Beton- und Stahlbetonbau 5/2012

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W. Ramm · Über die Anfänge des Eisenbetonbaus in Deutschland und die Pioniere der ersten Jahre

Deutschland die Idee hatten und verwirklichten, eiserne Stäbe oder Draht in Beton oder Mörtel einzubetten. Der erste war wohl Joseph Louis Lambot (1814–1887), der schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts in Südfrankreich begann, Boote aus mit einem Netz aus Stäben oder Drähten bewehrten Zementmörtel oder Beton herzustellen. 1855 erhielt er in Frankreich, England und Belgien für den von ihm sogenannten „ferciment“ Patente, die auch andere dünnwandige Gegenstände wie Blumenkübel und kleine Wasserbehälter einschlossen. François Coignet (1814–1888) beschäftigte sich zunächst mit Stampfbeton, den er „béton agglomeré“ nannte. Schon 1854 erhielt er aber in England ein Patent über eisenbewehrte Betondecken, und ein Jahr später auch in Frankreich. Bild 7 zeigt Darstellungen aus seinem englischen Patent, worin sich bereits recht modern wirkende Bauteil- und Bewehrungsformen finden. Ebenfalls in Frankreich begann in der gleichen Zeit der Gärtner Joseph Monier (1823–1906) (Bild 8) Pflanzkübel aus mit Drahtnetzen bewehrtem Zementmörtel oder Beton zu fertigen. Rein empirisch und wohl ohne tieferen Einblick in die Wirkungsweise des Verbundbaustoffs dehnte er seine Idee auf zahlreiche weitere Anwendungsformen aus, die er sich fortlaufend von 1867–1891 mit einer Serie von Patenten schützen ließ. In seinem ersten Patent von 1867 (Bild 9) beschreibt Monier, wie er zur Herstellung von transportablen Kästen und Behältern ein Netz aus Eisenstäben und Eisendraht in der beabsichtigten Form fertigt und dieses mit „ciment“ überstreicht. Hierzu ist anzumerken, dass die Begriffe Zement, Mörtel und Beton in dieser frühen Zeit noch nicht klar gegeneinander abgegrenzt waren und vielfach synonym verwendet wurden. Jedenfalls hat Monier seine ersten Produkte nicht in einer Schalung hergestellt, sondern ein formgebendes Bewehrungsnetz mit Zementmörtel umgeben. Auch als Monier 1881 vom Kaiserlichen Patentamt in Berlin ein Patent für ganz Deutschland erhielt, trug dieses noch einen entsprechenden Titel: „Verfahren zur Herstellung von Gegenständen verschiedener Art aus einer Verbindung von Metallgerippen mit Zement“ (Bild 10). Hierin

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Beton- und Stahlbetonbau 107 (2012), Heft 5

Bild 7. Zeichnungen aus dem englischen Patent von François Coignet aus dem Jahre 1854, [8].

Auch außerhalb von Frankreich kamen Einzelne auf den Gedanken, Beton zu bewehren. So meldete in Großbritannien 1854 ein Gipsermeister und Bauunternehmer aus Newcastle upon Tyne namens William Boutland Wilkinson (1819–1902) ein Patent für feuerfeste Betondecken an, die er mit Drahtseilen bewehrte. Schließlich ist auch Thaddens Hyatt (1816–1901), ein amerikanischer Rechtsanwalt, mit seinen systematischen Experimenten und Überlegungen zu erwähnen. 1877 veröffentlichte er einen Aufsatz über bewehrten Beton und wurde in England zu einem Wegbereiter des Eisenbetons.

Bild 8. Joseph Monier um 1873, [9].

heißt es allerdings: „Nach diesem Verfahren werden Gefäße aller Art aus mit Zement umgossenen Metallgerippen herstellt, …“, was natürlich nur in einer Schalung geschehen konnte. Josef Monier versuchte, seine Entwicklungen nicht nur durch seine zahlreichen Patente, sondern auch durch die Teilnahme an Ausstellungen und Demonstrationsbauten international zu vermarkten, und wurde so zum Auslöser für den Beginn des Eisenbetons in Deutschland.

2 Der Beginn in Deutschland: Erwerb der Nutzungsrechte an Moniers deutschem Patent durch Conrad Freytag Moniers Patent von 1881 blieb einige Jahre in Deutschland unbeachtet, was möglicherweise an dem schon erwähnten und nicht sehr aussagekräftigen Titel lag. Doch dann erhielt Monier in Paris 1984 Besuch von zwei – wie wir heute sagen würden – mittelständischen Unternehmern, die mit ihm über die Nutzung seines Patents verhandeln wollten. Wer waren diese beiden, und wie kam es zu ihrem Anliegen? Der eine von beiden war ein junger Geschäftsmann von 37 Jahren na-


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