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HEUREKA Das Wissenschaftsmagazin

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ie Kinder stressgeplagter Mütter wachsen schneller – zumindest bei den Rothörnchen

Was Studentchen nicht lernt, lernt der Professor nie mehr: Wissenschaft verständlich zu machen Landwirtschaft ist sakrosankt Der Ökologe Josef H. Reichholf über echten ökologischen Wahnsinn

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Wissenschaftskommunikation. Wie bitte, was?

Warum tun sich die meisten Wissenschafter schwer, ihre Forschungen zu erklären? Ganz einfach deshalb, weil sie es bei uns nie richtig gelernt haben

ILLU S T R AT ION: G E R A LD H A R T W IG/ W W W. ZE IC HEN S T R IC H.DE

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2401/2013


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Inhalt

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Erforscht das Zellwachstum Manuela Baccarini Stimmversagen Und was Östrogen damit zu tun hat Gestresste Schwangere Und die Folgen für den Nachwuchs Im Münzkabinett des KHM Numismatik ändert Geschichtsbild

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Wissenschaftskommunikation Der Countdown zum Thema Boulevard & Wissenschaft Wie man richtig kommuniziert Wissenschaftskommunikation Das große Schweigen Journalismus versus PR Wer covert Wissenschaft besser?

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Wissenschaftsvermittlung und ihre Formen in Österreich Wissenschaftskommunikation: Glossar Vom Blog bis zur Wissenschaftssprache Landwirtschaft ist sakrosankt Gespräch mit dem Ökologen Josef. H. Reichholf Gedicht, HEUREKA-Rätsel, Kommentar Bücherverbrennungen

Kommentar

Editorial

Wissenschaftliches Publizieren Christoph Kratky

Gr afik: Tone Fink, foto: F WF/Wolfgang Simlinger

ommunikation ist in der WissenK schaft genauso wichtig wie der Erkenntnisgewinn an sich. Schlaue

Einsichten oder bahnbrechende Beobachtungen werden erst dann zur Wissenschaft, wenn sie der Community zur Kenntnis gebracht wurden. Da die modernen Wissenschaften ein weltweites Phänomen sind, sind auch die Prinzipien des wissenschaftlichen Publizierens in Europa dieselben wie in Amerika oder Asien. Allerdings gibt es sowohl fach- als auch länderspezifische Unterschiede. In den Natur-, den Lebenswissenschaften und der Medizin werden fast ausschließlich Zeitschriftenartikel publiziert – in Englisch. Publikationen in anderen Sprachen gibt es zwar noch, sie fristen aber bestenfalls ein Nischendasein. In den Geistes-, Kultur- und zum Teil auch in den Sozialwissenschaften werden hingegen vorwiegend Monografien in der jeweiligen Landessprache veröffentlicht. Die Gründe dafür sind vielfältig: In einigen Fachgebieten erwartet man nur eine nationalsprachige Perzeption, in anderen wird der Sprache eine weit über die reine Kommunikationsaufgabe hinausgehende Bedeutung zugemessen. Schließlich spielen auch historische und kulturelle Gründe eine Rolle. Neben der Informationsverbreitung spielt das wissenschaftliche Publizieren eine zentrale Rolle für die Karriereentwicklung. Bei jedem Karriereschritt ist die wichtigste Frage jene nach Quantität und Qualität der wissenschaftlichen Publikationen der in Frage stehenden Person. Das Kriterium „Qualität“ sollte die Signifikanz und Originalität der veröffentlichten wissenschaftlichen Ergebnisse widerspiegeln; in der Praxis begnügt man sich jedoch meist damit, das Renommee der Formate, der Verlage, bei denen die Ergebnisse veröffentlicht wurden, als Beurteilungskri-

terien heranzuziehen. Das führt in vielen Fachgebieten zu einer problematischen Überbewertung bibliometrischer Indikatoren. Aus der Diffusion wissenschaftlicher Erkenntnisse und Ergebnisse ist das Internet nicht mehr wegzudenken. Gedruckte Zeitschriftenartikel findet man immer weniger; das Internet ist im Vormarsch, mit dem Ergebnis, dass in den letzten Jahren die „Open-Access-Bewegung“ mit ihrer Forderung nach freiem Zugang zu sämtlichen wissenschaftlichen Ergebnissen einen

C h r i s t i a n Z i ll n e r

immensen Aufschwung genommen hat. Dies wird – ähnlich wie in der Musikindustrie – zu einer Änderung der Geschäftsmodelle wissenschaftlicher Verlage führen.

Finkenschlag Handgreifliches von Tone Fink

Christoph Kratky ist Präsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich FWF

www.tonefink.at

Weil ja bei vielen Zeitgenossen der Wunsch nach geordneten Verhältnissen herrscht und ein seltsames Sehnen nach Regimen aufkommt, die eine „ordentliche Beschäftigungspolitik“ machen, setze ich gern eine kurze Information über eben jenes Regime hin, das vielen unter uns offenbar immer noch am Herzen liegt. Sie soll auch ein bisschen Licht in deutsche Geldverhältnisse bringen. Das schlechte Gewissen, das man dort und hierzulande hat, weil sich Griechen, Irländer und andere Europäer bis zum Gehtnichtmehr einschränken müssen, damit unsere Banken unsere Einlagen garantieren können, kann mit ein bisschen Erinnerung vielleicht noch verstärkt werden. In der New York Review of Books schreibt Robert Kuttner: „Die Alliierten schrieben nach dem Krieg 93 Prozent der Schulden ab, die Nazideutschland angehäuft hatte. Schon 1939 betrug das Verhältnis in Deutschland von Schulden zu Bruttonationaprodukt 675 Prozent. In den frühen Fünfzigern hatte Deutschland durch den Schuldenerlass weniger Schulden als die meisten Alliierten. Dieser Akt makroökonomischer Gnade ist aus dem Gedächtnis der gegenwärtigen deutschen Austeritätspolizei verschwunden. Welche fiskalischen Sünden die Griechen auch immer begangen haben, die der Nazis waren viel schlimmer.“

Impressum Falter 22a/13 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Redaktion: Christian Zillner Fotoredaktion: Karin Wasner Produktion/Grafik: Reini Hackl Korrektur: Martina Paul Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.

HEUREKA ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Medienkooperation mit


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heureka

Aus Wissenschaft und Forschung Kopf im Bild Signale der Zelle verstehen Manuela Baccarinis Forschungsgruppe an den Max F. Perutz Laboratories, einem Joint Venture der Uni Wien und der MedUni Wien, hat einen neuen Mechanismus entdeckt, über den zwei Signalwege zur Steuerung von Zellwachstum und -überleben miteinander verknüpft sind und reguliert werden. „Unsere Arbeit zeigt, dass Botenproteine in der Zelle mehr Funktionen haben können, als man früher dachte“, erklärt die Professorin für Zelluläre Signalübertragung und stellvertretende Direktorin des Zentrums für Molekulare Biologie. „Manche dieser Funktionen sind völlig unerwartet und können Therapien, die Botenproteine stilllegen sollen, maßgeblich beeinflussen und im Extremfall sogar zum Scheitern bringen.“ Die im Fachjournal Molecular Cell publizierten Forschungsergebnisse liefern neue Ansatzpunkte für individuelle Krebstherapien. Als Koordinatorin des internationalen Doktoratsprogramms „Molecular Mechanisms of Cell Signaling“ ist die gebürtige Römerin besonders stolz auf ihre engagierte Arbeitsgruppe, die zur Gänze aus PhD- und Masterstudenten bestand. „Das bestätigt mich in meinem Bestreben, den wissenschaftlichen Nachwuchs auf höchsten Niveau zu fördern.“ T e x t : usc h i s o rz F o t o : kar i n wasner

Jungforscherinnen

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iese DoktorandInnen forschen im Rahmen des PhD-Programms des IMP (Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie) an grundlegenden Fragen der Biologie.

Johannes Grießner, 24, IMP und MedUni Wien

„Emotionen sind vielleicht der fundamentalste Teil unseres Selbst“, sagt Johannes Grießner. „Und immer noch ist unklar, wie Psychopharmaka, die wir einsetzen, um Emotionen zu steuern, neuronale Schaltkreise im Gehirn beeinflussen.“ Mit dieser Thematik beschäftigt er sich am Beispiel der Erweiterten Amygdala. An seiner Dissertation „Genetische Untersuchung von Angstschaltkreisen und deren Beeinflussung durch

­ sychopharmaka“ arbeitet P Johannes Grießner im Rahmen einer Kooperation der MedUni Wien mit dem IMP. Resultate könnten helfen, bessere Angriffspunkte für angstlösende Medikamente zu finden. „Ich lerne aber auch, wie einzelne Bausteine des Gehirns zusammenspielen, um etwas zu erzeugen, das wir als Gefühl wahrnehmen“, ergänzt er. „Noch vor wenigen Jahren hätte ich es mir nicht träumen lassen, einmal an so etwas Grundlegendem zu arbeiten.“ Juliane Tinter, 32, IMP und Uni Wien

Juliane Tinter interessiert, wie ­sensorische Reize im Gehirn verarbeitet werden und wie Wahrnehmung entsteht. „Es gibt ja zahlreiche Beispiele optischer oder akustischer

­Täuschungen, die zeigen, dass das Gehirn kein passiver Empfänger von Außen­ reizen ist, sondern aktiv interpretiert und formt, was wahrgenommen wird“, erklärt die Molekularbiologin. In ihrer Dissertation „Die Rolle des auditorischen Kortex bei der Wahrnehmung und dem Erlernen akustischer Reize“ vergleicht Juliane Tinter durch Geräusche erzeugte Hörerfahrungen von Mäusen mit Wahrnehmungen, die sie durch gezielte artifizielle Stimulation neuronaler Zellpopulationen der Hörrinde verursachen kann. „Ich möchte durch meine Forschungen Hirnleistungen besser verstehen, die es ermöglichen, sich in einer sich ständig ändernden Welt mit widersprüchlichen Reizen zurechtzufinden“, sagt Tinter.

René Ladurner, 30, IMP und Uni Wien

„Wenn ich Zellen am Mikroskop anschaue, bin ich fasziniert von der Präzision, mit der sich – ausgelöst durch einen unsichtbaren Impuls – ihre Chromosomen teilen“, sagt René Ladurner. In seiner Dissertation erforscht er die Grundlagen der Chromosomenkohäsion, die Chromosomen vom Zeitpunkt der DNA-Replikation bis zu ihrer Teilung zusammenhält. „Zusammen mit Forschern auf allen Kontinenten ein neues Puzzleteil dieses Prozesses aufzuklären, ist unglaublich herausfordernd.“ Um die Funktion der beteiligten Proteine zu verstehen, arbeitet er daran, diese zu visualisieren. „Dieses Verständnis soll eines Tages zu einem gezielten medizinischen Nutzen führen, denn Zellteilung ist auch maßgeblich an der Entstehung von Krebs beteiligt.“

Fotos: IMP(2), privat

U sc h i S o rz


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Aus Wissenschaft und Forschung Mathematik

Sport

Phoniatrie

Mit der Beweistheorie aus der Logik in der Mathematik das Unendliche ­­­ dar­stellen

Sinn und Bewegung: Die Symbolwirkung des globalisierten Sports auf die Gesellschaft

Versagt der Diva Stimme, ist Östrogen im Spiel

Uschi Sorz

Toni Innauer

Sonja Burger

er Brückenschlag zwischen Maeine Position ist die des PrakD thematik und Informatik lag bei M tikers, der seine philosophiStefan Hetzl nahe. „Schon als Kind sche Grundausbildung während seihat mich die virtuelle Welt der Computer fasziniert“, erzählt der 31-Jährige, der zunächst an der Wiener TU Informatik studiert hat. Weil er dabei aber bald feststellte, dass ihn die Theorie am meisten anzog, hängte er noch ein Mathematikstudium in Wien und Paris an. Sein heutiges Spezialgebiet ist die Logik. „Viel theoretischer geht’s wohl nicht“, lächelt er. „Sie ist ja sozusagen die Lehre vom Denken selbst. Man sollte allerdings nicht verges-

Fotos: Uni Gr az, privat

„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“ Stefan Hetzl, Mathematiker an der TU Wien

sen, dass die meisten Anwendungen auf Grundlagenerkenntnissen basieren. Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“ Denn eine solche sagt uns etwas Fundamentales über die Wirklichkeit. Seit April baut er an der TU Wien mit einer Förderung von 1,5 Mio. Euro eine Forschungsgruppe auf. Er ist einer der beiden Preisträger des „Vienna Research Groups for Young Investigators Call“ des WWTF-Schwerpunkts „Mathematik und …“. Hetzls Projekt zielt auf ein besseres Verständnis induktiver Beweise ab und könnte dadurch in der Softwareverifikation Anwendung finden. „Wenn man etwas über ein Computerprogramm aussagen will, muss man in irgendeiner Weise induktive Beweise verwenden“, erklärt er. Mittels der Theorie formaler Sprachen wie Computer- oder Programmiersprachen wird seine Gruppe induktive Beweise analysieren und dazu auch die Verbindung zwischen der Beweistheorie und der Theorie formaler Sprachen weiter ausbauen. Bei Computertests kann man in der Realität nur endlich viele Eingaben tätigen, während die Möglichkeiten unendlich sind. „Induktive Beweise erlauben es aber, mit endlichen Ausdrücken etwas über unendliche Objekte auszusagen“, sagt Hetzl.

ner Tätigkeit als Trainer, Sportmanager und Sportpolitiker nicht an den Nagel eines pragmatischen Zeitgeistes hängen wollte. Doch stößt Ambivalenz angesichts der kommerziellen Durchdringung des Sports bestenfalls bei kritischen Journalisten oder außenstehenden Beobachtern auf Interesse. Oft fühlt man sich als Spielverderber und irritiert eine verschworene Gemeinschaft von Sport, Wirtschaft und Medien. Der Zeitgeist im globalen Sport, etwa repräsentiert durch die Olympischen Spiele, hat die Wandlungen und Dynamik der Wirtschaftswelt mitvollzogen und bei einigen Aspekten sogar eine Vorreiterrolle übernommen. Mit der Bankrotterklärung alternativer Gesellschaftsmodelle Ende der Achtziger fanden sich hemmungslos entfesselter Kapitalismus und Vertreters „des Sieges um jeden Preis“ im Sport. Der globale Sport, geprägt vom Fußball mit Fifa und UEFA, ist untrennbar mit Wirtschaft und Medien verschachtelt, keine Rede mehr von „Eigenweltcharakter“. Doch decken Unterhaltung, Ablenkung und Profit den Anspruch einer Gesellschaft an den Spitzensport ab – oder darf man mehr verlangen? Spitzensport und gerade die größten und steinreichen Institutionen könnten es sich leisten, nicht nur Spiegelbild und hochtouriger Motor einer fragwürdigen globalen Wirtschaftsdynamik zu sein, sondern ein Gegenentwurf für klug geregelten Wettbewerb. Ein Modell, in dem die Erfolgreichsten die Spielregeln nicht auf Kosten der Schwächeren umgehen. Die Gesellschaft braucht positive Modelle dafür, dass harte Wettbewerbe bei gegenseitigem Respekt durch Talent, Kreativität, Nervenstärke und Trainingsfleiß entschieden wird. Der Spitzensport könnte liefern: Gelebter Respekt unter Konkurrenten und freiwilliges Einhalten von Spielregeln als Sinnstiftung. Science Talk: Sinn und Bewegung. Toni Innauer, Karlheinz Töchterle und Gunter Gebauer, FU Berlin. 24.6. 2013, 19 Uhr. Aula der Wissenschaften, Wollzeile 27a.

Und bei älteren Männern? Testosteron hat keine Wirkung auf die Stimme – das Östrogen im Manne aber schon

T

agtäglich benutzen wir unsere Stimme. Wir schreien, flüstern oder hauchen Wörter und geben dabei auch unsere psychische Verfasstheit preis. Wie sie klingt, hängt von vielerlei ab und wandelt sich im Laufe des Lebens. Die Sexualhormone, vor allem das Östrogen, spielen dabei eine zentrale Rolle. Bei Burschen und Mädchen ist die hormonell bedingte Veränderung der Stimme ein Zeichen für den Übergang zum Erwachsenen. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Stimme auch während des weiblichen Zyklus und der Schwangerschaft gewissen Schwankungen unterliegt. „In den Tagen um die Menstruationsblutung kann sie weniger voll und sicher klingen. Speziell Berufssprecherinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen merken das“, erklärt Markus Gugatschka, HNO-Facharzt für Phoniatrie an der Klinischen Abteilung für Phoniatrie der Medizinischen Uni Graz. Diese hormonbedingten Schwankungen werden auch als „Pre-Menstrual Vocal Syndrome“ bezeichnet. Schon im 19. Jahrhundert war bekannt, dass Sängerinnen dann pausieren sollten, um das Risiko einer Stimmstörung zu verringern. Bei Frauen verändert sich die Stimme noch einmal in den Wechseljahren und wird tiefer. Die Fachleute gingen davon aus, dass Männer davon nicht betroffen sind. Wie sich rückblickend zeigt, befand man sich

mit dieser Annahme auf dem sprichwörtlichen Holzweg. Was passiert bei Männern zwischen 50 und 60 mit der Stimme – und womit hängt das zusammen? „Zuerst dachten wir, dass ein besonders niedriger Testosteronspiegel die Stimmänderung verursacht“, berichtet Gugatschka. Im Rahmen einer Studie brachten die Forscher dann Überraschendes ans Licht: Zwar spielt Testosteron beim Alterungsprozess des Mannes eine wichtige Rolle, wirkt sich aber nicht auf die Stimme aus. Dafür hatten jene Männer, deren Östrogenspiegel im unteren Drittel war, eine um rund elf Hertz höhere Stimme als diejenigen mit ­normalem Hormonspiegel. Welche Schlüsse zog man daraus? Offenbar kann das als „Greisendiskant“ bekannte Phänomen, wobei die männliche Stimme mit zunehmendem Alter (um die 80) brüchig und höher wird, früher auftreten. Ist der Mann noch berufstätig, etwa in einem Beruf, wo eine leistungsfähige Stimme notwendig ist, kann das die Lebensqualität beeinträchtigen und das Entstehen von Stimmstörungen begünstigen. Um dem vorzubeugen, empfiehlt Elke Brunner, Logopädin an der Medizinischen Universität Graz, das Bewusstsein für die individuelle Leistungsfähigkeit der Stimme schon früh zu schärfen und auf „die unterschiedliche Belastbarkeit in den Lebensphasen Rücksicht zu nehmen“.

„In den Tagen um die Menstruationsblutung kann die Stimme weniger voll und sicher klingen.“ Markus Gugatschka, Facharzt für Phoniatrie an der Med-Uni Graz


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Aus Wissenschaft und Forschung Biologie

Dissertationen

Brief aus Brüssel

Kinder gestresster RothornMütter wachsen schneller

Emily Walton

Das Gemeine Rothörnchen lebt in den Wäldern Nord­ amerikas und sieht den hiesigen Eichhörnchen ähnlich

Neues Förderungs­ programm für Doktoranden an der Universität Wien: uni:docs

Jochen Stadler

Uschi Sorz

denden Rothörnchen-Müttern bekam hingegen Vogelgezwitscher zu hören. Bei den schwangeren Tieren, die sich von großer Konkurrenz umgeben glaubten, konnte Rupert Palme vom Department für Biomedizinische Wissenschaften der Veterinärmedizinischen Universität Wien höhere Mengen an Stresshormonen (Glukokortikoiden) nachweisen. Ihre Sprösslinge wuchsen schneller, obwohl sie nicht mehr Futter bekamen. Dasselbe galt für die Jungen von Rothörnchen, denen sie während der Schwangerschaft solche Hormone ins Futter mischten. „Stresshormone haben oft einen schlechten Ruf, aber dies ist ein gutes Beispiel, dass sie wichtig für Organismen sind, um eine ernste Situation zu überstehen“, erklärt Palme. Freilich sei es weniger gut, wenn die ­Dosis zu hoch ist oder man unter Dauerstress steht. So hat auch der Hormonschub im Mutterleib Spätfolgen für die Jungen, denn sie werden nicht so alt wie Tiere, die in ihrer Jugend gemütlich und ohne großen Konkurrenzdruck gewachsen sind. Deswegen sei es wichtig, dass die Mütter ihre Sprösslinge nicht immer stressen, so Palme. „Wenn es nicht so viele Rothörnchen gibt, ist es besser, man wächst gemütlich und lebt länger, dann hat man sowieso sein Revier sicher“, sagte er.

Wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft gestresst waren, wachsen sie schneller, allerdings leben sie auch kürzer als nicht gestresste Tiere

ür eine wissenschaftliche KarrieF re braucht es einen langen Atem und eine starke Motivation. Gut also,

wenn eine Förderung für ambitionierten Nachwuchs genau da ansetzt, wo Forscherpersönlichkeiten es wirklich brauchen können: bei ihren individuellen Interessen und dem ökonomischen Background, um ihrer wissenschaftlichen Neugierde bei der Doktorarbeit ungebremst nachgehen zu können. Auf diese Weise will das neue Programm uni:docs der Universität Wien ab heuer jährlich 25 exzellenten Doktoranden aller Disziplinen die ersten Schritte in den internationalen Wettbewerb ebnen. Für das aufwendige mehrstufige Auswahlverfahren gab es bei der ersten Ausschreibung, die Mitte März endete, über 200 Bewerbungen. „Kernstück von uni:docs ist die individuelle Dissertationsvereinbarung“ Heinz W. Engl, Rektor Uni Wien

uni:docs ergänzt bereits erfolgreiche Förderschienen wie die Doktoratskollegs des FWF und richtet zudem das Augenmerk – abweichend von den stukturierten, themengeleiteten Dissertationen – auf individuelle, interessengeleitete Doktoratsprojekte mit wesentlich mehr Freiheit bei der Themenwahl. Damit kommt das Programm den speziellen Bedürfnissen jener entgegen, die sich schon früh zur Wissenschaft berufen fühlen. Mit diesem Ansatz ist die Uni Wien in Österreich bislang Vorreiter. „Kernstück ist die individuelle Dissertationsvereinbarung“, so Rektor Heinz W. Engl. „Sie legt die Rechte und Pflichten eines early stage reseachers fest.“ uni:docs-Doktoranden sind drei Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiter angestellt, statt Doktoreltern haben sie mehrere Betreuer. Das Konzept: wissenschaftliche Talente gezielt zu fördern und ihnen zu helfen, ihre Kompetenzen in Forschung und Lehre zu erweitern sowie ihre Fähigkeit zur Wissenschaftskommunikation zu entwickeln.

fachen möchte, und zwar, indem Dokumente (Geburts-, Heiratsurkunden oder Meldezettel) künftig EUweit anerkannt werden. Vielleicht soll es irgendwann sogar standardisierte, mehrsprachige Formulare geben, die nationale Urkunden ersetzen. Eine Neuregelung der Dokumente. Das mag auf Anhieb nicht besonders sexy klingen, auch könnte der eine oder andere sich fragen, was daran „lebensvereinfachend“ ist. Zur Veranschaulichung daher ein paar selbst erlebte Beispiele: Als ich (gebürtige Engländerin, seit 20 Jahren in Österreich) im Vorjahr einen Österreicher heiraten wollte, verlangte der Standesbeamte Meldezettel, Pass, Geburtsurkunde. Ich hatte die Dokumente ordentlich zurechtgelegt und überreichte ihm meine Klarsichthülle. Er zog meine Geburtsurkunde, ein quadratisches Schriftstück, heraus. Zugegeben, meine Geburtsurkunde ist schon etwas verblichen. Sie ist immerhin 30 Jahre alt. Der Standesbeamte hielt das Dokument hoch und runzelte die Stirn. Er sagte etwas von „Kaszettel“ und dass dieser „Wisch“ wohl beim besten Willen keine Geburtsurkunde sein könne. Aber es war nicht das Urteil des Beamten, das zählte, sondern die offizielle Beglaubigung: die Apostille. Ich musste meine Urkunde (das Original!) nach England schicken, zudem einen Betrag von rund 60 Euro überweisen und dann zittern, ob ich das Schriftstück je wiedersehen würde. Es klappte, ich bekam den roten, siegelähnlichen Aufkleber. Die zuständigen Stellen haben Übung: jährlich werden 1,4 Millionen Dokumente in der EU beglaubigt. Zurück also zum Standesbeamten, der mir nun endlich erlaubte zu heiraten. Kurz darauf mieteten wir eine Wohnung in Brüssel. Ein Konto musste eröffnet werden, um die Kaution zu hinterlegen. Doch: Kontoöffnung verlangt Meldebestätigung. Die österreichische. (Wie sollten wir denn eine andere haben?) Der Meldezettel wurde von Wien gefaxt, in Brüssel aber nicht anerkannt. Die Belgier glaubten, das Datum der Meldung, Juli 2010, sei der Tag, an dem wir uns in Wien abgemeldet hätten. Verwirrung auf der ganzen Linie, selbst der deutschsprechende Bankbeamte konnte lange nicht für Klärung sorgen. Eine vernünftige EU-weite Anerkennung von Dokumenten kann also allen nur Zeit und Nerven sparen. Und das Leben vereinfachen.

Fotos: dantzer, uni wien

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enn es im Wald gerammelt voll wird, haben schwangere Rothörnchen das Blut voller Stresshormone. Davon bekommen offensichtlich auch ihre Jungen in der Gebärmutter etwas ab, denn sie beeilen sich nach der Geburt mit dem Großwerden. Das erhöht ihre Chancen, trotz großer Konkurrenz den ersten Winter zu überstehen und das Erwachsenenalter zu erreichen, berichtet ein internationales Team mit österreichischer Beteiligung in der Fachzeitschrift Science. Das Gemeine Rothörnchen lebt in den Wäldern Nordamerikas und sieht den hiesigen Eichhörnchen ähnlich. Es futtert am liebsten Fichtenzapfen. Sind im Herbst genügend davon vorhanden, wimmelt es im Frühling darauf nur so von Rothörnchen. Die Jungen, die nun geboren werden, müssen sich besonders schnell behaupten: Wenn sie bis zum Winter kein eigenes Revier erobert haben, haben sie keine Chance, ihn zu überleben. Forscher um Ben Dantzer von der Michigan State University (USA) spielten einer Gruppe von schwangeren Rothörnchen per Playback das Geräusch vor, mit dem die Nager ihre Revieransprüche geltend machen: ein Rattern, das an die Ratschenkinder zur Osterzeit erinnert. Damit gaukelten sie ihnen dicht gedrängte Umstände vor. Eine Kontrollgruppe von wer-

ie EU-Kommission hat dieser D Tage verkündet, dass sie das Leben der europäischen Bürger verein-


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Aus Wissenschaft und Forschung Urgeschichte & Gendertheorie sowie Numismatik

„I do this because I like it“ Timothy Taylor, Professor für Urgeschichte des Menschen an der Uni Wien, und sein weibliches Alter Ego Krisztina Tautendorfer Us c hi S o r z

m Elfenbeinturm wird man Timothy TayIoretiker, lor, Urgeschichteforscher und Genderthebestimmt nicht antreffen. „Wenn

ich über die Kunst und das Theater des Paläolitikums rede, liegt es für mich nahe, selbst auch Theater und Kunst zu machen“, erklärt er seine Haltung, sich vielfältigen Einflüssen zu öffnen und diese in sein Leben und wissenschaftliches Werk einfließen zu lassen. Eines seiner Kernthemen sind Identitäten. Als

Urgeschichteforscher betrachtet Taylor das Leben der Menschen, ihre Riten, ihre Abhängigkeit von Material über eine lange Periode. Geschlechterrollen seien seit Urzeiten Konstrukte und teilweise austauschbar, ist er überzeugt. Dementsprechend ist der Brite ein vehementer Gegner essenzialistischer Betrachtungsweisen, die Männer und Frauen auf ihr biologisches Geschlecht festlegen. ­Darüber publiziert er in akademischen Schriften genauso wie in populärwissenschaftlichen Büchern (The Buried Soul, Prehistory of Sex, The Artificial Ape). „Wissenschaft hat die Pflicht, einen weiten Blick auf die Welt zu werfen und der Öffentlich-

keit zu kommunizieren, was wichtig ist“, sagt Taylor, seit November Professor an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Gemeinsam mit seiner Frau gibt er das Journal of World Prehistory heraus. „Innerhalb eines bestimmten Spektrums kann man Identitäten ändern …

… Ich bin auch als Krisztina Tautendorfer ich, das ist keine Schizophrenie.“ Tim Taylor, Urgeschichte- und Genderforscher, Uni Wien

Über die Konstruktion von Identitäten spricht

der 52-Jährige nicht nur, sondern entwickelt auch gleich seine eigenen, die er bei Tagungen oder Kunstperformances nach außen trägt. Die Auffallendste davon ist sein weibliches Alter Ego Krisztina Tautendorfer. So hat Taylor/Tautendorfer in den letzten Jahren an drei von Hans Ulrich Obrist organisierten „Marathons“ in London teilgenommen, zu denen der renommierte Kurator regelmäßig an die 50 Künstler und Intellektuelle einlädt, um Arbeiten zu einem bestimmten Thema zu zeigen. Obwohl jedes Detail der Auftritte wohlüberlegt ist, geht es Taylor nicht darum, lediglich Crossdressing zu präsentieren, sondern um das offene Spiel mit Möglichkeiten und das Ausloten von Grenzen. „Natürlich ist nicht alles machbar“, betont er. „Genauso wenig, wie ich Essenzialist bin, bin ich

so relativistisch wie manche Queertheoretiker.“ Als Vater könne er zum Beispiel nicht Nicht-Vater sein. „Es geht mir nicht um Lösungen, sondern um Entdeckungen. Ich mag den Prozess.“ Eine fix und fertige Theorie, die eindeutig zu Menschenleben passt, gebe es sowieso nicht. Provokation – ganz im Sinne seines Inspi-

rators Ludwig Wittgenstein – liebt Taylor. „Wittgenstein provokes me to think“, sagt er. „Lehrveranstaltungen hat er als Abenteuer gesehen und seine Ideen dabei lebendig entwickelt.“ So möchte er seine Vorlesungen – derzeit etwa zu „Tod, Gender und Identität in der Urzeit“ – auch gestalten. Wie sein Idol ist er der Meinung, dass Deutungen in Relation zum Kontext stehen müssen. Oder, wie Krisztina Tautendorfer in ihrer „Memory Marathon“-Performance in der Londoner Serpentine Gallery mit den Worten des Philosophen unterstreicht: „Auf die Denkbarkeit kommt es uns hier an, nicht auf die Wahrscheinlichkeit. Verstellen ist ja eben nur ein besonderer Fall, nur unter besonderen Umständen können wir ein Benehmen als Verstellung deuten.“

Münz’ und Kunst machen Geschichte anschaulich Im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums ist eine bemerkenswerte Schau zu sehen Sonja Burger

F o tos: pr i vat, m a rg i t A . s c h m i d, s onja bu rg e r

M

ünzen üben auf Sammler wie Forscher eine besondere Faszination aus. Im Internet bestehen Foren, wo sich Sammler, Händler und Numismatiker austauschen. Fotos von Münzen werden online gestellt und oft folgt eine fachkundige Antwort, meist sogar inklusive geografischer und zeitlicher Angaben. Für viele Laien mutet dieses Gebiet dennoch antiquiert an und so zählen die Münzkabinette von Museen oft zu deren unattraktivsten Bereichen. Dabei lässt sich über die wissenschaftliche Bestimmung von Münzen die Geschichte, Kunst und Ökonomie von Gesellschaften sehr gut rekonstruieren.

Mehr Forscher sehen mehr Die wissenschaftliche Vorgangsweise, speziell die Methodik und die Deutung dessen, was auf den Münzen zu sehen ist, wurde laufend verbessert und die Interdisziplinarität gewinnt ständig an Bedeutung. Für den Numismatiker Matthias ­Pfisterer vom Kunsthistorischen Museum Wien war der Blick über die eigenen Fachgrenzen eine lehrreiche Erfahrung. Das Thema sei-

„Münzfunde waren damals wie heute die einzige Chance, Herrschaftsstrukturen zu rekonstruieren, da Münzen überall zu finden sind.“ Matthias Pfisterer, Numismatiker

nes vom FWF geförderten, mehrjährigen Forschungsprojekts ist die vorislamische Münz- und Geldgeschichte Pakistans und Nordwestindiens. Dies liegt in der Tradition des österreichischen Numismatikers ­Robert Göbl (1919–1997), einem Experten für die antike Münzprägung Mittelasiens. Darüber hinaus setzte Pfisterers Team erstmals auf intensive Kooperation, unter anderem mit dem Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien. Diese Interdisziplinarität und die präzisen Zeichnungen von den vorhandenen Münzen der Künstlerin Theresa Eipeldauer ermöglichten Pfisterer eine genauere und anschauliche Rekonstruktion der Herrschaftsstrukturen der iranischen Hunnen. Diese hatten ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. weite Teile Zentralasiens vom heutigen Usbekistan bis zu Teilen Indiens erobert und prägten die Geschichte dieser Region.

Das Bild der Hunnen revidiert Schon Göbl stand vor dem Problem, dass die historischen Quellen über die iranischen Hunnen entweder nur bruchstück-

haft existierten, oder eine negative Tendenz aufwiesen und die Hunnen als Barbaren darstellten. „Münzfunde waren damals wie heute die einzige Chance, Herrschaftsstrukturen zu rekonstruieren, da Münzen überall zu finden sind“, erklärt Pfisterer. Ihm genügte es aber nicht, sich die einzelnen Münzen anzusehen, er wollte die Ikonografie und Symbolik quasi „sezieren“. Unterstützt wurde er von Eipeldauer, die Zeichnungen für jedes wichtige Detail anfertigte. Anhand derer revidierte er die Annahme Göbls, dass viele der verschiedenen Porträts auf den Münzen einem einzigen Herrscher zuzuordnen sind. „Jetzt ist belegt, dass gleichzeitig, allerdings verteilt auf verschiedene Regionen, bis zu vier Herrscher regierten“, sagt der Numismatiker. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um die Geschichte dieser Hochkultur besser zu verstehen. In einer multimedialen Sonderausstellung im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums sind diese und andere neue Ergebnisse für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.


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Wissenschaftskommunikation

Der Countdown zum Thema carolin gier mindl

Aufrufe pro Monat hat der ­erfolgreichste ­Wissenschafts-Blogger im ­deutschsprachigen Raum, ­Florian Freistetter. Der österreichische Astronom und ­Heureka-Kolumnist (Seite 21) gewann 2012 den Deutschen IQ-Preis.

300 000

Interessierte werden Ende Juni bei „Effekte“, dem Festival der Wissenschaft, in Karlsruhe erwartet. Wissenschaftsfestivals boomen in Deutschland.

100 000

Menschen besuchten im letzten Jahr Österreichs größtes Wissenschaftsereignis, die „Lange Nacht der Forschung“. Dieses Forschungserleben der etwas anderen Art findet im Zwei-Jahres-Rhythmus statt und wird im April 2014 wieder veranstaltet.

21 000

Zeitschriften weltweit unterziehen eingesandte ­w issenschaftliche Artikel dem „Peer-Review“Verfahren. Dabei werden Beiträge von unabhängigen „Ebenbürtigen“ anonym begutachtet.

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Publikationen haben Österreichs Forscher von ­Jänner bis Oktober 2012 verfasst. Schweizer Wissenschafter publizierten dagegen fast doppelt so viele, nämlich 21. 796 Artikel.

10 000

Manuskripte reichen internationale Wissenschafter jährlich beim renommierten US-Magazin Science ein. Acht Prozent werden veröffentlicht.

2012

gewann der Biochemiker Didac Carmona „Famelab“, einen der größten internationalen Wissenschaftswettbewerbe. Der gebürtige Spanier forscht an der Karl-Franzens-Universität in Graz.

2001

veranstaltete die Universität Innsbruck erstmals eine ­„Junge Uni“, um Kinder für die Wissenschaft zu begeistern. Seitdem gibt es über 120 Kinder-Uni-Projekte in Europa.

1994

starb Sir Karl Popper. Der Philosoph plädierte für eine ­verständliche Wissenschaftssprache und übersetzte Texte von Jürgen Habermas und Theodor Adorno „fremdwörterfrei“ ins Deutsche.

1970

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deutschsprachige Wissenschaftsblogs gibt es ­mittlerweile. Blogs gelten als wichtigstes Instrument zukünftiger Wissenschaftskommunikation.

95

Prozent aller Studienergebnisse in psychologischen ­Magazinen sind positiv. Positive Resultate in der Medizin haben laut Uni ­ amburg eine drei Mal höhere Chance auf Veröffentlichung. H

65

Prozent aller Wissenschaftsjournalisten und -journalistinnen in Österreich haben laut jüngster Umfrage des Medienhauses Wien einen akademischen Abschluss. Das sind doppelt so viele wie in anderen Ressorts.

56

Prozent der Wissenschaftsjournalisten des Landes sind Frauen. Eine neue Studie zum Thema Wissenschaftsjournalismus wird Ende Juni vom Medienhaus Wien präsentiert (mehr dazu auf Seite 14).

43,9

Prozent der Gesamtausgaben unseres Landes für Forschung zahlen österreichische Unternehmen. Im Magazin Science müssen publizierende Wissenschafter finanzielle Förderer ihrer Arbeit per Formular bekanntgeben.

40

Prozent weniger als noch vor zehn Jahren verkauft das deutsche Magazin Geo. Bis auf Zeit Wissen und Welt der Wunder erfahren alle deutschen Wissenschaftstitel im Schnitt bis zu 30 Prozent Leserverlust.

30 4

Minuten dauert „Newton“, die einzige Wissenschaftssendung des ORF. Das Magazin erreicht im Schnitt 112.000 Zuseher.

Frauen wurden bisher „Wissenschafterin des Jahres“. Der Klub österreichischer Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten vergibt diesen Titel seit 1994.

3

Minuten Zeit haben junge Wissenschafter bei „Famelab“, um ihr Forschungsthema einem breiten Publikum verständlich zu kommunizieren.

wurde das Ministerium für Wissenschaft und Forschung als dezidiertes Hochschulministerium gegründet. Davor war Wissenschaft in Österreichs Regierung mit „Kunst und Kultur“ und von 1994 bis 2000 mit ­„Verkehr“ kombiniert gewesen.

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1869

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erschien die erste Ausgabe des britischen Nature. Das Wochenmagazin gilt weltweit als meist zitiertes Wissenschaftsjournal.

Programmstunden widmen ORF eins und ORF 2, laut ORFPressestelle, jährlich dem Thema „Bildung und Wissenschaft“.

Bücher haben die „Science Busters“ bisher veröffentlicht. Die Physiker Heinz Oberhummer, Werner Gruber und Kabarettist Martin Puntigam machen seit 2007 Wissenschaftskabarett. Prozent aller veröffentlichten naturwissenschaftlichen Beiträge wird in deutscher Sprache verfasst.

illustr ation: ger ald hart wig

400 000


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WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION

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Zu den Illustrationen Gerald Hartwig ist freischaffender Künstler und Zeichner. Er lebt und arbeitet in Berlin. Seine erste Graphic Novel „Chamäleon“ ist vor Kurzem im Wiener Verlag Luft schacht erschienen. Weitere Informationen und einen Einblick in sein Werk auf: www.zeichenstrich.de


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Wissenschaftskommunikation

Boulevard und Wissenschaft verbinden Die Kommunikationswissenschafterin Corinna Lüthj über Wissenschaftskommunikation Sabine Edith Braun

W

ir haben einen Overkill an Wissen: Je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir, was wir nicht wissen und desto unsicherer werden wir“, sagt Corinna Lüthje von der Universität Hamburg. Man müsse überlegen, was verstärkt in die Öffentlichkeit transportiert werde und was nicht. „Das betrifft vor allem Gesundheitskommunikation und Themen wie Risiken, Krisen und Technik.“ Hier werde die gesellschaftliche Forderung an die Wissenschaft immer stärker, Stichwort Wissenschafts-PR. Schwer vermarktbare Forschung bleibt in der Schublade; Ressourcen, die für Marketing draufgehen, fehlen in Forschung und Lehre. Ist das gefährlich? „Ich glaube, das unterliegt einer Selbstregulation“, sagt Lüthje. Abseits von Short-list-Stars, die immer wieder eingeladen werden, sich zu äußern, bieten vor allem Neue Medien Chancen, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. „Verstärkt tun das die Klimawissenschafter“, sagt Lüthje. Klimaforschung sei ein langfristiges Thema, eine „post-normale“ Wissenschaft: Sie ist anwendungsorientiert und betrifft Politik wie Gesellschaft. Klimaforscher wie Hans von Storch gehen via Blog selbst an die Öffentlichkeit, da sie mit der extremen Komplexitätsredu-

Corinna Lüthje ist Sprecherin der von ihr initiierten Ad-hocGruppe Wissenschaftskommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft.

Infos: www.medienundzeit.at www.corinnaluethje.eu klimazwiebel.blogspot. co.at (Blog v. Hans von Storch)

zierung der journalistischen Berichterstattung unzufrieden sind. „Sie wollen nicht auf die Rolle des Überbringers apokalyptischer Szenarien reduziert werden“, so Lüthje, denn dabei werde der eigentliche wissenschaftliche Diskurs ausgeblendet. Muss man also streng unterscheiden zwischen seriösem Wissenschaftsjournalismus und gefälligen Klima-Storys in Boulevardmedien? „Im Gegenteil“, sagt Lüthje, „man muss versuchen, die Dinge zu verbinden“. Journalismus und Wissenschaft haben in der Gesellschaft unterschiedliche Aufgaben und folgen einer unterschiedlichen Logik. „In Hamburg gibt es das Projekt Klimakommunikation. Es ist kein klassisches Medientraining, sondern es beschäftigt sich mit der Verantwortung der Medien im Wissenschaftsbereich und soll zum gegenseitigen Verständnis von Wissenschaftern und Journalisten beitragen.“ Das sei auch nötig: Der deutsche Ozeanograf Stefan Rahmstorf wurde z.B. von einer Journalistin verklagt, nachdem er in seinem Blog ihre Berichterstattung kritisiert hatte. Das ist auf ein Verständnisproblem zurückzuführen. „Wissenschaftliche Publikationen sind im Prinzip für jeden einsehbar, aber das Problem ist, dass in Fachsprachen geschrieben wird. Die sind effektiv, weil

Experten sich mit wenig Aufwand verständigen können, doch ein Journalist müsste selbst Wissenschafter sein, um sie decodieren zu können.“ Dazu kommt: Nicht jede wissenschaftliche Publikation ist wirklich relevant. „Unser wissenschaftlicher Marktwert hängt von der Zahl unserer Publikationen ab. Wir sind gedrängt, Sachen auf den Markt zu werfen, um uns als Wissenschafter zu behaupten.“ Das kann zur Mehrfachverwertung führen, wobei ein Projekt in eine Vielzahl „kleinster publizierbarer Einheiten“ zerlegt wird („Salamitaktik“). Dem externen Leser erschließt sich der Zusammenhang dann nicht mehr. Die DFG habe hier bereits eine Kursänderung eingeleitet, indem sie die Zahl der Angabe von Publikationen bei Drittmittelanträgen limitierte. In allen Facetten werde Wissenschaftskommunikation immer wichtiger, doch werde sie oft auf externe öffentliche Kommunikation reduziert. Selbst die ist manchmal schwierig: In der klassischen Medienberichterstattung stellt die fehlende Aktualität von Forschungsberichten oft ein Hindernis dar. „Was intern publiziert wird, geht durch strenge Qualitätsprüfungskriterien. Manche Projekte laufen über Jahre, das passt nicht mit dem Aktualitätsbegriff der Massenmedien zusammen.“

Schreiben ist wie ein Schnitzelrezept zu lernen Eva Müller, Trainerin für wissenschaftliches Schreiben, coacht Wissenschafter beim Verfassen von Publikationen issenschaftliches Schreiben in NaturW wissenschaften und Medizin heißt das aktuelle Buch der Biologin, die selbst zehn

Jahre wissenschaftlich gearbeitet hat. Sie sieht sich mit einem „rätselhaften Knackpunkt“ konfrontiert: Die Universitäten bieten jungen Wissenschaftern meist keine Hilfestellung beim Schreiben. „Forschen hängt aber mit Publizieren zusammen, denn nur so können Daten ausgetauscht und zitiert werden. Tatsächlich ist Publizieren genauso wichtig wie die praktische Arbeit selbst“, sagt Eva Müller. Aber nicht nur die Kommunikation in der Community ist existenziell, auch nach „außen“ muss die Botschaft stimmen. „Es werden mehr Anträge gestellt denn je, bei der Bank muss vorgesprochen werden, ein Großteil der Stellen sind drittmittelfinanziert.“ Hier brauchen wissenschaftliche Texte eine Dramaturgie, die Daten und Fakten zu einer Geschichte verstrickt und spannend macht. Das entscheidet, ob man für sein Projekt Aufmerksamkeit und Förderung gewinnt.

Eva Müller, Biologin und Schreibtrainerin: „Universitäten bieten jungen Wissenschaftern meist keine Hilfestellung beim Schreiben.“

Durch Aufenthalte in den USA, Kanada und Deutschland hat die Trainerin den Vergleich. An englischsprachigen Universitäten wird der Nachwuchs vom ersten Tag an auf das Publizieren hin ausgebildet. In Deutschland sieht es dagegen ähnlich schlecht aus wie in Österreich. Allerdings haben sich dort Schreibzentren etabliert, in denen Geplagte Beratung bekommen. Die gibt es in Österreich leider viel zu selten. Das hat fatale Folgen: Junge Wissenschafter stehen oft bei der Diplomarbeit das erste Mal vor der Herausforderung, einen wissenschaftlichen Text zu schreiben – und sind überfordert. Hinzu kommt ein Mythos, der oft von Doktoreltern vermittelt wird: „Als Wissenschafter kann man einfach schreiben, sonst ist man keiner.“ Auch die Erwartung an einen selbst, „ich muss das alleine schaffen und darf erst das Ergebnis präsentieren“, kann der Tod für eine rasche und gute Publikation sein. „Schreibe nie allein“ ist daher einer der Grundsätze der Autorin.

Doktoreltern haben meist keine Zeit, um die Schützlinge zu unterstützen. „Diese Art der Betreuung ist veraltet und wird dem Alltag der Wissenschafter nicht gerecht.“ Eva Müller empfiehlt jungen Wissenschaftern, sich in Kleingruppen zusammenzutun, sich auszutauschen und sich gemeinsam zumindest eine Stunde lang coachen zu lassen. Wichtig ist, sich bei jeder neuen Idee und nach jedem Schritt ein Feedback zu holen. Aber auch etablierte Wissenschafter sind frustriert. Hier gibt es den Druck, viel zu publizieren, da die weitere Karriere stark davon abhängt. Die Vorbereitung des ersten Papers erleben viele als traumatisch. Leider werden dadurch viele junge, talentierte Menschen von einer weiteren wissenschaftlichen Tätigkeit abgeschreckt. Denn dass es sich beim Verfassen wissenschaftlicher Texte um eine Technik handelt, die man wie ein Kochrezept lernen kann, sagt ihnen niemand. „Schreiben kann man aber lernen wie das Rezept für ein Wiener Schnitzel“, erklärt Müller.

Fotos: maria noisternig, sabine edith braun

Anja Stegmaier


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Haidingers Hort der Wissenschaft

Grafikkabinett Püribauers Tierversuche

Verständ­lich­ M a r ti n H aidi n ge r

Martin Haidinger ist Historiker, Wissenschafts­ journalist bei Ö1 und ­Staatspreisträger für Wissenschafts­ journalismus

I ll u st r atio n : B e r n d P ü r iba u e r

Freihandbibliothek Buchtipps von Emily Walton Wenn Kühe mit dem Schweif wedeln

Die Stimme der Gehörlosen

The Expression of the Emotions in Man and ­Animals. Charles Darwin. CreateSpace ­Independent Publishing Platform. 354 S.

I See a Voice. Jonathan Ree. Flamingo. 416 S.

Es steckt mehr hinter dem Schweifwedeln einer Kuh: Diese Bewegung drückt wie ­viele andere Bewegungen von Mensch und Tier eine Emotion aus. Das ist heute keine neue Erkenntnis mehr. Doch als Charles Darwins Theorien im späten 19. Jahrhundert publiziert wurden, waren sie revolutionär und grundlegend für weitere Forschungen. Noch heute ist Darwin für den Leser durchaus anwendbar. Einfach aufschlagen – man wird vom jeweiligen Kapitel sofort aufgesogen.

Was ist das Besondere an der menschlichen Stimme? An der Beziehung zwischen Ohr und Stimme? Und können wir unsere Stimme tatsächlich kontrollieren? Ist sie, wie Freud postulierte, eine Ausdrucksform der Seele? Und: Wie drücken sich dann jene aus, die nicht hören und sprechen können? Diesen Fragen nähert sich Autor Jonathan Ree philosophisch an. Historisch arbeitet er die Stellung von Gehörlosen in der Gesellschaft auf und bedient sich dabei zahlreicher Anekdoten, sodass das Buch fesselnd und faktenreich zugleich ist.

Welt und Wissen in Essays

Besser Leben mit Lesen

Subjective, Intersubjective, Objective. Donald ­Davidson. Oxford University Press. 258 S.

Lesen und Leben: Ein persönliches Alphabet. Karlheinz Rossbacher. Otto Müller Verlag. 292 S.

Donald Davidson prägte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Philosophie maßgeblich, vor allem in den Bereichen der Sprachphilosophie und der Philosophie des Geistes. Anders als andere Philosophen hat er aber kein einheitliches Werk verfasst und publiziert. Stattdessen gibt es ein fünfbändiges Kompendium seiner Aufsätze. Dieses Buch, Band drei, enthält die wichtigsten erkenntnistheoretischen Schriften des US-Philosophen. Zentral ist, wie sich das Wissen von sich selbst zum Wissen von anderen und von der Welt verhält.

In Verlauf des Lebens etlicher Menschen sammeln sich viele Bücher an, besonders bei Literaturwissenschaftern. Der Literaturwissenschafter Karlheinz Rossbacher hat geschickt ein persönliches Alphabet konstruiert, das man durchaus auch als Biografie lesen kann. Rossbacher lässt in diesem Buch sein Leben Revue passieren, arbeitet dabei aber stets literarische Stationen und Leseerlebnisse mit ein. Für jeden Eintrag trifft der Autor den richtigen Ton. Dieses Buch ist ein echtes Lesevergnügen, nicht nur für Germanisten.

chon einmal hat der Autor an dieser S Stelle das Bild vom Erbonkel bemüht, den es gilt, mit kluger Vorgangsweise zu-

friedenzustellen. Erben ist ja einem Gerücht zufolge hierzulande die einzige Möglichkeit, zu nennenswertem Vermögen zu gelangen, was einiges an Opfern erfordert. Nicht nur Donald Duck muss an seinem Altvorderen Dagobert bitter erfahren, dass der grantige Erboheim Tag und Nacht bei Laune gehalten sein will … Heute nun soll unseren guten Onkel seine liebe Nichte aushalten, die als junge Wissenschafterin in einem der weithin gepriesenen exzellenten Forschungslabors des Landes arbeitet. „Na, teure Nichte!“, salbadert eines Tages der alte Geldsack und zwingt die Verwandte neben sich auf die Couch. „Erzähl mir einmal, was du da so machst alle Tage in deiner Gelehrtenklause!“ So niedlich einfach die Frage, so riskant die Antwort, denkt die Nichte. Denn reich wird sie mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit in der Grundlagenforschung allein wohl niemals werden – und demnach auf die Schätze des Alten angewiesen sein. Wie aber soll sie ihm die höheren bzw. tiefen Geheimnisse der Biochemie vermitteln? Gibt sie gleich von vornherein auf und verweigert sich – enterbt er sie, weil er es nicht schätzt, keine Antwort zu bekommen. Sagt sie: Onkel, das verstehst du nicht, das ist zu kompliziert – enterbt er sie, weil er es hasst, für dumm erklärt zu werden. Verfällt sie auf die naheliegende Lösung, in Kindersprache ein paar Plattitüden zu erzählen und ihn so abzuwimmeln – enterbt er sie, weil er sich nicht veräppeln lassen will. Erklärt sie ihm alles haarklein in aller Pracht ihrer Fachsprache – enterbt er sie, weil er es tatsächlich nicht kapiert und denkt, dass etwas, das ihm so gar nichts sagt, wohl zu nichts nütze sein könne und seine Unterstützung nicht verdiene. Fängt sie an, ihn sachte in das Wesen aller Dinge einzuweihen und nach und nach an des Pudels Kern heranzuführen – enterbt er sie, weil das so lange dauert, dass er ungeduldig wird, bestenfalls einnickt. Ein tiefer Nichtenseufzer, aber es hilft nichts! Es wird der Wissenschafterin wohl nichts anderes übrig bleiben, als dem Oheim in konziser, packender Form zumindest in Streiflichtern den Charakter ihrer Forschung darzulegen und schlüssig zu erklären, warum sie tut, was sie tut. Das strengt an, bringt aber das Vertrauen des Onkels und letztlich seine Unterstützung sowie – Zweck der Übung – sein Geld. Hoppla, eigentlich wollte ich hier etwas über meine Vorstellung von geglückter Kommunikation von Wissenschaft nach „außen“ zum Besten geben. Hat sich aber erledigt: Ersetzen Sie einfach den „Onkel“ durch die „Gesellschaft“ und die „Nichte“ durch die „Fachwelt“ und Sie wissen sofort, was ich meine.


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Wissenschaftskommun

WERNER STURMBERGER

Wissenschaftsverlage kassieren ab

„Bücher zählen nicht mehr. Online sucht man nach einzelnen Schlagwörtern. So verschwindet die Darstellung von Wissenschaft als kohärente Packages“, erklärt Alice Vadrot, Politikwissenschafterin der ICCR-Foundation und Mitherausgeberin der Zeitschrift Innovation – The European Journal of Social Science Research. Ihre Erfahrung damit fällt zwiespältig aus: „Es ist schon toll, eine Zeitschrift zu machen. Aber es ist ein Markt geworden.“ Sie erzählt davon, dass einige renommierte Verlage dazu drängen, gefragte Themen zu lancieren. Umgekehrt versuchen Wissenschafter auch unausgereifte Artikel zu publizieren, um ihre eigene Marktposition zu verbessern oder Publikationsquoten zu erfüllen. In diesem Dreieck aus Herausgeber, Wissenschafter und Verlagen sind die ökonomischen Gewinner schnell ausgemacht: „Geld machen die Verlage. Wir verdienen kaum Geld mit Publikationen. Seriöse Verlage zahlen zwar Tantiemen, die fallen aber kaum ins Gewicht. Die Wissenschafter müssen mitspielen. Sie halten die Maschine am Laufen, haben aber außer Prestige und Konkurrenzdruck nichts davon“, sagt Vadrot und setzt fort: „Natürlich haben Wissenschafter auch ein Interesse daran, ihre Erkenntnisse an die wissenschaftliche Öffentlichkeit zu bringen. Ebenso klar ist, dass kommerzielle Verlage damit Gewinn machen wollen. Ohne kommerzielle Verlage wäre die Chance deutlich geringer, publiziert zu werden.“

Publikation bestimmt Forschung

Die Publikation von Papers in Journals gewinnt immer mehr an Bedeutung und verändert die wissenschaftliche Praxis von Grund auf. Für Lisa Sigl, Wissenschaftsforscherin am Österreichischen Institut für Internationale Politik, ist das nicht nur in ihrem Alltag ersichtlich. Sie dissertierte mit einer Untersuchung über Arbeitskulturen in den Lebenswissenschaften, wo Dissertationen bereits meist „kumulativ“ sind: „Das heißt, diese besteht aus drei Papers, die in Zeitschriften veröffentlicht werden und dann – versehen mit einer Einleitung und einer Zusammenfassung – die Dissertation ausmachen. Solche Formen der Publikationstätigkeit sind mittlerweile stark integriert in den Ablauf wissenschaftlicher Qua-

lifikationen.“ Doch nicht nur die Form wissenschaftlicher Qualifikation, sondern auch die Fragestellungen der Forschung werden an diesen Publikationsdruck angepasst. „Man versucht halt immer auch publizierbare Pakete zu schnüren. Da die fast immer gleich groß sind, ist vielleicht manchmal der Raum, größere Fragen beantworten zu können, nicht da“, führt Sigl aus. Der Projektcharakter wissenschaftlicher Forschung würde aber auch dazu hinleiten, nur Fragen zu stellen, die auch in einem geförderten Zeithorizont beantwortbar sind. Projekte dürften aber so gut wie nie länger als drei Jahre dauern. Forschungsinhalte orientieren sich daher nicht nur an innerwissenschaftlichen Diskursen. Sie werden zunehmend auch durch Projektförderung und Publikationsfähigkeit bestimmt.

Ein Großteil der Kommunikation findet nur in den Wissenschaften und nicht als Dialog mit der Öffentlichkeit statt. Ignoranz oder Unfähigkeit?

In der Publikationsmühle

Dies bringt auch für jene, die Papers und Artikel schreiben, große Umwälzungen mit sich. Die Menge der Publikationen und die Reputation der Journals, in denen man veröffentlicht, entscheiden vor allem bei jungen Akademikern über das wissenschaftliche und finanzielle Überleben. Problematisch ist dabei nicht das Publizieren an sich, sondern die Frequenz, mit der publiziert werden soll. Dazu Lisa Sigl: „Entstanden sind diese quantitativen Qualitätskriterien eher in naturwissenschaftlichen Fächern, wo Systeme eingeführt wurden, um wissenschaftliche Leistungen zu quantifizieren und, darauf aufbauend, Förderentscheidungen zu treffen.“ Vonseiten des FWF wird darauf verwiesen, dass alle Förderentscheidungen auf qualitativen Gutachten basieren. So ganz glaubt man das in der wissenschaftlichen Community aber nicht. „Ich würde beim FWF keinen Antrag einreichen, wenn ich nicht bereits irgendwo ein oder zwei gute Artikel publiziert hätte“, sagt Sigl.

Nicht immun gegen Dummheit

Was Vadrot aber andeutet, ist, dass sich Wissen nicht bloß durchsetzt, weil es fundierter ist. Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle, gibt Michael Arnold, Philosoph an der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, zu bedenken: „Wissenschafter sind gegenüber der Macht nicht immun, leider nicht einmal gegen Dummheit. Aber die Wissenschaft als Institution mit ihren Disziplinen und ihrer Peer-Review hat das Ziel, Erkenntnisse zu produzieren. Sie ist an der Wahrheit interessiert – auch wenn sie in die Irre gehen sollte.“ Für Vadrot erschließen sich all diese Aspekte in dem Konzept der epistemischen Selektivität. Sie geht davon aus, dass ein spezifischer sozialer Kontext empfänglicher für spezifische Inhalte, Kommunikationsmittel oder Ausdrucksformen ist als für andere. Forscher in diesem Kontext streben danach, sich in Debatten durchzusetzen und wollen, dass ihr Wissen beachtet und auch umgesetzt wird. Dazu stellen sie mehr oder minder bewusst Überlegungen über das Funktionieren dieses Kontexts an, um darin erfolgreich handeln zu können.

Wirkung auf die Politik

Selbstausbeutung, um zu bestehen

Leistung wird vermehrt an der Menge von Publikationen gemessen. Und die entscheidet über die Besetzung universitärer Stellen oder die Vergabe von Fördermitteln. Dies lässt den Konkurrenz-, Arbeits- und Zeitdruck weiter ansteigen. Sigl meint dazu: „Ich glaube, dass sich die Arbeitsverhältnisse dahingehend verändern, dass die Menschen zunehmend beginnen, sich selbst auszubeuten, um im System bestehen zu können.“ Alice Vadrot merkt an, dass es für Wissenschafter natürlich großartig ist, sich in Debatten einzuklinken und überhaupt wissenschaftlich arbeiten zu können. Doch auch sie zweifelt daran, ob dies tatsächlich alles andere aufwiegt: „Möchte ich in diesem Spiel mitspielen? Das kann heißen, sich einerseits auf diesen ganzen

Publikationsirrsinn einzulassen und/oder sich ganz klar einer Schule zuzuschreiben, einer Theorie oder einer Entwicklung.“ In der außeruniversitären Forschung gehe es um Durchführung anwendungsorientierter Projekte unter zeitlichem und finanziellem Druck. Für eine theoretische Durchdringung der Themen bleibe dabei kaum Zeit.

Beatrice Lugger, Wissenschaft skommunikatorin: „Wissenschaft prägt die Gesellschaft, daher muss diese von Anfang an grundlegenden Fragen beteiligt werden.“

Erforscht hat sie dies im Rahmen ihrer Dissertation, die sich mit der Biodiversitätsdebatte beschäftigt. Der Begriff, der erst Mitte der Achtzigerjahre entstanden ist, meint als Artenvielfalt nicht nur die Vielfalt zwischen, sondern auch jene innerhalb der Arten – genetische Vielfalt – sowie die Vielfalt der Ökosysteme. Die Erhaltung der Biodiversität gilt als entscheidende Grundlage für das Wohlergehen der menschlichen Zivilisation. Die Umsetzung der Erkenntnisse der Biodiversitätsforschung blieb aber weitgehend aus. Auch in der breiteren Öffentlichkeit wird das Thema eher als Nebenschauplatz der Klimadebatte wahrgenommen. Die auch dort umstrittene, aber gängige Inwertsetzung von Natur, etwa in Form von CO2-Zertifikaten – kontingentierte Luftverschmutzungsrechte –, fand Nachahmer in der Biodiversitätsforschung: Man begann die Kosten des Artensterbens zu bilanzieren, denn, so Vadrot: „Man glaubt, wenn man Politikern klar macht, dass man Natur einen monetären Wert geben kann, dass sie dann eher bereit sind, Politik zu implementieren.“ Dieser Zugang, wenngleich in der Scientific Community nach wie vor umstritten, begann sich tatsächlich in der

FOTO: PRIVAT

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enn wissenschaftliche Erkenntnisse heutzutage für Furore sorgen, dann nur mehr selten in der Form eines Buches. „Journals“, also wissenschaftliche Fachzeitschriften, haben das Buch im innerwissenschaftlichen Diskurs verdrängt. Verlage machen mittlerweile gute Geschäfte durch den Verkauf einzelner Artikel über das Internet.


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unikation – bitte was? ­ olitik durchzusetzen, wo auch die FörderP gelder liegen. Damit versucht sie zu verdeutlichen, dass Forscher ein Bewusstsein dafür ausbilden, dass jene Strategien erfolgreicher seien, die an dominanten Diskursen andocken können.

Gegen gelangweilte Gesichter

Wissenschafter kommunizieren jedoch nicht nur mit sich selbst, weiß ­Beatrice ­Lugger aus ihren Seminaren. Sie ist stellvertretende wissenschaftliche Direktorin am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation in Karlsruhe. Die Auslastung des Instituts legt nahe, dass viele Wissenschafter einen gewissen Nachholbedarf sehen – der Großteil kommt aus eigener Initiative. Viele von denen, die ihre Seminare besuchen, berichteten, dass sie bereits mit fachfremder Öffentlichkeit über ihre Arbeit gesprochen hätten, sei es mit Journalisten, mit Laien oder Kindern am Tag der offenen Tür. In den Seminaren geht es vor allem um Grundlagen der Wissenschaftskommunikation: Schreiben, Vorträge, Interviews, Social Media. Im Fokus steht dabei die Sensibilisierung für das jeweilige Publikum: „Es wäre widersinnig, ein Seminar nur mit Fokus auf eine Zielgruppe anzubieten. Es gilt vielmehr, ganz allgemein das Bewusstsein für eine zielgruppenorientierte Kommunikation zu schärfen: Also, dass man ein und dieselbe Nachricht für unterschiedliche Zielgruppen entsprechend verpackt.“ Dies bedeutet, das Vorwissen des Publikums in der Sprachwahl zu berücksichtigen und klar und verständlich zu kommunizieren. „Gelingt das nicht, gibt es enttäuschte oder gelangweilte Gesichter“, erklärt Heinz Oberhummer, Physiker der Wissenschaftskabarettisten Science ­Busters: „Menschen sind oft frustriert, wenn sie populärwissenschaftliche Veranstaltungen besuchen und dann einiges nicht verstehen. Diese sind für die Wissenschaft verloren, weil sie nun überzeugt sind, es sei für sie unverständlich.“

Markus Arnold, Philosoph: „Wissenschafter sind gegenüber der Macht nicht immun, leider nicht einmal gegen Dummheit.“

Science Busters: „Erstklassiger SmalltalkStoff, mit dem man sich auf jeder Party wichtig machen kann, dass es nur so kracht.“

Nichts wissen heißt glauben Lisa Sigl, Wissenschaftsforscherin: „Man versucht, publizierbare Pakete zu schnüren. Da diese fast immer gleich groß sind, fehlt manchmal der Raum, um größere Fragen beantworten zu können.“

F o tos: g e r h a r d m au r e r , pr i vat, in g o pe r t r a m e r

Populärwissenschaftliche Irrtümer

Neben Klarheit in der Kommunikation gilt es aber auch zu überlegen, welches Wissen für wen relevant ist. Arnold sagt dazu: „Die Nachricht, aus der Perspektive der Wissenschaft sei etwas Wichtiges entdeckt worden, ist für niemanden außerhalb eines Forschungsinstituts interessant. Die zentrale Frage jeder Popularisierung von Wissenschaft ist: Kann die Zielgruppe mit dem Wissen etwas anfangen?“ Es gilt immer mitzudenken, welche Nachricht ein Gegenüber interessiert. „Fachkollegen begeistert etwas völlig anderes als eine junge Schülerin beim Tag der offenen Tür, die beim Forscher im Labor steht“, sagt Beatrice Lugger. Und nicht

jedes Wissen eignet sich für jedes Publikum, meint Markus Arnold. Er weist darauf hin, dass Menschen aktiv Wissen suchen, wenn es für sie Relevanz hat: „Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man jede wissenschaftliche Erkenntnis populär machen kann, wenn man nur die richtige Form und das richtige Medium dafür findet. Es ist eher umgekehrt: Bürgerinitiativen zeigen, dass sich Bürger aktiv mit Forschungsergebnissen auseinandersetzen und sich das nötige Wissen aneignen, wenn ihnen klar ist, dass dieses Wissen für sie wichtig und interessant ist.“ Er betont aber auch, dass die soziale Seite des wissenschaftlichen Wissens nicht unterschätzt werden sollte. Oder, wie Martin Puntigam, Kabarettist und Conférencier der Science Busters, sagt: „Es ist wirklich erstklassiger Smalltalk-Stoff, mit dem man sich auf jeder Party wichtig machen kann, dass es nur so kracht.“ Warum das sogar mit Themen gelingt, deren Relevanz sich nicht immer sofort aufdrängt, liegt laut Puntigam an der Zusammensetzung der Busters: „Wenn ich ­Werner Gruber und Heinz Oberhummer überreden hätte müssen, auf die Bühne zu gehen, wäre es viel schwieriger gewesen. Aber da beide sich schon ins Rampenlicht gedrängt und nur noch jemanden gebraucht haben, der ihnen die Gesetze der Bühne beibringt und Witze zu ihren Expertisen erfindet, war es viel leichter.“

Alice Vadrot, Politikwissenschafterin: „Geld machen die Verlage. Wir Wissenschafter verdienen kaum Geld mit Publikationen.“

Puntigam lässt keinen Zweifel daran, dass der Hintergrund des Wissenschaftskabaretts nicht unernst ist: „Unser Motto, das wir Marie von Ebner-Eschenbach verdanken, verdeutlicht den Mehrwert. Es lautet: Wer nichts weiß, muss alles glauben. Je mehr Menschen wissen, je leichter zugänglich und verständlich Information und Aufklärung sind, desto weniger Angst brauchen Menschen haben, desto schwieriger ist es, ihnen jeden Unsinn einzureden, sie einzuschüchtern und auszunehmen.“ Die Kommunikation von Wissenschaft dient nicht nur der Aufklärung der Menschen durch, sondern auch über Wissenschaft. Werner Gruber, Physiker bei den Science Busters, meint dazu: „Wissenschaftskommunikation, wie wir sie betreiben, kann zeigen: Wissenschaft ist kein geheimes Gebiet, in das sich nur Eingeweihte wagen dürfen, sondern sie ist für alle da. Wir alle profitieren von ihr, und schließlich wird sie ja auch von der Allgemeinheit bezahlt.“ Auch für Lugger geht es darum, den Dialog über Wissenschaft wieder in einer breiten Öffentlichkeit zu führen: „Wissenschaft prägt die Gesellschaft und insofern ist es wichtig, dass diese Gesellschaft von Anfang an grundlegenden Fragen beteiligt wird: Was wird eigentlich geforscht und

was wünschen wir uns eigentliche für eine Forschung?“ Einen Beitrag dazu wird das Internet leisten, sind sich Arnold und Lugger einig. Das Netz bietet Möglichkeiten, Wissenschaft etwa über Videos anschaulich und niederschwellig zu erklären, soziale Netzwerke würde es auch erleichtern, junge Menschen zu erreichen, so Oberhummer. Als Indiz für diesen Trend kann der von der 23-jährigen Physikerin Elis Andrew betriebene Facebook-Blog „I Fucking Love Science“ gelten. Er behandelt unterschiedlichste Themen der Naturwissenschaften und hat mittlerweile mehr als 5,1 Millionen Fans.

Kommunikation braucht Können …

Was hält Wissenschafter davon ab, all die neuen Kanäle zu nutzen? Einerseits sind es fehlende Kompetenzen, wie Lugger andeutet. Wissenschaftskommunikation werde in der Ausbildung noch immer stiefmütterlich behandelt. Andererseits liegt dies aber auch im wissenschaftlichen Wertesystem begründet: Zeit, die nicht für Forschung und Publikation verwendet wird, ist verlorene Zeit – nur in Journals veröffentlichte Papers sind wertvolle Kommunikation, auf die Beteiligung an öffentlichen Debatten trifft dies daher nicht zu. In europäischen Projekten wird Öffentlichkeitsarbeit vermehrt eingefordert. Dies funktioniert vor allem in gut budgetierten Projekten, die über Infrastrukturen und Ressourcen verfügen. Die damit oft einhergehende Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit in Form von Wissenschafts-PR löst das Problem mangelnder Kommunikation aber nicht. Arnold erklärt dies so: „Das Besondere der WissenschaftsPR besteht darin, dass hier die Wissenschaft selbst meist gar nicht im Mittelpunkt steht, sondern eher der Name des Forschers oder – noch öfter – der Name der Forschungsinstitution bzw. des Forschungsförderers.“

… und darüber hinaus auch Zeit

Letztlich ist Wissenschaftskommunikation eine Frage vorhandener Zeitressourcen. „Überspitzt gesagt“, meint Lisa Sigl, „wenn die eigene Karriere eher davon abhängt, dass ich immer mehr und immer schneller Publikationen schreibe, dann werde ich nicht freiwillig Wissenschaftskommunikation betreiben, wenn es nicht von mir verlangt wird“. Es müsste daher darum gehen, den Arbeitsanfall der Wissenschafter so zu reduzieren, dass diese in die Lage versetzt werden, selbst Wissenschaftskommunikation betreiben zu können. Bei massivem Zeit- und Publikationsdruck ist es nur verständlich, wenn Wissenschafter davon Abstand nehmen, sich in öffentliche Debatten einzumischen.


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Wissenschaftskommunikation

Mit Handkuss finanziert bekommen Dieter Hönig

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aut einer deutschen Medienanalyse rangieren Health-Science-Themen an zweiter Stelle in der Beliebtheit beim Medienpublikum, weit vor Kultur und Politik, aber deutlich hinter Sitcoms, Soap Operas und Gossip. Für den Molekularbiologen Josef Penniger, Leiter des Instituts für Molekulare Biotechnologie IMBA, ein Indiz dafür, was die Seitenblicke-Gesellschaft will: „Dass jemand aufs Gesicht fällt und man dabei zusehen kann.“ In Nordamerika, wo Penninger seine wissenschaftlichen Wurzeln hat, ist es für Medien eine Selbstverständlichkeit, die Öffentlichkeit über Forschung zu informieren. Er hat daher auch an seinem Wiener Institut von Beginn an seine eigene PR-Abteilung installiert. „Wichtig ist, seine Ziele nie aus den Augen zu verlieren, sonst wirst du in der heutigen Medienlandschaft sehr schnell verbrannt und uninteressant.“ An der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten wird oft Top-Wissenschaft gemacht, nur wisse das bei uns leider niemand, bedauert Penniger.

Berühmte Wissenschafter wie Josef Penninger haben PR-Agenturen, weil sie sonst zu selten in Medien vorkommen. Wissenschafts­ journalisten kommen mit ihren Storys zu wenig zum Zug

herangetragen wird? Die Ausnahme sieht Burkart in den berühmten bad news, denn auch die gibt es in der Wissenschaft, nämlich dann, wenn sie sich mit Politik paart – siehe „Lobbystan forte“ (von Florian Klenk in Falter 17/2013). Grundsätzlich gilt auch für Wissenschafter: Wer sich nicht selbst rührt, wird nicht gehört. Erstens forschen und publizieren Wissenschafter vor allem für die Wissenschaft, also für andere Wissenschafter. Es geht um Karriere, Studienabschluss und Anerkennung in der Wissenschaftscommunity, um Berufungen, sprich die Besetzung von Posten, um Forschungsaufträge, um Peers, die das Eingereichte reviewen und über die Bewilligung von Fördersummen entscheiden. Es geht also letztlich auch ums Geld.

Was aber ist mit der Öffentlichkeit?

Öffentliche Anerkennung sei in der Wissenschaft kein Karrieremotor, bekommt man oft zu hören. Es sind nur fast alle Universitäten sowie andere Forschungseinrichtungen oft auch öffentlich-rechtliche Institutionen, leben also vom Staat, sprich vom Steuergeld und haben somit die Verpflichtung, der Allgemeinheit zu erklären, was sie tun. Forschungsinstitutionen wie der FWF, der WWTF, Nationalbank und Ministerien drängen auf öffentliche Zugänglichkeit des produzierten und von ihnen mitfinanzierten Wissens. Viele Wissenschafter arbeiten zudem eng mit der Industrie, wie etwa den Pharmafirmen zusammen, da läuft parallel dazu die PR-Arbeit. „Klar, dass die Penningers so was haben und auch mit Handkuss finanziert bekommen“, sagt Burkart und meint,

Warum Wissenschafter publizieren

Roland Burkart, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, sieht es ähnlich: „Ohne PR, verstanden als pro-aktive Kommunikationsleistung mit dem Ziel der Selbstdarstellung, kommt heute nichts mehr an die Öffentlichkeit. Wir leben in einer News-overload-Society, haben also das Problem der Fülle. Journalisten wählen aus, gehen selten von sich aus an Themen heran.“ Setzt sich also nur mehr das durch, was mit besonders viel Nachdruck an Medien

man solle diese Zusammenarbeit sogar noch intensivieren, da die Wissenschaftsberichterstattung ohnehin ein Stiefkind des Journalismus ist. Natürlich liefern Agenturen zumeist professioneller als Wissenschafter gut aufbereitetes Material.

Recherche statt PR-Material

Eher distanziert und skeptisch sieht hingegen ORF-Wissenschaftsjournalist Andreas Novak diese Form der Wissenschaftskommunikation: „Die Themenauswahl orientieren wir beim ORF an essenzieller Redaktionsrecherche und nicht am Angebot von PR-Agenturen. Profunder und kritischer Wissenschaftsjournalismus pflegt Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung, prüft gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Essenz und Relevanz. Das beste Marketing und Selbstmarketing für Wissenschaft und Forschung wäre die Steigerung der Forschungsquote am BIP.“ Was sollten Journalisten also beachten, um sich von PR nicht instrumentalisieren zu lassen? „Unbedingt die Quellen beachten, also recherchieren, wer dahinter steckt, welche Interessen im Spiel sind. Der Journalist sollte grundsätzlich zweifeln an dem, was ihm da so alles begegnet. Es gibt keine Information in der Wissenschaftskommunikation ohne dahinter stehende Interessen“, sagt Roland Burkart. Ebenso der Vorsitzende des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten, Oliver Lehmann: „Egal, ob Presseaussendungen von Universitäten, Forschungsgruppen, Fördereinrichtungen, Ministerien oder PR-Agenturen, alle verfolgen sie Interessen. Je transparenter das Anliegen offengelegt wird, desto besser.“

Wissenschaftsjournalisten: Die Magnetnadeln im Heuhaufen Interview mit dem Vorsitzenden des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Oliver Lehmann über eine im Juni erscheinende Studie zur Situation der Wissenschaftsjournalisten in Österreich. Herr Lehmann, an wen soll sich ­Wissenschaftsjournalismus richten? Oliver Lehmann: Primär an die interessierte Leserschaft. Abweichend von anderen Ressorts sind im Wissenschaftsjournalismus Anspruch und Bedarf höher, Themen zu erklären. Ein ganz eindeutiges Ergebnis der Studie ist, dass sich Wissenschaftsund Bildungsjournalisten als neutrale Vermittler von Informationen verstehen. Anders gesagt: Wie wichtig die Nationalratswahl ist, weiß die Leserschaft oder meint es zu wissen. Aber welche Bedeutung Graphen als Werkstoff der Zukunft hat, ist der allgemeinen Öffentlichkeit eher unbekannt. Gute Wissenschaftsjournalisten sind

so etwas wie die Magnetnadeln im Heuhaufen, denn sie leisten unverzichtbare Orientierungshilfen.

Oliver Lehmann, Journalist

Präsentation der Studie zum Status von Bildungs- und WissenschaftsjournalistInnen in Österreich am 25. Juni um 10 Uhr im Presseclub Concordia, Wien 1, Bankgasse 8

Sollten Wissenschaftsjournalisten und PR-Agenturen eine enge Beziehung pflegen? Lehmann: PR-Agenturen beziehungsweise ihre Aussendungen sind eine von mehreren Quellen, die Wissenschaftsjournalisten heutzutage nutzen. Die Studie dokumentiert ganz klar, dass andere Quellen wie das persönliche Gespräch und die Auswertung von Fachzeitschriften eine höhere Bedeutung für die Recherche haben. PR-Agenturen können ihre Aufgabe sinnvoll erfüllen, wenn sie ihre Aussendungen transparent gestalten und das primäre Vermittlungsinteresse berücksichtigen. Sind freie W ­ issenschaftsjournalisten schlechter gestellt als freie ­Journalisten allgemein?

Lehmann: Der Anteil an sozial schlecht bis gar nicht abgesicherten Journalisten ist im Bildungs- und Wissenschaftsbereich deutlich höher als im Durchschnitt der heimischen Publizistik. Die Studie macht klar, dass der Wissenschaftsjournalismus in Österreich von prekären Beschäftigungsverhältnissen geprägt ist. Und das, obwohl Wissenschafts- und Bildungsjournalisten sehr erfahren sind und sich durch eine hohe Ausbildung auszeichnen.

Welche Schlüsse lassen sich aus Ihrer Studie noch ziehen? Lehmann: Durch die Studie wird deutlich, dass für Recherche im österreichischen Wissenschafts- und Bildungsjournalismus oft zu wenig Zeit zur Verfügung steht. Wenn Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Vermittlungs- und Erklärungsarbeit leisten sollen, brauchen sie auch vernünftige Rahmenbedingungen.

Foto: ist austria

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Wissenschaftskommunikation

Sparkling Science und zitternde Vortragende Claudia Stieglecker

Beispiele für Kommunikation über die Wissenschaft, Vergnügen eingeschlossen

math.space, Vienna Open Lab, Science TalkVorträge, „Lange Nacht der Forschung“ und viele mehr. „Das alles sind Projekte, die im Prinzip jeder Einzelne mit seinen Steuergeldern unterstützt“, unterstreicht Brinek. Das Bewusstsein, dass Wissenschaft auch mit der Öffentlichkeit kommunizieren muss, habe lange Zeit gefehlt. „Wissenschaft wird jetzt sichtbar gemacht“, sagt sie, „dadurch wird sie weniger abstrakt und greifbarer“.

Auf einmal verspürt man Vergnügen beim Mathevortrag

Zum siebten Mal die Wahl zum Wissenschaftsbuch des Jahres

Im Jahr 2002 hat Taschner gemeinsam mit seiner Frau und Kollegen von der Technischen Universität Wien „math.space“ gegründet, um „Mathematik als kulturelle Errungenschaft einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen“, wie er selbst sagt. In dem Veranstaltungsraum im Wiener Museumsquartier gibt es seither regelmäßig Vorträge und Workshops zu mathematischen Themen für Menschen vom Kindergarten- bis zum Erwachsenenalter. In seinen Vorträgen kommuniziert Rudolf Taschner Wissenschaft kurzweilig und amüsant. Das ist kein Zufall: „Die Vorträge sollen den Besuchern Vergnügen bereiten“, erläutert er. Die Zuhörer sollen den Inhalt zwar verstehen, den Anspruch, alle wissenschaftlichen Facetten eines Problems zu beleuchten, hat er in diesem Rahmen aber nicht: „Die Wissenschaft, die dahinter steckt, muss dabei nicht unbedingt als solche erkennbar sein.“ Bis zu 30.000 Besucher im Jahr nutzen die Angebote von „math.space“ – enorm, wenn man den, so Taschner, schlechten Ruf der Mathematik bedenkt. „Wir arbeiten daran, etwas in den Köpfen der Menschen zu ändern. Die Öffentlichkeit soll wissen, was Rudolf Taschner, Vermittler von Wissenschaft bedeutet.“

Dabei heißt es manchmal durchaus auch klein anfangen: als die Wahl zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“ vor sechs Jahren ins Leben gerufen wurde, nahmen gerade einmal 4000 Menschen an der öffentlichen Abstimmung teil. Dieses Jahr waren es bereits 27.000 Stimmen, die vier Siegerbücher wurden bei einer feierlichen Preisverleihung geehrt. „Die Kommunikation macht Wissenschaft immer mehr zum Alltagsgut“, meint ­Martha Brinek. „Man muss sich dabei vor allen Dingen immer fragen, wie man denjenigen, den man erreichen möchte, gut abholen kann.“

Mathematik: „Wir arbeiten daran, etwas in den Köpfen der Dieser Meinung ist auch Lutz-Helmut Menschen zu verändern. Schön, Professor für Didaktik der Natur- Die Öffentlichkeit soll wissenschaften und Leiter des Zentrums für wissen, was Wissenschaft LehrerInnenbildung der Universität Wien: bedeutet“

Neue Formen der Wissenschaftskommunikation

„Kommunikation der Wissenschaft ist ein Recht der Gesellschaft, auf finanzieller wie auf inhaltlicher Ebene.“ Die Tendenz, Wissenschaft populär darzustellen, sieht er positiv. Denn durch die höhere Aufmerksamkeit kann sich die Einstellung der Öffentlichkeit zur Wissenschaft verändern: „Die Menschen nehmen mit, dass sich Wissenschaft verständlich machen will.“ Dies war nicht immer so, wie Martha Brinek, Leiterin der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des BMWF, betont. Erst in den letzten Jahren sei das Thema vermehrt in den Vordergrund gerückt. Nicht zuletzt die vielen, unterschiedlichen Initiativen und Projekte, die vom BMWF unterstützt ­werden, machen dies deutlich: ­KinderUni, Sparkling Science-Projekte mit Schülern,

Karoline Iber, Kinderbüro, KinderUni: „Die KinderUni zeigt maximal eine Bildungsoption auf. Man kann sich dann vielleicht ein bisschen bewusster dafür oder dagegen entscheiden“

Wissenschafter zittern vor Vorträgen auf der KinderUni Spezifische, adressatengerechte Weitergabe von Wissen nennt das Lutz-Helmut Schön: „Das erfordert auch eine bestimmte Form der Selbsterkenntnis, was sehr schwer ist.“ Oder, wie es Karoline Iber, Geschäftsführerin des Kinderbüros, das alljährlich die Wiener KinderUni veranstaltet, beschreibt: „Unsere Vortragenden sind im Vorfeld praktisch gezwungen, ihr Wissensgebiet und ihre Vortragsweise zu hinterfragen. Denn wenn der Vortrag nicht gut ist, bekommen sie es von den Kindern sofort zu spüren. Niemand geht entspannt in den Hörsaal hinein, alle haben zittrige Knie.“ Zum elften Mal findet heuer im Juli die Wiener KinderUni statt. Neben der Universität Wien, der Technischen Universität, der Medizinischen Universität, der Universität für Bodenkultur und der Veterinärmedizinischen Universität öffnet heuer erstmals auch der FH Campus Wien den jungen Studierenden zwischen sechs und zwölf Jahren seine Pforten. Etwa 550 Vortragende halten zwei Wochen lang für 4500 Kinder Vorlesungen, Seminare und Workshops. „Unser Ziel ist dabei nicht die Vermittlung von Basiswissen wie in der Schule. Das Erlebnis steht im Vordergrund“, betont Iber. Besonderen Wert wird darauf gelegt, auch Kinder einzubeziehen, die keinen Bezug zur Universität haben. Die Kinder zeigen sich vom Angebot begeistert. Einen direkten Schluss auf ein späteres Studium kann man allerdings nicht ziehen. Iber: „Die KinderUni zeigt maximal eine Bildungsoption auf. Man kann

sich dann vielleicht ein bisschen bewusster dafür oder dagegen entscheiden.“

Science on Stage: Physik, Mathe, Biologie und Sprachen Bewusst machen will auch die Initiative „Science on Stage“: Lehrern aus ganz Europa und Kanada dient das Festival als Austauschplattform für Physik, Biologie, Mathematik und Sprachen. Über Good ­Practice-Unterrichtsbeispiele sollen sie sich gegenseitig motivieren, Kindern die Angst vor Naturwissenschaften zu nehmen. Alle zwei Jahre können auf Landesebene Projekte von Lehrern aller Kindergarten- und Schulstufen eingereicht werden, aus denen eine Jury jene auswählt, die am internationalen Festival teilnehmen. Dort werden dann bis zu zehn Projekte prämiert – etwa ein Friedhof, den Kindergartenkinder in Schweden angelegt hatten, um das Leben und Sterben in der Natur miterleben zu können. Ida Regl, Vorsitzende von Science on Stage Österreich, ist zweimal ausgezeichnet worden: „Die positiven Rückmeldungen und die Kommunikation mit Fachleuten, die durch „Science on Stage“ möglich wurde, hat mich motiviert, weiterzumachen.“ Die ehemalige Volksschuldirektorin hat sich an ihrer damaligen Schule gemeinsam mit Eltern, Schülern und Lehrern vier

„Das Vermitteln eines allzu spaßigen Bildes ist bedenklich, denn es gibt in der Wissenschaft viel mehr Unsicherheiten als kommuniziert werden.“ dorothea born, W i s s e n s c h aft s f o r s c h er i n

Jahre lang fächer- und klassenübergreifend mit dem Thema Sonne und Planeten auseinandergesetzt. „Es werden generell eher langfristige Projekte eingereicht, in denen sich Lehrer und Schüler über mehrere Jahre mit einem Thema auseinandersetzen.“ Diese Langfristigkeit macht für Dorothea Born, Doktorandin am Institut für Wissenschaftsund Technikforschung der Uni Wien, durchaus Sinn: „Man erhält dadurch einen Einblick in die alltägliche wissenschaftliche Praxis, der realistischer ist.“ Das Vermitteln eines allzu spaßigen Bildes von Wissenschaft hält sie dagegen für bedenklich: „Es gibt in der Wissenschaft viel mehr Unsicherheiten als kommuniziert werden.“ Oft stehen die Ergebnisse der Forschung im Vordergrund, der eigentliche Produktionsprozess wird selten kommuniziert. Ein grundsätzliches Verständnis dieses Prozesses ist aber notwendig, um Wissen auch hinterfragen zu können. „Das Weitergeben von Wissen muss immer ein Angebot sein, keine Manipulation.“

Fotos: kinderbüro, privat

S

ie müssen schon ins Fernsehen, sonst haben Sie mit Mathematik keine Chance“, lässt der Mathematiker Rudolf Taschner ganz nebenbei in seinem Vortrag „Zwei Ziegen und ein Auto“ fallen, während er ein Wahrscheinlichkeitsproblem sehr anschaulich erklärt. Ich selbst wollte eigentlich nur kurz in den YouTube-Kanal von „math.space“ reinschnuppern, aber schlussendlich sah ich mir das komplette, 50minütige Video an.


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Wissenschaftskommunikation: Das Glossar Jochen Stadler

Blog

Weltweitwebtagebuch, das vermehrt auch von Wissenschaftern für interessierte Laien geführt wird. Sie berichten hier etwa über ihre Forschungen, diskutieren populäre Themen (so erklärten Astronomen im Vorjahr ausdauernd, warum die Welt am 21. 12. 2012 nicht untergehen wird) und kommentieren aktuelle Geschehnisse. Man konnte zum Beispiel kurz nachdem im Februar ein Meteorit über der russischen Stadt Tscheljabinsk zerborsten ist, auf zahlreichen Blogs wissenschaftlich fundierte Erklärungen darüber lesen, was da passiert ist. Dialog

Austausch von Worten zwischen zwei oder mehreren Personen. Im Gegensatz zum Monolog haben hier alle etwas zu reden, auch wenn von einer Seite manchmal nur Fragen kommen. Experten/Fachleute

Sind auf einem bestimmten Gebiet überdurchschnittlich bewandert und können dazu detailverliebt Auskunft geben. Haben ihr Wissen meist durch langes Lernen und Arbeiten im jeweiligen Fachgebiet erworben. Sie verlieren den Status „Experten“ jedoch sofort, wenn sie ihr Fachgebiet verlassen. Weise Experten berücksichtigen dies, andere glauben, über jedes Thema Bescheid zu wissen. Experte, selbsternannt

Laie, der vermeint, Expertenstatus zu erreichen, indem er in Opposition zu Fachleuten tritt. Fachtrottel

Uncharmante Bezeichnung für einen Experten, der so tief in sein Fachgebiet versunken ist, dass er den Kopf nicht mehr über den Tellerrand bekommt, um einen Überblick zu gewinnen oder die Sache einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen. Fachsprache

Ermöglicht innerhalb einer Forscherclique den präzisen Informationsaustausch. Laien hingegen erkennen in ihren Wortgebilden keinen oder einen ganz anderen Sinn. Dies kann Ehrfurcht auslösen, aber auch dazu führen, dass sie Experten für Fachtrottel halten. Kommunikation

Prozess, bei dem Informationen über-

tragen und ausgetauscht werden; braucht mindestens zwei Beteiligte: einen Sender und einen Empfänger, die Rollen können freilich getauscht werden. Wird manchmal auch zum Selbstzweck geführt, etwa im Small Talk oder bei Festreden. Laie

Experte, der einen Schritt aus seinem Fachgebiet heraus gemacht hat. Monolog

Im Theater Selbstgespräch genannt, auf der Uni oder in Forschungszentren wissenschaftlicher Vortrag. Kann unter Umständen in einen Dialog ausarten. Neue (wissenschaftliche) Erkenntnis

Erreicht den Laien über seine Sinnesorgane, dringt in sein Gehirn vor und verweilt dort manchmal für einige Zeit. Wird aktiv aufgenommen, wenn es sich um ein interessantes Thema handelt, ist aber für den Laien sinnlos, wenn sie unverständlich und kompliziert daherstolziert, denn dann weigern sich seine grauen Zellen, die Information aufzunehmen.

gangsquelle der Recherche aufgefasst und natürlich niemals mittels „Kopieren → Einfügen“ übernommen. Pressekonferenz

Ereignis, das nicht nur stattfindet, wenn Politiker etwas verkünden oder sich für etwas rechtfertigen wollen, sondern mitunter auch, wenn Forscher Neues entdeckt haben. Zum Beispiel einen erdähnlichen Planeten oder eine neue Therapie gegen Krebs. Pressestelle

In Forschungszentren meist ein kleines Büro, das immer dorthin zieht, wo gerade ein Abstellraum freigeworden ist. Soll die Erfolge des Instituts in die Öffentlichkeit tragen und die neuesten Forschungsergebnisse in einer auch für Laien verständlichen Art und Weise öffentlich machen. Das Ganze möglichst, ohne die Wissenschafter bei der Arbeit zu stören. Semmelweis-Reflex

Zeitschriften und Bücher, die meist von Wissenschaftern oder Journalisten verfasst werden und Laien wissenschaftliche Themen auf möglichst unterhaltsame und verständliche Art vermitteln wollen.

Reaktion auf neue Informationen und wissenschaftliche Erkenntnisse, die etablierten Glaubens- und Gewohnheitsrechten so sehr widersprechen, dass man gar nicht erst darüber nachdenken muss, um sie abzulehnen und den Überbringer für geistig umnachtet zu erklären. So geschah es, dass der ungarischösterreichische Mediziner Ignaz Semmelweis die Wiener Ärzteschaft gegen sich aufbrachte, als er nachwies, dass sie am Tod vieler Wöchnerinnen schuld waren, weil sie ihre Hände nach dem Leichensezieren nicht desinfizierten. Semmelweis‘ Erkenntnisse wurden als „spekulativer Unfug“ abgetan, er selbst in die Irrenanstalt Döbling eingewiesen, wo er schon zwei Wochen später starb. Offiziell an einer Gehirnlähmung, meist jedoch wird eine Blutvergiftung nach einer kleinen Verletzung als Ursache genannt. Als man seine Leiche exhumierte, fand man aber angeblich gebrochene Hand-, Arm- und Brustbeinknochen. Das macht Berichte glaubhaft, wonach er am Anstaltshof von Pflegern erschlagen wurde.

Presseaussendung

Übersetzer

Öffentlichkeitsarbeit/Wissenschafts-PR

Rückt die Arbeit und neue Erkenntnisse von Forschungsinstitutionen in das Scheinwerferlicht, um ihr Ansehen zu steigern. So können führende Forscher, Nachwuchswissenschafter und Fördergelder angezogen werden wie die Motten. Oder hängt das eher mit der wissenschaftlichen Reputation zusammen? Open Access Publikation

Wissenschaftliche Veröffentlichung, die im Internet frei verfügbar ist. Oft zahlen die Autoren dafür Publikationsgebühren. Populärwissenschaftliche Literatur

Von Öffentlichkeitsarbeitsstellen (PRAbteilungen) an Journalisten verschickte Schriftstücke, die im Fall von Forschungseinrichtungen über neue Ergebnisse, Erfolge und wissenschaftliche Veröffentlichungen informieren. Von Wissenschaftsjournalisten als Aus-

Dolmetscht zum Beispiel EnglischFranzösisch, Spanisch-Chinesisch oder Wissenschaft-Deutsch. Wissenschaft

Erweitern des Wissens durch Forschung und Weitergabe der neuen Er-

kenntnisse als wissenschaftliche Veröffentlichung. Auch ihre Ergebnisse einem breiten Publikum verständlich zu machen, zählen manche Wissenschafter zu ihren Aufgaben. Andere delegieren dies an Journalisten und Pressestellen. Wissenschaftliche Veröffentlichung

Bericht über Forschungsergebnisse in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Bevor die Herausgeber diese allerdings abdrucken oder online stellen, lassen sie von unabhängigen Wissenschaftern prüfen, ob die Daten korrekt aussehen und neue Erkenntnisse bringen. Wissenschaftliche Zeitschrift

Fachzeitschrift mit Artikeln von Wissenschaftern eines speziellen Gebiets für Wissenschafter desselben Fachs. Für Laien, also auch Wissenschafter anderer Fachrichtungen, sind solche Artikel meist nicht zu verstehen. Sie müssen der Übersetzung von Fachjournalisten oder der Zusammenfassung von Kollegen glauben. Wissenschaftsjournalist

Sollen unter all den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen jene auswählen, die auch für Laien interessant sind und sie betreffen und sie verständlich sowie spannend aufbereiten, sei es als gedruckte oder online veröffentlichte Geschichten, Fernsehdokumentationen oder Radiosendungen. In Österreich eher Exoten, da nur in einer Handvoll von Medien vertreten, die mit Qualitätsjournalismus Eindruck schinden wollen. Wissenschaftskommunikation

Soll dazu führen, dass Laien die Welt der Wissenschafter besser verstehen. Die Wissenschafter und Institutsmanager erhoffen sich dadurch, dass ihre Forschungsergebnisse und Entwicklungen auf Akzeptanz treffen und die Politik mehr Forschungsgelder flüssig macht. Laien werden so besser informiert, wo ein mickriger Teil ihrer Steuergelder hinverschwindet und erfahren mehr über sich selbst und den Rest der Welt. Wissenschaftssprache

Einst Latein und Arabisch, dann Deutsch und spätestens, nachdem die Nazis versuchten, die hiesige Intelligenz auszurotten und diese größtenteils nach Amerika floh, sprechen die führenden Wissenschafter Englisch.


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Wissenschaftspolitik

Was auf die Felder kommt, ist sakrosankt I n t er v ie w : O r t r u n Vei c h t l b a u er u nd E ri c h K l ein

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osef H. Reichholf wurde 1945 in Aigen am Inn geboren. Der Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe war bis 2010 Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und Professor für Ökologie und Naturschutz an der TU München. Er ist unter anderem Präsidiumsmitglied des deutschen WWF. Unter seinen zahlreichen Publikationen wurden „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“ und „Warum die Menschen sesshaft wurden: Das größte Rätsel unserer Geschichte“ zu Bestsellern. Zuletzt erschienen: „Naturschutz: Krise und Zukunft“, „Der Ursprung der Schönheit: Darwins größtes Dilemma“, „Einhorn, Phönix, Drache: Woher unsere Fabeltiere kommen“. Sie sind bekannt als streitlustig im ­Bereich Umwelt- und Naturschutz. W ­ oher rührt die Lust an der Provokation? Josef F. Reichholf: Freiheit der Wissenschaft muss auch praktiziert werden. Weil sie auf Forschungsgelder schielen müssen, ziehen es die meisten Kolleginnen und Kollegen vor, sich möglichst wenig mit mächtigen Interessengruppen anzulegen. Bei mir waren zwei Rahmenbedingungen günstig: Ich habe nie einer politischen Partei angehört, auch wenn ich zugebe, dass ich Hoffnungen hegte, als die Grünen seinerzeit antraten, die heute auch nur am Macherhalt interessiert sind. Zweitens: Aufgrund der Arbeit in einem Forschungsmuseum besaß ich größere Freiheit als an einer Universität, wo immer darauf geachtet wird, was für die Karriere schädlich sein könnte. Der direkte Kontakt mit der Bevölkerung im Museum bedeutete ein gehöriges Maß an Unabhängigkeit. Viele Ausführungen des Zoologen und ­Evolutionsbiologen Reichholf klingen ­publikumstauglich und scheinbar paradox zugleich – Ihr Lob der Stadtnatur etwa. Reichholf: Die Stadt galt lange Zeit als naturfern, denken Sie an Slogans wie Die Unwirtlichkeit der Städte aus den Fünfzigerjahren. Tatsächlich ist das Leben für viele Tiere und Pflanzen heute in der Stadt erträglicher als am Land. Dort finden wir immer mehr hochtechnologische Natur, die nur grün scheint. Die sogenannte Landluft wurde oft durch den Gestank von Gülle ersetzt. Woher rührt eigentlich die Hysterie in Sachen Natur? Reichholf: Das beginnt einerseits bei den Verdrehungen der Sprache: Politiker erklären gerne Wir haben ein Ökosystem erhalten, anstatt einfach zu sagen Wir haben den Wald erhalten. Eine befriedigende Antwort habe ich nicht, aber es gibt einige Aspekte dazu: Die Öko-Bewegung kam aus den USA und man begann das in den Siebzigerjahren nachzumachen, weil es modern war. Aufgrund der Entwicklungen in der Industrie, in der Bautätigkeit gab es dafür mehr als gute Gründe! Allerdings wurde die

Der Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf über die Stadtnatur, Ökologie als Ideologie, Nachhaltigkeit, Einhörner und Drachen

Josef H. Reichholf: „Der direkte Kontakt mit der Bevölkerung im Museum bedeutete ein gehöriges Maß an Unabhängigkeit“

Öko-Bewegung bald zu einem Selbstläufer und vielen der ­Protagonisten war es nicht mehr möglich, ohne Gesichtsverlust zurück zu rudern. Wenn etwas zur Politik wird, ist das oft der Fall. Immer extremere Richtungen bekamen immer mehr Gewicht, die Vernünftigen sprangen ab oder zogen sich in Randbereiche zurück. Der beste Naturschutz wird heute von den Gruppen vor Ort gemacht und nicht von jenen, die auf globale Entwicklungen Einfluss nehmen wollen. Die Naturschutzbewegung ist ein Beispiel dafür, wie politische Bewegungen entstehen und Grenzen überschreiten. Ökologie ist heute ein Herrschaftsinstrument, das ökologische ­Management einer Stadt ist zu einer ­Sache der Technokraten geworden. Reichholf: Es ist eine Ideologie, die bis in den Nanobereich praktiziert wird: Alles, was messbar ist, und sei es noch so bedeutungslos, versucht man in die Praxis umzusetzen. Dabei werden aber andere Bereiche wie die Landwirtschaft nicht angetastet. Was dort auf die Felder kommt, ist sakrosankt, geschähe Vergleichbares in der Industrie, müssten die sofort schließen! Die Landwirtschaft ist eine heilige Kuh, wenn bei BASF minimal Schwefeldioxid entweicht, hören Sie es in den Abendnachrichten. In letzter Zeit haben Sie eine mit ­„Ursprung der Schönheit“ und „Einhorn, ­Phönix, Drache“ Bücher zu kulturwissenschaftlichen Themen geschrieben. ­Genügt Ihnen die Biologie nicht mehr? Reichholf: Ein Teil ergab sich aus meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit – ich wollte über eigene Ergebnisse berichten. Befasst man sich als Zoologe mit der Vogelwelt und ist man in einem Museum tätig, ergeben sich zwangsläufig Themen von großer Bandbreite: Aspekte wie Schönheit kommen in die Betrachtung hinein. Wie kann es etwa sein, dass bestimmte Vögel mit einem äußerst prächtigen Gefieder ungestraft herumfliegen dürfen? Ich habe herausgefunden, dass bestimmte Vögel von ihrer Umwelt, die eigentlich Anpassung erzwingt, derart unabhängig geworden sind, dass sie einen bestimmten Spielraum haben. Diesen Spielraum sehen wir etwa im Prachtgefieder des Pfaues. Dazu lässt sich eine Reihe von Überlegungen anstellen – wir suchen uns eigene Welten, eine strikte Anpassung an eine bestimmte Umwelt gibt es gar nicht; wir haben sehr viele Freiheiten. Das erklärt auch, warum sich der Mensch so viel leisten kann, ohne von der Natur gestraft zu werden. Was hat Sie an Fabelwesen wie ­Einhorn und Drache interessiert? Reichholf: Es ist reizvoll, zeigen zu können, dass alle wesentlichen Fabeltiere einen konkreten lebendigen Ursprung hatten. Bei meinen Beispielen, dem Einhorn

und dem Phönix, klappt das, beim Drachen klappt es nicht. Ich musste als Zoologe vor der Frage, ob es sich dabei um lebende oder ausgestorbene Echsen handelte, kapitulieren. Als Naturwissenschafter muss ich außerdem akzeptieren, dass meine Interpretation widerlegt werden kann; was nicht widerlegt werden kann, fällt in den Bereich des Glaubens und ist verdächtig. Sie wurden 2007 mit dem ­Sigmund-Freud-Preis der Deutschen ­Akademie für Sprache und Dichtung ­ausgezeichnet. Eine Überraschung? Reichholf: Ja, es hat mich überrascht, noch größer war aber die Freude, als ich erfuhr, dass sich als einziger Biologe unter den Preisträgern auch Adolf Portmann befindet, der für mich seit meiner Studentenzeit ein Vorbild ist. Portmann war für mich eine frühe Weichenstellung – in der Wissenschaft verständlich zu schreiben. Bei manchen Sätzen in Ökologielehrbüchern wird man ja geradezu verrückt! Die Vermittlung von Wissenschaft, besonders von Naturwissenschaften, stellt aber nicht nur ein s­ tilistisches Schreibproblem dar. Reichholf: Jeder Wissenschafter jeder Universität müsste in der Lage sein, zu vermitteln, was getan wird und warum etwas getan wird. Mein Eindruck ist, dass amerikanische Universitäten deshalb so viele Stiftungsgelder bekommen, weil die amerikanische Wissenschaft viel mehr darauf ausgerichtet ist, ihre Forschungen nach außen zu vermitteln. Bei uns lernt niemand, wie man das macht. Angelernt wird, wie man an Drittmittel kommt und wie Anträge zu stellen sind. Klimawandel oder Waldsterben werden benutzt, um besser an die Futtertröge zu kommen. Das steht viel mehr im Vordergrund als der Austausch mit einer interessierten Öffentlichkeit. Womit wir beim Schlagwort Nachhaltigkeit angelangt sind. Reichholf: Was sich nur an momentanen, gerade aktuellen Themen orientiert, wird auch wieder verschwinden. Wobei in Fällen wie bei Waldsterben viel zu viel Geld investiert wurde – die Vorhersagen waren völlig falsch, ich würde für mehr Zurückhaltung plädieren. Ihr Vorschlag, Experten für falsche Prognosen mit Sanktionen zu bedenken, ist nicht gerade auf viel Zustimmung gestoßen. Reichholf: Mein Vorschlag ging in die Richtung einer Versicherung wie bei Ärzten, die sich bei Kunstfehlern absichern. Man kann nicht erwarten, dass alles hundertprozentig funktioniert, aber man kann erwarten, dass mit Sorgfalt umgegangen wird. Dies ist auch im Falle der Wissenschaft einklagbar, wenn es einen konkreten Menschen betrifft. Bin ich als Bürger indirekt betroffen, durch


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Freistetters Freibrief

Zeit – wofür? Florian Freistetter

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ommst du da überhaupt noch K dazu, deine wissenschaftliche Arbeit zu machen?“ „Ist das nicht ein

Verschwendung von Steuermitteln für bestimmte Forschungen, die sich als falsch herausstellen, dann sollte die Gesellschaft das Recht haben, falsche Propheten zur Rechenschaft zu ziehen. Macht der Wetterdienst aufgrund falscher Prognosemodelle falsche Vorhersagen, spielt das für eine private Gartenpartie keine besondere Rolle, werden aber Millionen eingesetzt, die völlig wirkungslos sind, hat der Spaß ein Ende. Dann muss die Gesellschaft ein Korrektiv entwickeln, um zu verhindern, dass völlig überzogene Prognosen gemacht werden. Wir sind in diesem Bereich von jeglicher Mitverantwortung weit entfernt. Diese Argumente haben Ihnen vonseiten der Klimaforschung vehemente Vorwürfe e­ ingetragen. Sie gelten als Klimaskeptiker. Reichholf: Im Fall der KlimawandelDiskussion als Klimaskeptiker be-

zeichnet zu werden, ist schon eine Auszeichnung. Wer das nicht ist, ist ein Gläubiger! Deutschland ist in diesem Fall besonders extrem, hier heißt es: Deutschland muss eine Vorreiterrolle übernehmen. Man fragt sich, wohin wollen sie denn schon wieder reiten? Manchen Teilen der deutschen Bevölkerung gelingt es nicht, ein vernünftiges Maß einzuhalten. Die Franzosen sind zum Beispiel weiter weniger aufgeregt, was Atomkraft betrifft. Unsere Art von Umwelt- und Zukunftsdiskussion nimmt den jungen Leuten jegliche Zukunftsperspektive in zahlreichen Gebieten der Forschung. Das schaut auch in Amerika ganz anders aus – dort sind sie optimistisch! Wenn alles, was die Zukunft betrifft, derart pessimistisch eingestuft wird, geht gar nichts mehr voran. Die Vorstellung, dass wir in der besten aller Welten leben, ist für Altgewordene verständlich – die wollen keine Verän-

derungen mehr. Für die Jungen ist das jedoch verheerend! Eine Bücherfrage zum Abschluss: Was sollte der ökologisch ­gebildete Zeitgenosse gelesen haben? Reichholf: Zuletzt hat mich der Philosoph Michael Hampe beeindruckt, der in Tunguska oder Das Ende der Natur die unterschiedlichen Blickwinkel beschreibt, die unsere Denkgewohnheiten bezüglich der Natur geprägt haben. Ich habe immer wieder Alexander von Humboldts Kosmos gelesen. Ernst Haeckels Welträtsel, das lange verpönt war, macht sehr deutlich, wie wenig wir von den großen Fragen gelöst haben. Die Fakten ändern sich ständig, man kann also nur so aktuell sein wie der gegenwärtige Stand des Wissens. Wer glaubt, das ultimative Buch zu schreiben, nähert sich der Bibel. Das geht aber in der Naturwissenschaft nicht.

bisschen Zeitverschwendung, was du da machst?“ Solche und ähnliche Kommentare kann man sich als Wissenschafter von seinen Kollegen leicht einhandeln, wenn man sich allzu intensiv mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Öffentlichkeitsarbeit wird leider immer noch viel zu oft als etwas angesehen, das die wissenschaftliche Arbeit stört und behindert. Dabei sollte genau das Gegenteil der Fall sein! Natürlich ist es wichtig, dass Wissenschafter forschen. Ohne Forschung macht Wissenschaft keinen Sinn. Aber Wissenschaft ist mehr als nur Forschung. Was bringen die spannendsten Forschungsergebnisse, wenn sie nicht kommuniziert werden? Wissenschafter müssen mit dem Rest der Gesellschaft kommunizieren. Denn in den meisten Fällen ist es ja genau diese Gesellschaft, die auf dem Umweg der Steuergelder die Forschungsarbeit finanziert. Sie hat ein Recht darauf zu erfahren, was die Wissenschaft treibt. Aber auch die Wissenschafter profitieren davon. In einer Gesellschaft, die der Wissenschaft gleichgültig oder gar feindlich gegenübersteht, ist das Leben für die Forscher schwierig. Wenn es Wissenschaftern jedoch gelingt zu vermitteln, warum ihre Arbeit nicht nur wichtig, sondern auch faszinierend ist, bereichert das auch ihre Arbeit. Und sichert sie ab: Wenn Politiker wieder einmal Fördermittel für die Forschung kürzen wollen, wird ihnen das wesentlich leichter fallen, wenn die Wähler keine Ahnung von Wissenschaft haben. Das Klischee vom Wissenschafter im Elfenbeinturm, der unbehelligt und ungestört von der ignoranten Allgemeinheit vor sich hin forschen möchte, ist leider immer noch viel zu oft Realität. Wissenschaft muss in ständigem Kontakt mit dem Rest der Gesellschaft stattfinden. Öffentlichkeitsarbeit darf nicht mehr nur als privates Hobby einiger weniger engagierter Wissenschafter verstanden werden. Sie muss neben der Forschung ein gleichberechtigter und gleich wichtiger Teil der wissenschaftlichen Arbeit werden. Vielleicht sollte man in Zukunft öfter fragen: „Hast du denn bei all der Forschung überhaupt noch Zeit für die Öffentlichkeitsarbeit?“ Mehr von Florian Freistetter: http://scienceblogs.de/ astrodicticum-simplex


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Gedicht Boris Grigorjewitsch Chersonskij, geb. 1950 in Czernowitz/Ukraine. Dichter, Übersetzer, Psychiater, seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für Klinische Psychologie der Universität Odessa. Fachpublikationen zu Themen der Psychologie und Psychiatrie. Erste literarische Publikationen Ende der 1960er-Jahre im Samsidat, ab Mitte der 1980er Veröffentlichungen in russischen Emigrantenzeitschriften, seit den 1990er-Jahren in ukrainischen und russischen Literaturzeitschriften. Bislang zehn Gedichtbände. Der Text stammt aus „Semejnij Archiw“ –„Familienarchiv“, aus dem Russischen übersetzt von Erich Klein und Susanne Macht. (Beltsy/ Bălți ist die zweitgrößte Stadt Moldawiens.)

Boris Chersonskij, Familienarchiv

Was am Ende bleibt

Beltsy, 1942

Bücher: verboten, verboten!

Rebbe Hillel, von einem Fremdling in Versuchung geführt mit der Bitte, den Sinn der Tora darzulegen in der Zeit, die jener auf einem Bein stehen konnte, sagte: „Füge dem Nächsten nicht zu, was du selbst nicht erleiden willst. Alles Weitere sind Kommentare dazu. Geh, und denk nach.“ Die Überlieferung schweigt darüber, ob der Fremde tatsächlich auf einem Bein stand, als er diesen Worten lauschte, ob er wirklich ging, darüber nachdachte, welchen Erfolg er damit hatte.

Aus dem Russischen von Erich Klein und Susanne Macht

Rätsel von Gaja Waagrecht: 1 Vertiefungen im Hochschulverzeichnis 7 Antonio, Diego und Francisco sind damit gut ausgestadtet 8 Professionelle Vermittlung von Betreuerbankgeheimnissen? 10 Bist du g‘scheit?! Kommt u.a. darauf an (Abk.) 11 7 Stellen, hier auf 3 gekürzt 12 Dort hat man die größten Chancen auf einen Studienplatz 13 Mein lieber Schwan, bei ihr ging Zeus aber gemächtig ran 14 In stillen Wassern sinkt’s tief 16 Pariser Stromversorgerin 18 27-Länderbank (Abk.) 20 Bei der Zahl ist Vorsicht gegeben 22 Hausbesorgers Außendienststelle 24 Streberrating 25 Nr. 1 im Fassaden-Ranking 26 Reaktion in einer Verbindung, deren Chemie nicht mehr passt Senkrecht 1 Daumenkino 2.0 (2 Wörter) 2 Das Talent ist der Rede wert 3 Keiner geht einem mächtiger am Nerv? 4 Aufnahmebedingung für objektive Detailarbeit 5 Wenn Menschen eine gewisse Tierhaltung an den Tag legen 6 René also Descartes 9 Ford-Vorgängermodell, sorgte 1974 für einen politischen Frontal-Crash 15 Ungewisses Pilotprojekt 17 BinnenInnen 19 Runninggaggeber mit schalem Humor 21 Anzügliche Frauen-Rolle 23 Der genoss seine Freiheit am Hof

Lösungswort:

Auflösung aus Falter HEUREKA 1/2013. Lösungswort: TRANSSILVANIEN Waagrecht: 1 HALBBLUT, 7 EDELGASE , 8 REDE, 9 IDOLE, 11 KLUG, 12 ROT , 13 RASER, 15 HELIX, 17 ISLAMIST, 19 LEITERIN, 22 AAS, 23 GENE, 24 TREE, 25 FAEULNIS Senkrecht: 1 HERZKREISLAUF, 2 ADERLASS, 3 LED , 4 BLEIGEHALT, 5 LABOR , 6 TELETEXT, 10 LOGIS , 14 REM, 16 LIVREEN, 18 LEISTE, 20 EGEL, 21 NEWS

erich klein

Am Anfang war das Wort und das Wort wurde von der katholischen Kirche verwaltet, die 1559 zu diesem Behuf den „Index librorum prohibitorum“ erfand. Der „Index“ blieb bis 1966 gültig. Prominente Namen auf der Bestenliste der römischen Verbote: Von Balzac bis Simone de Beauvoire. Im Grund ging es um dasselbe Problem, das schon den Philosophen Platon die Dichter aus seinem idealen Staat hatte verbannen lassen: Sie würden sich an der einen und unveränderlichen Wahrheit vergreifen. Und die wird immer oben verwaltet. In der christlichen Neuzeit kam diesbezüglich erschwerend die Welt des Buchdruckes hinzu. Bei Heinrich Heine heißt es: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ So weit ging die heilige Kongregation der Eminenzen im Fall Heine, der ob Spottlust und Gotteslästerei mit vier Titeln auf dem Index stand, nicht. In einem Fall irrte Heinrich Heine allerdings, als er dachte, Deutschland sei hinkünftig frei, kein Pfaffe werde mehr deutsche Geister einkerkern. Deren nationalsozialistische Nachahmer verbrannten seine Bücher. Die „Aktion wider den undeutschen Geist“ in Berlin am 10. Mai 1933, eineinhalb Monate nach Hitlers Machtantritt, wurde von Propagandaminister Goebbels höchstpersönlich eröffnet: Die Zeit des „jüdischen Intellektualismus“ sei jetzt vorbei, dem deutschen Weg werde wieder „eine Gasse frei gemacht“. Was folgte, war nicht die einzige Bücherverbrennung der Geschichte, aber die wohl am effektvollsten inszenierte – in Anwesenheit von Radio und Filmkamera. Dem Feuer „übergeben“ wurden hundertsiebenundzwanzig Schriftsteller – von Bertolt Brecht bis Stefan Zweig. Von manchen Autoren wurden nur „ausgewählte“ Werke verbrannt, bei anderen wie Karl Marx kurz und bündig „alles“. Österreich zog in der Kulturhauptstadt Salzburg unter Anleitung des Naziautors Karl Springenschmid am 30. April 1938 mit einer Bücherverbrennung nach. Nach dem Ende der Nazis erstellten die Befreier ihrerseits Listen verbotener und aus Bibliotheken auszuscheidender Bücher. Ein zumutbarer Akt des Gedenkens wäre, sich zumindest einmal sowohl einen der von den Nazis verbotenen Autoren als auch einen der nach 1945 verbotenen Verfasser, die sich in allen öffentlichen Bibliothekskatalogen noch immer befinden, zu Gemüte zu führen. Auch wenn es sich bei letzteren um verbrecherischen Schwachsinn handelt.


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