OEFG 2017

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ÖFG

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Illustration: Georg Feierfeil / www.schorschfeierfeil.com

DAS MAGAZIN DER ÖSTERREICHISCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT

JUBILÄUM: 40 JA HR E ÖFG. BUSEK, NEISSER , M A HR ER , SPIEL , TÖCHTER LE


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EDITORIAL LIEBE LESERINNEN LIEBE LESER!

as 40-jährige Jubiläum der ÖsterreichiD schen Forschungsgemeinschaft haben wir zum Anlass genommen, um in dieser Aus-

gabe unseres Magazins nicht nur verdienstvolle Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter der ÖFG zu Wort kommen zu lassen (Seite 4–7), sondern neben einer Zwischenbilanz auch einen Blick in die Zukunft (Seite 8–11) zu wagen.

Veranstaltungsbericht (Seite 26–27) finden Sie zu diesem Thema Interviews mit Martin Ebner und Friedrich Hesse (Seite 28–29). Karlheinz Töchterle, Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft

Wie auch in den letzten Ausgaben haben wir den Bund (Seite 14–15) und auch die Länder (Seite 18–23) zu ihren aktuellen Wissenschafts- und Forschungsprojekten befragt. Auch Klement Tockner, den Präsidenten des FWF, baten wir zum Interview (Seite16–17). Bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses geht es der Österreichischen Forschungsgemeinschaft besonders darum, die Begabung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Übergangsphase zwischen dem Abschluss einer wissenschaftlichen Ausbildung und einer gesicherten Beschäftigung zu unterstützen. In unserer Rubrik „4 aus 300“ (Seite 24–25) präsentieren wir in diesem Zusammenhang die Projekte von vier ausgewählten Stipendiaten unseres Förderprogramms „Internationale Kommunikation“. Der diesjährige Workshop bei der ÖFGTagung in Baden hat sich den Herausforderungen der Hochschuldidaktik im Zeitalter der Digitalisierung gewidmet. Neben einem

Neben der Organisation von hochschulpolitischen Workshops richtet die ÖFG interdisziplinär und universitätsübergreifend angelegte Arbeitsgemeinschaften ein – wir haben die Leiter der Arbeitsgemeinschaften zu ihren Aktivitäten und Forschungszielen befragt (Seite 30–32). Besonderes Augenmerk gilt dem diesjährigen Wissenschaftstag, der sich dem Thema „Automatisierung: Wechselwirkung mit Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft“ aus unterschiedlichen Disziplinen annäherte (Seite 33–47).

Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: Österreichische Forschungsgemeinschaft, Berggasse 25/21, 1092 Wien Tel. +43/1/319 57 70 E-Mail: oefg@oefg.at Druck: Fairdrucker GmbH

Der inhaltliche Bogen spannt sich von automatisierter Komposition über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Automatisierung, High Frequency Trading, automatisierte Rechtsurteile bis zur Medizin. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und freuen uns, Sie bei den nächsten Veranstaltungen der ÖFG begrüßen zu dürfen! Ihr KARLHEINZ TÖCHTERLE

DIE ÖFG IST EINE FORSCHUNGSFÖRDERUNGSEINRICHTUNG, GETRAGEN VON BUND UND LÄNDERN

Foto: Parlamentsdirektion/Photo Simonis

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Fotos: Privat, Uni-Innsbruck, Vouk, Kolarik, Sissy Furgler, Barbara Mair/Universität Wien, Universität Wien, MedUni Wien / F. Matern, Martin Hasenöhrl, Universität Wien

DER WISSENSCHAFTLICHE BEIR AT DER ÖFG

Walter Berka, Univ.-Prof. für Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Uni Salzburg

Hans Goebl, Univ.-Prof. em. für Romanische Sprachwissenschaft, Uni Salzburg

Bernhard Jakoby, Univ.-Prof. für Mikroelektronik, Uni Linz

Wolfgang Kautek, Univ.-Prof. für Physikalische Chemie, Uni Wien

Gottfried Magerl, Univ.-Prof. em. für Elektrotechnik, Technische Uni Wien

Brigitte Mazohl, Univ.-Prof. für Österreichische Geschichte, Uni Innsbruck

Reinhard Neck, Univ.-Prof. für Volkswirtschaftslehre, Uni Klagenfurt

Oswald Panagl, Univ.-Prof. em. für Sprachwissenschaften, Uni Salzburg

Heinrich Schmidinger, Univ.-Prof. für Philosophie, Rektor der Uni Salzburg

Ursula SchmidtErfurth, Univ.-Prof. für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien

Christiane Spiel, Univ.-Prof. für Bildungspsychologie und Evaluation, Uni Wien (Beiratsvorsitzende)

Hans Tuppy, Univ.-Prof. em. für Biochemie, Uni Wien, ehem. Wissenschaftsminister

Werner Waldhäusl, Univ.-Prof. em. für Innere Medizin, MedUni Wien

Susanne WeigelinSchwiedrzik, Univ.-Prof. für Sinologie, Uni Wien

I N H A LT 40 JAHRE ÖFG

Rückblicke und Ausblicke von Erhard Busek, Heinrich Neisser, Karlheinz Töchterle, Christiane Spiel und Bundesminister Harald Mahrer SEITE 4–15

UNTERBAU FESTIGEN

Klement Tockner, Präsident des FWF, im Gespräch über Forschungsförderung in Österreich SEITE 16–17

DIE BUNDESLÄNDER

Die Forschungsförderung und die Ziele der Wissenschaftspolitik in den Bundesländern SEITE 18–23

NACHWUCHSFÖRDERUNG

Von der ÖFG unterstützte WissenschaftlerInnen SEITE 24–25

HOCHSCHULDIDAKTIK IM VIRTUELLEN R AUM

Das Thema der diesjährigen Badener Tagung der ÖFG.

Interviews zu E-Learning mit den Experten Martin Ebner SEITE 26–29 und Friedrich Hesse

ARGE DER ÖFG

Aus den ARGE „Zukunft der Demokratie“, „Kulturelle Dynamiken“, „Bildung und Ausbildung“ S E I T E 3 0 – 3 2

ÖSTERREICHISCHER WISSENSCHAFTSTAG

Interviews zum Thema „Automatisierung“: Digitale Musikproduktion S E I T E 3 4 – 3 5 Wirtschaftliche und soziale Folgen SEITE 36–37 High Frequency Trading an den Börsen SEITE 38–39 Automatisierung des Rechts SEITE 40–41 Digitale Technologien in der Medizin SEITE 42–43 Sicherheit im Internet SEITE 44–45 Resiliente Gesellschaft SEITE 46–47

PUBLIKATIONEN

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Engagement bei aktuellen Themen Die G E S C H I C H T E D E R Ö F G ist von Internationalität und Interdisziplinarität geprägt. In Zukunft kommt auch ein stärkerer Fokus auf die Bundesländer hinzu VON SOPHIE HANAK

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ls die Österreichische Forschungsgemeinschaft 1977 mit dem damaligen Salzburger Landeshauptmann Hans Lechner als erstem Präsidenten gegründet wurde, war das vorrangige Ziel, der Forschungspolitik und somit der Forschungsförderung in Ös-

Hans Lechner, im Gründungsjahr der ÖFG 1977 Landeshauptmann von Salzburg und erster ÖFG-Präsident

terreich neue Impulse zu geben. Mit der Unterstützung von Bund und Ländern fördert die ÖFG bis heute Forschungsvorhaben und die Vernetzung von WissenschaftlerInnen. „Schon seit ihrer Gründung bietet die ÖFG ein Diskussionsforum für wissenschaftliche sowie gesellschaftliche Fragen mit der Absicht, Brücken zwischen den unter-

Foto: Nora Schuster / Imagno / picturedesk.com

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schiedlichsten Disziplinen zu schlagen“, sagt Werner Waldhäusl, Professor em. für Innere Medizin und seit 1981 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der ÖFG. Schwerpunkt Vernetzung In den frühen 1980er Jahren hat die ÖFG versucht, Forschungsprojekte materiell zu fördern. Doch das Budget reicht dafür nicht aus. So hat man sich auf andere Bereiche spezialisiert und begonnen, die Vernetzungen von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen zu fördern. Dazu sind Arbeitsgemeinschaften gegründet worden, die bis heute eine Plattform für den interdisziplinären Diskurs darstellen. Sie stehen unter der Aufsicht des wissenschaftlichen Beirats der ÖFG und befassen sich mit aktuellen Fragestellungen. Seit 1986 können Einzelprojekte nur noch dann gefördert werden, wenn sie thematisch zu einer dieser Arbeitsgemeinschaften passen. Von diesen werden sie dann koordiniert. Schon von Beginn an ist eine Vielzahl an Veranstaltungen und Seminaren zu aktuellen Fragen abgehalten worden. Dabei kommt dem jährlich um den Nationalfeiertag stattfindenden Österreichischen Wissenschaftstag besonderes Gewicht zu. „Sowohl die Arbeitsgemeinschaften als auch der Wissenschaftstag verfolgen eine ähnliche Linie: Sie greifen zeitgerechte Themen auf, etwa Migration“, erklärt Waldhäusl. So werden Fragestellungen behandelt, die im Alltag der Universitäten und in der Forschungspolitik zu wenig Platz finden. Von den frühen 1980er Jahren bis in die 1990er Jahre hinein galt das Augenmerk historischen Themen. Emil Brix leitete damals die Arbeitsgemeinschaft „Wien um 1900“. „Sie wurde gegründet, weil wir der Überzeugung waren, dass die enorme Kreativität Wiens vor dem Ersten Weltkrieg auch in Österreich ein zentrales Forschungsthema werden sollte“, sagt Brix.

Emil Brix, Direktor der Diplomatischen Akademie, war Generalsekretär der ÖFG und ist Mitglied des Präsidiums

Werner Waldhäusl, Mediziner und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der ÖFG

DIE ARBEITSGEMEINSCHAFTEN DER ÖFG BIETEN INTERDISZIPLINÄREN DISKURS

Fotos: Privat

„Es war eine sehr aufregende Erfahrung. Wir wollten eine internationale Diskussion über ein österreichisches Thema und über das, was Wien um 1900 ausgemacht hat, etwa Pluralität, Mehrsprachigkeit und Migration.“ Publikationen und Präsentationen Brix war von 2000 bis 2010 Generalsekretär der ÖFG. Seit 2010 ist er Mitglied des Präsidiums und nun Direktor der Diplomatischen Akademie. Er hat Anglistik und Geschichte an der Universität Wien studiert.

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„Die Idee dieser Arbeitsgemeinschaft war, einem jungen Wissenschaftler, der politisch interessiert ist, die Aufgabe zu geben, sich ein Team von freiwilligen MitarbeiterInnen zu suchen, mit dem Versprechen, transdisziplinär forschen zu können. Hieraus sind zahlreiche Publikationen und Präsentationen entstanden. Die Arbeitsgemeinschaften sind wirklich ein tolles Modell, mit dem transdisziplinäre Forschungsimpulse gegeben werden können.“ Auszeichnungen und Preise „Für mich stellen vor allem die Auszeichnungen der ÖFG ein Highlight dar. Etwa der Ludwig-Wittgenstein-Preis. Er wurde immer wieder an große ForscherInnen für ihr Lebenswerk vergeben“, erklärt Brix. Der erste dieser Preise für ein Lebenswerk ging 1988 an Ernst Grombrich, einen der weltweit angesehensten Kunsthistoriker. „Ich erinnere mich noch daran, als Carl Schorske, der Doyen der Forschung über Wien um 1900, den Wittgenstein-Preis bekommen hat. Ein für ihn wie für uns alle sehr bewegender Moment.“ Brix selbst wurde für seine Dissertation zur Frage der Umgangssprachen in der Habsburger Monarchie 1983 der Anton-Gindely-Preis verliehen. Er wurde von 1979 bis 2010 vergeben und noch einmal im Jahr 2012. Verliehen wurde er vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und sollte jene WissenschaftlerInnen auszeichnen, die durch ihre Arbeit einen besonderen Beitrag zur gemeinsamen Verständigung im Donauraum leisten. Auch für Werner Waldhäusl waren die Wissenschaftstage und die Verleihung der Preise maßgebend. „Als meine persönlichen Highlights während meiner Zeit bei der ÖFG würde ich sicherlich die Wissenschaftstage zur Universitätsreform und zur Qualität der Universitäten zählen sowie die Verleihung der Ludwig-Wittgenstein-Preise der ÖFG, unter anderem an den Biochemiker Oleh Hornykiewicz, einen der verdienstvollsten Grundlagenforscher mit klinischer Konsequenz“, sagt Waldhäusl. Oleh Hornykiewicz ermöglichte durch seine Forschung die Therapie der Parkinson-Krankheit. In Zukunft möchte sich die ÖFG mit den eigenen Veranstaltungen noch stärker in gesellschaftlich relevanten Fragestellungen engagieren. Sie will sich auch vermehrt in regionale und kommunale Diskurse einbringen, um so die Aktivitäten in den Bundesländern zu verstärken. Die ÖFG möchte weiterhin jene Bereiche der Forschung fördern, die von anderen, größeren Institutionen nicht unterstützt werden können.

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Sich der Öffentlichkeit erklären Darin sieht ÖFG-Gründer Erhard Busek eine A U F G A B E D E R W I S S E N S C H A F T, um mehr Interesse der Bevölkerung an Wissenschaft und Forschung zu wecken noch jede Menge zu tun. Denn meines Erachtens werden die vorhandenen Kapazitäten noch nicht voll ausgenützt. Außerdem ist ein Mehr an Qualität notwendig.

VON DIETER HÖNIG

Herr Busek, was war Ihre Intention bei der Gründung der ÖFG? Erhard Busek: Als Wissenschaftssprecher der ÖVP wurde ich gefragt, warum die SPÖ die Boltzmann-Gesellschaft habe, die ÖVP aber kein vergleichbares Instrument. Es gab Förderungen der ÖVP-Bundesländer, aber keine gemeinsame Strategie. So wurde ich von vielen WissenschaftlerInnen gedrängt, eine Gründung vorzunehmen, um vor allem Themen zu behandeln, die bei der BoltzmannGesellschaft kaum vorkamen. Das waren vor allem Geisteswissenschaften. Gab es zu Anfang Schwierigkeiten? Busek: Natürlich war es am Anfang schwierig. Vor allem Geld zu bekommen und Prioritäten zu setzen. Es gab aber eine Gruppe von Professoren, die sehr hilfreich waren und vor allem versucht haben, ein qualitatives Verfahren zu entwickeln und politische Interventionen abzuschirmen. Von der damaligen SPÖ-Regierung waren keine Mittel zu bekommen. Doch als Wiener Vizebürgermeister gelang es mir, zur Kompensation der Boltzmann-Finanzierung Geld von der Stadt Wien zu bekommen. Die übrigen Schwierigkeiten bestanden in der Beschaffung eines Büros und vor allem in der Gewinnung ehrenamtlicher MitarbeiterInnen. Wie hat die Forschungslandschaft ausgesehen? Busek: Vor vierzig Jahren war sie sehr bescheiden entwickelt und hatte relativ wenige Schwerpunkte. Es gab keine Koordination, auch keine europäischen oder internationalen Verflechtungen und keine breite öffentliche Diskussion. Themen mit Publikumswirksamkeit wie Krebs waren zwar geeignet, um Mittel aufzutreiben, doch war dies an einzelne Forscher gebunden und wurde nicht besonders systematisch betrieben. Die heutige Forschungslandschaft unterscheidet sich von der damaligen vor allem durch die Rolle der beiden Forschungsförderungsfonds, der Akademie der Wissenschaften und der europäischen Verflechtungen. Mittlerweile spielt auch die internationale Kooperation eine ganz entscheidende Rolle, ebenso wie die Bewertung durch Rankings. Es bleibt allerdings

Erhard Busek, ehemaliger Vizekanzler, Wissenschaftsminister und Mitbegründer der ÖFG

Wie können Forschungsgemeinschaften und Politik in Österreich ein forschungsfreundlicheres Klima schaffen? Busek: Das unfreundliche Klima ist die Folge eines zu langen Verweilens im Elfenbeinturm sowie der Unfähigkeit, die Relevanz der Forschung in der Öffentlichkeit zu erklären. Das verlangt eine Sprache, die allgemein verständlich ist, die Bedeutung von Forschung für die Zukunft herausarbeitet und mit der Öffentlichkeit auf Augenhöhe kommuniziert. Denn nur so entsteht der notwendige Druck auf die Politik. Das verlangt allerdings auch von der Forschung, ihre Prioritäten zu formulieren und primitive Konkurrenzkämpfe hintanzuhalten. Hier versuchte die ÖFG durch Aktivitäten wie Forschungstage, Wissenschaftskonferenzen und Preisvergaben wie etwa den Gindely-Preis wertvolle Akzente zu setzen. Was wäre zu tun, um Top-WissenschaftlerInnen ins Land zu ziehen und diese auch hier zu halten? Busek: Es sind immer wieder die Rahmenbedingungen, die im Vergleich mit ausländischen Gegebenheiten bei uns einfach nicht stimmen. Wobei es hier nicht nur um die Ausstattung der Einrichtungen sowie die langfristige Garantie der Finanzierung geht, sondern auch um Bemühungen bezüglich der persönlichen und familiären Situation von ForscherInnen wie etwa die Beschäftigung von Ehegatten. In welchen Disziplinen könnte es uns am ehesten gelingen, zur Weltspitze aufzuschließen? Busek: Historischen Leistungen folgend, wäre das natürlich die Medizin, aber auch eine Reihe von naturwissenschaftlichen Fächern. Und selbstverständlich die Technik! Mit Sorge beobachte ich allerdings die Schwächung in einigen geisteswissenschaftlichen Fächern wie den Geschichtswissenschaften und der Psychologie. Für Weltklasseforschung bräuchte es die Fähigkeit eines Systems, Begabungen zu erkennen und unbürokratisch zu fördern.

Foto: Manca Juvan

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Gespräche bringen Ideen Meint der langjährige ÖFG-Präsident Heinrich Neisser und sieht die Unterstützung bei K O M M U N I K AT I O N U N D P U B L I K AT I O N als wesentliche Aufgabe der ÖFG VON CLAUDIA STIEGLECKER

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ls es 1977 zur Gründung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft kam, war das ein Novum: Erstmals wurde Geld für Forschung und Wissenschaft nicht nur von Seiten des Bundes zur Verfügung gestellt. Auch die Länder verpflichteten sich, Beiträge zu leisten. „Die ÖFG hat damit versucht, Forschungsförderung in einem erweiterten Sinn zu leisten“, sagt Heinrich Neisser, ehemaliger ÖFG-Präsident und bei der Gründung schon als einfaches Mitglied dabei. „Diese Grundstruktur ist bis heute aufrecht geblieben.“ Der Jurist, Politikwissenschaftler und ehemalige ÖVP-Politiker trat das Amt des Präsidenten der ÖFG im Jahr 1989 an. „Ich war schon immer interessiert an Fragen der Wissenschaftspolitik. Aufgabe der ÖFG ist, der Forschung Impulse zu geben – das habe ich für Österreich als notwendig erkannt.“ Vierundzwanzig Jahre als Präsident sind es für Heinrich Neisser geworden. Jahre, die er nicht bereut: „Ich würde mich abermals dafür entscheiden.“ Eine interessante Zeit sei es gewesen, sagt er, geprägt von planerischen und organisatorischen Herausforderungen ebenso wie von Veränderungen. „Mitte der 1980er Jahre hat die österreichische Forschungslandschaft begonnen, sich zu wandeln. Einerseits nach innen durch eine Organisationsreform, die paritätische Mitbestimmung der Universitätsangehörigen eingeführt hat. Anderer-

Heinrich Neisser, ehemaliger Zweiter Präsident des Österreichischen Nationalrats und Präsident der ÖFG von 1989 bis 2013

Foto: Parlamentsdirektion / Carina Ott

DIE UNTERSTÜTZUNG JUNGER WISSENSCHAFTLERINNEN IST EIN ÖFG-ANLIEGEN seits nach außen durch die Internationalisierung der Wissenschaft.“ Ein Erfordernis, das der EU-Beitritt Österreichs im Jahr 1995 noch verstärkt hat: „Um mithalten zu können, mussten wir uns an den umfangreichen Forschungsprogrammen der Europäischen Union orientieren. Auch die Konkurrenz hat sich im Bereich Forschung und Wissenschaft durch den EU-Beitritt verstärkt.“ Ein großes Anliegen sei immer schon die Unterstützung junger WissenschaftlerInnen gewesen, erzählt Neisser über seine Zeit als ÖFG-Präsident. Mit dem Forschungsförderungsprogramm „Internationale Kommuni-

kation“ etwa, das die Vernetzung und den persönlichen Kontakt damals wie heute in den Vordergrund stellt: „Persönliche Interaktion bildet eine entscheidende Komponente in Wissenschaft und Forschung auch im Zeitalter der Digitalisierung“, meint Heinrich Neisser und betont: „Gespräche bringen nämlich Ideen. Um Forschungskonzepte zu diskutieren, braucht man einfach den persönlichen Gedankenaustausch und die gegenseitige Inspiration.“ Seit 1988 verleiht die ÖFG den LudwigWittgenstein-Preis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. „Die Idee war, einen Förderungspreis für herausragende WissenschaftlerInnen zu schaffen“, erklärt Neisser. „Doch für mich ist damit eine eher bittere Erinnerung verbunden. Denn seit 1996 vergibt auch das Wissenschaftsministerium einen Wittgenstein-Preis – noch dazu einen viel höher dotierten.“ Der Name sei nicht schützbar. Daher existiert dieser Anklang an Musils „Parallelaktion“ bis heute: Es werden in Österreich zwei Wittgenstein-Preise vergeben. Die ÖFG unterstützte und unterstützt auch die Drucklegung von Werken aus der wissenschaftlichen Forschung. „Die Nachfrage nach diesen Publikationsförderungen ist im Lauf der Jahre gestiegen, da vergleichbare Förderungen von Universitäten oder dem Wissenschaftsministerium teilweise eingestellt wurden.“ Die Bedeutung dieser kleineren Förderungen nehme weiter zu, meint Neisser. „WissenschaftlerInnen brauchen in der heutigen Zeit Räume für ihre Forschung. Diese zur Verfügung zu stellen, ist Aufgabe des Staates, der Wissenschaftsverwaltung und der Wirtschaft – aber eben auch von Institutionen wie der ÖFG“, fasst er zusammen. „Im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten können wir dabei die Nischen versorgen.“ Darüber hinaus sieht Neisser es als eine Kernaufgabe der ÖFG an, die Sensibilität in Wissenschaftsfragen zu erhöhen: „Schon immer gab es bei uns begleitende, kritische Diskussionen zur Hochschulpolitik, zum Beispiel auf dem jährlich stattfindenden Wissenschaftstag.“ Positive Stimmung für Wissenschaft und Forschung sei eine Notwendigkeit und gleichzeitig eine qualitative Herausforderung, denn: „Nicht die Masse macht es, sondern die Qualität.“

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Mehr Junge an uns binden Mehr W I S S E N S C H A F T L I C H E N N A C H W U C H S in der ÖFG will Präsident Karlheinz Töchterle ebenso wie größeres gesellschaftliches Engagement angenommen werden, doch das ist kaum zu bewältigen. Die Studieneingangsphase ist zwar grundsätzlich in Ordnung, wird aber unehrlich verwendet, um den Andrang mittels „Hinausprüfen“ in Grenzen zu halten.

VON BARBARA FREITAG

Herr Töchterle, als Wissenschaftler, ehemaliger Rektor und Wissenschaftsminister haben Sie einen profunden Überblick über die österreichische Forschungslandschaft. Wie lautet Ihre Einschätzung? Karlheinz Töchterle: Es ist zwar einiges geschehen, aber es besteht ein permanenter Reformbedarf in der Wissenschaftspolitik. In Österreich sind wir zur Zeit besser in der angewandten Forschung als in der Grundlagenforschung aufgestellt, auch wenn das in der Praxis nicht scharf zu trennen ist. Sichtbar wird das etwa an der mehrmaligen Erhöhung der Forschungsprämie, die Unternehmen bekommen, wenn sie in Forschung investieren. Ab 1. Jänner 2018 liegt sie bei 14 Prozent, was eine ordentliche Stange Geld ausmacht. Bei der Finanzierung der Grundlagenforschung ist uns die Schweiz deutlich voraus. Eine zweite Schwäche Österreichs ist, dass es uns nur schwer gelingt, mehr privates Geld in die Forschungsförderung zu bringen.

Karlheinz Töchterle, ehemaliger Wissenschaftsminister und aktueller Präsident der ÖFG

Warum ist das so? Töchterle: Aus mehreren Gründen. Einer ist, dass dies in der bisherigen Regierungspolitik nicht gewollt wurde. Anders gesagt, es entspricht nicht sogenanntem „linken Gedankengut“, privates Engagement steuerlich deutlicher zu begünstigen. Da findet DIE ÖFG KANN DURCH BEWUSSTSEINSBILDUNG ÖFFENTLICH VIEL BEWIRKEN man eher, dass steuerlich eingehobenes Geld verteilt werden soll. Demgegenüber denke ich, dass man auch Private animieren sollte, zu investieren und Wissenschaft zu fördern, also Sponsoren oder Mäzene zu sein und dafür steuerschonender agieren zu können. Das sind zwei komplett verschiedene Denkweisen und schwer miteinander zu vereinbaren. Ein anderes Thema betrifft die Studienbeiträge, die aus meiner Sicht sinnvoll wären, wenn sie sozial abgefedert werden. Das wäre auch privates Geld und brächte den Universitäten 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr. Ein weiteres Problem ist die Schwierigkeit der Unis, den Zugang zu regeln. Jeder Studierwillige muss bei formal erfüllten Kriterien in jedem Fach

Welche Möglichkeiten hat die ÖFG? Töchterle: Wir können bei der in Österreich vorherrschenden generellen Wissenschaftsskepsis ansetzen, die eher eine Technikskepsis ist. Wie kommen Sie zu diesem Befund? Töchterle: Unsere Mentalitätsgeschichte, geprägt durch Gegenreformation, Monarchie, durch eine abgeschwächte Wirkung der Aufklärung und eine generelle Hochwertung der schönen Künste zuungunsten der Technik, hat uns wohl dahin gebracht, wie ich einmal in der „Zeit“ auszuführen versuchte. Die ÖFG kann durch Bewusstseinsbildung und Öffentlichkeitsarbeit da schon viel bewirken. Trotz geringen Mitteleinsatzes haben sich viele renommierte ForscherInnen immer wieder in den Dienst der Sache gestellt. Diese Stärke der ÖFG hat mich, offen gestanden, auch dazu veranlasst, die Präsidentschaft zu übernehmen. Das wollte ich gern verstärken und zusätzlich auch mehr als bisher in die Bundesländer tragen. Dann haben wir vor, uns noch stärker als in der Vergangenheit mit aktuellen wissenschaftspolitischen Fragestellungen zu beschäftigen. Ein Erfolg hierbei ist da schwer zu erreichen, denn meiner Erfahrung nach ist man hierzulande viel mehr an Personen und weniger sachlich orientiert. Aber trotzdem werden wir da weiter aktiv sein und Veranstaltungen zu brisanten Fragestellungen organisieren. Beim letzten Wissenschaftstag 2016 haben Sie davon gesprochen, vermehrt junge ForscherInnen an Bord zu holen. Gibt es derzeit so wenige? Töchterle: Junge ForscherInnen haben heute andere, teilweise schwierigere Bedingungen als früher. Junge ProfessorInnen müssen genau selektieren, an welcher Tagung sie teilnehmen. Aber wir wollen uns besonders um die junge Generation bemühen. So ist jeder Aktive in der ÖFG angehalten, den wissenschaftlichen Nachwuchs seines Fachs an uns zu binden.

Foto: Parlamentsdirektion/Photo Simonis

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Unser Alleinstellungsmerkmal Christiane Spiel, Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, nennt I N T E R D I S Z I P L I N A R I TÄT als die große Stärke und den Mehrwert der ÖFG Themen auf, beleuchten sie aus der Perspektive von Wissenschaft und Hochschulpraxis und erstellen ein Positionspapier, das breit verteilt wird.

VON BARBARA FREITAG

Frau Spiel, Interdisziplinarität ist in der Forschung gefragt. Die ÖFG engagiert sich dabei besonders. Wo liegen die Probleme? Christiane Spiel: Vor allem an den Rahmenbedingungen. Trotz der Nachfrage hat man mit einem interdisziplinären Ansatz in der Praxis zumeist weniger Chancen auf Förderung eines Projektes, als wenn der Antrag von einer Disziplin kommt.

Foto: ÖFG

Woran liegt das? Spiel: Am System der Begutachtung. Bei einem interdisziplinären Antrag bekommt man zumeist Gutachten aus jeder Disziplin, die jeweils nur den Anteil ihrer Disziplin bewerten. Der Mehrwert des Interdisziplinären kommt dabei oft unter die Räder. Was die Förderung der Interdisziplinarität betrifft, hat die ÖFG ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Ein Beispiel dafür ist der Österreichische Wissenschaftstag, wo immer ein Thema aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen beleuchtet wird. Wir ermöglichen damit einen Diskurs über Fachgrenzen hinweg und geben dem sehr viel Raum. Ein weiteres Förderinstrument der Interdisziplinarität sind unsere Arbeitsgemeinschaften. Es forschen österreichweit ja häufig mehrere WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen und Standorten zum gleichen Thema. Aber ein systematischer und regelmäßiger Austausch, der einen Mehrwert ermöglicht, fehlt. Solche Vernetzungen und damit einen Mehrwert fördert die ÖFG mit ihren Arbeitsgemeinschaften. Wie sieht Ihre Einladungspolitik aus? Spiel: Unser Ziel ist, einen interdisziplinären Diskurs auf hohem Niveau zu führen. Daher laden wir die TeilnehmerInnen gezielt ein. Begonnen haben wir mit sehr exklusiven Veranstaltungen. Mittlerweile laden wir breiter ein und sprechen auch jüngere WissenschaftlerInnen an, die daran interessiert sind, über den Tellerrand der eigenen Disziplin zu schauen. Bei hochschulpolitischen Workshops laden wir auch VertreterInnen von Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen ein. Auch diese Veranstaltungen sind eine Stärke der ÖFG. Wir greifen aktuelle

Christiane Spiel ist Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der ÖFG

Wie gehen Sie bei der Planung der Veranstaltungen vor? Spiel: Wir überlegen uns im wissenschaftlichen Beirat zuerst die Zielsetzung der Veranstaltung und wählen dann gezielt die passenden ReferentInnen aus. Wir bitten sie um die Beantwortung spezieller Fragen, die wir in Motivationstexten formulieren. Damit passen die Referate in ein Gesamtkonzept, was alle TeilnehmerInnen sehr schätzen. Wie bewerten Sie die hohe Kompetitivität im heutigen Wissenschaftsbetrieb? Spiel: Sie hängt mit dem Anwachsen des tertiären Sektors zusammen und mit der Autonomie der Universitäten. Die Politik steuert das Universitätssystem über Leistungsvereinbarungen mit den einzelnen Universitäten. Um vergleichbare Daten zu haben, greift die Politik zu Kennzahlen. Besonders beliebt sind dabei im Bereich der Forschung die kompetitiv eingeworbenen Drittmittel und die Anzahl an Publikationen in Impactjournals. Aber weder Impactfaktoren noch Drittmitteleinwerbung liefern ohne Kontextualisierung belastbare Informationen über Qualität und berücksichtigen weder die Breite der universitären Leistungen noch die Heterogenität der Disziplinen, was mittlerweile auch erkannt wird. Sehen Sie etwas Positives am Horizont? Spiel: Positiv ist, dass Hochschulen immer öfter das Thema der „Third Mission“ aufgreifen, also den Transfer von wissenschaftlichen Leistungen in die Gesellschaft. Wir produzieren an den Universitäten so viel Wissen, das zur Lösung realer Probleme beitragen kann, aber es bleibt oft im Elfenbeinturm. Bisher haben sich in solchen Transferaktivitäten zwar einzelne WissenschaftlerInnen engagiert, aber die Hochschulen selbst haben den Transfer nicht systematisch betrieben. Wenn die Hochschulen jetzt Third-Mission-Strategien entwickeln, dann muss die Anerkennung solcher Transferleistungen auch in die Leistungsbewertung eingehen.

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Gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden Zwei ehemalige Generalsekretäre der ÖFG ziehen nach vierzig Jahren eine B I L A N Z D E R Ö F G und hoffen auf regen Nachwuchs für die kommenden Jahre

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n ihrem vierzigjährigen Bestehen ist es der ÖFG gelungen, eine große Zahl an renommierten WissenschaftlerInnen aus ganz verschiedenen Fachrichtungen zusammenzuführen, um zu aktuellen Fragen des Wissenschafts- und Bildungsbereichs Stellung zu nehmen. So konnten zukunftsträchtige, interdisziplinäre Vernetzungen und Forschungsvorhaben gefördert werden.

Fächerübergreifender Diskurs Sichtbar ist diese Vielfalt vor allem in einem der wichtigsten Bereiche der ÖFG, in den Arbeitsgemeinschaften. Es sind interdisziplinäre wissenschaftliche Foren, die verschiedene Fragestellungen in einem Zeitraum von sieben Jahren behandeln. Die Arbeitsgemeinschaften (ARGE) entstehen aus aktuellem Anlass oder auf Wunsch des Präsidiums. 1986 wurde etwa die „Hochschulpolitische Arbeitsgemeinschaft“ gegründet. Sie hatte die Aufgabe, Beiträge und Vorschläge zur Zukunftsentwicklung der österreichischen Universitäten in Forschung, Lehre und Weiterbildung zu erarbeiten. In dieser ARGE konnte die ÖFG untersuchen, wie die Leistung von Universitäten bewertet wird. „Schon damals ging es darum herauszufinden, ob es möglich ist, wissenschaftliche Leistung zu messen“, sagt Gottfried Magerl. Er ist seit 1987 in der Österreichischen Forschungsgemeinschaft tätig, zuerst in der „Hochschulpolitischen Arbeitsgemeinschaft“, dann als Generalsekretär und

Gottfried Magerl, ehemals Dekan an der TU Wien sowie Generalsekretär der ÖFG und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats

„ G E N I A L I TÄT L Ä S S T S I C H N I C H T M E S S E N ! “ , RIEF DIE GEISTESWISSENSCHAFT schließlich als Mitglied und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats. Er war Universitätsprofessor und Dekan an der Technischen Universität Wien und ist seit 2013 emeritiert. In Hochschulpolitischen Arbeitsgemeinschaften zeigte sich eine tiefe Kluft zwischen NaturwissenschaftlerInnen und TechnikerInnen auf der einen und den GeisteswissenschaftlerInnen auf der anderen Seite. „Die KollegInnen der Geisteswissenschaften etwa schmetterten uns entgegen: Genialität lässt sich nicht messen“, erzählt Magerl.

Schlussendlich war aber doch eine Einigung möglich. „Für mich waren die Arbeitsgemeinschaften ,Civil Society in Österreich‘ sowie ,Topologie des Menschlichen‘ besonders spannend“, erinnert sich Meinrad Peterlik, von 1977 bis 1993 Generalsekretär der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Er hat Chemie mit Nebenfach Physik studiert. Kurz nach seiner Promotion verlegte er sich auf die Medizin und war schließlich bis 2006 Professor für Pathophysiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Neben den erwähnten ARGE schätzte er besonders jene zu „Sprache und Öffentlichkeit“ unter der Leitung von Oswald Panagl. Sie war eine jener ARGE, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen befassten. „Als Jörg Haider immer bekannter wurde, kam eine andere Diskussionsform in die Politik“, ergänzt Gottfried Magerl. Neben der „neuen“ Sprache in der Öffentlichkeit widmete sich eine Arbeitsgruppe von Manfred Prisching dem Thema „Sozialethik“ und eine kleine Arbeitsgruppe, geleitet von Edgar Morscher, dem Gesamtwerk von Bernard Bolzano. „Bolzano ist für mich einer der letzten Universalgelehrten, ein Begriff für Theologen, Philosophen und Mathematiker. Schon im Jahr 1830 war er knapp an der Relativitätstheorie dran. Es hat nur noch ein kleiner Schritt gefehlt, den er sich dann nicht getraut hat zu gehen“, sagt Magerl. Kennenlernen von Gedankenwelten Im wissenschaftlichen Beirat wurde immer auf ein möglichst breites Spektrum an Mitgliedern geachtet. „Das Kennenlernen der Gedankenwelt der jeweils anderen war immer ein zentraler Punkt“, erklärt Magerl. „Dies gilt auch für die bisher rund 300 akademischen Symposien und Tagungen der ÖFG. Sie stellen nach wie vor einen Schmelztiegel an Ideen dar, was dazu führt, dass am Ende jedes Treffens die TeilnehmerInnen mit einer Vielzahl an neuen Erkenntnissen nach Hause gehen.“ Jeder, der schon einmal dabei war, wird den Österreichischen Wissenschaftstag als eines der Highlights oder auch als Kernstück der ÖFG bezeichnen. Das Symposion findet immer am Semmering statt. Dabei geht es stets darum, ein aktuelles Thema aus

Foto: ÖFG

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Sicht der Wissenschaft und möglichst breit zu behandeln. Eingeladen sind habilitierte WissenschaftlerInnen aus Österreich, unabhängig von ihrem Fachbereich oder ihrem Studienort. „Das Thema im Jahr 2015 fand ich besonders spannend: ‚Was ist Zeit?‘ In diesem Zusammenhang wurden Fragen behandelt wie etwa die Existenz von naturwissenschaftlichen Gesetzen, die beschreiben, dass die Zeit in eine Richtung geht. Oder die uns Menschen immer schon bedrängende Frage, warum es niemals möglich sein wird, durch die Zeit reisen zu können“, sagt Magerl. „Das war eine sehr interessante Veranstaltung, bei der das Wissensspektrum der TeilnehmerInnen besonders breit war.“

Meinrad Peterlik, ehemals Professor an der medizinischen Fakultät der Uni Wien (heute MedUni Wien) und Generalsekretär der ÖFG

Die Badener Tagungen der ÖFG Ein weiterer Schwerpunkt der ÖFG sind ihre Badener Tagungen. „Ich habe dort immer sehr interessante Menschen kennengelernt“, erinnert sich Magerl. „Zu vielen hat sich im Lauf der Zeit eine dauerhafte Freundschaft

Foto: ÖFG

B E I D E N B A D E N E R TA G U N G E N G E S C H A H E I N W U N D E R : F R E I E R M E I N U N G S A U S TA U S C H entwickelt. Die Badener Tagungen haben deshalb zur Entwicklung der Wissenschaft in Österreich beigetragen, weil – und das bezeichne ich immer als Badener Wunder – alle TeilnehmerInnen ihre Universität und ihr Fach in der Garderobe an den Kleiderhaken gehängt haben und ein völlig freier Meinungsaustausch möglich war.“ Alle TeilnehmerInnen, ob RektorInnen, DekanInnen oder BeamtInnen des Ministeriums, haben ihre eigene Position kritisch beleuchtet und kamen so auf neue Ideen. „Da ist sehr oft einiges auf informelle Weise in Bewegung geraten. Es war eine Gelegenheit, die Meinung der anderen zu hören und für einander Verständnis aufzubringen“, so Magerl. Auch für Meinrad Peterlik waren Wissenschaftstage stets ein Highlight – aber eben auch die Vergabe von Preisen durch die ÖFG: des Anton-Gindely-Preises und des LudwigWittgenstein-Preises der ÖFG. Die Förderung der internationalen Kommunikation von jungen WissenschaftlerInnen gehört ebenfalls wesentlich zum Repertoire der ÖFG. Hier wird vorrangig die

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Möglichkeit unterstützt, Ergebnisse etwa einer Dissertation international zu präsentieren. Wenn junge WissenschaftlerInnen die Absicht hegen, in einem europäischen Umfeld etwas zu lernen oder einen Vortrag zu halten, wird dies von der ÖFG nach fachlicher Prüfung des vorgeschlagenen Konzepts unterstützt. Dies kann zu durchaus bemerkenswerten Auswirkungen und wichtigen Karriereschritten führen. „Gäbe es die Österreichische Forschungsgemeinschaft nicht, man müsste sie erfinden“, resümiert Gottfried Magerl. Heute ist die ÖFG eine bedeutende Stimme für den interdisziplinären Diskurs, wie sie nur in wenigen anderen wissenschaftlichen Gesellschaften zu finden ist. „Wenn ich die heutige Zeit mit jener vergleiche, als die Forschungsgemeinschaft gegründet wurde, zeigt sich eine äußerst erstaunliche Entwicklung. Heute wird die ÖFG in der Öffentlichkeit weit stärker wahrgenommen als früher. Gerade dies war am Anfang sehr schwierig. Aber dank gezielter Aktivitäten erlangte sie mehr Popularität“, freut sich Meinrad Peterlik. Die Sorge um den Nachwuchs „Mein großer Wunsch ist, dass es uns gelingt, die nächste Generation anzusprechen und zu sensibilisieren, diesen Austausch weiterzuführen“, sagt Gottfried Magerl. „Da bin ich besorgt, denn das Bild der WissenschaftlerInnen hat sich auch aufgrund der Entwicklung des Dienstrechts stark verändert. Die WissenschaftlerInnen sind heute viel mehr damit beschäftigt, sich um die eigene Karriere zu kümmern. Es fehlt die Zeit für universitäre Angelegenheiten. Früher war das leichter. Aber ich denke, die Politik hat dies nun auch erkannt. Es gibt Überlegungen, wie man jungen WissenschaftlerInnen eine gute Perspektive geben kann“, hofft Magerl – und mit ihm viele seiner KollegInnen. Über die Jahre konnte die ÖFG viele ihrer Ziele erreichen: den ständigen Dialog von Hochschulen über Fach- und Organisationsgrenzen hinweg und, daraus resultierend, ein Entwickeln von Verständnis füreinander sowie die Erweiterung möglicher Perspektiven. Diese kontinuierliche Tätigkeit hat sich grundlegend auf Wissenschaft und Forschungspolitik in Österreich ausgewirkt.

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40 JAHRE ÖFG

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Ein Blick auf die ersten Jahre Die frühen Stationen der G E S C H I C H T E D E R Ö F G von ihren Anfängen an. Die ersten zwanzig Jahre erbrachten grundlegende Elemente der ÖFG

1976 Erste Initiativen zur Gründung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. 1977 Konstituierende Hauptversammlung am 5. Februar. Als Zweck des Vereins wird im Paragraph 2 der Statuten die „Anregung, Förderung, Durchführung, Entwicklung, Publikation und Verwertung von Projekten der wissenschaftlichen Forschung genannt“. Präsident wird Landeshauptmann Hans Lechner, Generalsekretär Meinrad Peterlik. 1978 Das Generalsekretariat bezieht im August das Büro in der Berggasse 25. Die ersten Einzelprojekte und Druckkosten werden finanziert. 1979 Der Anton-Gindely-Preis wird zum ersten Mal verliehen. Das Symposium „Demokratisierung und Landesverfassungen in Österreich 1918/1920“ führt zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Vergleichende Geschichte der österreichischen Bundesländer. Erhard Busek wird Präsident der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. 1980 Das Forschungsförderungsprogramm „06 – Internationale Kommunikation“ wird ausgeschrieben. 1982 Mit dem Band 1 der Studien zur Zeitgeschichte der österreichischen Länder, „Demokratisierung und Verfassung in den Ländern 1918–1920“, erscheint die erste Publikation der ÖFG.

Verleihung des Wittgenstein-Preises 2010 an die Pflanzenphysiologin Barbara Hohn. Links der damalige ÖFG-Präsident Heinrich Neisser, rechts Univ.-Prof. Dr. Gottfried Magerl

1984 Die Ludwig-Wittgenstein-Assistenturen für Sub-Auspiciis-Promovierte werden ins Leben gerufen. 1985 Im April findet das Wissenschaftsgespräch „Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne“ statt. Es ist der Anlass zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft Wien um 1900. Mit Bernhard Hebert tritt der erste Wissenschaftler eine Ludwig-Wittgenstein-Assistentur an. Die Arbeitsgemeinschaft Gesundheit – Gesundheitspolitik entwickelt sich aus einem Arbeitskreis des Programms „04 – Nichtärztliche medizinische Betreuung“. 1987 Am Semmering findet das Wissenschaftsgespräch „Universität und Universalität“ statt, das zur Konzipierung des Österreichischen Wissenschaftstages führt. 1988 Der Ludwig-Wittgenstein-Preis wird zum ersten Mal verliehen, und zwar an Ernst Gombrich für dessen Lebenswerk. 1989 Der Österreichische Wissenschaftstag wird zum ersten Mal abgehalten. Thema: „Internationale Leistungsfähigkeit der Universitäten in Forschung, Lehre und Verwaltung“. 1990 Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung beginnt, sich am Programm „06 – Internationale Kommunikation“ zu beteiligen. 1992 Der Anton-Gindely-Preis wird Staatspreis des Wissenschaftsministers.

Foto: Ludwig Schedl

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40 JAHRE ÖFG

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Vorsitzende und Arbeitsgemeinschaften Diese Personen haben den

W I S S E N S C H A F T L I C H E N B E I R AT

ARBEITSGEMEINSCHAFTEN DER ÖFG

bis heute geleitet

Wissenschaftlicher Beirat: Vorsitzende Gerald Stourzh, Wien Friedrich Koja, Salzburg Peter Berner, Wien Wolfgang Mantl, Graz Werner Waldhäusl, Wien Oswald Panagl, Salzburg Kurt Komarek, Wien Helmut Rumpler, Klagenf. Christian Smekal, Innsbr. Walter Berka, Salzburg Gottfried Magerl, Wien Reinhard Neck, Klagenfurt Wolfgang Kautek, Wien Christiane Spiel, Wien

ARGE Sprache und Öffentlichkeit, 1995–2007.

Oswald Panagl, Salzburg. Arbeitskreis/ARGE Bernard Bolzano, 1996–2003. Edgar Morscher, Salzburg.

1977–1980 1980–1983 1983–1986 1986–1989 1989–1992 1992–1995 1995–1998 1998–2001 2001–2004 2004–2007 2007–2010 2010–2013 2013–2016 2016–

Forschungsprojekt „Sozioökonomische Aspekte des Generationentransfers“, 1996–1998. Leopold Rosenmayr, Wien. ARGE Wege zur Civil Society in Österreich,

1997–2007. Emil Brix, Wien/London.

ARGE Sozialethik, 1997–2005. Manfred

Prisching, Graz.

ARGE Topologien des Menschlichen,

2001–2009. Heinrich Schmidinger, Salzburg.

Generalsekretäre der ÖFG Meinrad Peterlik, Wien Gottfried Magerl, Wien Emil Brix, Wien Helmut Wohnout, Wien Markus Vago, Wien

1977–1993 1993–2000 2000–2010 2010–2013 2013–

Arbeitsgemeinschaften: LeiterInnen ARGE Vergleichende Geschichte der

Österreichischen Länder, 1980–1997. Alfred Ableitinger, Graz.

ARGE Kommunalwissenschaften, 1992–1997.

Reinhard Rack, Graz; Harald Stolzlechner, Salzburg; Erich Thöni, Innsbruck.

ARGE Gesundheit-Gesundheitspolitik, 1985–

ARGE Ökonomische Globalisierung,

1998–2005. Christian Smekal, Innsbruck.

Die PräsidentInnen der ÖFG

ARGE Friedrich Heer, 2002–2006. Konrad

Hans Lechner, Salzburg Erhard Busek, Wien Heinrich Neisser, Wien Katharina CortolezisSchlager, Wien Interim.: Hubert Dürrstein, Wien Karlheinz Töchterle, Tirol (im Bild)

ARGE Religion – Politik – Gewalt, 2005–2012.

Paul Liessmann, Wien.

Wolfgang Palaver, Innsbruck.

ARGE Sensorik, 2006–2012. Bernhard Jakoby,

Linz.

ARGE Wissenschaft und Kunst, 2008–2015.

Otto Neumaier, Salzburg.

ARGE Bildung und Ausbildung, 2008–2016.

Christiane Spiel, Wien.

1996. Aus dem Arbeitskreis mit Fragen der Gesundheitspolitik (1981–1985) enstanden. Klaus Zapotoczky, Linz.

ARGE Zukunft der Demokratie, 2010–2017.

ARGE Wien um 1900, 1985–1996, Emil Brix,

Gehrig, Wien.

Wien.

Hochschulpolitische ARGE. 1986–2004. Ab 1995 Wissenschafts- und bildungspolitische Arbeitsgemeinschaft, ab 2004 Schwerpunkt Wissenschafts- und Bildungspolitik der ÖFG. Manfred Horvat, Wien; Peter Mohn, Wien; Hans Goebl, Salzburg. Foto: ÖFG

und die

Arbeitskreis Geisteswissenschaften in Österreich, 1994–1997.

Reinhard Heinisch, Salzburg.

ARGE Finanzkrisen, 2012–2019. Thomas

ARGE Kulturelle Dynamiken, 2013–2020.

Sabine Coelsch-Foisner, Salzburg. Hochfrequenztechnik, Wolfgang Bösch, Graz.

ARGE

2013–2020.

ARGE Staatliche Aufgaben, private Akteure,

2013–2020. Franz Merli, Wien.

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Zu den Innovation Leaders aufschließen Dies nennt Harald Mahrer, B U N D E S M I N I S T E R F Ü R W I S S E N S C H A F T, als vorrangiges Ziel der österreichischen Forschungs- und Wissenschaftspolitik VON CHRISTIAN ZILLNER

Herr Minister, welche Aufgaben hat die ÖFG in den letzten vierzig Jahren aus Ihrer Sicht in der österreichischen Forschungslandschaft erfüllt? Harald Mahrer: Die Österreichische Forschungsgemeinschaft gibt wertvollen Input für die Wissenschafts- und Forschungspolitik. Sie ist aber auch eine einzigartige Schnittstelle von Institutionen und Disziplinen, weil sie von Bund und Ländern getragen wird. Gerade diese gebündelte Expertise der unterschiedlichen Akteure ist eine Stärke der ÖFG und mitverantwortlich für die hohe Qualität ihrer Arbeit. Darüber hinaus leistet sie einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Nachwuchsförderung und Vermittlung von Forschung und Lehre in Österreich. Besonders schätze ich, dass bewusst aktuelle gesellschaftspolitische Fragen aufgegriffen werden, wie zuletzt das Thema Digitalisierung am Wissenschaftstag in Baden.

Harald Mahrer ist Bundesminister für Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft. Im Gespräch fordert er ein neues Innovationssystem, damit wissenschaftliche Forschung auch zu entsprechenden Produkten führt

Wo sehen Sie in Zukunft die Rolle von Institutionen wie der ÖFG? Mahrer: Forschung und Wissenschaft bzw. ihre Institutionen haben eine gesellschaftspolitische Verantwortung, die sie aktiv wahrnehmen müssen. Immer wichtiger dabei wird der Austausch über die Grenzen von Forschungseinrichtungen und Disziplinen hinweg. Gerade im Hinblick auf die sogenannten „great challenges“ und den digitalen Wandel braucht es völlig neue, innovative Lösungsansätze. Diese entstehen aber nicht im Elfenbeinturm, sondern im intensiven Dialog mit anderen – auch im Austausch mit der Zivilgesellschaft. Aus meiner Sicht ist es daher B I L D U N G M U S S O B E R S T E P R I O R I TÄT H A B E N – VOM KINDERGARTEN BIS ZUR UNI entscheidend, dass wir uns an den drei Os der Europäischen Kommission orientieren: Open Innovation, Open Science und Open to the world. Die ÖFG kann dabei beispielgebend für einen offenen Wissenschaftsdialog stehen. Gerade ist die strategische Arbeit im Ministerium zur Zukunft der Hochschulen zu einem Ergebnis gelangt. Was halten Sie für die wichtigsten Punkte?

Mahrer: Österreich hat ein mit siebzig Einrichtungen vielfältig aufgestelltes Hochschulsystem. Allein die 22 öffentlichen Universitäten und 21 Fachhochschulen bieten rund 1.400 Studiengänge an. Dieses große Angebot ist grundsätzlich positiv, hat aber in den vergangenen Jahren auch zu Überschneidungen und Abstimmungsdefiziten geführt. Ziel von „Zukunft Hochschule“ war eine stärkere Profilschärfung unserer Hochschulen, aber gleichzeitig auch mehr Flexibilität und Durchlässigkeit innerhalb des Systems. Dazu wurden unterschiedliche Themencluster gebildet – von den Geistes- und Kulturwissenschaften über die Rechtswissenschaften bis hin zu den Life Sciences – und konkrete Maßnahmen gemeinsam mit allen AkteurInnen erarbeitet. Wichtig ist, dass sich die Stärken der beiden Bereiche ergänzen. „Zukunft Hochschule“ versteht sich dabei natürlich auch als ein längerfristiger Prozess und „work in progress“. Was braucht Österreich, um sich auch in Zukunft als Wissenschafts- und Forschungsnation international halten zu können? Mahrer: Unser Ziel muss sein, in die Gruppe der Innovation Leaders vorzustoßen. Dazu brauchen wir ein leistungsfähiges und zielorientiertes Innovationssystem. Derzeit haben wir vielfach ein Ungleichgewicht zwischen Input und Output. So haben wir beispielsweise die zweithöchste Forschungsquote in der Europäischen Union, sind allerdings nur auf dem siebenten Rang, was den Output von Innovationen betrifft. Hier müssen wir dringend ansetzen und noch effizienter werden. Dazu braucht es natürlich auch verbesserte Rahmenbedingungen, sodass unsere Forscherinnern und Forscher mehr Planungssicherheit haben und vorausschauend unseren Standort strategisch ausrichten können. Ein weiterer wichtiger Eckpunkt wird, wie bereits erwähnt, die Digitalisierung sein, denn der digitale Wandel wird alle Bereiche radikal verändern. Darauf müssen wir uns vorbereiten und bereits frühzeitig auf Zukunftsthemen wie beispielsweise Blockchain setzen, um die Entwicklungen in diesen Bereichen mitgestalten zu können. Kürzlich haben wir beispielsweise einen neuen Forschungsschwerpunkt zu „Kryptoökonomie“


Foto: Marek Knopp

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an der Wirtschaftsuniversität in Wien initiiert, denn in diesem Bereich liegt enormes Potenzial, das wir nutzen müssen und von dem unser Innovationswirtschaftsstandort profitieren wird. Für all diese Entwicklungen brauchen wir aber die besten Köpfe, denn sie sind die Grundlage für jeglichen Erfolg. Das

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heißt, dass die Bildung vom Kindergarten bis zur Universität oder Fachhochschule oberste Priorität haben muss. Nur wenn wir sicherstellen, dass wir alle Talente fördern und damit unser Potenzial ausschöpfen, können wir die Chancen der Zukunft bestmöglich nutzen und erfolgreich sein.

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Den Unterbau festigen Die F O R S C H U N G S F Ö R D E R U N G D U R C H D E N F W F ist gefährdet. Klement Tockner, Präsident der Fördereinrichtung, erklärt im Gespräch, warum VON JOCHEN STADLER

Herr Tockner, der Österreichische Wissenschaftsfonds (FWF) muss sehr viele wissenschaftlich exzellente Anträge ablehnen, weil er zu wenig Fördergeld hat. Wie akut ist dieses Problem? Klement Tockner: Es ist doppelt akut. Erstens können wir aufgrund der finanziellen Situation viele Projekte nicht fördern, obwohl sie als exzellent begutachtet wurden. Dadurch werden jedes Jahr rund 1.500 zumeist junge Forscherinnen und Forscher nicht gefördert. Dazu kommt, dass uns viele potenzielle AntragstellerInnen aufgrund der geringen Bewilligungsquoten gar keine Projektanträge mehr schicken. Das heißt, auch die Attraktivität der FWF-Förderung nimmt wegen der allgemeinen Budgetproblematik leider ab. Wie viele Projekte kann der FWF zur Zeit fördern, wie viele muss er ablehnen? Tockner: Im Vorjahr wurden 624 Projekte aus 2.569 Anträgen bewilligt, also weniger als 24 Prozent. Wie wird das in Zukunft aussehen? Tockner: Ich gehe noch immer davon aus, dass die Politik einhält, was sie uns zugesagt hat. Also eine Hochstufung des FWF-Budgets von derzeit etwa 190 Millionen Euro auf 290 Millionen Euro pro Jahr aus der Forschungsmilliarde. JEDES JAHR WERDEN RUND 1.500 JUNGFORSCHERINNEN NICHT GEFÖRDERT

Wie viele exzellente Projekte könnten dann mehr finanziert werden? Tockner: Es würde eine Ausfinanzierung der derzeitigen Zahl an exzellenten Projektanträgen bedeuten. Wir rechnen auch mit einem selbstverstärkenden Effekt, also dass in Folge noch mehr exzellente Projekte eingereicht werden. Dies wäre ein immens wichtiger Impuls für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Österreich. Außerdem könnten wir unser Förderportfolio anpassen und ausweiten, was dringend notwendig ist. Wir müssen in Österreich Nachwuchsfor-

scherinnen und Nachwuchsforschern eine längerfristige Perspektive bieten, denn ihre Beschäftigungsverhältnisse sind großteils prekär. Wir schlagen hierfür sogenannte „Zukunftsprofessuren“ vor. Mit einem „1000Ideen-Programm“ wollen wir zudem besonders risikoreiche Forschung finanzieren. Wir planen auch „Synthesenetzwerke“ für Projekte mit großen Datensätzen und mit anderen Förderorganisationen ein „Exzellenzprogramm“, um die Profilbildung an den Forschungsstätten zu unterstützen. Fördert der FWF rein die Grundlagenforschung oder auch schon in Richtung Anwendung gehende Projekte? Tockner: Grundsätzlich fördert der FWF erkenntnisgewinnende Grundlagenforschung. Es gibt aber zwei aktuelle Herausforderungen, denen wir uns zusätzlich stellen. Erstens die interdisziplinäre Forschung, wo wir jüngst mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erfolgreich die sogenannten „Zukunftskollegs“ aufgestellt haben. Zweitens muss der Übergang von der Grundlagenforschung in Richtung Anwendung, also die „translationale“ Forschung, besser unterstützt werden. Kann durch die eingeschränkten Fördermittel nur mehr die absolute Spitze und nicht der immer noch exzellente Unterbau gefördert werden? Tockner: In erster Linie leiden die Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher. Wenn jährlich 1.500 der besten Köpfe „verloren“ gehen, ist das ein großer Verlust für unser Land und Wissenschaftssystem. Es geht aber auch um das Nichtgewinnen von Menschen. Wenn der FWF zu gering dotiert wird, ist das ein entscheidender Nachteil im harten Wettbewerb um internationale TopWissenschaftlerInnen. Kann man die Exzellenz ohne einen soliden Unterbau behalten? Tockner: Nein, dann erodiert sie. Wir brauchen eine breite Basis. Was wir haben, sind einzelne, sehr gute Leuchttürme, aber die stehen meist isoliert da. Der FWF kann quasi nur die Spitze des Eisbergs fördern, und von dem könnte viel mehr herausragen.


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ForscherInnen ziehen nun mal erstklassige MitarbeiterInnen an, zweitklassige jedoch drittklassige. Die Biomedizin, Altertumsforschung oder Quantenphysik – um nur einige zu nennen – sind in Österreich deshalb so gut aufgestellt, weil sich wirklich herausragende Gruppen um exzellente Persönlichkeiten herum gebildet haben und nach wie vor bilden.

Foto: FWF / Martin Lusser

Haben Sie Wünsche an die neue Bundesregierung? Tockner: Natürlich! Wir brauchen ein klares Bekenntnis dazu, dass wir eine Forschungsnation und wissensbasierte Gesellschaft mit exzellenter Forschung sind. Das sollte man auch mit einem eigenen Ministerium für Wissenschaft und Forschung unterstreichen. Zweitens ist neben einer soliden Grundfinanzierung der Wissenschaft ein gesunder Wettbewerb um Drittmittel absolut notwendig. Vor allem muss umgesetzt werden, was versprochen wurde. Über alle Parteien und Organisationen hinweg gibt es einen Konsens, dass der FWF finanziell und ideell gestärkt werden muss. Dies muss endlich geschehen! In der Grundlagenforschung bräuchten wir eine Verdoppelung des Budgets und ein zehnprozentiges Wachstum pro Jahr, um den Stillstand der vergangenen Jahre aufzuholen.

Sie haben schon den Verlust an JungwissenschaftlerInnen angesprochen. Gehen diese ins Ausland oder hören sie ganz mit der Wissenschaft auf ? Tockner: Ich glaube, beides. Wir verlieren exzellente einheimische ForscherInnen, die ins Ausland gehen, ebenso verlassen uns viele hervorragende AusländerInnen nach kurzer Zeit wieder. Im Mittel muss man in Österreich deutlich über vierzig Jahre alt sein, bevor man als ForscherIn eine längerfristige Perspektive hat. Das ist nicht vertretbar. Arbeitgeber außerhalb der Wissenschaft können oft bessere Bedingungen bieten. Der Wettbewerb um die besten Köpfe nimmt national wie international zu. Ihre Rekrutierung ist die absolute Priorität für Forschungseinrichtungen, und wir können sie dabei unterstützen. Erstklassige

Klement Tockner ist Ökologe und seit September 2016 Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF). Zuvor war er Direktor des deutschen Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei

Sie sind noch nicht sehr lange Präsident des FWF. Wollen Sie beim Forschungsfonds etwas verändern. Tockner: Selbstverständlich, sonst hätte ich mich nicht um dieses Amt beworben. Wir wollen die Digitalisierung und Entbürokratisierung vorantreiben, um den ForscherInnen möglichst geringe Bürden bei der Antragstellung und Projektabwicklung aufzuerlegen. Hier sind wir schon sehr gut, wollen aber noch besser werden. Absolute Priorität hat aber die finanzielle und ideelle Stärkung des FWF durch zusätzliche Mittel. Der Schweizer Nationalfonds erhält in den kommenden Jahren ein Budget von knapp einer Milliarde Euro pro Jahr. Das ist, pro Kopf gerechnet, etwa das Fünffache des FWF. Dort gibt es einen Anstieg, hier noch Stillstand. Es ist daher für mich absolut unverständlich, dass wir eine Universitätsfinanzierung auf den Weg gebracht haben sowie die Stärkung der Nationalstiftung und die Anhebung der Forschungsprämie beschließen konnten, der FWF aber nicht in der gleichen Form gestärkt wird, damit es den Forschungsstandort nachhaltig voranbringt. Unzählige Studien zeigen, dass es eine gute Balance zwischen Grundfinanzierung und im Wettbewerb vergebenen Mitteln braucht. Die ist zur Zeit nicht gegeben.

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Wissenschaft in den Bundesländern Die folgenden Seiten befassen sich mit der Situation von Forschung, Entwicklung und Wissenschaft in den Bundesländern. Wir beginnen mit der Haupststadt W I E N VON DIETER HÖNIG

Herr Stadtrat, wie zufrieden sind Sie mit Wiens Entwicklung als Wissenschaftsstandort? Andreas Mailath-Pokorny: Ich bin sogar sehr zufrieden mit der Entwicklung Wiens in diesem Bereich. Wien ist die älteste und größte Universitätsstadt im deutschen Sprachraum und hat derzeit 195.300 Hochschul-Studierende. Wiens Frauenanteil an F&E-Personal beträgt bereits 48 Prozent. Das ist ein doppelt so hoher Anteil wie im Unternehmenssektor (23 Prozent). Wien ist zudem die EU-Region mit dem höchsten relativen Anteil (45,7 Prozent) an europäischen Kopublikationen. Das heißt, dass fast jede zweite Publikation aus Wien in Zusammenarbeit mit PartnerInnen aus dem europäischen Ausland publiziert wurde, was auf eine große internationale Vernetzung hinweist. All die bisherigen Erfolge sind der Stadt Wien aber letztlich nur Verpflichtung, in allen Bereichen weiter unterstützend zu wirken . Ihr erklärtes Ziel ist, die Stadt für ihre wissenschaftlichen Leistungen international ebenso bekannt zu machen wie für ihre Kultur. Denken Sie dabei an Auslandswerbung? Pokorny: Wir brauchen unsere Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht im Ausland zu bewerben, das tun sie mit Erfolg selbst! Unsere Aufgabe ist, gemeinsam mit dem Bund für die Wissenschaft in Wien optimale

Rahmenbedingungen zu schaffen wie etwa Infrastruktur, Förderungen, Investitionen in junge WissenschaftlerInnen u. a.

Andreas MailathPokorny, Stadtrat für Kultur und Wissenschaft in Wien

Graz. Blick vom Uhrturm auf die Innenstadt Linz mit dem Ars Electronica Center

In welchen wissenschaftlichen Disziplinen hat Wien bereits den Anschluss zur Weltspitze geschafft? Pokorny: In Wien gibt es eine ganze Reihe an Forschungsfeldern und Disziplinen, in denen unsere WissenschaftlerInnen zur Weltspitze zählen. Das sind in den Naturwissenschaften die Physik und hier insbesondere die Quantenphysik. Auch in der Mathematik gibt es eine Reihe von WissenschaftlerInnen, die zur absoluten Weltspitze zählen. Und in der jüngeren Zeit ist gerade Mathematik zu einem ganz wichtigen Treiber für Innovationen in anderen Disziplinen geworden! Und wie sieht es damit in den Lebenswissenschaften aus? Pokorny: Auch in den Lebenswissenschaften verfügt Wien mit dem Campus Vienna Biocenter und dem CeMM im AKH über Institute, die zur absoluten Weltspitze gehören und für ausländische SpitzenforscherInnen attraktiv sind, um nach Wien zu kommen. Boehringer Ingelheim etwa finanziert mit dem IMP ein Grundlagenforschungsinstitut und hat gerade 450 Millionen Euro in den Neubau seiner Forschungs- und Produktionsanlagen investiert. Darüber hinaus gibt

Fotos: Steiermark Tourismus / Bigshot, Stadt Linz, Peter Rigaud

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Grants sowie START-Preise des FWF erlangen und damit zeigen, dass sie zu den SpitzenforscherInnen auf ihrem Gebiet zählen. Seit 2008 wurden 14 NachwuchsforscherInnen so nach Wien geholt.

es in fast allen Disziplinen Bereiche, in denen ForscherInnen zur Weltspitze zählen. Denken Sie nur an die Demografieforschung.

Fotos: TVB Innsbruck / Christof Lackner, Tourismus Salzburg / Breitegger Günter, Österreich Werbung / Trumler

Ein ganz großes Anliegen war Ihnen stets die Förderung junger wissenschaftlicher Talente. Was unternehmen Sie, um diese Spitzenleute auch im Land zu halten? Pokorny: Dafür braucht es einen Ausbau der Forschungsinfrastruktur sowie einen prosperierenden Jobmarkt. Wir versuchen Arbeit zu schaffen, indem wir Unternehmen in Wien stärken und damit auch den Wirtschaftsstandort. Dazu braucht es aber auch all die Institutionen in der Forschungscommunity, von der Stammzellenforschung wie zum Beispiel im CeMM bis zur Zeitgeschichte, etwa das Simon Wiesenthal Institut. Und im Rahmen der Wiener Fachhochschulförderung werden regelmäßig Talente mit Stiftungsprofessuren und Kompetenzteams gefördert. Die wissenschaftlichen Fonds für die Universitäten sowie die Österreichische Akademie der Wissenschaften widmen die Wiener Projektgelder vor allem den Jungen! Und schließlich versuchen wir in der Wissenschaftskommunikation ständig, die neue Generation vor den Vorhang zu bitten. Wie holen Sie Talente nach Wien? Pokorny: Um wissenschaftliche Talente nach Wien zu holen, hat die Stadt Wien zusammen mit dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF das Programm „Vienna Research Groups for Young Investigators“ initiiert. Es ermöglicht von außen kommenden künftigen wissenschaftlichen Stars, mit einem Budget von jeweils 1,6 Millionen Euro im Laufe von bis zu acht Jahren ihre erste Forschungsgruppe aufzubauen und wissenschaftlich durchzustarten. Die bisherigen Erfolge sprechen für sich: Einige der Geförderten konnten bereits ERC-

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Die MedUni Wien beklagte jüngst, dass etwa 40 bis 50 Prozent ihrer Studierenden nach abgeschlossener Ausbildung das Land verlassen. Was kann die Stadt Wien tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Pokorny: Hier liegt die Hauptverantwortung schon beim Bund, der laut Verfassung für Wissenschaftsförderung, also auch für die MedUni Wien, zuständig ist. Trotzdem versuchen auch wir durch eine Vielfalt an Maßnahmen einer Abwanderung entgegenzuwirken: durch Investitionen in Spitäler und ins Gesundheitswesen mit dem Medical Hub AKH, Investitionen in Life-Science-Standorte in St. Marx mit IMP und IMBA und die Dotierung diverser Förderinstrumente für speziell junge WissenschaftlerInnen wie etwa in der Krebsforschung.

Innsbruck. Blick von der Berg-Isel-Schanze auf die Nordkette Salzburg. Aussicht vom Kapuzinerberg auf Altstadt und Hohensalzburg Wien. Innere Stadt mit Stephansdom

Was unternehmen Sie, um den Standort Wien für den internationalen Forschungsaustausch noch attraktiver zu gestalten? Pokorny: Hier gilt es vor allem die Unis und außeruniversitären Einrichtungen zu stärken. Wie schon erwähnt, geschieht dies durch die Hilfe bei Infrastruktur, durch gezielte Förderungen, aber auch durch informelle, persönliche Kontakte zu unseren BeamtInnen in Wien, für die jüngst eine sehr gut angenommene Schnittstelle mit den Hochschulen eingeführt wurde, die sogenannte „Hochschulrunde“. Auch im Bereich der Wiener Fachhochschulförderung werden Projekte zur Internationalisierung von Lehre und Forschung gefördert. Beispielsweise werden 2017 zwei Millionen Euro nur für die Internationalisierung der Lehre vergeben.

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Mehr Forschung für die Zukunft Die Bundeländer VORARLBERG

NÖ, OÖ, STEIERMARK, SALZBURG, TIROL UND

setzen massiv auf den Ausbau ihrer Forschungsinfrastruktur und Forschung gesteigert wird. Eine Botschaft liegt ihr besonders am Herzen: „Wissenschaft ist ein wesentlicher Bestandteil unser aller Lebenswelten. Ohne diese kann es keinen Fortschritt geben, denn sie gibt Antworten auf Herausforderungen von heute sowie auf die Fragen von morgen.“

VON DIETER HÖNIG

ie Zukunftsressource Wissenschaft ist D ein wesentlicher Grundpfeiler“, sagt Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna

Mikl-Leitner. Sie sieht in Niederösterreichs Entwicklung im Bereich Wissenschaft eine echte Erfolgsgeschichte. „Ein klares Bekenntnis meines Vorgängers Erwin Pröll führte dazu, dass im ganzen Land verteilt Orte des Wissens entstehen konnten. Natürlich war dies mit einem großen Aufwand an Mitteln seitens des Landes verbunden. So haben wir in den letzten Jahren rund 600 Millionen Euro allein in die wissenschaftliche Infrastruktur investiert.“ Bis 2026 sollten es sogar über 900 Millionen Euro sein. Das gesamte Budget für Wissenschaft und Forschung ist in den letzten zwanzig Jahren um das Zwanzigfache gestiegen. Lag NÖ im Bundesländervergleich früher noch auf den hinteren Plätzen, so ist man mittlerweile das Bundesland mit den zweitgrößten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Die sogenannten „Orte des Wissens“ sind über das ganze Land verteilt, ein Zeichen dafür, dass Forschung von Weltrang auch im ländlichen Raum möglich ist. Die größte Ansammlung an wissenschaftlichen Einrichtungen befindet sich entlang der Forschungsachse von Krems über St. Pölten und Tulln nach Klosterneuburg und Wiener Neustadt. Zusätzlich gibt es dezentrale Einrichtungen, die zum Großteil mit Expertise von KooperationspartnerInnen aus Wien, vor allem den großen Wiener Universitäten, betrieben werden. „Am Ziel sehen wir uns aber noch lange nicht. Vielmehr möchte ich einen ganz klaren Schwerpunkt auf Wissenschaftsvermittlung und -kommunikation legen. Mir ist es wichtig, dass wir unsere jungen Menschen so früh wie möglich mit Wissenschaft in

Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von NÖ

Thomas Stelzer, Landeshauptmann von OÖ

Michael Strugl, Landeshauptmann-Stellvertreter und Forschungsreferent von OÖ

„ORTE DES WISSENS“ IN NÖ, „STEP AHEAD T H R O U G H R E S E A R C H “ ( S TA R ) I N O Ö Kontakt bringen. Denn letztlich sind gerade sie unsere wichtigsten Vermittler. Und wenn wir es schaffen, sie zu begeistern, erreichen wir vielleicht auch ihre Eltern.“ Dies sollte laut Mikl-Leitner dazu führen, dass die Wertschätzung der Bevölkerung für Wissenschaft

Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer ist mit dem klaren Ziel angetreten, das Bundesland OÖ zu den Top-Regionen Europas zu machen. „Diese zeigen uns, dass die enge Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft ein zentraler Erfolgsfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit ist. Forschung und Innovation sind dabei tragenden Säulen.“ Die Einführung der Forschungsförderung STAR „Step Ahead Through Research“ war wichtig, um die Attraktivität des Forschungsstandorts weiter zu erhöhen. Die zusätzlichen Fördermittel im Rahmen von STAR von vierzig Millionen Euro in den Jahren 2017 bis 2021 schaffen den Handlungsspielraum, um innovative Themen aufzugreifen, Initiativen gezielt voranzutreiben und junge Forschungstalente für den Standort OÖ zu begeistern. „Um die besten Köpfe in unser Land zu holen und hier zu halten, arbeiten wir laufend am Ausbau unseres Studienangebotes. Unsere Universitäten und Hochschulen müssen als Studienstandort noch sichtbarer und attraktiver werden“, sagt Stelzer. „Mit einem neuen Förderprogramm unter dem Titel „Young Research Groups“, das sich in enger Abstimmung zwischen dem Land OÖ, der Abteilung Wirtschaft und Forschung und dem FWF in Ausarbeitung befindet, wollen wir Forschungstalente aus aller Welt nach OÖ holen“, ergänzt LandeshauptmannStellvertreter Michael Strugl. Den jungen SpitzenforscherInnen soll in der ersten Phase des Programms die Möglichkeit geboten werden, an einer oberösterreichischen Universität eine eigene Forschungsgruppe in zukunftsweisenden Themenfeldern aufzubauen und zu leiten. Nach dem Projektende will man sie durch Karriereperspektiven wie Professuren oder leitende Positionen an Forschungseinrichtungen im Land halten. Darüber hinaus soll mit dem „Industrial/ Professional PhD Programm“ ein neues, innovatives Konzept für die Ausbildung von

Fotos: ZVG, Land OÖ, Büro LH-Stv. Strugl

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Fotos: Teresa Rothwangl, Land Salzburg

jungen ForscherInnen eingerichtet werden. Es sieht eine berufsbegleitende Promotion mit direktem Bezug zur Praxis vor und richtet sich an AbsolventInnen mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Industrie, etwa als F&E-LeiterIn. Die Studierenden arbeiten an einer praxisrelevanten Dissertation. Das ist ein Mix aus Theorie und Praxis, der insbesondere in Ländern angeboten wird, die zu den Innovation Leaders in Europa zählen, wie etwa Schweden, Dänemark, Großbritannien und Deutschland. Neue Spitzenforschungszentren wie die „LIT Factory“, eine Pilotfabrik für die Industrie 4.0 unter der Leitung der Johannes Kepler Universität Linz, sowie das „Center for Symbiotic Mechatronics“ unter dem Dach der Linz Center of Mechatronics GmbH (LCM) sollen durch ihre Kooperationen mit internationalen Partnern daran arbeiten, die Aufmerksamkeit von SpitzenforscherInnen noch gezielter auf den Forschungsstandort OÖ zu lenken. Der Wissenschaftsstandort Österreich und damit auch der Hochschulraum der Steiermark stehen vor großen Herausforderungen: Die zunehmende Internationalisierung der Wissenschaften, vergleichbare Qualitätsstandards sowie Leistungsindikatoren und die steigende Verpflichtung zur Fokussierung auf Spezialthemen stellen immer höhere Ansprüche an den Forschungsstandort Österreich. Die Steiermark hat auf diese Herausforderung mit einer eigenen Forschungsstrategie reagiert, die Leitlinien und Ziele für Kooperationen von Wissenschaft und Forschung in der Steiermark festlegt. „Dabei soll vor allem die Stärke unserer Kooperationskultur zwischen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und der Wirtschaft ausgebaut werden“, erklärt Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl. „Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft wird in unseren Kompetenzzentren, Impulszentren, Fachhochschulen und Kooperationsprojekten zwischen Universitäten und Unternehmen gelebt.“ Ehrgeiziges Ziel ist, die Steiermark als einen international wahrgenommenen Forschungsraum und eine der forschungsintensivsten Regionen in Europa zu positionieren. Mit einer Forschungs- und Entwicklungsquote von aktuell 4,87 Prozent ist die Steiermark mit Abstand das Forschungsland Nummer eins in Österreich und liegt unter den 274 Regionen der EU an zweiter Stelle! Um diese Position noch auszubauen, setzt die Landesrätin auf ganz gezielte Maßnahmen: „Der Ausbau unserer Forschungs-

Barbara EibingerMiedl, Landesrätin für Wissenschaft in der Steiermark

Martina Berthold, Landesrätin für Wissenschaft in Salzburg

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infrastruktur, den das Wissenschaftsressort des Landes gezielt fördert, schafft nachhaltige Standortvorteile für die Steiermark, indem die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft gestärkt wird. In konkreten Themenkorridoren entstehen standortspezifische Stärken von der Grundlagenforschung bis zur angewandten Forschung. Die Einrichtung von Stiftungsprofessuren unterstützt das Wissenschaftssystem dort, wo für die Steiermark Entwicklungschancen bestehen.“ Der „Zukunftsfonds Steiermark“ ist darauf ausgerichtet, zukunftsweisende Projekte zu unterstützen, die für die Entwicklung des Standortes wichtig sind. Es entstehen so Initiativen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wie das „Zentrum am Berg“ in Eisenerz. Nicht zuletzt arbeitet man intensiv daran, den Stellenwert von Wissenschaft und Forschung der steirischen Bevölkerung und vor allem den jungen Menschen gezielt näherzubringen. Eibinger-Miedl will die Steiermark in ihrer internationalen Sichtbarkeit und Konkurrenzfähigkeit stärken. Dies soll durch höchste Qualität in Forschung und Lehre sichergestellt werden. So hofft man, ausgezeichnete HochschulabsolventInnen sowie NachwuchsforscherInnen hervorzubringen. Dabei ist die Österreichische Forschungsgemeinschaft ein wichtiger Partner. Denn sie entwickelt auch hochschulpolitische Konzepte zu wesentlichen Zukunftsthemen. Außerdem gibt sie Anstöße zur Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen für Forschung, Lehre und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. In einem kooperativem Prozess wurde in Salzburg die Wissenschafts- und Innovationsstrategie des Landes Salzburg (WISS 2025) erarbeitet. Sowohl der Wissenschaftsund Forschungsrat des Landes als auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen

DIE STEIERMARK, DAS FORSCHUNGSLAND NO. 2 IN DER EU, SCHÄTZT DIE ÖFG ALS PARTNER waren eingeladen, sich in diese Strategieentwicklung einzubringen. „Als Ergebnis konzentrieren wir uns auf einige Stärkefelder und agieren stark standortbezogen“, erklärt Wissenschaftslandesrätin Martina Berthold. Zukünftig sollen die Landesgelder vor allem in die Bereiche Life Sciences, IKT (Smart Data and Services), Smart Materials, Intelligentes Bauen sowie Creative Industries fließen. Fortsetzung nächste Seite

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Fortsetzung von Seite 21

Der in Salzburg seit jeher starke Bereich der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften wird zudem über die „Kreativwirtschaft“ ausgebaut. Die für den Standort Salzburg traditionell essenziellen Bereiche wie Kunst, Literatur und Kultur werden in Abstimmung mit der Stadt gestärkt. Zusätzlich fließen Landesgelder in gesellschaftspolitische Kernthemen wie Inklusion, Migration und Sozialpolitik. Derzeit wird mit der Paris Lodron Universität (PLUS) ein mittelfristiges Standortabkommen erarbeitet, in dem gemeinsame Ziele für die Weiterentwicklung von Forschungsschwerpunkten definiert werden. Das Abkommen soll ein klares Standortsignal für die gerade abgeschlossenen Überlegungen des BMWFW zur „Zukunft Hochschule“ darstellen. Erstmals kommt es durch die WISS 2025 auch zu einem koordinierten Schulterschluss zwischen den Hochschulen und dem Land. Verschiedene Projekte verbinden die PLUS mit der Fachhochschule wie auch mit der Paracelsus Medizinische Privatuniversität sowie dem Mozarteum. Seit einigen Jahren unterstützt Salzburg auch die stetig steigenden Forschungstätigkeiten der Pädagogischen Hochschule Stefan Zweig. Im März 2017 eröffnete die PLUS im Stadtteil Itzling einen Neubau für Forschung und Lehre um 25 Millionen Euro, wovon das Land Salzburg vier Millionen Euro finanzierte. Das Gebäude soll mit 6.500 Quadratmetern rund hundert Mitarbeitenden des Fachbereichs „Chemie und Physik der Materialien“, Studierenden der Ingenieur- und Materialwissenschaften sowie jenen des internationalen Masterstudiengangs „Chemistry and Physics of Materials“ Platz bieten. „Das neue Laborgebäude mit seinen Disziplinen bildet

Bernhard Tilg, Landesrat für Wissenschaft in Tirol

S A L Z B U R G : E R S T E R S C H U LT E R S C H L U S S ZWISCHEN HOCHSCHULEN UND LAND den Kern des Science and Technology Hub (SciTecHub). Dieser wird künftig zu einer zentralen Forschungs- und Anwendungsdrehscheibe ausgebaut. In diesem sind alle in Itzling ansässigen naturwissenschaftlichtechnischen Einrichtungen der Universität zusammengefasst. Dazu zählen neben den technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen auch die Computerwissenschaften, der interfakultäre Fachbereich für Geoinformatik Z_GIS und das Center for Human Computer Interaction HCI“, sagt die Landesrätin.

„Wissen ist die Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg sowie die Triebkraft für Wachstum und Beschäftigung“, sagt Bernhard Tilg, der Wissenschaftslandesrat von Tirol. „Damit gilt die Forschungs- und Wirtschaftskompetenz unseres Landes als Garant für eine starke und nachhaltige Entwicklung Tirols. Umso wichtiger ist es uns, die Top-WissenschaftlerInnen in Tirol zu halten. Wir haben es selbst in der Hand, uns als nationaler, globaler und innovativer Wissenschaftsstandort mit hoher Lebensqualität zu positionieren. Eine gute Forschungs- und Technologieumgebung ist in diesem Zusammenhang die grundlegende Basis.“ Dafür nimmt Tirol enorm viel Geld in die Hand: Insgesamt wurden bereits rund 900 Millionen Euro in Wissenschafts- und Innovationssektor investiert. Das belegt, dass Innovation und Fortschritt einen hohen Stellenwert in Tirol haben. „Mittlerweile befinden wir uns mit einer aktuellen Forschungsquote von über drei Prozent auf einem sehr guten Weg, der kontinuierlich ausgebaut wird“, erklärt Tilg. „Tirol bietet exzellente Ausbildungen, einen fruchtbaren Boden für Innovationen und ein kooperatives Klima für angehende WissenschaftlerInnen, um sich bestmöglich entwickeln zu können. “ Pro Jahr unterstützt Tirol den Wissenschafts- und Forschungsbereich mit rund 37,4 Millionen Euro. Diese Mittel fließen hauptsächlich in die Förderung von Forschungsprojekten sowie in die Finanzierung der Tiroler Fachhochschulen und Universitäten. Auch dienen sie zur Finanzierung von Stiftungsprofessuren sowie Doktoratskollegs. „Will man kluge Köpfe im Land halten, gilt es, vor allem beim Nachwuchs anzusetzen“, sagt Tilg. Mit dem Tiroler Wissenschaftsfonds werden herausragende NachwuchswissenschaftlerInnen mit jährlich einer Million Euro gefördert. Darüber hinaus stellt das Land jährlich weitere drei Millionen Euro für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Mit der zusätzlichen Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF des Bundes und einem „Matching Fund“ zwischen Land Tirol und FWF ergibt das eine jährliche Forschungsförderung von insgesamt sieben Millionen Euro. Damit ist es möglich, Jahr für Jahr über 150 junge WissenschaftlerInnen zu unterstützen. „Wir bieten vor allem dem Nachwuchs echte berufliche Perspektiven in Tirol, was uns besonders am Herzen liegt“, so Tilg und verweist auf einige Beispiele: Beim EUREGIOWissenschaftsfonds („EUREGIO Science

Foto: www.tirol.gv.at

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Foto: ÖVP

Fund“) wird der Fokus auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gelegt. Durch gemeinsame Forschungsvorhaben soll die Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Einrichtungen in der Europaregion gefördert werden. Bisher wurden über 1,4 Millionen Euro für EUREGIO-Projekte verwendet. „Damit stärken wir auch die internationale Position des Forschungsstandortes Tirol und steigern seine Attraktivität. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren den Campus Tirol ausgebaut und neue Studiengänge für Wirtschaft, Gesundheits- und Sporttourismus in Landeck oder Mechatronik in Lienz eingeführt“, führt Tilg weiter aus. Die neue Bachelor-Pflegeausbildung soll neue Chancen an den Standorten der Gesundheits- und Krankenpflegeschulen bringen sowie wohnortnahe, moderne Ausbildungen für junge TirolerInnen. „Egal ob Medizin, Tourismus, Technik, Pflege oder Humanwissenschaften“, sagt Tilg. „Die genannten Beispiele zeigen, dass wir jungen wie erfahrenen WissenschaftlerInnen entsprechende Rahmenbedingungen bieten sowie Möglichkeiten, Wissenschaft und Praxis zu kombinieren. In Verbindung mit einer hohen Lebensqualität sind wir ein Land, das WissenschaftlerInnen aus aller Welt einen attraktiven Platz zum Arbeiten bieten kann.“ Vorarlberg zeigt, wie es geht: „Als kleines Bundesland ohne Universität hat Vorarlberg in den vergangenen zwanzig Jahren große Anstrengungen unternommen, attraktive Arbeitsplätze für wissenschaftlich Tätige und engagierten Wissenschaftsnachwuchs zu schaffen“, sagt Vorarlbergs WissenschaftsLandesrätin Bernadette Mennel. So wurde insbesondere die Forschung an der Fachhochschule Vorarlberg stark ausgebaut. Sie ist eine Einrichtung, die mittlerweile zu den forschungsstärksten Fachhochschulen Österreichs gehört. Im Jahr 2004 wurden die Forschungszentren „Mikrotechnik“, „Nutzerzentrierte Technologien“ sowie „Prozess- und ProduktEngineering“ gegründet. 2008 erfolgte die Gründung des „Josef Ressel Zentrums für Optimierung unter Unsicherheit“. 2010 kam es zur Gründung des Forschungsbereichs „Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“, 2012 folgte das Forschungszentrum „Energie“. Dazu kam die Einrichtung der von Illwerke vkw geförderten Stiftungsprofessur für Energieeffizienz und 2014 das „Josef Ressel Zentrum für Materialbearbeitung mit ultrakurz gepulsten Laserquellen“. Im April 2015 wurde das „Josef Ressel Zentrum für

Bernadette Mennel, Landesrätin für Wissenschaft in Vorarlberg

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angewandtes wissenschaftliches Rechnen in Energie, Finanzwirtschaft und Logistik“ an der Fachhochschule Vorarlberg eröffnet. Insgesamt wurde an der FH Vorarlberg im Geschäftsjahr 2016 mit 129 Partnern aus Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft an 49 großen Forschungs- und Entwicklungsprojekten gearbeitet. Davon konnten acht Projekte im Jahr 2016 erfolgreich abgeschlossen werden. Bei den 41 weiteren Projekten reicht die Laufzeit über das Geschäftsjahr 2016 hinaus. Die Fragestellungen leiten sich aus Anforderungen von Unternehmen und Institutionen ab. Die Erkenntnisse der Forschungsprojekte kommen wiederum der Wirtschaft zugute. Die Fachhochschule ist dadurch ein wichtiges Wissenszentrum für die regionale Wirtschaft geworden und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der „Wissenschafts- und Forschungsstrategie Vorarlberg 2020+“. Das Forschungsvolumen der FH Vorarlberg betrug im Jahr 2016 rund 3,5 Millionen Euro. Davon wurde etwa die Hälfte durch Drittmittel finanziert. Die FH Vorarlberg und die Universität Innsbruck unterzeichneten im Frühjahr 2016 ein Memorandum of Understanding zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung,

TIROL FÖRDERT EUREGIO-PROJEKTE, VORARLBERG ANGEWANDTE FORSCHUNG Studium und Weiterbildung. Ein Bestandteil des Memorandums ist die Kooperation in der Betreuung von Dissertationen, die von den Rektoraten beider Hochschulen unterstützt wird. Darüber hinaus werden DoktorandInnenstellen am international erfolgreichen Institut für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innstruck am Standort Dornbirn sowie eine Stiftungsprofessur im Bereich der Smart Textiles vom Land Vorarlberg gefördert. Auch das Institut für Atemgasanalytik in Dornbirn, welches die Universität Innsbruck vor drei Jahren von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften übernommen hat, wird vom Land finanziell unterstützt. Beide Institute bieten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hervorragende Möglichkeiten, an innovativen und zukunftsträchtigen Forschungsfeldern zu arbeiten. Sei es die Herstellung textiler Drucksensoren, sei es die Entwicklung von speziellen Textilien für ältere Menschen oder eben auch die Früherkennung von Krebs durch Atemgasanalyse.

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Unterstützung für die besten Projekte Ihre Ergebnisse auch international präsentieren und diskutieren zu können, kann für J U N G E F O R S C H E R I N N E N U N D F O R S C H E R karriereentscheidend sein VON USCHI SORZ

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as Förderprogramm „Internationale Kommunikation“ der Österreichischen Forschungsgemeinschaft richtet sich in erster Linie an den wissenschaftlichen Nachwuchs. „Diesen möchten wir schon in der frühen Phase der akademischen Laufbahn unterstützen“, sagt Christiane Spiel, Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der ÖFG. „Schließlich ist internationale Vernetzung heutzutage enorm wichtig.“ Daher fördert die ÖFG internationale Forschungsaufenthalte und -projekte oder Publikationen, Vorträge und Posterpräsentationen. Darüber hinaus möchte sie die Sichtbarkeit österreichischer Forschungsaktivitäten erhöhen. Der stetige Anstieg an Einreichungen zeige den großen Bedarf in diesem Bereich auf. Das macht es natürlich nicht einfach, die besten Kandidatinnen und Kandidaten auszuwählen. „Derzeit sind es über 600 Anträge pro Jahr“, sagt Spiel. Hier stellen wir vier von den 300 aktuell Geförderten vor.

Gilbert Hangel, MedUni Wien

Sarah-Kristin Thiel, Aaarhus Universitet, Dänemark

Gilbert Hangel, 32, Postdoctoral Researcher am Exzellenzentrum für Hochfeld-MR, MedUni Wien „Es ist schön, an einer österreichischen Forschungseinrichtung mit international vorzeigbaren Ergebnissen zu arbeiten“, sagt Gilbert Hangel. Der Physiker mit Schwerpunkt hochauflösende spektroskopische Bildgebungsmethoden fürs Gehirn forscht am Exzellenzzentrum für Hochfeld-MagnetMAGNA-CUM-LAUDE-AWARD FÜR EINE P R Ä S E N TAT I O N I N H O N O L U L U , U S A resonanztomografie der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin in Wien. Hier steht der einzige 7-Tesla-Magnetresonanzscanner Österreichs; weltweit gibt es nur wenige MR-Geräte mit einer so hohen Magnetfeldstärke. „Unser Forschungsniveau kann man durchaus mit Oxford oder Harvard vergleichen“, erklärt Hangel. Er studierte Technische Physik an der TU Wien und Medical Physics an der MedUni Wien, wo er auch seinen PhD gemacht hat.

Nun arbeitet er an der Schnittstelle von Physik, Medizin und modernster Gerätetechnik. Dabei geht es darum, noninvasiv Informationen über den Stoffwechsel und die Verteilung chemischer Substanzen im Gehirn zu bekommen. „Das lässt Erkenntnisse über unsere Gehirnfunktionen zu. Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Tumore kann man besser diagnostizieren und beobachten.“ Hangel ist daran beteiligt, die Methode schneller und ihre Auflösung höher zu machen. 2016 war er Erstautor einer Studie, in der weltweit erstmals eine Auflösung von weniger als 2 x 2 mm2 für metabolische Bilder erreicht wurde. „Das hat zuvor unsichtbare Details sichtbar gemacht.“ Der ÖFGgeförderte Aufenthalt bei der Konferenz der International Society for Magnetic Resonance in Medicine in Honolulu, USA, brachte ihm einen Magna-Cum-Laude-Award für seine Präsentation ein. Sarah-Kristin Thiel, 28, Post-Doc an der Aarhus Universitet, Dänemark „Demokratie ist ein hohes Gut, aber wir können nur davon profitieren, wenn wir sie tatsächlich nutzen“, sagt Sarah-Kristin Thiel. „Wir sollten uns also nicht nur im stillen Kämmerlein oder im Freundeskreis über irgendwelche Zustände aufregen, sondern aktiv versuchen, etwas daran zu ändern.“ Bevor sie im August ihre Post-Doc-Stelle in Dänemark antrat, hat die Medieninformatikerin am Center for Human Interaction der Uni Salzburg ihre Dissertation verfasst. Ihre Arbeit beschäftigte sich mit dem Einfluss von spielerischen Elementen in Bürgerbeteiligungskontexten. Die Strategie, Computerspielelemente wie Punkte, Bestenlisten oder Rankings in digitale Alltagsanwendungen einzubauen, nennt man Gamification.

A U S TA U S C H M I T K O L L E G I N D E R U N I V E R S I T Y O F A B E R TAY D U N D E E , S C H O T T L A N D Damit möchte man die Motivation erhöhen, bestimmte Dinge auszuführen. Unter diesem Gesichtspunkt hat Thiel Bürgerbeteiligungsanwendungen unter die Lupe genommen.

Fotos: Privat

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„Mir ging es vor allem um die Auswirkungen der einzelnen Spielelemente“, erklärt die gebürtige Bayerin. „Also etwa von Punktesystemen versus zeitlichen Beschränkungen.“ Bei ihren Untersuchungen half ihr der fachliche Austausch mit Paula Forbes von der University of Abertay Dundee in Schottland, die zeitgleich an einem ähnlichen Projekt arbeitete. Eine ÖFG-Förderung ermöglichte Thiel einen einwöchigen Aufenthalt dort. „Obwohl es bereits einige Arbeiten in diesem Bereich gibt, hat sich bisher noch niemand mit den tatsächlichen Auswirkungen auf den Beteiligungsprozess beschäftigt.“

gruppe berichtet. Der Kontakt zu führenden WissenschaftlerInnen im Bereich der Molekularphysik sei wertvoll gewesen. „Das breite Spektrum der Tagung ermöglichte aber auch Einblicke in andere Forschungsgebiete.“ Anschließend verbrachte sie mehrere Wochen an der University of New South Wales in Sydney und an der University of Melbourne. Jennifer Meyer, Uni Innsbruck

Jennifer Meyer, 33, Post-Doc, Institut für Ionenphysik u. Angewandte Physik, Universität Innsbruck Jennifer Meyer betreibt Grundlagenforschung zu Wechselwirkungen in komplexen molekularen Systemen. Dabei bewegt sich die Chemikerin in einem interdisziplinären Bereich zwischen Physik und Chemie. „Chemische Reaktionen auf molekularer Ebene und insbesondere ihre Dynamik versteht man noch nicht vollständig“, sagt sie. Im Sommer war sie zur Atom- und Molekülphysiktagung ICPEAC (International Conference on Photonic, Electronic and Atomic Collisions) in Cairns, Australien, eingeladen,

Philipp Homar, WU Wien, Donau-Uni Krems

Fotos: Privat, Sousa

K O N G R E S S P R Ä S E N TAT I O N I N A U S T R A L I E N UND ARBEIT AN DORTIGEN UNIS um über ihre Arbeit zu berichten. „Ich baue gerade ein Projekt auf zur Untersuchung der Reaktionsdynamik von Metallen bzw. Metallionen mit kleinen Molekülen. Damit möchte sie sich an der Uni Innsbruck habilitieren. „Es geht darum, die Aktivierung von Methan besser zu begreifen.“ Als Hauptbestandteil von Erdgas sei Methan ein wichtiger natürlicher Rohstoff. Der allerdings chemisch wenig reaktiv sei. „Daher braucht man Katalysatoren, um die Reaktion zu beschleunigen.“ Unter anderem soll die Untersuchung eines Modellsystems tiefere Einblicke geben. An der Konferenz, an der Meyer mit einem ÖFG-Reisestipendium teilnahm, hat sie neben Einzelheiten dazu auch über zwei weitere Projekte ihrer Arbeits-

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Philipp Homar, 33, Universitätsassistent an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Donau-Universität Krems Als Jurist mit medienwissenschaftlichem Hintergrund beschäftigt sich Philipp Homar mit der Rolle geistigen Eigentums in der digitalen Wissensgesellschaft. Vor allem das Urheberrecht stellt den Gesetzgeber vor komplexe Aufgaben. „In vielen Bereichen steckt es im analogen Zeitalter fest und verliert an Akzeptanz.“ Durch die Verlagerung persönlicher Kommunikation auf Social-Media-Plattformen dringt das Urheberrecht in Lebensbereiche vor, die man früher der Privatsphäre zugerechnet hat. Es gelte also, die bestehenden Regelungsmechanismen an das digitale Zeitalter anzupassen. Vor allem durch ausreichend Anreize für kreatives Schaffen und die gleichzeitige Gewährleistung von Freiheiten für die Nutzung moderner Informationstechnologien. Die ÖFG-Förderung ermöglichte Homar einen Forschungsaufenthalt an der University of Hong Kong. Dort beschäftigt sich ein Projekt mit der Öffnung des Urheberrechts durch die Einführung einer Generalklausel („Fair-Use-Ausnahme“). „Solche am US-UrheÖFG ERMÖGLICHT FORSCHUNGSA U F E N T H A LT I N H O N G K O N G berrecht orientierten Privilegierungen sind ein Trend in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion“, sagt Homar. Seine eigene Arbeit habe jedoch gezeigt, dass der Flexibilität, die diese bieten, mitunter ein Mehr an Rechtsunsicherheit gegenüberstehe. „Sie sind daher kein Allheilmittel.“ Mit dem Ziel, Handlungsoptionen für den Gesetzgeber zu definieren, setzt er sich in Hongkong noch gründlicher mit dieser Forschungsmaterie auseinander.

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Hochschuldidaktik im virtuellen Raum mittlerweile ein zentrales Thema für alle Hochschulen, stand im Mittelpunkt der zweitägigen ÖFG-Tagung in Baden bei Wien D I G I TA L I S I E R U N G ,

VON WERNER STURMBERGER

as Hotel Schloss Weikersdorf diente als D Kulisse für den Workshop vom 12. bis 13. Mai. Nach einem gemeinsamen Mittagstisch

eröffnete ÖFG-Präsident Karlheinz Töchterle die Tagung und übergab an Christiane Spiel, die Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats. Sie leitete in das Themenfeld ein. Martin Ebner, Leiter der Abteilung für Lehr- und Lerntechnologien der TU Graz und Präsident des Vereins Forum Neue Medien in der Lehre Austria, präsentierte im ersten Vortrag zwei Studien über die österreichische ELearning-Landschaft. Er beschrieb die unterschiedlichen Zugänge der Hochschulen und identifizierte gemeinsame Probleme. Eine umfassende Digitalisierung der Hochschulen müsse als ganzheitlicher und kontinuierlicher Prozess begriffen werden und mehrere Aspekte berücksichtigen (Interview Seite 28). Michael Kopp, Akademie für Neue Medien und Wissenstransfer der Uni Graz, wies in seinem Vortrag auf die entscheidende Rolle

der Lehrenden hin, wenn der Einsatz digitaler Instrumente selbstverständlich werden und Lernende digitale Medienkompetenz entwickeln sollen. Gerade die Universitäten würden hierbei noch hinter den Erwartungen ihrer Studierenden zurückbleiben. „eDidactics“, das Fortbildungsprogramm der steirischen Hochschulkonferenz, soll helfen, diese Lücke zu schließen, und Lehrende dazu in die Lage versetzen, neue Medien in allen Bereichen der Lehre kompetent anzuwenden. Über den konkreten Einsatz von E-Learning berichtete Barbara Hinterstoisser, Vizerektorin für Lehre und Internationales an der BOKU Wien. Deren Anspruch sei es, zeitgemäße Inhalte mittels moderner didaktischer Methoden zu vermitteln. Die Digitalisierung sei dabei unumgänglich, allein schon deshalb, weil sie im beruflichen Alltag von Forst- und Landwirtschaft genauso wie in das persönliche Lernumfeld der Studierenden Einzug gehalten hat. In ihrem Vortrag stellte sie gegenwärtige Aktivitäten ihrer Universität, deren Chancen und Auswirkungen

Fotos: ÖFG, Christopher Mavric

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dar. Besonderes Augenmerk galt dabei der mobilen App „BOKU grasp“, deren Ziel es ist, abstrakte Formen mit praktischer Erfahrbarkeit zu verbinden. Trotz aller digitalen Techniken sei aber der persönliche Kontakt und das richtige Maß aus analog und digital unverzichtbar, damit ein „Lernen mit allen Sinnen“ gesichert bleibt. In einem etwas anderen Kontext stellen sich die Fragen der Digitalisierung für Fernuniversitäten, deren Lehre bereits virtualisiert abgehalten wurde. Die digitalen Medien eröffnen hier Möglichkeiten, die den zuvor ausschließlich analogen deutlich überlegen sind, wie im Vortrag von Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität Hagen, deutlich wurde. Sie strich heraus, dass die Digitalisierung der Gesellschaft massive Veränderungen nach sich ziehe, von der letztlich auch die Universitäten betroffen sind und auf die es zu reagieren gelte – sowohl angebotsseitig als auch in der Organisation der Lehre. Hochschulen müssten sich zudem neuen Zielgruppen öffnen und sollten sich aktiv in die Debatten über die Gestaltung des digitalen Wandels einbringen. Mit den durch die Digitalisierung bedingten Verschiebungen im gesamten Bereich der Wissensarbeit beschäftigte sich Friedrich Hesse, Arbeitsbereich für Angewandte Kognitionspsychologie und Medienpsychologie der Universität Tübingen. Die Einbindung dieser

Tagung der ÖFG in Baden. Vorträge und Diskussionen darüber, wie sich die Lehre im tertiären Bereich auf die digitalen Medien einstellen muss

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http://www.oefg.at/wpcontent/uploads/2014/01/ Positionspapier%C3%96FG-2017-Hochschullehre-in-Zeiten-derDigitalisierung.pdf

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digitalen Ressourcen ist dabei maßgeblich von praktikablen kognitiven Schnittstellen abhängig, so seine These (Interview Seite 29). Die abschließende von Christiane Spiel moderierte Podiumsdiskussion bestritten Peter Baumgartner (Leiter des Departments für Interaktive Medien und Bildungstechnologien, Donau-Universität Krems), Irene Fally (Institut für Romanistik, Universität Wien), Elmar Pichl (Leiter der Hochschul-Sektion, BMWFW), Christa Walenta (Studiengangsleiterin für Betriebswirtschaft & Wirtschaftspsychologie, Ferdinand Porsche FernFH). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Digitalisierung bereits von sämtlichen Hochschulen thematisiert wird, es aber oftmals an notwendigen Ressourcen und entsprechenden strategischen Ausrichtungen fehlt. Als zentrale Herausforderung gelten die entsprechende Qualifikation der Lehrenden und die Etablierung rechtlicher Rahmenbedingungen für den virtuellen Lehrbetrieb und die Erstellung und Verwendung entsprechender Lehrhinhalte. Mit der Digital Roadmap der Bundesregierung und den Strategieplänen von Bildungs- und Wissenschaftsministerium gibt es ein politisches Bekenntnis zur Digitalisierung im Hochschulsektor. Um dessen Einlösung zu unterstützen, hat die ÖFG, basierend auf diesem Workshop, ein Positionspapier mit Handlungsempfehlungen erstellt.1

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Die erste Welle ist geschafft Für M A R T I N E B N E R ist klar, dass E-Learning eine bevorzugte Lernform der Studierenden ist. Daher müssen sich die Hochschulen dem anpassen richtsstil nicht einfach von heute auf morgen umstellen. Sie brauchen Zeit, um sich an die veränderten Abläufe und Infrastrukturen zu gewöhnen und ihren Lehrstil zu ändern. Das muss sich entwickeln. Zu guter Letzt stellen sich auch Fragen rechtlicher Natur, die bislang unbeantwortet sind.

VON WERNER STURMBERGER

artin Ebner, Leiter der Abteilung für M Lehr- und Lerntechnologien der Graz, hat nach seinem Vortrag bei der BaTU

dener Tagung der ÖFG mit uns abseits des Workshops über den Stand der Hochschuldigitalisierung und deren weitere Entwicklung gesprochen. Im Gespräch wurden unter anderem auch Fragen der Hochschuldidaktik, der organisationalen Rahmenbedingungen und einer entsprechenden Deckung des Ressourcenbedarfs berührt.

M artin Ebner, Leiter der Abteilung für Lehr- und Lerntechnologien der TU Graz

Herr Ebner, wie würden Sie den Status quo der Digitalisierung der österreichischen Hochschullandschaft beschreiben? Martin Ebner: Grundsätzlich kann jede Hochschule Aktivitäten in diesem Bereich vorweisen. Die erste Welle ist geschafft. Es stehen E-Learning-Management-Systeme zur Verfügung, es wird digitaler Content hergestellt und in den Lehrveranstaltungen angewandt. Das Niveau, auf dem diese Lösungen implementiert sind, variiert aber stark. Gerade kleinere Hochschulen werden oft von den hohen Anfangskosten von der Einführung entsprechender Lösungen abgehalten. Vor allem die pädagogischen Hochschulen hinken hier etwas hinterher. Da hier die Lehrenden von morgen ausgebildet werden, ist das durchaus kritisch zu sehen. Generell werden viele unterschiedliche Lehrmittel und -methoden erprobt. An den Universitäten fehlt es aber an einer entsprechenden strategischen Ausrichtung. E-LEARNING MUSS AUF ALLEN EBENEN UND S T R AT E G I S C H E I N G E S E T Z T W E R D E N Wo sehen Sie im Moment noch die größten Hindernisse? Ebner: Einerseits ganz klar finanzierungsseitig: Die Produktion von Inhalten wie etwa Lehrvideos oder entsprechende Games kostet Geld. Da fehlt noch ein klares Bekenntnis der Politik, das sich auch wirklich in der Zusicherung finanzieller Ressourcen niederschlägt. Andererseits muss sich an den Universitäten ein Kulturwandel in Sachen Lernmethodik vollziehen. Das ist sicherlich nicht trivial, denn Lehrende können ihren Unter-

Welche rechtlichen Aspekte werden durch E-Learning berührt? Ebner: Nur wenige Universitäten haben rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, um ganz konkrete Fragen im Kontext von E-Learning zu beantworten: Darf ich eine Lehrveranstaltung überhaupt virtuell abhalten? Darf ich virtuelle Inhalte einbauen oder sogar auf Präsenzunterricht verzichten? Im Universitätsgesetz gibt es dazu nur einen Satz, weswegen die Hochschulen in ihren Satzungen für entsprechende Regelungen sorgen müssen. Bislang haben das aber nur wenige Universitäten gemacht. Der nächste Schritt wäre, das auf der Ebene der Curricular-Kommissionen zu verankern. Im Moment ist es noch von einzelnen Lehrenden abhängig, ob Lehrveranstaltungen auch virtuell abgehalten werden. Das heißt, der Einsatz erfolgt noch wenig strategisch? Ebner: Im Moment ist E-Learning noch sehr stark von Einzelpersonen abhängig. Es muss aber strategischer umgesetzt werden: Weg von einzelnen motivierten Lehrenden hin zu einer Verankerung von E-Learning auf allen Ebenen. Das Ministerium kann natürlich sagen, wir hätten gern, dass so und so viel Prozent der Kurse virtuell laufen. Um diese strategische Forderung umzusetzen, braucht es aber Curricula, die entsprechend erstellt und finanziert werden. Wie wird E-Learning überhaupt von den Studierenden angenommen? Ebner: In unserer Erfahrung sind sie selbst größter Treiber dieser Entwicklung und stehen für uns ganz klar im Fokus: Was braucht diese Zielgruppe? Wenn es da keinerlei Nachfrage geben würde, würde das ja auch nichts bringen. Im Moment ist es aber eher so, dass die Studierenden mehr Angebote fordern, als wir tatsächlich erfüllen können.

Foto: TU Graz / Baustaedter

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Die nächste Stufe von E-Learning Der Medienpsychologe F R I E D R I C H H E S S E sieht in E-Learning einen ersten Schritt zur Unterstützung von Wissensprozessen im eigenen Kopf VON WERNER STURMBERGER

riedrich Hesse, Kognitions- und MedienF psychologe an der Universität Tübingen, erklärt, wie die neuen Medien unser Lernen

und Arbeiten revolutionieren können. Vorausgesetzt, es finden sich innovative Wege, sie mit passenden Schnittstellen einzubinden.

Foto: IWM/Sebastian Groteloh

Herr Hesse, wie verändern denn die neuen Medien das Lernen? Friedrich Hesse: Wenn man betrachtet, wie wir im 21. Jahrhundert lernen, dann haben wir auf der einen Seite unsere internen Wissensspeicher und auf der anderen Seite die unterschiedlichen Möglichkeiten einer neuen Lernumwelt. Am Aufbau unseres Wissens ist das Arbeitsgedächtnis zentral beteiligt. Dessen Kapazität ist von jeher beschränkt und wird es auch bleiben. Auf der anderen Seite erleben wir eine ubiquitäre Verfügbarkeit von Informationen, die nie so groß war wie heute. Diese Ubiquität und die Möglichkeit der interaktiven Erschließung von Informationen sind für den Wissensprozess, noch vor der Geschwindigkeit dieser Netze, von entscheidender Bedeutung. Wenn diese beiden Faktoren zusammenkommen, dann kann man die beschränkte Kapazität unseres eigenen kognitiven Systems dramatisch erweitern. Dazu braucht es aber passende Schnittstellen … Hesse: Ja. Bei solchen kognitiven Schnittstellen geht es um eine spezifische Sicht auf die Mensch-Maschine-Interaktionen. Sie können intelligent sein und bestimmte Arbeiten übernehmen. Indem sie etwa so aufgestellt sind, dass sie bestimmte Verzerrungen unseres kognitiven Systems im Hinblick auf selektive Wahrnehmung, Erinnerung und Beurteilungen bei Entscheidungen mitberücksichtigen. Wir wissen etwa, dass Informationen, die von allen geteilt werden, den größten Einfluss auf Entscheidungen ausüben. Entscheidungen, die in Situationen getroffen werden, in denen nicht alle über den gleichen Informationsstand verfügen, sind aber selten die besten. In der Interaktion mit digitalen Informationen könnte dafür gesorgt werden, dass jene Informationen, über die nicht alle verfügen, vermehrt geteilt werden.

Friedrich Hesse, Kognitions- und Medienpsychologe an der Universität Tübingen

Welche Relevanz haben aus Ihrer Sicht solche Schnittstellen für E-Learning? Werden sie schon richtig begriffen? Hesse: Noch zu wenig. Denn man hat bei E-Learning noch nicht weit genug über den Tellerrand geschaut. Lange Zeit war das ja nur der Versuch, mit über digitale Medien verfügbaren Informationen die Wissensprozesse im Kopf zu unterstützen. So etwas Ähnliches hat es allerdings auch vor der Digitalisierung schon gegeben: Die Bücher mit dem gespeicherten Wissen stehen zumeist in der Bibliothek. Das bedeutet, dass Wissen erst einmal aus den Büchern in die Köpfe hineinkommen muss, damit dann jemand damit unterwegs sein und es anwenden kann. Die spezifische Qualität der digitalen Welt ist aber ihre Ubiquität. Sie ermöglich es, alle Informationen auch ohne Zwischenspeicherung im Kopf direkt über intelligente Schnittstellen einsetzen zu können. So wird eine Arbeitsteilung zwischen Wissen im Kopf und Wissen in digitalen Ressourcen umgesetzt.

EINE ARBEITSTEILUNG ZWISCHEN WISSEN IM KOPF UND IM VIRTUELLEN RAUM Dieses Potenzial wurde jedoch bisher zu wenig analytisch herausgearbeitet und in Anwendungen übersetzt. Die Weiterentwicklung von E-Learning wäre dann also eine Art „Deeper Learning“? Hesse: Der Begriff hat viele unterschiedliche Bedeutungen. In unserem Fall meint er, in Anlehnung an den Horizon-2020-Report, dass Informationen mittels digitaler Technologien enger mit dem Alltag von Menschen verknüpft werden und von den Lernenden dann selbstgesteuert verarbeitet werden. Die Veränderungen unserer Umwelt in all ihren Spielarten bedingen, dass wir immer wieder Neues lernen müssen. Dafür bieten sich die neuen Medien mit ihrer hohen Verfügbarkeit ganz besonders an. Erste Beispiele gibt es in diesem Zusammenhang etwa im Kontext von „Case Based Learning“ in der Medizin. Generell ist jedoch noch ein großer Aufholbedarf in allen Bereichen festzustellen. Man darf nicht vergessen: Das sind alles überwiegend Entwicklungen, die erst im 21. Jahrhundert begonnen haben.

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Islam und Demokratie – eine Illusion? Ein Blick auf die Tätigkeiten einiger A R B E I T S G E M E I N S C H A F T E N der ÖFG, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen befassen geführt. Ägypten ist dafür ein Paradebeispiel. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der politische Islam eine Antwort auf die großteils korrupten und ineffizienten nationalistischen und vom Westen gestützten Diktaturen in der islamischen Welt war. Die politische Entwicklung dieser Staaten und der Mangel an Demokratie sind untrennbar mit deren kolonialer Vergangenheit verbunden.

VON DIETER HÖNIG

Herr Heinisch, wie verträgt sich Islam mit Demokratie? Fehlt hier nicht eine wichtige Voraussetzung, nämlich die Trennung zwischen Staat und Kirche bzw. Religion? Reinhard Heinisch: Der Islam kennt per se keine Kirche, weshalb es schwierig ist, sich mit westlichen Kriterien an diese Frage heranzutasten. Es gibt aber eine durchaus vielschichtige Verknüpfung von Religion, Gesellschaft und Politik in der Geschichte und Gegenwart des Islams. Im Wesentlichen ist das Verhältnis der Nähe und Ferne des Islams zu den jeweiligen politischen Systemen in den letzten 1.400 Jahren immer wieder unterschiedlich definiert worden. So verhält es sich auch mit dem Begriff Demokratie. Das Konzept der Demokratie hat von Anbeginn an Faszination, aber auch Furcht bei Muslimen ausgelöst. Zum einen wurde darin eine progressive Staatsform gesehen, die dem egalitären Charakter des Islams entspricht, und andererseits die Herrschaftsform der Kolonialherren, die unterschiedliche Menschengruppen mit unterschiedlichem Maß behandelten.

Reinhard Heinisch, Professor für Politikwissenschaft, Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Zukunft der Demokratie“

MUSLIME IM WESTEN BEKENNEN SICH GROSSTEILS ZU DEN MENSCHENRECHTEN

Gerät nicht in vielen Teilen der Welt die Demokratie immer mehr ins Wanken? Heinisch: Es stimmt, dass in vielen Teilen der Welt die Demokratie zurückgedrängt wird und die Euphorie der 1990er Jahre einer Ernüchterung gewichen ist. Das trifft auch auf die islamische Welt zu. Staaten wie die Türkei wurden autoritärer und die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, führten nicht jene demokratischen Reformen ein, mit denen man einst rechnete. Aber auch im Iran geht die liberal-demokratische Öffnung sehr langsam vor sich. Länder wie Irak, Syrien, Jemen, Pakistan, Libyen und Sudan sind durch Kriege und Terrorismus schwer gezeichnet und so von demokratischen Zuständen weit entfernt. Auch der Arabische Frühling hat nicht zu den erhofften demokratischen Entwicklungen, sondern zu einer Entscheidung zwischen Islamismus oder säkularer Repression

Was spricht Ihrer Meinung nach für jene Muslime, die Einwände und Islamkritik schlichtweg als Vorurteile zurückweisen? Heinisch: Da Muslime sich im Westen großteils zu Demokratie und Menschenrechten bekennen, wie Umfragen etwa der Open Society Foundation zeigen, sehen sie derartige Einwände oftmals als unberechtigt an. Gleichzeitig spielt Religion nicht nur in der islamischen Welt, sondern überall außer in Europa tatsächlich eine stärkere Rolle in der Gesellschaft. Daraus ergeben sich auch Fragestellungen für das Politische, die uns in Europa eher fremd sind. Es muss aber gesagt werden, dass eine differenziertere Debatte nur wenig öffentlichen Widerhall findet. Viele Moslems meinen zudem, dass in westlichen Gesellschaften mit zweierlei Maß gemessen wird. Als etwa die IRA Bomben legte, sprach niemand von christlichen oder katholischen Terroristen. Wie fair und ausgewogen finden Sie die westliche Berichterstattung gegenüber Muslimen? Heinisch: Studien über die mediale Berichterstattung des Islams und der Muslime stellen Medien kein gutes Zeugnis aus. Tatsächlich erhalten die meisten Menschen über die Medien ihre Informationen über diese Weltreligion. Aufgrund der Verschränkung von Negativthemen wie Sicherheit und Integration steht der Islam zumeist in einem problematischen Licht da, was letztlich dazu führte, dass er zu einem Politikum mutierte. Inwieweit sehen Sie den Westen als Mitschuldigen, wenn nicht sogar Verursacher jener verheerenden Kriegszustände in manchen muslimischen Ländern sowie der zunehmend auch auf Europa übergreifenden Terrorgefahr? Heinisch: Der Terror, der in den letzten 15 Jahren zur Normalität in der islamischen

Foto: Privat

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Welt geworden ist, scheint nun auch mehr und mehr auf Europa überzugreifen. Wir verdrängen aber manchmal, dass die meisten Opfer des sogenannten Dschihadismus selbst Muslime sind. Gleichzeitig steht außer Zweifel, dass die USA nicht aus der Verantwortung zu nehmen sind, wenn es um den sogenannten Islamischen Staat geht. Ohne den Sturz Saddam Husseins durch die Vereinigten Staaten wäre eine so instabile Lage, wie wir sie heute in Syrien und dem Irak vorfinden, schwer denkbar. Sehen Sie irgendwann eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingsproblematik, und was wäre zu tun, wenn sich demnächst Millionen an Klimaflüchtlingen auf den Weg nach Europa machen? Heinisch: Wir müssen uns in Europa klar darüber sein, dass uns spät, aber doch postkoloniale Zustände einholen, die im Zusammenhang mit Klimafragen die Situation verschärfen. Entwicklungspolitische Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Globalen Süden, gepaart mit dem Unwillen der derzeitigen US-Administration, verlangen von Europa, gemeinsam stärker zu handeln. Das wird allerdings europäischen Institutionen angesichts der innereuropäischen Unstimmigkeit in Sachen Flüchtlingspolitik einen enormen Kraftakt abverlangen.

Foto: Universität Salzburg

ARGE Kulturelle Dynamiken: Der Einfall

war durchaus genial: Zu ihrem heurigen 50-jährigen Jubiläum rekonstruierten die Osterfestspiele Salzburg in einer Neuinszenierung von Vera Nemirova Günther Schneider-Siemssens Bühnenbild für Wagners Oper „Die Walküre“. Niemand Geringerer als Herbert von Karajan hatte mit diesem Werk 1967 sein eigenes Festival als Dirigent und Regisseur begründet. Dabei wurde die damalige, nicht mehr zeitgemäße Projektionstechnik mit bemalten Glasplatten durch neue Technologien ersetzt. Der Umstand, dass auch Mitwirkende der „Ur-Produktion 1967“ samt Zeitzeugen aus dem Publikum der Jubiläumsaufführung beiwohnten, zeigte eindrucksvoll das Verhältnis von persönlicher Erinnerung und kollektivem Gedächtnis auf. „Dieses Opernereignis lieferte uns ein Paradebeispiel an hochbrisanten kulturellen Transformationsprozessen, wie sie unsere Arbeitsgemeinschaft in ihrem breit ausgerichteten Forschungsprogramm untersucht“, sagt Sabine Coelsch-Foisner. „Im Sinne von ‚Memorialisierung‘ wurde hier

Sabine CoelschFoisner, Leiterin der ARGE Kulturelle Dynamiken

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dem ästhetischen Anspruch zweier OpernPioniere gedacht.“ Die Umsetzung erstreckt sich in breite Bereiche der Forschung: Unter dem Titel „Recognition – Continuity – Discontinuity“ untersuchten Studierende der Salzburg Easter School (SEAS) die „Wiedererkennung“ (recognition, anagnorisis) als zentrales dramaturgisches Moment. Erstmals daran teilgenommen haben die DoktorandInnen des Salzburger Doktoratskollegs „Cultural Production Dynamics“ der Doctorate School PLUS. Diese macht es sich zur Aufgabe, kulturwissenschaftliche Fragen mit kunst- und kulturpraktischen Herangehensweisen zu verknüpfen. Neben Einblicken in die Kreativindustrien sollen Studierende verschiedenste Formen ästhetischer Praxis kennenlernen und Positionen im Hinblick auf mögliche Anwendungen in sich rasch ändernden Berufsfeldern kreativ umsetzen. Ein weiteres hochaktuelles Anwendungsfeld kultureller Hybridisierungen wurde beim Habilitationsforum am 20. April 2017 in Wien unter dem Titel „Tiere in kultureller Praxis und ästhetischer Kommunikation“ diskutiert. Ausgehend von ökologischen, ökonomischen und fantasievollen Ansätzen im Umgang mit Tieren widmete sich dieser neue Forschungsbereich der „Cultural Animal Studies“ der Kultur von Tier-und-Mensch-Beziehungen anhand ästhetischer Darbietungen:

EIN NEUER FORSCHUNGSBEREICH WIDMET SICH DEN MENSCH-TIER-BEZIEHUNGEN

Welche Funktionen könnten Tiere in kulturellen Ordnungen übernehmen, als kulturelle Indices funktionieren sowie Grenzen bzw. Grenzüberschreitungen anzeigen? Eng verbunden mit Prozessen der „Transmedialisierung“ und „Memorialisierung“ sind solche der „Visualisierung“. Diesen widmet sich das fünfte Forschungscluster der ARGE in der Haupttagung vom 11.–12. Jänner 2018 in der Sky Lounge der Universität Wien. „Untersucht werden u. a. Formen der Visualisierung von Kulturgütern, kulturellem Erbe, Wissen und Kommunikation durch neue Technologien und literarische bzw. künstlerische Strategien“, erklärt ARGE-Vorsitzende Coelsch-Foisner. Neuro-Imaging und die Enttabuisierung von Armut durch Sichtbarmachen stehen ebenso im Fokus wie „Visible Speech“, die künstlerische Darstellung und Körpersprache in Alltag und Performance, sowie das Bühnenbild und der Weg von der Synthetischen Biologie zur Kunst.

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Mehr Selbstbestimmung Ist eine der Empfehlungen, die von der acht Jahre lang aktiven A R G E U N D A U S B I L D U N G für Politik und Gesetzgebung erarbeitet wurden VON BERNADETTE STROHMAIER

ede/r dritte SchülerIn in Österreichs KlasJkoschülerIn“. senzimmern gilt als sogenannte/r „RisiDas bedeutet, dass sie oder er

zumindest in einem der Bereiche Naturwissenschaften, Mathematik und Lesen mangelhafte Fähigkeiten besitzt. So das ernüchternde Ergebnis der letzten PISA-Studie der OECD im Jahr 2015. Im österreichischen Schulsystem läuft also einiges schief, was mit der Anfang Juli vom Nationalrat beschlossenen Bildungsreform geradegebogen werden soll. Für Christiane Spiel, Bildungspsychologin und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der ÖFG, geht die Reform „grundsätzlich in die richtige Richtung“. Spiel leitete die im Jahr 2008 gegründete und vor Kurzem abgeschlossene ARGE „Bildung und Ausbildung“. Ziel war, die mit Ideologien überfrachtete Diskussion im Bildungsbereich, etwa zum Thema Gesamtschule, zu versachlichen. „Im Sinne einer Bildungsgerechtigkeit sollten wir möglichst viele Menschen dahin bringen, dass sie am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben können“, sagt Spiel. Um diesem Ziel näherzukommen, formulierte die ARGE im Rahmen ihrer Tätigkeit Handlungsempfehlungen für Politik und Akteure im Bildungsbereich in Form von Positionspapieren. Diese sollen auch als Zusammenschau der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den behandelten Themen dienen. Die Themen orientierten sich an der wissenschaftlichen und gesellschaft-

Christiane Spiel leitete acht Jahre lang die ARGE Bildung und Ausbildung

B I L D U N G S P F L I C H T S TAT T S C H U L P F L I C H T, U M BILDUNGSGERECHTIGKEIT HERZUSTELLEN lichen Relevanz sowie einer besonderen Aktualität. Insgesamt fanden acht Workshops statt. Einer ihrer wichtigsten Ansprüche war, möglichst interdisziplinär zu arbeiten. Es trafen einander neben den WissenschaftlerInnen auch Akteure aus der Bildungs-Community und der Praxis. Auch wurden unter anderen VertreterInnen der Arbeiterkammer, der Wirtschaftskammer und des Bildungsministeriums eingeladen. Einer der ersten Workshops beschäftigte sich mit einem Thema, das im Rahmen der

BILDUNG

Verhandlungen zum aktuellen Reformbeschluss heiß diskutiert wurde: „Autonomie und Verantwortung: Governance in Schule und Hochschule“. Als zentraler Leitgedanke wurde definiert, dass Autonomie immer auch Verantwortung bedeutet. Für Spiel ist dies im aktuellen Schulautonomiepaket aufgegriffen worden, unter anderem „dadurch, dass geplant ist – natürlich über einen längeren Zeitraum hinweg –, alle Schulleitungen zusätzlich zu qualifizieren“. Es stelle sich jedoch die Frage, wie die neue Autonomie in einem Cluster, also dem Zusammenschluss von bis zu acht Schulen, gelebt wird. Das werde die Zukunft zeigen. Ziel von Führung sollte es sein, durch Überzeugen und nicht durch hierarchisches Verordnen die Qualität zu bewahren und zu verbessern. Ein weiterer Workshop widmete sich dem Thema „Bildungsgerechtigkeit: ein erfüllbarer Anspruch?“. Wichtig sei, Bildungspflicht statt Schulpflicht umzusetzen, damit möglichst alle ein Bildungsminimum erreichen können. „Das heißt zu definieren, was möglichst alle können sollen, und das nicht an ein bestimmtes Alter zu binden“, so Spiel. Bildungsgerechtigkeit soll als Teil des Professionsverständnisses im LehrerInnenberuf verankert sein. Die TeilnehmerInnen des Workshops wünschten sich auch, dass das Recht auf Bildungsteilhabe auf gesetzlicher Ebene formuliert wird. Auch das Thema „Bildung im Alter“ wurde in einem Workshop aufgegriffen. Laut Schätzungen wird im Jahr 2030 jede/r dritte ÖsterreicherIn älter als sechzig Jahre sein. Die Potenziale und auch die Bildungsfähigkeit älterer Menschen sollten stärker wahrgenommen und intergenerationales Lernen gezielt ermöglicht werden. Es muss deutlich mehr Bildungsangebote für ältere Menschen geben. Neben dem Effekt des sozialen Miteinanders dienen solche Angebote auch dazu, älteren Menschen zu ermöglichen, länger selbstständig zu leben. Spiel definiert die Ergebnisse der Workshops als „kleine Puzzlesteine“, um das österreichische Bildungswesen zu optimieren. Gerade im Bildungsbereich sei es schwierig, „einen kausalen Zusammenhang herzustellen zwischen einer Maßnahme und dem Ergebnis viele Jahre später“.

Foto: Barbara Mair

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Das Thema des Österreichischen Wissenschaftstages 2017 lautete A U T O M AT I S I E R U N G : W E C H S E L W I R K U N G E N

Illustration: Georg Feierfeil

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Auf den folgenden Seiten stellen wir die Vortragenden mit ihren Thesen vor


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Regenbogen für Musikautomaten Der C O M P U T E R M U S I K E R Karlheinz Essl schätzt die Fortschritte der Automatisierung durch digitale Technologien und nutzt sie für seine Kompositionen VON SOPHIE HANAK

Form der Musik, die sich auf Zahlen Jseitene oder Proportionen beruft, spielt schon Jahrtausenden eine große Rolle. Ein Blick

zurück in die Zeit von Pythagoras (um 600 v. Chr.) bestätigt es. Pythagoras befasste sich nicht nur mit Mathematik, sondern auch mit Musik. So vermaß er etwa die schwingende Saite eines Monochords. Dabei erkannte er, dass musikalische Intervalle auf einfachen Zahlenverhältnissen basieren. Diese Erkenntnis setzte er mit der kosmischen Ordnung in Beziehung. Diese Ordnung manifestiert sich in der „Sphärenharmonie“. Fast zweitausend Jahre später sollte dann der Astronom Johannes Kepler die Sphärenharmonie an den Umlaufbahnen der Planeten erforschen. Schon früh wurden Instrumente zur Hervorbringung von Musik eingesetzt. Ihre Entwicklung und die der „Musikproduktion“ führten schließlich auch zur Verwendung von Computern in der Musik. Auf dem Weg dahin kamen Musikapparate zum Einsatz. Schon im 17. Jh. wurde von Athanasius Kircher eine Art Komponierkästchen entwickelt, bestehend aus beschrifteten Holzstäbchen mit Tabellen für rhythmische und intervallische Parameter. Ein weiteres Beispiel wird Wolfgang Amadeus Mozart zugeschrieben. In seinem posthum veröffentlichten Würfelmenuett ist jeder Takt in 11 verschiedenen Varianten auskomponiert, aus denen mittels zweier Würfel zufällig ausgewählt wird. Computer können zu einer Inspirationsmaschine werden, für die musikalische Re-

Karlheinz Essl, Musiker und Komponist

ESSL INTERESSIERT DIE VERBINDUNG VON INSTRUMENT UND COMPUTER gelsysteme als Algorithmen formuliert und als Computerprogramm codiert werden. „Der Computer kann dann unsere Vorstellungen widerspiegeln“, erklärt der Musiker und Komponist Karlheinz Essl. „Er ist ein Werkzeug, mit dem ich eigene Welten programmiere. Mit externen Controllern, die an den Computer angeschlossen sind, lassen sich in Echtzeit die Parameter verändern, etwa für den Hall oder die Tonhöhe. Oft dient dazu auch eine Partitur, ein Zeitplan, der bestimmt, wann ich welchen Parameter regle.“

Wenden wir unseren Blick der Moderne zu, so fällt auf, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch versucht wurde, die Musik gänzlich neu zu erfinden. Man ging von den Einzelbestandteilen des Klanges aus, von Parametern wie etwa Intensität, Klangfarbe oder Tonhöhe. Das Ziel war eine Zukunftsmusik, frei von historischem Ballast. „Anton Webern wurde da als Vorläufer missverstanden“, sagt Essl. Der Grundstein für sein Interesse an der Computermusik wurde schon früh gelegt. Die Schulausbildung schloss er in der Rosensteingasse in Wien ab, einer berufsbildenden Schule mit Schwerpunkt Chemie. „Ohne Chemie wäre ich kein Komponist geworden“, lacht er. Denn Analyse und Synthese in der Chemie seien ähnlich wie in der Musik. Seinen Eltern zuliebe begann er danach mit dem Jus-Studium, besuchte aber nur eine einzige Vorlesung und wusste gleich, dass er dieses Studium niemals abschließen würde. Stattdessen begann er mit Musikwissenschaften und kurze Zeit später mit Komposition. „Schlussendlich bin ich dann durch meine Dissertation über Anton Webern auf die Computermusik gekommen. Mich interessiert die Verbindung von Instrumenten mit Computern. Der Computer hört dem Instrument zu und erzeugt daraus eine Begleitung. Ich vergleiche das gern mit einem Spiegelkabinett, wo die Musik wie in einem Kaleidoskop sich selbst reflektiert.“ In den 1990er Jahren ließ er sich durch Goethes „Urpflanze“ inspirieren. Die Urpflanze ist ein abstraktes Denkmodell, „das den Typus einer Pflanze schlechthin verkörpert und aus der man alle Pflanzengestalten kombinieren kann“, erklärt Essl. Daraus entwickelte er sogenannte Strukturgeneratoren, also Computerprogramme, die in Echtzeit musikalische Strukturen produzieren. Umgesetzt hat er dieses Konzept erstmals 1992 in seiner Lexikon-Sonate für ein computergesteuertes Klavier. Dabei werden die unterschiedlichen Systemparameter zufällig variiert. Dadurch entwickelt sich die Musik ständig weiter und wird so unendlich. Heute sind Computer so leistungsfähig, dass sich auch elektronische Klänge generieren lassen. Nun ist es möglich, eigenständige elektronische Software-Instrumente zu kon-

Foto: 2012 by Günther Linshalm

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Illustration: Georg Feierfeil

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struieren, die individuell programmiert werden können. Ein aktuelles Beispiel für Essls Arbeit entsteht gerade für „Ganymed Nature“ im Kunsthistorischen Museum in Wien. Es ist ein Theaterprojekt in der Gemäldegalerie unter Einbeziehung der dort ausgestellten Kunstwerke. „Ich habe ein Bild von Peter Paul Rubens zugewiesen bekommen, das jahrzehntelang der Restaurierung unterlag, weil es stark beschädigt war: die ‚Gewitterlandschaft mit Jupiter, Merkur, Philemon und Baucis‘. Es ist ein wirklich imposantes Bild, das eine griechische Gründungssage darstellt“, erzählt der Komponist begeistert. Philemon und Baucis hatten, anders als alle anderen Menschen, den unerkannten Göttern Jupiter und Merkur Gastfreundschaft gewährt. Dafür wurden die beiden ver-

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schont, als die Welt zur Strafe der Menschen in der Flut versank. Hauptthema des Bildes ist die elementare Naturkatastrophe, die Natur in ihrer Urgewalt. „Meine Komposition zu diesem Kunstwerk soll die Naturgewalt des Gewitters darstellen. Im Bild ist auch ein Regenbogen zu erkennen, auf den sich meine Musik bezieht, indem sie das bekannte Lied ‚Somewhere over the Rainbow‘ andeutet“, sagt Essl. Für die Naturphänomene wie etwa Wind und Blitze hat er verschiedene Algorithmen programmiert. Diese werde mit Hilfe von Zufallsoperationen gesteuert. So entsteht etwas Unvorhersehbares, wie es in der Natur auch tatsächlich vorkommt. Ein Regenbogen ist dank der digitalen Entwicklungen der letzten Jahre auch für die Computermusik aufgegangen. Die neuen Technologien haben die Kompositionsarbeit von Karlheinz Essl sehr bereichert.

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Konsumsteuer mit progressivem Element Der Volkswirtschaftler Klaus Prettner im Gespräch über die W I R T S C H A F T L I C H E N U N D S O Z I A L E N F O L G E N der Automatisierung VON SOPHIE JAEGER

laus Prettner promovierte nach StudienK abschlüssen in Ökonomie und Statistik an der Universität Wien und habilitierte sich

im Fach der mathematischen Ökonomie an der TU Wien. Nach Lehraufträgen und Forschungsaufenthalten, die ihn unter anderem nach Harvard führten, übernahm Prettner 2015 einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hohenheim. Derzeit arbeitet er an einer Veröffentlichung mit dem Titel „A Note on the Implications of Automation for Economic Growth and the Labor Share“, die noch heuer erscheinen wird. In seinem Vortrag stellte Prettner die Chancen und Vorteile der fortschreitenden Automatisierung den Befürchtungen und Nachteilen gegenüber. Besonders die von ihm angeführten möglichen Politikmaßnahmen zur Linderung der negativen wirtschaftlichen Effekte der Automatisierung lösten im Anschluss an den Vortrag interdisziplinäre Diskussionen aus.

Klaus Prettner, Volkswirtschaftler an der Universität Hohenheim

Herr Prettner, wie definieren Sie den Begriff „Automatisierung“? Klaus Prettner: Aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive ist meine favorisierte Definition die, dass Automatisierung die menschliche Arbeit in einem gewissen Tätigkeitsbereich vollständig ersetzt. Unter Automatisierung fallen somit beispielsweise Industrieroboter, die ohne menschliches Zutun die Arbeitsschritte am Fließband verrichten, oder zukünftig möglicherweise selbstfahrenEIN BEDINGUNGSLOSES GRUNDEINKOMMEN KANN BEDÜRFTIGE BENACHTEILIGEN de Lkws, die Güter von A nach B transportieren, ohne dass jemand in der Fahrerkabine sitzt. Welche direkten Effekte hat die Automatisierung auf die Wirtschaft? Prettner: Der erste direkte Effekt ist natürlich ein Anstieg der Produktion durch vermehrten Kapitaleinsatz, der aber nicht mit mehr Arbeitseinsatz einhergehen muss. Der Grund ist, dass Automatisierung per Definition ein perfektes Substitut für Arbeit ist,

während die Einkommen, die durch Automatisierung generiert werden, an die Investoren fließen und somit Kapitaleinkommen darstellen. Dies führt zu einem Sinken der Lohnquote und einem Steigen der Kapitalquote. Dies stimmt qualitativ mit den beobachtbaren Daten in entwickelten Ländern überein, in denen die Lohnquote seit den 1970er Jahren gesunken ist. Eine weitere Folge ist, dass derzeit noch Tätigkeiten, die tendenziell von schlechter ausgebildeten Arbeitskräften verrichtet werden, einfacher zu automatisieren sind als jene, die von gut ausgebildeten Arbeitskräften verrichtet werden. Dadurch kommen die Löhne der schlecht ausgebildeten Arbeitskräfte stärker unter Druck als die der gut ausgebildeten Arbeitskräfte. Die Lohnschere geht also weiter auf. Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie für diese Probleme? Prettner: Ein zentraler Ansatz ist, in Bildung zu investieren. Erstens muss man meines Erachtens Menschen jene Fähigkeiten beibringen, die eher schwierig zu automatisieren sind. Zweitens sollte man in Umschulungsprogramme für jene investieren, die negativ von Automatisierung betroffen sind. Drittens sollte man die jungen Menschen besser darauf vorbereiten, dass sie womöglich während ihres Erwerbslebens mehrmals den Tätigkeitsbereich werden wechseln müssen. Es ist wichtig, zu lebenslangem Lernen zu befähigen. Man darf sich jedoch nicht der Illusion hingeben, dass Bildung alle Probleme lösen kann oder dass man jeden Menschen einfach umschulen wird können. Daher bedarf es eines starken sozialen Sicherungssystems, das Menschen, die von Automatisierung negativ betroffen sind und die vielleicht auch noch Gesundheitsprobleme haben, zumindest ökonomisch absichert. Hier sind vor allem eine gut ausgebaute Krankenversicherung, eine gut ausgebaute Arbeitslosenversicherung und eine bedarfsorientierte Mindestsicherung zielführend. Wie stehen Sie zu Konzepten wie der Besteuerung der Arbeit, die von Robotern verrichtet wird? Prettner: Eine Robotersteuer und damit einhergehende Umverteilung ist aufgrund der Mobilität von Kapital nur dann mög-

Foto: Universität Hohenheim/Jan Winkler

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lich, wenn diese global eingeführt wird, was derzeit sehr utopisch erscheint. Eine interessante Möglichkeit sehe ich aber in der progressiven Konsumsteuer. Weg von der Faktorbesteuerung hin zur Besteuerung des Verbrauchs, denn der kann nur sehr schwer ins Ausland abwandern. Ein Problem der derzeitigen Konsumsteuer ist natürlich, dass sie regressiv wirkt – Menschen mit niedrigem Einkommen zahlen prozentuell mehr an Steuer. Daher müsste man ein progressives Element einbauen, um die gewünschten Umverteilungseffekte des derzeitigen Steuersystems zu erhalten. Warum ist die staatliche Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens keine von Ihnen favorisierte Lösung? Prettner: Das bedingungslose Grundeinkommen wird in den meisten Formen als

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vollständiger Ersatz des Sozialversicherungssystems vorgeschlagen. Es fallen also je nach Modell Arbeitslosen-, Pensions- sowie Pflegeversicherung und in manchen Berechnungen auch die Krankenversicherung weg. Nehmen wir an, alle Bürgerinnen und Bürger bekommen statt der bisherigen Leistungen der Sozialversicherung 1.000 Euro bedingungslos ausgezahlt. Das träfe genau jene Härtefälle, die mehr als 1.000 Euro benötigen, beispielsweise, weil sie eine seltene Krankheit haben, wegen der hohe Medikamentenkosten anfallen, oder weil sie pflegebedürftig sind. Diese Menschen stünden dann, auch wirtschaftlich gesehen, vor dem Ruin. Ein gut ausgebautes Sozialversicherungssystem soll meines Erachtens aber genau den Schwächsten helfen und das stellen die bisherigen Elemente des Sozialversicherungssystems eher sicher als ein bedingungsloses Grundeinkommen.

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Hochprofitabler Unsinn Finanzmathematiker Walter Schachermayer erklärt, wie H I G H F R E Q U E N C Y T R A D I N G funktioniert, wie man es abstellen könnte und was er davon hält Walter Schachermayer: Gemeinsam mit den Kollegen Hautsch und Pflug von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien untersuchen wir eine Reihe von Phänomenen, die im modernen Börsenhandel auftreten. Unter anderem den extrem raschen Handel, der vollautomatisch durch Algorithmen durchgeführt wird.

VON SOPHIE JAEGER

er Professor für Finanzmathematik an D der Uni Wien Walter Schachermayer erhielt im Jahr 1998 als erster Mathematiker

den Wittgenstein-Preis des BMWFW und 2009 einen Advanced Grant der European Research Commission. In dessen Rahmen forschte er zur Rolle von Transaktionen auf Finanzmärkten. 2011 wurde Schachermayer ein Ehrendoktorat der Universität Paris-Dauphine verliehen, seit 2016 ist er außerdem Mitglied der Academia Europaea. Schachermayers Vortrag beim Wissenschaftstag 2017 beschäftigte sich mit automatisiertem Börsenhandel, dem sogenannten „High Frequency Trading“. Befürworter dieser Praxis, in der Algorithmen Wertpapierhandel betreiben, argumentieren, dass HFT zu Preiseffizienz, geringeren Transaktionskosten und mehr Liquidität führe. Gegenstimmen befürchten eine gefährliche Destabilisierung des Marktes. Die Praxis des High Frequency Tradings erreichte vor allem durch die Veröffentlichung des Buches „Flash Boys: A Wall Street Revolt“ des US-amerikanischen Wirtschaftsjournalisten Michael Lewis eine breitere Öffentlichkeit. In weiterer Folge wurden die Auswirkungen von HFT auch von Finanzaufsichtsbehörden mehrerer Länder untersucht, die allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Während die niederländische Finanzregulierungsbehörde AFM befand, dass es keinen Grund gebe, HFT einzuschränken, kam die amerikanische Börsenaufsicht SEC

Walter Schachermayer, Finanzmathematiker an der Universität Wien

E I N E B Ö R S E N U M S AT Z S T E U E R M A C H T H I G H F R E Q U E N C Y T R A D I N G U N R E N TA B E L zu dem Schluss, dass High Frequency Trading durch seine aggressiven Taktiken in mehr als der Hälfe der untersuchten Fälle zu erhöhten Kosten für andere Marktteilnehmer führt. In seinem Vortrag erklärte Schachermayer die Grundzüge des High Frequency Tradings und nahm persönlich Stellung zur Bewertung dieses Phänomens. Herr Schachermayer, in welchem Kontext beschäftigen Sie sich mit High Frequency Trading?

Welche Rolle nehmen High Frequency Traders, kurz HFTs, im Börsenhandel ein? Schachermayer: Einerseits haben High Frequency Traders die klassischen Market Makers abgelöst. Das heißt, sie bieten sich als Zwischenglied zwischen Käufer und Verkäufer an. Andererseits lässt sich beobachten, dass sich HFTs nicht ausschließlich auf diese durchaus nützlichen Dienste beschränken, sondern auch andere Strategien zur Gewinnsteigerung anwenden. Beispielsweise versuchen sie, kurzfristige Preistrends durch die Beobachtung des Order-Flows zu prognostizieren und zu ihren Gunsten zu nutzen. Warum hat Kollokation im Bereich des HFT eine so große Bedeutung? Schachermayer: Die Abläufe innerhalb eines Computers erfolgen in der Größenordnung von Nanosekunden. Dagegen benötigt der Fluss der Daten durch Glasfaserkabel einige Mikrosekunden, bei längeren Entfernungen sogar Millisekunden. Da es beim High Frequency Trading essenziell ist, rascher als die Konkurrenten seine Aufträge im elektronischen Handel zu platzieren, ist es ein wesentlicher Vorteil, wenn der Computer, der die Algorithmen eines High Frequency Traders exekutiert, in unmittelbarer Nähe des Börsencomputers stehen kann. Welche Gefahren gehen von HFT aus? Schachermayer: Ich sehe vor allem die Gefahren, die von grotesken Fehlreaktionen der automatisch agierenden Algorithmen ausgehen. Fehlreaktionen der Algorithmen können zu sogenannten „Flash Crashes“ führen, bei denen Kurse an den Finanzmärkten plötzlich stark einbrechen. Meistens erholen sich die betroffenen Kurse innerhalb weniger Minuten wieder. Der letzte große Flash Crash geschah 2016 an den asiatischen Devisenmärkten. Innerhalb weniger Minuten fiel

Foto: Privat

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das britische Pfund um über sechs Prozent gegenüber dem US-Dollar. Zwar erholte sich der Pfund-Kurs wieder, blieb aber deutlich im Minus im Vergleich zum Wert vor dem Crash. Um solche Crashes zu vermeiden, wurden „Curcuit Breakers“ installiert, die den Handel automatisch unterbrechen, wenn es zu plötzlichen starken Kursbewegungen kommt. Welche Möglichkeiten gäbe es, um HFT einzuschränken? Schachermayer: Eine Tobin-Tax, also eine Börsenumsatzsteuer, würde das High Frequency Trading schlagartig unrentabel machen. Dafür würde ein Steuersatz von einem Bruchteil eines Promilles völlig genügen. Für eine effektive Durchführung müssten aber auch die innerhalb von Mikrosekunden wieder stornierten Orders, die im High Frequency Trading eine wesentliche Rolle spielen,

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steuerlich erfasst werden. Aber auch zwingende organisatorische Regeln, wie etwa das Verbot, eine Order nach weniger als einer hundertstel Sekunde wieder zu stornieren, würden das Handwerk der High Frequency Trader bereits stark beeinträchtigen. Wer profitiert vom HFT? Schachermayer: Meines Wissens gibt es keine validen Daten über die Gewinne im Rahmen von High Frequency Trading. Dies ließe sich auch schwer abgrenzen, da die Grenzen hier fließend sind. Aber offenbar kann viel Geld verdient werden, denn sonst würde sich der enorme Aufwand nicht lohnen. Ich finde es bedauerlich, dass so viel Mühe und Hirnschmalz in eine Tätigkeit investiert wird, die keinen erkennbaren gesellschaftlichen Nutzen generiert. Mit so viel Aufwand könnte man sicher nützlichere Dinge tun.

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Scheidung per Computer Übernehmen im Zuge von Industrie 4.0 Computer die Aufgaben von Personen im J U S T I Z - U N D R E C H T S W E S E N ? Stephan Kirste meint: nicht alle VON SABINE EDITH BRAUN

uch wenn es vielleicht so klingen mag, A aber die „Dutch Divorce Challenge“ wurde nicht von einem Privatfernsehkanal ausge-

rufen, sondern vom niederländischen Justizministerium. Das ambitionierte Ziel lautete, die Zahl der Rosenkriege zu vermindern, also Scheidungen so sachlich wie möglich über die Bühne zu bringen. Ein Fall für den von der niederländischen Non-Profit-Organisation HiiL (Hague Institute for the Innovation of Law) entwickelten „Rechtwijzer“, eine ODR(Online-Dispute-Resolution)-Plattform, bei der die Objektivitätsgarantie gleichsam mitgeliefert wird. Mittels elektronischer Frage-und-Antwort-Kette hilft der „Rechtwijzer“ dabei, Besuche beim Scheidungsanwalt auf das Nötigste zu minimieren. In etwas mehr als einem Jahr wandten sich 2.000 Personen an den „Rechtwijzer“. Die Kosten dafür betragen im Durchschnitt 400 Euro. Verglichen mit den bis zu 3.000 Euro, auf die sich eine (niederländische) Scheidung belaufen kann, lässt sich also einiges Geld sparen. Müssen jetzt auch schon die im Justizund Rechtswesen Beschäftigten Angst haben, von der Maschine wegrationalisiert zu werden? „Nein“, sagt der Rechtsphilosoph Stephan Kirste von der Universität Salzburg. Zumindest wird „Legal Tech“ – so lautet der Fachausdruck für die Automatisierung im Rechtsbereich – auch in Zukunft nicht über einen bestimmten Bereich hinausgehen. „Das sind alles standardisierte Vorgänge mit

Stephan Kirste, Rechtsphilosoph an der Universität Salzburg

AM ENDE JEDER RECHTSKETTE MUSS IMMER NOCH EIN MENSCH STEHEN engmaschigen gesetzlichen Vorgaben, wo es außerdem bereits viele vorentschiedene Fälle gibt. Das kann durchaus so weit gehen, dass der Algorithmus mit jeder Entscheidung mitlernt“, sagt Kirste. Eine andere Einsatzmöglichkeit für Legal Tech sei jede Form der Rechtsberatung, aber auch das Mahnverfahren stütze sich bereits auf diese Form der rechtlich-administrativen Automatisierung. Die Diskussion über Rationalisierungen im Rechtsbereich gebe es schon seit Jahrhunderten, genauso lange, wie Urteile immer wie-

der infrage gestellt wurden, stets angetrieben vom Streben nach größtmöglicher Objektivität. Justitia ist bekanntlich blind. Oder sollte es zumindest sein. Mit Standardisierungen in rechtlichen Verwaltungsvorgängen leben wir alle bereits seit den 1970er Jahren. Für die neuen Entwicklungen auf diesem Gebiet würden sich Scheidungen ebenso gut eignen wie zum Beispiel Fluggastrechte, die Kirste exemplarisch anführt: „Es gibt hierfür Internetportale mit elektronischer Rechtsberatung, wo man am Ende eines Frage-undAntwort-Vorgangs erfährt, ob einem, zum Beispiel wegen einer Flugverspätung, eine Entschädigung zusteht. Gegen Gebühr übernehmen solche Anbieter auch die Durchsetzung der Forderung und zahlen sie gegen einen Risikoabschlag der KundIn sogar gleich an ihn aus.“ Eine weitere Anwendung von Legal Tech sind sogenannte „Chat-Bots“, die zum Teil elektronische Anwaltstätigkeiten verrichten. Stephan Kirste nennt ein Beispiel: „Ihnen wurde gekündigt. Nun können Sie auf elektronischem Wege, also durch Anschlussfragen, wie wir sie von Siri kennen, Ihre Rechte und eventuelle Vorgehensweisen erkunden. In Standardfällen wie bei Kündigungen ist das grundsätzlich eine Möglichkeit der Rationalisierung. Bei atypischen Fällen kann jedoch auch ein noch so ausgefeilter Algorithmus den Juristen, der Methoden erlernt hat, um die Sprache und den Sinn der Gesetze zu verstehen, nicht ersetzen.“ Auch sämtliche Fragen, die die Verfassung betreffen, möchte Kirste von algorithmisierten Vorgängen ausgeschlossen sehen. Dies garantiert die Datenschutzverordnung der EU, die nach einer zweijährigen Übergangsfrist im Mai 2018 in Kraft tritt. Ebenjene Regelung, die den Bürger und die Bürgerin vor zu viel Überwachungseifer des Staates schützen soll, besagt auch, dass ein Mensch die Letztentscheidungsbefugnis in einem Rechtsvorgang haben muss – etwa wenn es um Fragen von Einsprüchen geht. Dass es am Ende der Rechtskette einen Menschen braucht, erklärt Stephan Kirste mit dem fundamentalen Unterschied zwischen der technischen und der rechtlichen Rationalität. Als Beispiel führt Kirste selbstfahrende Autos an. Wer im Falle eines Unfalls

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Illustration: Georg Feierfeil

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geschützt werden soll – und wer eben nicht –, entscheidet der Algorithmus, der von irgendjemandem programmiert wird: Dürfen die Personen im Auto überleben oder jene außerhalb des Autos, und wenn ja, sind es alte oder junge Personen? Und so weiter … Dass Menschen rechtlich anders entscheiden, als dies Algorithmen können, stehe einer Urteilssprechung entgegen, meint Stephan Kirste und führt die unter Stress getroffene Entscheidung bei einem Autounfall als Beispiel an: „Wenn Sie in Sekundenbruchteilen entscheiden müssen, um sich selbst das Leben zu retten, dabei aber einen – oder mehrere – Passanten verletzen oder sogar töten, wird das in der Urteilsbegründung berücksichtigt.“ Ein Mensch kennt die Normen und kann sie auch jederzeit brechen, unbewusst und bewusst. Das zu verstehen ist der Algorith-

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mus nicht in der Lage. Er spräche womöglich ein Mordurteil aus. Urteile aus dem Computer bleiben daher – vorerst – Stoff für die Science Fiction. „Selbstfahrende Autos sind technisch perfekt, aber paternalistisch. In komplizierten Sachverhalten wird es ein Overruling durch den Computer daher nicht geben.“ Dennoch wird sich die Tätigkeit der Juristen verändern, erklärt Stephan Kirste: „Vor allem im administrativen Bereich und in sehr standardisierten Bereichen.“ Von Computern als künftigen StrafverteidigerInnen und Wirtschaftsanwälten hält er dennoch nichts. „Um mit dem Philosophen Anselm Feuerbach zu sprechen: Die Juristinnen und Juristen werden keine Angst haben müssen, zu reinen ‚Dekretiermaschinen‘ zu verkommen. Das letzte Wort wird auch in Zukunft der Mensch haben.“

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Was man in den Augen lesen kann Die Medizinerin Ursula Schmidt-Erfurth erklärt, was ein Blick auf die Netzhaut über Krankheiten verrät und wie A L G O R I T H M E N dabei behilflich sind VON JOCHEN STADLER

in tiefer Blick in die Augen verrät einiges E über eine Person – für MedizinerInnen sogar viel mehr, als man sich als Normalsterblicher denkt. Zum Beispiel, ob jemand raucht, Diabetes oder Bluthochdruck hat. Sogar die Alzheimer-Krankheit und Multiple Sklerose hinterlassen schon früh ihre Spuren auf der Netzhaut, erklärt Ursula Schmidt-Erfurth von der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der Medizinischen Universität Wien: „Ein Bild des Augenhintergrundes ist ein viel genauerer individueller Fingerabdruck als eine genetische Analyse und kann bei einem Menschen für bestimmte Krankheiten das personalisierte Risiko zu jedem beliebigen Zeitpunkt angeben, bevor es überhaupt zu einem Ausbruch kommt.“ Dazu braucht es allerdings künstliche Intelligenz, also Computeralgorithmen, die bei Netzhautbildern Muster für Krankheitsaktivitäten erkennen. Diese Bilder werden mit einer Methode namens Optischer Kohärenztomografie (OCT) hergestellt. Ein sanfter Laserstrahl saust dabei über die Netzhaut und tastet innerhalb einer Sekunde all ihre Schichten ab. Dadurch bekommt man ein dreidimensionales, hochauflösendes Bild des Augenhintergrunds mit Millionen von Rasterpunkten (Voxel). „Diese Bildpunkte enthalten so viel medizinische Information, dass sie ein normaler, menschlicher Mediziner gar nicht auswerten könnte“, sagt die Medizinerin. Mittels maschinellem Lernen (machine learning) re-

Ursula SchmidtErfurth, Augenärztin an der Uniklinik der MedUni Wien

MAN SIEHT UND VERSTEHT DANK INTELLIGENTER ALGORITHMEN VIEL GENAUER gistrieren intelligente Computer aus diesen vielen Datenpunkten etwa, ob eine Krankheit vorhanden ist oder nicht und ob sie gerade aktiv ist oder ruht. Einerseits kann man dabei Augenkrankheiten erkennen und ihren Verlauf verfolgen. „Netzhauterkrankungen sind extrem häufig und betreffen vor allem in den hoch entwickelten Ländern einen großen Teil der Bevölkerung, denn sie stehen mit dem Altern in Zusammenhang“, erklärt Schmidt-Erfurth. Die altersbezogene Makuladegeneration ist etwa

weltweit die häufigste Ursache für Erblinden. Die unterschiedlichen Zellen eines Netzhautareals namens „Macula lutea“, wo der „Punkt des schärfsten Sehens“ liegt, verlieren durch diese Erkrankung allmählich ihre Funktion, wodurch die zentrale Sehschärfe nachlässt und eine hochgradige Sehbehinderung oder sogar Blindheit entsteht. Sie betrifft in Amerika 200 Millionen Menschen und in Europa 20 Millionen. In Österreich leiden darunter geschätzt 125.000 Personen. Ein anderes Beispiel ist die „diabetische Makulopathie und Retinopathie“, an der weitere 20 Millionen Menschen leiden. „Hier sind die Leidtragenden eher jüngere Personen, die noch im Arbeitsprozess stehen und ihr Sehvermögen verlieren“, sagt die Medizinerin. Für solche Erkrankungen gibt es neuerdings eine gute Behandlungsmethode, bei der kleinste Mengen von therapeutischen Antikörpern ins Auge injiziert werden. Diese Therapie ist aber invasiv und dadurch eine Belastung für die PatientInnen. Außerdem kostet sie nicht wenig, weil neue Medikamente eben ihren Preis haben, erklärt SchmidtErfurth. Bei der Makuladegeneration ist eine Behandlung immer bei einem Krankheitsschub notwendig. „Man sieht mit der OCT und durch die automatische Auswertung mit intelligenten Algorithmen viel genauer, ob so ein Schub vorliegt.“ Bisher konnte es leicht passieren, dass PatientInnen nicht akkurat behandelt wurden. Durch eine automatische Signalberechnung sei der geeignete Rhythmus schon vorausbestimmbar. Außerdem könne man so sehr genau messen, wie aktiv die Krankheit ist. Davon hängt ab, ob man rasch injizieren sollte oder abwartet. Immerhin handle es sich allein in Österreich bei solchen Behandlungen um 80.000 Injektionen im Jahr, die man mit genauer, diagnostischer Bildauswertung mittels Algorithmen besser steuern kann. Aber auch andere, systemische Erkrankungen hinterlassen Spuren auf der Netzhaut: Diabetes, Bluthochdruck, Gefäßerkrankungen und die Folgen von Rauchen zeigen sich besonders früh und deutlich auf der Netzhaut. Mittels OCT mit algorithmenunterstützter Auswertung kann man solche Gesundheitsprobleme schnell diagnostizieren.

Foto: Privat

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Illustration: Georg Feierfeil

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„Besonders gut funktioniert dies aber bei Erkrankungen, die das Zentrale Nervensystem betreffen, denn die Netzhaut ist ja selbst ein Teil des Gehirns“, erläutert Schmidt-Erfurth. Zum Beispiel Morbus Alzheimer und Multiple Sklerose verändern die Netzhaut auf spezielle, sehr charakteristische Art und Weise. Dadurch könne man diese Methode sehr gut für die Früherkennung dieser neurodegenerativen Krankheiten verwenden. Bei Multipler Sklerose laufen hier schon groß angelegte Studien, bei Alzheimer sei man hier allerdings erst im Anfangsstadium. Erstmals habe man nun die Möglichkeit, in Sekundenschnelle, absolut schmerzfrei, ohne jegliches Risiko und ohne invasiven Eingriff einen aktuellen medizinischen Fingerabdruck von Menschen zu erstellen, schwärmt die Medizinerin. Zudem sei dieser komplett individuell und ließe systemische

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sowie Augenerkrankungen sehr gut erkennen und prognostizieren. Weil die Pupille klar und durchsichtig ist, könne man durch sie sehr gut auf die Netzhaut schauen und mittels „zartem Laserstrahl“, der für das Auge völlig ungefährlich ist, und digitalen Sensoren ein dreidimensionales Bild der Netzhaut erstellen. Nicht einmal in der Dermatologie (Medizin der Hauterkrankungen) habe man solche Möglichkeiten – die Körperhaut ist zwar frei zugänglich, aber nicht so transparent wie die Netzhaut. „Mittlerweile gibt es sogar schon selbstlernende Systeme, bei denen der Computeralgorithmus auf sich allein gestellt nach Abweichungen sucht“, sagt Schmidt-Erfurth. Er kann dadurch neue, bisher unbekannte Muster finden. „Wir lernen auf diese Art viel über die Krankheitsentstehung und können auch besser neue Therapien entwickeln.“

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Zwischen Bequemlichkeit und Sicherheit Die Durchdigitalisierung der Welt bringt auch erhebliche Probleme für unsere S I C H E R H E I T I M N E T Z , erklärt der Netzwerkexperte Rene Mayrhofer VON TOBIAS SCHMITZBERGER

ine E-Mail ist wie eine Postkarte. „Jeder, E der am Übertragungsweg sitzt, kann sie praktisch frei mitlesen“, sagt Rene Mayrhofer. Er ist Vorstand des Instituts für Netzwerke und Sicherheit an der Johannes Kepler Universität Linz. Seit 1. November für maximal zwei Jahre karenziert, bringt er beim US-Konzern Google in Mountain View, Kalifornien, seine aktuellen Forschungsergebnisse in Android Security ein. Mayrhofer erklärt, es gebe Methoden, um E-Mails zu verschlüsseln, etwa S/MIME oder PGP. Dabei benutzen sowohl AbsenderIn als auch EmpfängerIn einen öffentlichen und einen privaten Schlüssel. Um einer Person eine verschlüsselte Nachricht schicken zu können, benötigt man seinen eigenen privaten Schlüssel und den öffentlichen Schlüssel der Empfängerin/des Empfängers. Aber S/MIME und PGP machen aus der Postkarte noch keinen Brief. „Hier wird nur der Body, der Inhalt der E-Mail, wirklich verschlüsselt. Der Umschlag bleibt unverschlüsselt.“ Es bleibt also einsehbar, wer mit wem wann wie oft kommuniziert. Sogar der Betreff ist sichtbar. „Deshalb vergleiche ich das am ehesten mit einer Postkarte.“ Selbst bei E-Mails hat sich also noch keine allgemein anerkannte, einfach verwendbare Verschlüsselungsmethode durchgesetzt. Dabei wird die Welt immer vernetzter. Mittels Spracherkennung können Lautsprecher einund ausgeschaltet werden. Beim Bezahlen mit Bankomatkarte an der Tankstelle nutzen wir die NFC-Funktion: Karte hinhalten, bezahlen, fertig. Dies macht die Welt praktischer, aber auch unsicherer.

Rene Mayrhofer, Spezialist für Sicherheit im Netz an der Universität Linz

WIE KRYPTOGRAPHIE MIT BENUTZBARKEIT Z U S A M M E N G E H T, I S T F O R S C H U N G S T H E M A Warum ist es so kompliziert, ein einfach zugängliches Verschlüsselungssystem zu entwerfen? Mayrhofer nennt mehrere Gründe. Einerseits ist es ein schwieriges technisches Problem. „Prinzipiell wissen wir, wie man gute Kryptographie betreibt. Aber wie Kryptographie mit Benutzbarkeit zusammenspielt, ist ein intensiver Forschungsgegenstand.“ Würde man es mit der Sicherheit ganz genau nehmen, müsste jeder Mensch all

seine Kommunikationspartner persönlich treffen. So könnten sie sich ihre öffentlichen Schlüssel gegenseitig zeigen und so sicherstellen, dass diese wirklich von der jeweiligen Person verwendet werden. Da dies nicht praktikabel ist, wird ein Vermittler als Zertifizierungsstelle dazwischengeschaltet. Dieser kennt alle Schlüssel und prüft, ob die richtigen verwendet werden. „Bei der Versendung von WhatsApp-Nachrichten ist dieser hoffentlich vertrauenswürdige Vermittler zum Beispiel Facebook. Es prüft die Identität desjenigen, mit dem man jetzt kommunizieren will. Die anhand von WhatsApp bekannte Telefonnummer muss mit dem öffentlichen Schlüssel zusammenpassen.“ Der Nachteil am System: Wenn Facebook aus Eigen- oder Fremdinteresse einen eigenen öffentlichen Schlüssel einschiebt und die Nachrichten liest, bleibt dies für die User unsichtbar. „Für die Gratwanderung zwischen Sicherheit und Benutzbarkeit gibt es keine Lehrbuchantwort. Auch werden die Interessen von EndbenutzerInnen, die ihre Daten sicher verwahrt wissen wollen, und den beteiligten Firmen nicht immer übereinstimmen.“ Vor allem bei kostenlosen Internetservices, die werbefinanziert werden, wollen die Anbieter einen gewissen Zugriff behalten. Immerhin besteht ihr Geschäftsmodell darin, private Daten an Werbetreibende zu verkaufen. Da wäre eine hundertprozentige Verschlüsselung kontraproduktiv. Trotzdem verwendet WhatsApp, das zu Facebook gehört, laut Mayrhofer ein halbwegs sicheres Protokoll. „Aber man muss sich bewusst sein, dass die Metadaten verwendet werden.“ Eine Möglichkeit ist, die Daten komplett zentral zu verteilen und dem Vermittler zu vertrauen. Es gibt aber auch dezentralere Systeme. Ein Beispiel ist das Netzwerk Tor. Zur Verwendung muss man ein Programm installieren. Bei Tor läuft die Kommunikation nicht über einen zentralen Server, sondern über drei Knoten. Will eine Person eine Nachricht versenden, lädt der Client zuerst ein Verzeichnis herunter, die sogenannte Registry. Hier sind alle Tor-Knoten verzeichnet. Das Programm wählt dann drei zufällig erreichbare Server aus. Die Nachricht wird über diese drei Knoten bis zur EmpfängerIn geschickt.

Foto: Institute of Networks and Security

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So bleiben AbsenderIn und EmpfängerIn anonym. Tor ist nicht komplett dezentral organisiert, da das Verzeichnis der verfügbaren Knoten zentral gespeichert wird. Trotzdem ist es bereits eine deutliche Verbesserung zu Facebook, das mit nur einem Serververbund „maximal zentral“ arbeitet. Aktuell werden dezentrale Netzwerke vergleichsweise selten verwendet – eines von Mayrhofers Hauptbedenken. „Man macht sich von wenigen zentralen Services abhängig. Nicht nur von einem, sondern von einer ganzen Kette. Diese müssen miteinander kommunizieren, damit sie funktionieren.“ Ein Beispiel: Man verwendet Spracherkennung zu Hause, um die Tür zu öffnen und die Lautsprecher zu aktivieren. „Der Audiomitschnitt wird an den Server geschickt, dort funktioniert die Spracherkennung und es wird etwas ausgelöst. Aber wenn dieser zentrale Service nicht erreichbar ist, weil man vielleicht gerade kein Internet hat, funktioniert die Spracherkennung nicht.“ Die Tür bleibt geschlossen, der Lautsprecher stumm. Die Ketten werden immer komplexer und länger und damit anfälliger. Vor Kurzem gab es über die Firmware einiger Webcams einen Angriff auf das Netz von A1. Vor allem Billiggeräte haben eklatante Sicherheitslücken, die vom Verkaufspersonal oft nicht beseitigt werden. Der Angriff führte nicht nur dazu, dass die Webcams der Betroffenen kontrolliert werden konnten, es fielen auch einige spezielle A1Services aus. Mobilfunk-Clients konnten keine Datenverbindungen mehr aufbauen. Das nächste Element der Kette könnten Bezahlterminals sein, die oft solche Mobilfunk-Clients benutzen. Sogar die Ladesäulen von Elektroautos verwenden teilweise Mobilfunknetze, um Bezahlvorgänge zentral abzuwickeln. Wegen „unsicheren“ Webcams kann man also unter Umständen kein Handyinternet nutzen, nicht online bezahlen und das Elektroauto nicht tanken. „Der Grund dafür sind Webcams, die übernommen wurden. Solche Ketten sind schwer vorhersehbar.“ Man müsste die Systemarchitekturen verbessern, um solche Ausfälle einzudämmen. Die fortschreitende Vernetzung der Welt betrifft nicht nur Personen, sondern auch Unternehmen. Im Sommer dieses Jahres wurde der Pay-TV-Sender HBO von Hackern

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attackiert, die unter anderem einige Folgen der Serie „Game of Thrones“ ins Netz stellten. Keine ganz neue Erscheinung, gibt Mayrhofer zu bedenken. „Dass Vorabkopien von Videokassetten verbreitet wurden, gab es ja schon früher. Aber heutzutage eskaliert es. Man erreicht viel schneller eine viel größere Anzahl an Menschen.“ Viele Unternehmen versuchen intern, ihre Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern. „Man kann im Moment sehr schnell sehr viele Verbesserungen einfach umsetzen, weil der Gesamtsicherheitslevel generell nicht hoch ist. Was auch bedeutet, dass der Prozess noch länger andauern wird.“ Es wird einige Zeit vergehen, bis klar ist, wo man sich guten Gewissens auf die Software verlassen kann. Allerdings räumt Mayrhofer auch ein, dass die Fortschritte dabei erheblich sind. Die Programme verbessern sich jährlich und werden immer schwerer angreifbar. D I E B E D E U T U N G D E R S I C H E R H E I T V O N D AT E N IM NETZ HABEN NOCH ZU WENIGE ERKANNT Täglich nutzen viele Menschen E-Mails, Facebook, Spracherkennungsservices und mehr, ohne groß an die Sicherheit solcher Dienste zu denken. Warum ist das so? Auch wenn dies nicht Mayrhofers Forschungsbereich ist, hat er eine Antwort darauf. Prinzipiell seien ja Sicherheit und Privatsphäre Themen, die viele Menschen sehr ernst nehmen. „Niemand wird seine Kreditund Bankomatkarte abfotografieren und ins Fenster stellen.“ Allerdings sei diese Vorsicht nicht einfach im Menschen veranlagt, sondern erst im Lauf der Zeit üblich geworden. Dass man auf sein Geldbörserl aufpassen soll, ist erlernt. „Ein solches Erfahrungswissen besteht für digitale Dienstleitungen noch nicht. Dafür gibt es sie noch nicht lang genug.“ Dies ist insofern relevant, da wir täglich unzählige Entscheidungen treffen müssen. „Wenn man etwa per NFC-Karte bezahlt, müsste man jedes Mal darüber nachdenken, ob das Terminal vertrauenswürdig ist. Wir treffen so viele Detailentscheidungen, dass wir das gar nicht immer überprüfen können.“ Sicherheit und Anwendbarkeit: zwei Aspekte, die eben nicht ganz einfach zu vereinen sind.

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Wir brauchen eine resiliente Gesellschaft Der Komplexitätsforscher Dirk Helbing widerspricht den Versprechungen der K Ü N S T L I C H E N I N T E L L I G E N Z und fordert neue, partizipative Lösungen Kombination von Künstlicher und kollektiver Intelligenz.

VON JOSHUA KÖB

Herr Helbing, der Titel Ihres Vortrags lautet „Entscheidungen: Natürliche versus Künstliche Intelligenz“. Wer gewinnt? Dirk Helbing: Die extreme Meinung ist, dass noch in diesem Jahrhundert eine künstliche Intelligenz entwickelt wird, die klüger sein wird als alle Menschen zusammen. Da bin ich skeptisch. Einige wollen den Glauben an eine KI gar als Religion anmelden. Es ist also einiges im Gange. In absehbarer Zeit ist es durchaus möglich, dass der Mensch als intelligentestes Wesen vom Sockel gestoßen wird. Klar sind auch die Auswirkungen auf die Arbeitswelt, die Politik und die Gesellschaft. Bezweifeln möchte ich hingegen, dass es wünschenswert wäre, wenn ein Superhirn, ohne uns zu fragen, die Geschicke dieses Planeten lenkt.

Dirk Helbing ist Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich

Müssen wir fürchten oder dürfen wir hoffen, dass die Fehlbarkeit unserer Urteilskraft in Zukunft durch vernünftige Computerintelligenzen ersetzt wird? Helbing: Nein. Dieser Vorstellung wird implizit zugrunde gelegt, dass man den Lauf der Welt optimieren könne. Doch für die Ermittlung der richtigen Zielfunktionen existiert keine Wissenschaft. Ein Beispiel: Wir konnten in den letzten Jahrzehnten das Bruttosozialprodukt erhöhen, dafür wuchs das Klimaproblem. Die Schlussfolgerung ist, dass wir einen pluralistischen Ansatz brauchen. Exogene und endogene unerwartete Ereignisse werden unserer Pläne immer durcheinanderwirbeln. Daher brauchen wir vor allem Flexibilität. EIN IRRTUM IST ANZUNEHMEN, DASS MAN D E N L A U F D E R W E LT O P T I M I E R E N K A N N Wie können wir unsere Gesellschaft darauf einstellen? Helbing: Wir brauchen eine resiliente Gesellschaft, keine optimierte. Eine resiliente Gesellschaft zeichnet sich durch Dezentralität und Diversität aus. Letztere sorgt für Innovation und kollektive Intelligenz, für die Weisheit der vielen. Das heißt, für die Befruchtung durch mehrere aufeinandertreffende Perspektiven. Am vielversprechendsten ist die

Worin liegt der Reiz, Entscheidungen an eine KI abzugeben? Helbing: Es wird immer angenommen, die KI macht das richtig, was der Mensch falsch macht. Menschen sind emotional und subjektiv, Künstliche Intelligenz nicht. Bei solchen Überlegungen werden die sozialen Funktionen von Subjektivität und Emotionen gern übersehen. Eine Welt, in der alle gnadenlos rational und egoistisch sind, würde aber keineswegs besser funktionieren. Zugegeben, die Interaktion vieler Menschen bringt zum Teil Resultate wie die Ausbeutung der Umwelt oder die Überfischung der Meere mit sich, sogenannte Tragödien der Allgemeinheit. Dennoch ist die Behauptung falsch, nur eine zentrale Computerentscheidung könnte diese Probleme lösen. Wo stößt die KI an ihre Grenzen? Helbing: Einerseits sind viele Probleme schwer lösbar, weil es Ambiguität gibt. Wir haben eine Überregulierung und müssen daher Abwägungen treffen. Diese hängen vom Kontext und der Zeitgeschichte ab. Doch die Ambiguität ist nicht nur ein Problem, sondern auch eine Chance. Innovationen und unerwartete neue Ideen beruhen oft auf Zufällen und Ambiguitäten. Andererseits lernen KI-Algorithmen auf der Basis vergangener Daten. Dadurch übernehmen die Maschinen mitunter auch Vorurteile. Es ist weit von der Wahrheit entfernt, dass Algorithmen objektiv entscheiden. Auch Daten sind niemals neutral, sondern immer kontextabhängig. Wir sollten also entscheiden, welche Entscheidungen wir delegieren wollen? Helbing: Wir müssen den Einsatz Künstlicher Intelligenz mit Umsicht betreiben. Ich bin skeptisch gegenüber der Vollautomatisierung. Für eine lebenswerte und funktionsfähige Gesellschaft muss es Entscheidungsspielräume geben. Man sagt ja, Not macht erfinderisch. Das Erfinderische führt zu einem neuen Umgang mit Ressourcen. Das kann aber nicht geschehen, wenn wir die Welt durchoptimieren. Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, die Welt könne wie

Foto: ETH Zürich / Giulia Marthaler

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eine große Maschine betrieben werden. Auch können Städte nicht wie Erlebnisparks organisiert werden. Smart Citys sind doch im Trend. Können Sie Ihre Kritik daran konkretisieren? Helbing: In Erlebnisparks werden vorgefertigte Erlebnisse konsumiert, in einer Stadt braucht es Experimentierräume, Innovation und soziale Interaktion. Das ist in Erlebnisparks nur bedingt vorgesehen. Darum ist der Versuch der Automatisierung gescheitert. Die Smart City will das Menschliche aus dem System eliminieren. Doch die Vorstellung, dass die Welt ohne Menschen perfekt wäre, ist paradox. Technik ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Wie können wir die Zukunft sinnvoll gestalten? Helbing: Unser kreatives Potenzial wird

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schon seit Langem nicht voll ausgeschöpft. Das wird in Zukunft aber nötig sein, nicht nur zur Differenzierung von Robotern und Künstlicher Intelligenz. Es kommt heute darauf an, die Weichen so zu stellen, dass die Vorteile und Chancen der Digitalisierung allen dienen und nicht nur einer kleinen Elite. Wir müssen eine partizipative Gesellschaft schaffen, eine Sharing-Economy, welche Chancen und Möglichkeiten für alle bietet. Denn die digitale Revolution bzw. Transformation betrifft die gesamte Gesellschaft. Momentan befinden wir uns an einem kritischen Punkt. Wir stehen vor der größten Herausforderung, die wir seit dem Krieg erlebt haben. Aber wenn wir sie bewältigen, werden wir bald in einer besseren Welt leben. Die Digitalisierung erlaubt uns, die Wirtschaft und Gesellschaft neu zu erfinden und so zu gestalten, wie wir es uns wünschen.

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Publikationen der ÖFG Eine Auswahl N E U E R E R Reihe des Österreichischen Wissenschaftstages: Wissenschaft. Bildung. Politik. Band 20: Grenzen in den Wissenschaften. Herausgegeben von Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger. 2017, Böhlau Verlag, 200 Seiten.

Fragen zu Grenzen stehen aufgrund der jüngsten Migrationsbewegungen im Mittelpunkt des politischen Interesses und bestimmen Wahlausgänge entscheidend mit. Während die Österreichische Forschungsgemeinschaft bereits in einem früheren Sammelband die Probleme der Migration und ihrer Ursachen behandelt hat, stand beim Wissenschaftstag 2016 das Konzept der Grenze im Mittelpunkt. Auf der Tagung wurden aus verschiedenen Perspektiven verschiedener Disziplinen Aspekte von „Grenzen“ abseits tagespolitischer Aufgeregtheit diskutiert. Die überarbeiteten Referate des Wissenschaftstages liegen in diesem Band gesammelt vor. Band 19: Zeit in den Wissenschaften. Herausgegeben von Wolfgang Kautek, Reinhard Neck und Heinrich Schmidinger. 2016, Böhlau Verlag, 261 Seiten.

Das Problem der Zeit steht seit Menschengedenken innerhalb und außerhalb dessen, was man heute als „Wissenschaft“ bezeichnet, im Fokus vielfacher Beobachtungen und Reflexionen. Dies betrifft auch die mit dem Begriff der Zeit untrennbar verbundenen Phänomene der Wandelbarkeit bzw. des Wandels praktisch aller Dinge dieser Welt. Die damit verbundene Vielfalt kennzeichnet auch die von den verschiedensten Wissenschaften und Künsten zum Thema Zeit entwickelten Konzepte, Theorien und Methoden.

BÜCHER

im Umfeld der Forschungsgemeinschaft

Staatliche Aufgaben, private Akteure. Band 1: Erscheinungsformen und Effekte. Hg. Claudia Fuchs, Franz Merli, Magdalena Pöschl, Richard Sturn, Ewald Wiederin, Andreas W. Wimmer. 2015, Manz, 226 Seiten.

Private Akteure übernehmen heute vielfach staatliche Aufgaben, von der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen über die Marktzulassung von Produkten bis zur Unterbringung von Asylwerbern. Band 1 der Reihe bietet eine Einführung aus historischer, ökonomischer und politikwissenschaftlicher Sicht sowie eine rechtliche Analyse der Bereiche Regelbildung, Leistungserbringung, Wissensbeschaffung, Bewertung und Kontrolle. Staatliche Aufgaben, private Akteure. Band 2: Konzepte zur Ordnung der Vielfalt. Hg. Claudia Fuchs, Franz Merli, Magdalena Pöschl, Richard Sturn, Ewald Wiederin, Andreas W. Wimmer. 2017, Manz, 280 Seiten.

Band 2 analysiert die dogmatischen Figuren, die das Allgemeine Verwaltungsrecht zur Ordnung dieser Phänomene anbietet. Die Autoren behandeln zunächst die Konzession, die Beleihung, die Verwaltungshilfe und die Inpflichtnahme. Sie rufen die Entstehung dieser Figuren in Erinnerung, prüfen, inwieweit diese Konzepte durch die Bündelung von Rechtsfolgen heute noch Systematisierung und Orientierung ermöglichen, und machen Vorschläge zur Weiterentwicklung der Dogmatik. Weitere Beiträge widmen sich weniger festgelegten Rollen Privater als Exekutivorgane und in der Privatwirtschaftsverwaltung, privatem Befehl und Zwang sowie einem Vergleich der österreichischen Figuren mit Schweizer und deutschen Ordnungskonzepten.

Kulturelle Dynamiken/ Cultural Dynamics – Memorialisation. Hg. Sabine Coelsch-Foisner unter Mitarbeit von Christopher Herzog und Sophie Allen. 2015, Universitätsverlag Winter, 170 Seiten.

Asking how we cope with change and compensate for loss, both cognitively and culturally, ‘Memorialisation’ brings together leading scholars in museum studies and art history, literature and trauma studies, theology, psychiatry, neuroscience and cultural anthropology. In nine papers, this book traces the changing role of cultural vehicles for memorialisation and offers thought-provoking insights into biological, economic and political reasons for collecting and museumbuilding as well as into the practice of forensic archaeology pushed by sites of atrocity and genocide. Kulturelle Dynamiken/ Cultural Dynamics – Theatralisierung. Hg. Sabine Coelsch-Foisner, Timo Heimerdinger unter Mitarbeit von Christopher Herzog. 2016, Universitätsverlag Winter, 270 Seiten.

„Theatralisierung“ verhandelt die Brisanz des Theaters als gesellschaftlichen Ort innovativer Wissensproduktion, als Raum des Erfahrens und als Verweis auf kulturelle Handlungsfelder und Praktiken, die das Kunsttheater ebenso wie Prozesse jenseits des Theaters betreffen. In unterschiedlichen epistemischen Gattungen gibt der Band einen transdisziplinären Aufriss über unterschiedliche Verortungen der Theatralisierung aus Sicht der Literaturwissenschaft, der Theaterwissenschaft, der (vergleichenden) Kulturwissenschaft, der Philosophie, Theologie, Anthropologie und Soziologie, der Sportwissenschaft und der Geschichtswissenschaft sowie unterschiedlicher Kunstsparten.


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