Elbphilharmonie Magazin – Live! | 3 / 2020

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umgehört

OHNE PUBLIKUM Ohne den anderen geht es auf keinen Fall, mit ihm aber auch nicht immer reibungslos: Was denken Musiker über ihr Verhältnis zu den Menschen, für die sie spielen – ihr Publikum? VON RENSKE STEEN

JAN LARSEN: ZUM TEIL DER SACHEN WERDEN

»Da hatte ich tatsächlich ein bisschen Angst, dass er jetzt womöglich stirbt«, sagt Jan Larsen. Die Situation, von der der Solo-Bratscher des NDR Elbphilharmonie Orchesters erzählt, liegt lange zurück: Günter Wand, bereits weit über 80 Jahre alt, dirigierte Bruckners 9. Sinfonie. Kurz vor dem Finale gipfelt die Musik in einem ohrenbetäubenden Schrei – die Klang gewordene Katastrophe. Im besagten Konzert begann ein Teil des Publikums, genau danach zu klatschen. Ein Schock für den Dirigenten. Hat sich das Publikum damals also falsch verhalten? Nein, so sieht das Jan Larsen auf keinen Fall. Seine Devise: »Der Konzertsaal darf kein Tempel der Elite sein. Ich wünsche mir nur, dass alle Anwesenden grundsätzlich willens sind, sich zu einem Teil der Sache zu machen.« Wer aufmerksam dabei sei, der habe auto­ matisch das richtige Gefühl für die Situation. Das ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man in letzter Sekunde auf den Platz hetzt und dann Schwierigkeiten hat, im Geschehen anzukommen. Den Musikerinnen und Musikern gehe es ja auch nicht anders, deshalb nehmen sie sich viel Zeit vor den Konzerten. Und sie haben sich gegenseitig. Das hat Jan Larsen in den letzten Wochen gemerkt, in denen Musizieren vor Publikum nicht möglich war. »Vor Kurzem haben wir ein Kammermusikstück gestreamt und uns dafür extra im Kreis hingesetzt. So konnten wir besser zueinander und füreinander spielen. Man braucht jemanden zum Interagieren.«

JANA KUSS: FRAGILE MOMENTE MIT POTENZIAL

»Oft wird man noch einmal extra animiert – also nicht nur durch sich selbst und durch die Musik, sondern durch die Energie, die im Zusammenspiel von Publikum und Musikern im Raum entsteht.« Jana Kuss freut sich, wenn das passiert, denn die Geigerin des nach ihr benannten Kuss Quartetts weiß, wie fragil Konzertsituationen sein können. Jede noch so kleine Nuance entscheidet über das Gleichgewicht zwischen den Mitgliedern des Streichquartetts; manchmal kann eine einzige Person im Publikum die Aufmerksamkeit in eine ungewollte Richtung lenken. Aber wenn alles passt – was ja doch ­meistens der Fall ist –, dann entstehen die schönsten Konzertmomente. Ein Geständnis muss Kuss allerdings machen: »Ich selbst gehe äußerst ungern ins Konzert. Aber ich bin da sicherlich auch überempfindlich. Mich stört es schon, wenn jemand nicht stillsitzen kann, wenn in den Programmheften hin und her geblättert wird, und überhaupt das Gehuste – da leide ich wirklich.« Dann könnte sie vermutlich gut in Japan ins Konzert gehen: Bei ihren Auftritten dort hat die Geigerin nämlich festgestellt, dass die Menschen im Zuschauerraum fast aus der Wahrnehmung der Künstler verschwinden, so leise sind sie. »Umso erstaunlicher und schön, dass sie nach dem Konzert immer sofort zu uns kommen, um uns mitzuteilen, wie gut es ihnen gefallen hat.«

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