2 minute read

4.1 Das aktuelle (Miss-)Verständnis vom Lebenslangen Lernen

Eine steile These zu Beginn: Das Konzept des Lebenslangen Lernens hat einen eher schlechten Ruf. Viele Arbeitnehmende sehen im Konzept des Lebenslangen Lernens nur ein weiteres Puzzlestück im Optimierungswahn des 21. Jahrhunderts (Riboltis 1995). Entsprechend empfinden viele Berufspersonen den Aufruf zum Lebenslangen Lernen bzw. zur lebenslangen Weiterentwicklung ihres beruflichen Könnens eher als externen Zwang statt als persönliche Wahl: Man lernt nicht, weil man will, sondern weil man muss – denn zahlreich sind sie, die Artikel und Studien, die uns vor Augen halten, dass unsere Ausbildungs- oder Studienabschlüsse keineswegs Garanten dafür sind, dass wir uns in der Arbeitswelt der Zukunft zurechtfinden. Da bleibt uns ja nur das Lebenslange Lernen, denn andernfalls wird man abgehängt. Klar, dass eine solche Vorstellung erst einmal Angst, Verunsicherung und andere negative Gefühle gegenüber «Lernen» oder gegenüber «Weiterentwicklung von Können» hervorruft (Gronemeyer 2013). Diese negativen Gefühle rühren nicht zuletzt daher, dass viele Lebenslanges Lernen mit einem lebenslangen Drücken der Schulbank gleichsetzen. Mitschreiben, Auswendiglernen, Tests bis ans Lebensende? Nein danke! Vielerorts grassiert dennoch die Vorstellung, dass eine kontinuierliche, lebenslange Erweiterung des eigenen Könnens daraus besteht, ein Leben lang Weiterbildungen, Schulungen, Seminare, Kurse und Lehrgänge in formalen Bildungsinstitutionen zu absolvieren. Berufliches Können erweitern durch Anhäufen von Bildungszertifikaten? Bei einem Blick auf den Arbeitsmarkt scheint diese Vorstellung nicht ganz aus der Luft gegriffen: Nicht selten sind es in Bewerbungsverfahren die formalen Qualifikationen, die den Bewerber/innen dabei helfen, die erste Hürde im Bewerbungsverfahren zu nehmen. Dies, weil es oftmals an Möglichkeiten fehlt, das informell erworbene berufliche Können nachvollziehbar zu dokumentieren und sichtbar zu machen

(Wittig & Neumann 2016; Bohlinger 2009). Wenn wir die Erweiterung von beruflichem Können aber als lebenslanges Anhäufen von formalen Zertifikaten verstehen, darf es uns nicht wundern, dass sich die Begeisterung dafür in Grenzen hält. Ist dies im Sinne der Erfinderinnen? Reisen wir einige Jahre zurück – in die 1960er Jahre. Dort wurde das Konzept des Lebenslangen Lernens nämlich erstmals offiziell erwähnt und ins Programm der globalen Bildungspolitik aufgenommen. Das war im Rahmen der UNESCO-Konferenz in Hamburg. Und nun das Interessante: Von Beginn an wurde das Lebenslange Lernen ganz explizit nicht auf formale Bildungsmassnahmen beschränkt. Lesen Sie dazu die folgende Definition:

Lebenslanges bzw. lebensbegleitendes Lernen umfasst alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen

Perspektive erfolgt. Europäische Kommission 2002

Das heisst, zum Lebenslangen Lernen zählt alles, was Sie tun und was Ihnen einen Erkenntnisgewinn oder einen Zuwachs an Können bringt. Dazu gehören zum einen natürlich Ihre formal erworbenen Zertifikate und Abschlüsse. Zum anderen gehören auch die kommunikativen und organisatorischen Fähigkeiten, die Sie in Ihrer jahrelangen Tätigkeit als Chorvorsteherin in zahlreichen Vereinssitzungen erreicht haben, dazu. Oder die Fähigkeiten zur kreativen Problemlösung und die Management-Skills, die Sie sich als alleinerziehender Vater angeeignet haben, um Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Oder aber Ihr grosser Rucksack an beruflicher Erfahrung, den Sie an Ihrem Arbeitsplatz erworben haben. Das Konzept des Lebenslangen Lernens lässt den Weg, wie die Bevölkerung ihr Können ein Leben lang erweitert, also bewusst offen. Frei nach dem Motto «Lebenslanges Lernen ist, was du daraus machst». Die gängigen Vorbehalte gegen das Konzept des Lebenslangen Lernens zeigen, dass dieser Grundgedanke über die Zeit wohl etwas verloren gegangen ist.

Das berufliche Können, welches der Arbeitsmarkt erfordert,

Arbeitsabläufe erneuern sich, neue Technologien und Programme werden eingeführt und Berufsbilder werden zum Teil fundamental verändert.

This article is from: