kleine, zuverlässige Sensoren mit LED-Funktionsanzeige, selbstgegossen in alten Joghurt-

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To do: Wenn die Arbeit an den Bikes mal unzureichend inspiriert, hat ein Sonderauftrag für die örtliche Glitschbude schon mal Prio 1. To take-away: Das Ducati-Monocoque ist das neue Durbahn-Fertigprodukt.

Durbahn über E-Bikes:

„Meine Eckdaten für ein vernünftiges E-Racebike sind 150 kg, 130 kW und Kapazität für 20 Minuten Racing. Da bist Du ungefähr bei 23 Ampere, das ist ordentlich. Wie gross und wie schwer soll bitteschön der entsprechende Akku sein? 5% davon gehen als Abwärme weg. Einen gekühlten Regler dafür habe ich mal vorsichtig mit 28 kg berechnet. Dazu kommt noch die erheb­liche Gefahr, die von so einem Akku ausgeht, der sich im Sturzfalle vielleicht schlagartig entlädt. Alles in allem glaube ich nicht, dass das Motorrad das geeignete Versuchsfeld für adäquate elektrische Fortbewegung ist. Nicht in den nächsten 15 Jahren.“


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Man muss nur wollen: Beim Umbau von Vergaserbetrieb auf Einspritzung wurde das Impulsgeberrad durch das Aufschweißen eines zusätzlichen Impulses Motec-tauglich gemacht.

Hilfsmotor im wahrsten Sinne des Wortes: Bei Durbahn muss für Grundabstimmungen und Tests nicht unbedingt ein Verbrenner laufen. Der E-Motor mit angeschlossener Peripherie tut‘s auch.

bechern. Winzige, riemengetriebene Hochleistungs-Limas. Sogar Ducatis sündhaft teure Ikone Desmosedici wird komplett reworked: Der respektlose Hamburger verpasste ihr ein neu gestaltetes Monocoque samt neuem Tank, Airbox, neue Elektronik inklusive Traktionskontrolle, eine Fußrastenanlage, und vieles andere mehr. Gewichtsersparnis der Durbahn D16: ca. 40 kg an den richtigen Stellen. Die wahre Desmosedici. Durbahn: „Meine Rastenanlage hängt nicht am Heckrahmen, sondern an der Schwingenaufnahme, mit neuer Titan-Schwingenachse. Sie kann mit meinem und auch dem OEM-Monocoque gefahren werden, ist deut-

lich leichter, wackelt nicht so rum und zerstört im Sturzfall nicht das ganze Monocoque. Ist Dir eigentlich aufgefallen, dass die Originalteile noch nicht einmal in einem einheitlichen Rot lackiert sind?“. Nein, ist mir nicht. Durbahn lebt von der Vervielfältigung seiner Einzelstücke. Braucht er Geld, verkauft er halt seine genialen Erfindungen in Serie im eigenen Onlineshop. Und verkauft dort Produkte, die er nach eigener Beurteilung und ausgiebigem Testen für würdig erachtet: Brembo, ISR, PVM und natürlich MoTeC. Und Bel-Ray EXR. Bel-Ray? Durbahn ist wahrscheinlich der einzige, der mir das schaumige Harley-Öl in den Motor gießen dürfte.

Digitale Weite ohne Langeweile.

Durbahn über Rennsport:

„Ich habe öfter mal Anfragen von Rennteams wegen Motec-Programmierung, Datalogging und -analyse. Aber wer soll das bezahlen, wenn ich die ganze Saison da rumhänge? Ausserdem reise ich ungern.“

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Telefon für Durbahn. Er grinst breit, als er wieder auflegt. Er müsse morgen nach Dubai fliegen, sagt er. Ein Jetski-Raceteam steckt in Schwierigkeiten: Elektronikprobleme und bald ist das Rennen. Sie kommen mit dem Motec M800 Steuergerät nicht zurecht. Durbahns Spezialität. „Keinen Plan, wie lang so ein Wasserding ist. Ich nehme einfach mal drei Meter Kabelbaum mit.“ Solche Aufgaben reizen den 42jährigen, dessen allergrößter Feind die Langeweile ist. Mit einfachem Anschrauben von Zubehörteilen ist sein Erfindergeist unterfordert. „Man kann mich nicht kaufen. Ein Projekt muss mich reizen, sonst mache ich es nicht.“ Durbahn-Kunden scheinen weder finanziell noch terminlich unter Druck zu stehen. Durbahn langweilt sich schnell. Vor einigen Jahren rüstete er seine Honda RC30 per Motec 800 von Vergaser auf Einspritzbetrieb um, indem er die Drosselklappenkörper einer 99er GSX-R 750 in eine leichte, selbstgefräste Einspritzbrücke steckte und die ganze Angelegenheit dem legendären V4 statt seinen Keihin-Gleichdruckvergasern zum Fres-


Durbahns „Rangfolge der Würdigkeit von einzusparendem Gewicht“: 1  2  3  4

rotierende UND ungefederte Masse (Räder/Bremsscheiben) rotierende, ABER gefederte Masse (Kupplung/Lima etc.) statische, ABER ungefederte Masse (Bremsen, Achsen) statische UND ungefederte Masse (der ganze Rest)

noch unterteilt nach: A  B  C  D  E

Abstand vom Zentrum des Schwerpunktes Abstand vom Boden Raumgewicht Möglichkeit an Gewichtsersparnis Möglichkeit der Änderung der Position des Gegenstandes

Noch Technik oder schon Fetisch? Bei Fremdprodukten greift Thorsten Durbahn ausschließlich zur Boutiqueware.

Pragmatismus: Den Bugspoiler-Prototyp für die Desmosedici hat der Hamburger Genius direkt in zwei Ausführungen hergestellt. Die harmonischere Version wird final produziert – in diesem Falle die der rechte Seite.

sen vorsetzte. „Alle Teile waren montiert und ich hatte ein einfaches Kennfeld geschrieben, von dem ich dachte, dass es einigermaßen funktionieren könnte. Es war abends, mein Kumpel Peter und ich hatten ein paar Kästen Bier kaltgestellt und freuten uns auf eine gemütliche, durchschraubte Nacht. Ich drückte also etwas nervös auf den Startknopf, aber die Honda sprang sofort an und lief rund. Das war’s. Halbe Stunde. Irgendwie war ich fast ein bisschen enttäuscht.“ Sein elektronisches Ritalin hat der unruhige Geist in den Produkten der australischen Race-Elektronikfirma MoTeC gefunden. Engine-Management, Datenlogging mit bis zu 200 Kanälen, Datenanalyse-Software, Traktionskontrolle, GPS, Sensoren überall – alles geht. Die große Freiheit abseits von St. Pauli. Funktionen, Relationen und Ergebnisse schwarz auf weiß auf dem Monitor zu sehen, macht Durbahn glücklich. Rasant klickt er sich durch die verschiedenen Screens: „Schau hier, eine 4-D-Tabelle. Benzindruck und Sprittemperatur kompensiert. Und hier!“ Etwas atompilz-artiges erscheint auf dem Laptop. „Grafische Darstellung aller Loggingdaten. Du kannst sofort und auf einen Blick sehen, wie sich das Gemisch verhält. Neigt sich die Wolke nach rechts oder links, läuft der Motor zu mager oder zu fett.“ Für seine Programmierarbeiten muss Durbahn noch nicht einmal einen Motor laufen lassen: ein geregelter Elektromotor mit aufgestecktem Zündrotor und Geber simuliert eine drehende Kurbelwelle. Meterlange, 60-adrige Kabelbaumstränge umwickeln ein klappriges Holzregal, kommen hier und da wieder raus, verschwinden wieder im Krempel und verbinden Sensoren, Laptop, ein verstaubtes Oszilloskop und Benzinpumpe. „Da hinten läuft der Sprit raus.“ Der Aufbau erinnert optisch an die Konstruktionen bei Wallace & Gromit, funktioniert aber einwandfrei. „Da

hinten“, da wo der Sprit rausläuft, ist übrigens der Ort, wo jede Menge originale und neuwertige RC30-Teile rumliegen. So mancher Enthusiast würde dafür seine Kinder verkaufen. Ohne zu zögern.

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Der Glaube an den Unglauben.

Was ist es denn nun, was Thorsten Durbahn so einzigartig macht? Vielleicht ist es die Mischung aus Skepsis, Pragmatismus, Kompromisslosigkeit und extremen Forschungsdrang. Der Hamburger glaubt an nichts, wenn er der Sache nicht selbst auf den Grund gegangen ist und greifbare Zahlen vor sich sieht. Dabei scheut er keine noch so großen Mühen und zermartert sich lieber das Hirn, als dass er etwas Subjektives zugrunde legen würde. Durbahn eliminiert sämtliche Schranken im Kopf. Die Hunde jammern und wir begleiten Thorsten und Parissa auf einen Spaziergang. Es ist ein schöner, sonniger Märznachmittag und wir plaudern ein bisschen auf einem Baumstamm, während die kleine Hündin den tapsigen Rüden immer wieder ins Leere laufen lässt. „Ich mag die Tests nicht, die Ihr Motorradzeitschriften so durchführt. Zu subjektiv, Ihr lasst Euch beeinflussen von den Produktbeschreibungen der Hersteller und testet rein nach Gefühl. Ihr beschreibt nur Wahrnehmungen. Vernünftiges Datalogging und Analyse sind das Einzige, was wirklich zählt. Das ist so ähnlich wie mit so manchem Carbonteil. Man nimmt an, dass es leichter ist, weil es aus Carbonfaser besteht. Aber in Wirklichkeit ist es getränkt mit Gelcoat und tonnenschwer. Man muss schon nachwiegen und vergleichen.“ Einen Augenblick überlege ich zu fragen, ob wir ihn und sein Wallace-&-Gromit-Labor ab und zu buchen dürfen. Aber ich verkneife es mir. Das würde ihn langweilen.


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