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Wissenswert
Alltägliche Utopien
Lilly Axster schreibt Bücher über Heimatlosigkeit und Ankommen, über Sexualität, Queerness und Machtstrukturen. Dafür und für ihr Engagement wurde sie mit dem Christine-Nöstlinger-Preis ausgezeichnet
Text: Linn Ritsch
Von der Aufmerksamkeit, die sie dieser Tage erhält, ist Lilly Axster ein wenig überrascht. „Diese Dimension an Öffentlichkeit ist bei Schreibenden für junge Lesende nicht üblich.“ Sie muss es wissen, aber an Preise ist sie jedenfalls gewöhnt. Sechs Auszeichnungen hat sie seit 2018 für ihre Texte erhalten, darunter den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis und den Outstanding Artist Award für Kinderund Jugendliteratur.
Jüngst ist der Christine-Nöstlinger-Preis hinzugekommen. Er wird von der Stadt Wien Kultur, Christine Nöstlingers Buchstabenfabrik und dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels gemeinsam ausgerichtet. Er geht an Menschen, die Kindern und all jenen, die sonst nicht gehört werden, eine Stimme geben und so einen kleinen Beitrag dazu leisten, ihr Leben ein Stück gerechter zu gestalten.

Genau darum geht es Lilly Axster in ihren Büchern: um Gerechtigkeit. In ihrem Werk gibt es keine richtigen, falschen oder normalen Identitäten, sondern Diversität. Das müsse in der Literatur grundsätzlich berücksichtigt werden, sagt sie: „Ich bin ausdrücklich für nachträgliche Änderungen in – meinen – Büchern für junge Lesende, wenn die Inhalte und Worte verletzend, herabwürdigend und diskriminierend sind.“

Der Preis sei auch „eine Auszeichnung der Zusammenhänge, in denen ich mich bewege“, sagt Axster. „Der Gruppen von Leuten, die zusammen denken, leben, sich aufeinander beziehen, der Referenzen, Vorund Mitdenker:innen.“ Kollektivität ist ein Kernthema für sie, beim eben erhaltenen Preis ebenso wie in ihren Büchern. „In meinem Schreiben versuche ich soziale Vorgänge, unser Miteinander, aus einer Perspektive erlebbar zu machen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft bequem gebettet ist.“ Also etwa aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen oder/und von queeren Personen.
Einige dieser Perspektiven kennt sie aus eigener Erfahrung. Lilly Axster ist als queeres Kind aufgewachsen, „als NichtMädchen und Nicht-Junge, aber ohne Worte dafür, als lesbisches Kind, ohne das Wort aussprechen zu können“. Kindern, die heute ihre Bücher lesen, wird das nicht passieren. Neben zahlreichen Theaterstücken, Jugendromanen und Bilderbüchern, in denen es um Identitätsfindung und Machtstrukturen geht, hat sie Texte über Sexualität geschrieben.
Im Bilderbuch „DAS machen?“ geht es etwa um Sexualerziehung in einer Schulklasse: Manche Kinder kennen sich schon ziemlich gut aus, anderen ist einiges noch nicht ganz klar: Heißt Sexualität, dass zwei Verliebte zusammen Videos schauen? Wie können Erwachsene Liebe machen ohne Liebe? Und was spielen Unterhosen für eine Rolle? Die Antworten sind liebevoll, lustig und brechen mit veralteten Vorstellungen über Liebe und Sexualität. Sie sind so, wie Axster ihre Texte immer schreibt: verständnisvoll und inklusiv. „Meine Bücher handeln, denke ich, von der Kraft des Überlebens und des radikalen Interesses aneinander, sind also in gewissem Sinn utopisch und zugleich ganz alltäglich.“
Und das Preisgeld von 10.000 Euro? Lilly Axster wird es zur Schaffung von Wohn- und Communityraum in Wien Favoriten verwenden: „Für das Projekt ‚Planet 10‘ zur Umverteilung von Privilegien aus NS-Erbschaften und anderen Ungerechtigkeiten.“


