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Geschichte
Wien, 21. Dezember 1908: Schönberg im Bösendorfer-Saal
bewegend, mit unfassbar lockeren Händen macht er die Violine vom Instrument zum Medium; seine Töne gehen den Leuten durch Haut und Knochen. Während Heine seinen Eindruck erst viel später publiziert, liest man drei Tage nach dem Konzert in den »Hamburger Nachrichten« ein erstaunliches Geständnis des Rezensenten: Wie Paganini »ganz neue, unerhörte, bis dahin unglaubliche Wagnisse mit der ungezwungensten Leichtigkeit des Spiels beherrscht und übersteigt, wie (…) den bacchantischen Tanz der Tonwellen schneidender Humor, bittere Ironie, gleich electrischen Flämmchen, durchzucken – ich gestehe, dass ich mich zu ohnmächtig fühle, davon durch Darstellung auch nur einen ent fernten Begriff geben zu können.« »NICHT WEITERSINGEN! SCHLUSS!«
Was aber, wenn die Musiker selbst gegen das Neue an spielen? Auch vermeintlich gescheiterte Konzerte können weitreichende Folgen haben. Anton Bruckner, Konser vatoriums-Professor in Wien, 53 Jahre alt, hat den Wiener Philharmonikern seine Dritte Sinfonie vorgelegt; nach einer »Novitäten-Probe« haben sie die Aufführung ab gelehnt. Johann von Herbeck, der Dirigent, setzt sich darüber hinweg und das Werk aufs Programm, stirbt aber sechs Wochen vor der Uraufführung. Bruckner muss sein Stück nun selbst dirigieren. Ein feindseliges Orchester kann auch den größten Dirigenten niedermachen – und
Erstmals verlässt die Musik ganz die Tonalität: »Ich fühle luft von anderem planeten.« Bruckner ist ein schüchterner kleiner Mann. Zudem gehen der Uraufführung am 16. Dezember 1877 noch 90 Minuten eines mediokren bunten Abends voraus. Kein Wunder, dass der Kritikerpapst Eduard Hanslick danach gesteht, er habe die »gigantische Sinfonie nicht verstanden«. Die meisten Zuhörer seien während der Aufführung geflohen, bis auf eine enthusiastische »Fraction des Pu blikums«. Diese Fraktion hat es in sich: Da sind Bruckners genialischer Schüler Hans Rott, 19 Jahre alt, der 36-jährige Musikverleger Theodor Rättig, der 17-jährige Konserva toriumsstudent Gustav Mahler. Nach dem Desaster gehen sie zu Bruckner, der fast weint: »Ach, lasst’s mi aus, die Leut’ wollen nix von mir wissen«, wehrt er die jungen Bewunderer ab. Aber die »extra Verehrer und Propagatoren« (Mahler) lassen ihn nicht allein. Rättig überrascht den Verzweifelten mit dem Entschluss, die Partitur zu drucken. Dazu kommt eine Fassung für Klavier zu vier Händen, von Gustav Mahler angefertigt – seine erste Publikation. Bruckner ist begeistert. Ab und zu spendiert er nun seinem jungen Bewunderer mittags ein Bier.