G. Motzke: Parkhäuser und Tiefgaragen. Zur rechtlichen Wertigkeit des gleichnamigen Merkblatts des …
die Varianten 2 a und 2 b nicht Ausdruck der anerkannten Regeln der Technik. Schließlich stellt sich für die Problematik die Frage, ob betreiberabhängige Kompensationsmaßnahmen geeignet sind, ein Planungs-Ausführungskonzept mit risikoerhöhenden Wirkungen dennoch als Verwirklichung der anerkannten Regeln der Technik anzusehen. Das ist im Ergebnis jedoch zu verneinen. Das Urteil fällt positiv aus, wenn Kompensationsmaßnahmen stoff- oder konstruktionsbezogener Art sind; ist jedoch negativ, wenn der Umschlag unbestreitbar vorhandener stoff- und/oder konstruktionsbedingter Risikoerhöhungen in einen Mangel/Schaden allein davon abhängt, in welcher Weise ein Betreiber/Nutzer mit dem risikobehafteten Bauwerk umgeht.
5.4.3 Kompensation und anerkannte Regeln der Technik Kompensationsmöglichkeiten sind nicht unbekannt, sie stehen und fallen jedoch damit, dass die andere Leistung als Abweichungstatbestand in gleichem Maße die mit dem Regeltatbestand verfolgten Anforderungen erfüllt. Zum Vergleich ist auf Art. 3 Abs. 3 der Musterbauordnung zu verweisen, wonach von den Technischen Baubestimmungen abgewichen werden kann, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die allgemeinen Anforderungen des Absatzes 1 erfüllt werden. Nach der Einleitung zur DIN 1045-1:2008-8 sind Abweichungen von den Anwendungsregeln zulässig, wenn sie mit den Prinzipien übereinstimmen und hinsichtlich der nach der DIN 1045-1 erzielten Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit gleichwertig sind. Dieses Gleichwertigkeitserfordernis erfüllen die Varianten 2 a und 2 b des Merkblatts nicht. Mit dem Gleichwertigkeitserfordernis ist die erweiterte Wartung und Instandsetzung nicht vereinbar. Erfahrungsgemäß werden Wartung und Instandhaltung in der Praxis viel zu nachlässig wahrgenommen. Deren Bedeutung für die dauerhafte Sicherung der Gebrauchstauglichkeit und die Erhaltung der Lebensdauer ist in der Realität nicht ausreichend verankert. Das gilt auch, wenn Wartungs- und Instandhaltungspläne erstellt worden sind. Der Umstand, dass das Merkblatt auf Seite 48 für alle Varianten in den ersten fünf Jahren nach der Herstellung eine jährliche Inspektion auf Risse und Fehlstellen vorsieht, ändert daran nichts. Denn entscheidend ist, dass nach Ablauf dieser Zeit die Varianten 2 a und 2 b tauglichkeitserhaltend davon abhängig sind, dass weiter je Jahr über die gesamte Nutzungsdauer einmal oder gar zweimal Inspektionen vorzunehmen sind. Bei den Varianten 1 a, 1 b und 3 wird als übliche Mindestinstandhaltungsmaßnahme eine Inspektion alle drei Jahre angesehen [1].36
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Folgen für die Planung und Beurteilung
Als Ergebnis ist demnach festzuhalten: Die Varianten 2 a und 2 b des Merkblatts entsprechen nicht den anerkannten Regeln der Technik. Ist ein Parkhaus/eine Tiefgarage nach diesen Varianten gebaut worden, sind die anerkannten Regeln der Technik verfehlt worden. Ein solches Bauwerk entspricht nicht der gewöhnlichen Verwendungseignung und weist nicht die Beschaffenheiten auf, die ein vergleichbares Bauwerk üblich aufweist und die ein Besteller erwarten kann. Folgen für Planer: Der Planer hat in den Leistungsphasen 1 und 2 den Auftraggeber über die verschiedenen Realisierungsmöglichkeiten aufzuklären und eine Festlegung des Auftraggebers herbeizuführen, welche Variante nach dem Merkblatt verwirklicht werden soll. Das ist zu dokumentieren. Entscheidet sich der Auftraggeber für eine der Varianten 2 a oder 2 b, ist der Auftraggeber darüber aufzuklären, dass damit die anerkannten Regeln der Technik verfehlt werden. Der Auftraggeber ist über den erweiterten Wartungs- und Instandhaltungsbedarf aufzuklären. Der Planer ist angehalten, einen Wartungs- und Instandhaltungsplan zu erstellen; der Planer hat den Auftraggeber darauf aufmerksam zu machen, ihn damit auch tatsächlich zu beauftragen. Erstellungsplanung und Wartungs-/Instandhaltungsplanung sind eine Einheit. Folgen für den Unternehmer: Erhält der Unternehmer Ausführungspläne, denen die Varianten 2 a und 2 b zugrunde liegen, sind gegen die Art und Weise der Ausführung Bedenken anzumelden. Folgen für den Sachverständigen: Hat ein Sachverständiger ein Parkbauwerk zu begutachten, das nach der Variante 2 a oder 2 b geplant und ausgeführt worden ist, darf die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik nicht damit bejaht werden, dass die Merkblattanforderungen eingehalten worden sind. Denn diese Varianten entsprechen gerade nicht den anerkannten Regeln der Technik. Mängel können seitens des Auftraggebers bei Umsetzung dieser Varianten nur dann nicht abgeleitet werden, wenn der Auftraggeber auf die Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik hingewiesen und auf den erweiterten Wartungs- und Instandhaltungsbedarf beweiskräftig aufmerksam gemacht worden ist. Der Planer muss dem Auftraggeber einen solchen Wartungs- und Instandhaltungsplan buchstäblich in die Hand drücken. Der Sachverständige sollte sich im Rahmen der Erfüllung seines Gutachtensauftrags kundig machen, ob dem Auftraggeber ein solcher Plan ausgehändigt worden ist.
Literatur [1] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V.: DBV Merkblatt „Parkhäuser und Tiefgaragen“. 2. überarbeitete Auflage September 2010. [2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton e.V. (DAfStb): Erläuterungen zu DIN 1045-1. DAfStb-Heft 525, Berlin: Beuth-Verlag, 2. überarbeitete Auflage 2010. 588
Beton- und Stahlbetonbau 107 (2012), Heft 9
[3] SCHÖPPEL, K.; STENZEL, G.: Konstruktionsregeln für Parkbauten in Betonbauweise. Beton- und Stahlbetonbau 107, (2012), Heft 5, S. 302–317. 1
OLG Stuttgart BauR 1977, 129; OLG Hamm NJW-RR 1995, 17; vgl. auch BGH BauR 1998, 972.