Stahlbau 01/2012 free sample copy

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H. Moldenhauer · Die Visualisierung des Kraftflusses in Stahlbaukonstruktionen

approximativ längs der Hauptspannungslinien. Das gezeigte Beispiel beschränkte sich auf die Darstellung des Kraftflusses in x-Richtung. Der Kraftfluss in y-Richtung existiert ebenso und wird durch Kraftvektoren fy = [τyx σyy] definiert. Da das vorliegende Problem ausschließlich durch eine externe Belastung in x-Richtung charakterisiert ist, bringt die Visualisierung des yKraftflusses wenig. Es handelt sich dabei um kreisartig geschlossene Kurven, s. z. B. [3].

Bild 1. Scheibe mit Loch unter horizontaler Beanspruchung, Symmetrie bez. x = 0, a) Normalspannungen σxx überlagert mit x-Kraftflusslinien (weiß), b) Detailplot, jetzt zusätzlich mit den Kraftflussvektoren fx aus Gl. (1) Fig. 1. Disc with hole under horizontal loading, symmetrical with respect to x = 0, a) normal stresses σxx superimposed with x-load path (white), b) detail with added load path vectors from eq. (1)

Bild 2. Definition des Kraftflussvektors fx Fig. 2. Definition of load path vector fx

induzierte Schubspannungen hervorgerufen und bewirkt eine Verdichtung der Kraftflusslinien um das 3-fache an der 6- bzw. 12-Uhr-Position des Kreisloches in Bild 1a. Der Nutzen kann nun wie folgt zusammengefasst werden: – Die mehr oder weniger intuitiven Kraftflüsse aus Lehrbüchern des Stahl- und Maschinenbaus können nun quantifiziert und auf eine solide Basis gestellt werden. Kraftflüsse verlaufen zwischen dem Ort der Krafteinleitung und dem Ort des reaktiven Lagers. Lastfreie Ränder werden von den Kraftlinien nur tangiert. Kraftflüsse sind dann optimal, wenn sie möglichst direkt ohne Umwege zwischen diesen beiden Orten verlaufen, insofern ist eine Beurteilung über die Güte der Struktur leicht möglich. – Ineffektive Strukturbereiche sind oft durch Rückströmungen identifizierbar (Bild 1b). Solche Bereiche tragen zum Kraftfluss nichts bei und

können bei einer Strukturoptimierung eingespart werden. – Der Aufwand für die Visualisierung der Kraftflusslinien ist sehr gering. Finite-Elemente-Programme liefern standardmäßig die Spannungskomponenten, die Vektoren entsprechend der Gl. (1) sind damit leicht bereitzustellen. Die Verbindung dieser Vektoren zu Kraftflusslinien ist zwar nicht trivial, in kommerziellen Grafikpaketen wie Tecplot jedoch ohne Einschränkung als Standardoption realisiert. Der Einsatz einer Spezialsoftware ist an keiner Stelle erforderlich. Über den allgemeinen Nutzen hinaus bestehen für einige Fachrichtungen noch weitere Verwendungsmöglichkeiten: – Leichtbau: Dort soll die Platzierung von Verstärkungselementen (z. B. Rippen, Sicken) dem Kraftfluss folgen. – FVK: Speziell sind Faserverbundkonstruktionen besonders dann erfolgreich, wenn der Faserverlauf der örtlichen Beanspruchung folgt, wie sie durch den Kraftfluss assoziiert wird. – Stahlbetonbau: Prinzipiell ist eine Bewehrung entlang der Kraftflusslinien empfehlenswert, zumindest ergeben sich aus diesen Hinweise für eine effektive Armierung. Ähnliches wurde in [2] argumentiert, dort jedoch erfolgte die Bewehrung

2 Theorie 2.1 Ursprüngliche Definition des Kraftflusses Eng verwandt mit den Kraftflüssen sind Kraftfelder [2], wobei letztere sich aus dem Trajektorienbild der Hauptspannungen ergeben. Die grafische Aneinanderreihung von Hauptspannungsrichtungen führt zu anschaulichen Hauptspannungslinien, die manche Autoren als Ersatz für einen Kraftfluss nehmen. Die Bestimmung der Kraftflussrichtung ähnelt dem Auffinden einer Hauptspannungsrichtung. Diese ergibt sich bekanntlich aus einer Spannungstransformation in ein Hauptsystem, das dem Kriterium der Schubspannungsfreiheit genügt. Da die Spannungen von Ort zu Ort variieren, verändert sich gleichermaßen auch die gesuchte (schubspannungsfreie) Richtung. Kelly [4] hat dieses Kriterium nun so abgeändert, dass bei einer bestimmten Transformation des Spannungstensors die x-Komponente des Kraftvektors in globaler xRichtung konstant bleibt. Diese Vorgehensweise soll hier vereinfacht an einem 2D-System skizziert werden. In Bild 3 ist zwischen den zwei gesuchten Kraftflusslinien (blau), die im Allgemeinen gekrümmt sind, eine Mittellinie skizziert, welche an jeder Position durch Spannungen im Globalsystem (x,y) gekennzeichnet ist. Durch eine Transformation der Spannungen auf ein System mit einem Winkel β zur globalen x-Achse werden die globalen Spannungen auf die lokalen Größen σnn und τnt überführt. Die Richtung n steht senkrecht, die Richtung t parallel zur gestrichelten Mittellinie. Wenn der Winkel β so gewählt wird, dass sich die Projektionen von σnn und τnt gerade aufheben, wenn also gilt

Stahlbau 81 (2012), Heft 1

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