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HEUREKA Das Wissenschaftsmagazin

J ean Paul lesen! Wir empfehlen die Lektüre dieses Dichters für Durchbeißer

Böses Blut! Neue, weltweite Entwicklungen in der Transfusionsmedizin sorgen für Zoff Neue Regeln zur Studienplatzfinanzierung und warum fast alle damit unzufrieden sind

Nr. 1/13

Blut: Verschwendung in

Österreich

Blutspenden und Bluttransfusionen: Was damit in Österreichs Spitälern geschieht – und warum das so gefährlich ist

ILLUSTR ATION: PETER PHOBIA

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2396/2013


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Inhalt

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Ein Star der Quantenphysik Markus Arndt, Quantennanophysiker Wenn Spinnen Fliegen spüren Wahrnehmung über einen Lufthauch Auch wir sind endlich am Pol! Neues Polarforschungsinstitut Dichter für Durchbeißer Über den Autor Jean Paul

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Unser Blut in Zahlen Der Countdown zum Thema Ist Frauenblut giftig? Was Mediziner von der Menstruation hielten Blutverschwendung in Österreich Und was man dagegen tun könnte Böses Blut unter Medizinern Streitpunkt Bluttransfusion

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Das Blut der Nabelschnur Ein Notfallpaket fürs eigene Leben? Blut in Österreich: Das Glossar Von der Blutwurst bis zur Thrombose Studienplatzfinanzierung Neue Regelungen, wenig Durchblick Gedicht, HEUREKA-Rätsel, Kommentar Blut verschütten

Kommentar

Editorial

Sterben in Österreich die Ärzte aus? wolfgang schütz

Gr afik: Tone Fink, foto: Felicitas Matern

eit geraumer Zeit geistert das „ÄrzS temangel-Gespenst“ durch Österreich. Verwaiste Landarztpraxen sol-

len durch mehr Medizinabsolventen wieder zum Leben erweckt werden – soweit die Milchmädchenrechnung. Eine Studie der „Gesundheit Österreich“ zum Bedarf an Ärztinnen und Ärzten in Österreich bis zum Jahr 2030 (veröffentlicht im Sommer 2012) zeigt klar auf, worauf es ankommt, um dem Bedarf für die kommenden 20 Jahre gerecht zu werden – nämlich auf grundsätzliche, strukturelle Verbesserungen, die für die Absolventinnen und Absolventen unserer Medizinuniversitäten Österreich wieder beliebter machen, egal ob am Land oder im urbanen Bereich. Tatsächlich zieht es immer mehr Absolventen des Medizinstudiums für den Turnus ins europäische Ausland, wo die Bedingungen deutlich attraktiver sind als in Österreich: Mit einer besseren und kürzeren postgraduellen Ausbildung bei gleichzeitig höherem Gehalt und bei viel höherer persönlicher Wertschätzung. Hierzulande werden Fachärzte und Allgemeinärzten in (viel zu langer) Ausbildung allzu oft als BilligArbeitskräfte betrachtet, die auf Kosten der Ausbildung auch mit nichtärztlichen Tätigkeiten belastet werden. Während Ärzte in Österreich erst Mitte 30 ihre Berufsberechtigung erlangen, sind ihre Kollegen anderswo bereits mehrere Jahre approbiert. Ziel muss also sein, Abwanderungen ins Ausland, Berufsniederlegungen sowie vorzeitige Pensionierungen zu vermeiden und die Arbeitsbedingungen für Turnus- und Fachärzte in Österreich deutlich zu verbessern. Die wichtigsten Empfehlungen aus der eingangs erwähnten Studie „Gesundheit Österreich“ zeigen auch auf, welche Schritte nötig sind, um diese negativen Trends nachhaltig zu stoppen: eine arbeitsgerechte Verwendung

und Bezahlung der Auszubildenden; eine Verkürzung der Ausbildungsdauer; die Erleichterung der Niederlassung und die Bildung von Gruppenpraxen im ländlichen Raum; weiters die Berücksichtigung des zunehmenden Frauenanteils im Sinne flexibler Arbeitszeitmodelle inklusive durchgehender Kinderbetreuungsangebote und schließlich die Vernetzung der verschiedenen Berufsgruppen in den Spitälern im Sinne einer integrierten Versorgung mit mehr Tages- und Wochenkliniken.

C h ri s t i a n Zi l l n er

Im Übrigen: Ob es für die Zukunft tatsächlich einen Mehrbedarf an Ärztinnen und Ärzten in Österreich gibt, bleibt fraglich. Österreich hat schon jetzt nach Griechenland die höchste Ärztedichte in Europa.

Finkenschlag Handgreifliches von Tone Fink

Wolfgang Schütz Rektor der Medizinischen Universität Wien

www.tonefink.at

Unsere Universitäten gehen vor die Hunde – und das von Wien über London bis Los Angeles. Zumindest könnte man dies glauben, wenn man die Essays besorgter Wissenschafter zum Thema Hochschulreformen in den Industrieländern liest. Sie alle räumen ein, dass es früher auch nicht ­ideal gewesen ist, aber jetzt stünde ­Hannibal ante portas, um mit seinen Kampfelefanten jeden ernsthaften Gelehrten hinter den schützenden Mauern der Alma mater plattzumachen. Ich persönlich finde ja auch, dass früher alles besser war, doch bezieht sich mein „früher“ auf die Zeit jener, die vor 15.000 Jahren in irgendwelchen finsteren Höhlen Zeichnungen und Gemälde hinterlassen haben. Damals gab es noch keine Universitäten, daher kann ich nicht sagen, ob die heutigen vergleichsweise schlechter sind. Ich frage mich allerdings, ob in unseren Zeiten h ­ ochqualifizierter Fachidiotie die Vorstellung von Universität nicht obsolet geworden ist. Hilft ein nostalgisch verklärter Blick auf eine vergangene Gelehrtenrepublik wirklich, die Probleme der gegenwärtigen Hochschulbildung zu lösen? Vielleicht ist es klüger, die smartphone Neobarbarei als das zu akzeptieren, was sie ist, und ihr ein bisschen Manieren beizubringen. Damit die später auch einmal sagen kann, wie viel besser es doch früher war.

Impressum Falter 17a/13 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H. Redaktion: Christian Zillner Fotoredaktion: Karin Wasner Produktion/Grafik: Reini Hackl Korrektur: Martina Paul Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.

HEUREKA ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Medienkooperation mit


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Aus Wissenschaft und Forschung Kopf im Bild Quantenphysik­ experimente Als Gymnasiast in Bonn habe er sich gefragt, warum „die Welt so seltsam ist, wie sie in der Quantenphysik scheint“, erzählt Markus Arndt. Heute, vertraut mit Experimenten, die landläufige Vorstellungen von Zeit und Raum aus den Angeln heben, sieht das der Leiter der Forschungsgruppe Quantennano­ physik und Dekan an der Wiener Fakultät für Physik etwas anders: „Inzwischen wundere ich mich eher, dass uns die Alltagswelt so normal erscheint.“ Arndts Team ist es wiederholt gelungen, überraschen­ de Phänomene wie Quantendeloka­ lisierung und Quanteninterferenz an hochkomplexen Teilchen zu zeigen. Dabei nutzen die Forscher Geräte, die weltweit nur die Uni Wien besitzt. „Darin steckt sehr viel Entwicklungsarbeit“, so Arndt, der als einer der Stars der Quanten­ physikerwelt zu Wiens Top-Position auf diesem Gebiet beiträgt. Erst im Dezember konnte er einen mit 2,3 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant für sein aktuelles Projekt PROBIOTIQUS einwerben. „Jetzt werden wir uns an größere biologische Nanomaterialien heranarbeiten.“ T e x t : uschi sorz F oto : K A R I N W A S N E R

Jungforscherinnen

B

asis für Fortschritte in der Medizin: Am IMBA (Institute of Molecular Biotechnology) erforschen diese Doktorandinnen Prozesse auf molekularer Ebene in Zellen. Sophie Wöhrer, 26

Schon in ihren letzten Schuljahren hatte sich Sophie Wöhrer stark für Genetik und Biochemie interessiert. „Wie das Leben funktioniert, ist ungeheuer faszinierend“, sagt die junge Molekularbiologin. „Ich möchte versuchen, wenigstens einen winzig kleinen Teil dieser komplexen Abläufe zu verstehen.“ Neugierde, Begeisterung für das Fach und nicht zuletzt die spannenden Jobaussichten veranlassten sie, an das Diplom- noch ein Doktorats­

studium anzuhängen. Nun erforscht sie in ihrer Dissertation die Regulation der Heterochromatinformierung am Modellorganismus der Wimpertierchen Tetrahymena und die gezielte Stilllegung bestimmter DNASequenzen während deren Entwicklung. „Ich untersuche und charakterisiere ein Protein, das in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielt, und kläre seine Funktion“, so Wöhrer. Magdalena Renner, 25

„Obwohl ich mich schon früh für Naturwissenschaften interessiert habe, dachte ich lange, dass ich später etwas Kreatives oder Sprachliches machen würde“, erzählt Magdalena Renner, die gerade im Zuge ihrer Dissertation Aspekten der menschlichen Gehirnentwick-

lung auf der Spur ist. Letztlich hatte sie einem praxisnahen Studium den Vorzug gegeben. „Forscherin zu werden klang einfach spannend“, erinnert sie sich. „Aber ich hätte nie gedacht, wie wichtig auch hier Kreativität und Sprachen sind.“ Als Molekularbiologin kann sie ihre Talente nun perfekt vereinen. „Ich versuche, Gehirnvorläuferzellen zu generieren und herauszufinden, wie diese die enorme Vergrößerung des menschlichen Gehirns im Vergleich zu anderen Säugetieren, etwa der Maus, ermöglichen“, sagt sie. „Mich interessiert, wie die Vorläuferzellen durch die Orientierung der mitotischen Spindel und somit der Zellteilungsebene beeinflusst werden.“

Lisa Landskron, 26

Lisa Landskron hat an der VetMed Wien Biomedizin und Biotechnologie studiert und im Rahmen ihrer Bachelor- und Masterarbeit an der University of Cambridge (GB) an der Charakterisierung des HIV-Oberflächenproteins gearbeitet. „Das Schönste am Wissenschaftersein ist die Freiheit, seiner Neugierde und Kreativität folgen zu können“, sagt die Linzerin, die sich nun in ihrem Dissertationsprojekt am IMBA mit neuralen Stammzellen befasst. Wie deren Deregulation zur Tumorentstehung beitragen kann, untersucht sie am Modellorganismus der Fruchtfliege. „Um ein Puzzle lösen zu können, muss man offen dafür sein, Neues zu lernen“, beschreibt sie die Motivation für ihr Fach. „Und das wird wirklich nie langweilig.“

Fotos: Privat

U schi S orz


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Aus Wissenschaft und Forschung Kommunikation

Biologie

Mathematik

Open Access, was ist denn das, fragt der Geisteswissen­ schafter (aber nicht mehr lang)

Ein Lufthauch verrät der Spinne, wo sich die Beute, eine Fliege, in der Luft befindet – und Sprung auf, marsch!

Mathe gegen zu viel Phosphat im Ackerboden

Sonja Burger

Jochen Stadler

Us c h i S o r z

pen Access, also der freie und enn die südamerikanische kostenlose Zugang zu wissen- W Spinne Cupiennius salei nächO schaftlicher Information via Internet, tens im Regenwald sitzt, wartet sie oft ist stark im Kommen. Die Vorreiterrolle übernahmen die Natur- und Lebenswissenschaften. In den Geistesund Sozialwissenschaften ist zwar Interesse vorhanden. Dennoch hinkt man der Entwicklung hinterher. Die Ursachen und Vorbehalte sind den beiden Experten Guido Blechl vom Open Access Koordinationsbü-

Fotos: pr ivat(2), univer sität wien, Simon Br at t/shu t t er s tock .com

„Wir unterstützen Wissenschafter bei der Umsetzung von Open-AccessPublikationen“ Guido Blechl, Uni Wien

ro und Juan Gorraiz vom Bibliometrics Department der Universität Wien aus Beratungsgesprächen bekannt. Sie unterstützen Wissenschafter bei der Umsetzung von Open-AccessPublikationen. „Eine wissenschaftliche Publikation wird gerade von Geisteswissenschaftern oft auch als Werk mit einer kulturellen Komponente betrachtet“, sagt Gorraiz. Die Publikationstradition und die große Bedeutung von Sprache spielen auch in den Sozialwissenschaften eine Rolle, gerade wenn es um die Akzeptanz von Open Access geht. Viele lösen sich ungern von der Idee einer Print-Publikation. Außerdem fällt bei Open Access für den Autor beziehungsweise die Institution, für die er wissenschaftlich tätig ist, vielfach eine einmalige Publikationsgebühr (Article Processing Charges) an. „Diese Gebühr kann etwa in den Naturwissenschaften bis zu mehrere tausend Euro betragen“, erklärt Blechl. An der Universität Wien werden Interessierte seit dem Jahr 2009 beraten und finanziell unterstützt. Die vom FWF mit dem BMWF gestartete „Letter of Interest“-Phase für eine Anschubfinanzierung qualitativer Open-Access-Zeitschriften in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ging kürzlich zu Ende. Die Resonanz habe den Initiatoren gezeigt, dass das Interesse der Wissenschafter groß sei, berichtet Stefan Bernhardt vom FWF.

auf einen Lufthauch. Nicht, weil dieser Abkühlung bringen würde, sondern weil er bedeutet, dass eine Fliege im Anflug ist. Dann springt die Spinne in die Luft, um sie zu erwischen. Das kann sie blind und ohne ihr Opfer zu hören, haben Wiener Forscher herausgefunden. Wohin sie hüpfen muss, verraten die Luftwirbel, die ihre Beute verursacht, berichteten die Wissenschafter im Journal „Interface“ der Royal Society. Laut dem Team um Christian Klopsch von der Uni Wien und der TU Wien nehmen Spinnen den Luftstrom eines vorbeifliegenden Insekts über kleine Härchen an den Beinen wahr. Art und Frequenz der Luftströmungen unterscheiden sich je nachdem, ob das Opfer im Anflug, über der Spinne oder schon vorbei ist. Um herauszufinden, welche Art von Luftzug die Spinnen zum Hüpfen bringt, konstruierten die Forscher einen rotierenden Zylinder, der die gleichen Luftströme wie Schmeißfliegen verursacht. Die Spinnen sprangen so häufig wie bei echten Fliegen, wenn der Zylinder sowohl An- als auch Überflug imitierte. Verhinderte allerdings eine Abdeckung über dem rotie-

Andrea Schnepf erforscht die mathematische Modellierung und Simulation von Wurzel- und Bodenprozessen

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athematik als Berufswunsch wäre mir als Nichtakademikerkind sicher nicht eingefallen“, lacht Andrea Schnepf, der im Volksschulalter eher eine Laufbahn als Religionslehrerin oder Balletttänzerin vorschwebte. „In der Realität hätte ich mich dafür allerdings kaum geeignet.“ Die Mathematik war ihr immer leicht gefallen, und gute Lehrer taten das Übrige. „Ob Englisch oder Mathematik, ich habe alles, ohne auswendig zu lernen, im Unterricht aufgesaugt“, beschreibt die Bodenforscherin und Mathematikerin ihre Anfänge in der Welt des Wissens. „Und so wie man Dinge mit Fremdsprachen unterschiedlich gut ausdrücken kann, ist für mich auch Mathematik eine Sprache, mit der sich manches besser begreifen lässt.“ Heute erforscht Andrea Schnepf mithilfe mathematischer Modelle den Stofftransport in Böden. Seit Mai leitet sie ein Elise-Richter-Projekt am Institut für Hydraulik und landeskulturelle Wasserwirtschaft der BOKU Wien, bei dem es um die Analyse der Phosphataufnahmeeffizienz mykorrhizierter Pflanzen geht. Zu ihrem Arbeitsplatz hat die 39-Jährige übrigens auch eine ganz persönliche Beziehung: „Ich bin dort geboren, das Rektoratsgebäude war nämlich früher eine Geburtsklinik.“

Schnepf hat an der BOKU im Fach Kulturtechnik und Wasserwirtschaft promoviert und an der Universität Oxford ein Zweitstudium in angewandter Mathematik und Computerwissenschaften abgeschlossen. In ihrem aktuellen Projekt „Multiscale Modelling of Soil-Plant Interactions: Effective Nutrient Uptake by Mycorrhizas“ entwickelt und analysiert sie Modelle, die den Nähr- und Schad„Ich will berechnen, welche Pflanzenmechanismen zur Reduzierung der Phosphatdüngung genutzt werden können“ Andrea Schnepf

stofftransport im mit Pflanzenwurzeln durchwachsenen Boden beschreiben. „Ich möchte berechnen, welche Pflanzenmechanismen zur Reduzierung der Phosphatdüngung genutzt werden können“, so die Mutter einer zweijährigen Tochter. Vor allem wegen der Verknappung der Weltphosphatreserven und aus Umweltschutzgründen ist das eine relevante Frage für die Landwirtschaft. „Mykorrhizapilze etwa können die Phosphataufnahmeeffizienz von Nutzpflanzen stark erhöhen.“

„Die Spinne springt schon nach der Beute, noch ehe sie diese hören kann – sie nimmt den Lufthauch wahr “ Christian Klopsch

renden Zylinder die für den Überflug typischen Luftbewegungen, machten sich die Spinnen zwar bereit, verweigerten aber den Sprung. Dies zeige, dass eine Änderung des Lufthauchs das Signal zum Absprung sei, so die Forscher. Sogar mit verdeckten Augen konnten die Spinnen die Überflieger fangen. Auch Töne spielten keine Rolle. „Der springende Punkt ist, dass zum Zeitpunkt, wo die Spinne springt, die akustischen Reize noch unter der wahrnehmbaren Schwelle sind“, erklärt Christian Klopsch.

Mathematikmodelle, um die Phosphatdüngung des Bodens verringern zu können


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Aus Wissenschaft und Forschung Polarforschung

Soziologie

Brief aus Brüssel

Unser Wetter wird von den Polen beeinflusst!

Emily Walton

Ein neues Institut in Wien soll unter anderem den Einfluss der Polarregionen auf Österreichs Wetter erforschen

Väter wollen nicht mehr in Karenz gehen. Ja, warum denn nicht? Das wird nun erforscht

sonja Dries

Sonja Burger

gen aber nicht mehr durch Photosynthese in Sauerstoff umwandeln können, wird die Klimaerwärmung verstärkt. Ein Team aus österreichischen und norwegischen Wissenschaftern forscht derzeit zu diesem Thema in Spitzbergen. Genau die Internationalität, die dieses Projekt bestimmt, ist eines der Ziele des neuen Polarforschungsinstituts. Der Ausbau und die Förderung solcher Kooperationen soll Österreich nicht nur in der internationalen Polarforschungsszene bekannt machen, auch sonst nicht leistbare Infrastruktur wie Flugzeuge, Hubschrauber oder Schiffe können durch entsprechende Verträge mit internationalen Organisationen für die österreichischen Wissenschafter zugänglich gemacht werden. Die Förderung von nationalen Synergien zwischen verschiedenen Institutionen und Disziplinen ist ein weiteres Ziel. „In Österreich gibt es viele international anerkannte Polarforscher mit einem tiefen Interesse an der Polregion. Die Forschung war bisher jedoch zu sehr fragmentiert“, sagt Andreas Richter, Leiter des neuen Instituts. Diese Fragmente sollen unter dem Schirm des Austrian Polar Research Institute neu organisiert werden und das Institut zu dem Ansprechpartner für Polarforschung in Österreich machen.

Messstation in Nordost-Grönland (A.P. Olsen Ice Cap): Die ZAMG ist hier an einem internationalen Projekt zur Erforschung von Gletschersee-Ausbrüchen beteiligt.

ls 2002 das Kinderbetreuungsgeld A eingeführt wurde, hatte das einen positiven Effekt. Die Zahl der Väter,

die in Karenz gingen, stieg sprunghaft an, und bis 2010 wurden es – allerdings auf niedrigem Niveau – immer mehr. Wie das im Rahmen von Sparkling Science geförderte Forschungsprojekt von Joanneum Research zur Väterkarenz und deren Auswirkungen auf die Karriereentwicklung von Akademikern nun zeigt, herrscht seit 2010 allerdings Stillstand. „Gleichzeitig werden kurze Karenzzeiten unter Männern immer beliebter, und finanzielle Anreize wie das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld zeigen nicht die erhoffte Wirkung“, sagt Projektleiterin Helene Schiffbänker. Den Ursachen geht man in den nächsten Monaten auf den Grund, wobei erstmals auch die Unternehmerseite untersucht wird. „Diese be-

„Leider wird auch von Elternteilzeit kaum Gebrauch gemacht.“ Sonja Dörfler, Institut für Familienforschung

einflusst neben der individuellen Ebene und der Karenzpolitik ganz maßgeblich die Entscheidung“, weiß Helene Dearing, ÖAW-Stipendiatin vom Institut für Höhere Studien. Was das Forschungsprojekt laut Schiffbänker noch zeige: Zwei Jahre nach der Karenz sei beim Großteil der Akademiker die Jobsituation ähnlich gut wie vorher – und sie verdienen gleich viel beziehungsweise sogar ein wenig mehr. „Viele gehen im Unterschied zu den Frauen erst im 13. und 14. Monat in Karenz. Außerdem arbeitet die Hälfte der Karenzväter geringfügig im Unternehmen weiter. Das alles erleichtert vielen den Wiedereinstieg“, erklärt Schiffbänker. So positiv diese Ergebnisse auch sind, ist Jobverlust dennoch ein Risiko. Dieses ließe sich durch Elternteilzeit vermeiden. „Leider wird davon kaum Gebrauch gemacht, obwohl rund 50 Prozent der Frauen und noch mehr Männer darauf Anspruch hätten“, kritisiert Sonja Dörfler vom Institut für Familienforschung.

um geht, ohne Schlaf durchzuhalten. (Der Spiegel ging so weit, zu schreiben: „Politik ist ein einfaches Spiel: Es sitzen viele Menschen um einen Tisch herum, und am Ende gewinnt der, der am längsten wach bleibt.“) Kurz: Wer es nach einem 20-Stunden-Tag noch schafft, der Argumentationslinie zu folgen oder gar selbst Vorschläge auf den Tisch zu bringen, anstatt aus Müdigkeit irgendwann zuzustimmen, siegt. Was genau bei den Gipfel-Sitzungen passiert (ob die Politiker sich Streichhölzer zwischen die Lider klemmen oder wegnicken), bleibt hinter verschlossenen Türen. Nicht einmal die erfahrensten Brüssel-Journalisten haben Einblick. Verfolgen können die Korrespondenten aber, wie Koffein palettenweise angekarrt wird. Eine bessere Werbung für Nespresso-Kapseln und Red Bull könnte es nicht geben. Und auch Zucker ist gefragt: Familienpackungen Schokolade und Kekse sollen müde Staatsträger munter machen. Während drinnen also die Gehirnradln mit Koffein und Zucker „geölt“ werden, warten draußen die anderen – die Journalisten, die freilich nicht mehr Schlaf bekommen. Ein Gipfelabend ist lang, vor allem dann, wenn nichts durchsickert. Wenn Pressesprecher milde lächeln und sagen: „Schaut so aus, als könnte es dauern.“ Verständlich, dass auch die Journalistenmägen irgendwann zu knurren beginnen. Vor Ort werden sie gut versorgt: Es gibt zwei Kantinen und eine Presse-Bar, die übrigens den Namen „Café Autriche“ trägt, weil sie 2006 eröffnet wurde, als Österreich die Ratspräsidentschaft innehatte. Warmes, Kaltes, Üppiges, Leichtes wird serviert. Hauptsache: schnell. Gegessen wird hier nicht mit Genuss, sondern rein als Mittel zum Zweck. Positiv war bisher: Das Essen war gratis. Seit Jahresbeginn wird auch hier gespart. Zu Recht. Zwar sind Korrespondentengehälter nicht mit anderen Brüssel-Gehältern zu vergleichen, aber ausreichend, um sich selbst zu verpflegen. Dass ein Marathongipfel dann aber gleich so ins Geld geht, hätten die Wenigsten geahnt: Von Kantinenpreisen – wie in vielen Firmen üblich – keine Spur. Eher orientiert man sich an den (hohen) Brüsseler Restaurantpreisen. Und wenn ein kurzer Kaffee fast drei Euro kostet, kann eine Nacht, die bis zwei, drei, vier Uhr morgens anhält, ein teures Vergnü… ich meine eine teure Pflicht werden. Oder eine lange Nacht.

Fotos: ZAMG/Gernot Weyss, privat

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eit Anfang des Jahres hat Österreich ein eigenes Polarforschungsinstitut. 50 Forscher und Forscherinnen von den Universitäten Wien und Innsbruck, der TU Wien und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) sind Teil des Austrian Polar Research Institute.… Doch was haben Arktis und Antarktis mit Österreich zu tun? Sehr viel, geht es nach Michael Staudinger, Direktor der ZAMG: „Unser Wetter wird extrem stark von den Polarregionen beeinflusst.“ So sei zum Beispiel der lange Winter und extreme Schneefall dieses Jahr durch die Strömungsmuster am Nordpol erklärbar. Auch für Andreas Richter, Leiter des Austrian Polar Research Institute, ist die Polarregion zentral für das Verständnis des Systems Erde. Er verweist auf den arktischen Kohlenstoffkreislauf, der das Klima weltweit beeinflusst. 23 Prozent der Erdoberfläche bestehen aus Permafrost, wobei sich ein Großteil davon in der Arktis befindet. In diesen Böden wird über die Hälfte des globalen Kohlenstoffs gespeichert, rund 1.700 Gigatonnen. Durch die Klimaveränderung taut der Boden auf und die dort lebenden Mikroorganismen können den Kohlenstoff besser abbauen und freisetzen. Da die Pflanzen diese Men-

eim EU-Gipfel zählt nicht nur politisches Geschick: Ausdauer B ist gefragt – vor allem wenn es dar-


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Aus Wissenschaft und Forschung Germanistik & Geschichte

Dichter für Durchbeißer Die Autorin hat ihre Dissertation Aspekten des Werks von Jean Paul gewidmet. Hier stellt sie ihn kurz vor Sabine Edith Braun

J

ohann Paul Friedrich Richter, der aus Bewunderung für Rousseau seinen Namen in Jean Paul französierte, beschrieb das Ereignis seiner Geburt vor 250 Jahren so: „Es war im Jahr 1763, wo der Hubertusberger Friede zur Welt kam und gegenwärtiger Professor der Geschichte von sich; – und zwar in dem Monate, wo mit ihm noch die gelbe und graue Bachstelze, das Rotkehlchen, der Kranich, der Rohrammer und mehre Schnepfen und Sumpfvögel anlangten, nämlich im März; – und zwar an dem Monattage, wo, falls Blüten auf seine Wiege zu streuen waren, gerade dazu das Scharbock- oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, desgleichen der Ackerehrenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21ten März; – und zwar in der frühesten frischesten Tageszeit, nämlich am Morgen um 1½ Uhr; was aber alles krönt, war, daß der Anfang seines Lebens zugleich der des damaligen Lenzes war.“ Obwohl – q. e. d. – enorm schwierig zu lesen, ist Jean Paul dennoch ein moderner Dichter: er war der erste freischaffende Autor. Er war keinem Fürsten verpflichtet und konnte sich daher ein Ausmaß an Kritik erlauben, das dichtenden Amtsträgern wie Goethe oder E.T.A. Hoffmann verwehrt blieb. Versucht hatte das vor ihm zwar schon Lessing, doch Jean Paul war der erste, dem es gelang – wenn auch um den Preis, dass die Familie teils in Armut lebte.

Im März jährte sich der Geburtstag des Dichters Johann Paul Friedrich Richter, alias Jean Paul, zum 250. Mal

schien 1793. Es ist die Geschichte des Knaben Gustav, der die ersten acht Lebensjahre unterirdisch verbringt. Den Druck des Werks hatte Karl Philipp Moritz ermöglicht. Mit dem Nachfolger, dem tränenreichen Roman „Hesperus“, wurde Jean Paul 1795 berühmt. Die Folge? Glühende Verehrerinnenbriefe. Er liebte es. Sein Thema war die feudale Dekadenz der Duodez-Fürsten des Reiches. Fürst Jenner im „Hesperus“ ist so einer, und wie so viele Fürsten leidet auch er an der Hypochondrie, an der Jean Paul nicht nur verhasste Romanfiguren leiden lässt, sondern mitunter auch sein Erzähler-Alter-Ego „Jean Paul“ (nicht mit dem Autor ident!). Jean Paul wird mit Kleist und Hölderlin –

wenngleich nicht im Ausmaß von deren Bedeutung – in der Literaturgeschichte „zwischen Klassik und Romantik“ verortet. Doch ironischerweise geriet ihm der „Titan“ (1800–1803), jenes Werk, mit dem er radikale Kritik an der Klassik üben wollte, indem er etwa der starren Figur des Don Gaspard die Gesichtszüge Schillers und den Sprachduktus Goethes verlieh, ungewollt zu seinem „klassischsten“ Werk, und das nicht bloß der Italienreisen wegen, die im Roman gemacht werden. Jean Pauls ursprüngliche Bewunderung für Schiller hatte nach dessen Abkehr von der Französischen Revolution und Hinwendung zur Ästhetik in Ablehnung umgeschlagen, und Goethe hatte sogar, nachdem Jean Paul Weimar besuchte, ein Gedicht mit dem Titel „Der Chinese in Rom“

In jungen Jahren schrieb er Satiren; sein ers-

ter Roman, „Die Unsichtbare Loge“, er-

verfasst. – So muss der Bayer auf den Klassik-Titanen gewirkt haben. Jean Pauls Anderssein zeigt sich nicht zu-

letzt im Kleinen. So heißen Textabschnitte bei ihm selten Kapitel, sondern „Zykel“, „Sektor“ oder „Hundposttag“ (weil ein Hund dem Erzähler-Ich täglich einen Brief mit Anweisungen für den Handlungsverlauf bringt). Lediglich im letzten Roman, dem Fragment gebliebenen „Komet“ (1820–1822), finden sich „Kapitel“, ebenso im „Siebenkäs“ (1796/97), seinem heute bekanntesten Werk. (Siehe die Erwähnung in Thomas Bernhards „Auslöschung“!) Das Personeninventar von Jean-PaulRomanen übertrifft fast jenes von Doderers Romanen, die Figuren sind oft nur mit Mühe auseinanderzuhalten (wie die drei Verlobten des Helden Albano im „Titan“), was auch daran liegt, dass Figuren oft mehrere Namen haben, die der Autor abwechselnd gebraucht. So tritt der Held im „Hesperus“ wechselweise als „Viktor“, „Sebastian“ und „Horion“ auf. Was ihn weiters modern macht, ist die Intertextualität seines Werks. Manche Figuren treten in mehreren Texten auf, und es gibt Bezüge auf Handlungsdetails in anderen Texten. Allein das macht Jean-PaulLektüre zu einem Erlebnis. Jean-Paul-Anfängern sei zu den Idyllen geraten, etwa dem „Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“ oder „Quintus Fixlein“ (beide Reclam). Idylle, das ist nach Jean Paul übrigens vor allem eines: „Vollglück in der Beschränkung.“

Wutbürger, dankt den Griechen! Karl-Wilhelm Weeber hält im Rahmen von Science Goes Public in Wien einen Vortrag über das Erbe des antiken Griechenlands

Fotos: Heinrich Pfenninger, Friederike von Heyden

Karl-Wilhelm Weeber

enn der Euro scheitert, dann scheitert Europa.“ So hat es die deutsche W Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem

Höhepunkt einer der vielen Euro-Krisen dramatisch zugespitzt – und damit ein jämmerlich einseitiges, da ganz von der Ökonomie dominiertes Verständnis von Europa offenbart. Tatsächlich ist Europa viel mehr – nicht nur, aber auch ein geistig-kultureller Raum, der gerade in Zeiten der Globalisierung Identitätsangebote bereit hält. Die geistigen Wurzeln dieses Raumes reichen in die Antike zurück. Dabei kommt Hellas als Fundament besondere Bedeutung zu: Dort sind Wissenschaft, Philosophie und Theaterspiel erfunden, das Experiment Demokratie erstmals praktiziert, die

„Die ,Langfassung’ des Vortrags findet sich in meinem Buch ,Hellas sei Dank. Was Europa den Griechen schuldet. Eine historische Abrechnung‘, Siedler, München, 2013.“ Karl-Wilhelm Weeber

wissenschaftliche Medizin begründet und eine Literatur von Weltrang mit gewaltiger Rezeptionswirkung verfasst worden. Man braucht diese Leistungen nicht ideologisch zu verklären, um festzustellen, dass sie bis heute in mannigfacher Weise fortwirken. Dass die meisten Wissenschaftsdisziplinen griechische Bezeichnungen tragen, dass „Politik“ und „Logik“, „Methode“ und „System“, „Musik“ und „Technik“ griechische Begriffe sind, ist Ausdruck des riesigen Inputs, den wir den Griechen verdanken. Die Errungenschaften des alten Hellas gehören zum nationalen Erbe der modernen Griechen. Das ist kein unproblematisches Erbe, weil es auch als Hypothek empfunden

wird. Andererseits ist das Bewusstsein einer großen, in gewisser Weise noch aktuellen Vergangenheit auch ein Moment der Stabilität in Zeiten der Krise, in der viele mitteleuropäische Wutbürger die Hellenen nur mehr als „Bettler vom Balkan“ oder „Pleitegriechen“ wahrnehmen. Man fragt sich, wo der Aufschrei der Wissenschafts-Community zugunsten der Griechen und ihr Protest gegen die völlige Ökonomisierung des Blicks auf Griechenland bleiben. Am 13.5. stelle ich ein paar Thesen zum geistigen Erbe des antiken Hellas vor. Das Erbe der Antike, Klaus Bartels, Karl-Wilhelm Weeber, Karlheinz Töchterle. 13.5. 2013, 19 Uhr. Aula der Wissenschaften, Wollzeile 27a


Titel 8

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Blutverschwendung in österreich

Der Countdown zum Thema carolin gier mindl

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Blutspenden werden laut WHO weltweit verzeichnet. 50 Prozent dieser Spenden kommen aus den westlichen Industrieländern. rote Blutkörperchen produziert unser Körper pro Sekunde. 25 bis 30 Billionen davon gibt es im gesunden Körper eines Erwachsenen. Blutkonserven werden in Österreich jährlich ­benötigt. Das entspricht mehr als einer Konserve pro Minute. Damit liegt Österreich hinter Dänemark und Griechenland auf Platz drei der Länder mit dem höchsten Verbrauch.

388 992

Blutkonserven (Erythrozyten-Konzentrate) ­lieferte das Österreichische Rote Kreuz 2012 an unsere Krankenanstalten. Seit 1957 hat das Österreichische Rote Kreuz die nationale Versorgung mit Blutkonserven inne.

96 000

Kilometer lang sind ist die Blutgefäße-Leitungen in unserem Körper. Das entspricht rund einem Viertel der (mittleren) Entfernung von der Erde zum Mond.

5000

Menschen in Österreich haben jährlich Komplikationen nach einer Transfusion. Der Hauptgrund für diese Komplikationen sind ein höheres Infektionsrisiko nach einer Bluttransfusion.

1940

entdeckte Karl Landsteiner, Sohn des ersten Chefredakteurs der Wiener „Neuen Freien Presse“, mit dem New Yorker ­A lexander Salomon Wiener den Rhesusfaktor.

1930

also zehn Jahre vor seiner Entdeckung des Rhesusfaktors, erhielt Karl Landsteiner den Nobelpreis für Medizin: Der österreichische Serologe entdeckte 1901 die Blutgruppen A, B und Null.

1916 100

gelang es zum ersten Mal, Blut zu konservieren. 1921 wurde der erste Transfusionsdienst in London gegründet.

Euro Minimum – der Preis kann aber auch bis zu 147 Euro steigen – kostet ein Erythrozyten-Konzentrat in der Größe von 250 Milliliter. Der Umsatz, den das Österreichische Rote Kreuz damit macht, soll sich auf 52 Millionen Euro belaufen.

80

Prozent – so hoch ist die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit bei jedem Menschen, dass er im Lauf seines Lebens einmal Blut oder Medikamente aus Blutprodukten benötigen wird.

Grad Celsius unter Null – bei diesen Minusgraden muss ­Plasma schockgefroren werden. Danach ist die Plasmakonserve rund zwölf Monate haltbar. Prozent und mehr: Bis zu zwei Drittel aller von Österreichs ­Spitälern angeforderten Blutkomponenten werden laut Experten nicht transfusioniert.

Stunden lang ist man nach einer zahnärztlichen Behandlung vom Blutspenden ausgeschlossen. Mit frischem Piercing oder Tattoo sogar ein ganzes Jahr lang.

Tage lang sind Blutkonserven (Erythrozyten-Konzentrate) ­heutzutage haltbar. Vor zwanzig Jahren hielten sie sich trotz Spezialkühlschrank nur rund drei Wochen.

41 30

Länder sind nicht in der Lage, ihre Blutkonserven auf mögliche übertragbare Infektionen wie HIV oder Hepatitis zu untersuchen.

Prozent des Blutvolumens zu verlieren, bedeutet Lebensgefahr. Die Organe können in einem solchen Fall nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden.

14.

Juni ist Internationaler Weltblutspendertag. Dies ist der ­Geburtstag von Karl Landsteiner. Der Tag wird 2013 weltweit zum ­zehnten Mal begangen.

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Stunden lang kann Spenderblut vom Zeitpunkt der Blutabnahme in einzelne Komponenten zerlegt werden. Danach verliert Plasma die Hälfte seiner wichtigen Gerinnungsstoffe.

4,5

Prozent aller Salzburger spenden Blut. Damit sind sie, gefolgt von den Burgenländern ( 4,4 Prozent ), Spendensieger. Die Spenderrate österreichweit beträgt 3, 1 Prozent.

4

bis sieben Liter Blut hat ein erwachsener Mensch im Leib. Unser Herz, Motor des Blutkreislaufs, pumpt das Volumen einmal pro Minute durch den Körper.

3

Minuten-Takt: Alle drei Minuten benötigen die Wiener ­K rankenhäuser laut Anforderung eine Blutkonserve. 1,3 Prozent der Wienerinnen und Wiener spenden Blut.

2 1

Tropfen Blut enthalten rund 18.000 weiße und zehn Millionen rote Blutkörperchen.

Jause erhalten die Menschen nach ihrer freiwilligen Blutspende von 465 Millilitern. Neben Getränken gibt es meist Würstel, Äpfel, Semmel oder Schokolade.

Illustr ation: Burnbjoern

Euro Umsatzvolumen soll der Weltmarkt für Plasma-­ Produkte, laut zurückhaltenden Schätzungen, jährlich erzielen.


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BLUTVERSCHWENDUNG IN ÖSTERREICH

Zu den Illustrationen Sie wurden von Studierenden der Universität für Angewandte Kunst Wien für ein Projekt der Grafikklasse, das sich um das Thema Blut und Blutspenden dreht, geschaffen. Mehr zu diesem Projekt auf Seite 10. Die Illustration hier stammt von Burnbjoern


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Blutverschwendung in österreich

Lässt Frauenblut Blumen welken? In der Medizin spielt Menstrualblut immer schon eine wichtige Rolle. Wozu es gut ist, wusste lange niemand Sonja Burger

M

enstruierende Frauen seien unrein – ihr Menstrualblut enthalte giftige Substanzen, die Blumen vorzeitig verwelken lassen und dazu führen, dass Hefeteig schlechter aufgeht. Derartige Annahmen hielten sich im Volksglauben und in der Volksmedizin zwar lange, beeinflussten die gängige Medizin aber kaum. „Von der Antike bis Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte unter Medizinern in Europa die These, dass die monatliche Blutung für die Gesundheit wichtig ist. Überschüssiges Blut wird ausgeschieden, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen“, erklärt die Historikerin und Medizinerin Sonia Horn von der MedUni Wien. Wie tief der Volksglaube vereinzelt offenbar dennoch saß und dass er in Ausnahmefällen sogar in medizinischen Fachkreisen Zuspruch fand, beweist eine medizinhistorische Randnotiz: Die vermeintliche „Entdeckung“ des Menstrualgifts „Menotoxin“ durch den Wiener Kinderarzt und Immunologen Béla Schick (1877–1967).

Martina Gamper, Medizinhistorikerin

„Nicht wenige Gynäkologen fühlten sich in ihrer Annahme über die Giftigkeit des Menstrualbluts bestätigt“

Forschung „bestätigt“ Volk

Zwischen 1912 und 1923 war Béla Schick Assistenzarzt an der Wiener Universitäts-Kinderklinik und wurde später für die Entwicklung des Tests zur Erkennung von

Diphtherie („Schick-Test“) bekannt. Die Historikerin Martina Gamper berichtet, dass ihn folgende Beobachtung neugierig machte: Schnittblumen, die von einer menstruierenden Frau berührt wurden, verwelkten vorzeitig. In der Folge führte er im Jahr 1919 weitere Versuche durch, um die aus dem Volksglauben stammende Annahme, dass Schweiß und Menstruationsblut eine giftige Substanz enthalten, zu prüfen. Die Vorgehensweise sei laut Gamper aber alles andere als wissenschaftlich gewesen. Im Mai 1920 erschien in der Wiener Klinischen Wochenschrift sein Aufsatz „Menstruationsgift“. Trotz der fragwürdigen Versuche seien seine Ergebnisse von den Fachleuten zunächst nicht zerpflückt worden. „Nicht wenige Gynäkologen fühlten sich in ihrer Annahme über die Giftigkeit des Menstrualbluts sogar bestätigt“, stellte Martina Gamper fest. Der Aufsatz löste eine Debatte über die Existenz von Menotoxin aus und führte zu weiteren Versuchen; entweder um Schicks These zu bestätigen, oder zu entkräften. Erst 1958 widerlegte Karl Johann Burger von der Universitätsfrauenklinik Würzburg endgültig die Existenz eines Menstrualgifts.

Von Nahrung bis Reinigung

Woraus das Menstrualblut tatsächlich besteht und welche Funktion es hat, war lange Zeit unbekannt – man behalf sich mit Beobachtungen und Erfahrungswerten. „Man stellte sich vor, dass sich das Menstrualblut in der Gebärmutter sammelt. Wird die Frau schwanger, ernährt das Blut das ungeborene Kind, womit man sich auch die schlechte Gerinnung von Menstrualblut erklärte“, erläutert Horn. Während der Stillzeit werde das angesammelte Blut vom Körper dann in Muttermilch umgewandelt und ernährte somit auch nach der Geburt das Kind. Heute ist bekannt, dass Menstrualblut aus Gebärmutterschleimhaut und Blut besteht. „Die Blutung ist dazu da, um die Gebärmutter von der Schleimhaut zu reinigen, wenn es zu keiner Befruchtung kam“, erklärt Martin Ulm, Gynäkologe und Oberarzt an der MedUni Wien. Nach einer Geburt dauern die Blutungen zur Reinigung der Gebärmutter, „Lochien“ oder „Wochenfluss“ genannt, sechs Wochen. Über die Blutung könne man als Arzt auch Rückschlüsse auf den Hormonhaushalt, speziell einen Gestagenmangel, ziehen. Woher die Menstruationsschmerzen kommen, sei aber laut Ulm nach wie vor ein Rätsel.

Die Angewandte im Blutrausch Studierende der Universität für Angewandte Kunst entwickeln ein Projekt zum Thema Blutspenden lutrausch, was sagst du dazu?“ fragt EliB sabeth Kopf. Sie ist Grafikerin mit internationaler Reputation (nicht ganz leicht

Blutrausch – die Angewandte blutet 13. & 14. Juni 2013 für eine Frau) und unterrichtet an der Uni- ganztägig, Universität versität für Angewandte Kunst in der Gra- für Angewandte Kunst fikklasse von Oliver Kartak. Gegenwärtig 1., Oskar-Kokoschkabetreut sie ein Projekt ihrer Studierenden Platz 2 Jasmin Roth, Lara Stättner, Luna ­Almousli www.blutrausch.org 
 und Stephan Göschl, an dem noch eine Rei- www.babylon-designhe weiterer Personen beteiligt sind. school.com

Wär’ ich jung, wär’ ich von Blutrausch begeistert. So gefällt mir eher die Idee hinter dem blutrünstigen Begriff. Und zwar so gut, dass ich mich entschlossen habe, mit dieser Gruppe eine Art Kooperation zwischen „Blutrausch – die Angewandte blutet“ und Falter Heureka einzugehen. Die Illustrationen, die Sie auf der vorigen und Das Team von den folgenden Seiten sehen, sind Arbeiten „Blutrausch“ von Studierenden der Grafikklasse der Angewandten aus dem Projekt. Die Texte von Dieter Hönig wiederum (im früheren Leben ein Staatsopernsänger) wurden auch für die drei Magazine der Studierenden geschrieben, die im Rahmen des Blutrausches

e­ ntstehen. Dort sind sie in der Langfassung zu lesen, also zahlt es sich aus, an diese Hefte heranzukommen. Abgesehen davon, dass dort noch eine Menge mehr über Blut nachzulesen sein wird. Blutrausch. Natürlich denkt da jeder gleich ans – Blutspenden. Und genau darum geht es letztlich bei diesem Kunstprojekt. Die Studierenden möchten die Angewandte (also die Personen dort) dazu brin-

Was am 13. und 14. Juni nach dem Bluten passiert, ist noch geheim, aber an Räuschen wird es wohl auch nicht fehlen gen, Blut zu spenden. Dafür haben sie eine eigene Veranstaltung konzipiert. Sie findet am 13. und 14. Juni an der Angewandten statt und ist eine Kooperation mit dem Österreichischen Roten Kreuz. Die Idee dazu kam aus einem anderen Projekt von Elisa-

beth Kopf, bei dem türkische Künstlerinnen und Künstler ihre Vorstellungen von Blut dargestellt haben. Nun soll es um österreichisches Blut, vor allem aber auch um Informationen rund ums Blut gehen. Dazu setzen die jungen Grafiker unterschiedliche Medien ein, vom Internet bis zum Psychotest. Nach der Veranstaltung wollen die Bluträuschler 125 Liter Blut an das Rote Kreuz übergeben. Dafür kampagnisieren sie. Neben den drei Ausgaben des Blutrausch-Magazins wird es eine Website, Social Media, Teaseraktionen und Pressekonferenzen geben. Was am 13. und 14. Juni passiert, nachdem alle geblutet haben, ist noch geheim, aber an Räuschen wird es wohl auch nicht fehlen. Die Aktion findet in einem Blutspendebus des Roten Kreuzes statt (das Bluten, nicht der Rausch). Er wird vor dem Hauptgebäude der Angewandten stehen. Selbstverständlich sind auch der Angewandten fernstehende Personen zum Spenden eingeladen. Da erübrigt sich dann auch die Frage, was Kunst eigentlich soll.

Fotos: K atarina Soskic, privat

Christian Zillner


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Blutverschwendung in österreich Haidingers Hort der Wissenschaft

Grafikkabinett Püribauers Tierversuche

Blutwäsche M a r t i n H a i d i n ge r

ori! Mori!“ ruft die Tosca in ­Puccinis M nach ihr benannter Oper, nachdem sie dem abgrundtief fiesen Polizeichef Scarpia, Martin Haidinger ist Historiker, Wissenschafts­ journalist bei Ö1 und ­Staatspreisträger für Wissenschafts­ journalismus

Ill u s t r at i o n : B e r n d P ü r i ba u e r

Freihandbibliothek Buchtipps von Emily Walton Wenn Kalbsblut ruhig stellt

Blut als Lesevergnügen

Blood: An Epic History of Medicine and Commerce. Douglas Starr. Harper Perennial. 496 S.

Wash this blood clean from my hand. Fred Vargas. Vintage. 400 S.

Menschwerdung zwischen zwei Buchdeckeln

Das menschliche Haltbarkeitsdatum

The Journey of Man: A Genetic Odyssey. Spencer Wells. The Penguin Press. 224 S.

Mortal Coil. A short history of living longer. David Boyd Haycock. Yale University Press. 320 S.

Dem Blut und seiner Bedeutung für Medizin, Wirtschaft und Gesellschaft geht Douglas Starr in dieser Geschichtsschreibung nach. Dabei deckt er die Zeitspanne des späten 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart ab. Weite Strecken sind den 1980ern, der Ausbreitung des HIV-Virus, gewidmet, ebenso der Kommerzialisierung und ­Globalisierung der Ware Blut (Stichwort: Blutbanken). Zudem beschreibt der Autor (historische) Forschungen auf diesem Gebiet: Etwa, als ein Irrer durch eine Kalbsblut-Infusion beruhigt werden konnte.

„Who needs literature, when science is so much fun?“, schrieb ein Literaturkritiker der britischen Tageszeitung Guardian über dieses Buch – und nicht zu Unrecht. ­Spencer Wells, ein US-amerikanischer Genforscher, geht der menschlichen Evolution auf den Grund, ohne dabei zu theoretisch zu werden: Seine Beschreibungen sind nachvollziehbar, seine Schlüsse logisch. Gut für Laien, um sich einmal anthropologische und auch archäologische Einblicke zu verschaffen. Ergänzt wird das Buch durch ­beeindruckende Fotos.

Was wäre ein guter Krimi ohne Blut? Aber: Blutspritzen allein reicht nicht, um in diesem Genre Erfolg zu haben. Es bedarf Gründlichkeit und Sprachgefühl, das die Französin Fred Vargas hat. In „Wash this blood clean from my hand“ versucht der Pariser Kommissar Adamsberg eine Mordserie zu lösen. Die Tatwaffe: Ein Dreizack. Es lohnt sich, dieses Buch auf Englisch zu lesen. Nicht nur, weil der Titel hier vielversprechender ist als „Der vierzehnte Stein“. Der Roman wurde für seine gelungene Übersetzung ins Englische ausgezeichnet.

Die Frage nach der ewigen Jugend beschäftigt seit jeher Wissenschaft und Philosophie. David Boyd Haycock widmet sein Buch „Mortal Coil. A short history of living longer“ jenen Persönlichkeiten, die versuchten, Antworten zu finden: Sir Francis Bacon, Rene Descartes, Benjamin Franklin, Charles Darwin und auch Sigmund Freud. Alle sind sie – noch auf der Suche nach des Rätsels Lösung – gestorben. Spannend, gewitzt und dennoch fundiert nähert sich der Autor den Theorien dieser Denker und Forscher an.

der dabei war, ihr vom Geliebten bis zur Ehre alles zu nehmen, das Messer in den Leib gerammt hat. „Erstickst du nun im Blut?“ kreischt sie … „… Er ist tot! Nun vergebe ich ihm!“ Ein grausigschöner Dreischritt, direkt wildromantisch: Übeltat und Ehrverletzung – Sühne durch Blutvergießen – Rehabilitation und Vergebung. Das Spiel mit der Ehre ist freilich viel älter als der italienische Belcanto, und sein Ursprung mag in Philosophie wie historischer Sozialwissenschaft gleichwohl beim guten Aristoteles wie bei den auf ihren Bärenhäuten zu beiden Ufern des Rheins liegenden Germanen festzumachen sein. Doch bin ich überzeugt, dass es schon bei den noch älteren Altvorderen in brodelnden Urzeiten diese Form der Blutwäsche gegeben hat. Denn selbst in jenen Tagen, da man Menschen nur bei lebendigem Leibe im Kampf oder auf der Richtstatt, nicht aber post mortem zu Zwecken medizinischer Forschung aufschneiden durfte, war klar, dass diese (wie spätere Wissenschaft herausfand) hämoglobingerötete Suspension den „Saft des Lebens“ darstellte, der zu vergießen war, wenn es galt, Schmach und Schmerz zu sühnen. Die Funktion des Blutes beim Opfer ist ebenso bekannt, und wie wichtig es im transsubstanziellen Sinn auch heute noch ist, kann vor allem an jenen Zeitgenossen bemerkt werden, die allsonntags in den katholischen Kirchen dieser Welt das Wunder von der Blutwerdung Christi miterleben, und oft in höchster Irritation gegen den Wahlmistelbacher Hermann Nitsch protestieren, bei dessen Kunstaktionen eimerweise Blut oder ein rotes Surrogat verpritschelt wird. Mit Blut spiele man nicht, meinen sie, selbst wenn es von Schweindeln und Rindviechern und nicht vom Menschen gezapft wurde. Und wenn wir grad vom Kannibalismus reden, wäre wohl – wie ein Zyniker unlängst an einem Heurigenbuffet stehend bemerkte – die einzig humane Form der Menschenfresserei der Genuss einer Blunzen aus Blutspenden von zur Ader gelassenen, durchaus quietschlebendigen Personen. Dann, Meister Zynikus, dann schon lieber Pferdelasagne … Ach ja, da war noch die Ehre: „Die Schmach muss abgewaschen werden – mit Blut!“ will der wütende Herr Major im Lustspiel „Pension Schöller“ den von Maxi Böhm verkörperten Ladislaus Robicek zum Duell fordern. „Blut hamma blöderweise keins“, antwortet Robicek. „Aber prima Toiletteseife …“


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BLUTVERSCHWENDUNG IN ÖSTERREICH

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ank entsprechender Vorkehrungen bei Spende, Lagerung und Übertragung ist die Bluttransfusion heute ein weitgehend sicherer Eingriff. Daran ändert auch der jüngste, tragische Vorfall in einem Wiener Spital nichts, bei dem eine Frau durch eine vom Österreichischen Roten Kreuz gelieferte Blutkonserve mit HIV infiziert wurde. Die Wahrscheinlichkeit für einen derartigen Zwischenfall liegt bei 1:2,5 Millionen. Auch wenn Experten der einhelligen Meinung sind, dass dieser Fall nicht zu verhindern gewesen wäre, ist die Verunsicherung groß: Wie können trotz modernster Testmethoden HIV-infizierte Blutkonserven unentdeckt bleiben? „Auch diese hochtechnologischen Tests haben Grenzen“, sagt der Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, Werner Kerschbaum. „Innerhalb eines diagnostischen Fensters ist der Nachweis einer Infektion nicht möglich. Bei HIV liegt dieses Fenster bei etwa neun Tagen nach einer Ansteckung.“ Aus diesem Grund muss jeder Spender zusätzlich zu den ausführlichen Tests auch einen Fragebogen beantworten, in dem alle relevanten Infektionsrisiken aufgelistet sind. In den vergangenen 15 Jahren verzeichnete das ÖRK, so Kerschbaum, bei sechs Millionen Blutkonserven österreichweit keine einzige HIV-Infektion.

Die Risiken bei Bluttransfusionen

Der tragische Fall sollte nicht die echten Herausforderungen beim Transfundieren von Spenderblut verdecken. Weit größere Risiken benennt Sibylle Kozek-Langenecker, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin sowie Chefin der Anästhesie am Evangelischen Krankenhaus Wien: „Blutkonserven, Plasma und Blutplättchenkonserven werden bundesweit nach internationalen Qualitätsanforderungen hergestellt. Dennoch bergen sie Risiken wie die teils wesentlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für Lungenversagen, Herzversagen und Infektionen aller Art.“ Auch der Vorstand der Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Linz, Hans Gombotz, warnt vor nicht indizierten Bluttransfusionen. Er schätzt, dass vier Prozent der verabreichten Blutkonserven Schäden anrichten, außerdem sei im ersten Jahr nach einer Bluttransfusion das Krebsrisiko doppelt so hoch als ohne einer Bluttransfusion. Um dem vorzubeugen, setzt das AKH Linz Blutkonserven möglichst sparsam ein.

Woher kommt das Spenderblut?

Europaweit spenden rund fünf Prozent der 18- bis 65-Jährigen Blut. Als das wichtigstes Kriterium gilt die Bedarfsdeckung: Blut kann nicht künstlich hergestellt werden,

weiters ist eine Blutkonserve nur 42 Tage haltbar. Spenderblut, das in Österreichs Krankenhäusern verwendet wird, stammt ausschließlich aus Österreich. In seltenen Fällen kann um eine passende Spende bei der Zentralen Europäischen Blutbank in Amsterdam angesucht werden. „Die Aufgabe des Roten Kreuzes ist die flächendeckende und jederzeitige Versorgung Österreichs mit sicheren Blutprodukten“, sagt Werner Kerschbaum. „Rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr, ganz gleich welche Blutgruppe. Das Rote Kreuz stellt diese Versorgung seit 1957 sicher.“

Das Blutspenden und seine Folgen in Österreich

Homosexuelle dürfen nicht

Der Ausschluss homosexueller Männer vom Blutspenden erfolgt allein aufgrund medizinischer Kriterien und habe daher nichts mit Homophobie zu tun, erklärt das ÖRK. Es handle sich dabei keinesfalls um Ausgrenzung. Die sexuelle Orientierung wird vor einer Blutspende nur insoweit erfragt, als sie Aufschluss über die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gibt. Ob Frauen homosexuellen Kontakt hatten, wird nicht gefragt, weil das medizinisch hinsichtlich einer Spendertauglichkeit irrelevant ist. „Wenn es den Forschern eines Tages gelingt, aus Stammzellen Blutzellkonzentrate herzustellen, oder Fremdblut einer Virusabreicherung, also einer Pathogeninaktivierung zu unterziehen, wird dieses Thema an Aufmerksamkeit verlieren“, hofft Eva Menichetti vom ÖRK. Doch noch bleibt das HIV-Risiko unter homosexuellen Männern laut einer neuen Studie des Robert-Koch-Instituts in vielen Weltregionen unkontrollierbar. Die Epidemie breitet sich in den meisten Ländern weiter aus – unabhängig vom Wohlstand. Das veröffentlichten US-Forscher 2012 im angesehenen Fachjournal The Lancet. Allein in den USA seien die Infektionszahlen bei homosexuellen Männern seit 2001 jährlich um geschätzte acht Prozent gestiegen. In vielen westeuropäischen Staaten liegt die Prävalenz bei rund sechs Prozent.

Kunstblut: Alternative zu Spenden?

Blutersatzstoffe zu entwickeln, die infektionssicher und unabhängig von Blutgruppen sind, zählt zu den Zielen der Transfusionsmedizin. Eva Menichetti, ärztliche Leiterin des ÖRK, hält die Erzeugung von Kunstblut frühestens in zehn bis 15 Jahren für realisierbar. Mit „Kunstblut“ sind künstliche Sauerstoffträger auf Basis des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin gemeint. Die aktuelle Forschung geht in zwei Richtungen: Einerseits wird die Vermehrung und Ausreifung von Stammzellen der Blutbildung mit einer Kombination unterschiedlicher Wachstumsfaktoren (Zytokinen) erforscht. Allerdings hat man die richtige Rezeptur noch nicht gefunden, um wiederholbar ein Konzentrat von roten Blutzellen zu gewinnen. Zudem bergen die Wachstumsfaktoren eine unerfreuliche Nebenwirkung: Sie fördern das Tumorwachstum. Auch der Versuch der Herstellung künstlicher Sauerstoffträger stößt immer wieder an Grenzen: Die Gewinnung von Sauerstoff aus Rinder- oder Schweineblut wurde nach BSE und Schweingrippe wieder fallengelassen. Chemische Substanzen wie Perfluorkarbone sind kein gleichwertiger Ersatz. Sie lagern sich in Organen ab und haben nur eine kurze Lebensdauer (die Halbwertszeit beträgt 18 Stunden). Die Methode wird nur in Ländern mit einem hohen Aufkommen von HIV, Hepatitis B oder C eingesetzt – etwa in Russland, Südafrika und Mexiko.

Österreich verbraucht zu viel Blut

Krankheitserreger im Blut

Erst 1989 wurde das Hepatitis-C-Virus entdeckt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Zahl infizierter Menschen auf 100 Millionen. In Europa, wo die Gefahr einer Infektion geringer ist, herrscht ein Nord-Süd-Gefälle: von 0,1 Prozent im skandinavischen Raum bis zu 1,5 bis zwei Prozent im Mittelmeerraum. Österreich liegt mit 0,8 bis ein Prozent im Mittelfeld. Gegen diese Form der Leberentzündung gibt es weder eine Impfung noch eine erfolgreiche Behandlung. Da HC-Viren auch durch Bluttransfusionen übertragen werden können, unternimmt das ÖRK alle Anstren-

gungen, dies auszuschließen – etwa durch die bereits erwähnte Überprüfung der Spendertauglichkeit sowie durch genaue Tests an Spenderblut in den Labors. Mittlerweile hat die Gentechnik die Feststellung von Krankheitserregern im Blut revolutioniert. Zu den neuen Methoden auf gentechnischer Grundlage gehört das PCR-Verfahren (Polymerase Chain Reaction). Es wird beim Roten Kreuz routinemäßig durchgeführt.

Sibylle KozekLangenecker, Evangelisches Krankenhaus Wien: „Patient Blood Management, kurz PBM, kann Millionen an Kosten einsparen.“

Österreich liegt derzeit hinter Dänemark und Griechenland an dritter Stelle der europäischen Länder mit dem höchsten Verbrauch an Blutkonserven. Jährlich werden bis zu 450.000 Blutkonserven von den Krankenhäusern angefordert. Primarius Andreas Shamiyeh, Vorstand der 2. Chirurgie am AKH Linz, sieht die Gründe für das hohe Transfusionsaufkommen in Österreich vor allem in der kritiklosen Anwendung und in den hohen Verdienstmöglichkeiten der Spendeorganisationen. ÖGARI-Präsidentin Sibylle Kozek-Langenecker ergänzt: „Früher wurden Fremdblutkonserven großzügig transfundiert im Glauben, damit Patienten etwas Gutes zu tun. Die Fakten über die potenziell nachteiligen und nachhaltigen Konsequenzen einer Bluttransfusion sind erst in

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DIETER HÖNIG

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Blutverschwendung in österreich

ung in Österreich

­ emografischen Entwicklung von eminend ter Bedeutung.“ Gerald Bachinger, Patienten- und Pflegeanwalt sowie Vorstandsmitglied der Plattform Patientensicherheit, ergänzt: „Ziel muss sein, Fremdblut nur dort zu verwenden, wo es unbedingt notwendig ist und in einem Ausmaß, das unbedingt notwendig ist. Die Benchmark-Studien müssen bundesweit und verpflichtend fortgesetzt werden. Auch ist das international bewährte Modell des Patient Blood Management in allen Krankenanstalten Österreichs umzusetzen.“

den ­letzten ­Jahren durch wissenschaftliche Beobachtungen systematisch zusammengetragen worden. Sie verweist auf die beiden Benchmark-Studien von Hans Gombotz im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Diese hätten gezeigt, dass man in Österreich noch nicht die richtigen Konsequenzen aus den Erkenntnissen gezogen hat – es wird immer noch sehr viel Fremdblut verabreicht. Die Studien zeigen auch enorme Unterschiede zwischen einzelnen Krankenhäusern. „Daher brauchen wir nationale Standards und ein patientenorientiertes Blutmanagement“, schließt sich Sibylle Kozek-Langenecker den Forderungen von Gombotz an.

Drei vorbildliche Krankenhäuser

Fotos: örk/anna stöcher, Allgemeines Kr ankenhaus der Stadt Linz

Blut­ wird weggeworfen

Anlässlich der zweiten Benchmark-Studie von Gombotz wurden die absoluten Zahlen und Unterschiede im Blutverbrauch unter 15 österreichischen Krankenanstalten untersucht. Zwar zeigte sich bei einigen teilnehmenden Krankenanstalten eine deutliche Reduktion des Verbrauchs von Blutkomponenten gegenüber der ersten Benchmarkstudie, die zentralen Ergebnisse sind jedoch ernüchternd: So liegen die Transfusionsraten noch immer weit über den internationalen Werten. Rund 60 Prozent der angeforderten Blutkomponenten wurden nicht transfundiert. Viele Patienten kommen nach wie vor anämisch (blutarm) auf den OP-Tisch, obwohl eine vorhergehende Behandlung der Anämie und somit eine Vorbeugung des Blutkonservenbedarfs möglich wäre. Die Variabilität des Blutverbrauchs zwischen den Krankenanstalten ist zu hoch: Beim Hüftgelenksersatz um den Faktor eins zu acht, beim Kniegelenksersatz sogar um den Faktor eins zu 18. Das bedeutet, dass in einem Krankenhaus bei derselben Anzahl an Operationen acht beziehungsweise 18 Mal so viel Blut verbraucht wird wie in einem anderen.

Was Bluttransfusionen kosten

Die Transfusionskosten betragen in Österreich bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr. Dazu gehören die direkten, wie etwa Blut sowie transfusionsbedingte Leistungen, und die indirekten Kosten, wenn etwa Transfusionen den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Durch Patient Blood Management (PBM) kann ein großer Teil dieser Kosten eingespart werden, erklärt Hans Gombotz vom AKH Linz: „Insgesamt stellt das Transfusionswesen einen wesentlichen und kostenintensiven Bestandteil der modernen Medizin dar. Eine optimale Anwendung dieser Produkte spart Kosten, verbessert den Heilungsverlauf und ist bei dem künftig zu erwartenden steigenden Bedarf von Blutkomponenten aufgrund der

Werner Kerschbaum, Rotes Kreuz: „Die Aufgabe des Roten Kreuzes ist die flächendeckende und jederzeitige Versorgung Österreichs mit sicheren Blutprodukten.“

Hans Gombotz, AKH Linz: „Das PBM-Know-how haben wir sogar nach Australien exportiert. Ein Chirurg kann einen großen Teil an Fremdblut einsparen. Wichtig ist, mit dem Blutsparen bereits vor der Operation zu beginnen.“

Andreas Shamiyeh, AKH Linz: „Moderne Schneide- und Versiegelungsgeräte lassen auch große Operationen nahezu ohne Blutverlust gelingen.“

Derzeit wissen nur Insider, welche Operationen in welchen Krankenhäusern blutsparend durchgeführt werden. Dazu gehören Darmoperationen oder große orthopädische Operationen im AKH Linz, am Zentralklinikum in Mistelbach oder im Evangelischen Krankenhaus Wien. „Die Erfassung von Kennzahlen als Qualitätsindikatoren könnte zum Vergleichen von Krankenhäusern hinsichtlich der blutsparenden Qualität genutzt werden“, regt Sibylle KozekLangenecker an. Primarius Friedrich Marian, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Landesklinikum Mistelbach, begründet den Handlungsbedarf folgendermaßen: „In Zeiten, in denen die Spendenbereitschaft nachlässt und die Zahl der Operationen mit hohem Blutverlust steigt, ist es umso wichtiger, alle Maßnahmen zu setzen, um den Verbrauch von Fremdblut und Blutprodukten zu senken.“

Die Blutsparmeister in Österreich

Das AKH Linz zählt bei der Einführung des PBM weltweit zur Spitze der Blutsparmeister. „Wir haben die Blutkonservenanzahl innerhalb von zehn Jahren um etwa 70 Prozent reduziert“, sagt Hans Gombotz. „Das PBM-Know-how haben wir sogar nach Australien exportiert, wo es inzwischen erfolgreich zum Einsatz kommt.“ Ein Chirurg könne einen großen Teil an Fremdblut einsparen. „Chirurgisch ist wichtig, mit dem Blutsparen bereits vor der Operation zu beginnen. Der Patient sollte schon bei der Terminvereinbarung für eine geplante Operation hinsichtlich Risikofaktoren beurteilt werden. Dazu gehört auch eine Beurteilung seines Blutes, seiner Blutgerinnung, des gesamten Ernährungs- und Allgemeinzustandes“, erklärt Gombotz’ Kollege Andreas Shamiyeh. Ist ein Patient etwa anämisch, hat also zu wenige rote Blutkörperchen, kann dies vor der Operation korrigiert werden. Etwa durch Erypo – das steigert die Bildung der roten Blutkörperchen. Oder im Falle eines Mangels durch die Verabreichung von Eisen. Bei Eiweißmangel wird der Patient

durch spezielle Nahrung vorbereitet. Dies ist wichtig für eine gute Blutgerinnung und Wundheilung. Bei der Operation selbst sei auf eine blutsparende Technik zu achten, meint Andreas Shamiyeh. „Hierbei helfen uns moderne Schneide- und Versiegelungsgeräte. Sie lassen auch große Operationen nahezu ohne Blutverlust gelingen. Ein gut vorbereiteter Patient und eine entsprechende OP-Technik führen zu einer geringeren Komplikationsrate. Patienten, die wiederholt wegen Komplikationen reoperiert werden müssen, haben ein höheres Risiko für die Notwendigkeit einer Blutkonservengabe.“ Shamiyeh betont die Wichtigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit: „Chirurg und Anästhesist ziehen an einem Strang. Dazu gehört auch im Falle eines geringeren Blutwertes postoperativ, dass nicht unreflektiert sofort eine Blutkonserve gegeben wird, sondern gemeinsam evaluiert wird, ob sie der Patient klinisch, also unabhängig vom Laborwert, nötig hat.“ Die ÖGARI-Präsidentin Sibylle KozekLangenecker sieht es ähnlich: „Blutarmut, schwere Blutung und die Gabe von Blutkonserven sind unabhängige Risikofaktoren für Komplikationen nach großen Operationen. Daher gilt es, Blutarmut schon vor einer geplanten Operation zu korrigieren, die Reserven des Patienten zu stärken, eine Blutung rasch zu stoppen und Fremdblutkonserven sehr gewissenhaft und zurückhaltend einzusetzen.“

Patienten-Blutmanagement PBM

Solche Maßnahmen werden heute unter dem Begriff PBM zusammengefasst. Es kommt u.a. am Evangelischen Krankenhaus Wien erfolgreich zum Einsatz. Kozek-Langenecker betont dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit: „Es geht um eine Serie von Maßnahmen, die, von Ärzten verschiedener Fachrichtungen den individuellen Bedürfnissen der Patienten entsprechend, in richtiger Reihenfolge und aufeinander abgestimmt durchgeführt werden sollen.“ Freilich geht es dabei auch um Geld. Doch selbst wenn Einzelmaßnahmen im Rahmen von PBM etwas kosten, etwa die Eisentabletten, wird im Gesundheitssystem insgesamt sehr viel Geld gespart – vor allem durch die Vermeidung kostspieliger Komplikationen und die Schonung der Ressourcen an Blutkonserven. Laut Kozek-Langenecker werden die Einsparungen in anderen Ländern auf Millionen Euro jährlich geschätzt. Im Übrigen sind solche Maßnahmen zu einem sorgsameren Umgang mit Blut und Blutprodukten schon in Anbetracht der demografischen Entwicklung Europas von enormer Bedeutung. Sie sorgen dafür, dass diejenigen, die Spenderblut wirklich brauchen, es auch in Zukunft ausreichend bekommen können.


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Blutverschwendung in österreich

Böses Blut unter Medizinern Dieter hönig

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er Verdrängungswettbewerb macht auch vor dem Blut nicht halt. In Deutschland wird dieser immer öfter auch vor Gericht ausgetragen, so geschehen vergangenen Dezember in Mainz. Es ging um eine Aufwandsentschädigung von 26 Euro der Uni Klinik Mainz für Blutspender. Das Deutsche Rote Kreuz klagte die Uni Klinik wegen versteckter Vergütung. Die Richter gaben der Uni Klinik recht: 26 Euro seien angemessen, zumal das DRK selbst mit großzügigen Geschenken wirbt, wie etwa einem Schlemmerwochenende oder Kochen mit Promis.

Wer Blut spart, zahlt mehr In Österreich zieht man noch nicht zu Gericht, hier begnügt man sich mit dem Austausch von „Freundlichkeiten“ über die Medien. Im Jahr 2011 lieferten die Blutspendedienste des ÖRK 413.869 Konserven an Krankenhäuser in ganz Österreich. Geschätzte zehn Prozent des Umsatzes entfallen, laut ÖRK Generalsekretär Werner Kerschbaum, auf Plasma, das zum größten Teil an Pharmafirmen geliefert wird. In Linz wirft der Vorstand der Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Linz, Hans Gombotz, der Linzer Blutbank ungerechtfertigte Preiserhöhungen vor: Durch die Einführung des Patient Blood Management seien am AKH Linz jährlich Einsparungen von 900.000 Euro an direkten sowie drei Millionen an indirekten Kosten erzielt worden. Diese gingen nun zu einem Großteil verloren, weil die Linzer Blutbank die Preise ihrer Produkte und Laborleistungen über den Verbraucherpreisindex hinaus erhöht habe.

Der Kreislauf des Spenderblutes ist ein knallhartes Geschäft

Der ärztliche Chef der Linzer Blutbank, Christian Gabriel, weist die Vorwürfe zurück: Nicht die Linzer Blutbank bestimme die Preise von Blutkonserven, sondern die oberösterreichische Landesregierung. Bezüglich der Laboruntersuchungen sei, laut Gabriel, keine allgemeine Preiserhöhung eingetreten, sondern es seien zeitabhängig Aufschläge (dringend/ nicht dringend, nachts/tags) eingerichtet worden, um Ineffizienzen zu reduzieren.

Kein Spenderblut aus Deutschland Die Kosten zur Verabreichung eines einzelnen Erythro­ zytenkonzentrats in Österreich liegen bei 376 Euro. Hochgerechnet auf die etwa 380.000 Erythrozytenkonzen­ trate, die derzeit hier transfundiert werden, ergibt das über 140 Millionen Euro

Das Österreichische Rote Kreuz beherrscht mit 95 Prozent an Blutkonserven den Markt. Nur in Deutschland, Belgien und Finnland hat das Rote Kreuz eine vergleichbare Marktposition. Der ehemalige Baxter Chef Peter Mateyka sagt dazu, er hätte sich im Vorjahr angeboten, lyophilisiertes (gefriergetrocknetes) Plasma in Österreich zu vertreiben, das in Deutschland hergestellt wird. Der Vorteil dieses Produkts besteht darin, dass es nicht tiefgekühlt werden muss und so in Notfällen schneller verfügbar ist. Infolge dieses Ansinnens ist sein Vertrag mit dem Deutschen Roten Kreuz aufgekündigt worden. Er vermutet, dass hier das Österreichische Rote Kreuz seine Hände im Spiel gehabt hat. Beim ÖRK will man auf die Vorwürfe von Mateyka nicht näher eingehen und beruft sich auf mangelnden Bedarf: „Wir haben dem DRK beziehungsweise seinen Blutspendediensten angeboten, dass Nachfragen seitens österreichischer Krankenhäuser beziehungsweise Pharmafirmen nach gefriergetrocknetem Plasma von uns im Sinne eines umfassenden Lieferservices aufgenommen und an die DRK-Blutspendedienste

weitergeleitet werden. Es gab bis dato nur keine Nachfrage“, sagt Kerschbaum.

Das Milliardengeschäft mit dem Blut Jährlich werden weltweit über 90 Millionen Blutspenden abgenommen, die Hälfte davon in der EU, den USA und einem halben Dutzend weiterer Industriestaaten. Dazu kommen noch 20 Millionen Liter an Plasmaspenden. Um ein solches Volumen bereitzustellen, ist ein hoher Aufwand notwendig. Millionen Spender müssen rekrutiert werden, Spenden getestet und dann zu den einzelnen Blutkomponenten weiterverarbeitet werden. Das hat seinen Preis und deshalb bezahlen die Krankenanstalten in Österreich derzeit für ein Erythrozytenkonzentrat (EK) etwa 140 Euro, für ein Thrombozytenkonzentrat (TK) um die 900 Euro und für eine Einheit Quarantäneplasma rund 95 Euro. Mit der Verabreichung einer Transfusion fallen im Krankenhaus auch noch Kosten für Labordiagnostik, Kühlkettenlogistik, Durchführung und Überwachung der Transfusionen sowie der Behandlung unerwünschter Nebenwirkungen an. Eine internationale Studie hat alle diese Aufwendungen im Detail erfasst und gezeigt, dass die Kosten zur Verabreichung eines einzelnen Erythrozytenkonzentrats in Österreich bei 376 Euro, in der Schweiz bei 440 Euro und in den USA noch höher liegen. Hochgerechnet auf die etwa 380.000 EK, die derzeit in Österreich transfundiert werden, ergibt das über 140 Millionen Euro. In den USA kostet die Verabreichung von EK derzeit rund elf Milliarden Dollar.

Experte Axel Hofmann über die Nervosität am Blutmarkt Ökonom. Er hat zum Thema Patient Blood

Management (PBM) neben einigen Buchkapiteln rund 30 wissenschaftliche Artikel in weltweit anerkannten Fachjournalen (mit)verfasst und war aktiv in internationale klinische und gesundheitsökonomische Forschungsprojekte eingebunden. Axel Hofmann, Herr Hofmann, warum wird das Thema Bluttransfusion in letzter Zeit so emotional diskutiert? Axel Hofmann: Das Transfusionswesen hat sich zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig mit zehntausenden Arbeitsplätzen entwickelt. Es gibt Millionen Spender. Und hunderttausende Kliniker verordnen regelmäßig Transfusionen. Doch die in den vergangenen zehn Jahren massiv angewachsene Zahl klinischer Studien belegt, dass Bluttransfusionen einen signifikant negativen Einfluss auf Krankheitshäufigkeit und Ster-

Medizinwissenschafter und Ökonom: „Die klinischen Studien der vergangenen zehn Jahre bringen keine ange­ nehmen Nachrichten für die Transfusionsmedizin.“

berate haben. Das sind keine angenehmen Nachrichten für die Transfusionsmedizin. Sie waren wesentlich an der Entwicklung von PBM beteiligt … Hofmann: Patient Blood Management wurde 2010 durch die Resolution WHA63.12 der Weltgesundheitsversammlung angenommen und sollte daher als wichtiger Behandlungsstandard moderner Gesundheitssysteme angesehen werden. Erste Fachbücher sind erschienen, in Kürze wird es auch das erste in deutscher Sprache geben. Herausgeber sind die Primarii für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Unikliniken von Frankfurt und Zürich und des AKH Linz. Australien ist Vorreiter beim PBM … Hofmann: Australien ist das erste Land, das Transfusionsrichtlinien abgeschafft und durch umfangreiche PBM-Richtlinien ersetzt hat. Durch das westaustralische PBM-

Programm wurde eine Transfusionsrate von etwa 25 pro 1000 Personen erreicht. Das ist nahezu um die Hälfte niedriger als in Österreich. Seither beobachten wir eine verkürzte Liegedauer der Patienten, und die Infektionsraten sowie die Behandlungskosten pro Eingriff gehen zurück. Wo sehen Sie das Kernproblem der gegenwärtigen Debatte um die Transfusion? Hofmann: Das Problem ist entstanden, weil ein bislang gut etabliertes Transfusionswesen durch neu gewonnene klinische Erfahrungen hinterfragt wurde. Hier prallen zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite die Produzenten allogener Blutprodukte, die im guten Glauben gehandelt haben, und auf der anderen Seite die Kliniker als Produktverwender, die natürlich viel näher beim Patienten sind und zunehmend erkennen, dass der Outcome bei weniger Transfusion besser ist.

Fotos: privat

::  Axel Hofmann ist Medizinwissenschafter und


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BLUTVERSCHWENDUNG IN ÖSTERREICH

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Blutverschwendung in österreich

Das Blut der Nabelschnur verena ahne

Privatanbieter werben mit Heilsver­sprech­ ungen darum, Nabelschnurblut für den Eigen­ bedarf zu konservieren. Was wahrscheinlich nie etwas bringen wird

Nabelschnurblut kann schwere Krankheiten wie Leukämie heilen

Die Hoffnung der ­Privatanbieter gilt den Möglichkeiten der regenerativen ­Medizin. Doch deren ­Entwicklung ist völlig offen Sachliche Informationen zu finden ist schwierig: Nabelschnurblut-Seiten im Netz sind meist gesponsert von jenen, die ihre Dienstleistung so lukrativ verkaufen, analysierte das deutsche Magazin Spiegel. Und die Info-Materialien der Privatanbieter selbst verschleiern eher als aufzuklären, wie die deutsche Onkologin Ursula Creutzig und Kolleginnen im Deutschen Ärzteblatt feststellten: Einzeln betrachtet durchaus richtige Aussagen würden so kombiniert, dass in der Zusammenschau automatisch Hildegard Greinix, überzogene Erwartungen entstehen. Hier der Versuch einer Zurecht­ AKH Wien: „Blutbanken gehen rückung.

Warum Nabelschnurblut?

Es enthält besonders viele blutbildende, in geringen Mengen auch andere Stammzellen – ein Hoffnungsgebiet der Medizin. Verschiedene Stammzellarten finden sich überall im Körper. Durch Teilung bilden sie le-

benslang neue Tochterzellen, die sich zu den verschiedenen Zelltypen – insgesamt gibt es im menschlichen Körper mehr als 200 – weiter entwickeln. Stammzellen aus Nabelschnurblut sind jung, haben noch keine Immunabwehr aufgebaut, sind (weitgehend) frei von schädlichen Einflüssen wie Krankheiten, Viren oder Umweltfaktoren. Deshalb, so die Werbung, seien sie das bessere Ausgangsmaterial für einen späteren Einsatz. Transplantationsmedizinerin Hildegard Greinitz von der Klinik für Innere Medizin 1 am Wiener AKH ärgert diese Behauptung: „Das wurde bisher wissenschaftlich nicht demonstriert.“ Was insofern relevant ist, als der Körper ein Leben lang Quelle für Stammzellen ist – es muss also nicht auf kryokonservierte zurückgegriffen werden.

davon aus, dass es in Zukunft möglich sein wird, auch aus einzelnen Stammzellen genügend Zellen zu entwickeln. Aber das ist reine Spekulation.“

Das bisher einzig relevante Einsatzgebiet der Stammzelltherapie sind lebensbedrohliche Krankheiten des blutbildenden Systems, vor allem die verschiedenen Arten von Leukämie, angeborene Immunschwächen oder schwere Anämien. Durch eine Chemooder Strahlentherapie wird das Immunsystem im Körper zerstört. Transplantierte Blutstammzellen, die vor der Therapie aus dem eigenen Körper, bei angeborenen Erkrankungen aus Knochenmark oder (heute eher) dem Blut von Spendern gewonnen werden, können es wieder aufbauen. Was in der Transplantationsmedizin sonst Sorge macht – die Abwehr körperfremder Zellen –, wird bei der Leukämietherapie genutzt: „Die weißen Blutkörperchen des Transplantats erkennen die restlichen Leukämiezellen als fremd und eliminieren sie“, erklärt Greinitz den „Graft-versus-Leukämie-Effekt“, der eine langfristige Heilung erst möglich macht. Das bedeutet aber: Gerade bei Blutkrebs, dem Hauptanwendungsgebiet der Stammzelltherapie, sollte nicht autologes, sondern allogenes (Nabelschnur-)Blut verwendet werden!

Zukunftsfeld regenerative Medizin

Da es derzeit kaum Argumente für die autologe Einlagerung gibt, gilt die Hoffnung der Privatanbieter der Zukunft und den „Möglichkeiten der regenerativen Medizin“. Doch die Entwicklungen in diesem Bereich sind völlig offen. Zwar wird seit etlichen Jahren geforscht, um die Spezialisierung von Stammzellen so zu steuern, dass sie gezielt geschädigtes Gewebe regenerieren – etwa nach einem Herzinfarkt –, oder Funktionsverluste wieder herstellen, wie bei Autoimmunerkrankungen (etwa Diabetes 1). Auch soll im Labor aus Stammzellen neues Gewebe entstehen – Haut, Knorpel, in Zukunft vielleicht sogar Organe –, das auf oder in den Körper transplantiert werden kann, ohne Abstoßungsreaktionen hervorzurufen („Tissue Engineering“).

Aber: Dafür genügen frische Stammzellen aus dem eigenen Körper. Ein weiterer Punkt: In frischem NSB sind Gewebestammzellen in geringen Mengen zwar zu finden, in eingefrorenem aber nicht mehr genug, um Gewebe zu züchten, wie Creutzig und Kolleginnen betonen: „Die Blutbanken gehen davon aus, dass es in Zukunft möglich sein wird, auch aus einzelnen Stammzellen genügend Zellen zu ent-

International geht der Trend Richtung Nabelschnurblut auch bei Erwachsenen: Es ist sicher und schnell verfügbar wickeln“, präzisiert Greinix. Dafür müssten nur die richtigen Wachstumsfaktoren gefunden werden. „Aber das ist Spekulation, es geht noch nicht.“ In den nächsten 20 Jahren, ist die Expertin überzeugt, „werden wir wahrscheinlich ohnehin direkt am lebenden Gewebe mit Wachstumshormonen arbeiten“. Der Umweg über die oft unberechenbaren Stammzellen wäre dann obsolet.

Die Alternative: Nabelschnurblutspende

„In Österreich finden wir für rund 20 Prozent der Menschen, die mit Stammzellen behandelt werden könnten, keine passende Lebendspende“, so Greinitz. „Für sie bedeutet allogenes Nabelschnurblut eine Chance auf Heilung.“ Hier kommt die gute Verträglichkeit des jungen Blutes zum Tragen: „Bei Lebendspenden müssen elf oder zwölf von zwölf Merkmalen bei Spender und Empfänger übereinstimmen, damit es nicht zu gefährlichen Abstoßungsreaktionen kommt“, so die Transplantationsmedizinerin, „bei NSB nur vier oder fünf von sechs Merkmalen.“ Durch die gute Verträglichkeit ist auch die geringe Menge – eine Portion reicht für maximal 50 kg – wenig problematisch: Bei Erwachsenen zwei Spenden zu kombinieren, ist inzwischen gängige Praxis. „Früher wurde Nabelschnurblut nur für Risikopatienten verwendet – in Österreich übrigens immer noch“, so Christian Gabriel, Leiter der Blutzentrale des Roten Kreuzes OÖ, das in Linz seit 2001 die erste öffentliche Nabelschnurblutbank Österreichs aufbaut. „Aber international geht der Trend Richtung Nabelschnurblut auch bei Erwachsenen: Es ist sehr sicher und meist schneller verfügbar als Lebendspenden. Das kann einen Überlebensvorteil bedeuten.“ Wer also Gutes tun und das NSB des Babys spenden möchte, erfragt spätestens sechs Wochen vor der Geburt an der Entbindungsstation, ob und unter welchen Bedingungen eine (kostenfreie) Spende an eine Blutbank oder für Forschungszwecke angenommen wird.

Foto: privat

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tammzellen aus Nabelschnurblut: Das Notfallpaket für’s Leben.“ Slogans wie dieser packen werdende Eltern an ihrer empfindlichsten Stelle. Wer wollte sein Kind nicht bestmöglich versorgen? Für rund 2000 Euro können sie das „Notfallpaket“ privat schnüren: Gewonnen aus der Nabelschnur (manchmal auch der Plazenta), aufbereitet im Labor, gelagert in flüssigem Stickstoff bei etwa –190 Grad Celsius, sollen die kostbaren Zellen Jahrzehnte überdauern, um später schwere Krankheiten zu heilen. Sinnvoll? Unabhängige Organisationen weltweit, darunter die österreichische Arbeitsgruppe für Stammzell-Transplantation, sagen nein – außer, wenn in einer Familie gehäuft Krankheiten auftreten, die mit Blutstammzellen behandelt werden können, oder als „gerichtete Spende“ für ein bereits erkranktes Familienmitglied. Die Wahrscheinlichkeit, die teure Einlagerung je zu brauchen, ist nach derzeitigem Wissensstand verschwindend. Schätzungen reichen von 1:2.000 bis 1:250.000. Obwohl es weltweit über 2,5 Millionen private Einlagerungen gibt – mindestens fünfmal so viele wie öffentlich zugängliche Nabelschnurblutspenden –, wurden insgesamt erst etwas mehr als 300 Personen mit eigenem NSB behandelt, der größere Teil davon im Rahmen von Verträglichkeits- oder experimentellen Studien. Bei ein paar seltenen kindlichen Tumorarten wie Neuro- oder Retinoblastom (ein Krebs am Auge) gibt es Erfolge – aber auch andere Therapien.


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BLUTVERSCHWENDUNG IN ÖSTERREICH

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Blutverschwendung in österreich

Blut in Österreich: Das Glossar Jochen stadler

Aderlass

Von der Antike bis ins 19. Jahrhundert verbreitete Heilmethode, die unter anderem dem ersten Präsidenten der USA, George Washington, das Leben gekostet haben könnte, als die Ärzte damit und mit starken Abführmitteln seine Kehlkopfentzündung kurieren wollten. Wird heute selten praktiziert, wenn etwa zu viele rote Blutkörperchen das Blut zäh machen oder zu viel Eisen im Körper zirkuliert. Blaues Blut

Das Blut lichtscheuer Adeliger erschien durch die blasse Haut blau. Sie erhielten sich ihren fahlen Teint durch Sonnenschirmchen, Hüte und Stubenhocken, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie wären wie ihre Untertanen bei der Arbeit der Sonne ausgesetzt. Spanischen Aristokraten setzte die Sonne besonders zu, sie kultivierten ihre „noble Blässe“, indem sie sich mit nordischem Adel kreuzten. Blut

Flüssiges Organ, von dem Männer etwa fünf bis sechs Liter, Frauen vier bis fünf Liter besitzen. Besteht knapp zur Hälfte aus Zellen, der Rest ist Blutplasma. Es transportiert Sauerstoff, Nährstoffe, Botenstoffe und Abfallprodukte, wehrt Krankheitserreger ab und hilft, die Körpertemperatur konstant zu halten. Blut-Hirn-Schranke

Grenzkontrolle, die Nährstoffe in die Denkzentrale ein- und Abfallprodukte ausreisen lässt, aber im Blut reisende Krankheitserreger und Stoffe, die hier Unheil anrichten könnten, abweist. Auch den meisten Medikamenten wird der Eintritt verwehrt, was eine Behandlung von Hirnkrankheiten erschwert. Blutarmut/Anämie

Blutverlust und Krankheiten können dazu führen, dass zu wenige rote Blutkörperchen und zu wenig Hämoglobin im Blut sind und es daher weniger Sauerstoff binden kann. Blutbildung/Hämatopoese

Blutzellen entstehen im Knochenmark und dem Lymphsystem aus blutbildenden Stammzellen. Bluterkrankheit/Hämophilie

Erbkrankheit, von der fast nur Männer betroffen sind, da die verantwortlichen Gene auf dem X-Chromosom

liegen, von dem Frauen zwei Kopien haben und Männer nur eine. Blutern mangelt es an Gerinnungsfaktoren, ihr Blut gerinnt daher bei Verletzungen nicht oder nur langsam. Kann durch Verabreichung der defekten Gerinnungsfaktoren behandelt werden. Die Krankheit war in den inzestuösen europäischen Herrscherfamilien verbreitet. Blutersatz

Kann entweder nur das Blut verdünnen, damit der Kreislauf weiter funktioniert, oder auch Sauerstoff transportieren. Forscher entwickeln synthetischen Ersatz und natürlichen aus dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin (biotechnologisch hergestellt, aus abgelaufenen Blutkonserven oder Rinder- und Schweine-Hämoglobin). Blutgerinnung

Der durch die Blutstillung gebildete, lose Verschluss wird durch stabile Fäden verstärkt, die aus Blutplasmabestandteilen gestrickt sind. Sie vernetzen die bereits verklumpten Blutplättchen, auch rote Blutkörperchen werden in den Wundverschluss eingebaut. Blutgruppen

Rote Blutkörperchen können unterschiedliche Oberflächen besitzen. Das menschliche Immunsystem bildet Antikörper gegen andersartige Blutkörperchen und bringt sie zum Verklumpen, was bei einer Blutspende fatal ist. Es gibt 29 verschiedene, bei der Internationalen Gesellschaft für Bluttransfusion verzeichnete Blutgruppensysteme, die wichtigsten sind ABO und Rhesus. Blutgruppen werden vererbt. Blutgruppen- Verträglichkeit

Werden rote Blutkörperchen verabreicht, darf ein Empfänger mit der Blutgruppe 0 nur Blut derselben Gruppe bekommen, A kann als Spende A und 0 erhalten, B verträgt B und 0, AB alles (AB, B, A, 0). Umgekehrt sieht es aus, wenn Blutplasma eingeflößt wird. Dann stehen für einen 0-Empfänger AB, A, B und 0 zur Auswahl, für A ist A und AB möglich, B kann B und AB bekommen und AB ist auf AB-Plasma angewiesen. Blutkrebs/Leukämie

Krankhafte Vermehrung von (vor allem unreifen) weißen Blutkörperchen. Sie machen sich im Knochenmark breit und stören die Blutbildung. Es mangelt dadurch an roten Blutkör-

perchen, Blutplättchen und reifen weißen Blutkörperchen. Kann etwa durch Chemo- und Strahlentherapie sowie Transfusion mit Blutstammzellen behandelt werden. In jüngster Zeit wurden auch Medikamente entwickelt, die gezielt die Vermehrung von Blutkrebszellen hemmen. Blutplasma

geronnenem Bluteiweiß schnittfähig. EPO/Erythropoetin

Wachstumsfaktor, der die Bildung von roten Blutkörperchen fördert, das Blut kann so mehr Sauerstoff transportieren. Ursprünglich als Medikament gegen Blutarmut entwickelt, wurde EPO durch Dopingfälle berühmt.

Der zellfreie Teil des Blutes, transportiert Zucker, Fette, Hormone, ein bisschen Sauerstoff, Kohlendioxid, Stoffwechselprodukte, Elektrolyte, Hormone und Gerinnungsfaktoren.

Hämoglobin

Blutplättchen/Thrombozyten

Bringt Blutungen zum Stillstand und besteht aus Blutstillung und Blutgerinnung. Kann durch Medikamente gehemmt werden, um etwa Thrombosen zu behandeln, oder verstärkt werden, zum Beispiel bei der Bluterkrankheit.

Die kleinsten Blutzellen sind wichtig, damit Wunden verschlossen werden. Sie heften sich an verletztes Gewebe, verkleben miteinander und setzen Stoffe frei, die die Blutgerinnung fördern. Blutserum

Blutplasma ohne Gerinnungsfak­ toren. Blutspende

Freiwillige Herausgabe des Lebenssaftes, entweder uneigennützig für Mitmenschen, für die Wissenschaft oder den späteren Eigenbedarf, wenn die Ärzte etwa bei einer Operation großen Blutverlust fürchten. Blutstillung

Verletzte Gefäße verengen sich, Blutblättchen heften sich an das Leck und verkleben miteinander. So wird die Wunde provisorisch bis zur Blutgerinnung verschlossen. Bluttransfusion

Einflößen von Vollblut oder bestimmten Blutbestandteilen zwecks Therapie. Meist werden nur die notwendigen Komponenten verabreicht, also etwa Konzentrate aus roten oder weißen Blutkörperchen, Blutplättchen und Blutstammzellen. Blutvergiftung/Sepsis

Passiert, wenn sich Krankheitserreger und ihre Gifte im Blutkreislauf ausbreiten und das Immunsystem so stark reizen, dass es überreagiert. In Österreich mit geschätzten 6.000 bis 7.500 Todesfällen pro Jahr die dritthäufigste Todesursache. Blutwurst

besteht aus Schweineblut, Speck, Schwarte und Gewürzen und ist dank

Eiweißstoff in roten Blutkörperchen, der Sauerstoff binden kann und dem Blut seine Farbe gibt. Hämostase

Ochsenblut

Wetterfeste Farbe, die aus dem Blutserum frisch geschlachteter Ochsen, gelöschtem Kalk und Farbpigmenten hergestellt wurde, und Dielenböden sowie die Balken von Fachwerkbauten vor der Witterung schützte. Rhesusfaktor

Bei Rhesusaffen entdeckte Eigenschaft der roten Blutkörperchen. Menschen ohne Rhesusfaktor D bilden Antikörper gegen denselben. Dies kann problematisch werden, wenn eine rhesusnegative Frau mehrere rhesuspositive Kinder bekommt. Beim ersten bildet ihr Körper Antikörper gegen den Rhesusfaktor, die die roten Blutkörperchen des zweiten Kindes angreifen. Die Bildung solcher Antikörper kann durch Medikamente unterdrückt werden. Rote Blutkörperchen/Erythrozyten

Sind die häufigsten Zellen im Blut von Wirbeltieren und transportieren mit Hilfe von Hämoglobin Sauerstoff von der Lunge in den Körper. Thrombose

Entsteht, wenn ein Blutgerinnsel (Thrombus) eine Vene oder Arterie verstopft. Als Therapie verwenden die Ärzte gerinnungshemmende, blutverdünnende Medikamente. Damit es nicht dazu kommt, helfen Bewegung, Normalgewicht und kein Rauchen. Weiße Blutkörperchen/Leukozyten

Sie wehren Krankheitserreger ab, machen ihre Giftstoffe unschädlich und eliminieren etwa Tumorzellen.


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BLUTVERSCHWENDUNG IN ÖSTERREICH

ILLUSTR ATION: PETER PHOBIA

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Wissenschaftspolitik

Und wie komm ich jetzt an die Uni? S o n j a D ri e s

An der Grenze des Machbaren Für fünf stark nachgefragte Studienfelder, nämlich Architektur und Städteplanung, Biologie und Biochemie, Informatik, Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften, hat das Wissenschaftsministerium die österreichweite Mindestzahl der Studienanfängerplätze gesetzlich festgelegt. Betroffen sind die Unis in Wien, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz und Salzburg,

Die neuen Regelungen zur Studienplatz­ finanzierung sollen mehr Planungs­ sicherheit und bessere Betreuungsver­hältnisse an den Unis schaffen

„Junge Menschen glauben, sie kämen in ein perfektes ­System, wenn sie die Zulassungs-­ hürden überwunden hätten.“

Und wer sagt es den Studierwilligen?

M artin P o l as c h e k , U ni G ra z

die TU Wien und Graz, die WU Wien und die Universität für Bodenkultur. Laut Ministerium wurden die Mindestplätze mit den Hochschulen ausverhandelt, sie orientieren sich grundsätzlich an den Anfängerzahlen des Studienjahres 2011/12. Doch die endgültige Festsetzung stößt auf Kritik bei den betroffenen Rektoren. „Wir können nicht bestätigen, dass wir für dieses verpflichtende Angebot von Studienplätzen auch die Ressourcen haben. Ich möchte gegenüber Studieninteressierten fair sein. Die Kolleginnen und Kollegen in der Lehre sind schon an der Grenze des Machbaren“, sagt Sabine Seidler, Rektorin der TU Wien. So verfüge die Architektur und Raumplanung an der TU Wien realistischerweise über Kapazitäten für rund 535 neue Studierende. Vom Ministerium waren 1.030 Studienplätze vorgesehen. Für Seidler ein Grund, den Zusatz zur Leistungsvereinbarung mit dem Ministerium nicht zu unterschreiben. Sie verzichtet auch auf die durch die neuen Regelungen ermöglichten Aufnahmeverfahren.

Aussieben von Studierwilligen Ab 15. April mussten sich die Studien­ bewerber in den fünf betroffenen Feldern online registrieren. Wenn mit Ablauf der

Registrierungsfrist die festgelegte Anzahl der Studienplätze überschritten wird, können die Universitäten ein Aufnahmeverfahren durchführen. Dieses besteht in der ersten Phase aus einem Self-Assessment-Test, der online durchgeführt und nicht benotet wird. Oder einem Motivationsschreiben, bei dem laut Martin Polaschek, Vorsitzender des uniko-Forums „Lehre“ und Vizerektor der Uni Graz, eine hohe Toleranzgrenze gelte. Alleiniges Ziel dieser Phase sei laut Polaschek, dass die Studierenden darüber reflektieren, ob das angestrebte Studium die richtige Wahl für sie sei. In einer zweiten Phase führen die Universitäten Multiple-Choice-Prüfungen durch, um weitere Studierwillige auszusieben. Der Stoff sollte vier Monate vor der Prüfung, die in jedem Studienfeld am selben Tag stattfindet, auf der Homepage der jeweiligen Universität bekannt gegeben werden. Sind an einer Universität weniger Studienanfänger in einem Feld registriert als gesetzlich festgelegt, können die freien Plätze mit Studierenden von anderen Universitäten aufgefüllt werden.

Martin Polaschek, Viterektor Uni Graz: „Studierende sollen vorab testen können, ob ein Studium für sie passt.“

Sabine Seidler, Rektorin TU Wien: „Bei den Studienplätzen sind wir bereits an der Grenze des Machbaren.“

Obwohl sich die Hochschulen bereits seit Dezember mit dem Thema auseinandersetzen, um einheitliche Verfahren zu beschließen, unterscheiden sich die Fristen für die Anmeldung zum Teil erheblich. Grund seien laut Polaschek die verschiedenen Verwaltungsabläufe. Wo man in den Feldern Pharmazie und Biologie bis 2. August Zeit, hat sich zu registrieren, muss dies bei den Wirtschaftsfächern schon bis Ende Mai passiert sein. Studienanfänger in den Fächern Architektur und Städteplanung haben bis Mitte Juni Zeit. Um Studieninteressierte über die neuen Fristen und Regelungen zu informieren, haben das Ministerium, uniko und die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) Anfang April eine Informationskampagne gestartet. Mit Inseraten in verschiedenen Printmedien und Informationsarbeit in jenen Foren, in denen sich die Zielgruppe befindet, sollen potenzielle Studienanfänger auf die Neuregelungen aufmerksam gemacht werden. Unterrichtsministerin Claudia Schmied und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle informieren alle Maturanten in einem gemeinsamen Brief direkt über die Neuerungen. Der Generalsekretär der ÖH, Christoph Huber, kritisiert jedoch die enorm kurze Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung des Gesetzes und den ersten Aufnahmeprüfungen. Die verschiedenen Regelungen und Fristen seien ein unübersichtliches Wirrwarr. Vor allem bei den Schulbesuchen der „MaturantInnenberatung“ habe sich laut Huber eine extreme Verunsicherung darüber gezeigt, dass bis vor Kurzem nicht klar war,

welche Universitäten Aufnahmeprüfungen durchführen. Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle erwartet, dass angehende Akademiker in der Lage sind, sich rechtzeitig und selbstständig zu informieren. Die Kritik an den neu gesetzten Maßnahmen könne er zwar verstehen, teilen würde er sie aber nicht, da man sich einem Ziel – in diesem Fall der verbesserten Qualität in stark frequentierten Fächern – nur schrittweise nähern könne.

Neue Pläne für die TU Wien Wenig Verständnis zeigt Töchterle für das Vorgehen der Technischen Universität Wien. Diese hätte jetzt die Möglichkeit, die Studienplätze in der Architektur, wo es bisher laut TU viel zu viele Studierende gegeben hätte, um etwa 30 Prozent zu reduzieren. Statt diese Teilverbesserung herbeizuführen, hätte die TU Wien laut Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle jedoch auf dem Optimum, nämlich 50 Prozent Reduktion, bestanden und sei zu keinem Kompromiss bereit gewesen. Rektorin Seidler spricht hingegen von einem „ehrlichen Zugang zur Verbesserung der Studiensituation“ ihrerseits. Sie wolle keinesfalls die Hände in den Schoß legen, sondern an Plänen arbeiten, die realistische Anfängerzahlen in ein qualitatives Betreuungsverhältnis bringen soll.

Mehr Professoren für die Unis Auch der Vorsitzende des uniko-Forums „Lehre“, Martin Polaschek, möchte darauf hinweisen, dass in Österreich noch lange keine perfekten Studienbedingungen herrschen. Er habe im Gespräch mit jungen Menschen gemerkt, dass die Meinung bestehe, man komme in ein perfektes System, in dem die Betreuungskapazitäten passen, wenn man die Zulassungsbeschränkungen überwunde hätte. Dies sei bisher aber noch nicht der Fall. Dennoch geht Polaschek davon aus, dass die Unterstützung der Republik für die Hochschulen mittelfristig bemerkbar wird. In den nächsten drei Jahren sollen 36 Millionen Euro für zusätzliche Personalressourcen, rund 95 zusätzliche Professoren, an die Unis gehen. Zumindest gäbe es jetzt Planungssicherheit für die immer noch vorhandenen Überkapazitäten, die er als Vizerektor selbst an der Uni Graz zu spüren bekommt. Dort habe man im Bereich der Laborwissenschaften bisher 60 Laborplätze gehabt. Durch die Gelder der Leistungsvereinbarung konnten diese auf 80 Plätze ausgebaut werden. Hundert Pharmazie-Anfänger könnte man laut Polaschek an der Uni Graz jetzt gut betreuen, das Gesetz sieht jedoch eine Mindestzahl von 390 Studienanfängerplätzen vor. Mehr Infos zu Registrierung und Auswahl­ verfahren auf: www.studienbeginn.at

F o t o s : R o b e rt F r a n k l , j . z i n n e r

D

as Wissenschaftsministerium nennt sie einen „ersten wichtigen Schritt“. Für die Technische Universität Wien jedoch sei sie „nicht akzeptabel“, und die Universitätenkonferenz (uniko) spricht von einem „nicht perfekten System“. Die Testphase zur neuen Studienplatzfinanzierung ist angelaufen und sorgt gleichermaßen für Kritik und Lob, vor allem aber für Verwirrung bei Studienanfängern. Nach langen Verhandlungen zwischen Hochschulen und ­Wissenschaftsministerium ist ein komplexes System entstanden, das die Studienqualität an Österreichs Universitäten in Zukunft verbessern soll.


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Wissenschaftspolitik

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Freistätters Freibrief

Weg mit Doktor! Florian Freistetter

illustr ation: jochen schievink

sterreich liebt seine Titel. „Herr Ö Doktor“ und „Frau Professor“ genießen Ansehen und Respekt so wie

früher der „Freiherr“ oder die „Frau Gräfin“. Mit der Abgabe der Doktorarbeit erfolgt gleichzeitig die Transformation vom faulen Studenten, der dem Staat nur auf der Tasche liegt, zum seriösen und verehrungswürdigen Akademiker. Der Doktortitel ist viel mehr als nur das Zeichen einer bestimmten beruflichen Qualifikation. Viel mehr, als er sein sollte. Es ist an der Zeit, die akademische Arbeit von diesem „Zuviel“ zu befreien. Der Doktortitel sollte abgeschafft werden – und damit auch die Motivation für Betrug und Missbrauch. In Deutschland haben in den letzten Jahren viele prominente Politiker ihren Doktortitel verloren, weil sie betrogen haben. Sogar die – mittlerweile zurückgetretene – Wissenschaftsministerin Annette Schavan musste den Titel abgeben, weil in ihrer Arbeit Plagiate nachgewiesen werden konnten. Und nicht nur bei den Politikern wird abgeschrieben, plagiiert und für viel Geld Ghostwriter beauftragt, die einem die akademische Arbeit abnehmen. Hauptsache, man kann sich am Ende die begehrten zwei Buchstaben „D“ und „r“ vor den Namen stellen. Aus akademischer Sicht ist der Titel dagegen völlig unnötig. In der Welt der Wissenschaft zählen keine Titel, sondern die tatsächlich geleistete Arbeit. Auch als Nachweis für die eigene Qualifikation ist der Doktortitel nicht notwendig. Dafür gibt es Zeugnisse. Die Situation ist mit der Habitilation vergleichbar. Wer sich in Deutschland oder Österreich „Privatdozent” oder später einmal „Professor” nennen will, muss heute immer noch eine Habilitationsarbeit verfassen. In anderen Ländern kommt man aber wunderbar ohne Habilitation aus, es reicht völlig, nachzuweisen, dass man ausreichend wissenschaftlich qualifiziert ist, um eine Professorenstelle antreten zu können. Es kommt darauf an, was man kann – und nicht, was vor oder hinter dem Namen steht! Der wissenschaftliche Betrieb würde ohne die Doktortitel ganz genauso funktionieren und ablaufen wie heute. Nur die Angeber, Wichtigtuer und Hochstapler hätten keine Möglichkeit mehr, eine wissenschaftliche Qualifikation vorzutäuschen, die sie nicht haben. Der Doktortitel könnte problemlos abgeschafft werden. Mehr von (Doktor) Freistetter: http://scienceblogs.de/ astrodicticum-simplex


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Gedicht J o n a s M e k a s : D i e s e c h s t e Id y l l e

Die Erbsen sind schon ganz nach oben geklettert, und die Blüten der Bohnen, an Rankstäben aufgehängt, brennen leuchtend rot wie Feuer. Die Hitze zittert, flimmert über den erwärmten Feldern, große Schwärme von Käfern, Bremsen, Fliegen verfolgen – wie große, brausende, tobende Wolken – ununterbrochen die Herde, und die Rinder, bis an die Euter zwischen Binsen eingesunken im schlammigen Morast, klatschen ruhelos mit den Schwänzen auf die warme, schwarze Brühe. Gleich, gleich kommt flirrend, mit atembeklemmender Glut die Mittagsstunde, die riesigen Blätter der Kletten ermatten, das Gold des Hederichs, und die Sonne – ein gleißender Feuerball – wird am endlos blauen, aufgeheizten Himmel lodern, und nur noch graue Schwüle, wie vor dem Gewitter, wird auf den Feldern liegen – nur Fliegensummen, nur Stille – wenn in den Kartoffelreihen, auf schier endlosen Ackerflächen schnaubend und unruhig die Köpfe werfend, in trägem Trott die Pferde der Gemüsebauern die heiße Erde, den erhitzten Sand durchwühlen.

Jonas Mekas (Jg. 1922), einer der „Paten des amerikanischen Avantgardekinos“, gilt in Litauen als einer der großen Dichter der Moderne. Mit achtzehn erlebt er die Besetzung seiner Heimat durch die Rote Armee, gegen die 1941 einmarschierende Deutsche Wehrmacht verfasst er Flugblätter; ab Sommer 1944 in deutschen Arbeitslagern, danach in Lagern für „Displaced Persons“. Dort entstehen die „SemeniskiaiIdyllen“; 1949 Emigration in die USA. er ich k lein

Aus: Jonas Mekas Alt ist dieses, unser Sprechen Aus dem Litauischen von Claudia Sinnig Matto Verlag, 2012

Aus dem Litauischen von Claudia Sinnig

Rätsel von Gaja 1

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Waagrecht: 1 Glas-klar: Apanachi hatte Fifty-Fifty intus Lösungswort: 7 Distinguierte Furze? 8 Rhetorisches aus dem Schwinger-Club 9 Ob Sex oder Rock: ihnen folgt das Nachahmen wie im Gebet 11 Nachgeber ist’s, 1 Schadensnehmer 2 3 wird’s4 5 6 7 12 Körperchenfraktionsfarbe 13 Automobile Debile im gasförmigen Zustand 15 Formgebend für DNS-Doppel, Biomoleküle haben die Kurve raus 17 Fundamentallahist 19 Karrieresprossenerklimmerin 22 Leichenschmaus à la Geier Sturzflug 23 Erbgüter 24 Stämmiger Typ mit englischen Wurzeln 25 Die kroch Shakespeares Dänen bis ins Mark

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Senkrecht 1 Wenn das System versagt, ist Existenz bedroht (2 Wörter) 2 O‘zapft is auf der Blutwiesn? Einst Allzweckheilmittelmaß, heute nur mit Spenderpass 3 Lichtbringer entsprechender Digitalbildschirme (Abk.) 4 Heavy Metal im Blut? Nach menschlichem Ermessen ein Indikator für Umweltschadstoffe 5 Wissenschaftliches Rattenloch 6 Informativ für Fernleser 10 Und Kostverächter werden auch die nicht zu schätzen wissen 14 Traumatisches Augenmaß (Abk.) 16 Was Diener ihren stummen Kollegen umhängen (Mz) 18 In ihrer Gegend wird manch Mensch zum Tier, woanders steht sie nur zur Zier 20 Saugetier 21 Bad are good

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Auflösung aus Falter HEUREKA 5/2012. Lösungswort: GLETSCHER Waagrecht: 1 MURE, 6 EMISSION, 8 AEROB, 9 REM, 10 KB, 11 ELCHTEST, 14 LIE, 15 STRESSEN, 17 PELLETS, 18 LEUTE, 20 EHRE, 22 EAT, 23 GNU, 25 EINATMEN, 27 DIEGO Senkrecht: 1 MEERESSPIEGEL, 2 UMWELTTECHNIK, 3 ESA, 4 WIRBELSTUERME, 5 ANBETEN, 7 SEKT, 12 HOELLE, 13 SIESTA, 16 SEE, 19 ETHNO, 21 RUN, 24 GTI, 26 AD

Was am Ende bleibt Blut verschütten erich klein

Wir sehen einen Bombenanschlag, die Trümmer der Explosion, zerfetzte Kleidungsstücke, Spuren der Verwüstung und Blut. Entsetzen ist allen Beteiligten ins Gesicht geschrieben. Mit den schockierenden Nachrichten und sensationellen Bildern tritt auch der Medienkritiker auf den Plan, der die ethnische Dimension von Privatheit der Opfer und zurückhaltende Betroffenheit statt Voyeurismus einfordert. Obszönität der Berichterstattung lautet die Anklage. Warum eigentlich? Blut erinnert uns mehr als jede andere Substanz an Verletzbarkeit und den Verlust körperlicher Integrität. Das Innerste wird nach außen gekehrt, Gewalt und Fragilität des Leibes zerfließen in einer puren Farbe. Diese Farbe findet sich schon in der Höhlenmalerei, in vorzeitlichen Zaubersprüchen („bluat ze bluada“), die Verwandlung von Wein in Blut wurde vom Christentum zum Weltsymbol erhoben. Europas Geschichte lässt sich auch als eine der Wandlungen des christlichen Schmerzensmannes am Kreuz beschreiben. Sei es das Geschäft mit Reliquien, seien es Kulte und perverse Riten – immer steht im Zentrum Blut! Wohl auch kein Zufall, dass in jenem Moment, als die Christus-Ikone ihre gesellschaftliche Wirksamkeit verlor, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der größten Blutbilder aller Zeiten ein Revival erlebte: der Gekreu8 zigte9 auf dem 10 Isenheimer Altar von Matthias Grünewald. Ein weltumfassendes Massaker auf einem einzigen Leib. Zu dieser Zeit war Blut eigentlich schon aus dem Feld öffentlicher Repräsentation verschwunden. Blutleer heißen denn auch die Skulpturen aller Klassizismen und Neoklassizismen, die heute die freien Plätze unserer Städte verstellen. Das Thema „Blut“ überlebte allein in der Subkultur von Vampiren, Rassentheoretikern und „Blutschändern“ aller Art. Zentrale Metapher des 20. Jahrhunderts zu sein, konnte Blut für sich nicht mehr beanspruchen – Asche, Feuer, Schnee und Eis traten an seine Stelle, elementare Gewalten, und vor allem industriell hergestellt. Eine Ausnahme in diesem großen Spiel symbolischer Säfte stellt der österreichische Künstler Hermann Nitsch dar, dessen „Schüttbilder“ kindlichen Aktionismus mit Versatzstücken vergangener Mythen verknüpfen. Allerdings ist Stierblut auf riesigen Leinwänden plus das „Orgienmysterien-­ theater“ kaum mehr als eine grausame Parodie auf den Kontext des vergangenen Jahrhunderts der Extreme.


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