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Editor's Choice

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So weit, so gut. Deine Berta

Text: Erich Klein - Illustration: Katharina Klein

MARIANNE FRITZ: DIE SCHWERKRAFT DER VERHÄLTNISSE

Marianne Fritz, 1948 in Weiz in der Steiermark geboren und 2007 achtundfünfzigjährig in Wien gestorben, war eine Ausnahmeerscheinung der österreichischen Literatur. Nach einer Ausbildung zur Bürokraft legte sie auf dem zweiten Bildungsweg die Matura ab. Für ihr 1978 erschienenes Romandebüt „Die Schwer kraft der Verhältnisse“ erhielt sie den Robert-Walser-Preis.

Die spröde Mixtur aus verqueren Wahlverwandtschaften, „Reigen“ und Volksstück à la Ödön von Horváth, spielt zwischen 1945 und 1963 in der Stadt „Donaublau“. Drei respektive fünf Figuren stehen im Zentrum: Berta Schrei, geborene Faust, der knapp vor Kriegsende ge fallene Musiklehrer Rudolf, mit dem Berta den kleine R dolf zeugte; Wilhelm Schrei, Rudolfs Kriegskamerad, der Berta die Todesnachricht überbringt und diese dann heiratet, um Klein-Berta zu zeugen; und schließlich Wilhelmine, Bertas Freundin, die Wilhelm ehelicht, nachdem Berta ihre Kinder umgebracht hat und in der Psychiatrie gelandet ist.

Es ist ein singuläres Werk, vor dem man nur stehen kann wie ein gläubiger Muslim vor der Kaaba. Wahrscheinlich bin ich im Ganzen zu klein für Marianne Fritz, sie geht nicht in mich hinein

Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek über Marianne Fritz

Marianne Fritz erzählt aus verschiedenen Perspektiven, einmal der einen, dann einer anderen Figur zugeneigt. Sie werden wie in einem Schachspiel systematisch vorrücken, um im Krebsgang der Erzählung die ganze Schwerkraft der Verhältnisse zu entfalten. Bertas drei im Krieg gefallene Brüder tauchen auf, der Überbringer der Todesnachricht figuriert mittlerweile als Chauffeur bei einem Großgrundbesitzer, dementsprechend wird er auch als „Geh-her-da“ tituliert. Während Wilhelm mit seinem Dienstherrn auf dem Land weilt und dessen Ehebruch decken muss, verdichten sich bei Berta die Anzeichen des Wahnsinns. Klein-Berta soll wegen mangelnder Lernerfolge in die Sonderschule versetzt werden, auch um Sohn Rudolfs schulische Zukunft steht es nicht zum Besten. Die Kinder bleiben tagelang zu Hause und singen Lieder. Nach einem wüsten Albtraum mit Kreuzigung tötet Berta die Kinder, ihr anschließender Selbstmord misslingt. Der zurückgekehrte Wilhelm findet in der Küche nur die knappe Botschaft: „Ich habe meine misslungene Schöpfung beendet. Deine dich liebende Berta.“

Marianne Fritz motiviert das Verbrechen nicht, es gelingt ihr aber, aus den vielen zerfledderten Einzelstücken ihres Erzählens eine kompakte Einheit zu erschaffen, was die gute esbarkeit der „Schwerkraft der Verhältnisse“ erst ermöglicht. Ebenso wie die gute Spielbarkeit. Das zeigte sich beim österreichischen Gastlandauftritt bei der Leipziger Buchmesse: Das Burgtheater präsentierte eine Adaption des gefeierten Romans.

Das letzte Wort im Buch hat die als „Festung“ titulierte Psychiatrie mit ihren Befunden über Normalität, Krankheit und Schuld: „Berta kicherte.“

„Die Schwerkraft der Verhältnisse“ von Marianne Fritz gehört zum Düstersten, aber auch zum Besten, was in der österreichischen Literatur nach 1945 geschrieben wurde.

Marianne Fritz: Die Schwerkraft der Verhältnisse, Suhrkamp, Berlin 2023, ISBN: 978-3-518-22537-0

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