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ANGEPASST
Bei einem progressiven Einkommensteuertarif steigt mit jeder inflationsbedingten Einkommenserhöhung die Steuerbelastung und sinkt real das verfügbare Einkommen. Dieser unter dem Begriff „kalte Progression“ bekannte Effekt war in der Vergangenheit regelmäßig Gegenstand von Steuerreformdiskussionen. Die gegenwärtigen Preissteigerungsraten haben den Weg für die politische Entscheidung freigemacht, eine inflationsangepasste Einkommensbesteuerung umzusetzen und damit die kalte Progression abzuschaffen.
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TEXT: PETER FARMER
Mit der Steuerreform 2015/2016 liegt die letzte gesetzliche Reaktion auf die kalte Progression sechs Jahre zurück. Der damals neu gestaltete Einkommensteuertarif schaffte eine Steuerentlastung für die seit 2009 entstandene Steuerbelastung in Folge der kalten Progression. Zu diesem Zeitpunkt war gemäß Budgetdienst des Parlaments bereits bekannt, dass eben diese kalte Progression bereits im Jahr 2017 wiederum zu Steuermehreinnahmen von rund 465 Millionen Euro führen wird.
Das Regierungsprogramm 2017 bis 2022 sah eine Neukodifizierung des Einkommensteuergesetzes mit dem Schlagwort „EStG 2020“ vor. Im Zug dieser geplanten Neugestaltung der Einkommensbesteuerung sollte die „Prüfung“ einer automatischen Indexierung der Progressionsstufen vorgenommen werden.
Die Abschaffung der kalten Progression wird mit dem Teuerungs-Entlastungspaket Teil II nunmehr Realität. Gemäß den Gesetzesmaterialien soll die Abschaffung der kalten Progression im Zeitraum 2023 bis 2026 voraussichtlich eine Gesamtsteuerentlastung von über 20 Milliarden Euro bewirken. Damit wird deutlich, welcher budgetpolitischer Spielraum in der Vergangenheit bestanden hat und in der Zukunft nicht mehr zur Verfügung steht. Mit der Umsetzung einer inflationsangepassten Einkommensbesteuerung ist Österreich kein Vorreiter. Gemäß einer Veröffentlichung der OECD im Jahr 2008 setzten bereits damals 18 von 30 Ländern eine Anpassung des Steuertarifs abhängig von der Inflationsentwicklung um. Aktuell kennen zum Beispiel die Schweiz, USA, Kanada, Schweden, Großbritannien, Finnland, Frankreich, Dänemark, Norwegen oder die Slowakei eine Anpassung der Besteuerung an die Entwicklung der Inflation. Dies hat eine vom Bundesministerium für Finanzen in Auftrag gegebene Studie aus Juli 2022 erhoben.
INFLATIONSBEDINGTE EINKOMMENSBESTEUERUNG AB 2023 Zentral für eine inflationsangepasste Einkommensbesteuerung ist ein Steuertarif, der Preissteigerungen jährlich berücksichtigt. Allerdings ist eine Konzentration auf die Grenzbeträge des Einkommensteuertarifs für die Anwendung der Steuersätze allein nicht ausreichend, wenn die tatsächliche Einkommensteuerbelastung von diversen Freigrenzen oder Steuerabsetzbeträgen maßgeblich mitbeeinflusst wird. Dementsprechend werden ab 2023 neben den Grenzbeträgen für die Anwendung der Steuersätze auch Alleinverdienerabsetzbetrag, Alleinerzieherabsetzbetrag, Unterhaltsabsetzbetrag, Verkehrsabsetzbetrag, Pensionistenabsetzbeträge, der Betrag für die Erstattung des Alleinverdienerabsetzbetrages und des Alleinerzieherabsetzbetrages sowie der Rückerstattungsbetrag für Sozialversicherungsbeiträge und der Sozialversicherungsbonus inflationsbedingt angehoben.
Die Anpassung dieser Beträge würde allerdings zu kurz greifen, wenn nicht auch andere, die Besteuerungshöhe beeinflussende Grenzbeträge ebenfalls inflationsabhängig ausgestaltet werden. Dies betrifft zum Beispiel die Einkommensgrenze für den erhöhten Pensionistenabsetzbetrag und für das Arbeitsplatzpauschale oder die Höhe der Partnereinkünfte beim Alleinverdienerabsetzbetrag.
Als eine auf die Beseitigung der negativen Folgen eines progressiven Steuertarifs gerichtete Steueränderung erfasst diese jedoch nicht die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, der Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen sowie auch nicht die Einkünfte juristischer Personen
DIE STEUERENTLASTUNG BEZOGEN AUF DEN EINKOMMENSTEUERTARIF ALLEINE STELLT SICH FÜR 2023 WIE FOLGT DAR:
2022 2023 ENTLASTUNG
Tarifstufe Grenzbeträge Steuersatz Grenzbeträge Steuersatz Bemessung je Stufe kumuliert
1 von 0 bis 11.000 0 % von 0 bis 11.693 0 % 693 139 139
2 über 11.000 bis 18.000 20 % über 11.693 bis 19.134 20 % 1.134 113 252
3 über 18.000 bis 31.000 30 % über 19.134 bis 32.075 30 % 1.075 108 360
4 über 31.000 bis 60.000 40 % über 32.075 bis 62.080 40 % 2.080 166 526
5 über 60.000 bis 90.000 48 % über 62.080 bis 93.120 48 % 3.120 62 588
6 über 90.000 bis 1.000.000 50 % über 93.120 bis 1.000.000 50 %
7 über 1.000.000 55 % über 1.000.000 55 %
Beträge in Euro, Steuersatz der Tarifstufe 4 vermindert sich ab 1. Juli 2023 von 42 % auf 40 %
wie von Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen oder Privatstiftungen: Denn all diese Einkünfte unterliegen einem linearen Steuertarif, sodass es bei diesen Einkünften zukünftig unverändert ein inflationsbedingtes Steuermehraufkommen geben wird.
DAS AUSMASS DER JÄHRLICHEN INFLATIONSANPASSUNG Für jedes Kalenderjahr erfolgt zukünftig eine automatische Anpassung der Grenzbeträge des Einkommensteuertarifs und der anderen, für die Einkommensteuerbelastung relevanten Beträge im Ausmaß von zwei Dritteln der positiven Inflationsrate. Das heißt: Im Falle einer Deflation kommt es zu keiner Betragsanpassung. Die angepassten Beträge sind jeweils bis zum 31. August des laufenden Kalenderjahres für das Folgejahr vom Bundesminister für Finanzen in einer Verordnung zu verlautbaren.
Die für die Betragsanpassung maßgebliche Inflationsrate ist das arithmetische Mittel der für die Monate Juli des vorangegangenen Jahres bis Juni des laufenden Jahres von der Statistik Österreich veröffentlichten Jahresinflationsraten des Verbraucherpreisindexes. Im Ausmaß des dritten Drittels der Inflationswirkung hat die Bundesregierung bis 15. September jeden Jahres einen Ministerratsbeschluss zu fassen, der Entlastungsmaßnahmen für Bezieher von Einkünften vor allem im Bereich der Einkommensteuer zum Gegenstand hat. Grundlage dafür ist ein bis 31. Juli jeden Jahres vorzulegender Progressionsbericht von zwei wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten. DIE INFLATIONSANPASSUNG FÜR 2023 Die Inflationsanpassung für das Jahr 2023 basiert bereits auf der beschriebenen Systematik. Die inflationsangepassten Beträge für 2023 werden mit dem Teuerungs-Entlastungspaket Teil II direkt im Gesetz verankert und sind bei der Veranlagung 2023 bereits anwendbar. Den Wertanpassungen für die Veranlagung 2023 liegt der Progressionsbericht vom Institut für Höhere Studien (IHS) und vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) zu Grunde. Danach beträgt die im Jahr 2023 auszugleichende Inflation 5,2 Prozent. Das Gesamtvolumen der kalten Progression für das Jahr 2023 wird in diesem Bericht mit 1.851 Millionen Euro festgestellt und damit das Volumen für Entlastungsmaßnahmen durch die Bundesregierung im Ausmaß eines Drittels mit 617 Millionen bestimmt.
Konkret werden folgende inflationsbedingte Wertänderungen für die Veranlagung 2023 vorgenommen: • Die anzupassenden Absetzbeträge werden im Ausmaß der festgestellten Inflationsrate von 5,2 Prozent angehoben. • Die Grenzbeträge des Einkommensteuertarifs werden in Höhe von zwei Drittel der festgestellten Inflationsrate von 5,2 Prozent und damit um 3,46 Prozent angepasst. • Mit dem dritten Drittel des festgestellten Entlastungsvolumens wird eine Erhöhung des Grenzbetrags der Tarifstufen 1 und 2 des Einkommensteuertarifs um zusätzlich 2,84 Prozent vorgenommen. Damit werden diese Grenzbeträge um insgesamt 6,3 Prozent erhöht.
Die Abschaffung der kalten Progression ist zu begrüßen. Das Steuerrecht kennt jedoch auch noch andere Werte, die aufgrund der Inflation den tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden. Dies betrifft beispielsweise den Anschaffungskostenhöchstbetrag für beruflich genutzte Personenkraftfahrzeuge, Reisekostengebühren, das amtliche Kilometergeld oder Grenzwerte für Steuerbefreiungen. Eine Wertsicherung auch dieser Beträge dürfte jedoch zu Steuerausfällen führen, die derzeit wohl nicht leistbar scheinen.

© DIE FOTOGRAFEN
MAG. DR. PETER FARMER
Geschäftsführer und Partner bei ECA Innsbruck Steuerberatung Rennweg 25 6020 Innsbruck Tel.: 0512/57 14 15 www.innsbruck.eca.at