Rezensionen Nebel, B.: Christian Gottfried Bandhauer und der Einsturz der Nienburger Saalebrücke am 6. Dezember 1825. Marburg: Selbstverlag 2015. 256 S., zahlr. s/w-Abb., 17 × 20 cm, Softcover. 14,99 €. ISBN 978-3-734-71205-0 Bestellungen: www.bernd-nebel.de
Am 6. Dezember 1825 stürzte die Schrägkabelbrücke über die Saale bei Nienburg durch Überlastung mit einer großen Zahl von Fußgängern ein und 51 Menschen fanden den Tod in der Saale. Damit war das System der Schrägkabelbrücke in Deutschland so diskreditiert, dass die nächsten Schrägkabelbrücken erst 125 Jahre später wieder gebaut wurden, Strömsundbrücke und Düsseldorfer Brückenfamilie. Die Niendorfer Brücke geriet in der deutschen Fachliteratur in Vergessenheit, von einigen Dissertationen und Einzelveröffentlichungen abgesehen. Diese Lücke in der deutschen Literatur ist jetzt durch das verdienstvolle Buch von Bernd Nebel geschlossen worden. Er wurde 1961 geboren, studierte Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Gießen und arbeitet heute im Umweltschutz. Er betreibt eine Homepage zur Brückengeschichte unter www.bernd- nebel.de mit vielen interessanten Brücken und Brückeningenieuren. Das Buch gliedert sich in zwei Teile: eine erschöpfende Biographie Bandhauers und die Schilderung des Brückenentwurfs und ihres Einsturzes. Bandhauer wurde 1791 in Köthen in einfachen Verhältnissen geboren. Nach einer Lehre als Zimmermann und ausgiebiger Wanderschaft durch ganz Deutschland studierte er ab 1814 in Düsseldorf und wurde schließlich in Köthen 1824 Baurat im Herzogtum AnhaltKöthen, obwohl er die zweite Staatsprüfung nicht abgelegt hatte. Unter seiner Leitung entstanden ökonomische Zweckbauten, die seinen guten Ruf als Baumeister begründeten. Zwei Unglücksfälle, an denen er keine Schuld hatte, zerstörten dann sein Renommee und er starb ohne Anerkennung seiner Leistungen 1837. Die Zahl der im Buch angeführten Quellen ist beeindruckend und zeugt von der intensiven Beschäfti-
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gung des Autors mit der Materie. Im Literaturverzeichnis sind nur die häufig zitierten Quellen aufgeführt, zusätzlich sind fast auf jeder Seite mehrere weitere Literaturstellen genannt. Ein Beispiel sind die Krankenakten von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, der Bandhauer ab 1822 behandelt hatte. Man vermutet hinter dieser Fleissarbeit eher einen Geisteswissenschaftler als einen Bauingenieur. Der Brückenentwurf hatte folgende Aufgabenstellung. Um von der bisher benutzten Fähre unabhängig zu werden, sollte eine Brücke über die Saale gebaut werden. Eine übliche steinerne Bogenbrücke wäre viel zu teuer für die finanziellen Möglichkeiten des kleinen Herzogtums geworden. Die Brücke sollte auch die Durchfahrt von Segelschiffen mit hohen Masten ermöglichen. Bandhauer kam dadurch auf den Entwurf einer Schrägkabelbrücke mit geringem Materialverbrauch und geringeren Kosten. Die zwei Hälften einer symmetrischen Schrägkabelbrücke sind jeweils für sich standfest und erlauben eine Klappbrücke in der Mitte als Durchfahrtsöffnung. Diese Art der Konstruktion ist einmalig und bis heute nicht wiederholt worden. Die Schrägkabelbrücke mit einer Hauptspannweite von 82 m besteht aus zwei Hälften mit jeweils fünf Vorwärtsund drei Rückhaltekabeln in zwei Ebenen, die an zwei Pylonen aufgehängt sind. Der Brückenbalken besteht aus hölzernen Haupt-und Querträgern mit einer Breite von 7,6 m. Der Kraftfluss entspricht in etwa dem einer modernen Schrägkabelbrücke. Die Schrägkabel bestehen aus Doppelstangen, die mit den Einzelstangen an der Verankerung über Schubzähne verbunden werden, deren Abtriebskräfte von Ringen aufgenommen werden. Diese Einzelstangen werden außen an den Querträgern mit Bandeisen angeschlossen. Die Saalebrücke ist in mehrerer Hinsicht einmalig: –– längste und breiteste VorläuferSchrägkabelbrücke –– erste mit fächerförmiger Anordnung der Vorwärts- und Rückwärtsabspannungen –– erste für volle Verkehrslasten (schwere Pferdewagen mit ca. 10 t Gewicht) –– erste mit einer Klappbrücke in der Mitte Die Zugstangen aus Schmiedeeisen zeigten von Beginn an mangelnde Qualität. Sie wurden auf einer von Bandhauer entwickelten Zugmaschine einzeln geprüft. Dabei erreichten 40 % nicht die Solltragfähigkeit und mussten nachgeschmiedet werden. Nach der verzögerten Fertigstellung wurde die Brücke
mehreren Probebelastungen unterworfen, zuletzt im August 1825, als ein mit 6 t beladener Wagen gezogen von 10 Pferden über die Brücke gefahren wurde, Gesamtgewicht ca. 10 t. Die Brücke wurde daraufhin eröffnet und diente bis zum Dezember 1825 dem normalen Verkehr ohne Beanstandungen. Am 5. Dezember besuchte der Herzog von Anhalt-Köthen Nienburg. Zu seinen Ehren wurde ein Fackelzug auf der Brücke angeordnet, gegen den Bandhauer protestierte und an dem er auch nicht teilnahm. Es hielten sich ca. 300 Personen auf der einen Brückenhälfte auf, die auch noch von den Ordnern auf eine Seite gedrängt wurden. Es waren also ca. 300 Personen auf etwa einem Viertel der Brücke. Die Brücke war damit völlig überlastet. Als dann noch einige übermütige jugendliche Besucher versuchen, die Brücke im Takt des Gesangs „Heil dir, o Ferdinand“ in Schwingungen zu versetzen, versagte das erste Kabel und im Reissverschlussverfahren versagten die nächsten des überlasteten Brückenviertels. Daraufhin brach die Südhälfte der Brücke zusammen und 51 Menschen fanden den Tod im Dunkeln in der eiskalten Saale. Die Untersuchung der gebrochenen Zugstangen ergab, dass das Schmiedeeisen Fehlstellen, ein ungleichförmiges Gefüge und Luftblasen sowie Schlackeneinschlüsse enthielt. An einigen Bruchstellen waren Farbreste zu erkennen, die in den Querschnitt eingedrungen waren, als man Fehlstellen zu verdecken suchte. Die mangelnde Qualität des Schmiedeeisens zusammen mit der Überlastung bildete wohl den Grund für den Brückeneinsturz. Bandhauer wurde beschuldigt, an dem Einsturz Schuld zu sein, weil sein Entwurfskonzept mangelhaft war. Bandhauer wehrte sich mit der Veröffentlichung all seiner technischen Unterlagen. Eine Untersuchung der stehengebliebenen nördlichen Brückenhälfte ergab keine Schwachstellen. Bandhauer wurde daraufhin im Mai 1829 von allen Vorwürfen freigesprochen. Der amerikanische Brückeningenieur Dr. Charles Birnstiel veröffentlichte 2005 eingehende Untersuchungen über die Einsturzursache [1]. Er stellt fest, dass Bandhauer eine zu hohe Annahme für die Festigkeit der Zugglieder machte; er entnahm die Zugfestigkeit dem bekannten Statik-Buch von Eytelwein [2], die auf Versuchen mit Teststäben von nur 2 mm2 beruhte, während die Zugstäbe Durchmesser von 24 bis 48 mm hatten. Durch diese Abmessungsvergrößerung hatten die Zugstäbe nur eine Festigkeit von höchstens 70 % der angenommenen. Als Widerstandswert für das Schmiedeeisen nahm er R = 2 an.