piz Magazin No. 42

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4 Von der Bundespolizei über­ wacht: Reto Delnons Fiche.

5 Delnon-Familienbild. Reto stehend in der hinteren Reihe, Dritter von links. (Familienarchiv)

Hysterie geopfert» lauteten die Titel. Ein neuer Rösti­

den Presse und Vorstand EH-Verband orientiert»,

graben tat sich auf. So sehr, dass der junge Peter Sager

«Vertraulich Dr. Thoma, Präsident des EH-Verbandes,

vom Schweizerischen Ost-Institut, wahrhaft ein ge­

orientiert» usw.

eichter Antikommunist, aus Sorge um ein Auseinan­ derfallen der Schweiz zur Besonnenheit aufrief.

Der Staatsschutz zog die Fäden

Zurück im Engadin Für die Politpolizei war der «Abschuss» von Delnon ein grosser Erfolg. Auf dessen Fiche prangte nun – wie

Zufrieden mit Delnons Abschuss war ein anderer

auf der Fiche seines Vaters – das dicke «V», wie «Ver­

Bündner: Bupo-Inspektor Eugen Caviezel, gebürtig

dächtiger», V wie «Verhaftung im Ernstfall». Aller­

von Tomils und beim Schweizer Staatsschutz die Num­

dings mussten die Staatsschützer auch registrieren,

mer drei. Caviezel hatte bereits in der Vergangenheit

dass Delnons Popularität in der Romandie und beson­

für die politische Überwachung von Delnons Vater Gi­

ders in La Chaux-de-Fonds massiv zugenommen

acomo gesorgt, auch mit einem Besuch in Samedan.

hatte – «monté en flèche», so ein Rapport.

Nun elektrisierte ihn der Sohn. Am Morgen der ZK-Sit­

Das änderte nichts daran, dass Delnon seinen Job los

zung schrieb er mit seinem unverwechselbaren blauen

war. Er zog nach Samedan, wo er bei seinem Klassen­

Farbstift auf eine Aktennotiz: «Hoffentlich bringt der

kameraden Rico Venzi, dem Gemüsehändler, als Ma­

[Eishockey-]Verband den Mut auf, Reto Delnon kalt zu

gaziner arbeitete. Da Delnons welsche Frau im Enga­

stellen.» Der Kalte Krieg verlangt Kaltstellungen.

din nicht heimisch wurde, zog die Familie nach einem

Heute sind die Akten der Politpolizei zur Affäre Del­

Jahr zurück in die Romandie. In Samedan war Delnon

non im Bundesarchiv einsehbar. Zusammen mit Ak­

politisch nicht aufgefallen, wie ein eifriger Dorfpoli­

ten, die im ETH-Archiv für Zeitgeschichte liegen, lässt

zist nach Bern meldete. Der Kommunist habe weder

sich ein Netzwerk zwischen EJPD (Generalsekretär Ar­

an kommunalen noch kantonalen noch eidgenössi­

min Riesen), Bundespolizei (1. Adjunkt André

schen Urnengängen teilgenommen.

Amstein, wenige Monate später Chef), Schweizeri­

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schem Aufklärungsdienst SAD (Ernst Mörgeli, später

Nach sechs Jahren von der V-Liste gestrichen

EMD-Pressechef) und «spk.» rekonstruieren.

Zurück im Welschland arbeitete Delnon in Fribourg

Bereits am 4. Januar – dem zweiten Arbeitstag des

bei der Brasserie Beauregard und trainierte den HC Pa­

neuen Nationaltrainers – lag ein Kurzbericht zu Reto

yerne sowie Gottéron-Fribourg. Erst 1967 entliess ihn

Delnon auf dem Tisch der Staatsschützer. Neben den

der Staatsschutz aus dem Spezialregister der Verdäch­

Freundschaftsspielen hatten sie Kontakte zu Ost-Bot­

tigen: «Auf V-Liste Kat. 4 gestrichen. Spez. Reg. Hs.»,

schaften und ein Interview in der «Voix Ouvrière»,

lautet der entsprechende Eintrag.

dem Sprachrohr der welschen Kommunisten, regist­

Die sechs Fichen-Seiten schliessen mit der Notiz, dass

riert. Unter Missachtung nachrichtendienstlicher Re­

Delnon seit 1963 den EHC Gottéron trainiere «und

geln – «keine Spuren hinterlassen, damit alles abstreit­

1965 mit diesem Hockeyclub in der CSSR zu Freund­

bar bleibt» – hielt Amstein Tag für Tag in

schaftsspielen weilte. Er ist in politischer Hinsicht

handschriftlichen Vermerken fest, wen er mit staat­

nicht mehr in Erscheinung getreten. Nichts Nachteili­

lich gesammelten Informationen bediente: Herrn

ges bekannt.» – Reto Delnon starb 1983 im Alter von

Dr. Riesen und Dr. Steiner (Fremdenpolizei) «zuhan­

59 Jahren an einem Nierenleiden in Fribourg.

piz 42 : Winter | Inviern 2011/2012


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