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Kopf im Bild Seite

: KOPF IM BILD

Enzyme

„Ich habe eine karriereüberdauernde Faszination für Enzyme“, sagt Bernd Nidetzky. „Ich frage mich, wie sie es schaffen, so fantastische Katalysatoren zu sein.“ Katalysatoren sind Stoffe, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion beeinflussen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Für seine Grundlagen- und angewandte Forschung zu Enzymen wurde der Leiter des Instituts für Biotechnologie und Bioprozesstechnik der TU Graz nun als einer von wenigen europäischen Forschenden mit dem Elmer L. Gaden Award des US-Journals Biotechnology and Bioengineering ausgezeichnet. Das hat den Biotechnologen gleichermaßen überrascht wie erfreut: „Ich habe mich dafür ja nicht ins Spiel gebracht, aber es ist eine schöne Bestätigung der eigenen Arbeit, in so einer hochkarätigen Runde an internationalen Kolleg*innen aufzuscheinen.“ Nidetzkys Schwerpunkt in Zusammenhang mit biokatalytischer Synthese, synthetischer Biologie und Reaktionstechnik liegt auf kohlenhydrataktiven Enzymen sowie auf Enzymen, die an festen Grenzflächen arbeiten.

TEXT: USCHI SORZ FOTO: HELMUT LUNGHAMMER

: JUNGFORSCHERINNEN

USCHI SORZ

Was tun mit dem CO2? Im interdisziplinären Doktoratskolleg „CO2Refinery“ der TU Wien arbeiten diese drei Doktorand*innen an Methoden, um es klimafreundlich zu verarbeiten

Florian Müller, 28, Institut f. Verfahrenstechnik, Umwelttechnik u. technische Biowissenschaften

„Ein reines Chemie- oder Physikstudium wären mir zu eingeschränkt gewesen“, sagt der im Burgenland aufgewachsene Steirer. „In der Verfahrenstechnik hingegen geht es um interdisziplinäre Lösungsansätze, um so etwas Komplexes wie das Senken des CO2-Fußabdrucks einer ganzen Prozesskette zu bewerkstelligen.“ In seinem Projekt erzeugt er ein Gas aus Biomasse und CO2, das als Ausgangsstoff für verschiedenste chemische Weiterverarbeitungsschritte genutzt werden kann. Etwa um am Ende synthetisches Erdgas, Methanol oder Biotreibstoffe herzustellen. „So kann man nicht nur fossile Kohlenstoffquellen vermeiden, sondern auch klimaschädliches CO2, das bereits vorhanden ist, wieder in eine Kreislaufwirtschaft integrieren.“

Katharina Rauchenwald, 25, Institut f. chemische Technologien u. Analytik

Um das Treibhausgas CO2 in einen wirtschaftlich relevanten Rohstoff umwandeln zu können, sind biologische oder anorganische Katalysatoren nötig. „Aber genauso wie man Blumensamen sorgfältig verstreuen muss, um möglichst viele Pflanzen heranzuziehen, erzielt man auch hier nur hohe Umwandlungsraten, wenn die katalytischen Zentren fein verteilt und gut zugänglich auf einem passenden Trägermaterial verteilt sind.“ An diesem arbeitet sie. „Es sind keramische Werkstoffe, denn diese halten hohen Temperaturen und Chemikalien stand. Die Formgebung für Filter- und Katalyseanwendungen ist jedoch eine Herausforderung.“ Sie setzt dabei eine neue Methode namens „Ice-Templating“ ein. „Dabei werden präkeramische Lösungen im gefrorenen Zustand in Form gebracht.“

Diana Dimande, 25, Institut f. Verfahrenstechnik, Umwelttechnik u. technische Biowissenschaften

„Obwohl Entwicklungsländer am wenigsten zum Klimawandel beitragen, leiden sie am meisten unter seinen Auswirkungen“, sagt die Mosambikanerin. „Meine Hauptmotivation bei der Erforschung alternativer Verfahren zur Verringerung von CO2-Emissionen ist es, dass Länder wie mein Herkunftsland einmal ohne Hindernisse wachsen können.“ Ihr Schwerpunkt ist die Simulation und Analyse von Prozessen, auf die andere Forschende im interdisziplinären Doktoratskolleg ihren Fokus richten: CO2-Aktivierung oder die Umwandlung von CO2 zu Kraftstoffen und Chemikalien. „So kann ich die Umweltauswirkungen ihrer Konzepte noch in der Entwurfsphase bewerten und die besten Rahmenbedingungen für die Prozesse vorschlagen.“

CHRISTOPH PONAK

: KLIMATECHNOLOGIE

MARTIN HAIDINGER

: HORT DER WISSENSCHAFT

Klimapositiv Zurück zur – ähh?

Diesmal war eine positive Nachricht geplant – nicht zuletzt, weil dringend nötig. Beispielsweise eine Aufzählung der SDGs, deren Erreichung wir näherkommen. Die gibt es tatsächlich, auch wenn der Fortschritt der meisten Ziele als „moderat“ eingestuft wird. Deshalb geht es heute darum: Was ist „positiv“ in Klimafragen?

Bereits in meinen letzten Texten habe ich argumentiert, dass die Unabwendbarkeit der Klimakrise weitgehend akzeptiert werden muss. Was nützt es uns, belegbar unerreichbare Ziele aufzustellen?

Das 1,5°C-Ziel ist kein Narrativ, hinter dem man Menschen vereint. Schon weit empathischere Versuche sind gescheitert. Nicht jedem Menschen tut ein Eisbär leid, und nicht jedem andere Menschen. Es ist inakzeptabel, dass ein gewisser Teil der Menschheit das Leben für einen anderen erschwert bis verunmöglicht. Doch die Häufung von Schreckensmeldungen und die Geschwindigkeit von Änderungen korrelieren schlecht. Das bedeutet jedoch nicht, dass jeglicher Fortschritt stagniert.

Irrationale Ziele nähren Zynismus und Lethargie. Stephen Pinker und vor nicht allzu langer Zeit der US-Late-Night-Host Bill Maher beschreiben eine „progressophobia“ – die Unfähigkeit, Fortschritt zu sehen. Ich denke, dass Sorge und Skepsis irgendwo zwischen berechtigt und notwendig stehen. In Anbetracht der Komplexität und Größenordnung der Herausforderung ist „moderat“ jedoch nicht zwingend schlecht – so verschwenderisch und ineffizient wir auch sein können.

Ernüchternd und erfrischend zugleich sind die Ausführungen des Wissenschaftlers Vaclav Smil, der zuletzt in einem Interview mit der New York Times ausführt, wie die Technik einen Übergang von Kohle über Öl hin zu Gas, Atomenergie und erneuerbaren Energiequellen ermöglicht und parallel dazu die Prozesse effizienter gestaltet hat. „Our engineers are not asleep“, so Smil. Aber: Es braucht Nachschub. Viel Nachschub. Und Unterstützung: Finanziell sowie von einer Bevölkerung, die, sofern sie kann, beiträgt – die reine Erwartung und Notwendigkeit technologischer Lösungen kann und soll keine Generalabsolution darstellen. Disruption ist nötig, Innovation besser als nichts. Positiv? Moderat. Wenn ich früher an „österreichische Natur“ dachte, fiel mir immer der liebe Sepp Forcher mit dem „Klingenden Österreich“ ein, doch vollkommen zu Unrecht. Denn abgesehen davon, dass unsere austriakischen alpinen Gegenden in den letzten 150 Jahren schon eine wechselvolle identitätspolitische Karriere als „deutsche Berge“ und „deutschösterreichische Berge“ hinter sich haben, handelt es sich bei den Wiesen, Almen, Tälern, die der wackere Sepp durchstapfte, ja mitnichten um Natur-, sondern um jahrtausendealte Kulturlandschaften, die von Menschenhand gehegt, gepflegt und teilweise auch zerstört wurden. Der Anteil unberührter Natur liegt hierzulande bei unter einem Prozent, und manchmal habe ich das Gefühl, dass sich das vor allem auf meinen Vorgarten bezieht – aber lassen wir das Persönliche weg und steigen hinauf in die Sphären der Geistesaristokratie:

Der alte J.-J. Rousseau hat niemals „Zurück zur Natur!“ gefordert, obwohl ihm das bis heute unterstellt wird, weil einem französischen Philosophen, der alle seine Kinder unbarmherzig ins Findelhaus abgeschoben hat, um mehr Zeit für seinen literarischen Kram zu haben, wahrscheinlich so ziemlich alles zuzutrauen ist. Was er uns hingegen sehr wohl nachweislich eingebrockt hat, ist die „volon-

MEHR VON CHRISTOPH PONAK: LINKEDIN (CHRISTOPHPONAK-255112111) | SHIFTTANKS (WWW.SHIFTTANKS.AT) té générale“, das Gemeinwohl, an dem wir seitdem herumbasteln und das immer wieder einmal an der repräsentativen Demokratie vorbei in seinen Zerrbildern als „gesundes Volksempfinden“ oder „klassenlose Gesellschaft“ vorkommt. Mit der freundlichen Natur des Menschen haben diese diktatorischen Vorstellungen wenig zu tun, nur gibt es schon Beispiele dafür, dass jene, die sich für die Vollstrecker irgendeines selbstangemaßten „Gemeinwillens“ halten, einstmals blühende Kulturgegenden in öde Wüsteneien verwandelt haben. Zum Beispiel die Ukraine. Zunächst von Lenin und Stalin durch mutwillige Hungersnöte ihrer Einwohner entledigt, dann von Hitler mit Krieg und Massenmord traktiert und nunmehr von russischen und tschetschenischen Banden „entnazifiziert“. Was wird von diesem Gebiet und seinen Menschen nach Putins Verheerungen übrig bleiben? Eher eine Mond- denn eine Kulturlandschaft, steht zu befürchten.

Dann schon lieber sanfte ökologische Rückbauten wie bei uns! Üble Bodenversiegelung weiche idyllischen Wiesen, und in den Aulandschaften möge es quaken und zirpen. Vielleicht bringen uns ja dann auch die Radlrikscha-Konvois das heiß ersehnte Flüssiggas aus den Arabischen Emiraten, das wir so dringend für unsere Feuerzeuge brauchen.

: FINKENSCHLAG

HANDGREIFLICHES VON TONE FINK TONEFINK.AT

ZEICHNUNG (AUSSCHNITT) FLORIAN FREISTETTER

: FREIBRIEF

Schlaues Kind

Es gibt jede Menge Initiativen, um Kindern und Jugendlichen die Wissenschaft näherzubringen. Was man aber bei diesen löblichen Projekten nicht vergessen darf, ist die Erwachsenenbildung. Wenn man eine informierte Gesellschaft haben möchte, die in der Lage ist, vernünftige Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, kommt es auch auf die älteren Menschen an. Und wir wollen ganz dringend eine solche Gesellschaft haben.

Wie es aussieht, wenn das nicht der Fall ist, konnten und können wir gerade im Zuge der Covid19-Pandemie beobachten, die länger dauert, als sie müsste, und mehr Opfer gefordert hat, weil sich zu viele aus Unwissen oder Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht an den vernünftigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung beteiligt haben.

Corona ist eine geringe Herausforderung, verglichen mit der Klimakrise. Wie sollen wir das mit dem Klima auch nur ansatzweise in den Griff bekommen, wenn es für viele Menschen schon eine Zumutung darstellt, eine Maske zu tragen? Antwort: Gar nicht.

Das wird sich erst ändern, wenn eine ausreichend große Anzahl von uns verstanden hat, womit wir es zu tun haben. Die Kinder und Jugendlichen sind hier eher nicht das Problem, die sind da schon weiter als die Erwachsenen. Abgesehen davon ist es auch vergleichsweise leicht, den Kindern etwas beizubringen. Sie müssen ja in die Schule gehen, und ausreichend gut ausgestattete Schulen und sinnvolle Lehrpläne vorausgesetzt, werden die meisten auch ausreichend gebildet ihr Erwachsenenleben beginnen.

Im Gegensatz dazu müssen Erwachsene nicht mehr lernen, zumindest nicht per Gesetz. Erwachsene sind auch schon viel festgefahrener in ihren Ansichten als Kinder. Erwachsene sind es aber auch, die Entscheidungen für alle treffen. Jede Initiative, die sich eine informierte Gesellschaft wünscht, sollte sich also auch um die Erwachsenenbildung Gedanken machen. Hier braucht es niederschwellige Angebote; Strukturen wie die Volkshochschulen müssen gestärkt und attraktiver gemacht werden. Die Zukunft gehört zwar den Kindern, aber die Welt wird sich nur dann zum Positiven ändern, wenn wir alle zusammen schlauer werden.

MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS.DE/ ASTRODICTICUM-SIMPLEX

NACHRICHTEN AUS FORSCHUNG UND WISSENSCHAFT

Seiten 6 bis 9

Wie Wissenschaft in unsere alltäglichen Lebensumstände eingreift und sie verändert

: SYSTEMANALYSE

Lkw statt Speicherkraftwerke

ElektroLkws können auf Bergstraßen Wasserkraftstrom generieren

JOCHEN STADLER

In den Alpen, Anden und am Himalaya könnten in Zukunft selbstfahrende elektrische Lkw steile Bergstraßen hinauf- und hinuntertingeln und dabei Wasserkraft in elektrischen Strom umwandeln, meint Julian Hunt vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien.

Oben am Berg würden die Lastkraftwagen dazu mit Wasser gefüllte Container laden, bei der Talfahrt mit der potenziellen Energie des Wassers Akkus aufladen und den so generierten Strom unten im Tal ins Netz speisen.

In vielen Fällen wäre dies umweltfreundlicher als Speicherkraftwerke. Denn es bräuchte dazu nur eine kleine Anlage am Berg, um das Wasser aus den Bächen und Flüssen in Container zu leiten, schrieben Hunt und Kolleg*innen in der Fachzeitschrift Energy. Im Tal würde man das Wasser langsam in die Gewässer zurückführen. Zusätzlich wäre ein Stromnetzanschluss vonnöten.

Die Lkw sollten nur bestehende Straßen nutzen, damit keine neuen gebaut werden müssen. Sie könnten flexibel unterschiedliche Berge ansteuern, je nachdem, wo gerade viel Wasser fließt. Weltweit wären auf diese Art jährlich 1,2 Billiarden Wattstunden Strom erzeugbar, rund fünf Prozent des globalen Stromverbrauchs. Bergstraßen-Lkw-KWStrom würde etwa 27 bis 91 Euro pro Megawattstunde (MWh) kosten und wäre damit um die Hälfte günstiger als Stau-KW-Strom, berechneten die Forschenden.

: DEMOGRAFIE

Der Klimawandel: Durch seinen Einfluss sterben im Sommer vermehrt ältere Leute

Ozon-Veränderungen in der Atmosphäre heizen das Polarmeer auf

In Wien nehmen Hitzetage und Tropennächte zu. Das setzt ältere Personen im Sommer unter Stress – ihre Sterberate steigt

JOCHEN STADLER

„In Wien nimmt die Zahl der älteren Menschen zu, gleichzeitig bringt der Klimawandel vermehrt Hitzetage und Tropennächte“, erklärte der Demograf Erich Striessnig bei einer vom Wittgenstein Centre organisierten Pressekonferenz. Das Zusammenfallen dieser Trends entspreche dem zeitgleichen Zufahren von zwei Schnellzügen auf eine Weiche.

Während sommerlicher Hitzeperioden wird es zu mehr Krankenhausaufenthalten, aber auch Todesfällen bei älteren Menschen kommen, hat er mit Kolleg*innen berechnet. Ein Team um Striessnig und Roman Hoffmann vom Institut für Demographie der ÖAW untersuchte mit statistischen Verfahren, wie sehr klimatische Schwankungen und Extreme unterschiedliche Bevölkerungsgruppen treffen. In der Vergangenheit sind ältere Menschen häufiger in der kalten Jahreszeit gestorben, erklären die Forscher: „In Zukunft erwarten wir aber eine Übersterblichkeit im Sommer.“ Dann müssen auch Ärzt*innen und Spitäler in Wien mit erhöhtem Patient*innenaufkommen rechnen.

Die anhaltende Verbauung verstärke laut Striessnig das Problem:

Erich Striessnig, Österreichische Akademie der Wissenschaften

„So werden potenzielle Hitzeinseln immer größer“. In einem Extremszenario mit anhaltend starker Versiegelung könnte sich in den kommenden Jahrzehnten sogar eine riesige Hitzeinsel von Wien bis Bratislava bilden. „Die älteren Menschen wären dann an den kritischen Tagen wie in einem Hitzekessel eingeschlossen.“

: METEOROLOGIE

In der Stratosphäre wird Ozon weniger, in bodennahen Luftschichten mehr – das führt zu massiver Meereserwärmung am Südpolar

JOCHEN STADLER

In der Stratosphäre 15 Kilometer über der Erdoberfläche schützt eine Ozonschicht die Lebewesen am Boden vor schädlicher UV-Strahlung. Sie wurde durch mittlerweile verbotene Fluorkohlenwasserstoff-Treibgase (FCKWs) verringert, auch Lach-

Ramiro ChecaGarcia, BOKU Wien

gas aus Düngemitteln und der Tierhaltung setzen ihr zu. In bodennahen Schichten der Troposphäre wiederum ist Ozon ein potentes Treibhausgas. „Nur Kohlendioxid und Methan haben noch stärkere Auswirkungen auf die globale Erwärmung“, erklärt Ramiro Checa-Garcia vom Institut für Meteorologie und Klimatologie der BOKU Wien. Bodennahes Ozon reichert sich durch die von Menschen erzeugten Emissionen von Stickoxiden und anderen Gasen an. Diese werden bei Sonneneinstrahlung in Ozon umgewandelt.

Ein Team um Wei Liu von der University of California Riverside, dem auch Checa-Garcia angehörte, berechnete, wie sehr sich die oben wie unten veränderten Ozonverhältnisse auf die Ozeane auswirken. „Unsere Studie, in Nature Climate Change veröffentlicht, ergibt, dass Ozon dreißig Prozent der Erwärmung des Südpolarmeeres und angrenzender Ozeanregionen erbringt.“ Sechzig Prozent davon sind auf den Anstieg der Mengen von Ozon in der Troposphäre zurückzuführen, vierzig Prozent auf den Schwund in der Stratosphäre. Das Meer hat seit den 1950er-Jahren pro Jahrzehnt mehrere Trilliarden Joule Wärmeenergie aufgenommen.

: MATHEMATIK

Nash und Pareto vereint

Birgit Rudloff: Neue Zusammenhänge in der Finanzmathematik

USCHI SORZ

Vorhersagen, wie sich Wertpapiere entwickeln, kann niemand mit Gewissheit. Hinter der Frage, wie man ein Risiko minimiert und zugleich die Rendite maximiert, stecken komplexe Berechnungen. Mit solchen beschäftigt sich Birgit Rudloff. Sie ist

Birgit Rudloff, Wirtschaftsuniversität Wien

Professorin am Institut für Mathematik und Statistik der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und Expertin für dynamische Optimierungsprobleme mit mehrdimensionaler Zielfunktion. „Dabei spielen mehrere, einander oft widersprechende Kriterien eine Rolle“, erklärt sie. „Wenn man sich bezüglich eines Kriteriums nur verbessern kann, indem man sich in einem anderen verschlechtert, nennt man dies Pareto-Optimum.“ Bei der Preisbildung wiederum ist das aus der Spieltheorie bekannte NashGleichgewicht ein guter Ansatz. Es beschreibt eine Strategie, bei der niemand einseitig abweichen kann, ohne sich zu verschlechtern.

Die beiden Konzepte galten jahrzehntelang als verschieden. Nun hat Rudloff gemeinsam mit einem Kollegen aus den USA gezeigt, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen übereinstimmen. „Das war überraschend und hat zur Folge, dass man künftig Methoden und Algorithmen der Pareto-Optimierung auf NashGleichgewichte anwenden kann.“

Darüber hinaus konnte die Mathematikerin neue Erkenntnisse zur Berechnung des systemischen Risikos eines Bankennetzwerks sowie zur zeitlichen Konsistenz bei dynamischen Optimierungsproblemen präsentieren. „Eine Entscheidung ist zeitkonsistent, wenn sie nicht nur im Moment, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt noch optimal ist.“ Effizient lässt sich das mithilfe des so genannten BellmannPrinzips berechnen: „Man teilt ein großes, mehrere Zeitperioden umfassendes Problem in kleine Ein-Perioden-Probleme und löst es rückwärts in der Zeit.“ Eindimensional ist das gut erforscht, Rudloffs Gruppe konnte jetzt ein ähnliches Prinzip sowie Zeitkonsistenzkonzept für mehrdimensionale Probleme vorlegen.

: UNIVERSITÄTSGESETZ

Ab 1. Oktober gilt an Österreichs Universitäten das neue Studienrecht

Mit Start des WS 2022/23 ändert sich einiges für Studierende. Das liegt nicht nur an der Mindeststudienleistung, die ab jetzt erbracht werden muss

BRUNO JASCHKE

Mit 1. Oktober tritt die im Vorjahr beschlossene Novelle des Universitätsgesetzes (UG 2021) vollständig in Kraft. Das betrifft vor allem die Änderungen des Studienrechts – unter anderem die Mindeststudienleistung, wodurch innerhalb von vier Semestern zumindest 16 ECTSPunkte zu erbringen sind. Das umfasst aber auch die Möglichkeit, zu Studienende ein „Learning Agreement“ mit der Universität bzw. Pädagogischen Hochschule (PH) abzuschließen, oder auch den Entfall der Nachfrist.

Der Start des WS 2022/23 bringt aber auch die Ausweitung der Anerkennung mit sich. Nun können auch berufliche oder außerberufliche Qualifikationen in einem Umfang von bis zu sechzig ECTS-Punkten anerkannt werden, wenn die jeweilige Universität bzw. PH ein entsprechendes Verfahren dafür vorsieht. Zudem gilt ab dann die Beweislastumkehr: Dadurch müssen die Unis bzw. PH selbst belegen, wieso sie anderswo erbrachte Studienleistungen nicht anerkennen.

Dabei ist eine neue Frist zu beachten: Vor der Zulassung absolvierte Lehrveranstaltungen oder Prüfungen müssen bis Ende des zweiten Semesters beantragt werden. Studierende, die sich ab Herbst im dritten Semester oder höher befinden und die früher erbrachte Studienleistungen anerkannt haben möchten, müssen daher bis 30. September den entsprechenden Antrag dafür einbringen.

: WISSENSCHAFTSPOLITIK

Im Herbst erhöht sich die Studienbeihilfe um bis zu zwölf Prozent

Ab 1. September wird die Studienbeihilfe erhöht und vereinfacht. Besondere Erleichterungen gibt es für ältere Studierende

CLAUDIA STIEGLECKER

Erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg: Studierende treffen die derzeitigen Teuerungen besonders hart. Um sie zu unterstützen, liegt dem Parlament eine Reform der Studienbeihilfe zur Abstimmung vor. Sie sieht die Erhöhung der Studienbeihilfe um bis zu zwölf Prozent ab 1. September vor. 22 Millionen Euro zusätzlich nimmt das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung allein heuer dafür in die Hand, 2023 sind es 68 Millionen Euro zusätzlich.

Mit der Erhöhung der Studienbeihilfe geht auch die Vereinfachung des bisherigen Berechnungsmodells einher. Anstelle von einer Höchstbeihilfe bestimmte Beträge abzuziehen, geht man in Zukunft von einem Grundbeitrag von 335 Euro aus, zu dem man je nach Lebenssituation bestimmte Beträge hinzurechnet, zum Beispiel einen Wohnkostenbeitrag oder einen Kinderzuschlag. Das macht die Berechnung für die Betroffenen einfacher und damit nachvollziehbarer.

Erleichterungen gibt es auch für ältere Studierende. Sie erhalten einfacher Zugang zu einem Stipendium nach Selbsterhalt, auch wenn sie zuvor bereits Studienbeihilfe bezogen haben. Darüber hinaus wird die Altersgrenze bei Studienbeginn um drei Jahre (von 30 auf 33 bzw. für Sonderfälle von 35 auf 38 Jahre) hinaufgesetzt. Unverändert bleiben die Anspruchsvoraussetzungen– insbesondere der notwendige Nachweis eines günstigen Studienerfolgs.

: KLIMAFORSCHUNG

Im Alpenvorland steigt die Erdrutschgefahr durch den Klimawandel massiv

Bei Extremwetterlagen wie Starkregenfällen wären große Gebiete in Österreich von gewaltigen Erdrutschen bedroht

JOCHEN STADLER

Im Juni 2009 gab es im Alpenvorland der Südoststeiermark nach starken Regenfällen mehr als 3.000 Erdrutsche. Ein Sommer wie damals kann sich wiederholen und würde eine um fast die Hälfte größere Region betreffen, wenn der Klima-

Douglas Maraun, Universität Graz

wandel ungebremst weiterläuft, berichtet Douglas Maraun vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz mit Kolleg*innen.

Nur wenn man die globale Erwärmung deutlich mindert und zusätzlich die Wälder in Gefahrenregionen mit besser „klimaangepassten“ Baumarten aufforstet, könnte man das Risiko einschränken. Bei fortschreitendem Klimawandel steigen die Durchschnittstemperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts weltweit um rund vier Grad Celsius an. Bei Extremwetterlagen wie 2009 wäre das betroffene Gebiet dann um bis zu 45 Prozent größer, so die Forschenden im Fachmagazin Communications Earth and Environment.

Selbst wenn die Klimaziele von Paris erreicht werden und die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau „nur“ eineinhalb Grad beträgt, wären zehn Prozent zusätzliche Flächen betroffen. Deshalb wäre es wichtig, dass man in den gefährdeten Gebieten landwirtschaftliche Flächen und Fichtenwälder durch widerstandsfähige Mischwälder ersetzt. Bei einem moderaten Temperaturanstieg von eineinhalb Grad Celsius plus solcher Aufforstung könnte man das Erdrutschrisiko zumindest auf dem heutigen Niveau halten, erklärt Maraun.

: ANTHROPOLOGIE

Bequeme Menschen der Frühzeit: Statt auf Weitwandern setzten sie auf Regionalität

Vor 12.000 Jahren, nach dem Ende der letzten Eiszeit, hörte das Weitwandern der Menschen in Afrika allmählich auf

JOCHEN STADLER

Mit dem Ende der „letzten Eiszeit“ vor 12.000 Jahren ließen die Menschen in Afrika das Weitwandern bleiben und machten es sich gemütlich, wo sie gerade waren, fand ein internationales Forscherteam mit österreichischer Beteiligung heraus.

Ron Pinhasi, Universität Wien

Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien ist Spezialist für das Sequenzieren „uralten Erbguts“ (ancient DNA). Zusammen mit Mary Prendergast und David Reich von der Harvard Medical School in Boston sequenzierte er DNA von sechs Ostafrikaner*innen, die vor 5.000 bis 18.000 Jahren gelebt hatten. „Die Proben sind das älteste Erbgut aus Afrika, das bislang sequenziert wurde“, erklärt er. Der Vergleich mit der DNA von weiteren 28 menschlichen Überresten vom ganzen Kontinent legte den Forschenden Facetten ihrer Lebensumstände nah.

Bei den sechs Individuen erkannten sie drei alte Herkunftslinien aus weit auseinanderliegenden Regionen: aus Ostasien, Südafrika und den Regenwäldern Zentralafrikas. Demnach wären ihre Vorfahren vorerst weite Strecken gewandert und hätten sich mit verschiedensten anderen Gruppen vermischt, erklären die Forschenden im Fachjournal Nature. Bei milder werdendem Klima vor rund 12.000 Jahren sei jedoch eine „verstärkte Regionalisierung“ zu beobachten, erklärt Pinhasi. Die Menschen suchten ihre Partner*innen eher im lokalen Umfeld. Es begann damals eine „große kulturelle Wende mit Perlen, Farbstoffen und symbolischer Kunst, die ganz Afrika durchzog“.

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