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4 Von der Bundespolizei über wacht: Reto Delnons Fiche.
5 Delnon-Familienbild. Reto stehend in der hinteren Reihe, Dritter von links. (Familienarchiv)
Hysterie geopfert» lauteten die Titel. Ein neuer Rösti
den Presse und Vorstand EH-Verband orientiert»,
graben tat sich auf. So sehr, dass der junge Peter Sager
«Vertraulich Dr. Thoma, Präsident des EH-Verbandes,
vom Schweizerischen Ost-Institut, wahrhaft ein ge
orientiert» usw.
eichter Antikommunist, aus Sorge um ein Auseinan derfallen der Schweiz zur Besonnenheit aufrief.
Der Staatsschutz zog die Fäden
Zurück im Engadin Für die Politpolizei war der «Abschuss» von Delnon ein grosser Erfolg. Auf dessen Fiche prangte nun – wie
Zufrieden mit Delnons Abschuss war ein anderer
auf der Fiche seines Vaters – das dicke «V», wie «Ver
Bündner: Bupo-Inspektor Eugen Caviezel, gebürtig
dächtiger», V wie «Verhaftung im Ernstfall». Aller
von Tomils und beim Schweizer Staatsschutz die Num
dings mussten die Staatsschützer auch registrieren,
mer drei. Caviezel hatte bereits in der Vergangenheit
dass Delnons Popularität in der Romandie und beson
für die politische Überwachung von Delnons Vater Gi
ders in La Chaux-de-Fonds massiv zugenommen
acomo gesorgt, auch mit einem Besuch in Samedan.
hatte – «monté en flèche», so ein Rapport.
Nun elektrisierte ihn der Sohn. Am Morgen der ZK-Sit
Das änderte nichts daran, dass Delnon seinen Job los
zung schrieb er mit seinem unverwechselbaren blauen
war. Er zog nach Samedan, wo er bei seinem Klassen
Farbstift auf eine Aktennotiz: «Hoffentlich bringt der
kameraden Rico Venzi, dem Gemüsehändler, als Ma
[Eishockey-]Verband den Mut auf, Reto Delnon kalt zu
gaziner arbeitete. Da Delnons welsche Frau im Enga
stellen.» Der Kalte Krieg verlangt Kaltstellungen.
din nicht heimisch wurde, zog die Familie nach einem
Heute sind die Akten der Politpolizei zur Affäre Del
Jahr zurück in die Romandie. In Samedan war Delnon
non im Bundesarchiv einsehbar. Zusammen mit Ak
politisch nicht aufgefallen, wie ein eifriger Dorfpoli
ten, die im ETH-Archiv für Zeitgeschichte liegen, lässt
zist nach Bern meldete. Der Kommunist habe weder
sich ein Netzwerk zwischen EJPD (Generalsekretär Ar
an kommunalen noch kantonalen noch eidgenössi
min Riesen), Bundespolizei (1. Adjunkt André
schen Urnengängen teilgenommen.
Amstein, wenige Monate später Chef), Schweizeri
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schem Aufklärungsdienst SAD (Ernst Mörgeli, später
Nach sechs Jahren von der V-Liste gestrichen
EMD-Pressechef) und «spk.» rekonstruieren.
Zurück im Welschland arbeitete Delnon in Fribourg
Bereits am 4. Januar – dem zweiten Arbeitstag des
bei der Brasserie Beauregard und trainierte den HC Pa
neuen Nationaltrainers – lag ein Kurzbericht zu Reto
yerne sowie Gottéron-Fribourg. Erst 1967 entliess ihn
Delnon auf dem Tisch der Staatsschützer. Neben den
der Staatsschutz aus dem Spezialregister der Verdäch
Freundschaftsspielen hatten sie Kontakte zu Ost-Bot
tigen: «Auf V-Liste Kat. 4 gestrichen. Spez. Reg. Hs.»,
schaften und ein Interview in der «Voix Ouvrière»,
lautet der entsprechende Eintrag.
dem Sprachrohr der welschen Kommunisten, regist
Die sechs Fichen-Seiten schliessen mit der Notiz, dass
riert. Unter Missachtung nachrichtendienstlicher Re
Delnon seit 1963 den EHC Gottéron trainiere «und
geln – «keine Spuren hinterlassen, damit alles abstreit
1965 mit diesem Hockeyclub in der CSSR zu Freund
bar bleibt» – hielt Amstein Tag für Tag in
schaftsspielen weilte. Er ist in politischer Hinsicht
handschriftlichen Vermerken fest, wen er mit staat
nicht mehr in Erscheinung getreten. Nichts Nachteili
lich gesammelten Informationen bediente: Herrn
ges bekannt.» – Reto Delnon starb 1983 im Alter von
Dr. Riesen und Dr. Steiner (Fremdenpolizei) «zuhan
59 Jahren an einem Nierenleiden in Fribourg.
piz 42 : Winter | Inviern 2011/2012