M. Fastabend/T. Schäfers/M. Albert/B. Schücker/N. Doering · Fugenlose und fugenreduzierte Bauweise – Optimierung im Hochbau
lierten Rissbildung infolge Zwangbeanspruchung. Der Zwang wird insbesondere in den Festhaltungen der vertikalen Gebäudetragwerke wie Wände, Kerne und Unterstützungen gesehen, die bei Verkürzungen aus der Konstruktion wie Ankerelemente wirken. Die im Brückenbau probaten Mittel des Zwangabbaus durch angepasste Lager sind in Hochbaukonstruktionen nicht oder nur mit großen Aufwendungen und Risiken in der Ausführung möglich. Die mancherorts erteilte Empfehlung von „Schwindgassen“ zum Abbau der klassischen Konstruktionsverkürzung scheitert in der Regel an der Bauausführung, da Betoniertakte und Betonierreihenfolge sich nach baubetrieblichen und nicht nach konstruktiven Gesichtspunkten richten. Sie haben demzufolge eher einen historischen Charakter [8]. Für die zeitgemäße Entwurfspraxis des Stahlbetonbaus ist es von größerer Relevanz, die einzelnen Aspekte der Zwangbeanspruchung von Hochbauten zu erkennen. Hierbei wird die Schwindund Temperaturbeanspruchung aus meteorologischen und materialspezifischen Einwirkungen betrachtet. Der Katastrophenlastfall Temperaturen aus Brandereignissen ist gesonderten Überlegungen zu unterwerfen. Des Weiteren ist zu untersuchen, wie sich die unterschiedlichen zwangerzeugenden Phänomene zeitlich über die Bauzeit verteilen und welche Auswirkungen auf das Bauwerksverhalten zu erwarten sind.
2.2 Zwang im frühen Bauwerksalter Die bekannte Bauteilverkürzung von frisch betonierten Elementen infolge des Abfließens der Hydratationswärme ist nur bei Bodenplatten und aufstehenden Wänden mit relevanten Zwangschnittkräften verbunden. Bei Bodenplatten sind infolge der massigen Abmessungen erhöhte Wärmeentwicklungen während des Abbindeprozesses zu erwarten, die in der Regel durch Gleitbehinderung auf dem Gründungsmedium selbst bei abschnittsweiser Betonage zu signifikanten und risserzeugenden
Bild 2. Zwang und Rissbildung in frühem Betonalter infolge Abfließen der Hydrationswärme (aus [9]) Fig. 2. Unforced interaction and crack formation in early concrete age due to discharge of hydration heat (taken from [9])
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Beton- und Stahlbetonbau 107 (2012), Heft 4
Zugspannungen führen (Bild 2 [9]). Auch wenn ausgedehnte Wände mit geringeren Bauteildicken als Bodenplatten eine deutlich niedrigere Hydratationswärme entwickeln, so sind doch deren Festhaltungen durch Fundamente oder bereits fertiggestellte Bodenplatten so starr, dass auch hier Rissbildungen wahrscheinlich werden. In beiden Fällen sind Bewehrungen zur Begrenzung der Rissbreiten im jungen Betonalter zu berechnen und einzulegen. Bei Deckenplatten treten diese Verformungsbehinderungen in der Frühphase der Bauwerkserrichtung weniger ausgeprägt auf, da einerseits die Bauteilabmessungen deutlich geringer als bei Wänden oder auch Bodenplatten ausfallen und andererseits die Schalung keinen entscheidenden Verformungswiderstand liefert. Letztlich darf auch angenommen werden, dass Deckenplatten bei den hier diskutierten ausgedehnten Gebäuden in mehreren Abschnitten hergestellt werden und dadurch die jeweiligen Teilverkürzungen eher gering ausfallen. Demzufolge ist die Zwangbeanspruchung im frühen Bauwerksalter für Deckenplatten von untergeordneter Bedeutung für die Beurteilung der Notwendigkeit von Bauwerksfugen.
2.3 Zwang infolge Schwindverkürzung Mit der Trocknung des Betons ist eine Volumenabnahme verbunden, die sich bei flächigen Bauteilen im Wesentlichen als Verkürzung darstellt. Da der Beton in feuchter Umgebung oder im Wasser in seinen benetzten Randzonen Feuchtigkeit aufnimmt und sein Volumen vergrößert, kann bei WU-Konstruktionen oder Bauteilen im feuchten Erdreich die Schwindverkürzung vernachlässigt werden. Schwinden bei Betonbauteilen führt folglich nur in trockener Umgebung zu Zwangbeanspruchungen bei behinderter Verformung. Der Umfang der Schwindverkürzung von Beton ist im Wesentlichen abhängig vom Zementgehalt, dem zugegebenen Anmachwasser und bis zu einer Grenze von ca. 0,55 vom Wasserzementwert. Der Prozess der Schwindverkürzung verläuft sehr langsam, sodass die
Bild 3. Endschwindmaße in Abhängigkeit vom Betonalter (nach [11]) Fig. 3. Final degree of shrinkage depending on concrete age (according to [11])