Das Ende des Neusiedler Sees - Kurzfassung DE

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KURZ GEFASSTES ZUM BUCH

WEISSBUCH

Diese Broschüre gibt einen kurzen thematischen Überblick über die Publikation: „Das Ende des Neusiedler Sees?“

Eine Region in der Klimakrise Herausforderungen. Perspektiven. Lösungen.

Herausgeber: Christian Janisch, Alois Lang, Bibi Watzek Residenz Verlag 2023

Konzept/Redaktion: Gunnar Landsgesell, Alois Lang

Umschlag/Grafische Gestaltung/Satz: PROJEKT 21:

Herstellung: Schmidbauer GmbH, Wiener Straße 103, 7400 Oberwart

Eine Broschüre im Auftrag der Esterhazy Stiftungen

Einleitung 2 Landschaftselemente des nördlichen Burgenlandes Kapitel 1: Gerüstet für den Klimawandel? 4 Pendeln zwischen Extremen: Klimatische Schwankungen und Trockenphasen Kapitel 2: Eine limnologische Besonderheit 6 Wasserqualität und Gewässerökologie: Von der Empfindlichkeit eines Steppensees Kapitel 3: Mosaik unterschiedlicher Schilfbestände wieder herstellen 8 Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees: Zwischen natürlicher Sukzession und anthropogenen Schadeinflüssen Kapitel 4: Wichtiger Faktor im Ökosystem 10 Schlamm und Sedimenthaushalt im Freiwasser des Neusiedler Sees Kapitel 5: Strategien gegen den Wassermangel 12 Wassermangel im Feuchtgebiet: Neue Strategien in der Wasserwirtschaft Kapitel 6: Eine Zeitreise durch die Landschaftsgeschichte 14 Geschichte der Seelandschaft Kapitel 7: Ein Naturraum, viele Schutzgebietstypen 16 Der Schutz der Biodiversität Kapitel 8: Von Hutweiden, Trockenrasen, Feuchtwiesen und Mooren 18 Die Region als Kulturlandschaft und Welterbe Kapitel 9: Zukunftsfragen: Genmais oder „Illmitzer Gerste“? 20 Warum wir die Landwirtschaft in Zeiten der Klimaerwärmung neu denken müssen Kapitel 10: Zu viel Hitze, zu wenig Wasser 22 Der Weinbau im Wandel des Klimas Kapitel 11: Angebotsvielfalt als Stärke für den Tourismus 24 Tourismus am Neusiedler See – eine Entwicklung in mehreren Phasen Kapitel 12: Der Umgang mit dem Wasser als zentrale Herausforderung 26 Resümee und Perspektiven Abbildungsverzeichnis 28 1 INHALT
Inhalt

Einleitung

Diese Broschüre soll einen kurzen thematischen Überblick über die Publikation „Das Ende des Neusiedler Sees? – Eine Region in der Klimakrise“ geben. Sie ist als Teaser zu verstehen, die auf knappem Raum vor allem die Motivation für dieses Projekt deutlich machen möchte. Denn das Buch ist der erste Versuch, unter den Vorzeichen der Klimaerwärmung alle betroffenen Bereiche von der Land- und Wasserwirtschaft über den Naturschutz bis zum Tourismus in einem Zusammenhang zu bringen.

Namhafte Wissenschaftler und Experten skizzieren den Status quo und die zukünftigen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Menschen aus der Region ergänzen die Beiträge durch ihren praxisbezogenen Blick und ihre Erfahrungen als Wirtschaftstreibende. Der Wert des Buches könnte zudem auch darin gesehen werden, dass die Region Neusiedler See als Modellregion relevante Aufschlüsse für andere Teile Österreichs bietet. Im Einflussbereich des pannonischen Klimas, von geringen Niederschlägen und durch heiße Sommer geprägt, ist dieser Landstrich so etwas wie der „Patient Zero“: Denn der Klimawandel hat längst eingesetzt, in Österreich ist die durchschnittliche Jahrestemperatur seit der vorindustriellen Zeit bereits um zwei Grad Celsius gestiegen; Dürren, Starkregen, von Hitze- und Trockenstress betroffene Wälder und Feldkulturen sind Realität. Insofern hoffen wir, einen wertvollen Beitrag zu diesem Themenbereich zu liefern. In der Region Neusiedler See ist zudem eine Reihe mit Diskussionsveranstaltungen geplant.

Mehr Informationen auf der Website zukunft-neusiedler-see.at

2 EINLEITUNG

Landschaftselemente des nördlichen Burgenlandes

eithagebirge

Wr.PNeustädter forte r. u

Parndorfer Platte Wagram

arndorfer agram

Ö d e n b u r g e r G e b i r g e

(Leithaboden)

Leithaboden)

Nationalpark-Bewahrungszone

Nationalpark-Naturzone

Landschaftsschutzgebiet

Nationalparkgemeinden

Informationszentrum

Staatsgrenze

W a a s e n H a n s á g

i i Budapest Bratis ava Wien Sopron (Ödenburg) am See Neusiedl Parndorf E senstadt Oggau Donnerskirchen Breitenbrunn Rust Mörbisch Mattersburg K ttsee Nickelsdorf Mönchhof am See Weiden Go s Halbturn Frauenkirchen am See Podersdorf am Z cksee St Andrä Apet on lmitz Wa ern Tadten Andau Pamhagen Kapuvár Fertőd Sarròd Meksz kopuszta Csorna Jánossomorja Leitha Einserkanal Einserkanal Leitha Wulka
Autobahn: A4
n
Leitha Neusiedler See
Ru s te r Hüg e lla
d Leithagebirge
H e i d e b o d e n H e i d e b o d e n S e e w i n k el
K omete
3 EINLEITUNG

Gerüstet für den Klimawandel?

Kapitel 1

Der Klimawandel ist auch im Burgenland ungebremst angekommen. In Kombination mit den Spezifika des pannonischen Raumes ist das Nordburgenland besonders betroffen. Die Frage ist: Was bedeutet das konkret? Und wie gut ist die Region für diesen Wandel aufgestellt?

Welche Rolle spielt das besondere Wetter der Region?

Eines der Ziele der UN-Klimakonferenzen seit 1992 ist es, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, um gefährliche Kipppunkte zu verhindern. Diese Zahl ist in der öffentlichen Diskussion mittlerweile gut verankert. Im allgemeinen Bewusstsein weniger präsent dürfte aber die Tatsache sein, dass die Durchschnittstemperatur in Österreich bereits heute um 2 Grad Celsius angestiegen ist. Österreich gehört zu jenen Ländern, die überdurchschnittlich von der Klimaerwärmung betroffen sind. Für eine Region wie die des Neusiedler Sees, die durch den pannonischen Einfluss mit heißen Sommern,

vielen Sonnenstunden und geringen Niederschlägen geprägt ist, bedeutet das eine besondere Herausforderung. Daran ändern auch die bisher traditionell kalten Wintermonate nichts. Wie das Wetter im Burgenland zustande kommt, hat mit einer speziellen Konstellation zu tun. Die Wolken regnen sich auf dem Weg in den Osten im alpinen Raum aus. Damit bleibt für die Gegend um den Neusiedler See nicht mehr viel übrig. In Kombination mit einer höheren Verdunstung, die mit den wärmeren Tagen steigt, ergibt sich für das Nordburgenland ein besonderer Handlungsbedarf.

Wie macht sich die Klimaerwärmung konkret bemerkbar?

Im subjektiven Empfinden machen zwei Grad mehr an einem heißen Sommertag keinen allzu großen Unterschied. Anders verhält sich das, wenn sich die durchschnittliche Jahrestemperatur um zwei Grad erwärmt. Extremwetter-Ereignisse häufen sich, die Anzahl heißer Tage steigt, Hitzewellen und Trockenperioden werden länger. Zudem entwickelt sich die Verteilung der Niederschläge ungünstig. Es kommt zur Häufung von Starkregen, deren Wassermenge der Boden nicht mehr aufnehmen kann. Vor dem Hintergrund der Wasserknappheit der Region stellt das ein besonderes Problem

Abb. 1: Trockene Lackenbecken schon im Frühjahr
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Um Wochen früher als sonst fallen die Salzlacken trocken. Hier die Zicklacke im Nationalpark-Teilgebiet Illmitz-Hölle im Mai 2021.
PENDELN ZWISCHEN EXTREMEN: KLIMATISCHE SCHWANKUNGEN UND TROCKENPHASEN

dar. An allen Messstationen der Region werden seit Jahrzehnten steigende Temperaturwerte gemessen. In Halbturn weist die Messstelle seit Anfang der 1950er-Jahre einen Anstieg der Durchschnittstemperatur um fast vier Grad Celsius auf. Rekordtemperaturen wie diese haben gravierende Auswirkungen auf die Natur, die insbesondere im Seewinkel mit seinen seltenen, fragilen Salzlebensräumen stark gefährdet ist. Ein tiefliegender Grundwasserspiegel und ausbleibende Niederschläge wirken sich nachteilig auf die Böden aus. Die daraus resultierende Unterbrechung der kapillaren Versorgung der Salzlacken führt zu einer Veränderung der Vegetation mit weitreichenden Folgen. Die Salzlacken fallen mittlerweile schon im Frühling trocken. Auch in der Landwirtschaft gibt es aufgrund der klimatischen Veränderungen dringenden Adaptionsbedarf. Die Auswirkungen werden auch für die Biodiversität, die Grund- und Wasserversorgung der Gemeinden, für den Tourismus, den Weinbau und andere Bereiche ein Thema.

Welches Szenario ist für die Zukunft zu erwarten?

Alle Klimaprognosen gehen von einem weiteren Anstieg der Temperaturen aus. Allerdings sind die Entwicklungen – noch – nicht in Stein gemeißelt. Der Grad der Erwärmung, mit dem zukünftige Generationen konfrontiert sein werden, hängt davon ab, ob es heute gelingt, klimawirksame Emissionen wie Kohlendioxid und Methangas zu reduzieren. Fest steht aber schon jetzt, dass auch bei einer wirkungsvollen Umsetzung der Klimaschutz-Maßnahmen die Temperaturen hierzulande höher klettern werden. Noch wurde in Österreich das Ruder nicht herumgerissen. Der Ausstoß von Treibhausgasen stieg in der Vergangenheit mit jedem Jahr. Auf welches Szenario sich die Region Neusiedler See tatsächlich einstellen muss, lässt sich also nicht sagen. Verhältnisse, wie man sie heute rund 1.000 Kilometer südlich findet, gelten für die Mitte des Jahrhunderts als ein mögliches Szenario. Die Frage, „Was machen wir bis dahin?“, die Markus Wadsak in Kapitel 1 „Pendeln zwischen Extremen: Klimatische Schwankungen und Trockenphasen“ stellt, bleibt bestehen.

Mittlere Jahrestemperatur in °C

Abb. 2: Temperaturanstieg

(Oben:) Steiler Temperaturanstieg. Die Messstelle Halbturn zeigt seit zwei Jahrzehnten Rekordwerte. (Unten:) Bis in die 1950er-Jahre war der Anstieg der mittleren Jahrestemperatur relativ flach. Zur Verfügung gestellt von Herbert Brettl.

8,0 8,5 9,0 9,5 10,0 10,5 11,0 11,5 12,0 12,5 13,0 13,5 14,0 1931 bis 1950 1901 bis 1930 1870 bis 1900 Station
Ungarisch-Altenburg (Mosonmagyárovár)
8,0 8,5 9,0 9,5 10,0 10,5 11,0 11,5 12,0 12,5 13,0 13,5 14,0 2011 bis 2020 2001 bis 2010 1991 bis 2000 1981 bis 1990 1971 bis 1980 1961 bis 1970 1951 bis 1960 Station Halbturn
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PENDELN ZWISCHEN EXTREMEN: KLIMATISCHE SCHWANKUNGEN UND TROCKENPHASEN

GEWÄSSERÖKOLOGIE:

Eine limnologische Besonderheit

Kapitel 2

Der Neusiedler See weist mehrere Merkmale von großen, flachen Seen in Zentralasien oder Afrika auf. In Europa gibt es das nur einmal. Was macht den Neusiedler See so besonders und wie würde sich eine Dotierung auswirken?

Was ist ein Steppensee?

Der Neusiedler See wird gemeinhin als Steppensee bezeichnet, weil er in hydrologischer und chemischer Hinsicht sowie in Hinblick auf vorhandene Lebensgemeinschaften eine Reihe typischer Merkmale aufweist. Worin besteht also seine Besonderheit?

Der See ist von drei Faktoren geprägt, die essenziell für das Verständnis des gesamten Ökosystems sind. Erstens, die Hydrometeorologie: Das bedeutet, dass der See trotz seiner großen Ausdehnung ein auffällig kleines Einzugsgebiet und keinen natürlichen Abfluss hat. Nennenswerte Zuflüsse sind bis auf die

Wulka nicht vorhanden, der See ist ganz wesentlich von Niederschlägen abhängig. Allerdings übersteigt im warmen pannonischen Klima die Verdunstung im langjährigen Mittel den Niederschlag. Zweitens, die Morphologie: der See ist mit einer mittleren Tiefe von 1,4 Metern extrem flach. Dadurch ist der offene See Wind und Wellen ausgesetzt, die den gesamten Wasserkörper bis zur Schlammschicht aufwirbeln können. Im breiten Schilfgürtel wird über Kanäle trübes Seewasser in die Uferbereiche transportiert, wo die Schwebstoffe rasch absinken. Drittens, die physikalisch-chemischen Eigenschaften:

Abb. 3: Schilfgürtel landseitig
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Das durch Huminsäuren gefärbte, klare Wasser im Schilfgürtel unterscheidet sich deutlich vom trüben Wasser im offenen See.
WASSERQUALITÄT UND
VON DER EMPFINDLICHKEIT EINES STEPPENSEES

Aufgrund der geringen Wassertiefe und weiterer Spezifika kann es im See zu extremen Temperaturschwankungen von zehn Grad innerhalb eines Tages kommen. Zudem kann durch die Trübe des Sees kaum Licht in den Wasserkörper eindringen. Diese erfüllt mehrere wichtige Aufgaben: Sie hemmt die Produktion von Biomasse und trägt über komplizierte Prozesse zur Selbstreinigung des Sees und damit auch zur Wasserqualität bei.

Woher kommt die Trübe?

Die Trübe entsteht nicht nur aus der Aufwirbelung von Sedimenten, sondern wird permanent neu gebildet. Sie ergibt sich u.a. aus der Zufuhr von kalkreichem Wasser aus der Wulka sowie dem relativ hohen pH-Wert des Sees. In den 1970er- und 1980erJahren wurde der See durch eine besonders hohe Zufuhr von Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff aus der Landwirtschaft sowie die Einleitung nährstoffreicher Abwässer belastet. Durch die Trübe des Wassers wurde das Wachstum der Algen zumindest eingedämmt. Doch bis heute produziert der breite Schilfgürtel eine große Menge an organischem Material. Für dessen Abbau wird Sauerstoff benötigt, der – anders als im offenen See – im Schilfgürtel nur bedingt vorhanden ist. Daraus ergibt sich eine der Problemzonen des Sees, weil das organische Material nicht mehr vollständig zersetzt werden kann. Eine zu klärende Frage ist, wie bzw. ob daraus resultierende Verlandungsprozesse gestoppt werden können.

Welche Zusammensetzung hat das Wasser des Sees?

Der häufigste Wasserinhaltsstoff im Neusiedler See ist aber nicht Calcium, sondern Natrium, das gemeinsam mit Hydrogenkarbonat Soda oder Natron bildet. Die Natrium-Konzentration des Sees geht wesentlich auf Mineralwasserquellen aus dem Untergrund zurück, von wo laufend Nachschub

WASSERQUALITÄT UND GEWÄSSERÖKOLOGIE: VON DER EMPFINDLICHKEIT EINES STEPPENSEES

mit Salzen erfolgt. Im 20. Jahrhundert wurde der Salzgehalt des Sees durch Ausleitungen über den Einser-Kanal maßgeblich beeinflusst, es kam zu einer Aussüßung, die sich auch auf das Gleichgewicht des Ökosystems auswirkt. Für die Lebensgemeinschaften und auch die Wasserqualität des Sees sind der Salzgehalt und die chemische Zusammensetzung des Wassers von großer Bedeutung. Wer im See lebt, muss eine gewisse Salztoleranz aufweisen, da ein hoher Salzgehalt z.B. einen osmotischen Druck auf die Organismen ausübt. Deshalb gibt es hier etwa Kleinkrebse, die nur aus Salzgewässern mit höherer Konzentration bekannt sind.

Wie wirkt sich eine Dotation durch Donauwasser aus?

Es lässt sich bereits erahnen, dass das Ökosystem des Neusiedler Sees ebenso komplex wie fragil ist. Eine Dotation mit Wasser aus der Mosoni Duna (Wieselburger Donau), wie sie aktuell angedacht ist, lässt noch eine ganze Reihe von Fragen offen. Es gilt, eine wissenschaftlich fundierte Analyse über die Auswirkungen dieses Eingriffs vorzunehmen. Neben einer Veränderung des Chemismus des Sees ist etwa auch zu bedenken, ob mit dem Fremdwasser Neobiota oder potenzielle Schadstoffe eingebracht werden. Entscheidend ist auch die Dotationsmenge, um das sensible System der Mikroorganismen, das für den Abbau organischer Materialien verantwortlich ist, nicht zu beeinträchtigen. Dass dieser flache See nicht längst verlandet ist, hat vermutlich mit seinen episodischen Austrocknungs- und Hochwasserereignissen zu tun, aber auch mit der Fähigkeit, sich über die beschriebenen Prozesse selbst zu regulieren.

Mehr zu „Wasserqualität und Gewässerökologie: Von der Empfindlichkeit eines Steppensees“ von Georg Wolfram, Alois Herzig, Matthias Zessner im Buch ab Seite 22.

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DER SCHILFGÜRTEL DES NEUSIEDLER SEES: ZWISCHEN NATÜRLICHER SUKZESSION UND ANTHROPOGENEN SCHADEINFLÜSSEN

Mosaik unterschiedlicher Schilfbestände wieder herstellen

Kapitel 3

Die Struktur des Schilfgürtels hat in den vergangenen Jahrzehnten stark gelitten.

Zusammengebrochene „Schilfmatten“ verhindern die Verjüngung des Schilfs und sind für Vögel unbewohnbar. Aufnahme zwischen Rust und Mörbisch (Erwin Nemeth, 2022)

Welche Bedeutung hat der Schilfgürtel des Neusiedler Sees?

Der Schilfgürtel rund um den Neusiedler See zählt neben dem Donaudelta zu den größten zusammenhängenden Schilfflächen Europas. Bis auf das Ufer in Podersdorf ist das gesamte Litoral des Sees von unterschiedlich breiten Schilfbeständen bedeckt. Im südlichen, ungarischen Teil erreicht der Schilfgürtel seine größte Ausdehnung. Eine umfassende, den österreichisch-ungarischen Schilfgürtel betreffende Inventur über die Fläche und Struktur der Schilf-

bestände gibt es aber erst seit den 1980er-Jahren. In der Öffentlichkeit durchaus verbreitet ist ein Bild des Schilfgürtels als große, monotone Fläche, auf der sich ein Halm ähnlicher Größe neben dem nächsten reiht. Das Gegenteil ist der Fall. Intakte Schilfflächen sind von einer großen Heterogenität gekennzeichnet, auf denen sich unterschiedliche Bestände von Jung- und Altschilf mit kleineren Wasserflächen abwechseln. Zumindest galt diese Beschreibung bis vor einigen Jahren auch für den Neusiedler See. Mittlerweile bietet die Schilfstruktur in großen

Abb. 4: Schrägluftbild einer Bruchschilf-Fläche
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Teilen keine idealen Verhältnisse mehr. Die Überalterung der Bestandsstruktur ist u.a. von „Schilfmatten“ geprägt, die als Lebensraum problematisch sind: sauerstoffarme Zonen, die eine Verjüngung verhindern und für Vögel nicht bewohnbar sind. Die Ursachen dafür haben verschiedene Gründe, sie sind jedenfalls auf menschliche Eingriffe sowie auf fehlende Schwankungen des Wasserstandes, die seit der Regulierung des Sees kaum noch vorkommen, zurückzuführen. Diese Entwicklung hat sich auch nachteilig auf die Populationen schilfbrütender Vögel ausgewirkt, deren Bestände teils eingebrochen sind. (Siehe auch „Vogelschutz im Schilfgürtel“ von Michael Dvorak im Buch ab Seite 141.)

Wie haben sich die Schilfflächen historisch entwickelt?

Schriftliche Dokumente lassen vermuten, dass es schon in der Spätantike einen Schilfgürtel gab. In Berichten über Kriegszüge im 11. Jahrhundert finden sich eindeutig zuordenbare Hinweise auf den Neusiedler See und einen „dichten Schilfwald“. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts war von hohen Wasserständen geprägt, dementsprechend zeigt sich auf Karten dieser Periode eine große einheitliche Wasserfläche ohne litorale Vegetation. Doch schon 1589 ist im Urbar der Grafschaft Forchtenstein von dichten Schilfbeständen entlang des nordwestlichen Ufers die Rede, durch die der See kaum mehr zu erreichen ist. Es bestätigt sich, dass der See seine Erscheinung mit den Veränderungen der klimatischen Bedingungen über die Jahrhunderte immer wieder verändert hat. Für die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts ist – bis auf den Uferbereich von Neusiedl bis Illmitz – ein geschlossener Schilfgürtel anzunehmen. Nachdem der See zwischen 1865 und 1870 ausgetrocknet war, stellte sich in überraschend kurzer Zeit danach wieder das gewohnte Bild des Sees mit ausgedehnten Schilfbereichen dar. In den späten 1920er-Jahren wurden aufgrund von Luftbildaufnahmen des Sees erste Einschätzungen der Größe des Schilfgürtels möglich.

DER SCHILFGÜRTEL DES NEUSIEDLER SEES: ZWISCHEN NATÜRLICHER SUKZESSION UND ANTHROPOGENEN SCHADEINFLÜSSEN

Prognosen auf Basis einer Datenauswertung über das Schilfwachstum und die Entwicklung der Bestände erwiesen sich allerdings nicht immer als richtig. Mit der neuen Schleusenordnung und Regulierung des Sees auf höhere mittlere Pegel im Jahr 1965 erfolgte eine zunehmende Ausbreitung der Schilfbestände sowie Seggen landwärts auf Kosten ertragreicher Seewiesen. Die auf terrestrische Kartierung gestützten Luftbildanalysen zeigten aber auch, dass es, anders als zuvor angenommen, keine Tendenz zu einer Ausdehnung des Schilfs Richtung See gab. Die Daten der vergangenen 15 Jahre belegen, dass es zu einer Stabilisierung der Schilfbestände gekommen ist. Problematisch ist jedoch die fortschreitende Degradation dieser Bestände.

Was sind die Gründe für diese Degradation?

Die ausgedehnten Schilfflächen des Neusiedler Sees stellen an sich ein multifunktionales Ökotop dar, das durch eine charakteristische Flora und Fauna geprägt ist. Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert führten die unterschiedlichen Nutzungsansprüche der Landwirtschaft, der Schilfwirtschaft, der Fischerei und Jagd sowie des Tourismus bei gleichzeitigen Bemühungen um Natur- und Landschaftsschutz zu einem Ungleichgewicht, das sich nachteilig auf den Zustand des Schilfgürtels und seine Funktion als Lebensraum ausgewirkt hat. Die Gründe für das aktuelle Schilfsterben sind vielfältig und haben mit dem Grundwasserspiegel, der „Stabilisierung“ des Sees, der Eutrophierung und anderen Einflussfaktoren zu tun. Es liegen verschiedene Ansätze für Maßnahmen vor, die von gezieltem Schilfschnitt bis zu einem Brandmanagement reichen.

Mehr dazu in „Der Schilfgürtel des Neusiedler Sees: Zwischen natürlicher Sukzession und anthropogenen Schadeinflüssen“ von Elmar Csaplovics und Erwin Nemeth im Buch ab Seite 44.

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SCHLAMM UND SEDIMENTHAUSHALT IM FREIWASSER DES NEUSIEDLER SEES

Wichtiger Faktor im Ökosystem

Kapitel 4

Der Schlamm behindert die Marinas, heißt es oft. Aber könnte der See ohne Schlamm existieren?

Warum sorgt der Schlamm für Diskussionen?

Wird der Schlamm zum Thema öffentlicher Debatten, dann fast ausschließlich in einem negativen Kontext. Hafenbuchten werden für einen reibungslosen Schifffahrts- und Bootsverkehr ausgebaggert, Kanäle gilt es von vermehrten Ablagerungen freizuhalten. Insbesondere, wenn der Wasserstand im See niedrig ist – und das ist er seit Jahren. Im vergangenen Jahr wurde in einem Pilotprojekt eine neue Technik ausprobiert. Neuartige Saugbagger holen in der Stunde bis zu 300 Kubikmeter Schlamm aus dem See. Solche Eingriffe bedürfen einer wasserrechtlichen – und zuweilen auch einer naturschutzrechtlichen – Bewilligung. Mit welchen Methoden die Sedimente schließlich vom Restwasser getrennt werden, ob dafür auch Hilfsmittel verwendet werden dürfen, und wo der Schlamm am Ende landet, sind nur einige der Fragen, die in diesem Zusammenhang geklärt werden müssen. Unabhängig davon gehört das Schlammsediment zum Neusiedler See wie das Schilf – ja mehr noch, es ist für ein intaktes Ökosystem unerlässlich.

Woher kommt der Schlamm im See?

Um mehr über die Entstehung, die Zusammensetzung und Eigenschaften des Schlamms zu erfahren, wird das Seebecken schon lange erforscht. Es wäre eine falsche Vorstellung, sich die Schlammschicht, die am Grund des Wassers liegt, als gleichförmige Masse vorstellt. Schlamm ist nicht gleich Schlamm: Die Sedimente sind weder physikalisch noch mineralogisch homogen. Das hat mit ihrer Entstehung zu tun. Es gibt Sedimente, die außerhalb des Sees entstehen, etwa durch geklärte calciumreiche Abwässer, die als Kalkschlamm für einen kleineren Anteil an der Sedimentbildung im See verantwortlich sind. Zudem entsteht Schlamm auch durch Sedimente, die der Wind in den See einträgt. Andererseits führt die Bioproduktion von Fauna und Flora – allein durch den Schilfgürtel – zu einer großen Menge an abgestorbenem Pflanzenmaterial, das nicht vollständig abgebaut wird.

Abb. 5: Saugboot in Aktion
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Durch die Schlammabsaugung soll eine Vertiefung der Fahrrinne für Boote erreicht werden. Die neue, effizientere Technik dazu kommt aus Deutschland.

Das Wissen über diese Zusammenhänge ist für das Verständnis und die Zukunft des Sees, der deutlich von anthropogenen Maßnahmen beeinflusst ist, wichtig.

Grundsätzlich gilt, dass der See, obwohl Teil eines Nationalparkgebiets, stark von anthropogenen Eingriffen geprägt ist. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet das fragile Gleichgewicht des Sees ins Wanken, als der so genannte Einser-Kanal samt Schleusensystem am Südufer errichtet wurde. Mit dem Wasser, das abgelassen wurde, ging auch der Salzgehalt des Sees zurück. Einen weiteren Störfaktor bedeutete die verstärkte Einleitung von nährstoffreichen Abwässern, die bis in die 1970er-Jahre durch die Wulka und andere kleine Zubringer erfolgte. Diese menschlichen Eingriffe sind also mitverantwortlich für die veränderten Rahmenbedingungen des Sees, die schließlich zu verstärkten Verlandungserscheinungen und erhöhten Sedimentationsraten führten.

Wie kann man sich den Schlamm unter den Füßen vorstellen?

Neue Erkenntnisse lieferte das Forschungsprojekt „GeNeSee“ („Geodätische Neuerfassung des Systems Neusiedler See – Hanságkanal“), das Österreich und Ungarn zwischen 2011 und 2013 gemeinsam durchführten. Mithilfe verschiedener EcholotTechnologien konnte man sich ein genaues Bild des Wasserkörpers und der oberen weichen Schlammschicht wie auch der tieferen Sedimentschichten sowie des Seebodens und die gesamte im Seebecken abgelagerte Menge des Schlammes machen. Das Echolotverfahren ermöglichte es auch, eine Topographie des Seebodens zu entwerfen. Der Schlamm bildet keineswegs eine große ebene Fläche, sondern gleicht einer Art Landschaft, die durch Sedimenttransporte und die Einwirkung des Windes immer wieder umgeformt wird. Besonders deutliche Unterschiede gibt es etwa zwischen der offenen Seefläche und den Randbereichen, zwischen dem Nord- und Südufer oder an bestimmten Stellen, wo der Wasseraustausch durch Wallbildungen behindert wird. Für Analysen der Zukunft des Sees sind Erkenntnisse wie diese wichtig. Die Veränderungen, die man im Vergleich zu früheren Messungen festgestellt hat, liefern aufschlussreiche Daten etwa darüber,

um wieviel die Schlammschicht jährlich anwächst und welche Faktoren dafür eine Rolle spielen. Zuletzt soll aber auch darauf hingewiesen werden, dass die Sedimente des Sees ein bedeutender Teil des aquatischen Lebensraumes sind. Die Gemeinschaft der benthischen Wirbellosen, die hier vorkommen, von Wasserflöhen bis Fadenwürmer, spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette. Und sie sind unerlässlich für die Abbauprozesse im See, wie sie neben vielem mehr in „Der Schlamm- und Sedimenthaushalt im Freiwasser des Neusiedler Sees“ von Thomas Zechmeister im Buch ab Seite 62 beschrieben werden.

Die Farbschattierungen geben die Mächtigkeit des Schlammkörpers in Metern an. DGM Raster: 1x1 Meter. Hintergrund: Orthofoto (Quelle: ArcGIS Map Service)

Abb. 6: Übersicht über die räumliche Verteilung der Schlammmächtigkeiten
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SCHLAMM UND SEDIMENTHAUSHALT IM FREIWASSER DES NEUSIEDLER SEES

WASSERMANGEL IM FEUCHTGEBIET: NEUE STRATEGIEN IN DER WASSERWIRTSCHAFT

Strategien gegen den Wassermangel

Kapitel 5

Die Wasserknappheit in der Region

Neusiedler See ist in vielen Bereichen zu spüren. Am sichtbarsten ist sie im Seebecken, doch es geht um viel mehr: um den Grundwasserhaushalt für eine Region mit rund 100.000 Einwohnern. Eine Taskforce arbeitet an Lösungen.

Warum ist die Region von Wasserknappheit betroffen?

Aufgrund der sinkenden Grundwasserspiegel in der Region hat die Burgenländische Landesregierung die „Taskforce Neusiedler See – Seewinkel“ eingerichtet. Anders als es die mediale Darstellung nahelegt, gilt deren Arbeit aber nicht primär dem Erhalt des Sees und seinem isoliertem Wasserkörper, sondern der Ausarbeitung eines umfassenden Konzepts zur Stabilisierung des Grundwasserhaushalts in der gesamten Region. Betroffen ist vor allem der Seewinkel, in dem die Landwirtschaft eine gewichtige Rolle spielt. Durch Drainagen, die zum Teil schon vor Jahrhunderten angelegt wurden, ist das ehemalige großflächige Feuchtgebiet heute von Wasserknappheit betroffen. Die Ableitung von Niederschlagswasser durch Grabensysteme sowie bewässerungsintensive Kulturen tragen einerseits zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch bei, und führen andererseits dazu, dass Niederschlagswasser nicht in der Region gehalten werden kann. Verschärft wird diese Situation durch eine voranschreitende Klimaerwärmung, die eine ungünstige Verteilung der Niederschläge zur Folge hat sowie eine raschere Verdunstung fördert.

Welche Rolle spielt dabei der See?

Der Neusiedler See liegt in einem Becken, das weitgehend isoliert und damit unabhängig vom Grundwasserkörper ist. Deshalb ist es wichtig, die Situation des Sees und seine Rolle etwa für den Tourismus unabhängig von der Problematik des Grundwassers zu diskutieren. Als flacher Steppensee ist er seit seiner Entstehung vor rund 13.000 Jahren in unregelmäßigen Perioden immer wieder ausgetrocknet. Das ist vermutlich einer der Gründe, warum er – anders als viele glaziale Seen – noch nicht verlandet ist und bis heute existiert. Historisch gesehen hatte der See wahrscheinlich keine natürlichen Abflüsse bzw. ging das heutige südliche Seeufer nahtlos in das große Sumpfgebiet des Hanság über. Mit der Abtrennung von einigen kleineren Zubringern, dem Kappen der Verbindungen zum weitflächigen Donauauen-System und dem Bau des Einser-Kanals wurde der See noch stärker von der Versorgung durch Niederschläge abhängig.

Was ist die Aufgabe der Taskforce?

Die „Taskforce Neusiedler See – Seewinkel“ wurde von der Burgenländischen Landesregierung beauftragt, Lösungen zur Wasserversorgung der Region

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Der dramatisch gefallene Grundwasserpegel wird in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, weil er nicht sichtbar ist – außer in Schottergruben wie z. B. hier bei Wallern.

zu erarbeiten – in Bedacht auf die unterschiedlichen Interessen von der Landwirtschaft über den Naturschutz bis zum Tourismus. Dazu ist ein ganzes Paket an Maßnahmen notwendig. Eine wichtige Aufgabe ist es, Niederschlagswasser möglichst umfassend in der Region zu halten. Der Zustand bestehender Entwässerungsgräben und Sperren spielt dabei eine wichtige Rolle. Des weiteren wurde bereits ein Maßnahmenkatalog zur Regulierung der Landwirtschaft erarbeitet. Das betrifft sowohl bestimmte Fruchtarten wie auch die eingesetzten Bewässerungstechniken. Da es sich bei der Region Neusiedler See um das Gebiet mit den geringsten Niederschlägen in ganz Österreich handelt, wird auch eine Dotation des Seewinkels und des Neusiedler Sees geprüft. In den vergangenen Jahren wurden deutlich geringere (Winter-)Niederschläge als im langjährigen Durchschnitt verzeichnet. Das ist nur eine von mehreren möglichen Folgen der Klimaerwärmung, die nahelegen, dass sich der Grundwasserkörper unter den gegebenen Umständen nicht mehr regenerieren kann. Deshalb wird zusätzlich zu den erwähnten Maßnahmen an einer Dotation zur Durchfeuchtung des Seewinkels gearbeitet. Ein wesentlicher Fokus gilt dabei neben

der Landwirtschaft auch den wertvollen Salzlacken im Nationalparkgebiet, von denen aktuell nur mehr eine geringe Anzahl als intakt eingeschätzt wird. Im Jahr 2022 wurde eine Absichtserklärung zwischen der österreichischen und der ungarischen Seite über eine Zuleitung aus der Mosoni Duna (Wieselburger Donau) unterzeichnet. Im Rahmen dieser geplanten Maßnahme soll auch der Neusiedler See mit Wasser versorgt werden. Hinsichtlich der Wasserqualität gibt es nach bisherigem Wissensstand keine grundsätzlichen „Red flags“ für eine Wasserzufuhr. Allerdings betonen Experten, dass es strenge Vorgaben sowohl in hydrologischer wie auch in hydrochemischer Hinsicht gibt. Damit sind noch viele Fragen offen, die es auf wissenschaftlicher Ebene zu klären gilt. Unter anderem gilt es auch, die kritische Menge des zugeführten Wassers zu ermitteln.

Weitere Details zu technischen, finanziellen und anderen Fragen finden sich in „Wassermangel im Feuchtgebiet: Neue Strategien in der Wasserwirtschaft“ von Karl Maracek und Christian Sailer im Buch ab Seite 74. Ebenso findet sich auch eine Expertise zu „Grundwasser im Seewinkel: Dotation als Chance?“ von Alfred Paul Blaschke ab Seite 87.

Abb. 7: Niedriger Grundwasserpegel
13 WASSERMANGEL
FEUCHTGEBIET:
IM
NEUE STRATEGIEN IN DER WASSERWIRTSCHAFT

Eine Zeitreise durch die Landschaftsgeschichte Kapitel 6

Die Grenzlage des Neusiedler Sees ist eine vielfältige, vom römischen Limes bis zum Eisernen Vorhang prägte sie die Geschichte dieser Region. Weniger bekannt ist die geologische Grenze, an der infolge tektonischer Prozesse auch das Seebecken entstand.

Wo liegt der Neusiedler See?

Am Übergang von den Alpen in die Tiefebene ändert sich nicht nur der Landschaftscharakter: Das Klima wird kontinental, die Vegetationsperiode lang, Tiere und Pflanzen aus allen Himmelsrichtungen treffen hier aufeinander. Über den Gesteinen der Ostalpen finden sich mächtige Sedimente, unter dem See bis zu 600 m, weiter östlich bis zu 8.000 m stark. Wie die verbliebenen 40 Salzlacken liegt auch der Neusiedler See in abflusslosen Vertiefungen. Sein Alter wird mit etwa 12.300 Jahren angenommen.

Mehr zu „Geologie und Landschaft des Neusiedler Sees“ von Erich Draganits und weiteren Wissenschaftlern im Buch ab Seite 94.

Wer schrieb hier Kulturlandschaftsgeschichte?

Spuren des Menschen am Neusiedler See gibt es seit der Mittelsteinzeit. Mit dem Sesshaftwerden fanden erste Übernutzungen wie Kahlschlag oder Überweidung statt. Die Schwankungen zwischen Kaltzeiten und Austrocknungsphasen können auch aufgrund

von Bodenprofilen und Siedlungsresten im Seebecken nachgewiesen werden. In der Spätbronzezeit ermöglichte ein niedriger Wasserstand die Besiedlung tiefer gelegener Flächen. Dieses Klimaoptimum bestätigen Funde in Verbindung mit Weinkulturen. Einfluss auf das Landschaftsbild hatte auch die Eisenzeit mit ihrem großen Bedarf an Brennholz. In die Zeit der Gründung der römischen Provinz Pannonia fällt die erste Nennung des Neusiedler Sees als „lacus Peiso“ (Plinius, 77 n. Chr.). Diesem Klimaoptimum wird eine Intensivierung des Siedlungsbaus und der Landwirtschaft zugeordnet – und die Entwicklung zur Kulturlandschaft: Getreide wurde angebaut, Hanf, Flachs, Obst und Gemüse. Zu den Funden aus dieser Zeit zählt die älteste Weinpresse Österreichs. Ein hochrangiges Wegenetz mit Militärund Poststationen verband die Städte miteinander, See und Sümpfe mussten dabei umgangen werden. Am Ende des römischen Reiches trat eine Klimaverschlechterung ein, die Hochwassergefahr stieg. Viele Siedlungen wurden verlassen, es entstanden wieder natürliche Landschaften. Im 7. und 8. Jahrhundert prägten die Awaren den Landstrich.

14 GESCHICHTE DER SEELANDSCHAFT

Hungersnöte trotz Dreifelderwirtschaft?

Siedler aus dem bayrisch-fränkischen Raum brachten nach dem Auslöschen der awarischen Kultur durch Kaiser Karl die Dreifelderwirtschaft ins Land, von der anderen Seite stieg der militärische Druck der magyarischen Stämme. Im 11. Jahrhundert fielen die Durchschnittstemperaturen, gefolgt vom Klimaoptimum des Mittelalters. Rodungen setzten wieder ein, der Ackerbau gewann mehr und mehr Flächen. Zwischen Rabnitz und Raab entstand ab dem 11. Jahrhundert ein Entwässerungssystem mit Kanälen, um die landwirtschaftliche Nutzung auszuweiten.

Nicht nur die Pest (1348), auch ein Klimapessimum mit Überschwemmungen führte zum Zusammenbruch der großflächigen Landwirtschaft. Missernten und Hungersnöte wurden durch extreme Klimaschwankungen ausgelöst oder verstärkt, zahlreiche Siedlungen aufgegeben oder bei Grenzkämpfen zerstört. Der Wald holte sich Acker- und Weideflächen zurück. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts dürfte der See einen hohen Wasserstand aufgewiesen haben. Die für die osmanischen Truppen bei der Belagerung Wiens 1529 fatale Kälte- und Regenphase traf auch den Weinbau. Die Jahrzehnte ab 1570 zählen bis heute zu den kältesten. Gleichzeitig sank der Wasserspiegel des Sees, am Westufer ist eine Verschilfung dokumentiert, die Fischerei erlitt starke Einbussen. Nach dem Fall von Raab (1594) kam die Kulturlandschaft nicht nur durch die Türken unter Druck: Die meisten verödeten Dörfer waren schon zuvor aus wirtschaftlichen Gründen wüst gefallen. Ab dem 17. Jahrhundert häuften sich die Wasserstandsschwankungen, bis hin zu einem Höchststand 1786 und einem Tiefstand von 1811 – 1813 mit darauf folgendem raschen Anstieg.

Mehr zur „Geschichte der Landschaft des Neusiedler Sees“ von Elmar Csaplovics im Buch ab Seite 100.

Landschaftseindruck oder Momentaufnahme?

Der Blick auf den Neusiedler See hat sich oftmals geändert. Die Verschilfung, hohe Wasserstände, Austrocknungsphasen, das Wachsen der Weingärten, erste Strandbäder, die Stilisierung zum Urlaubsparadies, der Eiserne Vorhang, die Wertschätzung als Welterbe und die Gründung des Nationalparks, all das hat die Wahrnehmung – und damit die Entwicklung – beeinflusst. Der Klimawandel mit seinen Folgen für das Feuchtgebiet lässt jetzt neue Forderungen aufkommen, bis hin zu einer Wasserzuleitung, um das Freizeitrevier sichern zu können.

Mehr zum „Landschaftswandel am Neusiedler See von 1800 bis 2020“ von Sándor Békési im Buch ab Seite 110.

Abb. 8: „Wasserlandschaft“ zwischen Neusiedler See, Waasen und Raab mit Überschwemmungsgebieten, um 1830

Ausschnitt aus: „Die ständig oder periodisch unter Wasser stehenden Gebiete des Karpatenbeckens vor Beginn der Hochwasserschutz- und Entwässerungsarbeiten.“ Magyar Kir. Földművelésügyi Minisztérium, 1938; Quelle: Archiv des MBFSZ, Budapest

15 GESCHICHTE
DER SEELANDSCHAFT

Ein Naturraum, viele Schutzgebietstypen Kapitel

7

An die 40 Prozent der Landesfläche stehen im Burgenland unter Schutz, ein großer Teil davon im Naturraum Neusiedler See. In mehreren grenzüberschreitenden Gebieten tragen Land und Bund gemeinsam mit Ungarn Verantwortung für das Naturerbe.

Wie kam es zum gemeinsamen Commitment?

An Grenzen herrscht Vielfalt. Das gilt besonders für die Artenvielfalt an naturräumlichen Grenzen. Kommen dazu noch die Vielfalt an seltenen Lebensräumen und die große Bedeutung als Trittstein für den europäisch-afrikanischen Vogelzug, wird klar, warum das Neusiedler See - Gebiet schon seit Generationen von Wissenschaftern als höchst schützenswert – aber gleichzeitig durch nicht nachhaltige Nutzung gefährdet – angesehen wird. Bereits kurz nach der Gründung des Burgenlands 1921 wurden die ersten „Banngebiete“ zum Schutz der dort lebenden Tiere und Pflanzen gesetzlich verankert. Obwohl die damalige Unterschutzstellung im Vergleich zu heute weitgehend zahnlos erscheint, ist sie im Hinblick auf die nach dem Ersten Weltkrieg herrschende Armut durchaus zu würdigen.

Die Zusammenarbeit im Naturschutz zwischen dem Burgenland und Ungarn begann schon lange vor der politischen Wende – schließlich können Probleme

in einem grenzüberschreitenden Gewässer nicht von einer Seite allein angegangen werden. So legte die Einrichtung der Österreichisch-Ungarischen Grenzgewässerkommission 1956 den Grundstein für die gemeinsame Wasserstandsregulierung des Sees, und der naturschutzfachliche Austausch konnte selbst zu kommunistischen Zeiten im Rahmen der Neusiedler See - Tagungen erfolgen.

Obwohl die gesetzliche Naturschutzkompetenz in Ungarn beim Staat, in Österreich aber bei den Bundesländern liegt, hat die zielgerichtete Zusammenarbeit zu einer Reihe von Erfolgen geführt, ohne die es die heutige Schutzgebietslandschaft nicht gäbe. Als eine Art österreichisch-ungarische „Ko-Produktion“ ist das Natura-2000-Gebiet Neusiedler See samt nordöstlichem Leithagebirge und Waasen-Hanság zu nennen, ebenso Österreichs größtes Ramsar-Gebiet Neusiedler See - Seewinkel - Hanság, das UNESCO-Weltkulturerbe Neusiedler See - Fertő taj und – nicht zuletzt – der erste grenzüberschreitende Nationalpark Neusiedler See - Seewinkel / Fertő - Hanság.

16 DER SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT

Wer sind die Akteure?

Die beiden EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Richtlinien der Gemeinschaft in nationales Recht umzusetzen. Die damit befassten Naturschutzbehörden – im Burgenland die Landesregierung, in Ungarn das Umweltministerium – arbeiten bei der Implementierung dieser Richtlinien mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen.

Im Rahmen von EU-kofinanzierten Projekten unterstützen NGOs wie BirdLife, WWF und Naturschutzbund mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung die Behörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, sei es hinsichtlich der EU-Richtlinien (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) oder der durch die entsprechenden Konventionen eingegangenen Verpflichtungen (z.B. Ramsar-Konvention). Im angewandten Naturschutz kommt den beiden Nationalparkverwaltungen eine zentrale Rolle zu. Dabei sind WWF und BirdLife immer wieder als Partner in Nationalparkprojekte involviert.

Wie zeigt sich die Biodiversitätskrise am Neusiedler See?

Dringender Handlungsbedarf für die Salzlebensräume ist durch den Klimawandel und, damit verbunden, durch die Übernutzung des Grundwassers für die landwirtschaftliche Bewässerung rund um die Nationalparkflächen gegeben. Das Nationalparkmanagement intensiviert deshalb

die Zusammenarbeit mit allen Akteuren auf Landes- wie auf Bundesebene, um durch gezielte Maßnahmen die negativen Entwicklungen zu stoppen und den schleichenden Verlust dieser empfindlichen Lebensräume zu verhindern.

Der WWF Österreich widmet den Schwerpunkt seiner Aktivitäten im Naturraum Neusiedler See ebenfalls der Erhaltung der verbliebenen Feuchtlebensräume. Um weitere Flächenverluste zu verhindern, fordert der WWF mehr Anstrengungen beim Zurückhalten von Niederschlagswasser in der Region sowie eine drastische Reduktion der Grundwasserentnahme und spricht sich aus mehreren Gründen vehement für einen Verzicht auf die Einleitung von Wasser in das Seebecken aus.

Auf den Vogelschutz im Schilfgürtel richtet BirdLife Österreich derzeit seinen Fokus und verweist auf dramatische Rückgänge bei einzelnen Vogelarten, die ihren Lebensraum in Altschilfbeständen haben. Gefordert wird die umgehende Ausarbeitung von Managementmaßnahmen für den Schilfgürtel mit dem Ziel, ein Mosaik aus unterschiedlichen Altersstadien des Schilfs zu ermöglichen. Als eine international erprobte Maßnahme sollte dabei auch das Brandmanagement eingesetzt werden.

Mehr zum „Schutz der Biodiversität“ im Buch ab Seite 122.

Abb. 9: Rückhalteflächen
17
Der Xixsee bei Apetlon, bei Hochwasser rückgestaut. Im Hintergrund ist die Lange Lacke zu sehen.
DER SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT

Von Hutweiden, Trockenrasen, Feuchtwiesen und Mooren

Kapitel 8

Die Landschaftselemente der Region Neusiedler See waren immer wieder wechselnden Nutzungen unterworfen, manchmal nur über Jahrzehnte, manchmal über Jahrhunderte. Ihre Vielfalt und ihr Einfluss auf das Ortsbild machen sie zum wertvollen Kulturerbe.

Wie hat der Mensch den Naturraum beeinflusst?

Die Urbarmachung einer Landschaft war am Neusiedler See kein einmaliger Prozess. Nicht nur Kriege führten mehrmals zur Aufgabe von Siedlungen und zur Rückkehr einer natürlichen Vegetation, auch der Wechsel von wärmeren, trockenen zu nasskalten Perioden hatte großen Einfluss auf das Gesicht der Landschaft. Auf Rodung und Trockenlegung folgte zunächst eine extensive Weidewirtschaft, die ihrerseits vom Ackerbau, später vom Weinbau zurückgedrängt wurde. Der Torfstich im Hanság des 19. Jahrhunderts wurde von Ackerbau und Forstwirtschaft abgelöst.

Die offene, artenreiche Kulturlandschaft ist heute – bis auf wenige Ausnahmen – nur mehr in geschützten Gebieten vorhanden: In Form von Trocken- und Halbtrockenrasen entlang des Westufers und am Lössabhang der Parndorfer Platte, als Hutweiden und Feuchtwiesen im Seewinkel, als Sanddamm am Ostufer und als Reste des Niedermoors im Hanság. Die großflächige Beweidung

wurde mit der Nationalparkgründung 1993 wieder eingeführt, wo größtenteils selten gewordene Haustierrassen wie Graurinder, Wasserbüffel oder Weiße Esel – ebenfalls ein Kulturerbe – dabei helfen, die gebietstypische Biodiversität zu erhalten.

Schon einige Jahrzehnte hält der Rückgang der intensiven Landwirtschaft rund um den Neusiedler See an, aufgelassene Weingärten werden jedoch oft für den Ackerbau genutzt oder verbuschen. Mais-, Kartoffel- und Sonnenblumenfelder tragen ebenfalls zu einer ökologischen Verarmung der Kulturlandschaft bei. Im Randbereich der Dörfer beanspruchen Einfamilienhäuser und Gewerbebetriebe große Flächen.

Welche Einschnitte prägten das Ortsbild? Eine kontinuierliche Besiedlung des Gebiets kann seit etwa 7.000 Jahren angenommen werden. Je nach den klimatischen Bedingungen nutzten die Menschen seenahe oder erhöhte Siedlungsflächen. Die heutige Siedlungsstruktur geht auf das Mittelalter zurück. Die Hofstellen der Lehensbauern waren

18 DIE REGION ALS KULTURLANDSCHAFT UND WELTERBE

in Straßen- und Angerdörfern entlang der Durchzugsstraße aufgereiht, bebaut mit Streckhöfen. Die ersten urkundlichen Erwähnungen von Ortsnamen stammen aus dem 13. Jahrhundert. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden viele Ortschaften im Seewinkel und am Heideboden aufgegeben, Siedlungen am Westufer profitierten von ihrer höheren Lage und der lokalen Verfügbarkeit von Sandstein. Auf die Zerstörungen während der Türkenkriege folgte der Wiederaufbau in Form von „Ingenieurdörfern“. Die gemischte Landwirtschaft mit Acker- und Weinbau, Viehzucht und Obstbau dominierte.

Größere Umwälzungen brachte die Intensivierung der Rinder- und Pferdezucht. So wurde etwa in Illmitz im Jahr 1900 die erste Milchgenossenschaft des Komitats Wieselburg gegründet. Der gestiegene Platzbedarf führte zum Bau von Kreuzstadeln am Ortsrand. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Viehwirtschaft an Bedeutung. Auf früheren Weideflächen wurden Weingärten ausgepflanzt, in den Dörfern entstanden immer größere Wirtschaftsgebäude. Tourismus, Wein- und Ackerbau bilden seither den wirtschaftlichen Schwerpunkt. Der Verkauf von „unproduktiven“ Flächen durch die Urbarialgemeinden markiert den Beginn der Zersiedelung. Auch im Ortskern änderte sich vieles: Der Wohlstand führte zu „modernen“ Neubauten, aus manchen Bauernhöfen wurden Gästeunterkünfte. In Ungarn führte die Kollektivlandwirtschaft zum Verschwinden von Bauernhöfen, nur die Struktur der schmalen Parzellen blieb erhalten. Bauernhöfe des Hanság-Beckens mit ihren Arkadenhäusern sind nur mehr als Museum (in Fertőszéplak) zu bewundern. Der Zuwachs an (freistehenden) Einfamilienhäusern an den Ortsrändern erfolgte als Rastersiedlungen, die Siedlungsfläche hat sich in vielen Dörfern verdoppelt.

Vor welchen Herausforderungen steht die Welterberegion?

Für den außergewöhnlichen universellen Wert der Welterbe-Kulturlandschaft Neusiedler See - Fertő taj sind traditionelle Siedlungsstrukturen und Bauweisen von großer Bedeutung. Die jüngsten Entwicklungen gefährden dieses Erbe.

Die fortschreitende Bodenversiegelung rund um die Ortskerne führt nicht nur zum Verlust der Artenvielfalt, sie verstärkt auch die Auswirkungen des Klimawandels. Neubauten steigern im Vergleich zur Adaptierung von Bestandsgebäuden den Energiebedarf. Die zentrale Herausforderung für die Zukunft sind deshalb die Einführung von Siedlungsgrenzen und die Erhaltung (und Nutzung!) des historischen Baubestands.

Mehr zur „Entwicklung der Siedlungen vom Mittelalter bis in die Neuzeit“ von Rosalinde Kleemaier-Wetl im Buch ab Seite 154.

Mehr zu „Der wahre Schatz, das sind die Streckhöfe“ von Klaus-Jürgen Bauer im Buch ab Seite 161.

Mehr zu „Die Welterbekonvention“ von Ulrike Herbig im Buch ab Seite 166.

Abb. 10: Purbach, Katasterplan von 1875 Ein typisches Angerdorf (Burgenländisches Landesarchiv)
19 DIE
WELTERBE
REGION ALS KULTURLANDSCHAFT UND

Zukunftsfragen: Genmais oder „Illmitzer Gerste“?

Kapitel 9

Die Folgen der Klimaerwärmung sind schon jetzt in der Region spürbar. Es ist höchste Zeit, die Landwirtschaft neu aufzustellen.

Welche Herausforderungen hat die Landwirtschaft?

Die Erwartungen an die Landwirtschaft sind hoch: Sie soll einerseits Ernährungssicherheit ermöglichen, dazu erneuerbare Rohstoffe wie Biotreibstoffe und Bioplastik produzieren und sich zugleich auf die Klimaerwärmung einstellen. Die Veränderungen sind evident, die Meteorologen des ZAMG bestätigen das auch statistisch: Im Frühling und im Sommer gibt es fast jährlich zunehmend längere Trockenphasen, wie sie früher alle zehn bis 20 Jahre vorgekommen sind. Das bedeutet Trocken- und Hitzestress für die Pflanzen – Folgen, die sich in der Anbauregion im Einfluss des pannonischen Klimas durch seine Wasserknappheit noch stärker auswirken. Die widrigen Umstände lassen sich auch an der Zahl der (Familien-)Betriebe ablesen, die in den vergangenen zehn Jahren aufgegeben haben. Der Rückgang im Burgenland bedeutet Österreichrekord. Es ist also höchste Zeit, gezielte Maßnahmen zu setzen.

Wie konkret reagieren?

Schon in den vergangenen Jahren haben Betriebe in der Region Neusiedler See begonnen, sich auf neue Produkte und Nischen zu spezialisieren. Damit sind nicht nur Risiken verbunden, es sind auch Investitionen nötig, die nicht jeder Hof stemmen kann. Immerhin: Die Umstellung auf hochwertige Produkte, auf ökologische Erzeugnisse ist im Gang. Einige Witterungsbedingungen, die Probleme machen, wie etwa die Trockenheit, bieten auch Vorteile. In Kombination mit dem Wind verringert sich dadurch die Gefahr eines Pilzbefalls. Soll heißen: Es geht darum, Möglichkeiten auszuloten und optimal zu nutzen. Bewässerungsintensive Kulturen wie Mais, die an Fläche gewonnen haben, müssen überdacht werden. Doch Mais ist nicht gleich Mais, auch hier gibt es unterschiedlichste Sorten. Die Tschardaken aus Holz, an denen der Kukuruz traditionell zum Trocknen aufgehängt wurde, gehörten lange zum Ortsbild der Region. Nun braucht es neue Ideen.

Abb. 11: Überkopfbewässerung von Maispflanzen

Mit rund 3.300 Hektar haben Saat- und Zuckermais einen relativ großen Anteil an den bewässerten Flächen in der Region.

20
WARUM WIR DIE LANDWIRTSCHAFT IN ZEITEN DER KLIMAERWÄRMUNG NEU DENKEN MÜSSEN

An den Böden selbst liegt es nicht. Der westlichste Rest des großen eurasischen Steppengürtels bietet nährstoffreiche Böden wie Tschernoseme und humusreiche Moorböden. Restriktionen gibt es in erster Linie durch die vorhandenen Wasserressourcen.

Eine Landwirtschaft ohne Bewässerung?

Nach den vergangenen trockenen Jahren, in denen insbesondere auch die für das Grundwasser wichtigen Winterniederschläge ausgeblieben sind, wurden 2022 erste Restriktionen bei der Bewässerung aktiv. Die Taskforce der Landesregierung hat einen Katalog entwickelt, wie der Einsatz von Wasser möglichst effizient erfolgen kann. Es wurden auch Kulturen festgelegt, die unter bestimmten Umständen nicht mehr bewässert werden dürfen. Die Vision einer Landwirtschaft, die ohne jegliche Bewässerung auskommt, ist jedoch nur schwer vorstellbar. Auch wenn mittlerweile Olivenbäume in der Region wirtschaftlich die ersten Erträge einbringen, und Betriebe mit für die Region gänzlich neuen Kulturen experimentieren, werden Landwirte in Phasen großer Hitze und Trockenheit Bewässerung brauchen, um einen Ernteausfall zu verhindern. Essenziell ist es, jeden Tropfen Wasser in der Region zu halten. Dafür ist es nötig, Entwässerungsgräben wieder steuerbar zu machen und fehlende Sperren in den Drainagen wieder instand zu setzen. Eine wichtige Rolle spielen auch Ansätze, Fremdwasser in die Region zu bringen, also etwa jenes Projekt, den Seewinkel mit Donauwasser wieder zu befeuchten.

Welche Szenarien gibt es für die Zukunft?

Viel hängt davon ab, ob es global gelingt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad oder zwei Grad zu beschränken. Das entscheidet letztlich auch, welche der Klimaprognosen für den pannonischen Raum und den Neusiedler See schlagend wird. Bei einer Erwärmung von mehr als drei Grad würde sich die Region in Richtung mediterraner Verhältnisse entwickeln, wo ein Getreideanbau im Sommer nicht möglich ist. Für das Burgenland steht also viel auf dem Spiel. Das erkennt man an verschiedenen Eckdaten. Nach Niederösterreich und Oberösterreich zählt es etwa zu den drei bedeutendsten Feldgemüseproduzenten in Österreich. Eine wichtige Rolle spielt auch die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft, bei der sich das Burgenland auf einem guten Weg befindet.

Zu klären sind aber auch grundsätzliche Fragen: Wie will man es mit gentechnisch manipulierten Sorten halten, die die Produzenten als trockenresistenter (und ertragreicher) anpreisen. Auch wenn das aufgrund der EU-Regelung derzeit kein Thema ist, wird sich diese Frage vielleicht noch stellen. Allerdings gibt es viele Möglichkeiten, auf bereits Bewährtes zurückzugreifen: die lange vergessene „Illmitzer Gerste“ ist eine standortangepasste Sorte, die bereits bewiesen hat, was sie kann.

Mehr dazu in „Warum wir die Landwirtschaft in Zeiten der Klimaerwärmung neu denken müssen“ von David Goldenits im Buch ab Seite 174. Und in „Zukunftsbild mit prosperierender Region“ von Franz Traudtner im Buch ab Seite 189.

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Abb. 12: Bio-Kichererbse in Reihenkultur am Seehof Donnerskirchen Die Kichererbse ist ein „Kulturwandelfolger“, da sie trockenheitstolerant und wärmeliebend ist. WARUM WIR DIE LANDWIRTSCHAFT IN ZEITEN DER KLIMAERWÄRMUNG NEU DENKEN MÜSSEN

Zu viel Hitze, zu wenig Wasser Kapitel 10

Die Böden, das Mikroklima und der See als Feuchtigkeitsspender und Temperaturpuffer: Schon vor etwa 3.000 Jahren wurde hier Wein angebaut. Instabile Verhältnisse verursachte aber der stark schwankende Wasserstand mit nasskühlen oder zu trockenen Phasen.

Kann die Vielfalt der Rebsorten erhalten werden?

Traubenkernfunde bei Mönchhof und eine Weinpresse am Leithagebirge bei Winden belegen, dass schon lange vor den Römern am Neusiedler See die Weinrebe kultiviert wurde. Die Römer hatten zur Zeit der Gründung der Provinz Pannonien – um Christi Geburt – wenig Interesse, den Weinbau am Lacus Peiso zu fördern, im Gegenteil: Es herrschte ein Überangebot am Markt, Wein wurde aus dem Mutterland importiert. Der nach Völkerwanderung und Awarenkriegen darniederliegende Weinbau erholte sich erst allmählich mit dem Zuzug von Siedlern aus dem bayrisch-fränkischen Raum.

Es scheint also mit Blick auf historische Quellen nichts Neues zu sein, wenn nunmehr schon seit drei Jahrzehnten von hitze- und trockenheitsbedingten Einbußen im Weinbau die Rede ist.

Genauer betrachtet offenbaren sich freilich viele Unterschiede zu früheren Klimaschwankungen: Von mehrwöchigen Hitzeperioden mit Temperaturen nah an 40° Celsius wurde nie zuvor berichtet, auch nicht von mehr als hundert Sommertagen mit mehr als 25° Celsius, von neuzeitlichen Begriffen wie Treibhauseffekt und Klimawandel nicht zu reden. Stress also für die Weinreben, Stress und großer Handlungsbedarf für die Weinbauern.

Geändert haben sich allerdings auch die Möglichkeiten des Gegensteuerns: Auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse weiß man heute mehr denn je über die Bedürfnisse der Weinrebe, ob hinsichtlich des Mikroklimas – Sonnenstunden, Niederschlag, Feuchtigkeit, Wind, Lufttemperatur – , der Auswahl der passenden Unterlagsreben, der Bodenbearbeitung, des Erntezeitpunkts oder der Kellerarbeit. Mit diesen Stellschrauben sollte es gelingen, die Rahmenbedingungen für die Erhaltung der großen Sortenvielfalt (42 verschiedene Rebsorten!) auf ebenso vielfältigen Böden zwischen Leithagebirge und Hanság auf die extremen Wetterverhältnisse abzustimmen.

Abb. 13: Begrünter Weingarten mit Tröpfchenbewässerung

Auf insgesamt rund 9.000 Hektar Rebfläche, davon circa 20 Prozent in Ungarn, gibt es eine große Vielfalt an Rebsorten auf unterschiedlichen Böden.

22 DER WEINBAU IM WANDEL DES KLIMAS

Durchschnittstemperatur der Vegetationsperiode

Abb. 14: Luftmitteltemperatur in der Wachstumsphase

Die Temperaturentwicklung von 1971 bis 1999 und von 2000 bis 2012 im Rheingau, Burgund und Rhonetal. Die Durchschnittstemperatur im Burgund ist mit den Werten des Burgenlandes vergleichbar.

Wo liegen die Flaschenhälse?

Wenn sich in manchen Sommern hektarweise sonnenverbrannte Trauben an den Rebstöcken zeigen, klingt die Befürchtung verständlich, dass bestimmte Rebsorten die steigende Anzahl an Sonnenstunden und Hitzetagen am Neusiedler

See nicht überleben werden. Die scheinbar todgeweihten Sorten können aber, wie die Erfahrung aus mehreren europäischen Anbaugebieten zeigt, zumindest überleben, wenngleich die Traubenreife langsamer abläuft. Deutlich mehr Einfluss auf das Wohlbefinden der Rebe hat das Wasser, ob in Form von Regen oder als Luftfeuchtigkeit. Ausbleibende Niederschläge und ungünstige jahreszeitliche Verteilung können, vor allem auf Böden mit geringer Wasserspeicherfähigkeit, das Ende für manche Weinbaurieden bedeuten.

Mit Tröpfchenbewässerung darauf zu reagieren, kann kurzfristig betrachtet eine Problemlösung darstellen, die Rebe aber sehr schnell vom Tiefwurzler zum Seichtwurzler „umerziehen“, sie also auch in normalen Niederschlagsjahren von der Wasserzufuhr abhängig machen. Die obersten Wurzeln in neu angelegten Weingärten abzuschneiden ist zwar arbeitsintensiv und damit teuer, kann aber auf den meisten Bodentypen als Problemlösung gelingen.

Die Hitzeresistenz der Rebpflanzen zu steigern ist ein weiterer Ansatz: Hier spielt die standortpassende Auswahl der Unterlagsreben eine große Rolle. Statt in Hitzeperioden die Photosynthese einzustellen, können sich auf entsprechende Unterlagsreben veredelte Pflanzen bei Sonneneinstrahlung weniger stark erwärmen. Eine weitere Option: Mit ausgewählten Blühmischungen die Rebzeilen zu begrünen. Das führt nicht wie oft befürchtet zu einem zusätzlichen Wasserbedarf oder gar zu einem negativen Einfluss auf die Weinqualität – weil die Blühpflanzen nur das Oberflächenwasser nutzen. Mehr Biodiversität führt zudem zu besseren Lebensbedingungen für Nützlinge.

Die ersten Schritte in der Anpassung des Weinbaus an ein herausforderndes klimatisches Umfeld werden also schon seit einigen Jahren gesetzt. Von den auf diesem Gebiet gewonnenen Erfahrungen wird mittelfristig der gesamte Sektor profitieren, wenngleich nicht alle Maßnahmen in allen Lagen umsetzbar sind. Die Kulturlandschaft des Neusiedler Sees mit ihren kleinen Parzellen wird sich also auch in den Weingartenrieden ändern, vielleicht noch stärker als sie dies seit Ende des 20. Jahrhunderts bereits getan hat.

Mehr zum „Weinbau im Wandel des Klimas“ von Frank Schindler und Ákos Molnár im Buch ab Seite 196.

Zinfandel Nebbiolo Minden egyéb fajta 13 15 17 19 21 23 Hideg Meleg Átlagos Forró Hideg Meleg Átlagos Forró
Müller- Thurgau Pinot Gris Gewürztraminer Pinot noir Chardonnay Sauvignon blanc Riesling Semillon Cabernet franc Tempranillo Dolcetto Merlot Malbec Viognier Syrah Cabernet Sauvignon Sangiovese Grenache
Carignane
Orange 1971 – 1999 2000 – 2012 Beaune 1971 – 1999 2000 – 2012 Geisenheim 1971 – 1999 2000 – 2012 23
DER WEINBAU IM WANDEL DES KLIMAS

Angebotsvielfalt als Stärke für den Tourismus

Kapitel 11

Das Angebot der Tourismusregion Neusiedler See hat sich seit den 1980er Jahren verändert, und mit ihr die Gästestruktur. Die Folgen des Klimawandels für die Strandbäder verlangen nach einer weiteren Stärkung der übrigen, durchaus erfolgreichen Segmente.

Welche Rolle spielt der See heute?

Drei neu errichtete Viersternbetriebe haben 2022 in der Region ihre Pforten geöffnet – allesamt weit weg vom Neusiedler See: In Hegykö das Hotel HegiQ mit Ausrichtung auf das benachbarte Thermalbad, in Andau das Hotel Scheiblhofer mit dem Schwerpunkt Weinerlebnis, in Eisenstadt das Hotel Galántha für die Zielgruppe der Kultur- und Konferenztouristen. Der Strukturwandel bei den Unterkunftsbetrieben rund um den Steppensee hält schon seit Jahrzehnten an. Aus den 1970er Jahren stammende Kleinbetriebe werden oft von der nächsten Generation nicht mehr weitergeführt oder zum Familienwohnsitz umgestaltet. Die Bettenkapazität der Destination hat schon vor der Jahrhundertwende zu sinken begonnen – nicht aber das Gästeaufkommen, wie die Statistik zeigt. Zu einer höheren Auslastung führten nicht nur mehr Professionalität und höhere Qualität, auch die schrittweise Verbreiterung des Angebots machte die Region attraktiver: Im Frühjahr und im Herbst, vormals „Vor- und Nachsaison“ genannt, wird Rad gefahren, die Vielfalt der Natur entdeckt, Wein degustiert, im Thermalbad entspannt oder einem Konzert gelauscht. Noch nie war der Anteil an Urlaubsgästen, die während ihres Aufenthalts kein einziges Mal in einem Strandbad waren, größer als heute.

Solange noch Wasser im Seebecken verbleibt, bestimmt der See das Landschaftsbild. Die gesamte Region ist nach ihm benannt, er ist Teil der regionalen Identität. Welche Folgen ein für den Wassersport und den Schiffsverkehr zu niedriger Wasserstand erwarten lässt, wird zwar heftig diskutiert, auf Zahlen und Fakten dabei aber wenig Rücksicht genommen. Dass etwa in Illmitz mit seinem durchwegs renovierungsbedürftigen Strandbad die Auslastung der Unterkünfte seit Jahrzehnten höher ist als in jeder anderen Seegemeinde, sagt viel über die touristische Bedeutung eines Strandbads aus. Hier zeigt sich, wie deutlich der traditionelle Naturtourismus (in Verbindung mit dem jüngeren Weintourismus) den Saisonverlauf beeinflusst. Es ist zwar nicht gesichert, dass Birdwatcher im Wirtshaus mehr konsumieren als andere Gästeschichten, Tatsache ist aber, dass in Illmitz auch die höchste Anzahl an Gastronomiebetrieben zu finden ist.

Ähnlich das Bild auf ungarischer Seite:

In Fertőrákos (Kroisbach) sind nach mittlerweile vier Jahren baustellenbedingter Sperre des Strandbads – dem einzigen Seezugang – die Nächtigungszahlen nicht gesunken.

24 TOURISMUS AM NEUSIEDLER SEE –EINE ENTWICKLUNG IN MEHREREN PHASEN

Wie positioniert sich die Tourismusregion im Klimawandel?

Ob der Neusiedler See zur Gänze austrocknen wird, ob eine Wasserzuleitung von der Wieselburger Donau das gewohnte Landschaftsbild zumindest mit einem Minimum an Wasser erhalten wird oder ob, wie Optimisten meinen und manche Szenarien prognostizieren, in Folge stärkerer Niederschläge der Wasserspiegel wieder steigen wird, kann niemand mit Sicherheit sagen. Die Zeit bis dahin sollte aber, darin sind sich alle einig, bestmöglich genutzt werden. Nachdem der Klimawandel kein kurzlebiges Phänomen darstellt und den Landschaftscharakter wohl dauerhaft verändern wird, sollten Schritte zu einer Neupositionierung der Region bald gesetzt werden. Das gilt für alle genannten Angebotsbereiche: Welche Herausforderungen, aber auch Optionen für das Naturerlebnis ergeben sich aus einer längeren jährlichen Trockenphase der Lacken, wie kann man den teils trockengefallenen Schilfgürtel als faszinierenden Lebensraum besser erlebbar machen? Wie lässt sich der Neusiedler See mit dem Fahrrad überqueren, wenn schon längst keine Schiffe den Fährverkehr aufrechterhalten? Wie können Tourismusbetriebe der Region Neusiedler See ihre Standortvorteile in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Ungarn und der Slowakei im Kultur- und Naturtourismus besser nutzen?

Sich als Vorzeigedestination in Sachen Umweltschutz zu präsentieren, wäre trotz eines hohen Flächenanteils an Naturschutzgebieten einschließlich eines grenzüberschreitenden Nationalparks ein schwieriges

Unterfangen: unkoordinierter Individualverkehr bei Massenveranstaltungen, Schwermetallbelastung durch Feuerwerke, Bodenversiegelung in Rekordtempo, Plastikmüll aus Sportevents – die Ausgangslage für eine Profilierung ist verbesserungswürdig. Eine Neupositionierung der Tourismusregion Neusiedler

See kann aber nur gelingen, wenn die Ursachen des Klimawandels auch lokal angegangen werden.

Mehr zu „Tourismus am Neusiedler See –eine Entwicklung in mehreren Phasen“ von Alois Lang, Gerhard Haider und Tamás Taschner im Buch ab Seite 210.

Mit

Abb. 15: Der schilffreie Strand von Podersdorf (undatiert) Mangels Infrastruktur konnte zunächst nur der Tagesausflügler erreicht werden. Abb. 16: Radfahren als Ganzjahresaktivität
25 TOURISMUS AM NEUSIEDLER SEE –EINE ENTWICKLUNG IN MEHREREN PHASEN
dem Radweg B10 rund um den Neusiedler See positionierte sich die Region als Pionier des Radtourismus.

Der Umgang mit dem Wasser als zentrale Herausforderung

Kapitel 12

Der Wassermangel im Seebecken beherrscht die Klimawandeldiskussion am Neusiedler See. Das versperrt den Blick auf den Handlungsbedarf im Naturschutz, in der Landwirtschaft und im Tourismus – und auf die damit verbundenen Chancen.

Geht es nur um den See?

Wenn Panik aufkommt, sind einfache Botschaften gefragt, keine komplexen Zusammenhänge. Lautstarke Forderungen nach einer Wasserzufuhr in den See machen die Runde, wie zuletzt 2003. Erklärungsversuche zur gesamten Bandbreite der Klimawandelfolgen scheitern nicht zuletzt an einer in Klischees verhafteten Medienberichterstattung. Dazu kommt, dass der niedrige Wasserspiegel des Sees sichtbar ist, nicht aber die Rekordtiefstände des Grundwassers. Was Letzteres für die Salzlacken bedeutet, sollte mehr Grund zur Beunruhigung geben als temporäre Einschränkungen für den Segelsport.

In der öffentlichen Diskussion den Unterschied zwischen Austrocknung und Verlandung (der Lacken oder des Sees) verständlich machen zu wollen, ist ebenso schwierig wie die Erklärung des Unterschieds zwischen See- und Grundwasser. Auch das Märchen von der unterirdischen Verbindung des Neusiedler Sees mit der Donau wird wieder gerne erzählt. Mehr denn je ist also Informationsarbeit gefragt.

Lässt sich das Wasser in der Region halten?

Die Wassertaskforce der Landesregierung verfolgt nach wie vor die Variante der Dotation des Sees über die Mosoni Duna (Wieselburger Donau), aus der Sicht der Wissenschaft wird aber auf notwendige Untersuchungen der Wasserqualität hingewiesen. Wasserbau- und Naturschutzexperten fordern gleichzeitig ein Gesamtkonzept, um das Niederschlagswasser so lange wie möglich in der Region zu halten. Nach Jahrhunderten der Bemühungen, das Wasser aus Österreichs tiefst gelegener Region schnellstmöglich Richtung Schwarzes Meer loszuwerden, wäre jetzt die Rückführung von Wasser im Seewinkel angesagt.

Selbst durchschnittliche Jahresniederschlagsmengen werden wohl nicht reichen, um die Grundwasserreserven wieder aufzufüllen – bei wochenlangen Hitzeperioden. Eine gesicherte Methode zur Versorgung bewässerungsintensiver Nutzpflanzen kann auch die Donau nicht bieten, wenn man sich die niedrigen Wasserstände der

26
RESÜMEE UND PERSPEKTIVEN

letzten Jahre vor Augen hält. Zeit- und sortenbezogene Einschränkungen der landwirtschaftlichen Bewässerung werden deshalb genauso unverzichtbar sein wie wasserbauliche Rückhaltemaßnahmen.

Reichen die Managementmaßnahmen?

Konservierender Naturschutz allein, also das Außernutzungstellen von Lebensräumen, reicht nicht – das macht der Klimawandel deutlich sichtbar. Zwar ist das Land verpflichtet, Managementmaßnahmen zum Schutz der Biodiversität zu setzen, oft fehlen aber die dafür benötigten Ressourcen. Neben Instrumenten wie Beweidung, Mahd oder Entbuschung geht es dabei um das Rückhalten wertvollen Niederschlagswassers. Wie das Beispiel der Salzlacken eindrucksvoll zeigt, können negative Eingriffe wie das Absenken des Grundwassers außerhalb eines Schutzgebiets zu massiven Problemen im Schutzgebiet selbst führen. Eine klimawandelgerechte Nachjustierung der Gesetze unter Berücksichtigung der benötigten finanziellen Mittel für das Flächenmanagement könnte hier zielführend sein.

Neue Perspektiven für den Tourismus?

Den niedrigen Wasserstand des Neusiedler Sees zu beklagen, ohne Entwicklungsziele bis zum Stabilisieren oder Ansteigen des Wasserspiegels zu haben, grenzt an Defätismus. Im Gegensatz zum reinen Strandtourismus vor den 1980er Jahren

Beweidung im Nationalpark: Der Einsatz von Graurindern gegen die landseitige Ausbreitung des Schilfgürtels ist ein Beispiel dafür, wie die Kulturlandschaft mit gezielten Maßnahmen erhalten werden kann.

steht das heutige Angebot der Region auf einer breiten Basis: Die Diversifizierung mit dem Natur-, Fahrrad-, Wein-, Kultur- und Wellnesstourismus hat neue Märkte erschlossen und die Saison verlängert. Trotzdem gilt es jetzt, die Destination, die den See im Namen trägt, neu zu positionieren. Die in gemeinsamen EU-Projekten bewährte Zusammenarbeit mit den ungarischen und slowakischen Nachbarn ermöglicht einen erfolgversprechenden Schritt zu einer auf Drittmärkten gemeinsam auftretenden Tourismusregion, vor allem im Natur- und Kulturtourismus. Das Naturerlebnis mit einem ausgetrockneten Schilfgürtel zu erweitern, die Infrastruktur dem neuen Umfeld anzupassen und daraus ein einzigartiges Produkt zu formen, wäre eine weitere Option. Gefragt ist zudem eine Alternative zur Fährverbindung für Radfahrer; und, schon lange geplant, die marketingseitige Aufbereitung der Attraktionen des gemeinsamen Weltkulturerbes. Eher vernachlässigt erscheint bisher (mit Ausnahme des Nationalparks) der Fachtourismus, der mit neuen Programmen bedient werden könnte. Idealerweise sollten diese und weitere Ansätze umgehend in eine Art Plan B für den Tourismus am Neusiedler See einfließen.

Mehr zu „Resümee und Perspektiven“ von Gunnar Landsgesell und Alois Lang im Buch ab Seite 232.

Abb. 17: Graurinderherde im Seevorgelände
27 RESÜMEE UND PERSPEKTIVEN

Abbildungsverzeichnis

Umschlag: © Alois Lang, Alberta Seddon/Shutterstock, Projekt21:

Seite 3: Die Landschaftselemente des nördlichen Burgenlandes © Archiv Nationalpark / Entwurf Alois Wegleitner

Abb. 1: Trockene Lackenbecken schon im Frühjahr © Archiv Nationalpark / Wegleitner

Abb. 2: Temperaturanstieg © Herbert Brettl

Abb. 3: Schilfgürtel landseitig © Georg Wolfram

Abb. 4: Schrägluftbild einer Bruchschilf-Fläche im Schilfgürtel © Erwin Nemeth

Abb. 5: Saugboot in Aktion © Gemeinde Illmitz

Abb. 6: Übersicht über die räumliche Verteilung der Schlammmächtigkeiten. © ArcGIS Map Service

Abb. 7: Niedriger Grundwasserpegel © Alois Lang

Abb. 8: „Wasserlandschaft“ zwischen Neusiedler See, Waasen und Raab mit Überschwemmungsgebieten um 1830 © Archiv des MBFSZ Budapest

Abb. 9: Rückhalteflächen © Archiv Nationalpark / Medialand

Abb. 10: Purbach, Katasterplan von 1875 © Burgenländisches Landesarchiv

Abb. 11: Überkopfbewässerung von Maispflanzen © Archiv Nationalpark / Alois Lang

Abb. 12: Bio-Kichererbse in Reihenkultur am Seehof Donnerskirchen © Bio Austria Burgenland

Abb. 13: Begrünter Weingarten mit Tröpfchenbewässerung © Frank Schindler

Abb. 14: Luftmitteltemperatur in der Wachstumsphase © Frank Schindler

Abb. 15: Der schilffreie Strand von Podersdorf (undatiert) © Burgenländische Heimatblätter 79 0087-1003

Abb. 16: Radfahren als Ganzjahresaktivität © Archiv Nationalpark

Abb. 17: Graurinder bei Pflegemaßnahmen © Archiv Nationalpark / Doris Wegleitner

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