Die Neustarterin Für die ehemalige Volksschullehrerin, die nebenher auch als Rettungsassistentin beim „Weißen Kreuz“ in Bozen jobbte, war Medizin immer reizvoll. Während andere ihren Träumen nachhängen, hat Claudia Unterhofer diese in die Tat umgesetzt: Seit 2010 ist sie Fachärztin für Neurochirurgie, 2017 habilitierte sie. Heute ist Claudia leitende Oberärztin an der Klinik Innsbruck.
Wie definierst du Mut? C L A U D I A : Ich glaube, es gibt unterschiedliche Formen von Mut. Es gibt einerseits den Mut im Alltag: Zu sein, wer man ist, eine eigene Meinung zu haben und zu vertreten, ehrlich zu bleiben und aufrichtig zu sein. Auch unpopuläre Aussagen zu treffen; auch mal gegen den Strom zu schwimmen oder für andere die eigene Stimme zu erheben. A n d e r e r s e i t s gibt es den Lebensmut: Den Mut, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Wenn es notwendig ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Das Leben zu verändern: aufzustehen und zu gehen. Den Mut, sich seine Wünsche zu erfüllen. Empfindest du dich selbst als mutig? Was den „alltäglichen Mut“ betrifft, glaube ich, dass ich mutig bin. Auch wenn diese Form des Mutes nicht nur Freunde bringt und durchaus polarisieren kann. Vielleicht ist es mutig, etwas zu sagen oder zu tun, aber oftmals ist es in einem emotionalen Moment nicht immer klug. Manchmal sollte man den Mut haben zu schweigen. Das sollte ich noch lernen. Was den Lebensmut betrifft, weiß ich nicht, ob ich mutig bin. Ich weiß, dass ich sehr neugierig bin und Lust auf neue Erfahrungen habe. Kannst du nachvollziehen, warum andere dich als mutig empfinden? Ja, es kann sein, dass mein Werdegang als mutig empfunden wird. Ich empfinde ihn heute auch als mutig. Damals, vor 20 Jahren, hatte ich einfach Lust, meine Träume zu verwirklichen. Ich war jung, ungebunden und habe auch wenig über die Konsequenzen meiner
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M AYA / DA S T I R O L E R F R A U E N M AG A Z I N
Angst vor Physik und Chemie. Fächer, in denen ich bereits im Gymnasium schlecht war.
„Manchmal sollte man den Mut haben zu schweigen. Das sollte ich noch lernen.“ Claudia Unterhofer, 46
Entscheidungen nachgedacht. Ich habe auch eine tolle Familie im Hintergrund gehabt, die an mich geglaubt hat und mich unterstützt hat, meine Träume zu verwirklichen. Was macht dir Angst? Was mir Angst macht, ist das Wissen, dass alles vergänglich ist und nichts für immer. Dass meine Familie sich verändern wird, mein Leben und Lebenswandel sich verändern, meine Haustiere irgendwann nicht mehr da sein werden. Und dass ich vielleicht irgendwann nicht mehr alleine meine Entscheidungen treffen kann, sondern andere für mich sprechen werden. Selbstbestimmtheit ist für mich ein sehr wichtiges Thema. Der Respekt vor persönlichen Entscheidungen spielt für mich eine entscheidende Rolle, sowohl in meinem Leben als auch in der Behandlung meiner Patienten. Der mögliche Verlust derselben macht mir große Angst. Hast du bei deinen Berufs- und damit auch quasi „Lebenswechseln“ Angst empfunden? Oder war die Angst davor, es nicht zu tun, größer? Von der Größe der Veränderung habe ich damals wenig Angst empfunden. Angst hatte ich vor kleinen, konkreten Dingen: Ich hatte
A n g s t vor einem neuen Leben hatte ich nicht. Ich habe in einer sehr tollen Wohngemeinschaft mit fünf weiteren jungen Studentinnen im Zentrum von Innsbruck gewohnt. Wir waren alle sehr unterschiedlich, haben uns aber von Anfang an sehr gut verstanden. Ich kann mich erinnern, dass ich im ersten Semester verunsichert war, weil ich niemanden kannte. Meine Mitbewohnerinnen haben mir ein Zuhause gegeben, haben zu mir gehalten, wir hatten sehr viel Spaß. Ich werde ihnen dafür immer dankbar sein. Ist dir ein Erlebnis in Erinnerung, das deinen Mut in besonderer Weise gefordert hat? Nein, leider nicht. Aber mir ist immer noch ein Erlebnis in Erinnerung, bei dem ich keinen Mut bewiesen habe: Ich war als Zuhörerin bei einem Rigorosum anwesend. Als Prüfling war ein Studienkollege von mir angetreten, der aus dem Ausland kam. Er war ein sehr intelligenter Student, der mit einem starken Akzent sprach. Der prüfende Professor hat ihn von Anfang an sehr unprofessionell behandelt und ihn aufgrund seiner Sprache öffentlich diskriminiert. Ich war als Zuhörerin hin- und hergerissen, ob ich etwas sagen sollte. Ich habe es nicht getan. Weder zum Professor noch zum Studienkollegen. Ich hatte Angst, er könnte mich fragen, warum ich nicht offen zu ihm gestanden bin. Ist Mut eine für dich wichtige Eigenschaft? Warum? Ja, Mut ist eine wichtige Eigenschaft. Es waren schon immer die Mutigen unter uns, die die
FOTO: ANDREAS FRIEDLE