Vj spezial 2012

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Energie

Der körpereigene Akku

Wer vom klassischen aufs elektrisch betriebene Velo umsteigt, verbraucht Strom und spart Nahrung. Dabei beeinflusst die Wahl des Menüs den Energieverbrauch stärker als die Wahl des Fahrzeugs. Die Diskussion bleibt auch nach Fukushima aktuell. Vor drei Jahren rechnete velojournal aus, wie es um die Energiebilanz von Elektround Muskelvelos steht (siehe vj 3/09: «Das grosse Rechnen»). Nach drei weiteren Elektrobike-Boomjahren wollten wir wissen, ob die Hauptaussagen immer noch stimmen. Im Durchschnitt, so schätzte das Bundesamt für Energie (BFE) 2009, liegt der mittlere Stromverbrauch eines Elektrovelos bei 1,5 kWh pro 100 Kilometer. Das entspricht 0,17 Liter Benzin. Für die gleiche Strecke verbraucht ein Durchschnittsauto 8,5 Liter Benzin, also 50-mal mehr. Pro Jahr legt das durchschnittliche Elektrovelo etwa 2000 Kilometer zurück. Daraus ergibt sich ein Jahresverbrauch von 30 kWh Strom. Multipliziert man diese Zahl mit dem Bestand von damals schätzungsweise 80 000 Elektrovelos, so re­sultierte 2010 ein Jahresverbrauch von 2,4 Millionen kWh. Das entspricht einem Anteil von rund 0,004 Prozent am gesamten Schweizer Stromverbrauch. Dieser niedrige Wert relativiert die Kritik, Elektrobikes förderten bloss den Umstieg von Muskelkraft auf Atomstrom. Selbst wenn der Anteil der Elektrovelos am Schweizer Fahrradbestand auf 30 Prozent klettern würde, wie es sich die Branche wünscht, erhöhte sich – bei gleicher Verkehrs- und Motorleistung – der Anteil am Strombedarf auf lediglich 0,06 Prozent. Daraus lässt sich das erste Fazit ziehen: Der elektrische «Hunger» der Elektrobikes ist gering und wird es auch bleiben. Die Nahrung macht den Unterschied Gewichtiger ist die Frage, wie wir uns ernähren. Denn die Bilanzen zeigen: Bei der Produktion unserer Nahrung (vom Feld bis auf den Teller) gehen 14 von 15 Kalorien verloren. Mit der verbleibenden

Kalorie erzeugt der Mensch etwa 75 Prozent Wärme und nur 25 Prozent (Muskel-)Kraft. Damit schrumpft der energetische Wirkungsgrad des Menschen – vom Feld bis zum Pedaldruck – auf 1 bis 2 Prozent. Innerhalb der Nahrungskette ist allerdings zu differenzieren: Im Fleisch steckt ein viel grösserer Kalorienverlust als in pflanzlicher Nahrung. Wer seine Muskelkraft aus einem Rindsfilet bezieht, verschwendet weit mehr Energie als jener Mensch, der sich primär von Brot, Teigwaren, Kartoffeln und Gemüse ernährt. Aus diesem Grund benötigt eine Vegetarierin auf dem Elektrobike insgesamt auch weniger Gesamtenergie als ein Fleischesser auf dem Rennvelo. «Unschlagbar in der Energieumsetzung», so konstatiert Empa-Forscher Marcel Gauch, «bleibt der Vegetarier auf dem Velo.» Wie aber steht es mit der grauen Energie? Um ein Durchschnittsauto herzustellen, braucht es eine Energiemenge, die – umgerechnet – 2600 Litern Benzin entspricht. Das sind gut 2 Liter pro Kilo Autogewicht. Rechnet man dies auf die Herstellung eines 25 Kilo schweren Elektrobikes um, so braucht es zur Herstellung rund 50 Liter Benzin – ein Fünzigstel im Vergleich zum Auto. Weil ein Elektrobike aber viel weniger Kilometer pro Jahr zurücklegt als ein Auto, fällt die graue Energie beim Elektrobike stärker ins Gewicht als die Betriebsenergie. So hat ein Elektrobike erst nach 20 Jahren gleich viel Energie verbraucht, wie seine Herstellung erforderte. Ökologisch hingegen ist die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus, wie sie bei modernen E-Bikes eingesetzt werden, laut Empa-Mann Gauch «harmlos». Zumal nur 3 Prozent dieses Stoffs darin vorkommen, der Rest besteht aus Aluminium und Kupfer. 1

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Kulturschock Bleibt die Frage, warum das Elektrovelo trotzdem die Velogemeinde «elektrisiert». Eine mögliche Antwort: Das Velo ist das autonomste, das grüne Verkehrsmittel schlechthin. Elektrizität hingegen stammt entweder aus fossilen Energien, die den Klimawandel verursachen, aus Atomenergie mit ihren vielfältigen Gefahren oder aus Wasserkraft, deren Nutzung Gewässer trockenlegt. Politisch bleibt deshalb die Propaganda für E-Bikes heikel, obwohl sie, wie auch die Empa bestätigt, energetisch und ökologisch richtig und wichtig ist. Um den «Kulturschock» zu überwinden, den das Elektrobike bei vielen Velofahrenden auslöst, gibt es ein einfaches Rezept: Jeder Mann und jede Frau, die auf ein elektrobetriebenes Stahlross steigt, soll dessen Stromverbrauch an anderer Stelle einsparen. Das ist kinderleicht. Beispiel: Wer seine Wäsche statt im Tumbler an der Leine trocknet, spart allein damit weit mehr Strom als die 30 kWh pro Jahr, die ein durchschnittliches Elektrobike verbraucht. Wer zusätzlich alle Geräte mit Standby-Verbrauch an eine Stromleiste hängt und diese konsequent ausschaltet, kann mit dem gesparten Strom gleich mehrere Elektrovelos betreiben. So können nicht nur Auto-, sondern auch Velofahrende mit gutem Gewissen aufs Elektrobike umsteigen. n Pete Mijnssen / Hanspeter Guggenbühl

1 | Ein Elektrovelo verbraucht 0, 17 Liter Benzin auf 100 Kilo­meter – ein Auto 8,5 Liter. 2 | Ein Elektrovelo (2000 km) verbraucht im Jahr 30 kWh – ein Tumbler der A-Klasse 256 kWh.


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