Bautechnik Issue 1_2012 free sample copy

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rechnet werden, dass die Zugkraftdeckung nicht vollständig sichergestellt ist. Aus um 45° aufgebogenen Längseisen ergibt sich allerdings bei voller Schubdeckung (45°Fachwerk) das Versatzmaß Null, sodass nur aus dem auf die Bügel entfallenden Querkraftanteil Defizite möglich sind. In der Praxis resultieren hieraus keine Probleme, wenn ohnehin ein Teil der Längsbewehrung bis auf das Auflager geführt wurde. Mit Einführung des EC 2 [3] darf der Betonstahl auch innerhalb seiner Verankerungslänge anteilig ausgenutzt werden, was etwaige Unterdeckungsraten zusätzlich reduziert.

Verankerung am Endauflager In den ersten Normausgaben waren keine Angaben zur Mindestbewehrungsmenge, die auf das Auflager zu führen war, enthalten, währenddessen in der Fachliteratur diesbezüglich Hinweise angegeben wurden. Nach KERSTEN [46] durften bei Balken höchstens so viele Stäbe abgebogen werden, dass noch zwei je Bauteil zum Auflager durchgeführt werden konnten. Gemäß den Zulassungen musste bei Betonrippenstahl ab 1954, falls kein Nachweis der Haftspannungen geführt wurde, bei geradem Stabende ein Drittel der Feldbewehrung hinter der rechnerischen Auflagerlinie verankert werden. Dabei war eine Verankerungslänge von 6 ds bei gutem Verbund und 12 ds bei mäßigem Verbund einzuhalten. Seit Einführung der Normausgabe 1972 [19] muss die zusätzliche Zugkraft aus dem Versatzmaß am Auflager verankert werden, und es sind mindestens 33 % der Biegezugbewehrung auf das Auflager zu führen. Mit Einführung von DIN 1045-1:2001 [25] wurde die auf das Auflager zu führende Bewehrungsmenge auf 25 % reduziert. Bei einer direkten Lagerung besteht seit der Normausgabe von 1972 [23] zudem die Möglichkeit, die Verankerungslänge auf 2/3 abzumindern. Im nationalen Anhang zu EC 2 [3] (Abschn. 9.2.1.4(2)) wird der Nachweis der Stahlzugkraft gemäß Gl. (4) am Endauflager gefordert, wobei immer eine Mindeststahlzugkraft von Fsd = Ved/2

Gl. (5)

nachzuweisen ist. Ursächlich hierfür ist, dass sich im Diskontinuitätsbereich am Auflager eines parallelgurtigen Trägers steilere Druckstreben einstellen als im Gültigkeitsbereich der Biegelehre angetroffen werden. Mit Gl. (5) wird

Bild 12 Stabwerkmodell für das Endauflager [47] Strut and tie model for the end support [47]

der Druckstrebeneigungswinkel für die Nachweisführung jedoch auf Werte unter θA = 63,4° begrenzt, vgl. Bild 12. Dies hat bei vor 1978 erstellten Bestandsbauteilen zur Folge, dass die Nachweise zur Endverankerung der Längsbewehrung nach EC 2 [3] oftmals nicht erfolgreich geführt werden können. Bei der Verankerung von glatten Stählen mit Endhaken der Sorte BSt 220/340 (I) darf aufgrund umfangreicher Verankerungsversuche jedoch eine ausreichende Verankerung am Endauflager erwartet werden [43], sofern die Biegebemessung gelingt. Hinsichtlich der Verankerung kann somit von einer ausreichenden Tragfähigkeit der Betonglattstähle ausgegangen werden. Bei einer Ausführung mit Betonrippenstählen können beim Nachweis der Verankerung am Endauflager Nachweisprobleme auftreten, da der Nachweis der Endverankerung mit Einführung der Normausgabe 1972 [19] und insbesondere 1978 [21], im Vergleich zu den Regelungen in den Zulassungen für Betonrippenstahl, verschärft wurde.

Querkraft In den vorläufigen Leitsätzen von 1904 [4] wurde der Wert für die zulässige Schubspannung des Betonquerschnittes pauschal auf 4,5 kg/cm2 (≈ 0,45 N/mm2) festgelegt. Nur die darüber hinausgehende rechnerische Spannung im Querschnitt war durch Aufbiegungen abzudecken und in der Druckzone zu verankern. Dabei wurde die Betondruckstrebe immer unter 45° angenommen. Dieses Bemessungsmodell hat zur Folge, dass Balkenbereiche ganz ohne Querkraftbewehrung ausgeführt werden konnten und dass sich in anderen Balkenbereichen ein nur sehr geringer Querkraft-Bewehrungsgrad ergab. Mit den Bestimmungen des DAfEb von 1916 [6] wurde dieses Defizit reduziert. Dort wurde gefordert, dass in den Bereichen mit einer Überschreitung der zulässigen Betonschubspannung von 4 kg/cm2 (≈ 0,4 N/mm2) die vollständigen Schubspannungen des Querschnitts mit Stahleinlagen abzudecken sind. Die Obergrenze für die Schubspannung des Gesamtquerschnittes wurde bei 14 kg/cm2 (≈ 1,4 N/mm2) festgelegt, und als Schubbewehrung durften Bügel, Aufbiegungen der Längsbewehrung oder eine Kombination von beidem eingesetzt werden. In der Praxis wurde ein Großteil der Querkraftbewehrung durch das Aufbiegen der Zugbewehrung um 45° hin zum Auflager ausgeführt und lediglich ein kleiner Teil durch zusätzliche Bügel abgedeckt. Im Vergleich zu den Leitsätzen von 1904 [4] wurde mit Einführung der Bestimmungen des DAfEb 1916 [6] somit eine Obergrenze der Spannungen infolge Querkraft im Querschnitt festgelegt, bei deren Überschreitung die Querschnittsabmessungen zu erhöhen waren. Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Regelwerken besteht darin, dass 1904 [4] nur die über den für Beton bestehenden Grenzwert hinausgehenden Spannungen mit Bewehrung abzudecken waren, während ab 1916 [6] bei einer Überschreitung des für Beton festgelegten Grenzwertes Bautechnik 89 (2012), Heft 1

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FACHTHEMA ARTICLE

F. Stauder, M. Wolbring, J. Schnell: Bewehrungs- und Konstruktionsregeln des Stahlbetonbaus im Wandel der Zeit


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