HEUREKA 3/18

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HEUREKA #32018 Im Datenschauer Von der EU-Datenschutz-Grundverordnung zur ePrivacy-Verordnung der EU

ILLUSTRATION: TOO MUCH DATA? VON SARAH BORINATO

Österreichische Post AG, WZ 02Z033405 W, Falter Zeitschriften GesmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien

D A S W I S S E N S C H A F T S M A G A Z I N A U S D E M F A LT E R V E R L A G

TESS sucht Leben im All Genauer gesagt auf Planeten in Sternensystemen in unserer Nachbarschaft. Seite 8

Big Data in der Forschung Großkonzerne gehen mit unseren persönlichen Daten achtlos um. Und die Wissenschaft? Seite 12

Energie aus Mikronetzen Der Energieforscher Michael Stadler über Mikronetze in Kalifornien und Österreich. Seite 22


FALTER

Radio

DER PODCAST MIT RAIMUND LĂ–W FALTER-Redakteurinnen und -Redakteure diskutieren die interessantesten Themen der aktuellen Ausgabe und bieten Einblicke in ihre Arbeit. Jede Woche neu! falter.at/radio auch jeden Dienstag und Donnerstag um 12 Uhr auf

jeden Freitag um 19 Uhr auf


in tro d u k tio n   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  3

Christian zillner

Fotos: christopher mavric, nasa, Regents of the University of California, dominik einfalt

A u s d e m I n h a lt

:  e d i to r i a l

Daten vs. Urin Das richtig große Ding kommt erst!  Seite 14 Nach der EU-DatenschutzGrundverordnung kommt die ePrivacy-Verordnung der EU

Weißt du, wieviel‘ Vögel fliegen?  Seite 16 Kopf im Bild  Seite 4 Thomas Juffmann entwickelt neue Mikroskopiemethoden an der Schnittstelle von Physik und Biologie

Laien sammeln als ­Citizen Scientists Daten für Naturwissenschafter

Die Spritze kommt per Drohne  Seite 18

Big Data hält Einzug in die Medizin. Was sagen Ärzte dazu?

Big Data und die Versuchskaninchen  Seite 12 Wie achtlos geht die Wissenschaft mit unseren persönlichen ­Daten um?

Glossar und Bücher zum Thema  Seite 20

Big Data zum Fürchten: „From Big Data to Big Profits“; „Big Data at Work“; „Small Wars, Big Data“; „Weapons of Math Destruction“

TESS auf Planetensuche in

der Nachbarschaft  Seite 8

Das neue Weltraumteleskop sucht dabei auch nach Leben auf anderen Planeten

Gedicht und „Was am Ende bleibt“   Seite 23

Erich Klein über die DavidBen-Gurion-Biografie des israelischen Historikers Tom Segev

Michael Stadler über Energieforschung  Seite 22 Der international ­renommierte Energieforscher über Mikronetzwerke in den USA

Daten Sie mir einen Gefallen? Schau ma amoi – was soll es denn sein? Könnten Sie einfach mehr Datenanalyse einsetzen und weniger moralisierende Datenmissbrauchsszenarien entwerfen? Der Arzt wird durch Roboter ersetzt, selbstfahrende Autos machen Menschen auf den Straßen platt, Maschinen nehmen uns die Arbeit weg und herrschen über uns wie wir über die Batteriehühner. Ja, und? Stimmt das so? Klar, ich habe es im Fernsehen gehört, in den seriösen Zeitungen gelesen, und in den Social media geht es dauernd um unseren Untergang. Big Data macht erst die Chinesen, dann uns fertig. „Hai!“, sagt der Japaner mit kehligem Laut und freut sich zu früh. Daten sind so unschuldig – bis sie in die falschen Hände kommen. Dann geht der Weltuntergang aus ihnen hervor. Unausweichlich steuert dieser Planet samt seinem Sonnensystem dem Ende zu, oder, wie John Maynard Keynes sagte: In the long run we are all dead. Bis dahin können wir uns mit Daten spielen, sage ich. Ist interessanter, als seine Entscheidungsgrundlagen nur dem eigenen Urin zu entnehmen. Korrektur: Kurt W. Alt lehrt an der Danube Private University und nicht an der Donau Universität Krems wie fälschlich in Falter ­Heureka 2/2018 behauptet.

:  g a st ko m m e n ta r

Kunst, Wissenschaft und künstlerische Forschung

Foto: Claudia Rohrauer

Eva Blimlinger

Am 1. Oktober 1998 war es soweit: Die fünf Kunsthochschulen und die Akademie der bildenden Künste Wien wurden durch das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten der Künste (KUOG) von Hochschulen zu Universitäten. „Die Universitäten der Künste sind berufen, der Entwicklung und der Erschließung der Künste, der Lehre der Kunst, der Forschung und der wissenschaftlichen Lehre zu dienen“, hieß es da. Damit war auch der Weg frei, wissenschaftliche Doktoratsstudien selbstständig einzurichten. Selbst Habilitationen waren nun an den Kunstuniversitäten möglich. Und um der Gleichwertigkeit und dem Dienstrecht Genüge zu tun, erfand man die – weltweit einzigartige – künstlerische Habilitation. Durch das Universitätsgesetz 2002 wurden die Kunstuniversitäten den fünfzehn

anderen Universitäten gesetzlich gleichgestellt und wie diese in die Autonomie entlassen. Anders als mit den Habilitationen verhielt es sich mit dem künstlerischen Doktorratsstudium: Es ist in Österreich erst seit 1. Oktober 2016 möglich. Die europaweiten Grundprinzipien wurden in „The Florence Principles on the Doctorate in the Arts“ 2016 auf Initiative der Akademie der bildenden Künste Wien beschlossen. Dies ist die Folge der seit den frühen 2000er Jahren an den

Eva Blimlinger ist Rektorin der Akademie der bildenden ­Künste Wien

Kunstuniversitäten begonnenen künstlerischen Forschung (ArtsBased-Research). Entscheidend für die Entwicklung dieser Forschung war ein FWF-Förderprogramm mit dem Titel „Entwicklung und Erschließung der Künste“ (PEEK). Das künstlerisch-wissenschaftliche „PhD in Practice“ an der Akademie ist mittlerweile ein weltweit anerkanntes Programm und konnte heuer bei der FWF-Ausschreibung der Doc Funds 1,5 Millionen Euro lukrieren. Das bedeutet eine zentrale Stärkung der künstlerischen Forschung in Österreich. Auch die Angewandte und die Musikuniversität Graz bieten ähnliche Programme an. Das Mozarteum hat eine Professur für ArtsBased Research ausgeschrieben, und die Kunstuniversität Linz bietet zahlreiche Lehrveranstaltungen in diesem Feld an.

Diese sechs Kunstuniversitäten zählen weltweit zu den renommiertesten Universitäten. (So belegt etwa die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien regelmäßig Spitzenplätze in einschlägigen Rankings.) Dies zeigt sich vor allem im hohen Prozentsatz ausländischer Studierender und Lehrender sowie in der Vielzahl prominenter Absolventen. Fast fünfzig Prozent der rund 10.000 Studierenden kommen aus dem Ausland. Die beabsichtige Novelle des Fremdenrechts soll den Zugang insbesondere für Nicht-EU-Bürger durch zusätzliche Sprachprüfungen vor dem Studium massiv erschweren. Wir, die Kunstuniversitäten, lehnen das ab und hoffen, dass die Internationalität – nicht nur – in der Kunst und Kultur weiterhin ein unumstrittenes Anliegen bleibt.


4  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   p ersönl ic h k e ite n

:  ko p f i m b i l d

Mikroskopie „Die moderne Mikroskopie erlaubt uns Einblicke in biologische Prozesse mit ungeahnter räumlicher und zeitlicher Auflösung“, sagt Thomas Juffmann. Nach vier Jahren an der renommierten Stanford University und einem an der Ècole nationale supérieure in Paris arbeitet der Physiker seit März an der Universität Wien, wo er einst dissertiert hat. Die Ergebnisse seiner Doktorarbeit zu quantenmechanischen Eigenschaften von großen Molekülen sind heute in Physiklehrbüchern zu finden. In den USA suchte er nach Möglichkeiten, die Mikroskopie durch quantenphysikalische Effekte sensitiver und zerstörungsärmer zu machen. Er entwickelte dort eine Methode mit besserem Signalzu-Rausch-Verhältnis der Bilder pro Photon oder Elektron. Das brachte ihm jüngst einen ERC Starting Grant ein. „Dadurch kann ich nun meine Forschung in Wien mit einer eigenen Gruppe vorantreiben. Ich finde es spannend, neue Mikroskopiemethoden an der Schnittstelle von Physik und Biologie zu entwicklen und diese dann zur Anwendung zu bringen.“ Text: Uschi Sorz Foto: christopher mavric

:  j u n g fo rs c h e r

uschi sorz

Johannes Schobesberger, 30, Kulturtechnik und Wasserwirtschaft Warum wird ein Sedimentkorn im Wasser bewegt? Welche Strömungsverhältnisse herrschen unmittelbar zu Beginn der Bewegung? „Bis jetzt konnten diese Fragen nicht exakt formuliert werden.“ Der Wiener sieht sich die hier beteiligten Wirbel und Strukturen nun näher an. „Die Beschaffenheit der Flusssohle oder Baumaßnahmen können die Fließgeschwindigkeit und Turbulenzen beeinflussen und Feststoffe dadurch frühzeitig weiterbewegt werden“, erklärt er. Mit bisherigen Methoden ließen sich Anfangsmoment und Transportmenge nur ungenau prognostizieren. Sein Ziel sei ein besseres Prozessverständnis. Zudem gefalle ihm die Vielfalt der Arbeit: „Das reicht vom Entwickeln des Mess-Setups und des Modellversuchs bis zur detaillierten Strömungsanalyse.“

Patrick Holzapfel, 32, angewandte Gewässerökologie und Flussgebietsmanagement Wasser hat den passionierten Angler immer schon angezogen. „Zudem sind Fließgewässer einer der am stärksten gefährdeten Lebensräume weltweit“, unterstreicht der Burgenländer. „Mein persönliches Ziel als Forscher ist, mehr Fische zu retten als zu fangen.“ Für seine Doktorarbeit untersucht er die Auswirkungen erhöhter Schwebstoffkonzentrationen auf die Ökologie von Fließgewässern. „In der Schwebe gehaltene Feststoffteilchen sind hier etwas Natürliches“, sagt er. „Doch die Nutzung der Wasserkraft beeinflusst den Sedimentkreislauf stark, und das kann durchaus negative Folgen haben.“ In seiner Dissertation entwickelt er wissenschaftliche Beurteilungsmethoden, die Behörden bei der Festlegung von Richtwerten heranziehen könnten.

Peter Flödl, 31, Kulturtechnik und Wasserwirtschaft „An meiner Arbeit mag ich, dass ich viel Zeit in der Natur verbringe“, sagt der Wiener. „Und dass ich damit zur Verbesserung der Gewässerökologie beitragen kann.“ Diese leide hierzulande stark unter Verbauungen. „Ich untersuche, wie dieses komplexe System aus abiotischen und biotischen Faktoren funktioniert, und welche Maßnahmen hier nützlich sein könnten.“ Er erforscht die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sedimentqualität in Fließgewässern in Bezug auf Schadstoffe. „Durch zunehmendes Extremwetter kann erosiver Starkregen mehr Feinmaterial in Flüsse eintragen. Und längere Trockenperioden können zu geringeren Abflussmengen führen.“ Kläranlagen könnten dadurch Probleme mit der Einhaltung von Grenzwerten bekommen und Sedimente zu Schadstoffquellen werden.

Fotos: privat, Christoph Liebentritt, Christoph Bus

Im Christian-Doppler-Labor für Sedimentforschung und -management der BOKU erarbeiten diese drei Grundlagenwissen zum Verhalten von Feststoffen in Fließgewässern


Ko m m e n ta r e   :   h eu r eka 3/18   FALTER 22/18  5

emily walton

martin haidinger

Florian Freistetter

Datenschutz

Datikinese

Null-Resultate

Mitunter begegnet einem Brüsseler die Politik auch an Orten, an denen man sie nicht erwartet hätte: Ich war gedanklich statt bei Brüsseler Bürokraten bei bösen Beißern, als ich unlängst in einer österreichischen Apotheke stand, um Impfstoff für die Auffrischung meiner Zeckenschutzimpfung zu besorgen. Da war sie: die europäische Datenschutzverordnung. Genauer gesagt: Ein Hinweis darauf, dass sie bald in Kraft treten würde. Formuliert war das Ganze nicht nur relativ kompliziert, sondern auch mit einer gewissen Tendenz, die sich verknappt so zusammenfassen ließe: „Die EU“ hat was beschlossen; keiner weiß genau, was es soll; wenn wir nicht aufpassen, müssen wir Ihnen leider Ihre Apotheken-Treuekarte wegnehmen. Nach einem kurzen Gespräch mit der Apothekerin stellte sich heraus: Wie viele andere Unternehmen müssen auch Apotheken wegen der neuen EU-Datenschutzverordnung, die Ende Mai in Kraft tritt, ihre Kunden (wieder)darüber informieren, welche Daten sie – in diesem Fall für die Stammkundenkarte – von ihnen sammelt, was sie damit macht, und dazu das (neuerliche) Einverständnis der Kunden einholen. Nun hätte ich meine Apotheke nicht gerade im Verdacht, meine Daten zu finsteren Zwecken zu missbrauchen oder weiterzuverkaufen. Ich hatte mir aber, bis zu diesem kompliziert formulierten Schild, auch noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, welche Daten ich meiner Apotheke freiwillig überlassen hatte. Auch nicht darüber, ob sie diese Daten überhaupt braucht, was sie damit macht, und ob ich das (Treuekarte hin oder her) überhaupt will. Die Apothekenkarte habe ich (vorerst) übrigens behalten und mir fest vorgenommen, bei anderen Stammkundenkarten, Newslettern, Apps usw. künftig genauer zu lesen, statt reflexartig „Ja, ich stimme zu“ anzukreuzen, nur um zu Jahresende ein paar Prozent Rabatt zu bekommen. Ein paar Gedanken, die mir am Weg von der Apotheke durch den Kopf gegangen sind: Die meisten Kunden werden derlei Hinweis­ tafeln nicht hinterfragen, würden die Sache aber positiv(er) sehen, wenn sie wüssten, worum es geht. Was den meisten Firmen wahrscheinlich gar nicht so recht wäre, weil sie dann vielleicht tatsächlich ihren Datenhunger erklären müssten – und es nicht einfach auf „die EU“ schieben könnten. Ein Rezept dagegen? Hat leider auch meine Apothekerin keines.

Touché! Sie haben mich beim wilden Fabulieren ertappt! „Datikinese“ ist ein Neologismus. Ich habe diesen Begriff soeben erfunden. Zugegeben, es ist verhatschtes Italienisch. Korrekt müsste man chinesische Daten „dati cinesi“ nennen. Aber die Versuchung ist gar zu groß, das, was derzeit in China abläuft, mit einem rasanten Bewegungsablauf und einer Veränderung in der Form menschlichen Zusammenlebens zu vergleichen. Chinas kommunistische Machthaber, die so überaus erfolgreich marktwirtschaftliche Mechanismen gegen internationale Konkurrenz einsetzen, können die Einwohner ihres Reichs mittlerweile mit 170 Millionen Kameras, Scanprogrammen und polizeilicher Internetbrille samt Gesichtserkennung fast lückenlos überwachen. Das lässt den Orwellschen Big Brother alt aussehen. Was vom Soziologen Pierre Bourdieu in den 1980er Jahren als allen Menschen eigenes soziales, kulturelles, ökonomisches und symbolisches Kapital bezeichnet wurde, soll bis 2020 von jedem einzelnen der derzeit 1,3 Milliarden Chinesen gespeichert vorliegen, samt genetischer Codes und Stimmerkennung. Die totale Überwachung und Steuerung ihrer Untertanen wird das ultimative Fest für die Machthaber des größten marxistischen Unrechtsstaats der Welt.

:  b r i e f au s b rü ss e l

:  h o rt d e r w i ss e n s c h a f t

:  f r e i b r i e f

Wenn der Massenmörder Mao Tse-tung analoge Schergen einsetzen musste, um ­Millionen Menschen zu töten, können seine Erben schon vorbeugend jede Regung abweichender Gedanken im letzten Hinterstübchen eines Schulkinds auf den Straßen von Chengdu, einer Geschäftsfrau in Shanghai oder eines Almöhis im HongganGebirge erfassen. An den Universitäten werden die Lehrinhalte, seit Xi Jinping 2012 Parteichef geworden ist, noch schärfer kontrolliert als früher. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass durch diese Technologieoffensive bereits mehr als die Hälfte der Chinesen kein Bargeld und keine Plastikkreditkarten mehr brauchen, mit mobilem Internet bezahlen können und ihre Versicherungsgeschäfte samt und sonders digital abwickeln. Sehr super! Neben verschiedenen Scharia-Höllen wohl das letzte totalitäre System, in dem ein zivilisierter Mensch leben möchte, oder? Aber nicht doch! Nach der Rückkehr vom großen österreichischen Staatsbesuch im Reich der Mitte beruhigte UHBP AvdB im Radio: „Insgesamt hab ich den Eindruck, dass China, sagen wir mal stark verkürzt, ein autoritär bürokratisch regiertes Land ist, aber nicht totalitär.“ Also eine Art Bundesministerium mit bisserl strengeren Sektionschefs. Na dann …

Zeichnung (ausschnitt)

:  F i n k e n s c h l ag   Handgreifliches von tone fink tonefink.at

Facebook & Co verkaufen unsere Daten – und keiner stört sich daran, weil niemand genau versteht, was dabei vorgeht. Überall gibt es Fake News. Impfgegner, Homöopathen und Klimawandelleugner machen der Wissenschaft das Leben schwer. Das Mittel dagegen lautet: Mehr Aufklärung! Mehr Bildung! Und vor allem: mehr Wissenschaftskommunikation. Die Forschenden müssen den Unsinn richtigstellen, der in der Welt existiert. Das fordert sich einfacher, als man es umsetzen kann. Unter anderem deswegen, weil viele Menschen nicht hören wollen, was die Wissenschaft zu sagen hat. Nicht, weil sie dumm und ignorant sind, sondern weil die Geschichte, die Wissenschaft hier erzählen muss, unserem Sinn für ein gutes Narrativ widerspricht. Bei all diesen Themen muss man stets mit einem „Stimmt nicht! Deine Behauptung ist falsch!“ anfangen. Kaum interessant und wenig fesselnd. Wissenschafter sollten das eigentlich wissen. In der Realität der Forschungsarbeit passiert es oft genug, dass man keine neue Entdeckung macht, sondern negative Resultate erhält. Die sind schwer zu publizieren. Alle wollen spektakuläre Schlagzeilen der Form „Neues Medikament entdeckt!“ veröffentlichen. Niemand ist an Ergebnissen interessiert, die erklären, warum etwas nicht funktioniert, nicht vorhanden oder nicht richtig ist. Diese Einstellung bei der Publikation von Forschungsergebnissen ist ein großes Problem. Unser Unwillen, solche „Null-Resultate“ interessant zu finden, ist aber ein ebenso großes Problem für die Wissenschaftskommunikation. Denn bei der Aufklärung von Fake-­ News oder Pseudowissenschaft geht es genau darum: Man muss Null-Resultate kommunizieren: Astrologie funktioniert nicht. Impfgegner haben Unrecht. Der Klimawandel findet wirklich statt. Alles korrekt, aber keine spannenden Geschichten. Deshalb hat es die Wissenschaftsvermittlung so schwer, wenn sie gegen den Unsinn in der Welt angehen möchte. FakeNews erzählen einfach die besseren Geschichten. Wenn Forschende dem etwas entgegensetzen wollen, müssen sie bessere Erzähler werden. Es würde sich lohnen, eine verpflichtende Vorlesung aus der Literaturwissenschaft ins Studium der Naturwissenschaften zu integrieren. Oder man liest mehr Romane! Mehr von Florian Freistetter: http://scienceblogs.de/ astrodicticum-simplex


6  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   Nac h r i c h te n

Seiten 6 bis 9 Wie Wissenschaft in ­unsere ­alltäglichen Lebensumstände eingreift und sie verändert

:  m e d i z i n

Weißer Hautkrebs im Vormarsch Die Haut vergisst den Sonnenbrand im Kindes- und Jugendalter nie Dieter Hönig

Je intensiver die UV-Strahlung, der man in jungen Jahren ausgesetzt war und je mehr Muttermale die Haut aufweist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, in späteren Jahren an Krebs zu erkranken. Die letzten Jahre zeigen eine drastische Zunahme von hellem bzw. weißen Hautkrebs (Basaliome und Spinaliome). Fast 30.000 neue Fälle werden in Österreich jährlich gemeldet. Da heller Hautkrebs seltener zu Metastasen neigt als das Melanom, der schwarze Hautkrebs, werden Hautveränderungen oft lange ignoriert oder unterschätzt. „Ein Basaliom wächst lokal zerstörend und kann im fortgeschrittenen Stadium die Entfernung größerer Gewebsareale erfordern“, warnt Hubert Pehamberger, Dermatologe und ärztlicher Direktor des Wiener Rudolfinerhauses. Seine Kollege, der Vorarlberger Hautarzt Gerald Rehor, erklärt: „Da die Haut von Kindern dünner und empfindlicher ist als die von Erwachsenen, empfiehlt es sich, beim Sonnenschutz einen hohen Lichtschutzfaktor (LSF 50 oder höher) zu wählen. Wichtig ist, dass keine Zusatzstoffe enthalten sind, die das Allergiepotenzial erhöhen. Und Kinder unter einem Jahr sollten überhaupt nicht an die pralle Sonne.“ Alle Hautkrebsformen sind heilbar, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt werden. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen beim Hautarzt sind daher dringend nötig. „Mithilfe modernster diagnostischer Geräte sind schwarzer und weißer Hautkrebs heute rasch und sicher festzustellen“, so Rehor.

:  b r i e f au s C a m b r i d g e

:  m at h e m at i k

Einmal die Sau rauslassen wie die alten Römer oder die Amis beim Springbreak

So ein Pech, es gibt keine fünfte Zahl!

Das Studienjahr in Cambridge kennt auch den Caesarian-Sunday. Nein, dabei werden keine Kaiserschnitte, sondern Alkoholexzesse vollzogen

Volker Ziegler löste ein Rätsel der Antike

Lukas Schöppl

Uschi Sorz

Sonntag, 6. Mai 2018: CaesarianSunday in Cambridge. Die „Caesarians“, die Drinking Society des Jesus Colleges, veranstalten jährlich am ersten Sonntag im Mai ein Saufgelage wie im alten Rom. Cambridges Drinking Societies sind konservative Tunichtgut-Bündnisse. Ähnlich den Fraternities und Sororities an amerikanischen Universitäten zählen sie auch entweder nur männliche oder nur weibliche Mitglieder. Ihr Party-­Kodex widerspricht eigentlich sämtlichen Richtlinien und Maximen des Universitätsprofils wie Toleranz und Professionalität. Dennoch werden sie geduldet. Am Caesarian-Sunday halten die Trinkclubs ihre Initiationsriten ab und feiern anschließend auf einer Wiese. Sogar Nicht-Mitglieder

sind an diesem feuchtfröhlichen Tag eingeladen – und erscheinen zahlreich. Das berüchtigte Event gilt unter den Studierenden als letzte Möglichkeit, vor den anstehenden Prüfungen noch einmal die Sau rauszulassen. Das alkoholische „Hard Reset“ schafft Platz im Kopf und wird von manchen willig vollzogen, von anderen gemieden. Am Tag danach beklagt einer meiner Kollegen seine Kopfschmerzen. Er kann sich nur an wenig erinnern. Der Alkohol versperrt scheinbar den Zugang zu manchen Erinnerungsdaten im Hirn. Wohl eine besondere Form der Caesar-Verschlüsselung. Wer sich erinnern kann, war nicht dabei. Jetzt, nach dem Caesarian-Sunday, pauken alle Cambridge-Studenten wieder in der Bibliothek und sammeln Daten. Für die Prüfungen natürlich.

:  g e s c h i c h t sw i ss e n s c h a f t

Grenzen als Instrument der Fremdund Selbstbestimmung Dem neuen Wunsch nach dichten Grenzen in Europa stellt Andrea Komlosy eine historische Analyse der Grenze entgegen Werner Sturmberger

Erleben wir gerade eine Renaissance der Grenze, oder war nur die Idee der Grenzenlosigkeit eine Illusion? Diesen Fragen widmet sich die Wiener Historikerin Andrea ­Komlosy in ihrem neuesten Buch „Grenzen“. Dabei hält sie einleitend fest, dass Befürworter und Gegner von Grenzen sich in einem Punkt gleichen: Beide instrumentalisieren Grenzen in Hinblick auf die eigene Stellung Andrea Komlosy, GRENZEN. Räumliche und soziale Trenn­linien im ­Zeitenlauf. ProMedia Verlag, 248 Seiten in der Gesellschaft oder einer Vision davon. Die Autorin begreift Grenzen dagegen als „Instrument zur Ausgestaltung menschlicher Beziehungen“. Als moralischen Anspruch knüpft sie

die politische Forderung, Fremd- mit Selbstbestimmung durch Grenzen zu ersetzen. Auf eine begriffsgeschichtliche Einführung folgt eine Betrachtung der Entwicklung räumlicher Ordnung, beginnend mit der Frühzeit der Menschheitsgeschichte. Der folgende Abschnitt widmet sich dabei der Typologie unterschiedlicher Dimensionen von Grenzen, um abschließend Grenzregime und die „Politik der Grenze“ zu beleuchten. Trotz historischer Exkurse bleibt der Bezug zur Gegenwart stets greifbar. Komlosy geht von einer europäischen Perspektive aus, zeigt aber immer wieder, wie untrennbar diese mit der Weltgeschichte verknüpft ist. Dabei wird deutlich, dass die westliche Form von Staatlichkeit keine wertneutrale, gemeinwohlorientierte oder alternativlose Konstruktion darstellt. Geleitet wird ihre Auseinandersetzung mit Grenzen vom Credo, dass diese nicht nur ein „Thema, sondern auch eine Methode zum Erkennen globaler Ungleichheit“ darstellt.

Wären der Chinese Bo He, der Amerikaner Alain Togbé und der Salzburger Volker Ziegler bei einer Konferenz in den USA nicht zufällig einen Tag zu früh vor Ort gewesen, wäre eine der ältesten Fragen der Mathematik noch immer ungelöst.

Volker ­Ziegler, Universität Salzburg Sie haben das Rätsel geknackt. Die drei Mathematiker vertrieben sich nämlich die Wartezeit damit, ein paar Lösungsstrategien für das Problem von Diophantus auszutauschen. Dieser hatte im Alexandria des dritten Jahrhunderts nach Christus nach einer möglichst großen Menge von ganzen Zahlen gefragt, und zwar „so dass, wenn man aus dieser Menge zwei beliebige Zahlen wählt, diese miteinander multipliziert und dann eins addiert, eine Quadratzahl herauskommt“. Im 17. Jahrhundert fand der berühmte Pierre de Fermat vier Zahlen mit dieser Eigenschaft: eins, drei, acht und 120. Seitdem versuchten viele, eine fünfte Zahl zu finden, zuletzt sogar mit intensivem Computereinsatz. Ziegler und seine Kollegen bewiesen nun aber, dass es keine fünfte gibt. „Zwei Jahre nach der Konferenz hatten wir unsere Ideen konkretisiert und eine vollständige Lösung“, berichtet er. Ziegler ist Assistenzprofessor an der Universität Salzburg. Die Arbeit wurde vom renommierten Journal Transactions of the Mathematical Society zur Publikation angenommen. Ziegler ist Zahlentheoretiker, und diophantische Gleichungen sind sein Fachgebiet. „Dabei interessiert man sich nur für ganzzahlige Lösungen, keine Dezimalzahlen“, erklärt er. Viele diophantische Gleichungen seien Rätsel aus der Antike oder dem Mittelalter, die im 19. oder 20. Jahrhundert gelöst wurden. „Die praktische Relevanz ist zwar gering, zur Lösung musste man aber oft neue Methoden erfinden, und die braucht man heute in der Kryptographie oder zur fehlerfreien Datenübertragung.“ Auch wenn der zweifache Familienvater das Rätseln liebt: Den Kopf frei bekommt der begeisterte Bergsteiger am besten in der Natur.

Fotos: privat, Volker_Ziegler, Sharona Jacobs

nachrichten aus forschung und wissenschaft


N ac h r ic h te n   :   h eu r eka 3/18   FALTER 22/18  7

:  g eo g r a f i e

:  a n t h ro p o lo g i e

Entsteht am Großglockner ein neuer Gletschersee?

Rivalität ruiniert die Gesellschaft, Kooperation hält sie zusammen

Der Klimawandel hat die Entwicklung neuer Gletscherseen beschleunigt. Computermodelle zeigen eine Steigerung um den Faktor acht

Ob Rivalität oder Zusammenarbeit zwischen Menschen die Oberhand gewinnt, wird von der Umwelt und der Populationsgröße bestimmt

jochen Stdaler

jochen Stdaler

Seitdem sich die „Kleine Eiszeit“ Mitte des 19. Jahrhunderts verab­ schiedet hat, schrumpfen in Österreich die Gletscher. „Ihr Schmelzwasser ge­ bar 250 neue Seen“, erklärte der Geo­ graf Jan-Christoph Otto kürzlich bei der Klimatag-Konferenz in Salzburg.

Jan-Christoph Otto, Universität Salzburg Die meisten von ihnen entstanden aber in jüngster Zeit durch die glo­ bale Erwärmung. In nächster Zeit werden etwa am Großglockner noch einige dazukommen, prophezeit der Wissenschafter des Fachbereichs Geografie und Geologie der Univer­ sität Salzburg. Otto hat mit Kollegen die Entstehung der Gletscherseen

in den vergangenen 170 Jahren in den österreichischen Alpen zurück­ verfolgt und mit Computermodellen untersucht, wo in Zukunft welche zu erwarten sind. „In den Gletschervor­ feldern haben sich seit dem Ende der bis dato letzten Kälteperiode ständig neue Seen gebildet, besonders viele davon aber erst ab den 1980er Jahren“, sagte er. Die Seenentwicklung geschieht seitdem achtmal so rasch wie zuvor. Dies sei wohl auf den rasanten An­ stieg der Jahresmitteltemperatur in Höhenlagen wegen des Klimawan­ dels zurückzuführen, was Gletscher dramatisch schnell schmelzen lässt. In den nächsten Jahrzehnten werde sich der Trend wohl fortsetzen: „Zum Beispiel in der Pasterzenzone am Großglockner wird unter Umständen ein See entstehen.“ Die Touristen können dann statt des größten österreichischen Glet­ schers einen Bergsee besuchen.

„Unsere Leut’ zuerst“ ist in der aktuellen Politik in und bringt Wäh­ lerstimmen. Praktisch umgesetzt,führt der Satz aber in den Untergang, mei­ nen Kooperationsforscher. Der österreichische Biomathe­ matiker Martin Nowak, der an der

Martin ­Nowak, Harvard University Harvard University arbeitet, hat mit Kollegen des Institute of Science and Technology IST Austria in Kloster­ neuburg die Ergebnisse von Studien zu spieltheoretischen Modellen über Kooperation zusammengefasst. Interagieren mehrere Einzelperso­ nen oder Bevölkerungsgruppen wie­ derholt miteinander, gibt es demnach

zwei Hauptstrategien: Erstens kann man partnerschaftlich agieren und einen gemeinsamen Gewinn gerecht teilen. Zweitens gibt es den Typus des „Rivalen“. Solche Zeitgenossen wol­ len stets ihre eigene Ausbeute ma­ ximieren, agieren erpresserisch und sind nur zufrieden, wenn sie mehr bekommen als andere. Partnerschaft bringt stabile Kooperation hervor, Ri­ valität Zerstörung, erklären die Wis­ senschafter im Fachmagazin Nature Human Behaviour. Welche dieser Verhaltensmuster sich durchsetzt, wird von der Umwelt bestimmt. Bei kleinen Populations­ größen, und wenn die Beteiligten nur selten miteinander zu tun haben, kann Rivalität in „Wild-West-Manier“ schnell überhand nehmen. Sind die Bevölkerungsgruppen groß und die Beziehungen stabil, wie in der mo­ dernen, global vernetzten Welt, wer­ den eher partnerschaftliche Strategien gefördert.

16.6.2018–19.00 Uhr

Entgeltliche Einschaltung

„Wie wild wollen wir werden?!“ Zum Wandel des Wohlfühlfaktors

Vortrag und Diskussion zur Gestaltung von Natur in der Stadt, musikalisch untermalt durch den BOKU-Chor Vortrag: Lilli Lička Moderation: Anna Soucek Wiener Rathaus, Festsaal

3.7.2018–19.00 Uhr

1918 und danach. Von einem Vielvölker reich zu vielen Vielvölkerstaaten Eröffnung der Internationalen Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs

Planung und Koordination: Daniel Löcker post@vorlesungen.wien.gv.at www.wienervorlesungen.at www.facebook.com/WienerVorlesung

Vortrag: Pieter M. Judson Moderation: Martha Keil Volkskundemuseum Wien


8  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   Nac h r i c h te n

:  a st ro n o m i e

Weltraumteleskop TESS auf Planetensuche in der Nac

Der Nachfolger des Weltraumteleskops „Kepler“ ist im Orbit. Die Österreicherin Lisa Kaltenegger ist im Team des Transit Exoplanet Survey Satellite und soll n Jochen Stadler

Am 18. April brachte eine Falcon-9 Trägerrakete den „Planetenjäger“ TESS (Transit Exoplanet Survey Satellite) vom Weltraum-Flughafen Cape Canaveral in Florida aus ins All. Er soll Planeten in benachbarten Sonnensystemen finden. Mit Lisa Kaltenegger ist auch eine Österreicherin im Team der Mission. Ihre Aufgabe ist es, neu entdeckte Planeten daraufhin zu untersuchen, ob sie Leben beherbergen könnten. TESS löst das Weltraumteleskop „Kepler“ ab, dem in wenigen Monaten der Treibstoff ausgehen wird. „Kepler hat eine faszinierende Vielfalt von Exoplaneten entdeckt, aber nur 0,25 Prozent des Himmels abgesucht“, sagt Kaltenegger, die an der Cornell University in Ithaca, New York, forscht. Die Planeten sind mit durchschnittlich tausend Lichtjahren sehr weit von der Erde entfernt und ihre Sterne zu lichtschwach, um etwas über ihre Atmosphären erfahren zu können. „Unter den dreißig Millionen Himmelskörpern in der kosmischen Nachbarschaft der Erde sucht TESS um die 200.000 helle Sterne, also bis zu einer Entfernung von 300 Lichtjahren“, sagt sie. Außerdem beobachtet das neue Weltraumteleskop den Großteil des Himmels, nämlich 85 Prozent. Als „Augen“ verfügt TESS über vier Kameras. Sie werden messen, ob die Leuchtkraft der Sterne periodisch

jeweils für eine kurze Zeit abnimmt. Das wäre ein Zeichen dafür, dass ein Planet zwischen dem Beobachter und dem Gestirn vorüberzieht. Die Wissenschafter erwarten, dass ihr Weltraumteleskop ungefähr zwanzigtausend bisher unbekannte Planeten in der ganzen Bandbreite, von kleinen Fels-

Lisa Kaltenegger, Cornell University welten wie der Erde bis zu Gasriesen á la Jupiter, entdecken wird. Rund fünfzig davon sollten in etwa die Ausmaße unseres Heimatplaneten haben, weitere fünfhundert sollten bis zweimal so groß wie die Erde sein. Die „Transit-Daten“ werden den Astronomen auch ihre ungefähre Größe dieser Planeten im Verhältnis zum jeweiligen Mutterstern preisgeben. Die Forscher planen zusätzliche Messungen von der Erde aus, um die Massen und Zusammensetzungen der Planeten zu bestimmen, also, ob es sich um Gasplaneten, Wasserwelten oder Felskörper handelt. „Mein Team wird dann versuchen herauszufinden, welche der von TESS gefundenen Planeten möglicherweise

habitabel (von Lebewesen bewohnbar) sein könnten“, erklärte Kaltenegger. Das Weltraumteleskop wird mindestens zwei Jahre auf Beobachtungsreise sein. Im ersten Jahr blickt es auf den Südhimmel, im zweiten auf das nördliche Himmelszelt. „TESS wird in einem ganz neuen Orbit (Umlaufbahn) um die Erde kreisen, der extra für die Mission entwickelt wurde“, so die Astrophysikerin. Es umrundet sie mit der doppelten Frequenz des Mondzyklus in einer exzentrischen Bahn. Dadurch kommt er uns alle zwei Wochen (13,7 Tage) sehr nahe, nämlich bis auf 108.000 Kilometer, das ist etwa ein Drittel der Entfernung des Mondes. Dann kann TESS seine neuen Messungen jeweils gut heimschicken. Im Weltall angekommen, dreht das Weltraumteleskop, das ungefähr so groß ist wie ein Kühlschrank, nun zunächst ein paar exzentrische Runden um die Erde. Dabei kommt es dem Mond so nahe, dass es dort einen „Gravitationsschub“ bekommt, der es nach insgesamt zirka sechzig Tagen Reise in die Beobachtungs-Umlaufbahn transportiert. Nach zwei Jahren ist für TESS nicht unbedingt Schluss, vielleicht finden sich weitere Aufgaben für ihn. „Die Sterne, die TESS absucht, sind übrigens genau jene, die wir in der Nacht sehen“, so Kaltenegger.

Start der Trägerrakete für das neue

:  o p e n s c i e n c e

Daten aus der Forschung für alle In den letzten Jahren entwickelten sich immer mehr digitale Strukturen, die wissenschaftliche Daten für jedermann zugänglich machen. Diese Möglichkeiten

Für die Wissenschaft ist es ein enormer Nutzen, wenn Daten einfacher und schneller zugänglich und auffindbar sind. Die Daten müssen dann nicht mehrfach erhoben werden und stehen für andere Forschungsfragen zur Verfügung. Wenn wissenschaftliche Daten für Interessierte sichtbar gemacht werden, dann müssen vielerlei Aspekte beachtet werden, wie etwa die ethischen oder juristischen Grenzen. „All das muss genau definiert werden. Hierbei bietet der FWF den Wissenschaftern Unterstützung an. So wurden mit dem Pilotprogramm „Open Research Data“ erste Rollenmodelle in einigen Disziplinen geschaffen“,

erzählt Falk Reckling vom FWF. Das mittelfristige Ziel ist, für jedes eingereichte Forschungsprojekt einen Data-­ Managementplan zu erstellen, der

Falk Reckling, FWF

Aspekte wie Dokumentation, Qualitätskontrolle, langfristige Archivierung und Zugang zu den verwendeten Daten darlegt. „Den Wissenschaftern soll ein Mehraufwand der digitalen

Datenverarbeitung so gut wie möglich erspart werden. Deshalb stellen wir eine technische Unterstützung zur Verfügung, um entsprechende Expertisen

Julian Ausserhofer, Austrian Social Science Data Archive aufbauen zu können“, erklärt Reckling. Neben der Nachvollziehbarkeit der Daten ist in der Forschung vor allem auch ihr internationaler Austausch wichtig.

„Wir arbeiten sehr eng mit anderen europäischen Ländern zusammen, vor allem auch im Zuge der European Open Science Cloud. Es geht darum, Datenarchive nach hohen technischen Standards länderübergreifend miteinander zu verbinden“, so Reckling. Dies ist auch ein Grundpfeiler der nationalen Forschungsinfrastruktur AUSSDA (Austrian Social Science Data Archive). „Unser Service wird von den Wissenschaftern national und international gut angenommen“, erzählt Julian Ausserhofer, stellvertretender Leiter der AUSSDA, das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung unterstützt wird. „Wir stellen eine Archivierung von Datensätzen

Fotos: privat, Dominik Geiger

Sophie Hanak


N Ac h r ic h te n   :   h eu r eka 3/18   FALTER 22/18  9

:  w i ss e n s c h a f t l i c h e b ü c h e r au s ö st e r r e i c h

chbarschaft

empfehlungen von erich klein

Wiens einflussreichster Baumeister aller Zeiten

Fotos: Jason Koski / Cornell Marketing Group, nasa

neu entdeckte Planeten auf Leben untersuchen

Weltraumteleskop TESS auf Cape Canaveral in Florida.

sollen nun auch in Österreich weiter ausgebaut werden

aus den Sozialwissenschaften sicher, die Daten werden mit einem DOI (Digital Object Identifier) versehen, wodurch ein Datensatz zitierbar wird und die Wissenschafter zusätzliche Aufmerksamkeit und folglich auch interdisziplinäre Kooperationen erreichen“, sagt Ausserhofer. Die Technik dahinter wird von der Universität Wien zur Verfügung gestellt, für die Speicherung kann deren Infrastruktur genutzt werden. „Aktuelle Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, sind beispielsweise wie die Anonymität und langfristige Speicherung der Daten gewährleistet werden kann.“ Die einheitliche Digitalisierung wissenschaftlicher Daten verlangt sowohl von Universitäten

als auch von Institutionen hinsichtlich Kosten und Know-how viel ab. „Die größte Schwierigkeit für die Wissenschafter ist der Zeitaufwand bei der Aufbereitung der Daten. Dabei können wir die Forschenden unterstützen“, sagt Ausserhofer. Open Sciences ist eine Antwort auf den Wunsch, Wissenschaft nachhaltiger und nachvollziehbarer zu machen. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Digitalisierung und somit Open Science bisher noch kein Kriterium für die Karriere eines Wissenschafters darstellen. Es zählt immer noch die Anzahl der Publikationen in renommierten Fachzeitschriften. Doch vielleicht wird sich auch das in Zukunft ändern.

Wiens ein­ flussreichster BoutiqueArchitekt

Otto Wagners (1841–1918) Werk umfassend dargestellt und reich bebildert. Als da wären: die ­Länderbankzentrale, Villa Wagner I, Stadtbahn und -brücke, Hofpavillon Hietzing 1898, Wienzeilenhäuser, Nussdorfer Wehr, Kirche am Steinhof („Hauptwerk“), k.k. Postsparkassenamt, Döblergasse 4 (Sterbehaus). Nicht zur Ausführung kam u.a. eine Friedenskirche, die „Oesterreichs Völker in ihrer ganzen Größe im Kampf bis zum Endsieg“ zeigen sollte. „Wenn ich mit der Kirche Erfolg habe, bin ich auch in Österreich als der erste Architekt anerkannt.“

Zwischen dem „Kleinen Café“ (1973) und dem „Cin Cin Buffet“ (2017) liegen ein halbes Jahrhundert – und das Werk von Hermann Czech. Dessen Geschäftslokale, Häuser, Wohnanlagen und Ausstellungsgestaltungen werden in einer umfassenden Monografie beschrieben, daneben stehen die Überlegungen des Architekten selbst. Dessen Understatement wurde fast sprichwörtlich: „Architektur ist Hintergrund.“ Eine kleine Wiener Kulturgeschichte, die auch von der Kindheit im Krieg und dem frühen Interesse des Plieschke-Schülers an der Philosophie erzählt.

Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz (Hg.): Otto Wagner Residenz Verlag 2018, 512 S.

Eva Kuß, Hermann Czech, Architekt in Wien Park Books 2018, 456 S.

Ein Wiener ­Architekt mit unaufdringlichspektakulärem Werk

Der Mann, der Graz für eine Weile zum ­Theater machte

Hinter einem freistehenden Turm wölbt sich ein Tonnendach über Glas: Die Cyrill-undMethod-Kirche am Marchfeldkanal ist ein Beispiel der unaufdringlich-spektakulären Arbeiten des Architekten. Der Raum hält innen, was er außen verspricht. Häuselmayer bebaute auch groß, wie in der Süßenbrunner Straße ein 1,2 km langes Grundstück. Sein Werk umfasst tausende Wohnungen, eine Brücke, Nutzbauten sowie die Überdachung der Ausgrabungen in Ephesos. Sein Siegerprojekt für das Linzer Musiktheater wurde wegintrigiert.

„Das einzige Genie unter uns allen“, so sah ihn Peter Handke. Elfriede Jelinek bezeichnete Wolfgang Bauer (1941–2005) als „wichtigsten zeitgenössischen österreichischen Dramatiker“. Ein gutes Dutzend Stücke und Mikrodramen waren schon vor dem Durchbruch mit „Magic Afternoon“ 1968 entstanden, ebenso viele gewitterschwüle Theaternachmittage samt Drogen und Sexspielen folgten. Das heute beinahe vergessene Werk des „Heimatdichters der Alt-Achtundsechziger“ wurde neu entdeckt und aufwendig interpretiert.

Markus Kristan (Hg.), Otto Häuselmayer. Städtebauliche Architektur. Stadtplanung, Bauten und Projekte 1976 bis 2018, Birkhäuser 2018, 248 S.

Thomas Antonic, Wolfgang Bauer, Werk – Leben – Nachlass – Wirkung Ritter Verlag 2018, 632 S.


10  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

Seiten 10 bis 22 Ob Fake News oder die nackte Wahrheit, heute kommt alles in einem Wust an Daten daher. Sind Daten das Zahlungsmittel der Zukunft? Wie big ist Big Data schon? Wird Wissenschaft zur reinen Datenanalyse? Wie beeinflussen Daten die Politik? Fragen wie diese hat sich die Klasse für Grafik Design der Universität für Angewandte Kunst gestellt und die Illustrationsstrecke für dieses Heft gestaltet.

:  au s g e s u c h t e z a h l e n z u m t h e m a zusammengestellt von Sabine Edith Braun

7 000 000 000 000 Byte

an Daten kommen bei einem gewöhnlichen Baseballspiel der MLB zusammen, und zwar so: 32 Bilder pro Sekunde liefert Statcast, ein aus Videotracking und einem radarbasierten Trackingsystem kombiniertes Tool zur datengestützten Spielanalyse.

177

freie Stellen zeigt eine österreichweite Website mit Stellenanzeigen beim Suchbegriff „Big Data“ Anfang Mai an. 124 freie Stellen ergibt der Suchbegriff „Datenpflege“, und mit „Data Scientist“ sind es immerhin 41 freie Stellen.

20–23

Jahre

sind die als am attraktivsten bewerteten Altersstufen von Frauen bei fast allen Männern zwischen 20 und 50 (ausgenommen eine kleine Gruppe von Twentysomethings, die bereit wären, sich mit Frauen zu verabreden, die älter sind als sie selbst). Das errechnete der Mathematiker Christian Rudder aus den Massendaten der von ihm 2004 gegründeten Internet-Kontaktbörse OKCupid.

30000000

Personen sammeln in Deutschland „Payback“-Punkte. 4.000.000 Mal täglich kommt dort die Meta-Kundenkarte, die beim Einkauf in verschiedenen Unternehmen Bonuspunkte gutschreibt, zum Einsatz. Seit 3. Mai gibt es das Multibonusprogramm auch in Österreich.

310 000 000 Datenpunkte aus über 4.200 Spielminuten. Diese ergaben sich bei einer 50 Spiele umfassenden Big-Data-Feldstudie der deutschen Fußball-Bundesliga in der Spielzeit 2014/15. Das Spielanalysetool SOCCER errechnete daraus letztlich 11.160 Leistungswerte.

Mehrere hundert Terabyte (zwölf Nullen) – sobald eine Datenmenge diese Größe überschreitet, spricht man von „Big Data“. Auf YouTube etwa wurden 2015 minütlich 400 Stunden Videomaterial – das sind 1 500 000 000 000 Byte – hochgeladen. Pro Tag ergibt das mehr als ein Petabyte (fünfzehn Nullen):

1 000 000 000 000 000 Byte

10%

Insgesamt entfallen auf YouTube rund 10% des gesamten Internet-Datenverkehrs

Quellen: Memmert/Raabe: Revolution im ProfifuSSball. Mit Big Data zur Spielanalyse 4.0, 2017.Rudder, Christian: Inside Big Data. Unsere Daten zeigen, wer wir wirklich sind, 2016 (2014)Wikipedia, www.payback.net, www.bigdata-insider.de, www.karriere.at

T I T E LT h e m a I m D a te n s c h a u e r


Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  11

ICH SEHE DICH, ABER DU SIEHST MICH NICHT von Frances Stusche

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12  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

Big Data und die Versuchskaninchen Großkonzerne gehen achtlos mit unseren Daten um. Wie sieht es damit in der Forschung aus? s gibt das Versprechen, mit Big Data alles besser verstehen zu können“, sagt die Medienforscherin Nele Heise. „Weil man damit alles irgendwie in Zusammenhang miteinander setzen kann. Doch wird dabei oft vergessen, dass man auch die richtigen Fragen stellen muss.“ Sie verweist auf den Stellenwert von Theoriearbeit angesichts eines oft recht kruden Empirismus. Dass gewisse Vorgehensweisen ethisch problematisch sind, werde in der aktuellen Big-DataGoldgräberstimmung oftmals übersehen. Gerade bei Daten aus sozialen Netzwerken greift ein grundlegendes Prinzip der Forschung nicht: informierter Konsens. Dieser Begriff meint, dass Menschen aktiv ihr Einverständnis dazu geben müssen, wenn sie beforscht werden sollen. „Es gibt die Tendenz, sich eher mit Methoden als mit Ethik zu beschäftigen“, so Heise. „Das liegt einfach auch daran, dass keine Interaktion mit den Beforschten stattfindet. Es gibt keine Interviewpartner oder Laborversuche.“ Zwar gäbe es Handreichungen und Richtlinien, diese können aber nicht mit dem technologischen Fortschritt mithalten. „Mein Ideal wäre eine Verzahnung von Methoden- mit Ethikausbildung, um frühzeitig für die nötige Sensibilisierung zu sorgen.“ Reicht ethische Selbstkontrolle durch die Forschenden? Generell gibt es teils große Unterschiede zwischen den Forschungsdisziplinen. In vielen Ländern Europas liegt die ethische Aufsicht als freiwillige Selbstverpflichtung in der Hand der Forschenden. In den USA und Großbritannien sind Review-Boards üblich, die über die Standards und deren Einhaltung wachen. Dennoch tauchen immer wieder Fälle auf, und nicht nur im Umfeld von Facebook, in denen Kontrollinstanzen versagt haben, wie etwa in Dänemark, wo zwei Forschende die Nutzerdaten von 70.000 Usern einer Datingplattform unerlaubt und ohne jede weitere Anonymisierung als Forschungsdatensatz veröffentlicht hatten. Verstöße wie diese entfachen die Debatte um die externe Kontrolle der Forschung. „Die Forschenden wollen ihre Forschungsfreiheit natürlich nicht eingeschränkt sehen“, meint Heise. „Sie verweisen gern darauf, dass die Daten ohnehin anonymisiert seien. Dabei lassen sich auch große anonymisierte Datensätze mit entsprechendem Aufwand wieder deanonymisieren. Oft helfen Nachlässigkeiten dabei.“ Die Folgen, die das für einzelne Personen haben kann, sind häufig nicht absehbar. Nicht nur in den Sozialwissenschaften, auch in der Medizin gibt es gute Gründe, sich durch die Datenberge zu wühlen. Die Informationen sollen dabei helfen, präzisere Diagnosen zu stellen und Krankheitsauslöser, Risikogruppen sowie Krankheiten exakter zu beschreiben. „Eine der fantastischen Sachen ist, dass man anhand anonymisierter

Text: Werner Sturmberger

„Forscher in der Data Science vergessen gern, dass sie es nicht bloß mit Kommunikations­ spuren, sondern mit Menschen zu tun haben.“ Nele Heise, Universität Hamburg

Stefan ­Thurner, ­Complexity ­Science Hub Vienna

Bevölkerungsdaten Krankheitsverläufe verfolgen kann“, erklärt Stefan Thurner, Professor für die Wissenschaft Komplexer Systeme an der Meduni Wien und Präsident des Complexity Science Hub Vienna (siehe auch Interview Seite 18). „Daraus lässt sich folgern, wie die weitere Entwicklung einer Erkrankung aussieht und welche Therapien wirksam sind.“ Man erhofft sich deutliche Verbesserungen bei der Gesundheitsplanung: „Ärzte können die Patienten auf eine Erkrankung vorbereiten und gemeinsam mit dem Patienten dieser gegensteuern.“ Bevölkerungsdaten geben auch Aufschluss über die Effektivität von Therapien und Medikamenten: Statt diese anhand bloßer Wirksamkeitsstudien zu beurteilen, lässt sich ihre Effektivität im täglichen Einsatz beobachten. Zudem würde man so auch erfahren, bei wem wann welche Therapie am besten wirkt. Patienten wie Krankenkassen könnten so wenig wirksame Therapien erspart werden. Die dafür notwendigen Daten existieren bereits in amtlichen Statistiken oder bei den Krankenkassen. Die Bewertung der Daten scheitert jedoch häufig an entsprechenden Analyseinstrumenten. Einer der wichtigsten Datensätze für Thurners Arbeit ist der Forschungsdatensatz der Sozialversicherungsträger. Dieser enthält anonymisierte Informationen von rund acht Millionen Patienten, deren Diagnosen und Behandlungen. „Da wir in der Medizin mit anonymisierten, aber personenbezogenen Daten operieren, galten hier schon immer strenge Regeln“, erklärt Thurner. „Oft führt der Weg dabei über eine Ethikkommission. Sie entscheidet über Verwendung und Handhabung – oder aber wir müssen nachweisen, dass Datenschutzbestimmungen eingehalten werden. In vielen wissenschaftlichen Journalen ist es sogar unmöglich, ohne einen solchen Nachweis zu publizieren.“ Eine missbräuchliche Verwendung von Daten sei nie gänzlich auszuschließen. Die größere Gefahr liege jedoch nicht in den Daten der öffentlichen Verwaltung, sondern bei den Informationen, die Menschen freiwillig in sozialen Medien preisgeben. Open Data als Ausweg? … und immer Ärger mit ELGA Problematisch an Daten in sozialen Medien ist nicht nur der Umstand, dass sie auch von Forschenden missbräuchlich verwendet werden können. Die Verfügungsgewalt über diese Daten liegt bei Konzernen, die sie über ihre Technologie weitervermitteln. So hat Facebook im Zuge der jüngsten Entwicklungen beschlossen, vorerst keine Daten zu Forschungszwecken mehr zur Verfügung zu stellen. Ein Umstand, der genauso wenig zu begrüßen ist wie der Missbrauch von Daten. „Wollen wir nicht als Gesellschaft daran arbeiten, selbst solche Datenpools

­ erzustellen und für gemeinnützige Zwecke h einzusetzen?“, fragt Medienforscherin Nele Heise. „Mit dem Open-Data-Ansatz gibt es erste Versuche in diese Richtung. Wichtig für einen solchen Ansatz sind aber Freiwilligkeit, Konsens sowie Informiertheit.“ In Teilen existiert ein solches Szenario bereits: Immer mehr öffentliche Verwaltungen beteiligen sich an Open-Data-Initiativen. Krankenkassen und Ministerien verfügen mit ihren Registern über eine Vielzahl von relevanten und sensiblen Daten. Im April dieses Jahres standen diese im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Noch vor dem Beschluss der stark entschärften Datenschutzverordnung hatte die Novellierung des Forschungsorganisationsgesetzes für heftige Kritik gesorgt. Universitäten, Fachhochschulen und Museen, aber auch Forschungsabteilungen von Unternehmen sowie Einzelpersonen sollen Zugang zu den Registerdaten beantragen können. Dabei gelten Geheimhaltungsgebot, Diskriminierungsverbot (es dürfen keine Nachteile für Betroffene entstehen) und Protokollierungspflicht. Eine Einwilligung der Datenschutzbehörde soll zukünftig nicht mehr nötig sein. Welche Register zur Verfügung gestellt werden, soll das zuständige Ministerium entscheiden. Explizit ausgenommen sind nur Datenbanken der Justiz und das Strafregister. Auch die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) soll unter diese Regelung fallen. Das sorgte für große Aufregung: Fünftausend Menschen meldeten sich im heurigen April von ELGA ab. Doch laut ELGA-Manager Martin Hurch ist eine Öffnung der Daten für die Forschung aus technischen Gründen gar nicht möglich. Abfragen sind nur personenbezogen, aber nicht nach Krankheitsbildern möglich. Carte blanche für die Forschung statt Einverständnis? Die von Heise reklamierten Standards bezüglich Informiertheit und Konsens fehlen in den aktuellen Regelungen der Bundesregierung. Damit ist die Chance auf einen Dia­log über die Abwägung von zwei fundamentalen Grundrechten – der Freiheit der Forschung und dem Recht auf Schutz der Privatsphäre – fürs Erste vertan. Die Forschung erhält Carte blanche, Bürgerinnen und Bürger tendenziell den Status digitaler Versuchskaninchen. Ob die Beforschung von Registerdaten langfristig erfolgreich sein kann, wenn sie ohne die Zustimmung und das Vertrauen der Beforschten erfolgt, ist zweifelhaft. „Big Data ist wie Teenager-Sex“, tweetete der US-Pyschologe Dan Ariely vor fünf Jahren. „Jeder spricht darüber, niemand weiß, wie man es wirklich macht, und jeder glaubt, dass alle anderen es tun, weshalb alle behaupten, dass sie es auch machen.“ Gilt das auch für die Ethik beim Umgang mit Daten?

Fotos: Florian Hohmann, Christine-Knoll

E


Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  13

FAST HELIX von Ejla Miletic

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14  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

Das richtig große Ding kommt erst! Nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung kommt die ePrivacy-Verordnung der EU enn das Ziehen von Zähnen bloß immer so leise, reibungslos und unspektakulär vor sich ginge! Am 20. April, knapp fünf Wochen vor Inkrafttreten der EUweiten Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), hat Österreich durch den Beschluss des „Datenschutz-Deregulierungsgesetzes 2018“ die EU-Regelung auf nationaler Ebene verwässert. Das ist ziemlich genau zwei Tage lang unbemerkt geblieben. Denn zur Begutachtung, wie es bei Parlamentsbeschlüssen die Regel ist, wurde diesmal nichts verschickt. „Diesen Entwurf kannte außerhalb des Parlaments kaum jemand“, sagt Nikolaus Forgó vom Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien. Forgó hält gemeinsam mit seiner Kollegin Christiane Wendehorst in diesem Sommersemester ein Seminar mit dem Titel „Die DSGVO und ihre Umsetzung in Österreich aus datenschutz- und zivilrechtlicher Perspektive“. Darin werden Themen behandelt wie die Frage, ob Daten in einem Vertrag als Entgelt zu betrachten sind. Forgós und ­Wendehorsts Studierende, allesamt bereits im Internetzeitalter geboren, hätten übrigens durchaus Interesse an der Wahrnehmung ihrer Rechte, sagt Forgó: „Sie treffen bewusste Entscheidungen, was sie posten oder nicht. Wenngleich diese Entscheidungen nicht immer dieselben sind wie in meiner eigenen Generation.“ Die Aufweichung der Datenschutz-Grundverordnung Laut Forgó hätte die Datenschutz-Grundverordnung keines nationalen Gesetzes bedurft, um in Österreich Geltung zu erlangen. Welche Zähne sind es nun aber, die der EU-Verordnung mit dem Deregulierungsgesetz gezogen wurden? Die gravierendsten Aufweichungen sind ein sehr weit gefasstes Medienprivileg, aber auch Erleichterungen im Dienste von Kunst und Wissenschaft (siehe Beitrag Seite 12) sowie für Geheimdienstorganisationen, auch ausländischen, im Umgang und der Verarbeitung von personenbezogenen Daten. Was Kunst ist, oder was als Wissenschaft gilt, wird von den Regierenden definiert. Im Falle von Verletzungen des Datenschutzes soll es außerdem nicht, wie von der EU geplant, bereits beim ersten Verstoß Strafen geben, sondern erst einmal eine Verwarnung. „Das ist eine sehr wirtschaftsfreundliche, auch eine ­medienunternehmerfreundliche

Text: Sabine Edith Braun

„Der Datenschutz in Europa ist ein Flickenteppich. Ein Riesendilemma in alle Richtungen“ Nikolaus Forgó, Universität Wien

Linktipps: Datenschutzbehörde der Republik Österreich: www.dsb.gv.at Plattform Grundrechtspolitik (früher: Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich): www.epicenter.works European Center for Digital Rights: www.noyb.eu

­ aßnahme“, sagt Forgó.­Tatsächlich meldete M die Wirtschaftskammer noch am 20. April via Presseaussendung: „Die heute beschlossenen Änderungen des Datenschutzgesetzes bringen Erleichterungen für Unternehmen.“ Öffentliche Einrichtungen sind von den Strafmaßnahmen übrigens ausgenommen. Darüber hinaus werden mit dem DatenschutzDeregulierungsgesetz die Videoüberwachung sowie deren Auswertung erleichtert. Datenschutz-Plattformen wie zum Beispiel Max Schrems’ NOYB („none of your business“) oder auch die aus dem Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich hervorgegangene Plattform für Grundrechtspolitik epicenter. works sind vor allem von jener Regelung betroffen, die es gemeinnützigen Organisationen untersagt, im Auftrag betroffener Bürger von verurteilten Tätern Ansprüche auf Schadenersatz geltend zu machen. Ihnen wird damit die finanzielle Grundlage weitgehend entzogen. Dass einzelne Betroffene, die vor allem geringe finanzielle Ressourcen haben, sich bis zur höchsten Instanz allein durchklagen, scheint wenig wahrscheinlich.

der ­Verordnung selbst gescheitert, so der Jurist. So groß jetzt die Diskussion um die DSGVO und deren nationale Deregulierungsgesetze auch ist, laut Nikolaus Forgó ist das eigentlich „große Ding“ erst im Anrollen: die EU-weite ePrivacy-Verordnung. In dieser geht es nämlich explizit um Datenschutz in der elektronischen Kommunikation. Zwar denkt fast jeder, wenn der Begriff „Datenschutz-Grundverordnung“ auftaucht, zuallererst an das Internet und jegliche Formen von elektronischer Kommunikation, aber diese sind mit der ­ SGVO weder explizit noch ausschließlich D gemeint.

Österreichs Kinder gelten mit 14 als Facebook-mündig Österreich steht nicht alleine mit seiner Deregulierung der EU-Verordnung da. „Der Datenschutz in Europa ist ein Flickenteppich“, klagt Forgó. „Ein Riesendilemma in alle Richtungen.“ Als Beispiel führt er den Kinder- und Jugendschutz in Zusammenhang mit sozialen Medien an: Was das „richtige“ Alter für beispielsweise ein ­Facebook-Konto sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Immerhin findet beim Erstellen eines Accounts auch die Einwilligung zur Verarbeitung personenbezogener Daten statt. In welchem Alter kann man die Reichweite dessen abschätzen? Die EU hat das Mindestalter, ab dem Jugendliche keine Zustimmung der Eltern mehr brauchen, bei sechzehn Jahren angesetzt, aber man habe sich auf einen Kompromiss geeinigt: Die Mitgliedstaaten können das Mindestalter absenken, aber nicht auf unter dreizehn Jahre. Deutschland blieb bei der EU-Grenze von sechzehn Jahren, Österreich hat das Mindestalter auf vierzehn Jahre abgesenkt. Der „Fleckerlteppich“ besteht aber nicht nur durch einzelne nationale Gesetze – ein europaweit einheitlicher Datenschutz sei bereits durch unterschiedliche Meinungen in

2019 soll die ePrivacy-Verordnung EU-weit gelten Die Palette der nun an die DatenschutzGrundverordnung der Europäischen Union angepassten Gesetze reicht in Form des sogenannten Materien-Datenschutz-Anpassungsgesetzes vom Bundesarchivgesetz über das Forschungsorganisationsgesetz bis hin zum Weingesetz. Allerdings führte vor allem der erleichterte Zugang der Wissenschaft zu personenbezogenen Daten, die in von der öffentlichen Hand geführten Registern gespeichert sind, zu einer breiten Diskussion – Stichwort elektronische Krankenakte ELGA. Kann man davon ausgehen, dass alle Parlamentarier sich umfassend mit der Materie auseinandergesetzt haben, oder lief das Ganze eher in „speed kills“-Manier ab? „Dieses Gesetz ist unter sehr hohem Zeitdruck entstanden“, sagt Forgó, „allein durch die schiere Menge kann so etwas kaum jemand überblicken.“ Was nun die geplante ePrivacy-Verordnung betrifft, so wird diese spezielle Datenschutznormen für die elektronische Kommunikation beinhalten, Stichwort CookieTracking, sichere Verschlüsselung, e-MailMarketing. Sie soll die bisher geltende ePrivacy-Richtlinie vom Jahr 2002 und die „Cookie-Richtlinie“ aus dem Jahr 2009 ersetzen und wird im Unterschied zu den Richtlinien, die nationale Gesetze verlangten, unmittelbare Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten erlangen. Der offizielle Zeitkorridor der EU-Kommission hätte zwar ein zeitgleiches Inkrafttreten mit der DSGVO vorgesehen, aber dieser Plan ist gescheitert. Nun wird 2019 angepeilt. „Das ist dann das richtig große Ding“, sagt Nikolaus Forgó, und verspricht: „Es wird dynamisch bleiben.“

Nationale und internationale Rechtsquellen und Entscheidungen können über die Homepage eingesehen werden, auch finden sich zahlreiche Links zum Thema Datenschutz. Mit den aktuellen Datenschutzanpassungen wird der Datenschutzbehörde auch die nachprüfende Kontrolle von Ent-

scheidungen des Nationalratspräsidenten sowie anderer Institutionen in Datenschutzangelegenheiten ermöglicht. Diese Kontrollmöglichkeit war bisher auf die obersten Organe der Vollziehung (Bundespräsident, Mitglieder der Bundes- und der Landesregierungen) beschränkt.

d i e ö st e r r e i c h i s c h e Dat e n s c h u t z b e h ö r d e

Gesetzesbegutachtungen, Information zu Rechtsauskünften, Internationaler Datenverkehr, Rechte der Betroffenen, Datenverarbeitungsregister (DVR) und Stammzahlenregisterbehörde, das sind Aufgaben und Tätigkeiten der Österreichischen Datenschutzbehörde (früher: Datenschutzkommission).

Foto: Rainer Schoditsch

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Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  15

WHO EATS THE DATENWURST von Monika Ernst

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16  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

Weißt du, wieviel‘ Vögel fliegen? Statt Käfer oder Vögel werden heute Daten gesammelt, während die realen Bestände schrumpfen  as Melden ist so einfach wie noch nie!“ Norbert Teufelbauer muss es wissen, schließlich koordiniert er die großen Beobachtungsprojekte der Vogelschutzorganisation BirdLife. Da so viele Menschen melden wie noch nie, häufen sich die Daten. Haben die digitalen Möglichkeiten die Arbeit erleichtert? Nicht unbedingt. Anders sei sie geworden, meint Teufelbauer. „Wir haben mehr Information, aber somit auch vieles, was weniger interessant ist.“ Die Suche nach Ausreißern und Fehlern bleibe einem nicht erspart. Im Gegenteil. Qualitätssicherung ist das Um und Auf. „Durch die Menge an Daten ist mehr zu tun. Hinzu kommt, dass man technisch ständig up to date bleiben muss.“ Heißt: App-Stores füttern. Jäger, Sammler, Spieler im Dienst der Naturwissenschaft Ein kleiner Rückblick: Sommer 2016. An jeder Ecke ein Grüppchen. Alle auf der Suche nach seltenen Wesen. Vor knapp zwei Jahren trieb die Smartphone-App Pokémon Go Jung und Alt hinaus an die frische Luft. Der Hype hat sich inzwischen gelegt, aber eines bewiesen: Wir Menschen sind Jäger, Sammler und Spieler. Apps sind ein Glücksfall für die Wissenschaft. Ganz besonders für die Überwachung der Natur. Schließlich können nur wenige Hobbys eine so lange Tradition vorweisen wie das Beobachten und Benennen von Vögeln oder das Sammeln von Käfern und Schmetterlingen. Dass deren Bestände rapide sinken, weiß heute fast schon jedes Kind: Bienensterben, Singvogelsterben, Insektensterben. Unschöne Wahrheit. Alle Hoffnung fahren lassen darf man freilich nicht. Parallel zum Artenverlust wachsen das öffentliche Interesse und die Datensätze. Weiß die Wissenschaft mehr über Ursachen, Problemzonen und stark bedrohte Arten, lässt sich der Schutz der Natur verbessern. Wer bringt die neuen Daten auf? Apps mit fleißigen Usern Während die meisten Apps die Daten ihrer User implizit und ungefragt anhäufen, haben solche wie „NaturaList“ das Sammeln selbst zur Aufgabe gemacht. Die Anwendung erleichtert Vogelbeobachtern die Erfassung und leitet diese direkt an die Datenbank ornitho.at weiter. App und Plattform sind ein großer Erfolg, wie Norbert Teufelbauer betont: „Ornitho hat uns einen enormen Schub gegeben. Es läuft seit 2013 und wir haben jetzt vier Millionen Datensätze, das ist extrem viel.“ Inzwischen speisen zwischen 1.500 und 2.000 Personen regelmäßig Daten ein. Dem Zählen von Bienen und Schmetterlingen widmeten sich jüngst Check-Apps der Umweltorganisation GLOBAL2000 und der Stiftung Blühendes Österreich. Letztere trägt den Namen „Schmetterlinge

­Österreichs“ und erbrachte im Jahr 2017 exakt 26.010 Meldungen, mittlerweile sind es knapp 34.000. Die Sichtungen werden von Experten begutachtet und klassifiziert. So erhofft man sich Auskunft über Häufigkeit und Aufenthaltsorte gefährdeter und bedrohter Arten. Nebenbei lernen die fleißigen Freiwilligen mehr über ihre Umwelt und Maßnahmen zu Schutz und Pflege. Am Ende haben alle was davon: Forscher, Laien, Tiere. Eine vorbildliche Symbiose. Käfer, Schmetterlinge, Falter, Libellen, Bienen, Hummeln und Vögel zeigen uns, wie es um den Zustand der Natur bestellt ist. Sie zählen – und werden darum gezählt. Nicht nur Wissenschafter, auch zahlreiche Hobbyornithologen und -entomologen „Citizen Science beteiligen sich an der mühsamen Arbeit. wird von der Mehrmals im Jahr sind sie mit Fernrohr, Block und Bleistift unterwegs. Neuerdings Wissenschaft auch mit ihren Smartphones. Immer auf der allmählich Suche, immer auf der Hut. Den Blick nach oben und nach unten gerichtet. Bloß nicht anerkannt“ auf eines der kostbaren Nester von selten gewordenen Bodenbrütern wie Braunkehlchen oder Feldlerchen treten! Florian Heigl, universität für Werden freiwillige Helfer in die Forbodenkultur schung einbezogen, spricht man von Citiwien zen Science. Florian Heigl und Daniel Dörler von der BOKU Wien sind die Gründer der Citizen-Science-Plattform „Österreich forscht“. Wie wertvoll die Bürgerbeteiligung ist, zeige sich vor allem bei Langzeitstudien und solchen über große geografische Räume. Dass diese Art der Forschung auch im Wissenschaftsbetrieb anerkannt wird, verrät die Anzahl der peer-reviewed Artikel: „Zum Stichwort Citizen Science erscheinen jedes Jahr einige hundert“, sagt Heigl. Gleich drei Aufsätze in Fachjournalen wurden etwa zum Wirbeltier-Monitoring-Projekt „Roadkill“ publiziert. Bei diesem werden mittels App-Daten gefährliche Verkehrsstellen für Amphibien und Reptilien identifiziert. Das Niveau der Projekte sei relativ hoch. Um die Qualität zu sichern und weiter zu Norbert Teufelbauer, steigern, hat die Plattform kürzlich einen Kriterienkatalog formuliert. Generell gelte BirdLife Österreich eines: „Je transparenter und nachvollziehbarer die Methode ist, desto einfacher sind die Daten zu interpretieren.“ Wen jetzt die Lust an der Forschung packt, der findet auf der Webseite von ­Citizen Science eine große Auswahl an Projekten. Je nach favorisierter Spezies heißt es meist identifizieren, wenn möglich fotografieren, zählen, verorten und beobachten. Also Daten anhäufen, welche die Wissenschaft anschließend analysiert. Wie geht man mit den Daten der Laien um? „Einerseits kennen wir unsere Beobachtenden recht gut und müssen ihnen mitunter auch mitteilen, dass sie noch nicht Links Citizen Science: gut genug sind und weiter lernen müssen“, citizen-science.at erklärt Norbert Teufelbauer. „Anderseits Online-Vogelbeobach- führen wir vor der Datenverarbeitung eine Fehlerprüfung durch. Dank unserer Erfahtungsmeldesystem: ornitho.at rung und Expertise erkennen wir, ob die

Text: Joshua Köb

Ergebnisse in den Rahmen passen, ob es Ausreißer gibt, oder ob seltene Arten falsch bestimmt wurden. Diese Faktoren rechnen wir anschließend in die Daten ein.“ Die Anforderungen variieren von Projekt zu Projekt. Das Brutvogel-Monitoring ist das anspruchsvollste von allen. Dort zählt man über die Jahre hinweg für fünf Minuten an vorher definierten Zählpunkten. Klingt erst einmal nicht sonderlich schwierig, doch man müsse schon viele Vögel erkennen können, meint Teufelbauer. „Sowohl optisch als auch akustisch. Nach Gehör die Vogelrufe und Gesänge zuzuordnen, ist für manche Menschen ein Problem. Man hat keine Zeit, an einem Vogel ‚herumzukauen‘, um seine Identität festzustellen.“ Flächendeckendes Tier-Monitoring ist nicht möglich Auch wenn die Methoden besser und die Datenmengen größer werden, basieren die Studien zu Vögel- und Insektenbeständen meist auf Hochrechnungen. Exakte Auskünfte wird es auch in Zukunft nicht geben, dafür sind die Studienobjekte zu zahlreich, die Ressourcen zu knapp. „Die Bestandsveränderung, das Monitoring ist flächendeckend einfach nicht möglich. Das ist ein zu großer Aufwand. Die Datenerfassung ist daher auf einzelne Punkte beschränkt“, gibt Teufelbauer zu. Genügend viele und halbwegs gut verteilte Punkte würden jedoch qualifizierte Aussagen erlauben. Und da das Monitoring bereits seit zwanzig Jahren läuft, sind die Bestandsveränderungen eindeutig ersichtlich. Ein anderes Projekt, der Brutvogelatlas, wird gerade mit aktuellen Daten gefüttert. „Bisher hatten wir nur Daten aus den 1980er Jahren. Hier arbeiten wir momentan an einer flächendeckenden Erfassung.“ Dazu wurde ganz Österreich in zehn mal zehn Kilometer große Raster eingeteilt. Für jeden davon soll eine vollständige Artenliste erstellt werden. „Das ist alles andere als punktuell“, unterstreicht Teufelbauer. In Deutschland, gemeinhin ein guter Indikator für österreichische Verhältnisse, soll die Zahl der Fluginsekten in den vergangenen 27 Jahren um bis zu achtzig Prozent zurückgegangen sein. Zu dieser Erkenntnis kam jüngst eine Studie der RadboudUniversität Nijmegen unter der Leitung des Zoologen Caspar Hallmann. Die alarmierende Zahl schlug Wellen. Nicht zuletzt, weil sich die Verfasser bei ihrer Auswertung auf die in langen Jahren zusammengetragenen Daten von Hobbyforschern des Entomologischen Vereins Krefeld stützten. Der Fall zeigt: Ohne freiwillige Arbeit keine Resultate, keine Berichterstattung und erst recht keine Konsequenzen. Dass es sich bezahlt macht, beweist das Ende April beschlossene EU-weite Verbot bienenschädlicher Insektizide, der nervenangreifenden Neonicotinoide.

Fotos: Michael Dvorak, Privat

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Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  17

BINÄRABDRUCK von Hilal Avci

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18  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

Die Spritze kommt per Drohne Big Data hält Einzug in der Medizin. Was sagen Ärzte dazu?  ach Entschlüsselung des menschlichen Genoms und der Entwicklung sogenannter Omics-Technologien (Genomics, Proteomics, etc.) ist die moderne Medizin im Umbruch. Genetische oder metabolische Eigenheiten können nun bei jedem Patienten nachgewiesen werden. Schon jetzt werden dazu in weltweiten Studien riesige Datenmengen generiert und in bioinformatischen Analysen verglichen. Dies führe laut Walter Berger, Krebsforscher an der MedUni Wien, zu dramatischen Fortschritten auf dem Feld der „Personalisierten Medizin“, mit dem Ziel einer maßgeschneiderten Behandlung für jeden einzelnen Patienten. Als Kehrseite der Medaille sieht Berger, dass es diese Datenlawine für den behandelnden Arzt oft unmöglich macht, die in Big Data enthaltenen Informationen zu lesen, zu überblicken und auf eine den Patienten abgestimmte Diagnose und Behandlung zu übertragen. Auch seien Omics-Daten vorerst nur beschreibend. Die bioinformatische Analyse kann mit ausgeklügelten Programmen und Algorithmen Vergleiche anstellen und evaluieren, welche genomische Veränderung mit einer längeren oder kürzeren Lebenszeit einhergeht. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen und biochemischen Prozesse könnten laut Berger allerdings nur erahnt werden. Man muss sie daher schrittweise im Labor erforschen und bestätigen. „Daher ist translationale Forschung, sprich die Übertragung der Ergebnisse aus Grundlagenforschung in die klinische Forschung, von großer Bedeutung für den medizinischen Fortschritt“, sagt Berger. Nur durch eine molekulare Bestätigung und Weiterentwicklung der aus diesem Bereich kommenden Annahmen und Hypothesen ist das gewonnene Wissen tatsächlich in neue Therapien und verbesserte Diagnosen überführbar. Weiters sei translationale Forschung nötig, um die Datenlawine aus dem Omics-Bereich auf eine im klinischen Alltag realistische Zahl von Analyseparametern, den Biomarkern, zu reduzieren. Dies sollte einfach durchführbar und in den verschiedensten Laboratorien reproduzierbar sein. „Erst damit wird es möglich, dass die Präzisionsmedizin bei den Patienten ankommt und nicht eine Spielwiese für Forscher bleibt“, betont Berger. „Big Data mag zwar ein Modewort sein, aber die Entwicklungen sind real und wichtig“, sagt Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin CeMM. „Die Medizin entwickelt sich immer mehr zu einer Wissenschaft von Daten und Informationen.“ Vieles, was in der Vergangenheit nur ärztlicher Erfahrung zugänglich war, wird nun messbar – und damit für eine Behandlung nach wissenschaftlichen Standards nutzbar. Als Beispiele nennt Bock Fitness-Tracker und Smart-Watches. Diese messen rund um die Uhr wichtige

Text: Dieter Hönig

„Will man Effizienz, darf der Patient nur mehr mit der Maschine interagieren. Alle Zwischenhändler müssen ausgeschlossen sein“ Stephan Thurner, MedUni Wien

Christopher Bock, MedUni Wien

Walter Berger, MedUni Wien

Körperfunktionen wie Herzfrequenz und in Zukunft vielleicht auch Blutdruck, Blut­ zucker und andere Werte. Durch Big Data werde sich auch die Rolle der Ärzte und ihre Beziehung zu den Patienten ändern. „Natürlich werden Ärzte weder durch Computer ersetzt noch Programmierer werden. Man kann sich die Ärzte der Zukunft eher als Berater vorstellen, welche die Komplexität von Gesundheit und Krankheit für die Patienten greifbar machen sowie deren Wünsche in optimale medizinische Entscheidungen übersetzen“, so Bock. Kritik an Big Data der Personalisierten Medizin beziehe sich laut Bock meist auf wenig durchdachte oder schlecht umgesetzte Ideen. Für ihn besteht kein Zweifel, dass mehr Daten und ihre intelligente Interpretation durch Menschen die Medizin voranbringen werden. Ganz ähnlich sieht dies auch der Komplexitätsforscher Stefan ­Thurner von der MedUni Wien. Herr Thurner, werden Ärzte in Zukunft bloß eine Assistenzrolle einnehmen? Stefan Thurner: Der Trend geht in diese Richtung. Big Data bietet ärztlichem Personal einen Erfahrungsschatz an, den es sich selbst mit 200 Jahren Praxiserfahrung nie aneignen könnte. Dank Algorithmen und Maschinen, die Sinn aus massiven Daten ziehen können, werden Ärzte einfach viel besser. Maschinen können genauere Analysen und Diagnosen erstellen, indem sie Millionen ähnliche Fälle vergleichen, Muster in Krankheitsverläufen erkennen, MRTBilder besser deuten und Diagnosen und Vorhersagen von einer Qualität bündeln, die der einzelne Mensch niemals schafft. Aber auch Maschinen machen Fehler … Thurner: Manchmal sogar kapitale Fehler. Es sind daher weiterhin Menschen nötig, um solche Fehler zu erkennen und zu vermeiden. Resultate aus dem Machine ­Learning einfach unkritisch zu übernehmen, kann in der Katastrophe enden. Die Aufgabe, maschinengenerierte Ergebnisse von Fall zu Fall kritisch zu checken, werden Ärzte hoffentlich in der näheren Zukunft weiterhin beibehalten. Es wäre allerdings schön, wenn die Zeit, die mit dem Einsatz neuer Technologien gewonnen wird, dazu verwendet würde, Patienten emotional besser zu betreuen. Wie erfreut sind MedUni-Wien-Ärzte über dieses neue Berufsbild? Thurner: Dass Maschinen einem Arbeit abnehmen, sollte doch alle freuen. Aber was auch klar wird: Wenn man Effizienz will und zu Ende denkt, was höchste Effizienz bedeutet, darf der Patient nur mehr mit der Maschine interagieren. Alle Zwischenhändler müssen ausgeschlossen sein. Wie soll das funktionieren?

Thurner: Etwas überspitzt formuliert, nimmt der Patient selbst eine Blutprobe und tropft sie auf eine Box, die ans Handy angeschlossen ist. Das Ergebnis wird von einer kalifornischen Firma hochgeladen und mit den genetischen Daten abgeglichen. Daraus leitet sich ein personalisiertes Medikament ab, ein von Robots gemixter Proteincocktail, der mit einer Drohne in einer Spritze zum Patienten geflogen wird, der sie sich selbst in den Muskel jagt – oder von der Drohne verabreicht bekommt. Keine Zwischenhändler, weder Arzt noch Krankenschwester oder Laboranten, keine Krankenversicherung oder sonstige Bürokratie mehr. Die Drohne als Spritzenbote … Wo sehen Sie Gefahren? Thurner: Im Verlust der menschlichen Komponente in der Medizin. Medizin ist mehr als biologisches Gesundmachen. Was halten Sie vom ­C omputer als Arztersatz? Thurner: Ich weiß nicht, ob „Dr. Watson“ in Österreich schon arbeitet, aber ich weiß, dass man an ihm arbeitet. Mir ist es suspekt, dass dabei eine profitmaximierende Firma mit personalisierten Gesundheitsdaten in sehr intransparenter Weise umgeht. Wenn sie öffentlich zugängliche Forschung machen würden, wäre das etwas anderes. Ich weiß von ehemaligen Kollegen, dass in anderen Ländern „Ärzte Scores“ erstellt und an Versicherungen verkauft werden. Ärzte mit geringen Scores werden nicht verlängert. Das geht in die Richtung des chinesischen „Citizen Score“. Das ist nicht Forschung, sondern Überwachung und daher absolut abzulehnen. Was versprechen Sie sich von der Datenschutzverordnung? Thurner: Ein erster ernster Versuch, unsere Privatsphäre besser zu schützen. Es macht uns zwar wahnsinnig, die Verordnung im täglichen Leben umzusetzen, aber es ist gut, dass es sie gibt. Es ist ein Versuch, die großen Datenkraken ein bisschen einzuschränken. Ob es gelingen wird, werden wir sehen. Auf alle Fälle schafft es ein Bewusstsein und eine Debatte, die längst überfällig ist. Oder wollen wir denn, dass Datenmonopolisten alles von uns wissen, und wir nicht wissen, was sie wissen? Wie sie es dann verwenden, um uns zu manipulieren, wie es etwa im Konsumverhalten geschieht? Im Fall von ELGA meinen manche, die Ärzte fürchten weniger den „gläsernen Patienten“ als den „gläsernen Arzt“ … Thurner: Wenn man gleichzeitig mit einem „gläsernen Arzt“ ein faires Entlohnungsschema schafft, sehe ich nichts Schlechtes daran. Es kann doch niemand wollen, dass man für Behandlungen bezahlt, die nie passiert sind. Oder doch?

Fotos: christine knoll, privat

N


Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  19

DATA OVERLOAD von Gašper Kunšič

instagram.com/gasperkunsic


20  FALTER 22/18   h eur eka 3/18  :   T i t elt h e m a

:  vo n A b i s Z

Im Datenschauer: Das Glossar Jochen stadler

Big-Data  Der Versuch, durch das Anhäufen riesiger Datenmengen und Analyse derselben Gesetzmäßigkeiten über Gott und die Welt zu finden. Bit  Kleinste Dateneinheit eines Computers. Wert entweder 0 oder 1. Byte  „Wort“ aus acht digitalen Buchstaben (Bits). Cambridge Analytica  New Yorker Unternehmen, das im großen Stil Daten von Wählern sammelt und analysiert, um ihr Stimmverhalten mit gezielten Botschaften zu manipulieren. Commander Data  Figur im Star Trek Universum, dessen Hirn 60 Billionen Rechenoperationen pro Sekunde durchführt und 100.000.000 Giga-Bytes an Daten speichert. Data mining  Durchwühlen von BigData-Datenmassen, um Querverbindungen und Trends zu finden. Daten  Werte, die durch Messungen oder Beobachtungen gewonnen wurden. Daten freigeben  Machen Menschen nach Lust und Laune in sozialen Netzwerken wie Facebook, selbst bei sensitiven, persönlichen Daten. Datenanalyse  Gewinnen von teils relevanten Informationen aus Daten mittels Statistik. Datenbank  Archiv für elektronische Daten. Datendiebstahl  Unbefugtes Beschaffen von geheimen und/oder personenbezogenen Daten. Eigentlich meist „nur“ unbefugtes Kopieren, weil die Originale erhalten bleiben. Datenfreigabe  Bestimmt, wer welche Daten sieht. Datenmissbrauch  Unbefugte Verwendung personenbezogener Daten. Datenmüll  Daten kann man heute so leicht speichern und vergessen, dass ein großer Teil der gespeicherten Daten wohl für niemanden nützlich ist. Datensammeln  Passion von Staaten, Wissenschaftern und Organisationen, die oft pathologische Ausmaße erreicht. Datenschutz  Hypothetisches Grundrecht, dass jeder entscheiden kann, was mit Daten über seine Person, Lebensweise, Vorlieben, Reisen usw. geschieht. Datenspeicher  Technisches Medium, auf dem Daten für einige Zeit aufbewahrt werden können. Datenverarbeitung  Managen von Daten, um daraus Informationen zu extrahieren. Digitale Daten  Informationen, die in Bits und Bytes codiert sind. Facebook  Soziales Netzwerk, das Benutzerdaten sammelt und sie an Werbe­firmen verkauft. Facebook-Skandal  Daten von bis zu 87 Millionen Nutzern des sozialen Netzwerks Facebook wurden unzulässig mit der britischen Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica geteilt und für

den Wahlkampf des aktuellen „Stupid White Man“ ausgewertet und genutzt. Gläserner Mensch  Weil das mit dem Datenschutz nicht so recht klappt, schwirren unsere Gesundheitsdaten und anderes Wissen über uns, das wir gern in guten Händen wüssten, durch das Internet und werden etwa von Politik und Konzernen missbraucht. Großrechner  Computersystem, das nicht in einem kleinen Kasterl Platz findet, sondern mindestens einen ganzen Raum für sich beansprucht. Kann unter Umständen mit Big-Data zurechtkommen. Hacker  Dringt in Computersysteme ein, auch um Daten zu stehlen. Information  Fuzerl an Wissen, das man etwa weitersagen, aufschreiben, verheimlichen oder speichern kann. Informationelle Selbstbestimmung   Das eher theoretisch als praktisch umsetzbare Recht, dass jeder bestimmen kann, was mit seinen personenbezogenen Daten geschieht. Internet  Weltweites Rechenmaschinennetzwerk, durch das permanent Daten von hier nach dort und zurück geschickt werden. Kundenkarte  Plastikplättchen, die sich zuhauf in unseren Brieftaschen sammeln und dafür sorgen, dass Unternehmen für eine kleine monetäre Vergünstigung Daten über unser Kaufverhalten erhalten. Metadaten  Strukturierte Daten mit Informationen über andere Daten. Nutzungsbedingungen  Jener Text, den jeder vorgibt gelesen zu haben, indem er ein Kasterl anhakerlt. Open Data  Daten, die von jedem anstandslos verwendet werden dürfen. Passwort  Schützt Daten. Außer man wählt „12345678“, sein Geburtsdatum, oder den Namen der/des Geliebten. Personenbezogene Daten  Daten, die eindeutig einem Menschen zuordenbar sind und etwa Informationen dazu enthalten, wo er geboren ist, welches Auto er wie schnell fährt, wann er sich wo aufhielt, welche politische Einstellung er hat und welche seine sexuellen Vorlieben sind. Sneakers Web  Weil die teils unterdimensionierten Internetleitungen von großen Datenmengen überfordert sind, kommen Daten per Fußweg (Sneakers= engl.: Sportschuhe) auf USB-Sticks und externen Festplatten teils viel schneller an als durchs Kabel. Überwachungspaket  Maßnahmen unserer Bundesregierung, um vorgeblich terroristische Handlungen zu vereiteln, aber hauptsächlich dazu dient, ihre Bürger zu beschatten und zu bespitzeln. Überwachungsstaat  Orwells Alptraum wird derzeit in China Realität, wo die Regierung bald ganz exakt feststellen kann, wer wann wo war und was er dort tat.

:  f r e i h a n d b i b l i ot h e k Buchempfehlungen zum thema von emily walton

Wie sich die Kundeninter­ aktion und ­somit die moderne Datengewinnung verändert

Welche Möglichkeiten und Kosten bringt Big Data?

Daten zu Geld machen: Russell Walker, Professor an der Kellogg School of Management, beschreibt, wie Big Data die Effektivität und das Wachstum in Unternehmen fördern kann. Ein Fokus liegt dabei auf Apps sowie auf sozialen Netzwerken: Der Autor untersucht, wie die Kundeninteraktion und somit die moderne Datengewinnung sich verändert. Walker stützt sich dabei auf die Vorreiter in der Branche: Seine Fallstudien beziehen sich auf Apple, Netflix, Google und Amazon. Das Werk ist somit eine praxisnahe Ressource für alle, die Big Data besser bestehen wollen.

Wer denkt, dass es sich bei Big Data lediglich um einen Technologie-Hype handelt, sollte rasch umdenken, warnt Tom Davenport. Der renommierte Wirtschaftsanalytiker, der selbst skeptisch war, als der Begriff Big Data erstmals auftauchte, liefert ein fundiertes Grundlagenwerk: Was bedeutet Big Data aus technischer Sicht, aus Verbrauchersicht und aus Managementsicht? Welche Möglichkeiten und Kosten bringt Big Data? Und: Welche Aspekte werden überbewertet? Auch Davenport zieht reale Beispiele heran, darunter UPS, Amazon und Citigroup.

From Big Data to Big Profits. Success with Data and Analytics, Russell Walker, Oxford University Press, 312 S.

Big Data at Work: Dispelling the Myths, Uncovering the  Opportunities, T. H. Davenport, Harvard Business Review, 240 S.

­ athematische M ­Modelle ­entscheiden, ob man ­einen ­Kredit bekommt

Wie ­Datensätze Einblicke in Krisenherde bringen können

Dank enormer Datensätze werden viele Entscheidungen schon von Algorithmen getroffen. In der Theorie soll dies zu mehr Gerechtigkeit führen. Die Datenexpertin Cathy O‘Neil warnt, dass oft das Gegenteil der Fall ist. Sie beschreibt Black-BoxModelle, die sich ausschließlich auf gesammelte Daten stützen und die Zukunft von Individuen bestimmen, ohne Hintergründe zu berücksichtigen. So entscheiden mathematische Modelle, ob man einen Kredit erhält, hohe Versicherungsprämien zahlt oder an einer Schule aufgenommen wird.

Die Art, wie Kriege geführt werden, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Längst kämpfen nicht mehr nur große Armeen. Konflikte sind gezeichnet von Rebellenaufständen, Terrorangriffen und Sprengstoffattentaten. Eli Berman (University of California), Joseph H. Felter (Stanford University) und Jacob Shapiro (Princeton University) zeigen in ihrem Buch, wie Datensätze wichtige Einblicke in diese Krisenherde bringen können. Als Beispiele ziehen sie Konflikte in Lateinamerika, im Nahen Osten und in Asien heran.

Weapons of Math Destruction: How Big Data Increases  Inequality and Threatens ­Democracy, Cathy O’Neil, ­Penguin, 272 S.

Small Wars, Big Data. The Information Revolution in Modern Conflict, E. Berman, J. H. Felter, J. N. Shapiro, Princeton University Press, 408 S.


Tit e lt h e m a   :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  21

ANOTHER BYTE ON THE SERVER von Dominik Einfalt

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Eigene Energie aus dem Mikronetz Michael Stadler, international renommierter Energieforscher, über neue Energieformen er österreichische Energieforscher ­Michael ­Stadler, mehrfach ausgezeichnet, steht geografisch auf zwei Beinen: mit einem in Wieselburg, mit dem anderen in Kalifornien. Stadler verbindet beide Standorte mit einer Vision, für die er im Jahr 2013 von Barack Obama mit der höchsten  Auszeichnung der US-Regierung für Nachwuchswissenschafter, dem Early Career Award, ausgezeichnet wurde. Ein Preis über 400.000 Euro für Forschungszwecke Mit Gedanken zum Thema „Energie, die verändert“ eröffnete Stadler am 26. April im Wiener Museumsquartier die Gala zur Verleihung des Houskapreises. Er wird von der B&C Privatstiftung seit dem Jahr 2005 jährlich verliehen. Mit einer Dotierung von 400.000 Euro ist er einer der wichtigsten privaten Forschungsförderungspreise des Landes. Ausgezeichnet werden herausragende Forschungsergebnisse und Innovationen, die das Potenzial haben, den Wirtschaftsund Industriestandort Österreich zu stärken. Stiftungszweck ist die Förderung des österreichischen Unternehmertums. Bislang wurden in Summe 3,8 Millionen Euro an Preisgeldern ausgeschüttet. Seit zwei Jahren gibt es beim Houska­preis zwei Kategorien: Universitäten (Sieger: Stefan Ameres vom Institut für Molekulare Forschung IMBA) und KMU. Der Sieger in der Kategorie der KMU-Forschung arbeitet in einem ähnlichen Bereich wie Stadler. Es ist das Start-up Swimsol GmbH aus Wien mit seinem Projekt „SolarSea“. Das Unternehmen des entwickelt schwimmende Photovoltaik-  kraftwerke, insbesondere für tropische Inseln  mit nur geringer Fläche. Die Exportquote beträgt hundert Prozent. Trotz Trump Entwicklung von erneuerbaren Energiesektoren Förderung von Wissenschaft durch private Preise ist durchaus ein Ansatz, den Stadler aus den USA kennt: „Dort gibt es zahlreiche Awards und Wettbewerbe, die von Arbeitgebern, Universitäten und eben auch vom Präsidenten verliehen werden.“ Wie aber war der Wechsel von Obama zu Trump? Glich er einem Sprung ins kalte Wasser, gerade wenn man sich mit einem Thema wie der Energiewende beschäftigt, die Trump ja für unnötig hält? Stadler sieht das weniger dramatisch. In den USA seien einige der Bundesstaaten inzwischen die wichtigsten Akteure der Energiewende, Trump hin oder her. „Es gibt langfristige Pläne zur Umsetzung der Klimaziele, zu denen sich viele Bundesstaaten bekennen. Die erneuerbaren Energieträger sind inzwischen vielfach die kostengünstigsten Möglichkeiten zur Elektrifizierung. Im traditionellen Ölland Texas beispielsweise entwickelt sich die Windenergie enorm.“ Stadlers Forschungsfeld sind Mikronetze  oder Microgrids. Darunter versteht man

Text: Johannes Schmidl

„Es gibt langfristige Pläne zur Umsetzung der Klimaziele, zu denen sich viele Bundesstaaten bekennen. Im traditionellen Ölland Texas entwickelt sich die Windenergie enorm“ Michael Stadler

kleine, regionale Energienetze für Strom, Wärme und Kälte, die Haushalte, Gewerbe und Industrie mit Energie versorgen. Sie decken den jeweiligen Bedarf im besten Fall aus lokalen Quellen (Biomasse, Solarenergie, Kleinwasserkraft, Windenergie, Biogas usw.), lassen sich individuell regeln und optimieren den regionalen Verbrauch durch ein intelligentes Lastmanagement. Warum forscht Stadler darüber ausgerechnet in Kalifornien? „Kalifornien ist eine seltsame Verbindung von Hochtechnologie und Forschungsexzellenz einerseits und andererseits einer am Boden liegenden Infrastruktur, die an ein Land der Dritten Welt erinnern könnte.“ Außerdem gibt es Risikokapital für die Technologieentwicklung, von der Grundlagenforschung bis zum vermarkteten Produkt. Das Bewusstsein von Knappheit als Innovationsmotor Vor allem aber gibt es in Kalifornien ein Bewusstsein von Knappheit. Damit steuert der Bundesstaat gegen das, was man „American Way of Life“ nennt: den Gedanken des Überflusses und der maßlosen Verschwendung von Ressourcen. „In Kalifornien ist der Pro-Kopf-Energieverbrauch seit der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren konstant geblieben“, sagt Stadler. „Ganz im Gegensatz zur Situation im Rest der USA.“ Um mit der desolaten Infrastruktur zurechtzukommen, wurde in Kalifornien auch früh ein Last­ management bei den Stromabnehmern eingeführt. Die mitunter dramatische Wasserknappheit zwingt jeden zu Einschränkungen – und zu kreativen Lösungen: „Das Bewusstsein von Knappheit setzt ein großes innovatives Potenzial frei. Die Idee der Mikronetze fügt sich in diesen Gedanken ein: regionale Autarkie, Nutzung regionaler Ressourcen, Funktionstüchtigkeit auch bei einem Ausfall der Übertragungsnetze – und damit entstehen Resilienz, Widerstandsfähigkeit und Robustheit.“ Inzwischen geht es beim Forschungsfeld  der Smart Grids um Systemintegration, nicht mehr nur um Grundlagenforschung. Die einzelnen Komponenten existieren schon, sie werden durch die rasante technologische Entwicklung im Energiebereich laufend kostengünstiger. Es entstehen Business Cases, also Antworten auf die Frage, wer wann und wo profitiert. Angesichts dieser Entwicklung drängt sich die Frage auf, ob die Zentralisierung der Energiewirtschaft ein historischer Fehler gewesen ist. Stadler sieht das nicht so drastisch: „Sicher, ursprünglich war die Struktur der Energieversorgung angebots- und nachfrageseitig regionalisiert. Die ersten Netze waren Gleichspannungsnetze, man konnte damit aber die elektrische Energie nur über eine begrenzte Strecke übertragen. Auch die Elektromobilität ist zumindest so alt wie der Verbrennungsmotor. Dann war aber in der historischen Entwicklung die

­ entralisierung schneller und billiger. Für Z Mikronetze fehlte die Technologie. Sie entstehen jetzt, werden laufend billiger und besser und machen Hybridlösungen sowie Dezentralisierung wieder möglich.“ Es gehe nicht darum, die großen Netze rückzubauen, beruhigt Stadler. Ziel sei die Netzentlastung, verbunden mit der regionalen Speicherung von Energie, um Regionallösungen möglich zu machen. Das größte Wachstumspotenzial sieht er in jenen Weltregionen, die noch kaum zentrale Strukturen aufgebaut haben. „Es ist eine ähnliche Entwicklung, wie man sie in Afrika im Bereich der Telekommunikation gesehen hat. Hier ist das Mobiltelefon inzwischen weit verbreitet, der Zwischenschritt der Verkabelung kann ausgelassen werden.“ Dementsprechend sieht er die Zukunft der Mikronetzlösungen vor allem in Asien und in Afrika, obwohl es natürlich auch in Österreich interessante Einsatzmöglichkeiten gibt, jedoch weniger für den städtischen Bereich als für die Regionen. Wie aber sieht die strategische Antwort der großen Energieversorger in Kalifornien auf diese neuen Entwicklungen aus? „Ich beobachte, dass dort die Ölkonzerne neue Geschäftsfelder suchen, indem sie bei den Kunden wie Gewerbe und Industrie, aber auch bei Privathaushalten in erneuerbare Energie investieren, also in Photovoltaik oder in Speicher. Sie bauen dafür eigene Abteilungen  auf und agieren damit gegen die traditionelle  Form der Energieversorgung.“

Foto: @ 2013 The Regents of the University of California / Lawrence Berkeley National Laboratory

D

Mikronetze sehen in Österreich anders aus als in Kalifornien In Österreich sieht ein Mikronetz naturgemäß etwas anders aus als in Kalifornien, weil man hierzulande auch Energie zum Heizen benötigt: „Ein logischer Energiespeicher für den Winter ist die Biomasse“, meint Stadler. „Die Kosten für die Speicherung von einer Kilowattstunde Energie in Form von Holz sind signifikant niedriger als von elektrischer Energie in einem modernen Akku.“ Der optimale Mix der einzelnen Technologien und ihre bestmögliche Kombination muss jeweils regionsabhängig entschieden werden. Stadler forscht auch am Bioenergy2020, einem 2003 in Graz gegründeten Unternehmen mit mehreren Standorten. Das Forschungszentrum ist international aufgestellt und flexibel, die Biomassetechnologien sind anerkannte österreichische Exzellenz. „Forschung in Österreich hat sehr hohe Qualität, aber den Forschenden fehlt häufig der Marktzugang. Die Suche nach Risikokapital ist hierzulande viel schwieriger als in den USA.“ Hierzulande fehlt es deutlich an solch einer Tradition, erst langsam entsteht eine Investorenszene. Entsprechend fehlt seitens der Wissenschaft auch ein Verständnis für die Vermarktung der Forschungsergebnisse.  Seine beiden Start-ups hat Stadler daher in Kalifornien gegründet.


Z u g u te r L e t z t  :   h eu r e ka 3/18   FALTER 22/18  23

:  g e d i c h t

zu guter letzt

Manfred Winkler Der israelische Schriftsteller Manfred Winkler wurde 1922 im rumänischen Putilla, einer Kleinstadt in der Bukowina, geboren; Schulbesuch in Czernowitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg Veröffentlichung erster Gedichtbände; 1959 Ausreise nach Israel. Später Archivar und Leiter des Theodor-Herzl-Archivs in Jerusalem, wo er 2014 stirbt. Erich klein

aus: Manfred Winkler: Haschen nach Wind. Die Gedichte Arco Verlag, Wien 2018

Mitternächtliche Begegnung im Wadi Sorek Der König der Stachelschweine stand auf der Landstraße in seinem Stachelhermelingewand Es war Mitternacht Der König der Stachelschweine blickte mich an ich bremste in meiner Sechzigkilometergeschwindigkeit und hielt Er wandte sich ab und schritt gemächlich ins Gebüsch Die Zeit war für ihn die Ewigkeit der Tod keine Gefahr er sah mich an Ich konnte ihn plattdrücken auf dem Asphalt wie ein Huhn Ich hatte die Macht über alle Stachelschweinkönige der Welt Nun hält er mich gefangen Wem werd ich es sagen – dass ich einem Stachelschweinkönig begegnet bin um Mitternacht im Halbmondschein? Wer wird es mir glauben? Er sah mich an Ich konnte ihn plattdrücken auf dem Asphalt wie ein Huhn

:  b i g p i c t u r e au s b u da p e st   László László Révész

:  i m p r e ss u m Herausgeber: Armin Thurnher; Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 0043 1 536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at; Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.; Redaktion: Christian Zillner; Fotoredaktion: Karin Wasner; Gestaltung und Produktion: Andreas Rosenthal, Reini Hackl, Raphael Moser; Korrektur: Martina Paul; Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau; DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar. HEUREKA ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Medienkooperation mit

erich klein

:  wa s a m e n d e b l e i bt

David Lear Biografien sogenannter großer Männer sind unter Historikern meist verpönt, erfreuen sich beim lesenden Publikum jedoch großer Beliebtheit. Tom Segevs achthundertseitiges, penibel recherchiertes Porträt von ­Israels Staatsgründer ­David Ben Gurion (1886–1973) ist die Ausnahme zur Bestätigung dieser Regel: eine Art „Krieg und Frieden“ des Staates Israel. Der junge, in einer polnischen Kleinstadt aufgewachsene Zionist David Grün desertiert aus der Zarenarmee und flieht 1906 nach Palästina. Rasch gelingt ihm der Aufstieg vom Landarbeiter zum Journalisten und Chef der einflussreichen Gewerkschaft Histadrut. Der leidenschaftlichen Tagebuchschreiber Ben Gurion sieht das zentrale Problem des Zionismus, das in hundert Jahren keine Lösung fand, sehr früh und sehr klar: Wem gehört das Land Israel? „Wir kommen nicht in ein menschenleeres Land, um es zu erobern, sondern wir kommen, um ein Land von dem Volk zu erobern, das es bewohnt.“ Und: „Alle sehen, dass die Judenfrage für die Araber schwierig ist, aber nicht alle sehen, dass es keine Lösung für diese Frage gibt.“ Es werde immer eine Kluft bleiben. Den Aufstieg der Nazis sah Ben Gurion als Krieg gegen die zionistische Aufbauarbeit. In schrecklicher Vorahnung notiert er: „Fünf bis sechs Millionen Juden werden niedergewalzt werden.“ Nur ein Sieg über Nazi­deutschland werde die Juden, die dann noch lebten, retten. Vom Holocaust erfährt er erstmals 1942. Als er ein Jahr später den Augenzeugenbericht einer ehemaligen KZ-Insassin hört, bricht er in Tränen aus: „Und man ist völlig hilflos; kann nicht einmal toben vor Wut, und die Sonne scheint in aller Pracht.“ Tom Segevs Buch enthält eine Reihe skandalöser neuer Archivfunde, darunter Ben Gurions Bemerkung über die Massenflucht der arabischen Bevölkerung im Vorfeld der israelischen Unabhängigkeitserklärung: „Es ist nicht unsere Aufgabe, für die Rückkehr der Araber zu sorgen.“ Nach der Ausrufung des Staates am 14. Mai 1948 notiert er: „Ich bin der Trauernde unter den Feiernden.“ Mit dem unmittelbar folgenden Unabhängigkeitskrieg beginnt eine anhaltende Serie von Kriegen. Im Juni 1963 tritt Ben Gurion endgültig von allen Staatsämtern zurück. Am Ende konstatiert Tom ­Segev: „In den zehn Jahren, die ihm danach noch zum Leben blieben, war er ein israelischer König Lear.“ Tom Segev, David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis. Siedler Verlag 2018


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