küche + architektur 4-2017

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Editorial

Der Chef führt, die Marke leitet …

J

eder Küchenmöbelhersteller, der heute noch am Markt agiert, repräsentiert ein Stück deutscher Einrichtungskultur. Sie steht Pate für die Entwicklung von Produkten und Designs, die heute sogar weltweiten ­Anklang finden. Alno, Gründungsjahr 1927, gehört zu den ältesten Unternehmen der Branche. Mit der Lancierung der Frankfurter Küche nahmen sich dann immer mehr Unter­nehmen, die aus dem Schreiner- bzw. Tischler­ handwerk hervorgingen, der Kücheneinrichtung an und stellen sich seitdem erfolgreich dem Wandel der Zeit. Designstark, individuell, passgenau und langlebig – Eigenschaften, durch die sich Küchen made in Germany weltweit einen Namen gemacht haben. Dieses Image hat die gesamte Branche mit erarbeitet. Umso trauriger ist es, wenn einer der namhaften Vorreiter dieses Industriezweigs vom Markt verschwindet und vielleicht irgendwann nur noch in Geschichtsbüchern zu finden sein wird. Wie kommt es, fragt man sich, dass ein Unternehmen, das vom Umsatzvolumen her zu den fünf größten Herstellern der Branche gehört, in einer Zeit in Schieflage gerät, in der der Markt floriert? Gründe dafür gibt es sicherlich viele. Da stellt sich die Frage nach der Gesellschaftsform und damit verbunden nach einem permanent wechselnden Management sowie dessen Willen und Fähigkeit, sich mit dem Produkt, der Branche und dem Markt aktiv aber kritisch auseinanderzusetzen. Ein Management, das, getrieben von den Interessen der Aktionäre, allzuoft vergisst, dass Stückzahlen und Umsatz noch keine Rendite bedeuten. Eine Führungsspitze, die es zulässt, dass eine Unternehmensgruppe zum Spielball im Pokerspiel einiger Verbandsgruppierungen wird, um Marktpreise zu drücken. Hinzu kommen zu viele Produktionsstand­ orte mit zu geringen Synergien und zum Teil veralteter und damit nicht wettbewerbsfähiger Produktion. Die Zeche bei der Insolvenz eines Herstellers mit einem so hohen Umsatzvolumen zahlen zuerst die Zulieferanten. Sie, Versicherung

hin oder her, müssen Verluste in sechsstelliger Höhe verkraften, da sie versucht haben, ihren Industriepartner, im eigenen Interesse, aber natürlich auch im Sinne der Mitarbeiter und der Partner im Handel des Herstellers, dahingehend zu unterstützen, die Schieflage noch zu überbrücken. Wenn trotz aller Anstrengungen nichts mehr hilft, trifft die Wucht des Damokles-Schwertes nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Köpfe der Handelspartner. Wohl dem, der weitsichtig genug war, mit mehreren Herstellern zu arbeiten. In dem Fall bleibt die Lieferfähigkeit erhalten und der Imageschaden hält sich in Grenzen. Es ist bedauerlich, aber nachvollziehbar, dass sich die Handelspartner eines Unternehmens, gerade wenn es sich dabei um eine in Insolvenz geratene Marke handelt, sukzessive abwenden, um den Imageschaden ihres In­ dustrie­ partners von sich fernzuhalten. Ein Verhalten, das dem angeschlagenen Hersteller einen Neustart einmal mehr erschwert. Zudem verteilt sich selbst das Volumen eines großen Unternehmens recht schnell auf dessen Wettbewerber, die zeitnah auf Akquisetour gehen und wie Strom- oder Telefontarif­ anbieter einen super „Wechselkurs“ anbieten. Hier gilt, wer die Wahl hat, hat die Qual. Ob Marke oder Handelsmarke, das spielt keine Rolle, denn wie die meisten Küchenstudios oder Einrichtungshäuser von sich sagen: „Wir sind die Marke.“ Womit sie nicht ganz unrecht haben, denn die kreative Leistung für eine individuelle Küche erbringt der Küchenplaner. Das Fundament jeder Marke, ob Unternehmens- oder Produktmarke, sind Sicherheit und Orientierung. So wie den Kern einer Freundschaft das Vertrauen bildet, bildet Vertrauen auch den Kern einer Marke. Das Vertrauen in die Marke Alno ist derzeit grundlegend erschüttert. Doch wie sagt man so schön: Die Zeit heilt alle Wunden. Vielleicht erstarkt die Marke im Laufe der Jahre erneut und setzt ihre Geschichte fort. Die Kultur der Einbauküche hat sie bereits geprägt.

Yvonne Davy Chefredakteurin

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