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FALTER

HEUREKA Das Wissenschaftsmagazin

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reen Economy Ein Schlagwort, hinter dem sich jede Menge Humbug und Atomstrom verstecken Kinderoperationen Warum Operationen an Kindern anders sind als solche an Erwachsenen

Zehn Jahre Bologna-Prozess Was ist daraus geworden? Hat er die Erwartungen erf端llt?

Nr. 3/12

Kinder und die

Wissenschaft!

Wissenschafter haben keine Zeit f端r Kinder, nicht einmal daf端r, welche zu zeugen. Wo also soll k端nftig der wissenschaftliche Nachwuchs herkommen?

ILLUS T R AT ION: G ER ALD HAR T W IG / W W W. ZEICHEN S T R ICH.DE

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2354/2012


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Inhalt

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Pionierarbeit am Riechkolben Leistet der Physiker Jakob Liebl Blutgierige Raubwanzen … … und ihre wissenschaftlichen Gegner Im Sarg aus dem Urlaub nach Hause Wintersport in Österreich ist gefährlich Eine digitale Bibliothek für Europa Die Europeana in Österreich

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Kinder und Wissenschaft in Zahlen Der Countdown zum Thema Schule als Erfinderstube & Kinderuni Wie Kinder an die Wissenschaft herankommen Die Wissenschaft und die Kinder Wie Nachwuchsförderung funktionieren kann Kinder sind keine Erwachsene Das gilt besonders im Operationssaal

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Kinder braucht die Forschung keine, oder? Wissenschafter zeugen kaum Nachwuchs Kinder und Wissenschaft: Das Glossar Ein Überblick über wichtige Wissenschaftsbegriffe Schockierende Erkenntnisse Zehn Jahre Bologna-Prozess – ein Resümee Gedicht, HEUREKA-Rätsel, Kommentar Vom Sauschlachten im Waldviertel

Kommentar

Editorial

Vom Gebären, Bilden und Ausbilden Verena Winiwarter

Gr afik: Tone Fink, foto: uniklu/hoi

an kommt in den Kreißsaal, Ärzte und Hebammen kümM mern sich um einen, und am Ende

kommt man mit einem Kind raus.“ So beschrieb mir eine Freundin, wie sie sich das Kinderkriegen vorstellt. Meine Hebamme erzählte mir in Vorbereitung auf eine Hausgeburt eine andere Geschichte. Das Wichtigste an der Geburt seien Mutter und Kind, die Umgebung müsse auf die Mutter abgestimmt sein, es komme auf ihre Kraft an, und die meiste Arbeit beim Gebären würden die Kinder leisten. Die Vorstellungen darüber, wie das Bildungssystem funktioniert, sind ähnlich divers. Einmal geht es um Ausbildung, um eine von vornherein geklärte und in ihrem Umfang beschreibbare Serviceleistung mit definierten Inhalten und einer Differenz zwischen Studierenden und Lehrenden, die der von Gebärenden und Ärzten im Kreißsaal ähnlich ist. Das andere Mal handelt es sich um Bildung, einen Prozess mit offenem Ausgang, in dem die Arbeit der Lehrenden der von Hebammen ähnlich ist. Es geht darum, die eigene Kraft der Lernenden zu steuern, ihnen dabei zu helfen, die Produkte ihres Geistes in die Welt zu bringen. Das Bildungssystem bewegt sich auf der Primärstufe vom Ausbildungszum Bildungspol. Der Sekundarstufe geht es um Kompetenzorientierung. So nähert sie sich dem Bildungspol an, lebt aber eine schul- und lehrerinnenabhängige Mischform. Auf der Tertiärstufe geht der Trend von der Bildung zur Ausbildung, mit Fachhochschulen, Mustercurricula und zunehmendem Druck auf das Absolvieren eines Studiums in der „Regelstudienzeit“. Soviel zum Bildungssystem. Sehen wir nun das Zielsystem an: Welche Kompetenzen brauchen Menschen, um erfolgreiche WissenschafterInnen zu sein? Sie brauchen Fachwissen, aber das allein reicht bei Weitem nicht. Sie brauchen ­Reflexionskompetenz

(sie müssen imstande sein, darüber nachzudenken, was sie warum tun), ­Sozialkompetenz und die Kompetenz zur Gestaltung von sozialen (Lern-) Prozessen (Teamfähigkeit ist zentral) und Problemlösungskompetenz (Wissenschaft ist ein Gang durch unbekanntes, unsicheres Gelände, da muss Mann/Frau basteln können, ob im Labor oder im Befragungsdesign). WissenschafterInnen brauchen Mut, Vertrauen, Neugierde und eine Prise Abenteuerlust, besonders dann, wenn sie sich außerhalb disziplinärer

C h r i s t i a n Z i ll n e r

Grenzen bewegen, an den Rändern, an denen die Innovationskraft der Wissenschaft am größten ist. Am Kindergarten liegt es nicht, wenn die AbsolventInnen tertiärer Bildungseinrichtungen sich nicht zur WissenschafterIn berufen fühlen.

Finkenschlag Handgreifliches von Tone Fink

Verena Winiwarter ist Dekanin der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung an der Uni Klagenfurt

www.tonefink.at

Er gilt als einer der ­Schutzheiligen von Lehrern (sie brauchen ­begreiflicherweise mehr als ­einen): ­Kassian, im vierten Jahrhundert als Märtyrer in Imola ­verstorben. Hingerichtet von seinen eigenen Schülern, die ihn mit ihren eisernen Griffeln zu Tode marterten – angeblich mit großem Eifer, hatten sie doch zuvor unter seinen ­Watschen gelitten. In Österreich erfreut sich Kassian besonders ­unter den Tirolern großer Verehrung – ob sich davon eine spezielle tirolerische Haltung Pädagogen gegenüber ableiten lässt, wer weiß. Zu Zeiten Kassians hatten jene, die ­als „Wissenschafter“ galten, eine klare Einstellung zu Kindern. Sie waren unvollkommene ­Dinger auf dem Weg zum Erwachsensein. Schulbildung bedeutete unter ­besser gestellten Römern, Kindern Herrschaftswissen a­ nzutrainieren und sie zu lehren, Prügel einzustecken als Vorbereitung für ein ­späteres Wirken in der res publica. Die pädagogischen Ziele unserer Zeit sind dieser Konzeption von Bildung diametral entgegengesetzt – sieht man von britischen Eliteschulen ab, die offenbar den antiken Lehrzielen verpflichtet bleiben. Wir schätzen Kinder als eigene Wesen und wollen durch Bildung ihre Persönlichkeit stärken und ihr kreatives Potenzial entwickeln. Gut wäre, wenn wir dafür die richtige Form finden würden – mein Tipp: Macht es wie die Finnen.

Impressum Falter 25a/12 Herausgeber: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at Redaktion: Christian Zillner Artdirektion: Dirk Merbach Layout: Reini Hackl, Raphael Moser Fotoredaktion: Karin Wasner Lektorat: Martina Paul Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86

heureka! erscheint mit ­Unterstützung des Bundesministeriums ­für Wissenschaft und Forschung


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heureka

Aus Wissenschaft und Forschung Kopf im Bild Pionierarbeit am Riechkolben „Es war überraschend, dass man beim Bulbus olfactoris einen Unterschied zwischen Menschen und Säugetieren gefunden hat“, sagt Jakob Liebl. Die Entdeckung, dass die Nervenzellen im menschlichen Riechkolben im Gegensatz zu jenem von Säugetieren bereits bei der Geburt vollständig vorhanden sind, geht auf das Konto des Physikers. In Kooperation mit dem schwedischen Karolinska-Institut hat er sich 2011 im Zuge seiner Dissertation an der Uni Wien auf die Zellen dieser kleinen Hirnregion konzentriert. Das Alter von Zellen lässt sich durch die C-14-Analyse von deren DNA bestimmen. „Hier ist es uns erstmals gelungen, Proben im Mikrogrammbereich zu untersuchen“, so Liebl. Bisher habe man derart geringe Mengen noch nicht bearbeiten können. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift „Neuron“ publiziert. Seine weitere Spezialisierung in Medizinphysik läuft parallel zum Aufbau des MedAustron-Zentrums für Ionentherapie und -forschung in Wiener Neustadt. Te x t: USCHI SOR Z F oto : J . J . K ucek

Jungforscherinnen

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ls Teil eines interdisziplinären DOC-team-Projekts befassen sich diese Dissertationen mit europäischen Weltuntergangsvorstellungen von der Spätantike bis zur Gegenwart. Martin Zolles, 33, Uni Weimar

Nach dem Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien arbeitet Martin Zolles nun in Weimar an seiner Dissertation „apokalypsis ex media. Horizonte einer Medialitätsgeschichte von Offenbarung und Untergang“. „Seit mehr als 2000 Jahren ist man im abendländischen Kulturraum fasziniert von der Idee des Verfalls und des Untergangs in Form einer apokalyptischen Kunde vom Ende

der Welt“, so der Medienwissenschafter. „Aber auch heute, auf dem Plateau der verwissenschaftlichen Moderne, sehen wir uns permanent in zweifelhafte apokalyptische Rhetoriken und Dramaturgien verwickelt.“ Seine Arbeit fokussiert auf die konstitutive Rolle medialer Interventionen im Prozess neuzeitlicher Weltwahrnehmung und beschreibt apokalyptisches Bewusstsein im Spannungsfeld von Medialität, Materialität und Mentalität. Veronika Wieser, 34, Uni Wien

Auf frühmittelalterliche Zeitvorstellungen, soziale Grenzphänomene sowie die Konstruktion von Feindbildern samt ihrer endzeitlichen Deutung während der Völkerwanderung

konzentriert sich die Forschung von Veronika Wieser. In ihrer Dissertation „Die Ordnung der Zeit – apokalyptische Vorstellungen und ihr Wandel im frühen Mittelalter“ untersucht die Historikerin die Wechselwirkung tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Ereignisse und Prozesse mit apokalyptischen Erwartungen. Die Zeithorizonte eines möglichen Weltuntergangs wurden im Lauf der Geschichte oft verschoben und umgedeutet. „Vor allem in Krisenzeiten wurden sie quasi aktualisiert“, erklärt Wieser. Neben den historischen Zusammenhängen interessiert sie, „wie man endzeitliche Vorstellungen auch als Strategien der Gegenwartsbewältigung verstehen kann“.

Christian Zolles, 31, Uni Wien

Den Literatur- und Kulturwissenschafter Christian Zolles beschäftigt das Verhältnis von Wissenschaft zu Dichtung und gesellschaftlichen Dynamiken. „Dabei interessiert mich, wie Fachwissen in die Literatur kommt und wie neue Erkenntnisse in alltägliche Praktiken übergehen“, so der Projektmitarbeiter am Institut für Germanistik. In seiner Dissertation „Astrologie und Apokalypse. Die Moderne im Zeichen symbolischer Offenbarungen“ vertieft er das Thema. „Warum ist Astrologie, die nach dem Siegeszug der Naturwissenschaften längst überholt zu sein schien, wieder populär? Steckt hier nur Spielerei mit medialen Endzeitszenarien oder eine tiefergehende Lust am Untergang dahinter?“

Fotos: Privat

U schi S orz


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Aus Wissenschaft und Forschung Ökologie

Mathematik

Neurobiologie

So, wie der Klimaschutz betrieben wird, zerstört er mehr Natur

Mit Gleichungen versteckte Sachverhalte in der Geometrie rekonstruieren

Wie findet die blutsaugende Raubwanze ihren Wirt?

Werner Sturmberger

Us c h i S o r z

Us c h i S o r z

Fotos: Har ald T ich y, pr ivat

berlegungen zur „green economy“ m Gymnasium hat mich MatheÜ oder zum „green new deal“ er- I matik zuerst überhaupt nicht infahren vermehrt Aufmerksamkeit. Der teressiert“, lacht Eleonore Faber. Andamit angestrebte ökologische Umbau der Wirtschaft wird dabei nicht nur von Befürwortern erneuerbarer Energien vorangetrieben. Auch bereits etablierte Energieversorger und Technologieentwickler wollen bei diesem Umbau dabei sein. „Green energy“ meint dabei oft nicht mehr als nicht fossile Energieträger. In Broschüren der Europäischen Kommission wird so auch Atomenergie als nachhaltig gehandelt. Es ist also noch keineswegs sicher, welche Akteure als „green“ anerkannt sind und Teil dieser Bestrebungen werden können bzw. wie sehr diese die globale Wirtschaft tatsächlich verändern können. Weniger vage sind dagegen die ersten erkennbaren Auswirkungen dieses Wandels. Ulrich Eichelmann von der NGO Riverwatch hält dazu fest: „So wie der Klimaschutz betrieben wird, zerstört er mehr Natur und vernichtet mehr Arten als der Klimawandel.“ Der Bau riesiger Staudämme vernichtet Lebensräume, und die Biospritproduktion führt zur Rodung der Regenwälder. Beide tragen genau wie der Emissionshandel dazu bei, dass vorherrschende Konsummodelle beibehalten und sogar ausgebaut werden können. Weder Umwelt noch Klima werden so geschützt. Ein grundlegender Wandel im wirtschaftlichen Handeln und damit im Umgang mit der Natur bleibt aus, auch wenn neue Technologien und Absatzmärkte entstehen. „Man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass es sich um eine kapitalistische Restrukturierung handelt. Es ist ein Neoliberalismus mit grünem Anstrich. Besonders problematisch ist, dass dieses Label „green“ auch die eigentlich Wohlmeinenden mitnimmt“, erklärt Ulrich Brand, Politikwissenschafter an der Universität Wien. Was es wirklich brauchen würde, so Brand weiter, wäre eine demokratische Gestaltung des Umgangs mit Natur. Der Einsatz von Ressourcen solle durch gleichberechtigte Entscheidungen bestimmt und nicht durch die Märkte oder Bürokratien diktiert werden.

gesichts der Promotion sub auspiciis und diverser Förderungen mag das leicht kokett klingen. Aber glücklicherweise kam die 27-jährige Tirolerin ja schon in der Oberstufe durch die schulischen Mathematik-Olympiaden auf den Geschmack. Beruflich widmet sich Faber – nach Stipendien von L’Oreál und der Akademie der Wissenschaften – nun mit einem FWF-Stipendium an der Uni Wien vorwiegend der Theorie, und zwar auf dem Gebiet der Singularitäten und algebraischen Geometrie. Weltweit setzen sich damit nur wenige Gruppen auseinander. „Mir gefällt es, Geometrie in Algebra zu übersetzen“, sagt Faber. „Über die Gleichungen kann man sonst versteckte geometrische Sachverhalte erkennen.“

„Mir gefällt es, Geometrie in Algebra zu übersetzen.“ Eleonore Faber

Die Mathematikerin untersucht Singularitäten freier Divisoren. Letztere sind Hyperflächen, deren Singularitäten zwar eine hohe Dimension haben, aber eine einfache Struktur besitzen. „Im Dreidimensionalen wären das Flächen, die ganze Kurven als Singularitäten aufweisen, und diese wiederum besitzen eine simple algebraische Struktur“, erklärt Faber. Anhand der Singularitäten kann man die speziellen Eigenschaften der Divisoren feststellen. Darüber hinaus richtet sich ihr Forschungsinteresse auch auf sogenannte Normalisierungen. „Leider weiß man bisher wenig über die Zusammenhänge zwischen algebraischen Varietäten und ihren Normalisierungen. Ergebnisse auf diesem Gebiet könnten nicht nur theoretisch, sondern auch für Anwendungen interessant sein.“ Ab Herbst wird Eleonore Faber zwei Jahre lang in Toronto mit einem Erwin-Schrödinger-Stipendium weiter an diesen noch ungeklärten Fragestellungen arbeiten.

In einem dreijährigen FWF-Projekt wird die Infrarot- und Temperaturwahrnehmung der Raubwanzen erforscht

A

n der in Lateinamerika weit verbreiteten Chagas-Krankheit leiden weltweit über 18 Millionen Menschen, rund 15.000 sterben jährlich daran. Übertragen wird sie von Raubwanzen der Gattung „Rhodnius“. Rund 20 – allerdings erregerfreie – Exemplare davon befinden sich am Wiener Department für Neurobiologie, wo das Team um Harald Tichy ermittelt, aufgrund welcher Sinnesreize sie ihren Wirt finden. Getestet wird sowohl die Reaktion auf Infrarotstrahlung als auch auf Temperaturreize. „Mit dem Rasterelektronenmikroskop untersuchen wir zuerst die Lage und Verteilung der Sinnesorgane auf den Fühlern, die als Rezeptoren für Infrarot- oder Temperaturreize infrage kommen“, erklärt Tichy, stellvertretender Leiter des Departments. „Danach erkunden wir in elektrophysiologischen Experimenten den adä­quaten Reiz dieser Sinnesorgane.“ Noch weiß man nicht, ob Wanzen Infrarotrezeptoren besitzen, während

Thermorezeptoren bei anderen Insekten bereits bekannt sind. Die beiden Rezeptortypen ermöglichen unterschiedliche Strategien: Infrarotsensoren können die entsprechende Quelle über große Entfernungen wahrnehmen, Thermorezeptoren nicht. Ob sich auf den Antennen der Wanzen Infrarot- oder Thermorezeptoren befinden, ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant. „Neue Ergebnisse tragen dazu bei, geeignete Fallen zu entwickeln und somit die Wanzenpopulation bzw. die Infektionsrate zu verringern“, so Tichy.

Da sind sie schon, blutgierig und gefährlich, die Raubwanzen: Sie verbreiten eine Krankheit, an der jährlich 15.000 Menschen sterben


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Aus Wissenschaft und Forschung Didaktik

Tourismus

Akustik

Ja, das ist Flippen, der Spaß aller Kinder Lehrende auf der ganzen Welt wollen mit „Flipped Teaching“ das Schulsystem auf den Kopf stellen

Im Sarg nach Hause: Wintersport in Österreich ist weltweit der lebensgefährlichste

Ein Tunnel mit Geräuscherkennung aus Österreich kann Leben in der Fremde retten

Patricia Ziegler

Anja Stegmaier

Ma r t i n a W e i n b a c h e r

Christian Swertz: „Unterricht, in dem Schüler sich selbstständig Gegenstände erarbeiten, ist keine neue Idee.“

Mit selbsterklärendem Lernmaterial wie Tutorial-Videos oder Onlinekursen möchte man die Digital-Natives und Smartphonekids dort abholen, wo sie ohnehin 31 Stunden in der Woche verbringen: am Computer. Statt Berieselung durch die Lehrer wünscht

man sich den Schüler als integrativen Bestandteil des Unterrichts. „Unterrichtsmethoden, mit denen die Schüler sich selbstständig Gegenstände erarbeiten, sind keine neue Idee“, sagt Christian Swertz, Leiter der Medienpädagogik an der Univer-

„Flippen“ bedeutet Lernen zu Hause und die Hausaufgaben in der Schule ­gemeinsam zu machen sität Wien. Selbstständiges Erarbeiten ist an Schulen schon in Form von Referaten oder Gruppenarbeiten in Anwendung, jedoch eher seltener als Unterrichtsbasis im Einsatz. Eine große Herausforderung sieht Swertz darin, „mit Schülerinnen und Schülern, die selbstständiges Arbeiten nicht gewohnt sind, eine entsprechende Unterrichtskultur zu entwickeln und für Lehrer Vertrauen in das Interesse der Belehrten an den Gegenständen zu erarbeiten“. Dass die modernen Methoden dem klassischen Unterricht voraus sind, kann der Medienpädagoge nicht bestätigen. Frontalunterricht findet er bei richtiger Anwendung auf jeden Fall als „verblüffend zielführend“. www.flipteaching.com

Damit ist der künftige „Flipper“ im Unterricht zu Hause unterwegs

ourismus spielt in der österreichieder zweite Tunnel, der weltweit T schen Volkswirtschaft eine bedeu- J gebaut wird, birgt österreichische tende Rolle. Die Alpenrepublik steht Technologie in sich. Ein internatioan der Spitze touristischer Auslandseinnahmen pro Kopf – und das sogar weltweit. Aber ist Österreich auch ein sicheres Urlaubsland? Laut der Österreichischen Wirtschaftkammer nennen Touristen, die nach Österreich kommen „Spaß und Vergnügen“ als Hauptmotiv für ihre Reise. An zweiter Stelle folgt „in der Natur sein“ gleichauf mit „aktiv/sportlich sein“. Allerdings ist es für die Gäste längst nicht mehr Action genug, im Urlaub traditionell auf der Piste Ski zu fahren. Viele Bergbegeisterte suchen aufregendere Abenteuer: HelikopterSkiing, Freeriden und Ski-Touren bieten den Extra-Kick in der Natur. Sie alle haben jedoch gemein, dass sich die Urlauber jenseits von Pisten in unberührtem Schnee bewegen. Das ist sehr gefährlich. Durchschnittlich gibt es in Österreich rund hundert Lawinenunfälle jährlich, bei denen um die dreißig Personen ums Leben kommen. Die meisten sind ausländische Touristen. Neben dem Ersticken durch die Verschüttung bei Lawinenabgang sind es beim Freeride auch häufig tödliche Unfälle infolge immer schnelleren Fahrens durch Wälder und steile, felsdurchsetzte Hänge. Jedes Jahr gibt es bis zu 60.000 Hospitalisierungen. Trotz dieser erschreckenden Zahlen werden weiter Pauschalurlaube angeboten, die eine Skitour im Tiefschnee fix im Programm haben. Ob die Beteiligten jedoch vorher in Lawinenkunde sattelfest sind, ist unklar. Allein der effektive Einsatz der Lawinenschaufel verlangt einiges an Übung. Werbung suggeriert Sicherheit und Hochgefühl im Pulverschnee. Fakt ist jedoch, dass selbst bei günstigen Verhältnissen die Lawinengefahr immer mitfährt. Event-Veranstalter kombinieren Sport mit Party und Alkohol und tragen so zum Risikoverhalten bei. In Kombination mit verbesserter Ausrüstung wird vielen die Selbstüberschätzung zum Verhängnis. Am Ende der Saison muss bilanziert werden, dass es weltweit kein Urlaubsziel gibt, das so viele Touristen im Sarg nach Hause schickt wie Österreich.

nal einzigartiges System zur Audioüberwachung von Tunneln namens AKUT richtet die Aufmerksamkeit der großen Tunnelländer erneut auf die Alpenrepublik. „Der Vorteil besteht darin, dass das AKUT-System unübliche Tunnelgeräusche schon nach ca. 0,7 Sekunden erkennt und meldet. Der Tunnelwart kann den Tunnel bei Bedarf sofort sperren. Die Anzahl der nachfolgenden Fahrzeuge und Personen wird minimiert“, erklärt der Erfinder Franz Graf von der Forschungsgesellschaft Joanneum Research in Graz. Die Erfahrungen des bisherigen Einsatzes im Tunnel Kirchdorf in der Steiermark haben gezeigt, dass AKUT Zwischenfälle bis zu zwei Minuten früher als andere Überwachungssysteme, etwa Kameras, erkennt. „Im Ernstfall ist das eine Zeitspanne, die lebensrettend sein kann“, sagt Alois Schedl, Vorstand der ASFINAG, die das Projekt gemeinsam mit der Forschungsgesellschaft Joanneum Research umsetzt. Franz Graf: „Das AKUT-System erkennt unübliche Tunnelgeräusche schon nach 0,7 Sekunden.“

Die Besonderheit des mittlerweile technisch ausgereiften Audiosystems liegt in der Wiedererkennung zahlreicher Geräusche aus dem Verkehr. Seit 2003 sammelte das Team um Graf mit speziell dafür entwickelten Mikrofonen Geräusche in einer Datenbank. Eine lernende Analyse-Software erkennt die Geräusche und reagiert mit Alarm, sobald etwa eine Vollbremsung oder ein Reifenplatzer zu hören ist. AKUT soll hierzulande bei allen neuen und zu renovierenden Tunnel zum Einsatz kommen. Auch an einer Ausdehnung des Einsatzbereichs arbeitet man. So soll akustisches Monitoring etwa beim Ambient Assisted Living (Altern in gewohnter Umgebung) und in Anwendungen bei Smart-Cities zum Einsatz kommen.

Fotos: Patricia ziegler, univer sität wien, foto fischer

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pielerische, kreative, aber hauptsächlich experimentelle Lehrmethoden sollen den Schülerköpfen schwierige Themen leichter begreiflich machen. Wer jetzt an getanzte Worte in Waldorf-Schulen denkt, hat die neueste Entwicklung der Didaktik nicht mitverfolgt: das E-Learning. An Universitäten schon im Einsatz, versucht man auch an Schulen, vor allem in Oberstufen, Jugendliche mit Computer und Internet zum Lernen zu verführen. „Flip-Teaching“ oder auch „Flipped Classroom“ heißt ein aktuell viel diskutierter neuer Lehransatz. Die Klasse zu „flippen“, also umzudrehen, bedeutet hier, kurz gesagt, das Lernen nach Hause zu verlagern und die Hausaufgaben in der Schule gemeinsam zu machen.


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Aus Wissenschaft und Forschung Bibliothekswissenschaft

Klimawandel

Eine digitale Bibliothek für Europa Schon 23 Millionen kulturelle europäische Objekte sind auf der Plattform Europeana digital zugänglich

Geht bei uns das Very bad English Licht aus, wenn das künstliche Spielplatz: Auf der RutBeschneien von Pisten S chauplatz sche in Wien wie auch in einem Brüsseler Sandkasten können Errichtig teuer wird?

Sabine Edith Braun

Sonja Burger

E

nde Mai fand im Don-Juan-Archiv Wien, einem privaten theater- und kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum mit Archiv und Digitalisierungsabteilung, die Tagung „Von der Digitalisierungsidee zur digitalen Bibliothek – Wege für Museen, Bibliotheken und Archive in die Europeana“ statt. Die Europeana ist die digitale Bibliothek Europas. Seit 2006 mit Unterstützung der EU-Kommission in Planung, ging das Portal im Jahr 2008 online. „In den letzten Jahren wurden in zahlreichen großen Institutionen Digitalisierungsprojekte durchgeführt. Die Idee der Tagung war, interessierte Personen bzw. Institutionen von den gewonnenen Erfahrungen profitieren zu lassen“, erklärt Matthias J. Pernerstorfer, Direktor des Don-JuanArchivs. „Die Tagung wurde in Kooperation mit den Unibibliotheken Wien und Tirol sowie der EuropeanaLocal veranstaltet. Dabei spannten wir einen weiten Bogen: von der Konzeption über die Möglichkeiten der Digitalisierung in den Bereichen Hard- und Software bis hin zu Fragen der Langzeitarchivierung und der Vernetzung

in internationalen Portalen.“ Mehrere Herstellerfirmen präsentierten auch ihre Geräte, wobei die Produktpalette von mobilen Digitalisierungsgeräten bis zu Scanrobotern reichte. Das Don-Juan-Archiv selbst wird in Kürze in Europeana mit einer Sammlung von Theaterdrucken in knapp 3000 Bänden aus der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vertreten sein. „Für uns als kleines ForMatthias J. Pernerstorfer: „Die Auffindbarkeit unserer Sammlung via Google erhöht sich durch die Europeana.“

schungsinstitut ist die Europeana ein passender Weg, den eigenen Bestand international sichtbar zu machen“, sagt Pernerstorfer. „Denn die Auffindbarkeit unserer Sammlung via Google erhöht sich dadurch entscheidend.“ Gleichzeitig wird an einer digitalen Forschungsbibliothek für den Bestand gearbeitet, die deutlich mehr sein soll als ein Rechercheinstrument.

Europeana: digitale Bibliothek Europas

Fotos: sabine edith braun

Die Bandbreite der in der Europeana auffindbaren Kulturgüter reicht von digitalisierten Sammlungen von Fotos und Briefen aus dem Ersten Weltkrieg über Theaterzettel bis hin zu den von der Universität Wien eingebrachten Exponaten ihres Herbariums: Auf Berberis leptoclada Diels, Asperula wettsteinii Adamović und weitere knapp 8.000 Pflanzen kann nun weltweit und sekundenschnell zugegriffen werden, unabhängig von Öffnungs- oder Uhrzeiten. Um in die Europeana Eingang zu finden, müssen die Objekte digitalisiert und 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche online verfügbar sein. In die Europeana werden nur gemeinfreie Metadaten übernommen; d.h. solche Daten, deren Verwalter das Data Exchange Agreement (DEA) unterzeichnet haben. 153 solche Datenverwalter und Provider von Metadaten ha-

ben das DEA unterschrieben, davon sechs aus Österreich. In die Europeana können Länder, Regionen, Projekte oder internationale Organisationen ihre Objekte einbringen. Alle Objekte müssen über persistente URLs verfügen, sonst ist die Rückvermittlung zur Website der Quelle nicht möglich. 30 Europeana-Projekte laufen derzeit, davon 14 mit österreichischen Partnern. Mit Stand Mai 2012 sind 23 Millionen Objekte von mehr als 2200 Institutionen digital zugänglich. Bis Ende 2012 soll der erste langfristige Europeana-Finanzierungsplan aufgestellt werden. Linktipps: http://schnittstelle.tagung-2012.donjuanarchiv.at (Tagungshomepage) www.donjuanarchiv.at www.europeana.eu/portal www.europeana-local.at (EuropeanaLocal Österreich)

Brief aus Brüssel

Emily Walton

ndert sich das Klima, spürt dies Ä auch der heimische Tourismus. Beim Wintertourismus kommen die

extrem teure Infrastruktur und die steigenden Ansprüche der Touristen erschwerend hinzu. Damit stellt sich die Frage: Wird man in 20 Jahren in Österreich noch „Schi foan“ können? „Ja“, lautet die Antwort des Meteorologen Herbert Formayer vom Ins­titut für Meteorologie der BOKU, Mitherausgeber der Studie „Tourismus im Klimawandel“. Darin befassen sich Klimaforscher und Ökonomen aus Graz und Wien erstmals mit der Situation von Tourismusgemeinden im Klimawandel. Die Studie kommt zum Schluss, „dass man auch in zwanzig Jahren durch die Beschneiung noch gut Ski fahren kann“. In den Berechnungen wurde das künstliche Beschneien berücksichtigt, „denn die Naturschnee-Sicherheit allein entspricht längst nicht mehr der Realität“, sagt Formayer. Rein technisch gesehen ist es also möglich, in der nahen Zukunft für gute Pistenverhältnisse zu sorgen. Der Haken daran: Mehr Ressourcen wie Wasser und Energie werden notwendig sein. Die Experten schätzen, dass die ohnehin schon sehr kostenintensive Infrastruktur zur Schneeerzeugung dadurch noch teurer wird. Ob es sich für eine Region dann rechnet, in den weiteren Ausbau der Infrastruktur zu investieren, oder ob andere Strategien besser sind, ist die Frage. Der Umweltökonom Franz Prettenthaler der Forschungsgruppe Regionalpolitik, Risiko- und ­Ressourcenökonomik am Joanneum Research leitete die Studie. Ihn habe fasziniert, dass sich „im Fall eines starken Nachfragerückgangs in den Wintersportgemeinden der Schock auch auf die Regionalwirtschaft eher tourismusschwacher Bundesländer wie Nieder- oder Oberösterreich überträgt“. Diese komplexen Zusammenhänge wurden durch verschiedene Analysemethoden und modellgestützt verdeutlicht. Im Endeffekt stellt sich heraus, dass Gemeinden wie Regionen gut daran tun, vor dem Klimawandel nicht die Augen zu verschließen. „Und für sich zu klären, wo zukünftige Investitionen tatsächlich Sinn machen“, ergänzt Formayer.

wachsene beobachten, wie interkulturelle Kommunikation funktioniert: Treffen Kinder unterschiedlicher Länder aufeinander, verständigen sie sich – irgendwie. Perfektionsansprüche gibt es nicht, allein das Gelingen ist wichtig: Mit Händen und Füßen tauschen sich die Kleinen aus. Sie plappern drauf los, in der eigenen Sprache; schaffen vielleicht auch eine neue Sprache, die aus gemeinsamen Lauten wie „da“, „ui“ und „bru“ besteht. Übersetzer brauchen sie nicht. In der Erwachsenenwelt ist es nicht mehr so einfach, zumal es ja um viel mehr geht. Qualifizierte Dolmetscher sitzen in den EU-Institutionen. Sie blicken von ihren Kämmerchen aus auf die Plenarsäle und übersetzen simultan. Damit auch jeder alles versteht. Damit die Sprache perfekt ist. 23 Amtssprachen gibt es in der EU. Außerhalb der Plenarsäle aber ist in Brüssel ein jeder – ob Politiker, Journalist oder Tourist – selbst für die Verständigung zuständig. Englisch wird dann zur Sprache auf dem großen europäischen Spielplatz. Dass nicht jeder die Sprache perfekt beherrscht, wissen wir. Mit ihrem mäßigen Englisch sorgt etwa die Finanzministerin immer wieder für Aufsehen. (Zitat: „Shortly, without von delay.“) In Wien stellt es Englischkundigen die Haare auf. In Brüssel hingegen zucken die Wenigsten mit der Wimper, wenn das englische „th“ als „s“ ausgesprochen wird; wenn der Satzbau holprig ist, falsche Zeiten verwendet und Wörter ganz neu erfunden werden. „Bad English“ (manche sagen auch „Pigeon-English“) erscheint als die inoffizielle Amtssprache rund um den Place Schuman, Sitz der Europäischen Kommission und des Rats. Wenn Eurokraten zum Essen ins nahe gelegene Restaurant „Atelier Européen“ gehen, wird gar nicht erst versucht, auf Französisch – die belgische Amtssprache neben Niederländisch – zu bestellen. Und wer es doch mit Schulfranzösisch probiert, bekommt meist eine ungeduldige Antwort – auf Englisch. So etwa ist es in einer Bar nahe dem Europäischen Parlament passiert. Ich: „Est-ce que vous avez un menu?“ Der Kellner antwortet: „Two big beer?“ Was bleibt einem da anderes übrig, als es wie die Kinder auf dem Spielplatz zu machen? Perfektion ablegen. Lieber nicken, das Bier annehmen und „Bad English“ lernen.


Titel 8

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heureka

die Wissenschaft und die kinder

Der Countdown zum Thema sonja burger

22.03.2012

1.500

hat Österreich erstmals den „Tag der ­ alente“ (TALENT DAY) ­gefeiert. T Seit dem Vorjahr gibt es den Europäischen Tag der Talente. Dabei ­reichen ­Schülerteams Projektideen zum Thema „Clever Together – Dialog der ­Generationen“ ein. Das BMUKK und das Österreichische Zentrum für ­Begabtenförderung und Begabtenforschung initiierten den Tag und wollen das Potenzial der Jugend sichtbar machen.

junge Finalisten aus 65 Ländern kämpften mit ­ihren ­Forschungsideen bei der Intel ISEF (Intel ­International Science and Engineering Fair) um den Sieg. An der weltweit größten ­Wissenschaftsmesse für Schüler nahmen auch zwei HTL-Absolventen aus Oberösterreich teil. Sie entwickelten eine Drohne, die Rettungskräften beim ­Auffinden von Lawinenopfern hilft und gewannen den dritten Platz in der Kategorie ­Computerwissenschaften (mehr dazu auf Seite 16).

Kinder und Jugendliche haben laut BMWF seit 2008 im Rahmen der Kinderunis einen Teil ­ihrer Sommerferien in den Hörsälen und Labors heimischer Hochschulen ­verbracht. Das Ministerium investierte bisher 3,5 Millionen Euro. Heuer werden zwölf Kinderuni-Projekte mit einer halben Million Euro unterstützt.

Kinder, so schätzt man an der Medizinischen Universität ­Innsbruck, kamen heuer in die Kinderklinik zum jährlichen „Teddybärkrankenhaus“. Die Kinder sind zwischen drei und sieben Jahre alt. Ihnen will man auf diesem Weg die Angst vor dem Krankenhaus nehmen. Die AMSA (Austrian Medical Students’ Association) führt diese Aktion an den Medizinunis in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck jedes Jahr   ehrenamtlich durch.

78.000  23.475

Menschen ab fünf Jahren besuchten in den ­letzten sechs Jahren das „Vienna Open Lab“. Dort lernt man in praxisbezogenen Laborkursen die Welt der Mikrobiologie ­kennen. Es ist eine gemeinsame Initiative des wissenschaftlichen Vereins „dialog<>gentechnik“ und des IMBA-Instituts für Molekulare ­Biotechnologie der ÖAW. Der Verein ist auch Projektpartner des „Offenen Labors Graz“ an der Karl-Franzens-Universität Graz.

10.000

Schülerinnen lernten durch „Ludwig“, einem ­Physikspiel zum Thema erneuerbare Energien, ­einen ­spielerischen Zugang zur Physik kennen. In bislang drei Themen­ welten ­werden Lehrinhalte der Physik für die 5. bis 8. Schulstufe vermittelt. Ovos hat bei der Entwicklung u.a. mit der Donau-Universität Krems und dem Fachdidaktikzentrum für Physik (Karl-Franzens-Universität Graz) ­zusammengearbeitet.

4.000

Kinder zwischen zwei und drei Jahren wurden in einem fünfjährigen Forschungsprojekt (SPES – Sprach- und ­Entwicklungsscreening) hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung untersucht. Das Institut für Sinnes- und Sprachneurologie am Krankenhaus der   Barmherzigen Brüder in Linz verfolgte mit dem Projekt das Ziel, ein   Sprachscreening zur Früherkennung von Sprachstörungen zu entwickeln.

3.100

Geburten pro Jahr. Damit ist die Landes-Frauen- und ­ inderklinik Linz nach eigenen Angaben die größte K ­Geburtsklinik Österreichs.   Studierende der FH Gesundheitsberufe Oberösterreich, die vor zwei Jahren gegründet wurde, profitieren von der Expertise am Campus Gesundheit an der ­Landes-Frauen- und Kinderklinik.

1972

werden die „Lach- und Sachgeschichten für Fernseh-­ anfänger“ in die „Sendung mit der Maus“ umbenannt und erstmals in der ARD ausgestrahlt. Armin Maiwald ist einer der ­geistigen ­Väter. In den rund acht Minuten langen Sachgeschichten ­werden ­Themen von A wie Astronautentraining bis Z wie Zeppelin verständlich und ­informativ vermittelt. Die „Sendung mit der Maus“ ist kindgerechte ­Wissenschaftsvermittlung der ersten Stunde.

800  60

Minuten dauert eine „Wiener Kindervorlesung“ und richtet sich an Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Das ZOOM ­K indermuseum bietet dieses Format seit dem Jahr 2003 in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen an. Die erste Wiener Kindervorlesung hielt übrigens der renommierte Physiker Anton Zeilinger zum Thema „Beamen – Traum und Wirklichkeit“.

37

Jahre liegt die Gründung des Research Committee on ­Sociology of Youth (RC 34) zurück. Die Jugendforschung gewann in den 1970ern zunehmend an Bedeutung. Das RC 34 ist das globale Jugendforschungsnetzwerk.

21

Tage dauern die „wissenschaftlich begleiteten Abnehmferien“, die  es heuer zum ersten Mal gibt. Für die 35 übergewichtigen oder   adipösen Kinder zwischen neun und 16 Jahren stehen die dauerhafte   Gewichtsreduktion und eine Ernährungsumstellung auf dem Speiseplan. Das wissenschaftliche Konzept stammt im Wesentlichen vom ­Sportwissenschaftlichen Labor der Fachhochschule Joanneum und wird  gemeinsam mit dem Wohnheim der Österreichischen Jungarbeiterbewegung durchgeführt.

8

bis zehn von 1000 Kindern kommen mit einem Herzfehler zur Welt. Im Kinderherzkatheterlabor an der Medizinischen ­Universität Wien ­können die Herzen der kleinen Patienten seit dem Vorjahr ­besonders ­schonend untersucht werden. Die Card-Angiographie-Anlage ist ­strahlungsarm und liefert eine hohe Bildqualität.

5

Wiener Universitäten beteiligen sich dieses Jahr an der Kinderuni Wien. Jedes Jahr im Sommer öffnen die Universität Wien, die TU Wien, die Medizinische Universität Wien und die Universität für Bodenkultur ihre Pforten für Tausende von Kindern zwischen sieben und zwölf Jahren. Die ­Veterinärmedizinische Universität nimmt heuer zum ersten Mal teil. Rund 500 engagierte Wissenschafter wollen die Teilnehmenden an den fünf Standorten für die Wissenschaft begeistern. Die Idee stammt vom Kinderbüro der Universität Wien (mehr dazu auf Seite 10).


HEUREKA

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DIE WISSENSCHAFT UND DIE KINDER

Zu den Illustrationen Gerald Hartwig ist freischaffender Künstler und Zeichner. Er lebt und arbeitet in Berlin. Ende des Jahres erscheint im Wiener Luft schacht Verlag seine erste Graphic Novel „Chamäleon“. Hartwig ist erst kürzlich mit dem Preis Outstanding Artist Award 2012 für Karikatur und Comics des BMUKK ausgezeichnet geworden. Weitere Informationen und einen Einblick in sein Werk auf www.zeichenstrich.de

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die wissenschaft und die kinder

Schule als Beihilfe zum Erfinden Statt Kindern beizubringen, Standardtests auszufüllen, sollte man sie fürs Erfinden begeistern Gunnar Heinsohn

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eben als wissenschaftliches Ergreifen der Welt bedeutet, dass Phänomene erklärt werden. Oder als noch nicht gut oder gar nicht erklärte Probleme vermittelt werden. Diese Haltung zerstört keineswegs den Zauber spontaner Begegnungen in Bewunderung, Staunen und Erschrecken. Sie besteht aber darauf, dass nirgendwo Zauberei oder Übernatürliches den Lauf der Dinge bestimmt. Magie bleibt als Unterhaltung und eigenes Experimentier- oder Forschungsobjekt willkommen, wird aber nie als Ersatz für Erklärungen akzeptiert. Zu den Einsichten einer forschenden Haltung gehört, dass man sie nicht ungebrochen durchhalten kann. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene fallen immer wieder auf wissenschaftsfremde Betrachtungen zurück, fliehen in Rätsel, Wunder, Komplexitäten und Gefühle. Solange aber der wissenschaftliche Zugang dominant bleibt, wird zu einer entzaubernden und entgöttlichenden Sicht zurückgefunden. Das erfolgt oft als Freude bringender und Zorn reduzierender Prozess. Denn einem Ideologen oder Frömmler und mehr noch einem Verbohrten oder Frommen wird man mit Interesse, gewiss auch mit Sorge, nicht aber mit Feindschaft begegnen. Was treibt

Gunnar Heinsohn ist Soziologe und Ökonom

„Ausprobieren und Experimentieren bilden bis zum zwölften Lebensjahr den Königsweg des Begreifens.“ Gunnar Heinsohn

so einen um und wie leicht könnte man selbst in seine Richtung treiben, bestimmt dann die Begegnung – nicht jedoch Absonderung und Frontstellung. Was hat so einer an Tröstungen zur Verfügung, auf die niemand leicht verzichtet? Und wo wirkt im aufgeklärten Gestus doch wieder nur ein kaschierter Wunderglaube oder eine hochmögende Sinngebung des Sinnlosen? Was halten Rituale und abergläubische Formeln an Erinnerung fest, deren ursprünglicher Erregungshintergrund nur noch über die Dechiffrierung dieser „unseriösen“ Stoffe, durch Geisteswissenschaft wiederzugewinnen ist? Was geschah einst so verstörend von den Sternen bzw. vom Himmel her, dass es bis heute astrologisch faszinieren kann? Ausprobieren und Experimentieren bilden bis zum zwölften Lebensjahr den Königsweg des Begreifens. Erst dann kann das Gedankenexperiment die Oberhand gewinnen. Mit der „sensomotorischen Intelligenz“ der ersten zwei Jahre lassen sich äußere Objekte handhaben und wiedererkennen. Sie kann aber noch keinen ­inneren Begriff von ihnen bilden. Die „präoperationale Intelligenz“ (zwei bis sieben Jahre) erweitert über Spracherwerb und das Bilden von Vorstellungen das Verstehen explosiv, will die

­Umgebung aber immer noch egozentrisch vereinnahmen. Die „­konkret-operationale Intelligenz“ (sieben bis zwölf Jahre) erkennt Umkehrbarkeit und Unveränderlichkeit. Sie findet auch zur Ordnung in Gruppen und Ausschlüssen. Erst die „formal-operationale ­Intelligenz“ (ab zwölf Jahren) jedoch umfasst logisches Denken, Umkehrschlüsse und das Untersuchen des Denkens selbst. Nicht jedes Kind erreicht die letzte Stufe. Doch auch jene, die sie meistern, finden nur schwer Schulen, die das begriffslose Experimentieren der Kleinen durch das Arbeiten an Problemen ersetzen, bei deren Lösung die Jugendlichen das Hantieren mit dem Theoretisieren verbinden müssen. Stattdessen besteht das gewöhnliche Erfolgserlebnis darin, aus mehreren Antwortmöglichkeiten auf eine Standardfrage die richtige angekreuzt und dafür eine gute Zensur erhalten zu haben. Schulen, die ihren Bildungsauftrag als Beihilfe zum Erfinden begreifen, wären das Gebot der Stunde. Sie könnten dem demografisch unvermeidlichen Rückgang an ingenieur- und naturwissenschaftlich Interessierten dadurch begegnen, dass wenigstens der schrumpfende Rest kompetent antreten kann, wenn es darum geht, den globalen Rang unter den pros­perierenden Nationen zu verteidigen.

500 Uni-Lehrende für 4500 Kinder Im Juli startet in Wien wieder die Kinderuni, mittlerweile eine Veranstaltung für Tausende interessierter Kinder m Anfang waren wir ein ganz kleiA nes Team, das sich zum Ziel gesetzt ­hatte, die Universität zu öffnen und ein

Stück ­eltern- und kinderfreundlicher zu machen, Kindern Bildungsmöglichkeiten zu zeigen und für Wissenschaft zu begeistern – besonders auch Kinder, die in einem bildungsfernen Umfeld aufwachsen. Es war als Projekt für hundert Kinder geplant, tatsächlich kamen tausend“, erzählt Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros der Universität Wien über die Entwicklung der Kinderuni. Zum zehnten Mal findet die Kinderuni heuer statt. Mittlerweile beteiligen sich auch die Technische Universität, die medizinische Universität, die Universität für Bodenkultur und die Veterinärmedizinische Universität an dem Projekt. Dementsprechend ist das Programmangebot so groß wie nie: Insgesamt werden von mehr als 500 Lehrenden 468 Lehrveranstaltungen für 4500 Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren abgehalten. Ein Betreuungsverhältnis, das sich wohl auch reguläre

Studierende wünschen. Das Angebot reicht dabei von Workshops für zehn bis 25 Kinder bis hin zu Vorlesungen mit bis zu 400 Kindern. Dabei finden sich alle erdenklichen Angebote von Architektur über Mathematik bis hin zur Zahnmedizin. „Wir kooperieren mit sozialpädagogischen Einrichtungen, Flüchtlingshäusern und vielen Kultureinrichtungen, um Kinder aus sozial benachteiligtem Umfeld anzusprechen.“ Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros der Universität Wien

Im Mittelpunkt stehen der ­Kontakt mit Neuem und das Sammeln neuer Erfahrungen – auf beiden Seiten des Katheders Die Kinderuni ist aber nicht nur auf zwei Wochen Mitte Juli und Wiener Universitäten beschränkt. Seit bereits sechs Jahren ist die Kinder­ uni auch auf Tour und macht mit dem mobilen Hörsaal nicht nur in Schulen in Niederösterreich und im Burgenland Halt. Auch in Parks werden in Zusammenarbeit mit Jugendzentren und Parkbetreuungen Veranstaltungen organisiert.

So können auch Kinder erreicht werden, die sonst nicht in Kontakt mit der Universität kommen würden. Die Einbeziehung aller Kinder unabhängig von sozialer Herkunft soll auch an der Kinderuni selbst sichergestellt werden. Das Kinderbüro arbeitet mit Jugendorganisationen sowie religiösen und kulturellen Einrichtungen zusammen und bietet mehrsprachiges Informationsmaterial an. Ergänzt wird dies durch das KinderuniTagesticket, erklärt Karoline Iber: „Wir kooperieren mit sozialpädagogischen Einrichtungen, Flüchtlingshäusern und vielen Kultureinrichtungen, um Kinder aus sozial benachteiligtem Umfeld anzusprechen. Auch heuer wieder vergeben wir 300 Tagestickets an Kinder, die in Armut leben oder von Armut bedroht sind.“ Dieses durch Spenden finanzierte Modell ermöglicht eine ganztägige Teilnahme an der Kinderuni. Davon werden der Transport, die Verpflegung und die Betreuung finanziert. Die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen der Kinderuni ist kostenlos.

Fotos: uni bremen, univer sität wien

Werner Sturmberger


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die wissenschaft und die kinder

Haidingers Hort der Wissenschaft

Grafikkabinett Püribauers Tierversuche

Vom Märchenzum Erbonkel M a r t i n H a i d i nger

Martin Haidinger ist Historiker, Wissenschafts­ journalist bei Ö1 und ­Staatspreisträger für Wissenschafts­ journalismus

Illust r at ion: B ernd P ü r i b a u er

Freihandbibliothek Buchtipps von Emily Walton Die Physik eines Papierhubschraubers

Wiff mit Wirtschaftswissen

Zisch, Blubber, Knall: Kunterbunter ­E xperimentier- und Bastelspaß. Rebecca Gilpin und Leonie Pratt. Ravensburger. 96 Seiten.

7 Wege reich zu werden – 7 Wege arm zu werden: Das etwas andere Buch über Wirtschaft. Nikolaus Nützel. Cbj Verlag. 224 Seiten.

Darwins Reisen

Nachhaltiger Nachwuchs

What Mr. Darwin saw. Mick Manning. Frances Lincoln Children’s Book. 48 Seiten.

What’s the Point of Being Green? Jacqui Bailey. Franklin Watts Books. 96 Seiten.

Zisch, Blubber, Knall. Zugegeben, der deutsche Titel klingt etwas platt. (Das englische Original hat mehr Pep: Big book of science things to make and do.) Auch das überladene Cover mag zunächst abschrecken. Aber dahinter steckt ein tolles, lehrreiches Buch mit über 50 Bastelanleitungen: für Papierhubschrauber, magische Spiegel oder Eisboote. Nicht die Basteleien stehen im Vordergrund: Jede Anleitung erklärt die physikalischen Gesetze und Kräfte, die zum Einsatz kommen.

Wer war Darwin wirklich? Dieses Kinderbuch schildert das Leben eines Mannes, der für die Naturwissenschaften lebte. 1831 – Darwin ist gerade 22 Jahre alt – hat er die Chance, an Bord der HMS Beagle nach Südamerika zu reisen. Nach fünf Jahren kehrt er mit Erkenntnissen zurück – etwa über Fossile, Erdbeben oder die Schildkröten auf den Galapagos-Inseln. Es sind Grundlagen für seine späteren Schriften. Bunte Illustrationen machen die Reise anschaulich. Päda­ gogisch gut aufbereitet mit Infokästen und Sprechblasen.

„Das etwas andere Buch über Wirtschaft“, heißt es im Untertitel. Statt aus Zahlen, Tabellen und Graphen zu bestehen, ist dieses Buch unterhaltsam und gut gegliedert. (Volks-)Wirtschaft wird für Jugendliche verständlich gemacht. Vom Pensionssystem, der Rolle der Gewerkschaften bis hin zum Milchpreis für Bauern deckt es mit seinen 21 Kapiteln eine große Bandbreite ab. Auch das ausführliche Glossar ist hilfreich, denn um Fachbegriffe kommt man nicht herum.

Umweltbewusstsein kann man nicht früh genug entwickeln. Dieses Buch zeigt, welche Schritte jeder von uns – ob Kind oder Erwachsener – für einen „grünen“ Planeten setzen kann. Jedes Kapitel widmet sich einem anderen Umweltaspekt. Comics, Bilder und auch kleine Spiele und Tests lockern das Buch auf, lenken aber nicht von wichtigen Fakten ab. Nach der Lektüre wissen die jungen Leser, welche Rolle Regierungen, Umweltorganisationen und Mitbürger in Sachen Umweltschutz spielen. Ein schlaues Buch.

chon als Kind bekam ich eine GänseS haut, wenn sie sich näherten: Jene Pädagogen beiderlei Geschlechts, die manche

Inhalte salbungsvoll und seltsam gewunden „kindgerecht“ zu erklären versuchten und dabei meilenlange Umwege in der Argumentations- und Assoziationskette angeblich kindlicher Innenwelten zurücklegten. Nachdem in der ersten Klasse Volksschule Monate mit dem nervtötenden Absingen von „Mein Roller, mein Roller“-Liedlein vergangen waren, stellte ich als einigermaßen verdrossener wie altkluger Sechsjähriger meiner wirklich lieben, aber überpädagogisierenden Religionslehrerin die nahe liegende Frage, wann in dieser Veranstaltung endlich einmal etwas über Gott zu hören sein werde – schließlich der offizielle Anlass für unsere wiederholte Zusammenkunft im Klassenzimmer zum Religionsunterricht. An die Antwort der Armen kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Bei der Religion blieb es nicht, denn wir mussten in den Siebzigerjahren in praktisch allen Fächern erst einmal ­Hekatomben von schlecht gezeichneten Lehrbehelfscomics und pseudo-jugendgerechten Texten durchkauen. Echte Literatur, die auch die Großen konsumierten, konnte ich wenigstens unter der Bank oder in der Freizeit (o wie liebte ich die selbstverwalteten Nachmittage der Halbtagsschule!) lesen, und Entspannung boten immerhin Donald Duck und mein Held Onkel Dagobert, der als knallharter Plutokrat entsprechend weit entfernt von der weichen Tour der Kinderversteher quakte und werkte. „Leute, kommt zum Punkt!“, blieb quälender Leitgedanke und stummer Schrei der Jugendjahre. Das sollte auch heute der kategorische Imperativ jeglicher Lehre vom Kindergarten bis zur Kinderuni sein, denn motivierendes Überfordern regt an, infantiles Unterfordern regt auf! Stellen wir uns Kinder gefälligst nicht als kleine Dummerln vor, die man nicht mit erwachsenen Inhalten konfrontieren könnte, und denen man Märchen erzählen müsste, sondern bedenken wir, dass wir in ihnen so etwas wie sensible Erbonkel vor uns haben: Sie sind reich (denn sie vererben uns vorweg die Hoffnung auf eine gute Zukunft), sehr interessiert, aber schnell zu langweilen. Vor allem hassen sie es, wenn sie merken, dass man sie für dumm verkaufen will. Wenn wir es schaffen, sie zu bilden, wie sie es verdienen, werden sie uns nicht enterben. Sehen wir in den Kindern ein wenig mehr die kommenden Erwachsenen und nicht Versuchskarnickel für pädagogische Hyperaktivität, die sich bisweilen selbst genügt!


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DIE WISSENSCHAFT UND DIE KINDER

JOCHEN STADLER

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ie Kirchenglocke im Ort läutet halb acht, als Robin mit der Leiter auf der Schulter aus dem Gebüsch auftaucht. Er lehnt sie gegen eine Buche. In knapp drei Meter Höhe hängt ein Nistkasten. Fragend sieht er Georg an, der Kaugummi kauend am Boden hockt. „Die Luft ist rein, es ist keiner von den Altvögeln da. So wie es fiepst, sind sicher Nestlinge drinnen. Außerdem kommen die beiden ständig mit Futter angeflogen.“ Was nun folgt, ist reine Routine. Robin hält eine Hand vor das Loch im Nistkasten, damit kein Vogel herausfliegen kann. Mit der anderen nimmt er das Dach ab. Ein knappes Dutzend kleiner nackter Küken fiepst ihn an. Sie sperren die Schnäbel auf, als ob es um ihr Leben ginge. Das tut es auch, hat Robin in den vergangenen Jahren gelernt. Wenn die Kleinen nicht zu genug Futter kommen, sind sie tot. So wie voriges Jahr, als es wegen des schlechten Wetters kaum Raupen gab und unzählige Nestlinge verhungerten. Das steht nun im Bericht, den er Georg diktiert – ebenso wie die Zahl der Nestlinge: zwölf. Er steigt von der Leiter und nimmt sie wieder auf die Schulter. Sie haben noch fünf Nistkästen vor sich und müssen das Protokoll ins Bio-Lehrerzimmer bringen, bevor um acht der Unterricht beginnt.

Mittelschüler als Blaumeisenverrückte Forscher

Robin Kohl und Georg Löffler, beide vierzehn Jahre alt und Schüler der 4C des Gymnasiums Sacre Coeur in Pressbaum, sind wie fünfhundert ihrer Mitschüler an einem wissenschaftlichen Projekt beteiligt. Die Schule führt es gemeinsam mit dem Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung durch. Ein engagierter Verhaltensforscher und eine ebensolche Biologielehrerin haben in den vergangenen vier Jahren eine ganze Schule Blaumeisen-verrückt gemacht. Sogar im Musikunterricht rappen die Schüler im Meisentakt. Sie haben alle zusammen gezeigt, dass die starren Lehr- und Stundenpläne wissenschaftliches Arbeiten nicht ausschließen und dass Wissenschaft, wenn auch kein Kinderspiel, Kinder und Jugendliche begeistern kann.

Wissenschaft statt Kino oder Kinderspiele

Auch Jenny Stabernak ist vierzehn. Für sie ist Wissenschaft ein Hobby, wie für andere Geige oder Tennis spielen. Schon im Kindergartenalter wurden ihre Mathematikkenntnisse früh gefördert. Mit sieben betrachtet sie Einzeller unter dem Mikroskop und zerlegt darunter Hummeln. Sie besucht Forschungsfeste und -kurse wie andere Kinder Fußballspiele und Kinos – mit Begeisterung.

Die Kinder und

Ihre Mutter fördert sie, so gut sie kann. Das, was die Schule bietet, ist ihr manchmal zu theoretisch, oft fehlt ihr etwas zum Mitmachen. Deshalb blüht Jenny auf, wenn am Nachmittag in den biologischen Übungen Fische und Schweinsaugen zerlegt werden oder mikroskopiert wird. Jenny grinst, als ich sie frage, ob sie eine Streberin sei. Ja, aber weil es Spaß macht und nicht wegen der Noten, sagt sie. Die beiden Beispiele zeigen, dass Kinder für die Wissenschaft zu begeistern sind. Handelt es sich um Einzelfälle, oder hat die Nachwuchsförderung in Österreich System?

Wissenschaft macht Kinder selbstständiger

Österreich braucht mehr Wissenschafter und Techniker. Was Schule und Wissenschafter zur Nachwuchsförderung beitragen können

„Wissenschaftlich denken heißt, sich selber Fragen zu stellen und dann nachzudenken, mit welchem Experiment oder Gedankengang ich sie beantworten kann“, sagt Margit Fischer, Vorsitzende des Vereins ScienceCenter-Netzwerk. Sie ist mit einem ehemaligen Wissenschaftsminister und dem heutigen Bundespräsidenten verheiratet. „Es bedeutet außerdem, die eigenen Antworten immer wieder zu hinterfragen. Das ist ein Prozess, der in unserem Alltag ganz wichtig ist, weil er dazu führt, dass wir mündige Menschen in unserer Gesellschaft haben, die sich nicht durch eine Kampagne, welcher Art auch immer, in eine Richtung drängen lassen.“ Egal, ob Kinder und Jugendliche eine wissenschaftliche Karriere anstreben oder einen anderen Beruf ergreifen, sie werden so zu Menschen, die an ihrer Arbeit Spaß haben können.

Wissenschaft ist mit Lehrplänen vereinbar

Kinder leisten Vogelforschung für Österreich

Georg und Robin haben wie Wissenschafter zu denken gelernt. Präzise beschreibt Georg ihre Tätigkeiten, und Robin erklärt die Forschungsfrage, die das Team zu beantworten versucht: „Durch den Klimawandel schlüpfen Frostspannerraupen immer früher. Sie sind die Hauptnahrungsquelle der Blaumeisen. Jetzt will man wissen, ob die Blaumeisen auch früher brüten.“ Seine zwölfjährige Schwester Leona, die das Projekt in der zweiten Klasse mitmacht, ergänzt: „Die Vögel orientieren sich am Licht und die Raupen an der Wärme.“ Fehlen die Raupen für die frisch geschlüpften Blaumeisen als Futter, weil die Meisen ihre Brutzeit weiterhin nach der Tagesdauer richten, oder passen sie sich an die neuen Verhältnisse an?, will Herbert Hoi, Verhaltensforscher am KonradLorenz-Institut, gemeinsam mit den Schülern beantworten. Entstanden ist das Projekt, um die unrühmliche Tatsache auszugleichen, dass seit den Siebzigerjahren keine Vogelwarte mehr in Österreich besteht. Deshalb gibt es

hierzulande keine Langzeitdaten zu Vögeln, was es etwa schwierig macht zu beantworten, wie sich der Klimawandel auf die Vogelwelt auswirkt. 2008 begann Herbert Hoi nach Lösungen für dieses Problem zu suchen: „Ich habe gedacht, warum nicht an eine Schule herantreten? Schulen sind doch Einrichtungen, die langfristig funktionieren sollten.“ Er hatte ein Auge auf das Gymnasium Sacre Coeur in Pressbaum geworfen, denn die Schule liegt für Vogelbeobachtung ideal mitten im Wienerwald. Die Entscheidung für eine langfristige Zusammenarbeit wurde ihm im folgenden Jahr wohl um einiges leichter gemacht, als das Wissenschaftsministerium das neue Programm „Sparkling Science“ forcierte. Es fördert und finanziert die Zusammenarbeit von Wissenschaftern und Schulen.

Petra Siegele, die Leiterin der Sparkling-ScienceProgramms: „Es ist für Europa einzigartig, dass Nachwuchsförderung derart institutionell passiert wie hier. Da war Österreich wirklich einmal Vorreiter.“

Gemeinsam mit der Biologielehrerin Margarethe Mahr passte er seine Forschungsfrage den Interessen und Fähigkeiten der Schüler ebenso wie den Lehrplänen an. In der ersten Klasse stehen Vögel auf dem Programm, deshalb dürfen die Kinder mit Feldstechern in den Wald ziehen und beobachten, wie oft die Vögel zu ihren Nistkästen fliegen und was sie dabei im Schnabel haben. Die zweiten Klassen erkunden lehrplankonform das Futterangebot der Meisen: An den „großen Raupentagen“ bewaffnen sie sich mit Regenschirmen und ziehen mit Wissenschaftern und Lehrern in den Wald. „Den Regenschirm haben wir verkehrt herum unter einen Baum gehalten und mit einem Stock darauf geklopft. Dann haben wir die Raupen und anderen Tiere darin herausgeklaubt und ihre Art bestimmt“, berichtet der elfjährige Till Tretzger. Die Drittklässler zeichnen auf, wann die Blätter knospen. Diese sind Futter für die Raupen. In den sechsten Klassen steht Statistik auf dem Programm, so werten die Schüler die gewonnenen Daten aus. Viertklässler wie Robin und Georg machen freiwillig mit. Sie haben beobachtet, wie sich Witterungsschwankungen auf das sensible Gleichgewicht auswirken, etwa im extremen Schlechtwetterjahr 2010. Als die Raupen schlüpften, hatte es immer geregnet und die Vögel fanden kaum Futter. Viele Nestlinge sind verhungert und die Elternvögel mussten ganze Nester aufgegeben. Weil die Kinder die Nistkästen auch zur Unterrichtszeit in den Augen behalten wollten, wurden Livekameras montiert. Das Geschehen in den Nestern ist auf einer Videoleinwand in der Aula zu sehen. In den Pausen können die Schüler so prüfen, was ihre Forschungsobjekte treiben. Auch andere Fächer sind eingebunden.


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die wissenschaft und die kinder

die Wissenschaft Die mittlerweile 250 aufgehängten Nistkästen wurden im Werkunterricht von Hand hergestellt. Im Mathematikunterricht wurden die optimalen Standorte ausgerechnet. Zahlreiche Blaumeisenzeichnungen schmücken die Schule.

Wissenschaftliche Veröffentlichungen von Schülern

Die Daten sind so gut, erzählt Hoi, dass sich schon wissenschaftliche Veröffentlichungen aus dem Projekt ergeben haben. „Die Schüler haben etwa herausgefunden, dass Vögel auf kurzfristige Änderungen in der Temperatur sehr flexibel reagieren können, was in der Wissenschaft nicht bekannt war. Sie unterbrechen das Brüten und lassen die Eier abkühlen, sodass sich der Embryo nicht weiterentwickelt. Das haben wir vorher nicht gewusst.“ Biologielehrerin Mahr sagt über das Programm: „Die Kinder lernen bewusster zu schauen und werden für ihre Umwelt sensibilisiert.“ Das gehe weit über den Unterricht hinaus. Nach den Raupentagen sei es nichts Besonderes, wenn die Schüler das Insektenklopfen zu Hause im Garten wiederholen und am nächsten Tag mit Raupenzeichnungen vor dem Lehrerzimmer stehen und um die Bestimmungsbücher bitten. Auch Hoi ist von den Schülern angetan: „Die Kinder haben in der Schule Hunderte Nistkästen gebaut, das war schon die erste große Aktion, die den Kindern unglaublich getaugt hat und dann sind sie raus und haben mit uns die Nistkästen aufgehängt.“ Von seinen internationalen Mitarbeitern spricht kaum einer Deutsch, doch das hat die Kinder nicht gestört. „Wenn sie mit einem Wissenschafter im Wald unterwegs sind, haben sie keine Berührungsängste mehr. Sie reden mit ihnen einfach Englisch. Dabei merken sie dass Englisch eine wichtige Sprache ist und gewinnen Selbstvertrauen, weil sie merken, dass sie sich damit verständigen können.“

F o to s: o e a d, K L I V V, J o c h e n S ta d l e r , V i e n n a O p e n L a b ,

Österreich als Vorreiter bei Nachwuchsförderung

Nicht nur die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Konrad-Lorenz-Institut und dem Sacre Coeur hält Petra Siegele, die Leiterin der Sparkling Science Programmabwicklung im Österreichischen Austauschdienst für ein Vorzeigeprojekt, sondern auch das Förderungsprogramm selbst: „Es ist für Europa einzigartig, dass Nachwuchsförderung derart institutionell passiert wie hier in Österreich. Wissenschafter aus vielen Ländern schielen inzwischen neidvoll auf Österreich, da war Österreich wirklich einmal Vorreiter.“ Auch eine Handvoll Fachbereichsarbeiten sind am Sacre Coeur im Zusammenhang mit dem Projekt bereits entstanden. So forscht zum Beispiel Johanna Aman

Herbert Hoi, Konrad-LorenzInstitut für Vergleichende Verhaltensforschung: „Die Schüler haben in der Vogelkunde etwas herausgefunden, das der Wissenschaft nicht bekannt war.“

Karin Garber, Leiterin des Vienna Open Lab: „Wenn man mit wissenschaftlichen Schnupperkursen jemanden davon abgehalten hat, zwei Semester sinnlos an der Uni rumzuhängen, finde ich das in Ordnung.“

Jenny Stabernak, für Wissenschaft Begeisterte: „Mir gefällt es, wenn am Nachmittag in den biologischen Übungen Fische und Schweinsaugen zerlegt werden, oder mikroskopiert wird.“

(17) derzeit, ob die Ganzjahresfütterung den Meisen hilft oder schadet, und Alexandra Molling (17) beobachtet wie Blau-, Sumpf- und Kohlmeisen konkurrieren. Die beiden arbeiten mit einer Diplomandin vom Konrad-Lorenz-Institut zusammen, die an einer ähnlichen Fragestellung interessiert ist. Diese „Wissenschaftstandems“ seien für beide Seiten sehr hilfreich, meint Hoi. Mit der vorwissenschaftlichen Arbeit, die die Fachbereichsarbeit ablösen wird, ist es für die Schüler in Zukunft sogar Pflicht, sich im Rahmen der Matura näher mit wissenschaftlichen Fragen zu beschäftigen. „Sinn und Zweck der vorwissenschaftlichen Arbeit ist in erster Linie, die Schülerinnen und Schüler für ein Hochschulstudium zu befähigen, wo sie sich ja in den meisten Gegenständen mit der Tätigkeit des Forschens befassen werden“, erklärt Karl Hafner, der Abteilungsleiter AHS des Unterrichtsministeriums. Es sei nicht nur wichtig, die Zahl der Hochschüler zu erhöhen, sondern den Schülern auch die entsprechenden Kompetenzen mitzugeben, damit sie ihr Studium optimal gestalten können. Auch Karin Garber, Leiterin des Vienna Open Lab, hält es für sinnvoll, dass Schüler in der Orientierungsphase Praxisluft schnuppern. Selbst wenn der Besuch des Labors den einen oder anderen vielleicht ernüchtert, weil seine Vorstellungen und Erwartungen nicht der Realität entsprachen: „Wenn man damit jemanden davon abgehalten hat, zwei Semester rumzuhängen und dann draufzukommen, ich habe ein Jahr verloren, weil ich doch lieber Jus studieren würde, finde ich das auch in Ordnung.“

Vor der Theorie die wissenschaftliche Praxis

Von der Laborarbeit enttäuscht zu sein, davon ist Jenny weit entfernt. Sie hat schon viele Kurse im Vienna Open Lab gemacht, und vor zwei Jahren eine ganze Woche lang im Summer Science Camp geforscht. Ihre Mutter, Manuela Stabernak, gibt gerne zu, dass sie sehr früh den Versuch begonnen habe, sie für die Forschung und Wissenschaft zu begeistern. Doch sie wollte der Neugier der Tochter einen Rahmen geben. Als Ausgleich sang Jenny ohnehin im Chor, tanzte und spielte Flöte. Ob Jenny den wissenschaftlichen Hintergrund bei all den Mikroskopiekursen und anderen Veranstaltungen immer verstanden hat, war weniger wichtig, als dass es für sie zur Gewohnheit wird, Dinge auf spielerische Weise auszuprobieren. Das Mädchen mikroskopierte, sezierte und färbte ihre Proben unermüdlich und mit Begeisterung, auch wenn sie meist die Jüngste der Gruppe war. Wenn Forschungsgruppen ihre Arbeit in den Arkaden der Universität vorführten, war Jenny dabei.

Von Station zu Station wollte sie das gesamte Programm auskosten. Die Aha-Erlebnisse folgten oft mit Verzögerung, wenn sie die Dinge, die sie schon längst praktisch gemacht hat, in der Schule auch theoretisch lernt. Auf lange Sicht würde Jenny von all der Information profitieren, auch wenn sie einstweilen vielleicht noch gar nicht alles verdauen konnte. Auch versucht Jennys Mutter, Schulwissen und die praktischen Versuche immer wieder zu vernetzen. „Wenn im Unterricht die Strukturen der Zellen vorkommen, frage ich schon gelegentlich: Schauen wir uns die Zellwände in der Zwiebelhaut wieder einmal an.“

Weniger auswendig lernen und mehr verstehen

„Experimente machen, Wissenschafter spielen und rationales Denken zu trainieren wären für alle Kinder so wichtig“, meint Renée Schröder, Wissenschafterin an den Max F. Perutz Laboratories in Wien und Autorin des Wissenschaftsbuchs des Jahres 2012. „Bis jetzt fährt Österreich sehr gut mit dem Tourismus, der Monarchie und den alten Musikern.“ Hier gäbe es zwar viele Ressourcen, doch man solle auch nicht vergessen, dass großes Potenzial in den Köpfen der Menschen steckt. Es gäbe dafür schon gute Ansätze, dieses zu fördern: „Aber die sollten verstärkt werden.“ Dass die Schüler mehr verstehen und weniger auswendig lernen, wünscht sich auch Rudolf Taschner, der mit seinen Büchern und dem „math.space“ im Wiener Museumsquartier Mathematik-Vorträge zur lehrreichen Unterhaltung macht. „Verstehen ist etwas anderes als nur zur Kenntnis nehmen. Man muss in Latein zur Kenntnis nehmen, dass hic, haec, hoc: dieser, diese, dieses heißt. In der Schule muss man Vokabeln lernen und sehr viel zur Kenntnis nehmen. Das muss man auch, keine Frage. Aber wenn man nur zur Kenntnis nimmt, fühlt man sich nicht eingebunden, man ist dann bloß ein Beobachter.“ In der Nachwuchsförderung könne in Österreich noch einiges getan werden, meint Barbara Streicher, Geschäftsführerin des ScienceCenter-Netzwerks. Doch der Trend sei positiv, die Wissenschaftskommunikation habe hierzulande in den vergangenen Jahren einen größeren Stellenwert bekommen. Aktuell würde international viel darüber gesprochen, dass man Wissenschaft als Teil der Kultur begreifen kann. Das trifft auch auf Österreich zu. „Gerade in Wien, damit es nicht nur als Kulturstadt gesehen wird, sondern auch als Wissenschaftsstadt“, so Streicher. Die Gemeinde Pressbaum hat dem Projekt ihrer Schüler langfristige Unterstützung zugesagt, damit sie auch weiter mit Wissenschaftern forschen können.


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die wissenschaft und die kinder

Kinder sind keine Erwachsene Dieter Hönig

Kinderchirurgie ist nicht Erwachsenenchirurgie

Die Kinder- und Jugendchirurgie als eigenständige medizinische Fachdisziplin mit kinderbezogener Ausbildung ist in Österreich knapp zwanzig Jahre alt. In den letzten Jahren ist daraus ein hochspezialisierter Fachbereich geworden. „Die Operation eines Kindes ist keineswegs die Operation eines kleinen Erwachsenen. Viele chirurgisch zu beseitigende Erkrankungen des Neugeborenen, Säuglings und Kindes kommen entweder beim Erwachsenen überhaupt nicht vor oder unterscheiden sich in vielen Bereichen ganz grundsätzlich“, erklärt Alexander Rokitansky, Vorstand der Kinder- und Jugendchirurgischen Abteilung am Donauspital-Wien. Eine erfolgreiche Therapie müsse die Kleinheit der Strukturen, das Wachstum, die Lebenserwartung, psychische Belange und die spätere Lebensqualität des Kindes berücksichtigen, erklärt der Experte.

Und schon gar nicht bei operativen Eingriffen. Die medizinische Wissenschaft macht mittlerweile Operationen an Kindern möglich, die einst als Science Fiction galten

Röntgen bei Kindern ist eine heikle Sache

Die Tatsache, dass Kinder, insbesondere Kleinkinder, keine kleinen Erwachsenen sind, ist vor allem auch in der radiologischen Diagnostik zu berücksichtigen. Das rasch wachsende kindliche Gewebe reagiert um ein Vielfaches empfindlicher auf ionisierende Strahlung als jenen von Erwachsener. „Die viel höhere Strahlensensibilität des Kindes und die längere Lebenserwartung begünstigen das Risiko, einen strahleninduzierten Tumor zu entwickeln“, sagt Oberärztin Maria Sinzig vom Institut für Kinderradiologie des Klinikums Klagenfurt. Bildgebende Untersuchungen in frühen Lebensjahren werden daher heute von Kinderradiologen nach dem ALARA-Prinzip (as low as reasonably achievable) ausgeführt – so wenig strahlenbelastend wie vernünftiger Weise möglich. Die Sonografie ist frei von ionisierenden Strahlen und daher beliebig wiederholbar. Daher eignet sie sich besonders als Untersuchungsmethode bei Kleinkindern. Allerdings ist auch das beste Gerät nur so gut wie sein Anwender, meint Maria Sinzig. „Das diagnostische Potenzial einer modernen Ultraschalleinrichtung kann nur wirklich ausgeschöpft werden, wenn ein bestens ausgebildeter Arzt, sprich ein Kinderradiologe zur Verfügung steht, der mit den Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters hinlänglich vertraut ist.“

Aus radiologischer Sicht gesellen sich dazu noch weitere kinderspezifische Faktoren. So sind beispielsweise die noch nicht verknöcherten Anteile des Skeletts zu berücksichtigen, aber auch unterschiedliche Lageund Größenrelationen mit daraus folgenden zum Teil völlig anderen Verletzungsmustern und Unfallarten als beim Erwachsenen. Nicht zuletzt unterscheiden sich auch bösartige Erkrankungen des Kindesalters von jenen Erwachsener, nicht nur in ihrer Art, sondern auch in ihrer Prognose.

Auch bei der Anästhesie drohen den Kindern Gefahren

Kinder haben unterschiedliche Kreislaufverhältnisse. Ein Aspekt, dem unter anderem Narkoseärzte große Aufmerksamkeit widmen müssen. Das beginnt bei so simpel anmutenden Dingen wie den Nüchternzeiten vor dem Eingriff. „Der gesamte Flüssigkeitshaushalt des Kleinkinds muss penibel überwacht werden, um zu verhindern, dass der kleine Patient regelrecht ausgedörrt in den OP kommt“, erläutert Sibylle Kozek-Langenecker, Anästhesistin und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin. Auch dem zeitlichen Sicherheitsabstand von Impfungen und Narkose müsse noch verstärkt Rechnung getragen werden. Ein immer wieder heikles Thema im Spitalsalltag sind „mitgebrachte“ Infektionen – besonders bei Kindern im Kindergartenalter. „Um Komplikationen bestmöglich vorzubeugen, sollten geplante Eingriffe erst stattfinden, wenn das Kind mindestens zehn bis 14 Tage infektfrei ist“, sagt Kozek-Langenecker.

Neue Forschungen machen für Kinder Operationen sicherer

„Viele chirurgisch zu beseitigenden Erkrankungen des Neugeborenen, Säuglings und Kindes kommen beim Erwachsenen überhaupt nicht vor.“ Alexander Rokitansky, Vorstand der Kinderund Jugendchirurgie am Donauspital Wien

Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre und die massive Weiterentwicklung kinderchirurgischer Techniken haben entscheidende Verbesserungen gebracht. Die Überlebensrate und die Lebensqualität kleiner Patienten sind gestiegen. Auch die Industrie hat auf den vermehrten Druck nach kindergerechter Behandlung reagiert: In den letzten Jahren wurden Operationsinstrumente entwickelt, die nur mehr einen Durchmesser von zwei bis drei Millimeter haben und spezielle Bewegungsradien aufweisen. Sie entsprechen der Anatomie eines kleinen Patienten wesentlich besser. Dies sowie verbesserte diagnostische Möglichkeiten ermöglichen heute Eingriffe bereits an ungeborenen Kindern, die noch vor dreißig Jahren im Bereich von Science Fiction lagen.

Hohe Überlebensrate bei Kindern mit Fehlbildungen Die Überlebensrate bei Kindern mit angeborenen Fehlbildungen stieg innerhalb der letzten Jahrzehnte von 20 auf über 90 Pro-

zent – bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität der kleinen Patienten. In wirklich dringenden Fällen sind heute Eingriffe an Frühgeborenen bereits ab der 25. Schwangerschaftswoche möglich. „Bedeutete die angeborene Unterbrechung der Speiseröhre in den Vierzigerjahren noch ein Todesurteil, so liegt heute die Sterblichkeit bei unter 10 Prozent", sagt Kinderchirurg Rokitansky. Auch kombinierte Fehlbildungen, etwa die Unterbrechung der Speiseröhre samt Unterbrechung des Zwölffingerdarms oder nicht angelegtem After, sind heute in der Regel innerhalb der ersten 18 Lebensmonate kinderchirurgisch mit Erfolg lösbar. Selbst eine Dickdarmoperation beim Säugling ist heute technisch möglich, ohne den Bauch zu öffnen oder laparoskopische Sonden durch die Bauchdecke einzuführen. Diese Art der schließmuskelerhaltenden Dickdarmresektion durch den Anus hat an spezialisierten Zentren bereits Eingang in die Erwachsenenchirurgie gefunden. Sie trägt nun in allen Altersgruppen dazu bei, die Notwendigkeit eines künstlichen Darmausgangs zu senken.

Bei Blinddarm und Leistenbruch zum Kinderchirurgen

Die häufigsten Operationsgründe für Kinder und Jugendliche sind Blinddarmentzündungen und Leistenbrüche. Speziell bei letzterem, der häufig bereits im Säuglings­ alter auftritt, gilt der Spruch „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“. Experten wie Rokitansky raten, Eingriffe wie eine Leistenbruchoperation unbedingt von einem Kinder- und Jugendchirurgen durchführen zu lassen: „Würde man beispielsweise den Leistenbruch eines kleinen Jungen wie bei einem Erwachsenen operieren, so wäre infolge des Wachstums mit einer Durchblutungsstörung des Hodens, im äußersten Fall sogar mit Unfruchtbarkeit zu rechnen." Man müsse sich vor Augen führen, dass die kleinen Strukturen und Operationsgebiete beim Kind oft nur die Größe einer Briefmarke aufweisen. Dementsprechend winzig sind umgebende Strukturen wie Blutgefäße und Nerven. Daher sollte man sich beim kindlichen Leistenbruch, aber auch beim sogenannten Wasserbruch (Hydrocele), beim Hodenhochstand (Kryptorchismus) oder der Vorhautverengung (Phimose) an eine erfahrene Kinderchirurgie-Abteilung wenden. Die regionalen Strukturpläne in Österreich halten mittlerweile fest, welche Spitäler Kinder operieren sollen. Spezielles Augenmerk widmet man darin den Eingriffen bei Blinddarm und Leistenbruch. Eine eigene kinderchirurgische Abteilung sowie eine ausreichende Fallzahl an Operationen pro Jahr sind zwei der Kriterien, die für mehr Sicherheit und nachhaltigere Lebensqualität bei der Operation von Kindern sorgen sollen.

Foto: ale x ander Rok y tansk y

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n keiner Lebensphase erlebt der Mensch größere Veränderungen als in den Monaten vor seiner Geburt und in den ersten Lebensjahren. Das setzt Neugeborene und Kleinkinder bei operativen Eingriffen ganz besonderen Belastungen aus und stellt Kinderchirurgie, Anästhesie, aber auch Röntgenologie vor große Herausforderungen.


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Kinder braucht die Forschung keine, oder? Anja Stegmaier und Sonja Dries

Die Wissenschaft gebiert heutzutage keine Kinder Mütter und Väter sind in der Wissenschaft kaum zu finden und Kinder unsichtbar. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Deutschland hat eine Studie veröffentlicht, die deutliche Aussagen über den Arbeitgeber Universität trifft. 72 Prozent des wissenschaftlichen Nachwuchses, Männer wie Frauen, sind kinderlos, obwohl sich die Mehrzahl eine Familie wünscht. Familienfreundlichkeit ist heute für gut ausgebildete Frauen und für immer mehr Männer ein wesentliches Entscheidungskriterium bei der Wahl des Arbeitgebers. Universitäten müssen nachhaltig wirksame Gleichstellungskonzepte mit Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf umsetzen. Verlässliche Kinderbetreuung vor Ort ist nur ein Faktor von vielen. Sigrid Metz-Göckel, Professorin an der TU Dortmund, benennt in ihrem Projekt „Wissen- oder Elternschaft?“ weitere Erschwernisse für Eltern im Wissenschaftsbetrieb. Es gäbe einen klaren Bezug zwischen Kinderlosigkeit und befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Laut Science Center Netzwerk und dem „Generations and Gender Programme“ des Österreichischen Instituts für Familienforschung verhindern auch in Österreich prekäre Arbeitsbedingungen eine Familiengründung.

Bossing und Mobbing gegen Kinder an Unis Ein weiterer Familienkiller ist der nach wie vor gepflegte Wissenschaft-Mythos, dem junge Forschende schwer gerecht werden können. Der Wissenschaftsbetrieb stellt einen hohen Verfügbarkeitsanspruch an seine Mitarbeitenden: Nur wer rund um die Uhr im Dienste der Wissenschaft steht und alle anderen Lebensbereiche unterordnet, könne in der Wissenschaft gut sein. Dies führt zu Ausgrenzung und Benachteiligung all derjenigen, die ihren familiären Pflichten nachkommen wollen. Ein Kinderwunsch wird streng geheim gehalten, Pflegeurlaub nicht genommen. Kinder werden von ihren Eltern bei der Arbeit geradezu verleugnet, da die Angst zu groß ist, an den Rand gedrängt zu werden. Metz-Göckel kommt zu dem Schluss, dass sich Bossing und Mobbing aufgrund der Familie oder eines Kinderwunsches verheerend auf die Motivation der Mitarbei-

Wissenschafter haben keine Zeit für Kinder – nicht einmal dafür, welche zu zeugen. Zum Glück gibt es „bildungsferne Milieus“, die Forscher­ nachwuchs hervorbringen

Patrick Marksteiner und Patrick Neulinger, Forschungspreisträger: „Jeder, der eine gute Idee hat, egal in welchem Alter und mit welcher Herkunft, kann sie verwirklichen, wenn er Eigeninitiative zeigt.“

tenden auswirken und letztlich auch darauf Einfluss haben, ob der wissenschaftliche Nachwuchs an der Hochschule bleibt oder aussteigt. Hochschullehrende, die Führungsverantwortung haben und den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern sollen, müssen sich der Verantwortung für die Stimmung in ihrem Arbeitsbereich bewusst werden. „Es ist an der Zeit, dass wir ein neues Bild von der wissenschaftlichen Persönlichkeit entwickeln und uns dabei ernsthaft fragen, welchen Wissenschafterinnen- oder Wissenschaftertyp wir kultivieren wollen“, sagt Metz-Göckel. „In der Wissenschaft Beschäftigte sollen wie alle anderen Menschen auch ein normales Leben mit Kindern führen können und nicht zu einem Dasein im Elfenbeinturm verbannt werden.“

Ihnen kam die Idee, so etwas bei Lawinen einzusetzen, und erfanden AVIO, ein intelligentes Lawinensuchgerät. Es fliegt autonom zur Einsatzstelle, ortet die Peilsender der Verschütteten und sendet die GPS-Punkte an Google Earth. Die GPSPunkte können dann von den Rettern abgerufen werden, um gezielt zu den Opfern vorzudringen. Letztes Jahr gewannen sie mit dieser Idee den ersten Preis bei Jugend Innovativ, Österreichs größtem Schulwettbewerb für innovative Ideen. Als Förderung für ihr Projekt erhielten die beiden 250 Euro. „Das reichte gerade für die Anfahrt und zwei Leberkäsesemmeln“, sagt Neulinger schmunzelnd.

Forscher, sehr heimisch, jung und preisgekrönt

In den USA ist man in Sachen Förderung schon um einiges weiter. Der Gewinner der INTEL ISEF 2004 hatte 1,5 Millionen Dollar als Förderung für sein Projekt erhalten. Für die Oberösterreicher ließ auch die Unterstützung der Schule anfangs zu wünschen übrig. Die vielen Arbeitsstunden im Projekt verrichteten die Schüler in ihrer Freizeit. Erst als AVIO begann, Preise zu gewinnen, setzte sich die Schule als Förderer der Idee in Szene. Mehr Rückhalt erhielten sie von ihren Familien, obwohl die keinen akademischen Hintergrund haben. „Als wir unseren Eltern von der Erfindung erzählten, wussten die erst gar nicht, woher das Interesse an der Forschung kommt“, sagt Marksteiner. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater Landschaftsbetreuer, Neulingers Vater Fernfahrer, die Mutter Köchin. Obwohl die Eltern sich zunächst nichts unter dem Projekt vorstellen konnten, standen sie von Anfang an hinter ihren Kindern. Sie investierten viel Zeit in Reisen zu den Wettbewerbsorten und versuchten Raum für die Arbeit zu schaffen. „Ohne die Unterstützung unserer Eltern wäre das nicht möglich gewesen“, erklärt Neulinger. Sowohl er als auch Patrick Marksteiner können sich gut vorstellen, künftig im Wissenschaftsbereich zu arbeiten. Doch für beide ist auch klar, dass sie selbst eine Familie gründen wollen. Auf die Frage, wie sie das mit dem Arbeitspensum, das man in dieser Sparte zu bewältigen hat, schaffen wollen, sind sie sich schnell einig: „Da muss man eben Prioritäten setzen und die Karriere als Forscher ein bisschen in den Hintergrund rücken.“ Die Erfahrungen, die sie durch die Arbeit an ihrem Projekt gesammelt haben, wollen die beiden jedenfalls nicht missen. Ein Gedanke hat sich dabei besonders festgesetzt: „Jeder, der eine gute Idee hat, egal in welchem Alter und mit welcher Herkunft, kann sie verwirklichen, wenn er Eigeninitiative zeigt und dran bleibt.“

Zwei, die zeigen, wie man trotz aller Hindernisse den Weg in die Wissenschaft finden kann, sind Patrick Marksteiner (20) und Patrick Neulinger (20) aus Oberösterreich. Bei der INTEL ISEF, dem weltweit größten Wettbewerb für Nachwuchsforschung in Pennsylvania, belegten sie den dritten Platz in der Kategorie „Computer Science“ und erhielten 1000 Dollar Preisgeld. Für beide war die Platzierung „eine große Überraschung“. Denn ihre aktive Beteiligung an der Wissenschaft hatte erst 2011 mit ihrem Maturaprojekt an der HTL Perg begonnen. Da hatten sich Marksteiner und Neulinger kennengelernt, als sie den Zweig „EDV und Organisation“ begannen. Fünf Jahre später waren sie auf der Suche nach einem Thema für ihr Abschlussprojekt. Ein Lehrer erzählte ihnen zufällig von den zahlreichen Lawinenopfern in Österreichs Bergen. Gleichzeitig hatten sie in einer Wissenschaftssendung einen Bericht über den „Quadrocopter“ gesehen. Das ist ein Hubschrauber mit vier Rotoren, der senkrecht starten und landen sowie in alle Richtungen fliegen kann.

Die preisgekrönte Erfindung von Patrick Marksteiner und Patrick Neulinger: ein Gerät zum Aufspüren von Lawinenopfern

Jungforscher aus „bildungsfremdem Milieu“

Fotos: Privat

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achwuchs für die Wissenschaft – das wird ein zunehmend wichtiges Thema für Österreichs Unis und Wirtschaft. Das Gespenst des „Fachkräftemangels“ geht um, die Geburtenrate sinkt. Auch wird die Forderung lauter, Kinder aus sogenannten bildungsfernen Haushalten einzubinden. Wie steht es aber um den Nachwuchs des wissenschaftlichen Personals selbst?


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Wissenschaft für Kinder: Das Glossar Wissenschaft für Erdenbürger zwischen Schulzeit und Ausbildung, Pubertät und anderen Unannehmlichkeiten Jochen Stadler

Argument

Soll andere Menschen davon überzeugen, dass die eigene ­Hypothese wahr und daher nachvollziehbar und glaubhaft ist. Wird oft aus den Ergebnissen eines Experiments abgeleitet. Beobachtung

„Als Newton im Obstgarten saß und die Äpfel beim Fallen beobachtete, kam ihm die Idee zu den Gravitationsgesetzen.“ Dass ein Apfel senkrecht zum Boden fällt, ist eine wissenschaftliche Beobachtung. Der Rest eine nette Geschichte, die vermutlich zu schön ist, um wahr zu sein. Beweis

Mehr oder minder endgültige Bestätigung einer Hypothese. Zunächst hielt man die Erde für eine flache Scheibe. Griechische Philosophen und Mathematiker stellten die Hypothese auf, dass sie rund sei. Aristoteles sammelte Argumente dafür, etwa dass bei einem wegfahrenden Schiff zunächst der Rumpf hinter dem Horizont verschwindet, dann erst das Segel. Bei der ersten Weltumseglung verschwand der Spanier Juan Sebastián Elcano als Steuermann auf der einen Seite hinter dem Horizont und tauchte auf der anderen als ­Expeditionsführer wieder auf – sein Chef Magellan war auf den Philippinen verstorben. So wurde die Erde umsegelt und bewiesen, dass sie rund ist. Diskussion

(i) Schriftlicher oder mündlicher Meinungsaustausch, wenn Wissenschafter unterschiedliche Hypothesen für richtig halten. Ist in der Regel erst dann beendet, wenn Experimente alle Möglichkeiten bis auf eine ausschließen oder eine Theorie eindeutig bewiesen wurde. (ii) Teil einer wissenschaftlichen Arbeit, in dem die Ergebnisse im Zusammenhang mit bisherigen Arbeiten besprochen und mögliche Aussagen erörtert werden. Entdeckung

Kann zufällig passieren, wenn mitten auf dem Seeweg ein unbekannter Kontinent den Weg versperrt, oder erwünscht, wenn man dafür jahrelang die Planetenbahnen studiert. Doch egal, ob es sich um Amerika oder die Gesetze des Sonnensystems handelt, Kolumbus und Kopernikus mussten etwas Neues, bislang Unbekanntes finden, um Entdecker genannt zu werden.

Experiment

Galileo Galilei warf angeblich Kanonen- und Schrotkugeln vom schiefen Turm zu Pisa, um den freien Fall zu studieren. Wäre auch dies nicht nur eine Anekdote, wäre es ein Experiment gewesen. Tatsächlich erforschte er die Fallgesetze, indem er Kugeln eine schiefe Rinne hinunter rollen ließ. Das war leichter zu beobachten und für Passanten weniger gefährlich. Fachbereichsarbeit

Bald von der vorwissenschaftlichen ­Arbeit überholte Forschungsarbeit, ersetzt derzeit als Joker eine schriftliche Prüfung bei der Matura. Forschendes Lernen

Die Schüler bekommen den Lernstoff nicht auf dem silbernen Tablett präsentiert, sondern müssen die Antwort auf bestimmte Fragen selber suchen. Dazu können sie zum Beispiel Versuche machen, in der Bibliothek und im Internet stöbern sowie Experten fragen. Sie lernen selbstständig zu arbeiteten, kritisch zu denken und nebenher den Stoff, der beim bloßen Auswendiglernen bekanntermaßen rasch wieder aus dem Kurzzeitgedächtnis entwischt. Forschung

Im Gegensatz zum zufälligen Entdecken absichtliche und beharrlich durchgeführte Suche nach neuen Erkenntnissen. Forschungsfrage

Sie zu beantworten ist der Grund, warum Wissenschafter beobachten und Experimente durchführen. Ohne sie bekommt man keine Antworten und findet nichts Neues heraus. Ausgenommen sind Zufallsentdeckungen. Forschungsprojekt

Vorhaben, zu dem sich ein oder mehrere Wissenschafter entschließen, um eine Forschungsfrage zu beantworten. Dazu müssen sie einen Plan erstellen, das notwendige Geld auftreiben, dann können sie Beobachtungen und Experimente durchführen und am Schluss die Öffentlichkeit und/oder Geldgeber über die neuen Erkenntnisse oder ihr Scheitern informieren. Frontalunterricht

Einer-gegen-alle im Klassenzimmer. Von den meisten als notwendiges Übel gesehene, weltweit vorherrschende Wissensvermittlung in ­Schulen und

Universitäten. Wird fallweise von modernen pädagogischen Methoden wie selbstbestimmtem und ­forschendem Lernen unterwandert. Hands-on Experimente

Einfache Versuche, die Schüler und interessierte Personen unter der Anleitung von Lehrern und Wissenschaftern selber durchführen können. In der Regel interessanter, einpräg­ samer und lehrreicher, als das bloße Zuschauen. Hypothese

Eine Idee oder wissenschaftliche Behauptung, die es zu beweisen gilt. Wird mit den ersten Indizien oft zur Theorie. Kinder/Jugendliche

Erdenbürger zwischen Geburt und Erwachsensein, in einer Entwicklung geprägt von Schulzeit und Ausbildung, Pubertät und anderen Unannehmlichkeiten. In Kärnten, Tirol und der Steiermark ist man nach dem Jugendschutzgesetz bis 14 Kind, danach bis 18 Jugendlicher. Für Salzburger ist mit dem Kindlichsein schon mit 12 Schluss. In Oberösterreich kennt das Gesetz keine Kinder. Wien, Niederösterreich und das Burgenland bewohnen weder noch, dafür eine Menge unter 18-jähriger ‚junger Menschen‘. Danach ist man erwachsen, nicht alt!

Statistik

Zum Leidwesen vieler Wissenschafter, die Mathematik lieber anderen überlassen, aus den meisten Forschungsgebieten nicht mehr wegzudenken. Ist deswegen so wichtig, weil sie oft ­Mutmaßungen von wissenschaftlichen Ergebnissen trennt und zeigt, ob ein Ergebnis aussagekräftig oder nichtssagend ist. Theorie

Ein Modell, das sich Wissenschafter von der Wirklichkeit machen. ­Sollte beweis- oder widerlegbar sein, ­irgendwie anwendbar und nicht unnötig kompliziert. Tutor

Meist selbst noch in der Ausbildung befindlicher junger Mensch, der sich um noch jüngere zu Bildende und Studierende kümmert, sie unterstützt und fallweise unterrichtet. Versuchsanordnung

Beschreibt, wer, wann, was, womit, warum, woran, wie und wie oft ­etwas beobachtet, misst, mischt, destilliert, seziert, mikroskopiert, injiziert und Ähnliches. In der Wissenschaft unerlässlich, um neue Beobachtungen und Entdeckungen zu machen – ist man nicht ein Genie, dem zufällig ein ­Apfel auf den Kopf fällt. Vorwissenschaftliche Arbeit

Methodenkompetenz

„Der Weg ist das Ziel“ als Leitspruch im Unterricht. Nicht der Lernstoff und das Füttern mit Informationen stehen im Vordergrund, sondern, dass die Schüler gefälligst lernen, wie sie wichtige Informationen selber finden und von der Fülle unwichtiger Dingen herauspicken, Zusammenhänge erkennen und sie sich zu einem Thema eine eigene Meinung bilden können.

Forschungsarbeit, die beinahe wissenschaftliches Niveau hat und mit 40000 bis 60000 Zeichen, also auf etwa 30 Seiten, eine Forschungsfrage beantworten muss, will man die erste der drei Säulen, die die neue Reifeprüfung für Jugendliche bereithält, umschiffen. Im Gegensatz zur bald antiquierten Fachbereichsarbeit für alle AHS-Schüler, die im kommenden Herbst in die 7. Klasse kommen, Pflicht.

Mentor

Wissenschaftliche Arbeit

Meist zumindest leicht angegrauter Mensch, der sich gern als Unterstützer und Berater eines jungen Menschen sieht. Recherche

Gezieltes Beschaffen von Informationen, die ansonsten verborgen geblieben wären. Bevor man sich kopflos in Experimente stürzt, macht es meistens Sinn herauszufinden, was andere schon zu dem Thema herausgefunden haben und woran sie gescheitert sind.

Ein Aufsatz, in dem ein oder mehrere Wissenschafter die Ergebnisse ihrer Forschung präsentieren. Besteht meist aus (I) dem Titel, (II) einer Zusammenfassung gefolgt von (III) der Einleitung, die notwendiges Vorwissen erläutert, (IV) den Ergebnissen, (V) einer Beschreibung der Methoden, die zu genau diesen Ergebnissen geführt haben, und einer (VI) Diskussion, die Zusammenhänge erklären soll. Danksagungen (VII) und Literaturverweise (VIII) sind im Anhang zu finden.


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Wissenschaftspolitik

Schockierende Erkenntnisse X a v e r F o r t hub e r

Der Bologna-Prozess war nur Absichtserklärung … „Die Bedeutung von Bildung für die Ent­ wicklung stabiler und demokratischer Ge­ sellschaften ist allgemein als wichtigstes Ziel anerkannt“, erklärt die Bologna-De­ klaration von 1999. Sie passt auf zweiein­ halb A4-Seiten und besteht hauptsächlich aus solchen, eher diplomatisch formulier­ ten Zielsetzungen. Dennoch wird sie nicht selten als richtungsweisende Zäsur in der Hochschulpolitik bezeichnet. „Vieles, was im österreichischen Bil­ dungssystem schlecht funktioniert, wird Bo­ logna zugeschoben“, sagt Gottfried Bacher. In der Bologna-Kontaktstelle des Wissen­ schaftsministeriums koordiniert er die Um­ setzung des Bologna-Prozesses zwischen nationaler und europäischer Ebene. Ziel bleibt die Schaffung eines einheitlichen eu­ ropäischen Hochschulraumes mit vergleich­ baren Abschlüssen und Studienzeiten. „Bologna ist freiwillig“, betont Bacher. „Es ist kein Staatsvertrag und auch kein EU-Prozess, wie oft angenommen wird, sondern lediglich eine Absichtserklärung der Bildungsminister, enger zusammenzu­ arbeiten.“ Die konkrete Umsetzung blieb den einzelnen Staaten überlassen -– mit er­ heblichem Interpretationsspielraum. „Eini­ ge Länder haben Gesetze gemacht, ande­ re nur Empfehlungen abgegeben und den Rest der Autonomie ihren Universitäten überlassen“.

Zehn Jahre nach der Einführung des BolognaProzesses an unseren Universitäten: Was hat er gebracht?

Dient Hochschulbildung Interessen von Wirtschaftsunternehmen? Das Wort Beschäftigungsfähigkeit (employ­ ability) stößt der ÖH-Vorsitzenden Janine Wulz sauer auf. „Die Hochschulbildung wird damit an die Interessen von Wirt­ schaftsunternehmen gekoppelt“, sagt sie. „Bildung wird zunehmend als Ware be­ trachtet.“ Das Interesse der Wirtschaft an

„Für Bachelor-Absolventen gibt es zur Zeit kaum Karriereperspektiven“ M ar t ha E c k l , B i l d u n g s e x p ert i n be i d er

Janine Wulz, ÖH-Vorsitzende: „Hochschulbildung wird an die Interessen von Unternehmen gekoppelt.“

W i e n er A rbe i ter k a m m er

Bachelors hält sich indes noch in Grenzen. „Für Bachelor-Absolventen gibt es zur Zeit kaum Karriereperspektiven“, sagt Martha Eckl, Bildungsexpertin bei der Wiener Ar­ beiterkammer. „Wenn man sich Stellenaus­ schreibungen ansieht, wird kaum explizit nach Bachelors gefragt.“

Für Richter, Arzt und Unilehrer gilt kein Bologna-Prozess Heinz Mayer, Jurist und Dekan an der Uni Wien: „Ein Jus-Bachelor hätte am Markt praktisch keine Chancen gehabt.“

… aber in Österreich ist er mittlerweile Gesetz Österreich machte Gesetze. Vor allem mit dem Universitätsgesetz von 2002 sollten die heimischen Hochschulstudien Bolognakonform werden. Von nun an musste jeder neu zugelassene Studienplan einer ZweiStufen-Logik entsprechen: Ein Bachelor­ studium mit einer Durchschnittsdauer von drei Jahren, darauf aufbauend ein zweijäh­ riger Master. In der Bologna-Deklaration ist die Rede von einem ersten Studienzy­ klus, der zu einer Beschäftigung am euro­ päischen Arbeitsmarkt befähigen soll, und einem zweiten Zyklus für die Spezialisie­ rung innerhalb des Faches. Später kam als dritter Zyklus das Doktoratsstudium hin­ zu, erst dort wird wissenschaftliche Tätig­ keit als Zielsetzung genannt. Was international längst Standard ist, stellt für Österreich eine „Kulturrevoluti­ on“ dar, sagt Arthur Schneeberger, Bolo­ gna-Experte am Institut für Bildungsfor­ schung der Wirtschaft. „Im deutschspra­ chigen Raum hat man immer sehr lange

Studien gepflegt und abgehobene berufli­ che Positionen mit diesen Titeln verbunden. Jetzt geht man davon aus, dass es für den Bachelor reicht, breit kompetent zu sein, so­ dass er in Berufsfelder einsteigen und sich bewähren kann.“

Bernhard Wundsam, Chef von uniport: „Der Bachelor entspricht der Kompetenzvielfalt, die heute gefragt ist.“

Wichtige Studienrichtungen haben den Bo­ logna-Prozess bis jetzt nicht mitgemacht. „Berufe wie Richter, Arzt oder Hochschul­ lehrer sind nicht berührt“, stellt der Bil­ dungsforscher Arthur Schneeberger fest. „Betroffen sind vor allem viele nicht voll professionalisierte Studien von der Thea­ terwissenschaft bis zur Theoretischen Phy­ sik. Dass diese Ausbildungen arbeitsmarkt­ relevant sind, ist eine Behauptung, die erst einmal eingelöst werden muss.“ Bernhard Wundsam, Geschäftsführer des Karriereportals „uniport“ der Univer­ sität Wien, sieht einen frühen Erstabschluss dennoch als Chance für mehr Flexibilität auf dem Weg ins Arbeitsleben. „Ich muss mir nach dem dreijährigen Grundstudi­ um immerhin zwangsläufig die Frage stel­ len: Soll ich weitermachen, aussteigen oder mich neu orientieren? Das entspricht auch stärker der Kompetenzvielfalt, die heute am Arbeitsmarkt gefragt ist.“

Finden Bachelor entsprechende Arbeitsplätze? Arthur Schneeberger, Bildungsforscher: „Betroffen sind vor allem viele nicht voll professionalisierte Studien.“

„uniport“ führt regelmäßig Studien durch, um die Karrierewege von Absolventen nach­ zuverfolgen. Quantitativ sieht es nicht so schlecht aus: Die Mehrheit der BachelorAbsolventen würde innerhalb eines Monats nach Studienabschluss Arbeit finden. „Aber

ob die auch der fachlichen Ausbildung ent­ spricht, ist eine ganz andere Geschichte“, sagt Wundsam. Rund die Hälfte der Bache­ lorabsolventen aus Publizistik zum Beispiel findet sich einer Umfrage zufolge in fach­ fremden Jobs wieder. „Der Bologna-Prozess war eine Kopfge­ burt der Bildungsminister. Die Unis wur­ den viel zu wenig eingebunden“, sagt Heinz Mayer, Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Uni Wien. „Die meisten un­ serer Absolventen gehen in regulierte Beru­ fe, und die legen Wert auf gut ausgebilde­ te Volljuristen. Ein Jus-Bachelor hätte am Markt praktisch keine Chancen gehabt. Wir schicken die Leute ja in eine Sackgasse!“ Die Einführung eines Bachelor-Studi­ ums, so Mayer, hätte auch intensive fach­ liche Diskussionen innerhalb der Fakultät erfordert. „Die Frage ist: Was unterrichte ich im Grundstudium? Was wirft man hin­ aus?“ Nicht wenige Studienrichtungen hät­ ten sich notgedrungen die Debatte erspart und das Grundstudium mit den Inhalten des alten Studienplanes „vollgestopft“. So sind viele Bachelorangebote praktisch nicht in Mindestzeit studierbar, ein Auslandsauf­ enthalt geht sich schon gar nicht aus. „Es ist ja absurd“, sagt Gottfried Bacher vom Wissenschaftsministerium. „Das Ziel von Bologna, die Mobilität zu steigern, ist völ­ lig ins Gegenteil umgeschlagen.“

Kaum Anerkennung von Auslandsstudien Auch die gegenseitige Anerkennung von Studieninhalten zwischen den Unis ist schwierig geblieben. Die Beratungszen­ tren der ÖH sind voll mit Studierenden, die Lehrveranstaltungen von anderen Unis entweder gar nicht oder nicht im vorgese­ henen Umfang angerechnet bekommen, er­ zählt Janine Wulz. Auch für Gottfried Ba­ cher sind die Defizite offensichtlich. „Als wir uns überlegt haben, wie man ein Aus­ landsstudium anrechnen könnte, sind wir zu der schockierenden Erkenntnis gekom­ men: Das funktioniert ja nicht einmal in­ nerhalb Österreichs!“ Die Barrieren sind laut Bacher vor allem in den Köpfen zu suchen. „So mancher Professor agiert nach dem Muster: Was ich nicht unterrichtet habe, das erkenne ich auch nicht an.“ Inzwischen nehmen 47 Staaten am Bo­ logna-Prozess teil; seit der ersten Deklara­ tion fanden regelmäßig Treffen statt, zuletzt im April dieses Jahres in Bukarest. Auch Kurskorrekturen sind zu bemerken: Janine Wulz von der ÖH hebt etwa hervor, dass in letzter Zeit die soziale Absicherung der Stu­ dierenden stärker im Fokus stehe. In Ös­ terreich vermisst sie ein klares Bekenntnis der Politik zum Bildungssektor: „Man kann nicht die Akademikerzahlen erhöhen wol­ len und gleichzeitig Knock-out-Prüfungen einführen – oder die Familienbeihilfe kür­ zen und trotzdem glauben, dass mehr Stu­ dierende ins Ausland gehen.“

F o t o s : F r a n z H e l m r e i ch , u n i p o r t , U n i v e r s i t ä t W i e n , p r i va t

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m Jahr 1999 trafen sich 29 europäi­ sche Bildungsminister in der italie­ nischen Stadt Bologna und träumten den Traum von einer gemeinsamen europäi­ schen Hochschullandschaft. Der sogenannte Bologna-Prozess begann in Österreich vor allem mit dem Universitätsgesetz 2002.


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Mehr Frauenpower für die Forschung BMVIT-Förderungen als Sprungbrett für Frauen in der Forschung

M

Grund genug für das Innovationsministerium, den Einstieg von Frauen in Forschungsberufe geFrauen bringen wertvolle neue zielt zu forcieren. Das BMVIT hat ein Förderpaket in der Höhe von 7,7 Mio. Euro geschnürt. Es unterstützt Maßnahmen von der Nachwuchsförderung bis zur Jobdatenbank. Außerdem setzt das Paket eine klare Prämisse: Wer Frauen fördert, hat bessere Chancen auf Forschungsförderung. Das bedeutet, die Forschungsförderungsgesellschaft FFG nimmt in ihren Bewertungskatalog für Projektanträge Gender-Kriterien auf. Mehr Chancengleichheit bringt auch die Unterstützung talentierter NachwuchsforscherInnen. Jedes Jahr erhalten 1500 SchülerInnen die Möglichkeit, bei einem einmonatigen Sommerpraktikum die Welt der Forschung kennenzulernen. Letztes Jahr waren mehr als 30 Prozent Mädchen in den Nachwuchsforscherteams, was

Innovationsministerin Doris Bures fordert mehr Frauen in der Forschung

Foto: Sergej Khakimullin/shutterstock.de

ann ist Forscher – von wegen. Aber natürlich ist der Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) traditionsbedingt noch immer eine Männerdomäne. Das soll sich ändern, auch in der Forschung ist mehr Frauenpower gefragt. Denn für Frauen bietet der F&E-Bereich nicht nur ein interessantes Tätigkeitsfeld, sondern auch Karrierechancen und Aussicht auf ein besonders gutes Einkommen. Und laut einer WIFOStudie erwarten fast zwei Drittel der Unternehmen im naturwissenschaftlich-technischen Sektor eine steigende Beschäftigung.

Impulse in die Forschung angesichts einer 15-prozentigen Frauenquote in forschenden Unternehmen besonders erfreulich ist. Frauen sollen aber nicht nur vermehrt in die Forschung einsteigen, es soll auch der Anteil an weiblichen Fachkräften in leitenden Positionen erhöht werden. „Das Argument, es gibt keine Frauen für diese Funktion, ist alt, aber schon lange nicht mehr wahr“, stellt Innovationsministerin Doris Bures klar. Im Infrastrukturministerium gibt es eine Expertinnendatenbank, wo 1300 Expertinnen aus dem Bereich Naturwissenschaften und Technik eingetragen sind. Diese Datenbank ist eine Dienstleistung für alle, die Wissenschaftlerinnen und Expertinnen suchen.

Förderungen für Frauen in der Forschung

• FEMtech Karriere: Gefördert werden Projekte in F&EUnternehmen, die Chancengleichheit in der Praxis umsetzen.

Technik eintragen. • Netzwerktreffen: Regelmäßige Veranstaltungen, um Informationen aus dem Bereich Forschung und Entwicklung auszutauschen.

Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) setzt gezielt Maßnahmen, um den Frauenanteil im Bereich F&E stärker zu forcieren. So können junge Frauen eine vielversprechende Karriere starten:

• Die Österreichische Jobbörse für Forschung, Entwicklung und Innovation: eine kostenlose und einfache Möglichkeit, um online interessante Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung zu finden.

Alle weiteren Informationen finden Sie unter: www.ffg.at/talente

• Forschungspraktika für Studentinnen: Studentinnen bekommen die Möglichkeit, in einem qualitativ hochwertigen Forschungs- und Entwicklungsbetrieb zu arbeiten.

• Expertinnendatenbank: Hier können sich Wissenschaftlerinnen verschiedenster Fachgebiete im Bereich Naturwissenschaften und


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Gedicht F e l i x P h i l i pp I n g o l d

Felix Philipp Ingold (geb. 1942 in Basel) arbeitet in Zürich und Romainmôtier. Für sein umfangreiches literarisches Werk und seine Übersetzertätigkeit u.a. mit dem Petrarca-Preis (1989) und dem Ernst-Jandl-Preis (2003) ausgezeichnet. „Russische Wege. Geschichte, Kultur, Weltbild“ (2005), „Faszination des Fremden. Eine andere Kulturgeschichte Russlands“ (2009), „Gegengabe“ (2009), Steinlese. Zweimal 33 Gedichte“ (2011) und „Als Gruss zu lesen. Russische Lyrik von 2000 bis 1800“ (2012)

Dies ist das Paradies! Wo der Mehrwert abfällt von der Zahl Wo die Einsamkeiten deutlicher (am deutlichsten) zu hören sind. Wo jede Zeile des Sonetts mit einem Wo beginnt. Mit Wogen von gestern und Worten von morgen. Wo’s die Nächte ohne Jalousien machen und der Tag das Licht vergisst. Wo Scham und Gier sich mögen. Wo nichts nicht gerächt ist und keine Wirklichkeit nicht eingeübt. Wo Luxus mal flackert mal zagt und nie-nie eine Summe bringt. Wo jeder Fall Flug ist. Wo jeder sich selbst seinen Strauch baut fürs richtige Feuer. Wo keine Wahrheit nicht ihr eigenes Buch hat. Wo die Völker – alle – strammstehn im Schlaf und nicht mehr auf Erlösung warten ist das Paradies. Und aber wer hier wem die Augen löscht bleibt offen.

Er ich K lein

Aus: Felix Philipp Ingold: Steinlese. Zweimal 33 Gedichte onomato Verlag, Düsseldorf 2011

Rätsel von Gaja Waagrecht: 1 Ob in der Geologie oder in der Physik – eine singuläre Erscheinung (ein oder zwei Wörter) 7 Euler’sche Taschenrechnertaste 8 Spielerisch erweitertes Kartenkontingent 9 Volksbezeichnung unter politisch korrekten Cowboys 10 Ran an die Spitze der Mast-Richtkriterien – aye, aye, Käpt’n! 11 Macht den Dr. praxistauglich 13 Auf höchster finden Gipfel statt 15 Altväterisches zwischen glauben und wissen 16 Ein kleines Stück Heimat im www 17 Ablage für Bitsteller, hat immer Format 19 Topografische Analogie zum Silicon Valley? 20 Realitätsnah im Fernsehen 21 In Top-Ruhelagen in Stein gemeißelt (Abk.) 24 Togagröße 40? 26 Damit kommt die Rettung in höchster (!) Not 27 War zu Beginn nur so eine Art Studentenverbindung 29 Virtueller Feind Senkrecht: 1 Uni-Form für Spezialkräfte 2 Neo-Neuerung 3 Oft Grundlage für Studentenfutter 4 Steht jede Woche sechs Mal im Kalender 5 Auch im Vor-Schul-Bereich von grundsätzlicher Bedeutung 6 Die bleiben bis Ladeschluss in Bewegung 12 Zehent in Maßen 14 Sorgt für Schlägerei in der Disco? 16 Diese Zugabe gibt’s, wenn die Chemie nicht ganz stimmt 18 Magisches aus dem Saftladen 22 Der Fuß hält den Ballen flach 23 Da wird dem Gott ein Riegel vorgeschoben 25 Überbleibsel vom Straßenabschnitt 28 Leuchtet kurz auf, wenn Karnickel durch den Metalldetektor hoppeln??

Lösungswort:

Auflösung aus Falter HEUREKA 2/2012. Lösungswort: KNOTENPUNKT Waagrecht: 1 PROJEKTE, 8 FERNROHR, 9 ENG, 10 BLEI, 11 REAL, 13 LOK, 14 DENKBAR, 15 BEL, 17 SOS, 19 KOMA, 20 TEAM, 21 ALT, 22 WAS, 23 IGITUR, 25 RHO, 27 KENNWORT, 29 EU, 30 MENUE; Senkrecht: 1 PFERDESTAERKE, 2 RENEE, 3 ORGANISATION, 4 ERB, 5 KOLLABORATION, 6 THEOREM, 7 ERIK, 12 LKW, 16 LAP, 18 OEL, 22 WITWE, 24 RETE, 26 HEU, 28 RU

Was am Ende bleibt Sauabstechen im Herbst erich klein

Eine Kindheitserinnerung aus den Sechzigerjahren, als noch zwei oder drei Mal im Jahr eine Sau abgestochen wurde. Ein besonderer Tag, nicht nur im Leben des Schweins. Wenn das Tier aus seinem Stall geführt wird, macht sich das Kind meist aus dem Staub, um das gellende Schreien des Schweins nicht hören zu müssen, das zu verstehen scheint, was kommt. Der an der Stirn der Sau angesetzte Schussapparat wird mit einem harten Stoß ausgelöst – ein Zucken durch den weiß-rosa Körper, die Beine strecken sich, es fällt seitlich um. Akkurate Handgriffe folgen: Ein Schnitt durch die Gurgel, dunkelrot perlendes Blut schießt aus dem Hals, spritzt dampfend auf den Boden und auf die Gummistiefel der umstehenden Männer. Das Schwein wird in den Trog gehievt, mit kochendem Wasser übergossen und mithilfe einer Kette mehrmals gedreht. Dann beginnt der Schlachter mit einem scharfgeschliffenen Messer die Borsten abzuschaben. Der Länge nach geteilt hängen zweihundertfünfzig Kilo Schweinefleisch auf einem Holzgestell. Der Hauptteil des Sauabstechens ist das Zerteilen des Fleisches auf handliche, fast kochfertige Größe – Schnitzel, Schopfbraten, Karree. Das Verpacken in Plastiksäckchen muss schnell gehen – Kühltruhen konnte man sich erst in den Siebzigerjahren leisten. Bis dahin gab es in österreichischen Dörfern genossenschaftliche Kühlhäuser. Praktisch alles vom Schwein wird verarbeitet – der spektakulärste Vorgang ist das „Auslassen“ des Specks. Stundenlang schneiden die Frauen Speckschwarten bis auf Würfelgröße zusammen, das ganze wird gekocht. Ergebnis sind die Grammeln (der Eiweißrest des Specks) und siedendes Fett, das in riesige Behälter umgefüllt wird. Abgekühlt ergibt es Tage später makellos weißes Schmalz. Aufgekochtes Blut wird in penibel gesäuberten Schweinsdärmen zu Blutwurst, Innereien wie Hirn oder Leber werden am Tag des Sauabstechens oder nächsten Tag gegessen. Im Waldviertler Dorf, von dem hier die Rede ist, verging im Herbst keine Woche, in der nicht von zwei, drei Bauern abgestochen wurde. So war es seit Jahrhunderten, bis in den Neunzigerjahren die Hausschlachtungen verschwanden. Weil es kaum mehr Schweinehaltung gibt, die Arbeit anstrengend, Fleisch im Supermarkt billig ist und EU-Vorschriften kompliziert sind. Die Erinnerung daran mutet wie ein ethnografischer Bericht über eine aus Europa verschwundene Welt an.


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Die Zukunft wartet nicht. Deshalb müssen wir schneller sein. Wir gehen neue Wege. Mit Antworten für nachhaltige Mobilität.

Wir wollen immer schneller, immer komfortabler und immer einfacher von A nach B gelangen. Nicht nur in den Städten, sondern auch über Länder und Grenzen hinweg. Wir sind in Bewegung. Veränderung gehört zum modernen Lebensstil. Die Konsequenzen: Energie-verbrauch und CO2-Belastung steigen. Mit entsprechenden Folgen für unser Klima.

Zum Beispiel der „railjet“ der Österreichischen Bundesbahnen. Der „railjet“ stammt – wie auch die Niederflurstraßenbahn ULF – von Siemens. Entwickelt und gefertigt im weltweiten Siemens Headquarter für Metros, Coaches und Light Rail in Wien. Und weltweit vorbildlich und führend in Qualität, Komfort, Design, Energie-Effizienz und Umweltverträglichkeit.

Die Antwort? Zukunftsweisende Konzepte für eine nachhaltige Mobilität. Dazu gehören intelligente Verkehrsinfrastrukturen und Kommunikationslösungen, die Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmer interaktiv miteinander vernetzen. Dazu gehört vor allem aber auch die konkrete „Hardware“ wie E-Cars und energiesparende Fahrzeuge für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

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