Mathias Jeschke: Der Fisch ist mein Messer

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DER FISCH IST MEIN MESSER



Mathias Jeschke

DER FISCH IST MEIN MESSER Gedichte



HOMMAGE DES MEERS AN HENRY MOORE

Wer das Alter der Erde erfahren will, sagt Conrad irgendwo, sollte bei Sturm aufs Meer hinausschauen. Ihr Alter oder ihre wahre Beschaffenheit, h채tte er sagen m체ssen. Wa l l a c e S t eg n e r, D i e N a ch t d e s K i e b i t z


LOTSENINSEL

Schleimünde

Nicht schlecht ist an der Küste das Wetter, das Wetter ist schnell. Die Schlei ein Fjord, und schnell auch die Drachenboote, die ihn befuhren. Gunnar am Bug, puhlt in den Zähnen mit einem Stocher vom dreistachligen Stichling. Als erglänzte ein herausgeschnittenes Wikingerherz: Wenn die Windwatten bei Westwind trocken fallen.

Speisekammer

Hier läufst du dir schwerlich die Patten wund. Dein Radius, als wärst du in der Stoßmauser, eine fluglahme Brandgans. Betreibe also Ohrentauchen, Augenwandern. Lies die Insel wie ein Buch mit Gedichten: von vorn und achtern. Wieder zurück. Fang auch in der Mitte an. Ach, große kleine Freiheit!

Hafenmeisterei

Der Wind jagt Schauer über die See. Der Wetterfahnensegler blinkt wie ein Wikingerschatz, auch der silberne Waschtisch. Komm, reich mir deinen Fisch, Hafengeld ist Bringeschuld. Hannes Schlie, Sohn einer Dalbe, sonnig aufgerichtet an der Hafeneinfahrt. Eine Wahrheitsstatue, die Freizeichen sendet.


Wäldchen

Ein Schemen, ein Rauch als eingetragenes Schifffahrtszeichen. Pappelgeschwister, aus einem Stamm geboren, sie wispern und wimmern im Wind: Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Nie wirst du dorthin gelangen. Es bleibt Orplid, Eiland deiner Ahnungslosigkeit. In seinem Wurzelwerk trägt es goldene Eier.

Vogelwarte

Seeadler, Graugans und Hummel. Finken, die der Kartoffelrose den zweiten Frühling bescheren. Nicht zuletzt: Anas penelope, die Pfeifente, tag- und nachtaktiv. (Warum nicht einfach Nein sagen anstelle dieses Theaters: Weben, Aufrippeln, Weben, Auf‑ rippeln?) Da, der Erpel der Eiderente, Pitbull unter den Vögeln.

Giftbude

Die Brandgans legt dem fabelhaften Fuchs die Brut vor die Nase. Der kann nicht, was er will. Es befällt ihn diese Beißhemmung im eigenen Bau. Fast ists ein Rätsel, auch ein Gesellschaftsspiel. Ist der Laden dicht, sind immerhin Fischbrötchen und Lakritz im Gepäck. Probier auch die Gischtkronen, das Kiefernrauschen.

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Strandgut

Winzig-rotbraunes Vögelchen in einer Pfütze, schaukelnd im Wind. Löwin, made in China (zu großer Kopf). Tier im Sprung, aus rostigem Draht geklöppelt. Borstenlose Wurzelbürste. Schild ohne Aufschrift. Ineinander verknäulte Tampen. Der Name Mary, in Holz geschnitzt. Zwei Steine: Taube und Pferd, Hommage des Meers an Henry Moore.

Leuchtturm

Teerschrift auf Steinmauer, sonnenweiche Texturen, zurück‑ gelassene Souvenirs. Und der Bogen, den die Mole beschreibt, eine kühne These angesichts deiner ständigen Verunsicherung. Wäre da nicht diese Weisung von höherer Stelle. Dieses Auf-denWeg-gebracht-Werden. Drift, der du nicht abhanden kommst.

Lotsenhaus

Einsiedelei in einer unbestimmten Anzahl von Stockwerken, kreisrunder Ausblick auf die verwehte See vom Spitzdach aus. Nicht die wallende Quelle, du bist der Glühdraht des Leuchtens. Weisheit von Lo-Tse, dem Meeresbürger: Verlasse das Land, doch verleugne nie deinen Hafen. Dein Hafen ist dein Ernährer.

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Starbucks Du unter deiner Bettdecke ein Wal, der sich durch die Nacht wälzt. Schon kommen sie herbeigeschippert, angeheuert von den Quäkern aus Nantucket, die Harpunen im Anschlag. Die dich piesacken, Absichten und Ausflüchte, die Harpyien des Alleinseins. Du schaffst es wenigstens hierher. Doch sitzt dir das Augenzucken als unfeines Monokel im Gesicht. Nicht wie das ständige, immerhin gewinnende Zwinkern von Clint Eastwood In the Line of Fire. Eher ein nervöses Plinkern, unterer Lidbereich, wie bei einem Börsenmakler. Wenn du aber dort bist, siehst du von Amerika nichts mehr. Ist denn Existenz nicht immer schon eine Akkumulation von Abwesenheiten, wörtlichen Versäumnissen? Starbucks, Errungenschaft jener Stadt am Puget Sound, aus der auch die Segnungen von Boeing, Microsoft, Amazon troffen. Du könntest das Ziel mit dem Flugzeug erreichen. Spreizt dich aus im neuronalen Netz und bleibst dann doch lieber lesend. Spannst in diesem Coffee House ein Buch auf zwischen alter, neuer Welt. Fast wie im richtigen Amerika.

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Granada Der harte Drive aus dem Kassettendeck, die Funkenexplosionen von Snare und Hi, das Kolbenstampfen der Bassdrum treiben den silbernen Wagen über den an Wochenenden geöffneten Schießplatz. Wie ein Raumgleiter geht er über Bodenwellen hinweg, ein Gefühl, als säße Chewbacca neben dir. Die Kurven nimmt er mit der ersten Servolenkung deines Lebens, als führest du an einem funkelnden Sommertag auf dem Balkon mit dem Messer in die weiche Butter. Unterwegs in das Dorf deines Mädchens. Eindrucksvoll steht der Schlitten unter den Eichen, genau richtig in den Hof gequert! Ob Harrison Ford wirklich so gut küssen kann? Dein Mädchen jedenfalls ist dir lieber als die biedere Leia. Du bist noch ganz in ihr Arom gehüllt, als der Sprung geschieht, aus dunklem Dickicht am Rand der Straße. Ein Blitz, das Reh, ein leiser Schlag und dann ein kleines Rumpeln. Da liegt es, das Reh, die Beine gerade und artig zusammengelegt. Es blickt du weißt nicht wohin. Als denke es nach, was zu tun sei, wer es wohl höbe, kostbarer Schatz auf dem Grund dieser Nacht. Erfüllt vom Atem des Mädchens, vom warmen Brummen des Motors. Die Ohren gespitzt wie Meister Yoda.

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