SYNERGIE – Das Magazin der DZG – Ausgabe #1 | 2024

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GESUNDHEIT SYNERGIE 2024 FORSCHEN
GESUNDHEIT SYNERGIE
DER DZG –DEUTSCHE ZENTREN DER GESUNDHEITSFORSCHUNG
FORSCHEN FÜR
FÜR
MAGAZIN

WIR SIND STÄNDIG MIT UNSERER UMWELT IN KONTAKT, MIT GUTEN MIKROORGANISMEN GENAUSO WIE MIT GIFTIGEN CHEMIKALIEN IN DER NAHRUNG ODER SCHADSTOFFEN IN DER LUFT. DIE DZG ERFORSCHEN, WELCHE AUSWIRKUNGEN DAS EXPOSOM AUF ERKRANKUNGEN HAT UND WAS DAS FÜR DEREN DIAGNOSTIK, THERAPIE UND PRÄVENTION BEDEUTET.

SYNERGIE MAGAZIN DER DZG –DEUTSCHE ZENTREN DER GESUNDHEITSFORSCHUNG #1 2024

INHALT

Spur ewiger Chemikalien

aus der Umwelt

VORWORT 2 Umweltfaktoren besser verstehen TITELTHEMA 4 Reize von außen PROGNOSE 10 Mit Vitamin D gegen Darmkrebs EPIGENETIK 16 Wenn die innere Uhr verrückt spielt GEFAHRENSTOFFE 22 Auf der
ALTERNATIVEN 28 Antimikrobielle Rezepturen
URBANITÄT 34 Unsichtbare Gefahr: Feinstaub und Lärm DIAGNOSE 40 Was unser Atem verraten könnte NEWCOMER 46 Mechanismen ergründen TRANSLATION 48 Schneller in die Anwendung MITTEILUNGEN, TERMINE 50 UND EHRUNGEN IMPRESSUM 52 KOSTENLOS BESTELLEN: DZG-MAGAZIN.DE/ ABONNEMENT

2

VORWORT

Umweltfaktoren

besser verstehen

Professor Dr. Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats

10 PROGNOSE Mit Vitamin D gegen Darmkrebs Am DKTK wird untersucht, wie Vitamin D Immunzellen im Kampf gegen Darmkrebs

22

GEFAHRENSTOFFE Auf der Spur ewiger Chemikalien

4

EXPOSOM

Reize von Außen

Das Exposom wirkt unser ganzes Leben lang auf uns ein – und kann krank machen. Forschende wollen erkunden, wie alles zusammenhängt.

16

EPIGENETIK

Wenn die innere Uhr verrückt spielt Ein veränderter Tag-NachtRhythmus kann wichtige Schaltstellen im Erbgut verändern und Diabetes begünstigen. Das DZD sucht die Ursachen.

34

URBANITÄT

Unsichtbare Gefahr: Feinstaub und Lärm DZHK-Forschende untersuchen, wie Luftverschmutzung und Lärm Herz-KreislaufErkrankungen begünstigen.

40

DIAGNOSE Was unser Atem verraten könnte Forschende des DZL arbeiten an der Analyse von Atemluft.

28

ALTERNATIVEN

Antimikrobielle Rezepturen aus der Umwelt Phagen können Antibiotika ersetzen, Mikroorganismen haben antibiotisches Potenzial: Einige Teams des DZIF wirken an der Erforschung mit.

46

NEWCOMER

Mechanismen ergründen Carola Voss erforscht, wie Schadstoffe die Lunge aus dem Takt bringen, Toni Luise Meister erkundet Wechselwirkungen zwischen Viren und Zellen.

48

TRANSLATION

Schneller in die Anwendung So bringen die DZG Forschungserkenntnisse in die Praxis.

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DANK NEUER METHODEN

KÖNNEN WIR DIESE EINFLÜSSE

IMMER GENAUER NACHWEISEN

UND DARAUS SCHLÜSSE FÜR

DIE GESUNDERHALTUNG DES MENSCHEN ZIEHEN.

#
#1|2024 2 VORWORT

UMWELTFAKTOREN BESSER VERSTEHEN

Liebe Leserin, lieber Leser, in einer Welt, in der die Interaktion zwischen Mensch, Tier und Umwelt immer komplexer wird, steht die Medizin vor einer Neuausrichtung. Die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen, aber auch zuletzt die COVID-19-Pandemie etwa führen uns vor Augen, wie eng Mensch- und Tiergesundheit miteinander verknüpft sind. Die Übertragung von Erregern von Tieren auf Menschen, bekannt als Zoonosen, ist nur ein Aspekt des komplexen Wechselspiels, das unsere Gesundheit beein usst.

Die Umweltgesundheit spielt eine ebenso entscheidende Rolle für unser Wohlbe nden. Der „One Health“-Ansatz, den die WHO im Jahr 2022 genauer de nierte, verfolgt das Ziel, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig ins Gleichgewicht zu bringen. Dieser kollektive und vereinende Ansatz fordert uns auf, intersektoral und interdisziplinär zu denken und zu handeln.

Die aktuelle Ausgabe von SYNERGIE rückt das Exposom, also die Gesamtheit aller Umweltein üsse, die auf den Menschen einwirken, in den Mittelpunkt. Dank neuer Methoden können wir diese Ein üsse immer genauer nachweisen und daraus Schlüsse für die Gesunderhaltung des Menschen ziehen. Wenn wir konkrete Maßnahmen etwa zur Verringerung der Luftschadstoffe und Hitzeexposition oder sogar der Hitzeentwicklung ableiten wollen, braucht es einen starken politischen und gesellschaftlichen Willen – und gute Wissenschaftskommunikation.

Ein besseres Verständnis der Umweltfaktoren, die unsere Gesundheit beein ussen, ermöglicht es uns, Krankheiten vorzubeugen,

sie möglicherweise sogar zu vermeiden. Als Forscher, Arzt und Vorsitzender des Wissenschaftsrats liegt mir dieser präventive Ansatz besonders am Herzen. Es ist an der Zeit, dass Wissenschaft, Politik und die breitere Öffentlichkeit zusammenarbeiten, um das Bewusstsein zu schärfen, dass die Vermeidung von Krankheiten und die Erhaltung der Gesundheit die besten Chancen sind, um in einer von vielfältigen Veränderungen gekennzeichneten Welt unsere Lebensqualität und Lebenserwartung zu erhalten und zu verbessern.

Erfreulicherweise spielt Prävention in den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung – auch neben der dort bereits gut sichtbaren Krebsprävention – eine zunehmend größere Rolle, die Politik hat die Relevanz erkannt, und auch abseits der großen Bühne laufen zahlreiche Initiativen rund um Gesundheitsprävention. Um dieses Momentum zu nutzen, veranstaltet der Wissenschaftsrat im Mai 2024 ein Symposium, das verschiedene Perspektiven zusammenbringt, mit dem Ziel, auf breiter Front ein Umdenken von der kurativen zur präventiven Gesundheitsversorgung anzuregen. Erkenntnisse zur Entstehung von Krankheiten etwa durch Umweltfaktoren sind dafür zentral. Diese zu generieren, erfordert einen langen Atem und viele Daten. Die Datenlage wird in den nächsten Jahren deutlich besser werden. Ich freue mich auf die damit möglich werdende Forschung, auch an den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, für eine bessere Versorgung – und Vorbeugung! – in den großen Volkskrankheiten.

Professor Dr. Wolfgang Wick Vorsitzender des Wissenschaftsrats

3 VORWORT
#1|2024 4 EXPOSOM

REIZE VON AUSSEN

GESUNDHEIT WIRD DURCH VIELE EINFLÜSSE VON AUSSEN MITBESTIMMT, ETWA LUFTVERSCHMUTZUNG, LÄRM ODER MIKROORGANISMEN. DIE GESAMTHEIT DIESER

FAKTOREN WIRD ALS EXPOSOM BEZEICHNET – DESSEN

ERFORSCHUNG BIETET VIELE CHANCEN FÜR DIAGNOSTIK UND THERAPIE VON ERKRANKUNGEN.

EXPOSOM
5 TITELTHEMA

#WIR WISSEN BEREITS HEUTE SICHER, DASS DAS EXPOSOM EINFLUSS AUF ALLE KRANKHEITEN HAT, MIT DENEN SICH DIE DEUTSCHEN ZENTREN DER GESUNDHEITSFORSCHUNG BESCHÄFTIGEN.

Unser ganzes Leben lang ist unser Körper den unterschiedlichsten Ein üssen der Umwelt ausgesetzt: Dazu gehört die Luft, die wir atmen, genauso wie das Wasser, das wir trinken, und die Nahrung, die wir essen, der Stress, den wir erleben, oder der Lärm, den wir wahrnehmen. Über die Haut, die Atmung oder den Magen-DarmTrakt nehmen wir Mikroorganismen oder p anzliche Produkte wie Pollen aus unserer Umwelt auf.

In ihrer Gesamtheit werden diese Faktoren Exposom genannt –eine Wortschöpfung, die den englischen Begriff „Exposure“ (Ausgesetztsein) aufgreift und als Gegenstück zu „Genom“ zu verstehen ist: Während das „Genom“ für Ein üsse steht, die von innen heraus auf den Organismus wirken, steht das „Exposom“ für äußere Ein üsse. Es kann unsere Gesundheit unterstützen, wenn beispielsweise die Bakterien, die den menschlichen Darm besiedeln, in ständigem Austausch mit der Umwelt stehen – ohne sie könnte der Mensch nicht leben. Das Exposom kann jedoch auch krank machen und beispielsweise Krebs, Herz-Kreislauf- oder Lungen-Erkrankungen auslösen sowie Diabetes beein ussen – und auch alle mikrobiellen und viralen Infektionserreger gehören zum Exposom. Die Erforschung dieser Mechanismen ist herausfordernd: Denn meist ist nicht klar, wo Ursache und Wirkung liegen und wie oder wie intensiv ein bestimmter Ein ussfaktor gewirkt hat.

DAS EXPOSOM BEZIEHT SICH AUF ALLE UMWELTFAKTOREN, DENEN EINE PERSON IM LAUFE IHRES LEBENS AUSGESETZT IST.

#1|2024 6 EXPOSOM TITELTHEMA

VIELE REIZE VON AUSSEN

Klar ist: Über unsere Umwelt treffen sehr viele chemische und physikalische Reize auf uns, von mikroskopisch kleinen Luftschadstoffen und viralen oder bakteriellen Krankheitserregern über Chemikalien, die beispielsweise über Alltagsprodukte in unseren Körper gelangen bis zur steigenden Hitze durch den Klimawandel. Sie wirken in erster Linie auf die menschlichen Barriereorgane wie Lunge, Haut und Magen-Darm-Trakt – aber auch weit darüber hinaus. „Durch Schadstoffe in der Luft kann Lungenkrebs entstehen – also direkt in dem Organ, über das sie aufgenommen werden. Sie können aber auch für sekundäre Ausbildungen verantwortlich sein wie beispielsweise Diabetes“, sagt Professorin Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Forschungszentrum Helmholtz Munich, einem Partner des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung. „Und dass beispielsweise auch Licht und Lärm Auswirkungen auf den menschlichen Körper zeigen, bedeutet, dass es Signalwege geben muss, die dazu führen, dass die Umwelt Erkrankungen auslösen kann. Wir wissen bereits heute sicher, dass das Exposom Ein uss auf alle Krankheiten hat, mit denen sich die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung

Der Begriff Exposom ist vor rund 20 Jahren im Zuge der Fortschritte in der chemischen Analytik durch Massen-Spektroskopie entstanden. „In einem einzigen Tropfen Blut kann man heute Zehntausende Chemikalien nachweisen, indem beispielsweise Stoffwechselprodukte von Pestiziden, sogenannte Metaboliten, gemessen werden. In diesem Tropfen können wir also äußere Einüsse auf den menschlichen Körper erkennen“, so Annette Peters. Das eröffne völlig neue Möglichkeiten, um unter anderem chronische Erkrankungen und deren Ursachen zu verstehen: „Wir bekommen darüber Zugänge zu Expositionen, die sehr schwer über Fragebögen oder Modellrechnungen zu quanti zieren sind.“ Es sei zum Beispiel schwierig, wirklich systematisch und valide die Belastung durch Pestizide abzufragen: „Die Personen wissen oft nicht, was genau sie angewendet haben, wann und wie viel davon. Als Forschende können wir auch nicht sicher sein, dass die Anleitung zur Verwendung der Produkte richtig befolgt wurde. Der Blutstropfen gibt zumindest gewisse Anhaltspunkte auf mögliche Expositionen. Es wird intensiv daran gearbeitet, aus erweiterten Metaboliten-Spektren auf die Wirkung der Umwelt schließen zu können“, so Peters. „In diesem Bereich nimmt die Forschung gerade erst so richtig Fahrt auf und wir werden sicher in den nächsten zehn Jahren viel besser verstehen, ob und was man in den Blutstropfen-Akten lesen kann.“

7 EXPOSOM TITELTHEMA

ETWA ZWEI DRITTEL

DER CHRONISCHEN, NICHT

ÜBERTRAGBAREN KRANKHEITEN RESULTIEREN AUS DEM EXPOSOM. DESHALB SOLLTE

DIE FORSCHUNG DAZU INTENSIVIERT WERDEN.

KURZFRISTIGE UND LANGFRISTIGE AUSWIRKUNGEN

In der Regel müssen die Faktoren des Exposoms lange auf den menschlichen Körper wirken, um dort Schaden anzurichten. „Vor allem wenn es um die Entstehung oder Verschlechterung chronischer Erkrankungen geht, gehen wir davon aus, dass die entsprechenden Faktoren wirklich über Jahre hinweg wirken müssen“, erklärt Annette Peters. „Gerade bei einer Stoffwechselerkrankung wie dem Diabetes hat ja der Körper relativ viel Resilienz, die Stoffwechselwege sind gut abgepuffert.“ Bevor ein Mensch einen Diabetes entwickelt, muss er über eine lange Zeit den schädlichen Umweltein üssen ausgesetzt gewesen sein. Gleichzeitig wurde beobachtet, dass das Risiko für einen Herzinfarkt bereits nach wenigen Tagen höherer Konzentration von Luftschadstoffen oder Hitze deutlich größer ist. „Bei Luftschadstoffen und Herzinfarkt war das sogar innerhalb von Stunden beobachtbar: Wenn eine Person sich im Straßenverkehr aufgehalten hat, war das Risiko für einen Herzinfarkt in der nächsten Stunde dreimal höher. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass solche Risiken dann auch schnell wieder nach unten gehen.“

WIR MÜSSEN

INTERDISZIPLINÄR

ZUSAMMENARBEI -

TEN UND KÖNNEN NUR ÜBER GESELLSCHAFTLICHE PRO -

ZESSE WIRKLICH VERBESSERUNGEN ERREICHEN.

Um vor allem auch die langfristigen Auswirkungen von Umweltfaktoren zu erfassen, braucht es große epidemiologische Studien. Dort wird die Wirkung des Exposoms berechnet, indem die Langzeitbelastung der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erfasst und daraus abgeleitet wird, wie groß ihr individuelles Krankheitsrisiko ist. „Da sieht man beispielsweise, dass Diabetes-Erkrankte häu g aus belasteten Wohnorten kommen“, sagt Peters. „Es macht einen Unterschied, ob ich an einer viel befahrenen Straße oder in einer relativ sauberen grünen Umgebung wohne.“ Es gebe jedoch keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Stadt und Land: „Auch in städtischen Gebieten kann die Luft gut oder schlecht sein.“

FORSCHUNG SOLLTE INTENSIVIERT WERDEN

Schätzungsweise zwei Drittel der chronischen, nicht übertragbaren Krankheiten sind auf die Auswirkungen des Exposoms zurückzuführen. Professor Thomas Münzel, Studienleiter beim Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, hat in Studien nachgewiesen, dass etwa Luftverschmutzung zu den größten Gesundheitsgefahren gehört und für 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich ist (siehe Artikel ab Seite 34). Er wünscht sich, dass das Exposom entsprechend mehr Beachtung ndet: „Es sorgt mit seinen vielfältigen Belastungen im Lebensverlauf für starke gesundheitliche Auswirkungen und vorzeitige Todesfälle. Deshalb sollte die Forschung dazu dringend intensiviert werden.“ #

#1|2024 EXPOSOM TITELTHEMA 8

Thomas Münzel beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem damit, auf welchen Wegen die Ein üsse von außen auf den Körper wirken – und wie stark. Wenn jemand beispielsweise eine Herz-Kreislauf-Erkrankung hat, sind bei ihm zentrale biochemische Bahnen, sogenannte Pathways, aktiviert – ausgelöst durch stressbedingte Veränderungen wie einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, Stresshormonaktivierung oder Entzündungen. „Und das sind auch die Pathways, die durch schlechte Umweltbedingungen aktiviert werden“, so Münzel. „Was auch bedeutet, dass die Ein üsse sich gegenseitig verstärken können und beispielsweise der Prozess der Arteriosklerose dann deutlich beschleunigt wird.“

INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT

Auch für die Therapie sind die Wirkungen des Exposoms relevant: „Therapeutisch wird das Wissen um die Rolle der Umwelt dann wichtig, wenn man zum Beispiel feststellt, dass man Herz-Kreislauf-Medikamente in Hitzeperioden anders dosieren sollte“, so Peters. „Der Körper hat Mechanismen, um mit Belastungen umzugehen und stellt beispielsweise die Gefäße weit, um mehr schwitzen zu können und darüber mit der Hitze besser klarzukommen. Dieser Mechanismus funktioniert bei einem gesunden Menschen anders als bei jemandem, der eine Bluthochdruckerkrankung hat. Die entsprechenden Medikamente können auch negative Auswirkungen haben oder gegen die normalen Adaptationsmechanismen des Körpers arbeiten. Hier kann das Wissen um die Umweltein üsse also auch direkt zu veränderten Therapieempfehlungen führen.“

Grundsätzlich sei die Forschung zum Exposom überwiegend präventiv angelegt – um beispielsweise Empfehlungen an die Politik zu geben. Auf Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse können Grenzwerte angepasst und gesetzliche Regulierungen angestoßen werden. „Vor den Schadstoffen, die wir mit der Luft einatmen, kann ich mich schließlich als einzelne Person kaum schützen, wir sind ihnen alle ausgesetzt“, so die Epidemiologin. Derzeit wird die Luftqualitätsrichtlinie in der Europäischen Union überarbeitet. „Ich denke, es ist wichtig, dass wir darüber einen Diskurs in der Gesellschaft führen. Über die Luftschadstoffe wird weniger laut gesprochen als über den Klimawandel. Aber diese Themen hängen zusammen und die Maßnahmen, die wir im Rahmen der Energiewende ergreifen, sind überwiegend auch dazu geeignet, eine deutliche Veränderung der Luftqualität in Europa herbeizuführen. Wir müssen interdisziplinär zusammenarbeiten und können nur über gesellschaftliche Prozesse wirklich Verbesserungen erreichen. Erfreulich daran ist: Wenn diese Verbesserungen auch politisch gestützt werden, pro tieren alle Menschen in der Bevölkerung davon.“

IN DER REGEL MÜSSEN DIE FAKTOREN DES EXPOSOMS LANGE AUF DEN MENSCHLICHEN KÖRPER WIRKEN, UM DORT SCHADEN ANZURICHTEN.

9 EXPOSOM
#1|2024 10 KREBSFORSCHUNG
P ROGNOSE

MIT VITAMIN D GEGEN DARMKREBS

VITAMIN D VERRINGERT D IE STERBERATE BEI KREBS-

ERKRANKUNGEN. IN D ER PEVI D S-STU D IE ERFORSCHEN D KTKWISSENSCHAFTLERINNEN UN D -WISSENSCHAFTLER, WIE

GENAU ES D IE IMMUNZELLEN IM KAMPF GEGEN D ARMKREBS

UNTERSTÜTZT UN D WELCHE ERFOLGE SICH D URCH EINE

PERSONALISIERTE VITAMIN- D -GABE ERZIELEN LASSEN.

11 K REBSFORSCHUNG PROGNOSE

Übergewichtige Menschen benötigen mehr Vitamin D als Normalgewichtige.

armkrebs trifft meistens ältere Menschen. Doch inzwischen erkranken weltweit auch immer mehr junge Patientinnen und Patienten an dieser Krebsart. Schuld daran ist vor allem ein ungesunder Lebensstil: Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht und eine eischlastige Ernährung sind bekannte Risikofaktoren. „Man kann das positiv sehen: Wenn man einen gesunden Lebensstil p egt, dann verhütet man nicht nur Darmkrebs, sondern auch viele andere Erkrankungen“, sagt Professor Hermann Brenner.

Er leitet die Abteilung Klinische Krebsepidemiologie und Alternsforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Sein Spezialgebiet sind Studien, die zeigen sollen, wie man Erkrankungen besser vorbeugen oder behandeln kann. Wie genau Darmkrebs verläuft, ob er geheilt werden kann oder nicht, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Einer davon ist Vitamin D: „Metaanalysen zeigen, dass Vitamin-D-Supplementierung die Sterberate an Krebs über alle Krebsarten hinweg um 13 Prozent senkt“, erklärt Brenner. „Bei Darmkrebs ist dieser Zusammenhang sogar noch etwas stärker ausgeprägt.“ Sollte Vitamin D also Teil einer unterstützenden Krebstherapie sein?

Diese Frage will der Epidemiologe mithilfe einer großen Studie namens PEVIDS beantworten, die vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) sowie dem globalen Netzwerk „World Cancer Research Fund“ nanziert wird.

IMMER

MEHR JÜNGERE MENSCHEN ERKRANKEN AN DARMKREBS: RAUCHEN, ALKOHOL, BEWEGUNGSMANGEL, ÜBERGEWICHT UN D EINE FLEISCHLASTIGE ERNÄHRUNG SIN D BEKANNTE RISIKOFAKTOREN.
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#1|2024 12 K REBSFORSCHUNG PROGNOSE

LEBENSQUALITÄT DURCH VITAMIN D

Vitamin D wird unter Ein uss von Sonnenlicht in unseren Hautzellen gebildet. Das Molekül ist für uns lebensnotwendig: Es stärkt die Knochen, kurbelt das Immunsystem an und hebt unsere Stimmung. Doch etwa ein Drittel aller Menschen in Deutschland ist nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt, berichtet das Robert-Koch-Institut. Das führt dazu, dass sie sich oft abgeschlagen und müde fühlen, häu ger an Infekten erkranken oder eine Knochenschwäche bis hin zu Osteoporose entwickeln. Bei Darmkrebspatientinnen und -patienten hat sogar etwa die Hälfte einen Vitamin-D-Mangel, sagt Hermann Brenner. Im Rahmen von PEVIDS will er genauer untersuchen, wie sich die Vitamin-D-Supplementierung auf die Lebensqualität während der Erkrankung auswirkt. Einer der wichtigsten Punkte ist das Fatigue-Syndrom, die bleierne Müdigkeit, unter der viele Krebspatientinnen und -patienten oft Wochen, Monate oder sogar Jahre lang leiden. Brenner hofft, dass Vitamin D hier helfen kann. Darüber hinaus soll aber auch untersucht werden, welche Parameter des Immunsystems in welchem Umfang von der Vitamin-D-Gabe pro tieren, um die zugrunde liegenden Mechanismen besser verstehen zu können.

Das Besondere an PEVIDS: Bei jedem Patienten und jeder Patientin wird vor Studienbeginn der Vitamin-D-Status genau gemessen. „In den bisherigen Studien zur Vitamin-D-Supplementierung wurde das so nie gemacht, der Status der Teilnehmenden war in der Regel unbekannt“, erklärt Brenner. Stattdessen erhielten alle Probandinnen und Probanden die gleiche Menge des Vitamins. Dies traf auch für die großen Studien in den USA zu, wo im Gegensatz zu Deutschland und den meisten europäischen Ländern nur eine Minderheit der Bevölkerung einen Mangel aufweist. „Das bedeutet aber, dass in diesen Studien überwiegend Menschen Vitamin D erhalten haben, die es gar nicht nötig hatten und davon auch nicht pro tieren konnten. Dadurch wurden die bei einem Mangel an Vitamin D zu erwartenden Effekte massiv unterschätzt.“ In PEVIDS wird dagegen genau ermittelt, welche Menge der einzelne Patient benötigt: Ist der Vitamin-D-Spiegel bestimmt, wird anhand des Körpergewichts und des Body-Mass-Index berechnet, wie viel supplementiert werden muss. Da das Vitamin

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VITAMIN D SOLL DABEI HELFEN, D IE PROGNOSE VON DARMKREBSPATIENTEN ZU VERBESSERN.

Viele Krebspatientinnen und -patienten leiden oft und teilweise sehr lange am Fatigue-Syndrom.

fettlöslich ist, verliert es sich schnell in den Fettzellen und steht dem Körper dann nicht mehr zur Verfügung. Übergewichtige Menschen brauchen also mehr davon als Normalgewichtige.

Die Supplementierung wird während der stationären Behandlung in Reha-Kliniken durchgeführt. Eine Hälfte der Probandinnen und Probanden erhält Vitamin D, die andere ein Placebo. Zu Studienbeginn und in de nierten Zeitabständen während und nach der Supplementierung werden Blut-, Urin- und Stuhlproben gewonnen. Die darin enthaltenen immunologisch aktiven Moleküle, in ihrer Gesamtheit auch Immunom genannt, werden von den Kollegen am DKTK-Standort Tübingen untersucht. Die Kollegen am DKTK-Partnerstandort München erforschen die Gesamtheit aller Proteine, das Proteom. In Kombination sollen diese Ergebnisse dabei helfen, dem Wirkmechanismus von

13 K REBSFORSCHUNG
PROGNOSE

Vitamin D auf die Spur zu kommen. „Wir wissen, dass Vitamin D die Immunabwehr anregt, aber was da im Einzelnen passiert, ist noch unklar“, fasst Brenner den aktuellen Stand der Forschung zusammen. Neben Immunom und Proteom möchte er demnächst auch das Mikrobiom untersuchen, also die Gemeinschaft aller Bakterien im Darm.

GEWICHT ALS FAKTOR ZUR FRÜHERKENNUNG

Vitamin D soll also dabei helfen, die Lebensqualität und Prognose von Darmkrebspatientinnen und -patienten zu verbessern. Doch wie kann eine effektive Prävention gelingen? Ein Faktor, der dabei lange Zeit unterschätzt wurde, ist das Gewicht. Klar ist, dass Übergewicht das Darmkrebsrisiko erhöht. Doch genau wie bei Vitamin D ist auch dessen Effekt vermutlich deutlich unterschätzt worden. Denn die meisten Daten stammen aus sogenannten Kohortenstudien, bei denen eine große Zahl an Menschen nach einer anfänglichen eingehenden Untersuchung über einen langen Zeitraum in Bezug auf Krebs und andere Erkrankungen nachbeobachtet wurden. „Zu Beginn wird das Gewicht ermittelt und dann beobachtet man, ob und wann die Person Krebs bekommt“, erklärt Brenner. Gewicht und Krebsrisiko werden dann in Relation gesetzt. Doch dieses Vorgehen verzerrt das Ergebnis, denn: „Viele Menschen verlieren schon Jahre vor der Darmkrebsdiagnose unfreiwillig an Gewicht“, erklärt der Epidemiologe.

Wer unbeabsichtigt zwei Kilo oder mehr an Gewicht verliert, sollte das ärztlich abklären lassen.

DAS MOLEKÜL STÄRKT D IE KNOCHEN, KURBELT DAS IMMUNSYSTEM AN UN D HEBT UNSERE STIMMUNG.

Gemeinsam mit seinem Team hat er daher Daten aus der DACHS-Studie ausgewertet, Abkürzung für: „Darmkrebs: Chancen der Verhütung durch Screening“. Sie wird seit 2003 am DKFZ durchgeführt. Alle Teilnehmenden hatten ihr Körpergewicht zum Zeitpunkt der Darmkrebsdiagnose angegeben und zusätzlich auch die Werte von früheren runden Geburtstagen. Das Ergebnis: Viel aussagekräftiger als das Gewicht zum Zeitpunkt der Diagnose ist das Gewicht in den Jahrzehnten zuvor. Wer in diesem Zeitraum ein hohes Übergewicht aufwies, der erkrankte doppelt so häu g an Darmkrebs wie Normalgewichtige.

Die Analyse zeigte auch, dass ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust von zwei Kilo oder mehr ein wichtiger Hinweis auf eine Darmkrebserkrankung sein kann.

„In diesem Zeitraum ist der Krebs schon da, aber noch nicht durch Symptome aufgefallen. Hausärzte sollten ihre Patienten daher regelmäßig nach unbeabsichtigtem Gewichtsverlust fragen, der nicht nur ein Hinweis auf Darmkrebs, sondern auch auf andere Krebserkrankungen sein kann“, appelliert Brenner. Überhaupt ist ihm die Früherkennung von Krebserkrankungen ein großes Anliegen. „Bei Darmkrebs gibt es sehr effektive Möglichkeiten der Vorsorge und Früherkennung. Bei einer besseren, am persönlichen Risiko der Menschen orientierten Nutzung dieser Möglichkeiten könnte die Mehrzahl der Erkrankungen an Darmkrebs, insbesondere der bereits in jungen Jahren auftretenden Erkrankungen, verhindert werden. Wie wir das am besten erreichen können, ist eine Frage, die mich sehr bewegt.“ Text: Claudia Doyle

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#1|2024 14 K REBSFORSCHUNG PROGNOSE
15 K REBSFORSCHUNG
PROGNOSE
#1|2024 16 D IABETESFORSCHUNG
EPIGENETIK

WENN DIE INNERE

UHR

VERRÜCKT SPIELT

NACHTSCHICHTEN ODER ANDERE VERSCHIEBUNGEN DES TAG-NACHT-RHYTHMUS KÖNNEN WICHTIGE SCHALTSTELLEN IM ERBGUT VERÄNDERN. VÄTER GEFÄHRDEN DADURCH NICHT

NUR IHRE EIGENE GESUNDHEIT, SONDERN AUCH DIE IHRER KINDER. DIE URSACHEN HIERFÜR ERFORSCHT DAS DEUTSCHE ZENTRUM FÜR DIABETESFORSCHUNG (DZD).

17 D IABETESFORSCHUNG EPIGENETIK

olland im Oktober 1944: Seit vier Jahren herrscht Krieg und bis zu seinem Ende im Mai 1945 blockieren die deutschen Besatzer auch noch die Lebensmittelversorgung der niederländischen Provinz. Die Menschen hungern, die Mahlzeiten sind rationiert. Auch für schwangere Frauen: In den Geburtskliniken wird dokumentiert, wie viele Kalorien den teils stark unterernährten Müttern zugeteilt werden, dazu ihr Gewicht und das der Neugeborenen. Diese Informationen bilden den Grundstock für eine Langzeitstudie, die bis heute andauert und mittlerweile die medizinischen Daten mehrerer Generationen umfasst. Ihr Fazit: Die Lebensumstände von Eltern haben langfristige Auswirkungen auf die gesundheitliche Entwicklung ihrer Kinder und Enkel – und zwar unabhängig von deren eigenem Lebensstil.

Das zeigt sich an jenen Holländerinnen, die als Schwangere hungern mussten, in eindrucksvoller Weise. Obwohl ihre Kinder nach Kriegsende ausreichend zu essen hatten, waren sie als Erwachsene gesundheitlich beeinträchtigt: Sie waren häu ger als die Normalbevölkerung von Typ-2-Diabetes oder Herz- und Nierenerkrankungen betroffen. Bei ihren Töchtern traten überdurchschnittlich viele Fälle von Brustkrebs und anderen Tumoren sowie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf. Im Gegensatz dazu waren die Söhne im fortgeschrittenen Alter anfälliger für Depressionen,

Angststörungen und neurodegenerative Diagnosen. Wie gründliche Analysen ergaben, geht all dies nur bedingt auf die genetische Veranlagung der Betroffenen zurück. Entscheidend ist vielmehr die Ablesebereitschaft ihrer Gene, sprich: deren epigenetische Signatur. Diese wirkt wie ein chemisches Schloss, das den Zugang zu bestimmten DNA-Sequenzen verwehrt oder freigibt und damit kontrolliert, ob und wann bestimmte Gene ihre Wirkung entfalten können.

HUNGERWINTER ALS PARADEBEISPIEL

Die gut untersuchten Folgen des holländischen „Hungerwinters“ gelten als Paradebeispiel für die Wirkmacht epigenetischer Veränderungen. „Wie wir heute wissen, sind diese allgegenwärtig: Manche verschwinden nach kurzer Zeit, andere bleiben ein Leben lang bestehen oder werden gar an nachfolgende Generationen weitergegeben. Somit erben wir von unseren Eltern nicht nur eine Vielzahl gesundheitsrelevanter Gene, sondern auch Informationen zu erworbenen Eigenschaften jenseits der DNA, und zwar auf anderer stof icher Grundlage, die an die nächste Generation weitergegeben wird – und damit die Wahrscheinlichkeit, ob und wie stark bestimmte Erkrankungen in Erscheinung treten.“, sagt DZD-Vorstand Prof. Martin Hrabě de Angelis. Um diese komplexen Prozesse zu verstehen und dabei genetische Ursachen sicher

EINFLUSS DER ERNÄHRUNG AUF DIE EPIGENETIK UND DAS DIABETESRISIKO

<1.000 kcal

Mangelernährung

Die Mangelernährung von Schwangeren im holländischen Hungerwinter führte bei ihren Babys zu epigenetischen Änderungen an zahlreichen Genen.

Wachstumsfaktor IGF2

Davon war auch das Gen für den insulinähnlichen Wachstumsfaktor IGF2 betro en. IGF2 spielt bei der Hungerregulation und der Insulinresistenz (Diabetes) eine Rolle.

#1|2024 18 D IABETESFORSCHUNG EPIGENETIK

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WIR ERBEN VON UNSEREN ELTERN NICHT NUR EINE VIELZAHL GESUNDHEITS-

RELEVANTER GENE, SONDERN AUCH DEREN EPIGENETISCHE PROGRAMMIERUNG.

ausschließen zu können, untersucht man am DZD Mäuse mit bekannter Gen-Ausstattung. Mit ihrer Hilfe konnten Forschende schon vor Jahren zeigen, dass übergewichtige Tiere ihre Fettleibigkeit durch epigenetische Mechanismen auf die Nachkommen vererben. Dabei ließen sich – jeweils unterschiedliche –Ein üsse beider Elternteile nachweisen.

DER VÄTERLICHE EINFLUSS

„Während die Mütter über den gesamten Zeitraum der Schwangerschaft und Stillzeit in engem Austausch mit ihrem Kind sind, bringen sich Väter nur für eine sehr kurze Zeit während der Empfängnis ins Spiel“, erklärt Dr. Raffaele Teperino, Leiter der Arbeitsgruppe Umwelt-Epigenetik am DZD. Dennoch ist der Molekularbiologe überzeugt, dass sich der väterliche Ein uss auf den Nachwuchs nicht auf die Gene beschränkt. Um diese These zu prüfen, arbeitet auch er mit genetisch klar charakterisierten Mäusen. Die Nager müssen nicht hungern, sondern dürfen fressen, so viel sie wollen – allerdings nur tagsüber. Weil Mäuse normalerweise nachts fressen, ist das für die Tiere eine sehr unnatürliche Situation. „Wenn wir sie nur tagsüber füttern, zwingen wir sie, ihren Schlaf-Wach-Rhythmus zu ändern. Diese Umstellung bedeutet eine einschneidende Störung ihres Lebensstils – und ist daher gut geeignet, um die epigenetischen Auswirkungen von Umweltein üssen zu untersuchen“, so Teperino.

19 D IABETESFORSCHUNG EPIGENETIK

DER SCHLAF-WACH-RHYTHMUS

Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist Teil des zirkadianen Rhythmus. Dieser synchronisiert die Aktivitäten von Lebewesen mit dem 24-Stunden-Zyklus, den die Erdentage vorgeben. Damit dies gelingt, besitzen mehrzellige Organismen in praktisch jeder Körperzelle eine Art innere Uhr: Diese stimmt molekulare Prozesse aufeinander ab, um die Funktionsfähigkeit des Gesamtorganismus zu gewährleisten, und sorgt insbesondere für das kontrollierte Ablesen von Genen. Störungen dieses fein austarierten Systems haben gravierende Auswirkungen auf den Stoffwechsel – mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit. So hinterließ der gestörte SchlafWach-Rhythmus auch an Teperinos Mäusen messbare Spuren. Zwar gewöhnten sich die Nager binnen weniger Tage an die Umstellung und verhielten sich unauffällig; auch fraßen und wogen sie während des 30 Tage dauernden Versuchs ähnlich viel wie Kontrolltiere mit natürlichem Tagesrhythmus. Dennoch waren wichtige Prozesse in ihrem Körper aus dem Takt geraten: Mehr als 8000 Gene ihrer Leberzellen zeigten ungewöhnliche Aktivitätsmuster. Zudem fanden sich in ihrem Blut abnormale Konzentrationen wichtiger Hormone: Insulin war den ganzen Tag über in größeren Mengen vertreten, Corticosteron – ein wichtiger Regulator des Zucker- und Eiweißstoffwechsels – in deutlich geringeren.

Die größte Überraschung aber brachte die Untersuchung der Nachkommen von aus dem Takt gebrachten Mäusemännchen: Auch sie zeigten gravierende Auffälligkeiten – obwohl sowohl ihre Mütter als auch sie selbst im natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus gehalten wurden. „Die Jungen hatten eine verzögerte Gehirnentwicklung. Außerdem fraßen sie mehr, schliefen weniger und hatten deutlich höhere Konzentrationen an Blutzucker und Corticosteron als die Jungen unbelasteter Väter. Ihr Rhythmus war in gewisser Weise durcheinander – als ob sie sich an die unnormale Umgebung ihrer Väter erinnern könnten“, fasst Teperino zusammen. Paarten sich die Männchen hingegen erst zwei Wochen nach Beendigung der erzwungenen Schlaf-Wach-Umstellung, dann zeigten ihre Jungen keinerlei Abnormalitäten.

STÖRUNGEN

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SCHLAF-WACH-
GRAVIERENDE
DEN STOFFWECHSEL – MIT WEITREICHENDEN FOLGEN FÜR DIE GESUNDHEIT. #1|2024 20 D IABETESFORSCHUNG EPIGENETIK
DES
RHYTHMUS HABEN
AUSWIRKUNGEN AUF

EPIGENETISCHE MECHANISMEN

Sind hier epigenetische Mechanismen am Werk – und falls ja, wie erzielen sie ihre Wirkung? Eine gründliche Analyse der Spermien brachte keine Lösung. Denn die Spermien belasteter und unbelasteter Mäusemännchen unterschieden sich weder in ihren Genen noch in deren epigenetischen Signaturen. Offenbar wirkt sich der gestörte Schlaf-Wach-Rhythmus der Väter also nicht auf die Keimzellen aus. Fündig wurde das DZDTeam schließlich in der Samen üssigkeit: Sie enthielt, ebenso wie das Blut der aus dem Takt gebrachten Nager, abnormal wenig Corticosteron. Damit war eine plausible Erklärung der Phänomene gefunden. #

KINDER VON VÄTERN IN NACHTSCHICHTEN WEISEN ERHÖHTE CORTICOSTERONWERTE AUF.

„Die Samen üssigkeit ist eine Schnittstelle zwischen Mutter und Vater; sie vermittelt während der Empfängnis die Kommunikation zwischen den Eltern“, so Teperino: „Ein veränderter Corticosteron-Spiegel in der Samen üssigkeit sendet ein problematisches Signal an die Mutter. Daraus resultiert eine Funktionsstörung der Plazenta, die wiederum eine verzögerte Entwicklung des Fötus zur Folge hat. Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein gestörter zirkadianer Rhythmus des Vaters während der Zeugung die Gesundheit der Nachkommen entscheidend beein usst.“

Ähnliche Zusammenhänge bestehen auch beim Menschen, wie eine laufende Studie in Spanien nahelegt. „Dazu haben wir die Corticosteron-Werte im Speichel von Kindern gemessen, deren Väter in Nachtschichten arbeiten. Normalerweise sollten die Werte am frühen Morgen am höchsten sein und nachts absinken. Stattdessen bleiben sie aber den ganzen Tag über hoch“,

so Teperino. Künftig soll durch die Bauchdecke von schwangeren Frauen auch die Hirnaktivität von Babys gemessen werden, deren Väter Nachtschichten arbeiten oder deren Mütter an Schwangerschaftsdiabetes – und damit höchstwahrscheinlich an einer nicht voll funktionsfähigen Plazenta – leiden. Dieses Forschungsprojekt wird vom DZD nanziert; erste Ergebnisse könnten bis Ende 2026 vorliegen.

Text: Monika Offenberger

21 D IABETESFORSCHUNG EPIGENETIK

WEGEN IHRER PRAKTISCHEN EIGENSCHAFTEN SIND SOGENANNTE PFAS-STOFFE ALLGEGENWÄRTIG. WELCHEN SCHADEN SIE IM MENSCHLICHEN KÖRPER ANRICHTEN, WIRD KONTROVERS DISKUTIERT.

Zuerst sahen Forschende in den 1960er-Jahren bei Hasen und Ratten, was die neuartigen Substanzen bewirkten: Nachdem die Tiere damit in Kontakt kamen, dauerte es nicht lange, bis sich ihre Leber krankhaft vergrößerte. Die Chemikalien namens PFAS hatten da schon längst ihren Siegeszug um die Welt angetreten: Denn sie machen Regenschirme wasserdicht, in Pfannen brennt durch sie das Essen nicht an, Löschschaum wird damit besonders wirksam. Die Wissenschaft schaute dann auch auf Arbeiter in den Chemiefabriken – und stellte fest, dass sich diese Substanzen im Blut stark anreicherten.

Ein paar Jahrzehnte später beugten sich Prof. Dr. Dr. Monique Breteler und ihre Doktorandin Elvire Landstra über die alten Studien. „Als Epidemiologinnen kennen wir das Muster“, sagen die beiden heute, wo sich die negativen Schlagzeilen über PFAS wieder häufen: „Die Extreme fallen immer schnell ins Auge, in diesem Fall also die Fabrikarbeiter, die besonders hohen Dosen ausgesetzt waren. Aber wie sich eine Substanz auf die breite Bevölkerung auswirkt, das lässt sich nur schwer feststellen.“ Über Jahrzehnte fehlte dafür die Technologie; doch jetzt könnte es sie geben und die beiden Wissenschaftlerinnen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn wollen damit endlich diese Wissenslücke schließen.

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UNVERWÜSTLICHE SUBSTANZEN

PFAS ist der Oberbegriff für zahlreiche Substanzen, Fachleute sprechen die Abkürzung „p-fass“ aus: Das steht für „per- und poly uorierte Alkylverbindungen“. Diese Stoffe sind für viele Bereiche sehr attraktiv: Denn sie weisen Wasser, Fett und Schmutz ab – für Lebensmittelverpackungen ist das ideal, aber auch für Zahnseide, Kosmetik und atmungsaktive Funktionsjacken. Schätzungsweise rund 10.000 verschiedene Substanzen aus der Kategorie der PFAS wurden inzwischen entwickelt. Neben ihrer chemischen Grundkonstruktion haben die Wundermittel eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind so gut wie nicht abbaubar. „Ewigkeitschemikalien“ werden sie deshalb auch genannt.

MODERNSTE TECHNIK

Monique Breteler und Elvire Landstra wissen, was diesen Chemikalien nachgesagt wird. Sie sollen Krebs erregen, das Immunsystem schädigen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen – die Liste ist lang. Und immer steht einschränkend dabei: Sie stehen „unter Verdacht“, diese Krankheiten auszulösen. „Unser Problem ist, dass sich die Kausalität nur schwer nachweisen lässt – dass also tatsächlich PFAS diese Krankheiten auslösen und es nicht nur Zufall ist, dass Patienten mit bestimmten Erkrankungen einen höheren PFAS-Spiegel im Blut haben. Aus bisherigen Daten lässt sich dieser Zusammenhang nicht klar ermitteln“, sagt Breteler. Die renommierte Professorin für Epidemiologie leitet am DZNE die „Rheinland Studie“, eine der weltweit tiefgehendsten Gesundheitsstudien. Ihre Überlegung: Mit modernen Technologien müsste sich die Beweiskette mehr und mehr schließen lassen – dafür nutzen sie sogenannte Metabolomics-Analysen.

Es sind Methoden, mit denen sich der menschliche Körper quasi auseinandernehmen lässt. So kann aus einer einfachen Blutprobe ein Datensatz gewonnen werden, der Tausende verschiedene Bestandteile aufführt. Wer das wiederum bei Tausenden Probanden macht, kann aus der Auswertung belastbare Zusammenhänge erkennen. Die Frage lautet: Welche im Blut messbaren Substanzen verändern sich besonders stark im Kontakt mit PFAS? Von da lassen sich Rückschlüsse ziehen auf Stoffwechseländerungen und Krankheiten, die durch die PFAS-Belastung hervorge-

25 P OPULATIONSFORSCHUNG GEFAHRENSTOFFE

RHEINLAND STUDIE

Die „Rheinland Studie“ des DZNE ist eine auf Jahrzehnte angelegte, bevölkerungsbasierte Gesundheitsstudie in Bonn. Teilnehmende werden alle paar Jahre zu einer Bestandsaufnahme ihrer Gesundheit eingeladen. Eine Teilgruppe wurde auf PFAS untersucht.

MENGE, DER BISHER GESAMMELTEN DATEN

AN DER RHEINLAND STUDIE BETEILIGTE PROBANDEN (BISLANG)

280,8 224 10.730 TERABYTE:

FÜR DIE PFAS-ANALYSE AUSGEWERTETE METABOLITEN JE PROBAND

Das Problem mit den Ewigkeitschemikalien ist, dass sie in die menschliche Nahrungskette gelangen. Über den Löschschaum von Feuerwehren kommen sie beispielsweise ins Grundwasser. Oder sie landen über Kratzer an der Beschichtung von Pfannen im Essen. Und vor einigen Jahren deckten Forschende aus Belgien und den Niederlanden einen großen Umweltskandal auf: Sie nahmen Wasserproben aus Flüssen, die in die Nordsee münden, vor allem aus der Schelde. Bei der Analyse waren die PFAS-Werte exorbitant hoch. Das Team stellte die Verbindung zum Werk eines Chemiegiganten her. Von dort müssen die Substanzen ins Wasser gelangt sein. Wer Fische aus der Region aß oder das dortige Leitungswasser trank, kam zwangsläu g mit den Chemikalien in Kontakt.

Vor diesem Hintergrund bekam Monique Breteler einen Anruf von Kolleginnen und Kollegen aus Leiden. Denn in den Niederlanden gab es einen neuen Skandal und ein Gerichtsverfahren, da ein anderes Chemiewerk ebenfalls große Mengen an PFAS produzierte und die Umwelt verschmutzte. „Daraufhin haben wir uns vorgenommen, gemeinsam aufzuschlüsseln, welche gesundheitlichen Auswirkungen diese Chemikalien haben“, sagt Breteler. Sie brachte einen Datenschatz in die Untersuchung mit ein: Blutproben von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Rheinland Studie. Über viele Jahre werden darin Tausende Erwachsene immer wieder untersucht, die einen Querschnitt durch die Bevölkerung bilden.

STARKER ZUSAMMENHANG MIT HERZ-KREISLAUF-ERKRANKUNGEN

„Wir haben zunächst gemessen, wie hoch die PFAS-Belastung im Blut der Probanden war“, erklärt Elvire Landstra, die die Daten analysierte. Monique Breteler erinnert sich noch gut an den Moment, als sie die ersten Ergebnisse auf dem Papier vor sich sah: „Ich war geschockt“, sagt sie: „Ich hätte nicht erwartet, dass wir so starke Ausschläge sehen: Bei allen Beteiligten haben wir durch die Bank hohe PFAS-Werte festgestellt, bei jüngeren genauso wie bei älteren!“ Besonders überrascht war sie, dass nahezu alle Studienteilnehmenden PFAS im Blut hatten. Die Stoffe sind allgegenwärtig, und niemand kann ihnen entkommen, so die Schlussfolgerung der Forschenden.

#1|2024 26 P OPULATIONSFORSCHUNG GEFAHRENSTOFFE

DAS PROBLEM MIT DEN EWIGKEITSCHEMIKALIEN IST, DASS SIE IN DIE MENSCHLICHE NAHRUNGSKETTE GELANGEN.

Und dann stellten sie weitere Auffälligkeiten fest. „Wir haben uns auch das Lipid-Pro l der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sehr genau angeschaut“, berichtet Landstra. Lipide sind Fettstoffe; hier zeigte sich nun: Manche davon – sogenannte Metaboliten, wie das bekannte Cholesterin – kommen bei Probanden mit besonders hohem PFAS-Spiegel in stärkerer Konzentration vor. Dies ist zwar kein Beweis für einen ursächlichen Ein uss der PFAS-Chemikalien auf die Metaboliten, aber der statistische Zusammenhang ist dafür ein starkes Indiz. „Uns wurde schnell klar: Es sind genau jene Metaboliten, die in Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen. Genau diese Metaboliten gelten als Risikofaktoren“, sagt Landstra. Dass sie in ihren Untersuchungen nur die Spitze des Eisbergs im Blick haben, wissen die Wissenschaftlerinnen: Denn sie konzentrierten sich auf die drei häu gsten PFAS-Sorten; vermutlich aber wirken die insgesamt rund 10.000 jeweils unterschiedlich; schon jetzt gibt es Hinweise darauf, dass manche stärker die Niere, andere stärker die Leber betreffen. Und womöglich gibt es auch noch Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Arten. Darüber hinaus haben die Forschenden bisher nur die Effekte von PFAS auf einen Bruchteil der verfügbaren Biomarker und Gesundheitsindikatoren betrachtet. Gerade planen Monique Breteler und Elvire Landstra die nächste Untersuchung – mit noch mehr Probanden und noch mehr Daten.

Viele Jahrzehnte nach den ersten verdächtigen Beobachtungen sieht es so aus, als könnte die Forschung die wahren Auswirkungen der vermeintlichen Wunderchemikalien allmählich lüften.

Text: Kilian Kirchgeßner

27 P OPULATIONSFORSCHUNG GEFAHRENSTOFFE

ANTIMIKROBIELLE REZEPTUREN AUS DER UMWELT

PHAGEN STATT ANTIBIOTIKA?

DIESE THERAPIEFORM WAR IN DER WESTLICHEN

WELT LANGE IN VERGESSENHEIT GERATEN. KAUM

AUSGESCHÖPFT IST AUCH DAS ANTIBIOTISCHE

POTENZIAL VON MIKROORGANISMEN IM ERDREICH.

#1|2024 28 INFEKTIONSFORSCHUNG ALTERNATIVEN
#1|2024 30 INFEKTIONSFORSCHUNG ALTERNATIVEN

aus dem Griechischen kommende Wort „Bakteriophage“ bedeutet „Bakterienfresser“. Bakteriophagen sind Viren: Sie können sich nur vermehren, indem sie ihr Erbgut in Bakterien injizieren und deren Replikationsmaschinerie für ihre Zwecke ausnutzen. Sind die neuen Phagen „reif“, platzt die Wirtszelle – und stirbt. Dieser Effekt wird schon seit den 1920er-Jahren in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion therapeutisch genutzt, vor allem als Ersatz für Antibiotika, an denen es dort aus Kostengründen lange mangelte. Bis heute reisen Patientinnen und Patienten aus aller Welt mit hartnäckigen Infektionen in die georgische Hauptstadt Ti is, dem Mekka der Phagentherapie, um über Apotheken an für sie individuell gemischte Phagencocktails zu gelangen.

„Nicht immer war die Therapie erfolgreich. Das lag jedoch, wie wir heute wissen, meist daran, dass zu wenig, manchmal die falschen und nicht gut aufgereinigte Phagen eingesetzt wurden“, sagt Dr. Christine Rohde, Mikrobiologin und Leiterin der Arbeitsgruppe „Klinische Phagen und gesetzliche Regulation“ am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, einer Mitgliedseinrichtung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in Braunschweig. Dort wird eine stetig wachsende Kollektion an Phagen und passenden Wirtsbakterien gesammelt, charakterisiert, gelagert und für die Forschung weltweit zur Verfügung gestellt.

DIE EVOLUTION NUTZEN

Voraussetzung für den Therapieerfolg ist ein ausführliches Phagogramm, bei dem der jeweilige Infektionserreger identi ziert und im Labor testweise passenden Phagen ausgesetzt wird. Denn wie ein Schlüssel ins Schloss passt eine Phagenspezies zu einer ganz bestimmten Bakterienart – weil nur sie mit ihren Schwanz bern an den Ober ächenrezeptoren des Bakteriums andocken kann. So evolvieren Bakterien und ihre Viren seit Urzeiten gemeinsam – und nden sich, quasi als Paare, auch zuhauf im menschlichen Mikrobiom. „Medizinisch relevante Phagen su-

chen wir deshalb nicht nur in Kompost, Waldböden, Kot und Gülle aus dem hiesigen Zoo, sondern vor allem in Klinikabwässern“, sagt Dr. Johannes Wittmann, Leiter der DSMZ-Arbeitsgruppe „Phagengenomik und -anwendung“ und Experte für Phagen-Biodiversität. Die gesammelten Proben werden erst steril ltriert, um alle enthaltenen Mikroorganismen zu entfernen. „Dann ziehen wir die Bakterienspezies, gegen die wir Phagen suchen, an – quasi als Köder – und inkubieren sie mit der Umweltprobe.“ Bei Erfolg nden die Forschenden kleine Plaques, Löcher im Bakterienrasen, in denen Bakterien in ziert und abgetötet wurden. Von Agarplatten mit solchen Plaque-Löchern können die Phagen einfach „abgewaschen“ und so gewonnen werden. Aus einer großen Zahl und Vielfalt von Phagen, die sich spezi sch gegen eine Bakterienspezies richten – beispielsweise das Bakterium Enterococcus faecium im Projekt EVREA-Phage (die Abkürzung steht für: Eradikation intestinaler Vancomycin-resistenter E. faecium (VRE) mittels oraler Phagentherapie) – werden dann über zahlreiche Tests einige wenige ausgesucht, die am ef zientesten gegen diese Zielbakterien wirken.

EIN VIRUS ALS MEDIKAMENT

Damit Phagentherapien auch in Deutschland endlich zugelassen werden, verlangt die Arzneimittelbehörde mindestens eine erfolgreiche, systematische, kontrollierte Studie, welche die Ef zienz dieser Therapieform beweist. Christine Rohde ist zuversichtlich, denn mit „Phage4Cure“, einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung nanzierten Phase-I-Studie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, könnte das schon bald gelingen. Dort wird aktuell die Wirkung der Inhalation eines hochgereinigten Phagencocktails gegen Pseudomonas aeruginosa bei der Stoffwechselerkrankung zystische Fibrose (CF) und bei Non-CF-Bronchiektasen, einer chronischen Atemwegserkrankung, getestet.

Die Indikationsfelder für Phagentherapien sind vielfältig: Getrocknet und magensäureresistent verkapselt

as 31 INFEKTIONSFORSCHUNG ALTERNATIVEN

wären sie beispielsweise bei Darminfektionen einsetzbar. Selbst für die Behandlung von bakteriellen Hirnhautentzündungen sind sie ebenfalls interessant, denn im Gegensatz zu den meisten Arzneimitteln überwinden Phagen die Blut-Hirn-Schranke. „Breite Anwendung werden sie vor allem in der Behandlung ober ächlicher und tiefer Wunden nden, was wir aktuell mit dem Bundeswehrkrankenhaus in Berlin im Projekt ‚PhagoFlow‘ untersuchen“, betont Johannes Wittmann. Phagen sollen Antibiotika nicht ersetzen, sondern eine Alternative sein. Eine sehr sanfte sogar, denn ihre Lebensweise macht die Viren zu einzigartigen Arzneimitteln: Anders als Antibiotika zerstören sie nicht die Darm ora der Patientinnen und Patienten und sie replizieren sich nur, solange sie genau den Infektionserreger nden, auf den sie angesetzt wurden. Danach gehen die Phagen zugrunde und werden einfach vom Körper abgebaut.

GANZ BODENSTÄNDIG: NEUE ANTIBIOTIKA

Antibiotika werden weiterhin gebraucht. Aufgrund zunehmender Resistenzen ist die Forschung jedoch auf der Suche nach neuen Wirkstoffen. Die könnten sehr nah sein: Es muss kein Urwald durchkämmt oder in der Tiefsee nach seltenen Schwämmen getaucht werden –im Erdreich von Gärten, Äckern, Wäldern und Wiesen wimmelt es nur so von noch unbekannten, antibiotisch „hochgerüsteten“ Bakterien- und Pilzarten. „Im Prinzip haben wir erst ein Prozent dieser Mikroorganismen aus der Umwelt kultivieren und diesbezüglich untersuchen können“, sagt Prof. Tanja Schneider, DZIF-Forscherin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Das liegt unter anderem daran, dass manche Spezies extrem langsam wachsen – auch weil sie unter Umständen bestimmte Wachstumsfaktoren benötigen, die sie im natürlichen Habitat, aber nicht in künstlichen Labornährböden nden – und deshalb beim Anzüchten von Proben im Labor bisher schlicht übersehen wurden.

Mit der iChip-Technologie, die Kim Lewis und Slava Epstein, enge Kooperationspartner von Tanja Schneider an der Northeastern University in Boston, entwickelt haben, ändert sich das nun. Wird der Kunststoffchip in eine verdünnte Bodenprobe eingetaucht, werden in seinen 380 winzigen Hohlräumen Mikroorganismen einzeln gefangen. Der mit semipermeablen Membranen verschlossene Chip wird dann wieder genau in den Boden eingesetzt, aus dem die Probe stammt. Und dann beginnt das große Warten. Die Porengröße der Membranen erlaubt lediglich den Nährstoffaustausch mit der Umgebung. Andere Bakterien können aber nicht eindringen und die Vereinzelten überwuchern und abtöten.

„Auf diese Weise können jetzt rund 50 Prozent der vorher nicht kultivierbaren Bakterien aus einer Bodenprobe angezüchtet werden“, betont Tanja Schneider. So auch Eleftheria terrae sp. carolina, isoliert im Boden

ADer Phage dockt an ein Bakterium an und injiziert sein Erbgut.

BDas Bakterium wird umprogrammiert und produziert viele neue Phagen.

CDie Phagen reifen heran.

DDie Wirtszelle zerplatzt und die Phagen werden freigesetzt und können das nächste Bakterium befallen.

#1|2024 32 INFEKTIONSFORSCHUNG ALTERNATIVEN

1Im Boden leben Milliarden von Mikroorganismen. Viele von ihnen konnten bisher im Labor nicht kultiviert werden.

2Eine Bodenprobe wird entnommen und verdünnt. Beim Eintauchen des iChips in die verdünnte Bodenprobe werden einzelne Bakterienzellen in die winzigen Kammern aufgenommen.

3Der iChip wird im Boden vergraben, damit die einzelnen Zellen Nährsto e erhalten und sich in der Kammer vermehren können. Die entstandene Kolonie kann dann im Labor weiter kultiviert werden.

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MIT iCHIP KÖNNEN JETZT

RUND

50 PROZENT DER VORHER NICHT KULTIVIERBAREN BAKTERIEN AUS EINER

BODENPROBE

ANGEZÜCHTET WERDEN.

North Carolinas, die erst nach zwölf Wochen Kolonien bildete, danach dann aber auch in der Lage war, auf Labornährböden zu wachsen. Die in dem Bakterium entdeckten außergewöhnlichen Wirkstoffe Teixobactin und Clovibactin konnte das Forscherteam bereits entschlüsseln. Für die „Arbeitsweise“ von Teixobactin gelang ihr das im Rahmen der DZIF-Wirkmechanismus-Plattform „Antibiotic Mode of Action Platform“ bereits 2015. Und gemeinsam mit Markus Weingart, der an der Universität Utrecht in den Niederlanden die Struktur des neuartigen Antibiotikums im Komplex mit der Zielstruktur aufklärte, 2023 auch für Clovibactin.

Beide Substanzen sind komplexe, zyklische Moleküle, sogenannte Depsi-Peptide, die neben Peptid- auch Esterbindungen enthalten und eine völlig neuartige

Klasse von Antibiotika darstellen. In der Natur kommen mehrheitlich L-Aminosäuren vor, doch zwei der acht Aminosäuren von Clovibactin sind D-Aminosäuren. „Clovibactin blockiert nicht nur an drei verschiedenen Zielstrukturen gleichzeitig die Zellwandsynthese, sondern löst Bakterienwände auch ungewöhnlich schnell auf.“ Tricks, die in Kombination pathogenen Keimen wenig Chancen lassen, Resistenzen gegen den Wirkstoff zu entwickeln, vermutet die Forscherin. Clovibactin scheint noch an andere Zielstrukturen der Bakterienzelle zu binden, was die Forschenden jetzt weiter untersuchen wollen. Auch anhand von Strukturvarianten des Wirkstoffs, sogenannten Derivaten, die Chemiker in verschiedenen Laboren synthetisch herstellen werden.

Weil die neuen Antibiotika aus einem gram-negativen Bakterium stammen, das über eine äußere Zellmembran verfügt, wirken sie besonders effektiv gegen gram-positive Keime, die diesen Schutzmantel nicht besitzen zum Beispiel gegen den gefürchteten Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und Mykobakterien wie den Tuberkuloseerreger. Gegen Letzteren soll Teixobactin nun weiterentwickelt werden.

Warum hat Eleftheria terrae diese Wirkstoffe entwickelt? „Das ist bakterielle Kriegsführung“, sagt Tanja Schneider. „Es geht um Konkurrenz. Darum, andere Organismen zu töten, um sich selbst Ressourcen zu sichern.“ Text: Catarina Pietschmann

33 INFEKTIONSFORSCHUNG ALTERNATIVEN
#1|2024 34 HERZ-KREISLAUF-FORSCHUNG URBANITÄT

UNSICHTBARE GEFAHR: FEINSTAUB UND LÄRM

WER LUFTVERSCHMUTZUNG ODER LÄRM AUSGESETZT IST,

MUSS MIT HERZ-KREISLAUF-ERKRANKUNGEN UND EINER

GERINGEREN LEBENSERWARTUNG RECHNEN: FEINSTAUB

VERKÜRZT DAS LEBEN EINES MENSCHEN UM KNAPP DREI

JAHRE. NEBEN STRENGEREN GRENZWERTEN BRAUCHT

ES LAUT FORSCHERINNEN UND FORSCHERN AM DZHK EINE MENSCHENGERECHTE UMGESTALTUNG DER STÄDTE.

35 HERZ-KREISLAUF-FORSCHUNG URBANITÄT

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JE KLEINER, DESTO GEFÄHRLICHER:

ULTRAFEINSTAUB KANN DAS GEHIRN ERREICHEN

Industrialisierung und Urbanisierung bringen nicht nur Vorteile. Dass Industrie, Verkehr, Kraftwerke oder Gebäude ihren Energiebedarf durch die Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle decken, sorgt für reichlich „dicke Luft“. Und die hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit: Laut einer Studie der medizinischen Fachzeitschrift Lancet starben im Jahr 2019 knapp neun Millionen Menschen vorzeitig aufgrund von schlechter Luftqualität beziehungsweise Schadstoffen wie Stickstoffdioxid, Schwefeloxiden, Kohlenmonoxid, Ozon oder Feinstaub. Professor Thomas Münzel, Principle Investigator beim Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) und aktuell Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz, kann das nur unterstreichen: „Unsere Studien zeigen, dass die Luftverschmutzung zu den größten Gesundheitsgefahren gehört. Vor allem Feinstaub verursacht Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Atemwege oder verschlimmert diese. Luftverschmutzung übertrifft Malaria als Ursache vorzeitiger Todesfälle um den Faktor 19 und Aids um den Faktor 9.“

FEINSTAUB IST KLEINER

ALS MENSCHLICHES HAAR:

#1|2024 36 HERZ-KREISLAUF-FORSCHUNG URBANITÄT

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen vom Max-Planck-Institut für Chemie hat Münzels Team in einer Studie berechnet, um wie viele Jahre die Lebenserwartung durch diese Umweltein üsse im Durchschnitt verkürzt wird. Die Daten bestätigen die Resultate der Lancet-Studie: Demnach verursacht Luftverschmutzung weltweit jährlich 8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle, in erster Linie durch die ischämische koronare Herzerkrankung, Schlaganfall, Bluthochdruck und Diabetes. Für Europa ergaben sich 800.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr. „Das entspricht einer durchschnittlichen Verkürzung der globalen Lebenserwartung um 2,9 Jahre pro Kopf. Rauchen verkürzt die Lebenserwartung um durchschnittlich 2,2 Jahre. Damit hat Feinstaub eine ähnliche Bedeutung für die öffentliche Gesundheit wie das Rauchen“, folgert der Kardiologe.

FEINSTAUBPARTIKEL GELANGEN IN DIE LUNGENBLÄSCHEN

Laut WHO schädigt Feinstaub weltweit mehr Menschen als jeder andere Luftschadstoff. Je kleiner die Partikel, desto gefährlicher: Ultrafeinstaub mit einer Größe von 0,1 Mikrometer – der Dimension eines Virus – kann nach Inhalation direkt über den Riechnerv das Gehirn erreichen und Strukturen aktivieren, die Bluthochdruck auslösen können. Staub mit einer Partikelgröße kleiner 10 (PM10) beziehungsweise 2,5 Mikrometer (PM2,5) dringt in die Lungenbläschen ein und über das Lungenepithel in die Blutbahn, wird dann von den Blutgefäßen aufgenommen und löst dort Entzündungen, hohen oxidativen Stress und auch epigenetische Veränderungen aus. Feinstaub kann zur Verengung der Gefäße führen: Die Folgen dieser sogenannten endothelialen Dysfunktion sind erhöhter Blutdruck und Gefäßschäden durch eine beschleunigte Atherosklerose, die Herzinfarkt, Herzinsuf zienz, Schlaganfall und Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Die Lungen können ebenfalls betroffen sein und eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) kann folgen, genau wie Lungenentzündungen und auch Lungenkrebs.

Die Forscherinnen und Forscher plädieren dafür, den in der EU geltenden Höchstwert für PM2,5 von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter für den Jahresmittelwert drastisch zu senken. Er ist fünfmal so hoch wie der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Grenzwert von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter. Zum Vergleich: In den USA liegt der empfohlene Jahresmittelwert seit 2012 bei 12, in Kanada seit 2015 bei 0. In Australien sind es 8 Mikrogramm pro Kubikmeter, bis 2025 soll er auf 7 gesenkt werden.

GEFÄSSSCHÄDEN DURCH

LÄRM

Neben Feinstaub ist Lärm der Faktor, der die menschliche Gesundheit am stärksten gefährdet. In Ballungsräumen und Städten sind laut der Europäischen Umweltagentur allein aufgrund des Straßenverkehrs mehr als 113 Millionen Europäer täglich einem Lärmpegel von über 55 Dezibel (dB) ausgesetzt. 22 Millionen müssen den Lärm von Schienen, 4 Millionen von Flugverkehr ertragen, die in ihrem Tagesmittelwert mit 70 bis 70 dBA deutlich über diesen Grenzwerten liegen.

Bei 6,5 Millionen Menschen verursacht Lärm schwere Schlafstörungen. Lärmwerte von über 100 dBA schädigen das Hörorgan. Geräusche zwischen 50 und 60 Dezibel – das entspricht einem Gespräch – stören bereits die Aufmerksamkeit, Kommunikation und auch den Schlaf und erzeugen damit eine Belästigungsreaktion, die sogenannte „Annoyance“: Man ärgert sich darüber. Dies wiederum bedeutet Stress und damit verbunden eine Aktivierung des Sympathikus und eine vermehrte Ausschüttung von Cortison aus der Nebennierenrinde. Thomas Münzel hat das 2021 gemeinsam mit Mette Sørensen und Andreas Daiber im Fachartikel „Transportation noise pollution and cardiovascular disease“ in der Zeitschrift Nature Review Cardiology beschrieben.

Chronischer Stress wiederum fördert die Ausbildung von Risikofaktoren wie arterieller Hypertonie und von erhöhtem Cholesterin- und Glukosespiegel. Die Folge sind ein manifester Bluthochdruck, Herzinfarkte, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen und Schlaganfälle. Weiterhin psychische Störungen wie Angststörungen und Depression oder Demenz – und hier insbesondere der Alzheimer-Subtyp.

37 HERZ-KREISLAUF-FORSCHUNG URBANITÄT
#1|2024 38 HERZ-KREISLAUF-FORSCHUNG URBANITÄT

In Experimenten mit Mäusen fand Thomas Münzels Arbeitsgruppe heraus, dass Fluglärm bereits nach 24 Stunden Gefäßschäden auslöst. Im Vergleich zu Mäusen, die keinem Fluglärm ausgesetzt waren, stieg bei den lärmbelasteten Tieren die Zahl der freien Radikale in den Gefäßen an und diese zeigten deutliche Entzündungsreaktionen. Bei Versuchen mit gesunden Probanden führte die Simulation von 30 beziehungsweise 60 nächtlichen Über ügen zu endothelialer Dysfunktion, grenzwertigem Blutdruckanstieg und Schlafstörungen. Bei Patientinnen und Patienten mit koronaren Herzerkrankungen waren die Auswirkungen ausgeprägter und die Blutdruckanstiege noch stärker. Interessanterweise konnten die Gefäßschädigungen durch die Akutgabe von Vitamin C behoben werden, was für eine kausale Rolle von Radikalen bei der Gefäßfunktionsstörung spricht. Neuere Daten aus der Schweiz konnten ebenfalls nachweisen, dass insbesondere Nacht uglärm die Entstehung eines akuten Herzinfarktes triggern kann.

GRENZWERTE SENKEN, STÄDTE UMBAUEN

Bewegung und Ernährung können gegen die Belastungen helfen. Das Forschungsteam um Thomas Münzel interessierte auch die Rolle der „endothelial alpha1 AMPK“, der sogenannten AMP-aktivierten Proteinkinase. Dieses Enzym wird aktiviert, um Energiereserven aufzubauen, wenn Zellen „hungern“. Frühere Studien wiesen nach, dass es auch entzündungshemmend und antioxidativ wirkt. Deshalb verordnete das Versuchsteam den Labormäusen ein längeres „Sportprogramm“ im Laufrad. Untersucht wurde auch, wie sich eine Diät in einem Zeitraum von acht Wochen auswirkt, denn Hungern aktiviert auch die AMK-Kinase. Es zeigte sich, dass sowohl Fasten als auch Sport die negativen Auswirkungen der Lärmbelastung nahezu vollständig aufheben. Positiv auf die Gesundheit der Versuchstiere wirkte sich auch die Gabe eines AMPK-Aktivators aus, der in seiner Wirkweise dem des Diabetes-Medikaments Metformin entspricht.

Fluglärm vor einem Herzinfarkt kann sich auch auf die Pumpfunktion des Herzens auswirken. Negative Effekte auf Patientinnen und Patienten, die einen akuten Herzinfarkt haben, beschreiben die Autoren einer translationalen Studie, die tierexperimentelle Untersuchungen und eine Bestätigung der Daten im Rahmen der bevölkerungsbasierten Gutenberg-Gesundheitskohortenstudie beinhaltete. „Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass Menschen mit einem akuten Herzinfarkt klinisch einen schlechteren Verlauf haben, wenn sie in der Vergangenheit einer Lärmbelastung ausgesetzt waren“, erläutern Michael Molitor, Post-Doc-Vertreter des DZHK, und Philip Wenzel, Principle Investigator des DZHK, zwei der Autoren der Studie.

Die experimentellen Ergebnisse, hofft Münzel, könnten einen Ansatz für klinische Studien liefern. Den größten Effekt jedoch, um das globale Gesundheitsrisiko von Verkehrslärm nachhaltig zu minimieren, sehen die Wissenschaftler in der Einführung der von der WHO empfohlenen Grenzwerte als EU-Gesetze. Darüber hinaus seien Kommunen, Architektinnen und Architekten sowie Stadtplanung gefordert, Ballungsräume menschengerecht und damit gesundheitsfreundlich zu gestalten: Dazu gehören unter anderem eine emissionsfreie Energieerzeugung, kurze Arbeits- und Einkaufswege, auto- beziehungsweise verbrennungsmotorenfreie Zonen, die Schaffung von Grün ächen und Parks, der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Förderung des Fußund Radverkehrs. Das sei dringend notwendig, denn bereits heute leben weltweit über 70 Prozent der Menschen in Städten und sind dort hohen Umweltbelastungen ausgesetzt.

Text: Eve Tsakiridou

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WHO GEHEN JÄHRLICH MINDESTENS 1,6 MILLIONEN LEBENSJAHRE DURCH VERKEHRSLÄRM
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LAUT
VERLOREN.

WAS UNSER ATEM VERRATEN KÖNNTE

KANN DIE UNTERSUCHUNG VON AUSGEATMETER LUFT DIE DIAGNOSE VON ATEMWEGSERKRANKUNGEN ERMÖGLICHEN? NOCH IST DIE ANALYSE NICHT AUFSCHLUSSREICH GENUG. DOCH FORSCHENDE DES DEUTSCHEN ZENTRUMS FÜR LUNGENFORSCHUNG (DZL) FANDEN IM ATEM ASTHMAKRANKER KINDER MEHR UMWELTSCHADSTOFFE ALS BEI GESUNDEN.

Wenn Dr. Nicole Maison am „Dr. von Haunerschen Kinderspital“ in München ihre wöchentliche Asthmasprechstunde abhält, sieht sie dort häu g Kinder wie den fün ährigen Jonas (Anm.: Name von der Redaktion geändert). Der Junge leidet an wiederkehrenden Episoden einer heftigen Bronchitis. Nachts schnürt sie ihm manchmal fast die Luft ab, dann atmet er pfeifend und kann vor Angst kaum schlafen. Seine Hausärztin hat ihn an die Klinik überwiesen, um abklären zu lassen, ob Jonas Asthmatiker ist oder die Entzündungen seiner Bronchien viral bedingt sind. Asthma ist die chronische Entzündung einer überemp ndlichen Bronchialschleimhaut. Es verengt die tiefen Atemwege und behindert das Ausatmen. „Asthma hat viele unterschiedliche Ursachen und Verläufe“, sagt Nicole Maison. „Eine sorgfältige Diagnose ist notwendig, um die beste Behandlung zu wählen.“ Jonas ist gerade alt genug für eine solche Diagnostik.

Jüngere Kinder sind noch zu unreif für Lungenfunktionstests, die ihr Atemvolumen und ihren Atmungswiderstand erfassen. Bevor sie Jonas diesen Tests unterzieht, befragt Nicole Maison dessen Eltern nach der Krankengeschichte des Kindes und der Familie. Dann hört sie das Kind gründlich ab und prüft, ob sein Brustkorb eventuell verformt ist. Sie nimmt ihm Blut ab, das im Labor auf Entzündungsmarker untersucht wird. Weiterhin wird ein Röntgenbild gemacht und die Menge des Stickstoffmonoxids (NO), das Jonas möglicherweise ausatmet, gemessen. Das Gas wird von allergisch entzündeten Bronchialzellen gebildet.

41 LUNGENFORSCHUNG DIAGNOSE

„BREATHOMICS“ STEHEN NOCH AM ANFANG

„Mit diesen Untersuchungen kann ich Kinder mit allergischem Asthma identi zieren“, erklärt Nicole Maison. Die kleinere Gruppe von Patientinnen und Patienten, deren Asthma nicht allergisch bedingt ist, sei damit allerdings nur schwer zu charakterisieren. „Hierfür könnte uns das Exposom wertvolle Hinweise geben.“ Dieses spiegelt sich in den üchtigen organischen Verbindungen wider, die wir ein- und ausatmen – in bis zu 250 verschiedenen Kohlenwasserstoffen wie beispielsweise Carbonsäuren, Aldehyden, Alkoholen oder Aromaten. „Breathomics“ heißt die junge wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Analyse dieser sogenannten „volatile organic compounds“ (VOCs) in der Atemluft beschäftigt. Den überschwänglichen Optimismus mancher Vertreterinnen und Vertreter von „Breathomics“, die überzeugt sind, dass schnell erhobene VOC-Pro le schon bald ausreichen, um eine differenzierte Asthmadiagnose zu stellen, teilt DZL-Forscher Dr. Olaf Holz jedoch nicht. „Bis dahin liegt noch ein langer Weg vor uns“, sagt der Bioingenieur vom Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover. Die pathologisch relevanten VOCs aus dem Breathom herauszu ltern, sei ähnlich schwierig wie in einer großen Musikschule, an deren offenen Fenstern gerade ein Karnevalszug vorbeizieht, falsche Töne herauszuhören. „Aber wir machen Fortschritte.“

KINDER MIT ASTHMA PUSTEN MEHR SCHADSTOFFE AUS

Zusammen mit Maison hat Holz bei der Untersuchung des Atems von 142 Kindern aus der ALLIANCE-Kohorte (siehe Kasten) jüngst herausgefunden, dass der Atem von Asthmakranken deutlich mehr Naphthalin und andere Schadstoffe enthält als der von Gesunden. „Die VOC-Analyse verrät uns also etwas über die Lebensumstände der Kinder“, so Holz. Bisher seien solche Zusammenhänge nur aus globalen Übersichtsstudien bekannt, ergänzt Maison. Daraus wisse man etwa, dass Kinder, die weniger als 100 Meter von einer vielbefahrenen Straße entfernt wohnen, dreimal häu ger an Asthma erkranken als solche, deren Zuhause mehr als 400 Meter davon entfernt liegt. „Im Breathom sehen wir dagegen die Belastung jedes einzelnen Kindes.“ Zwei Jahre nach der ersten Messung war diese Belastung noch immer vergleichbar hoch, die VOC-Pro le waren reproduzierbar. Naphthalin lagert sich im Fettgewebe ein, aus dem es kontinuierlich abgeatmet wird. Das unterscheidet es von hoch üchtigen Gasen, von denen die Lunge sich rasch wieder befreit. Bevor diese experimentellen

#1|2024 42 LUNGENFORSCHUNG DIAGNOSE
43 LUNGENFORSCHUNG

Erkenntnisse in die klinische Asthmadiagnostik eingehen, müssen sie validiert werden. Dazu werden sie mit Analysen der Luft abgeglichen, von der die Kinder, die viel Naphthalin, Toluol oder Benzol ausatmen, in ihrer Wohnung und an ihrem Wohnort umgeben sind.

„Dann könnten wir einfache Geräte entwickeln, die uns innerhalb von zehn Minuten sagen, ob ein bestimmter Schadstoff in der Atemluft erhöht ist, so wie es sie für NO längst gibt.“

ELEKTRONISCHE NASEN SIND ZU UNGENAU

Bisher ist die Analyse des gesamten Spektrums ausgeatmeter VOCs mithilfe der Gaschromatographie-Massenspektrometrie, die jede einzelne üchtige Substanz anhand ihre Ladung und Masse bestimmt, ein sehr teures Verfahren. Als Alternative werden elektronische Nasen erforscht. Das sind Sensoren, die das Gesamtsignal aller VOCs interpretieren wie unser Gehirn einen Geruch – mit Algorithmen, die Muster erkennen. Ihnen steht Holz kritisch gegenüber: „Eine elektronische Nase erkennt nicht, wenn sie Mist misst.“

An einer apparativ aufwendigen Forschung, die einzelne VOCs als Krankheitsmarker identi ziert und validiert, führe kein Weg vorbei. Er sei der festen Überzeugung, dass dies zum Erfolg führen und den Sprung in eine spezi sche Sensorik ermöglichen werde. Dank eines neuen „Receivers“ zum Sammeln von Atem nähere sich die VOC-Forschung derzeit einer Standardisierung ihrer Ansätze an. Und dank des Datenschatzes der ALLIANCE-Kohorte könne sie besser denn je technisch-experimentelle Ergebnisse mit individuellen Krankengeschichten verknüpfen.

ALLIANCE

ALLIANCE steht für All Age Asthma Cohort. Sie ist ein DZL-Flaggschiffprojekt, an dem sechs Studienzentren beteiligt sind. Ihr Ziel ist es, die Vielzahl von Ursachen, Erscheinungsformen und Krankheitsverläufen von Asthma klinisch und molekularbiologisch genau zu charakterisieren, um daraus optimale Behandlungsstrategien abzuleiten. Seit 2011 sind mehr als 1000 Asthmapatientinnen und -patienten jeden Alters sowie gesunde Probandinnen und Probanden in die ALLIANCEKohorte aufgenommen worden. Die Asthmakranken unter ihnen werden alle ein bis zwei Jahre umfassend untersucht, die Mitglieder der gesunden Kontrollgruppe nur einmal. So entsteht eine riesige Sammlung von Daten und Proben, die als Grundlage wissenschaftlicher Analysen dient.

JE BESSER WIR DIE GESTÖRTEN REGULATIONSMECHANISMEN KENNEN, DESTO INDIVIDUELLER
DIE
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KÖNNEN WIR
THERAPIE GESTALTEN.
#1|2024 44 LUNGENFORSCHUNG DIAGNOSE

ENTZÜNDUNGSBOTEN IM VISIER

Flüchtige organische Verbindungen in der Atemluft können auch das Verständnis der pathophysiologischen Prozesse verbessern, die zur Entstehung von Asthma führen. „Je genauer wir wissen, welche Regulationsmechanismen gestört sind, desto individueller können wir die Therapie gestalten“, sagt Nicole Maison. Früher habe man alle Asthmatiker ähnlich behandelt, nämlich mit einem Cortisonspray zur Dämpfung der chronischen Entzündung und einem Medikament zur Bronchialerweiterung bei akuten Anfällen. „Heute nehmen wir auch in der Kindermedizin patiententypische Vorgänge ins Visier und greifen mit Antikörpern auf einer de nierten Stufe von Entzündungskaskaden ein.“ Dazu ist es wichtig zu wissen, von welchen Zellen und Botenstoffen des Immunsystems Asthma getriggert wird. Dieses Wissen wird heute unter anderem aus der Untersuchung von Bronchialschleim abgeleitet. Dafür müssen die Kinder Kochsalz in ansteigender Konzentration inhalieren, bis sie genügend Schleim hochgehustet haben – eine anstrengende, manchmal sogar quälende Prozedur. „Es wäre eine große Erleichterung, wenn sie durch das einfache Auspusten von Luft ersetzt werden könnte.“ Erste Befunde einer belgischen Forschungsgruppe sprechen dafür, dass es Muster aus wenigen VOCs geben könnte, die das ermöglichen würden.

Text: Joachim Pietzsch

ATEMLUFT

Die Lu , die ein Mensch ausatmet, besteht aus Gasen, die bereits in der Atmosphäre vorhanden sind – hauptsächlich Sticksto (N2, etwa 74 Prozent) und Sauersto (O2, rund 14 Prozent). Weiterhin enthält sie Spuren von anderen Gasen wie Argon (Ar), Kohlendioxid (CO2) und Wassersto (H2). In bestimmten Umgebungen können auch üchtige organische Verbindungen (VOCs) vorhanden sein, die unter anderem aus den Abgasen von Autos, Industriebetrieben oder aus Haushaltsprodukten stammen.

< 1 %VOC  5 % CO2 6 % H2O 14 % O2 74 % N2
45 LUNGENFORSCHUNG DIAGNOSE

#UNBEGRENZT FORSCHEN

WIE GENAU BRINGEN LUFTSCHADSTOFFE DIE LUNGE AUS DEM TAKT?

DR. CAROLA VOSS

ist Projektleiterin für Lungenorganoide am Institut für Lungengesundheit und Immunität von Helmholtz Munich im Deutschen Zentrum für Lungenforschung (DZL). Sie ist Mitglied der DZL Academy und seit 2023 Co-Koordinatorin des DZL-Krankheitsbereichs Interstitielle Lungenerkrankungen. Die Deutsche Forschungsgemeinscha fördert Voss im Rahmen einer Emmy-NoetherNachwuchsgruppe zur Modellierung von durch Lutoxine verursachten Störungen in Zellkreisläufen.

Verschmutzte Lu , die etwa Stickoxide oder feine Staubpartikel enthält, kann krank machen: Die Epidemiologie weiß heute, dass diese komplexen Gemische Entzündungen in der Lunge und damit Krankheiten wie COPD, Lungenkrebs oder Asthma auslösen. Nur wie genau wirken die Sto e? Welche Mechanismen laufen dabei in den Lungenzellen ab? Und wie können wir sie ohne Tierversuche erforschen? Diese Fragen will Dr. Carola Voss, Projektleiterin am DZL-Standort München, mit der neuen, durch die Deutsche Forschungsgemeinscha nanzierten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe beantworten. Sie will insbesondere in den

Blick nehmen, wie Schadsto gemische molekulare Mechanismen in unserer Lunge beein ussen und nachweisen, dass sie wichtige Ausgangspunkte für die Entwicklung von Lungenerkrankungen sind. Dafür wird Voss mit humanen Lungenorganoiden arbeiten: 3-D-Mikrogewebemodellen, die Eigenscha en der tiefen Atemwege nachbilden.

Ihre wissenscha liche Neugier wurde schon als Kind geweckt: „Meine Mutter arbeitete als MTA und Dozentin in deren Ausbildung. Ich habe es genossen, wenn ich mit ihr durch ihr Labor geistern dur e, und schon im Grundschulalter davon geträumt, Biologie zu studieren.“ Sie lernte das Fach an der Uni Leipzig und ging als Doktorandin in die Schweiz, danach ins australische Brisbane und an die Boston University. Als Postdoktorandin am Institut für Lungengesundheit und Immunität in München konnte Voss durch ihre Arbeiten im Rahmen von EU-Projekten ein internationales Netzwerk au auen.

Atlas zur Prävention

„Speziell mit Lungenorganoiden, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen werden, können wir unbegrenzt und ethisch vertretbar in einem humanen Modell forschen und molekulare Mechanismen zellgenau entschlüsseln“, erklärt Carola Voss. Mit ihrer Nachwuchsgruppe will sie nun krankheitsrelevante Signaturen aufgrund der Exposition mit Lu schadsto en identi zieren und sie im Zusammenhang mit genetischer Prädisposition, Geschlecht sowie epigenetischer Regulation analysieren. Es soll ein „Organtypischer ToxAtlas“ entstehen, der die Prävention schädlicher Expositionen sowie die Entwicklung kün iger therapeutischer Strategien unterstützt.

Voss wünscht sich mehr Verständnis für ihr Forschungsgebiet, von der wissenscha lichen Community wie auch der Ö entlichkeit: „Die Toxikologie von Nanopartikeln ist wichtig, um molekulare Mechanismen aufzuklären und zukün ig Erkrankungen zu verhindern.“ Ihre Arbeit sei zeitaufwendig und interdisziplinär: „Ich muss auf alles gefasst sein und o um viele Ecken denken, um robuste Resultate zu erzielen und gut zu interpretieren. Deshalb freut mich umso mehr, dass die DFG die Toxikologie gezielt stärken möchte und diese neuartigen Modellsysteme und Strategien unterstützt.“

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IN DIE ANWENDUNG FÜHREN

DIE KOMPLEXE INTERAKTION

ZWISCHEN VIREN UND WIRTSZELLEN VERSTEHEN

TONI LUISE MEISTER

leitet die Arbeitsgruppe „Klinisches Management und Epidemiologie neu au retender Infektionskrankheiten“ des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Am Universitätsklinikum HamburgEppendorf (UKE) und dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin erforscht sie neu au retende Viren und deren Wechselwirkung mit menschlichen Zellen. Ihre Arbeiten wurden mehrfach mit dem Best-Season Paper Award der Gesellscha für Virologie ausgezeichnet. Außerdem fungierte sie als Expertin beim Verfassen der Leitlinie zum Umgang mit aerosolübertragbaren Erregern.

Während ihrer Doktorarbeit zum Hepatitis-E-Virus an der Ruhr Universität Bochum, die Toni Luise Meister 2021 abschloss, war sie, wie sie sagt, „zur rechten Zeit am rechten Ort“: Das dortige dynamische Forschungsumfeld ermöglichte es ihr, gleich zu Beginn der COVID-Pandemie in die Forschung zu SARS-CoV-2 einzusteigen und in der Folge breite Erfahrungen mit einer Vielzahl unterschiedlicher Viren zu sammeln. Die erfolgreiche Zusam-

menarbeit mit den Bochumer Virologinnen und Virologen und anderen Kooperationspartnern im DZIF-Netzwerk führte sie schließlich zu einer DZIF-geförderten Stelle als Nachwuchsgruppenleiterin im DZIF-Forschungsbereich „Neu au retende Infektionskrankheiten“ bei Prof. Marylyn M. Addo am Institut für Infektionsforschung und Impfsto entwicklung (IIRVD) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Seit Oktober 2023 erforscht Toni Luise Meister in ihrem Labor am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin die Interaktion verschiedener Viren und neu entstehender Virusvarianten mit ihren jeweiligen Wirtszellen und -organen.

Forschung an Organoiden

„Ich interessiere mich besonders für die Wechselwirkungen zwischen Viren und Zellen und wie sich diese verändern, wenn neue Virusvarianten entstehen“, sagt sie. Außerdem untersucht sie, welche Strategien Viren anwenden, um sich unbemerkt in den Zellen zu vermehren, sowie die Abwehrmechanismen der Zellen gegen die Virusinfektion. Dazu verwendet sie Organoide – dreidimensionale Zellkomplexe, die aus Stammzellen oder anderem Patientenmaterial gezüchtet werden und sich aus verschiedenen Zelltypen eines menschlichen Organs, beispielsweise der Lunge, zusammensetzen. „Im Gegensatz zu einschichtigen zweidimensionalen Zellkulturen, die aus Krebszellen gezogen und traditionell in der Virusforschung verwendet werden, ermöglichen Organoide, die der menschlichen Physiologie ähnlicher sind, die Untersuchung der komplexen Kommunikation und Interaktion zwischen Viren und verschiedenen Zelltypen“, erklärt Meister.

Spannend an ihrer Arbeit als Wissenscha lerin ndet Toni Luise Meister, dass sie sich mit neuen, bisher unbekannten Dingen wie neuartigen Erregern oder Mechanismen beschä igen kann und dass ihre Forschungsergebnisse einen potenziellen Nutzen für die Medizin haben. „Bei meiner Arbeit geht es nicht nur darum, die Mechanismen einer Virusinfektion aufzudecken, sondern die Ergebnisse sollen auch zu einer Anwendung führen. Die Kontakte und die Zusammenarbeit mit vielen Expertinnen und Experten im DZIF-Netzwerk und den Kliniken am UKE unterstützen den ‚FromBench-to-Bedside‘-Aspekt – also die Translation von Forschungsergebnissen in die Klinik – sehr.“

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47 P ORTRÄT NEWCOMER

SCHNELLER IN DIE ANWENDUNG 1

Eines der wichtigsten Ziele der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung ist es, die Erkenntnisse, die ihre Forschenden deutschlandweit in Laboren gewinnen, in die medizinische Praxis zu überführen. Dieser Prozess wird Translation genannt. Sie soll die sichere, erfolgreiche Anwendung neuen medizinischen Wissens beschleunigen. Im Falle der DZG arbeiten dabei universitäre und außeruniversitäre Forschung eng zusammen. Translation verläuft in Phasen: Wir zeigen auf diesen beiden Seiten sechs Beispiele dafür, wie Projekte der DZG in den einzelnen Phasen aktiv sind.

PRÄKLINISCH

„Präklinisch“ nennt man grundlegende Forschung im Labor mit dem Ziel, Krankheitsmechanismen zu verstehen und eine solide Basis für spätere Entwicklungen zu schaffen.

#DZNE

Impfsto gegen erbliche ALS

Das DZNE forscht gemeinsam mit der niederländischen Firma Intravacc an einem Impfsto gegen eine spezielle Form der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Dazu soll ein vom DZNE entwickelter Wirksto -Prototyp so weit optimiert werden, dass er an Patientinnen und Patienten getestet werden kann. Die ALS ist eine bislang unheilbare Nervenkrankheit, die Lähmungen hervorru und meist innerhalb weniger Jahre zum Tod führt. Von der ALS gibt es verschiedene Varianten, manche sind erblich bedingt. Der geplante Impfsto richtet sich gegen die häugste dieser genetisch verursachten ALS-Formen: Anders als bei den meisten Menschen haben die Betro enen in einem normalerweise stummen Abschnitt des sogenannten C9orf72-Gens sehr viele Wiederholungen einer bestimmten DNA-Abfolge. Dies führt zur Bildung toxischer Proteine, insbesondere langer Poly-Glycin-Alanin-Ketten. Der Impfsto soll Antikörper gegen diese Eiweißsto e hervorrufen, um sie zu neutralisieren. Die EU unterstützt dieses Forschungsprojekt zusätzlich durch einen „EIC Transition Grant“ in Höhe von 2,5 Million Euro.

AUSGRÜNDUNG Beim Sprung in die Praxis können Ausgründungen helfen, die innovative Wirkstoffe oder Therapieansätze weiterentwickeln und vermarkten.

#DZHK

Vom Herzen zur antiviralen Therapie

Die Firma AVOCET Bio, eine Ausgründung des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung, erhält 4,7 Millionen Euro von der Agentur für Sprung-Innovationen. Das Team um die Göttinger Kardiologin Elisabeth Zeisberg will damit Therapien gegen RNA-Viren entwickeln. Grundlage ihrer Technologie ist das Enzym CRISPR-Cas13. Anders als CRISPR-Cas9, sein berühmter Verwandter, schneidet es RNA-Moleküle und nicht DNA.

„CRISPR-Cas13 ist erst seit 2017 bekannt. Wir arbeiten damit seit Langem in der Fibroseforschung, indem wir Genprodukte im Herzmuskel ausschalten“, sagt Zeisberg. Schon zu Beginn der COVID-19-Pandemie habe sie das Potenzial für die Bekämpfung von RNA-Viren wie dem Corona-Virus erkannt. AVOCET will die Methode zur Plattformtechnologie weiterentwickeln, aus der auch Therapien gegen andere RNA-Viren wie In uenza oder Tollwut und darüber hinaus gegen Krebs und Herzerkrankungen hervorgehen können. Das Beispiel AVOCET zeigt, wie aus langjähriger Grundlagenforschung zum richtigen Zeitpunkt anwendungsnahe Innovationen entstehen können – auch über Disziplingrenzen hinweg.

#1|2024 48 D EUTSCHE Z ENTRENDER G ESUNDHEITSFORSCHUNG TRANSLATION
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KLINISCH

In der klinischen Phase werden die Forschungsergebnisse am Menschen erprobt, um die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Therapieansätze zu prüfen.

#DZL

Dreifachtherapie hil bei Mukoviszidose

Mit einer neuen Dreifachtherapie haben Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose (CF) genannt, deutlich weniger Schleim in der Lunge und ihre Atemwege sind besser belü et. Bei CF ist das Gen für einen Ionenkanal verändert. Als Folge bildet sich ein zäher Schleim, der die Atemwege der Lunge und innere Organe wie den Darm verklebt. Kürzlich entwickelte sogenannte small molecule CFTR-Modulatoren ermöglichen es, bestimmte Ursachen zu behandeln, dazu gehört auch die F508del-CFTR-Mutation, die bei gut 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten vorliegt. Diese Modulatoren aktivieren vorhandene Kanäle und unterstützen, dass der CFTR-Kanal richtig hergestellt wird. Die Zwischenauswertung der ersten Langzeitstudie zeigt, dass die Therapie mit den drei CFTR-Modulatoren Elexaca or, Tezaca or und Ivaca or langfristig wirksam, sicher und gut verträglich ist. Sowohl die Lungenfunktion als auch die Atmung und der Ernährungszustand der Mukoviszidose-Patienten verbesserten sich und es traten seltener Verschlechterungen der Lungenfunktion, sogenannte Exazerbationen, auf.

ESENZIELLE INFRASTRUKTUR

Die Bereitstellung essenzieller Infrastruktur, etwa in Form von Biobanken, ist ebenfalls wichtig für eine ef ziente Forschung und Entwicklung.

#DKTK

Molekulare Tumorboards als Schrittmacher der Krebsmedizin

In Molekularen Tumorboards (MTB) besprechen Expertenteams unterschiedlicher Fachrichtungen (Onkologie, Pathologie, Humangenetik, Molekularbiologie, Bioinformatik) einzelne Krebsfälle und entscheiden auf der Grundlage der molekularen Merkmale der individuellen Erkrankung über die beste Behandlungsmöglichkeit. Die Sitzungen haben sich unter anderem durch technologische Fortschritte und unser wachsendes Verständnis der Krebsentstehung weiterentwickelt und es werden zunehmend Patientinnen und Patienten sowie ihre Vertreterinnen und Vertreter in Entscheidungsprozesse einbezogen. Das DKTK hat für MTB in Deutschland Pionierarbeit geleistet: Mehrere Standorte haben bereits sehr früh MTB aufgebaut und im Rahmen des MASTER-Programms wurde erstmals ein standortübergreifendes etabliert. Zudem fördert das DKTK das Projekt MTB Alliance, mit dem alle DKTK-Partnerstandorte die gemeinsame wissenscha liche und klinische Nutzung von MTB-Daten weiter verbessern.

PATENT

Erst durch Patente wird ein erfolgreicher Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis möglich.

#DZIF

Impfsto andidat gegen EBV

Mehr als 90 Prozent der Menschen in zieren sich im Laufe ihres Lebens mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV). Meist erfolgt die Ansteckung im Kindesalter und verläu in der Regel asymptomatisch. Insbesondere bei späterer Infektion kann EBV aber Krankheiten auslösen, etwa Pfei ersches Drüsen eber, Immunerkrankungen, Multiple Sklerose und verschiedene Krebsarten. Einen Impfsto gibt es bisher nicht. Gefördert vom DZIF will das in Ausgründung aus dem Helmholtz Munich be ndliche Start-up EBViously das nun ändern: Ziel ist, einen aussichtsreichen Impfsto andidaten vom Labor in die qualitätsgesicherte Herstellung zu führen und damit den Weg für präklinische und klinische Studien zu ebnen. Dazu wird EBViously Patente für die Entwicklung und Anwendung nicht-infektiöser, von EBV-abgeleiteter virusähnlicher Partikel am Menschen von Helmholtz Munich exklusiv einlizenzieren.

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MARKTZULASSUNG

Ein großes Ziel ist die Marktzulassung von neu entwickelten Therapien oder Diagnoseverfahren – so können sie im klinischen Alltag in der Breite Anwendung nden.

#DZD

Mit Polyagonisten gegen Diabetes

Adipositas zählt zu den bedeutendsten Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Polyagonisten können in einem bisher unerreichten Ausmaß Körpergewicht senken und verbessern die Blutzuckerwerte. Die neue Wirkstogruppe ahmt die Wirkung verschiedener Hormone nach. Polyagonisten reduzieren so den Appetit, verstärken das Sättigungsgefühl und fördern den Fettabbau sowie die Insulinsekretion. Entwickelt haben das innovative Wirkkonzept unter anderem Forschende des DZD und von Helmholtz Munich. Der erste Vertreter dieser neuen Medikamentenklasse ist bereits zur Behandlung von Typ-2Diabetes zugelassen. Das Medikament kombiniert die Hormone GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (Glucose-dependent insulinotropic Polypeptide). Sie bewirken eine vermehrte Ausschüttung von Insulin und zügeln den Appetit. Mit beeindruckenden Resultaten: Das neue Medikament reduziert je nach Patientengruppe das Körpergewicht im Durchschnitt um bis zu 22 Prozent und verbessert die Blutzuckerwerte.

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MITTEILUNGEN, TERMINE UND EHRUNGEN

MITTEILUNGEN

NEUER NAKO-STANDORT

Der DZD-Partner Deutsches Institut für Ernährungsforschung PotsdamRehbrücke (DIfE) hat einen neuen Studienstandort für die NAKO Gesundheitsstudie eröffnet. An der deutschlandweiten Langzeit-Bevölkerungsstudie nehmen 200.000 zufällig ausgewählte Personen teil. Diese werden in 18 Studienzentren umfassend untersucht und über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren nachverfolgt. Ziel ist es, die Ursachen von Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs und Demenz zu erforschen, um neue Präventions- und Behandlungsstrategien zu entwickeln. Das DIfE leitet die Themen Essverhalten und körperliche Aktivität.

#DZD

VORHOFFLIMMERN

GEZIELT BEHANDELN

Das Protein PDE8B, das nur in Zellen der Herzvorhöfe vorkommt, könnte Ziel für die Behandlung von Vorhofflimmern sein. Ist zu viel davon vorhanden, stört es die Weiterleitung elektrischer Signale in den Ionenkanälen. Einem DZHK-Forscherteam ist es nun erstmals gelungen, Vorhofzellen für längere Zeit im Labor zu kultivieren. Dabei konnten sie zeigen, dass ein Medikament, das derzeit in einer Demenzstudie getestet wird, die Funktion der Ionenkanäle normalisieren kann. Der Wirkstoff wird nun an Pferden getestet, die auch Vorhofflimmern entwickeln. Da PDE8B ausschließlich in den Vorhöfen vorkommt, könnte man das Flimmern gezielt behandeln.

#DZHK

STARKER SCHUTZMECHANISMUS

Der auffälligste Risikofaktor für einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion ist das Alter: Mit ihm stieg die Sterblichkeitsrate während der Pandemie fast exponentiell an und erreichte bei sehr betagten Menschen über 10 Prozent. Kinder und Jugendliche weisen trotz ähnlicher anfänglicher Viruslast weniger Symptome und eine kürzere Krankheitsdauer auf. DZL-Forschende fanden heraus: Die Epithelzellen der Nasenschleimhaut von gesunden Kindern sind dauerhaft in erhöhter Alarmbereitschaft. Bereits bei gesunden, nicht infizierten Kindern produzieren die Immunzellen mehr entzündungsfördernde Botenstoffe, über die das Immunsystem mit den Schleimhautzellen kommuniziert und sie zur Produktion von Sensorproteinen anregt. Damit haben Kinder offenbar einen angeborenen starken Schutzmechanismus gegen Atemwegsinfekte.

#DZL

WENN BAKTERIEN RESISTENZGENE AUSTAUSCHEN

Bakterien können genetisches Material und damit auch Resistenzgene untereinander austauschen. Eine Form dieses horizontalen Gentransfers erfolgt bei Bakterien mittels mobiler genetischer Elemente, sogenannter Plasmide. Forschende der Justus-Liebig-Universität Gießen und des DZIF konnten zusammen mit Institutionen des öffentlichen Gesundheitswesens ein besonders stabiles Plasmid nachweisen, das in Deutschland für einen Großteil der bakteriellen Resistenzen gegen Antibiotika verschiedener Gruppen einschließlich der Carbapeneme verantwortlich ist. Dieses Hochrisiko-Plasmid kann auf unterschiedliche Bakterienspezies übertragen werden und ist über Jahre hinweg aktiv. #DZIF

UNTERSTÜTZUNG FÜR KREBSIMMUNTHERAPIE

Ein Forschungsteam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom DKTK, dem Deutschen Krebsforschungszentrum und dem Universitätsklinikum Tübingen möchte Krebszellen noch sichtbarer für das Immunsystem machen: Dafür statten sie die Zellen mit ganz neuen Antigenen aus – mithilfe epigenetisch wirkender Krebsmedikamente. Sie ermöglichen es, dass in der Zelle Bereiche des Erbguts abgelesen werden, die vorher blockiert und unzugänglich waren. Solche „therapieinduzierten Epitope“ könnten das Immunsystem zukünftig beim Erkennen von Krebszellen unterstützen.

#DKTK

PRÄZISE DIABETESDIAGNOSE

DZD-Forschende haben einen innovativen Algorithmus angewandt, um Menschen mit Typ-2-Diabetes anhand von Routinedaten zu stratifizieren: Ein Team unter Leitung des DZD-Partners Deutsches Diabetes-Zentrum hat damit körperliche Merkmale identifiziert, mit denen sich die Vielfalt der Erkrankung hinsichtlich Insulinsensitivität, Insulinsekretion, Verteilung des Fettgewebes und entzündungsfördernder Profile unterscheiden lässt. So können frühzeitig Menschen erkannt werden, die innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Diagnose weniger Insulin bilden oder zu Bluthochdruck beziehungsweise Fettstoffwechselstörungen neigen. Zudem lassen sich Variationen des Sterberisikos und des Risikos für spezifische Komplikationen über einen Zeitraum von bis zu 16 Jahren identifizieren. #DZD

NEUER ANSATZ GEGEN HIRNENTZÜNDUNGEN

Forschende des DZNE und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben einen Ansatz entwickelt, um die häufigste autoimmune Gehirnentzündung – die sogenannte NMDARezeptor-Enzephalitis – präziser als bisher zu behandeln: Sie programmieren dafür weiße Blutkörperchen so um, dass sie krankmachende Zellen im Körper ausschalten. Das Verfahren hat sich in Laborstudien bewährt, klinische Studien am Menschen sind in der Planung. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachmagazin Cell vorgestellt.

#DZNE

KURZ UND KNAPP #1|2024 50

EHRUNGEN

KLINISCHE STUDIE ZU BROKEN-HEART-SYNDROM

Emotionaler und körperlicher Stress kann zu Herzproblemen führen, die einem Herzinfarkt ähneln, ohne dass die Herzkranzgefäße verschlossen sind. DZHK-Forscher untersuchten die Stress-Signalwege beim sogenannten Takotsubo-Syndrom und fanden heraus, dass das Stresshormon Adrenalin in hohen Dosen bei Mäusen zu einer Schädigung des Herzmuskels führen kann. Molekulare Analysen zeigten, dass das Stresshormon den Entzündungsweg ankurbelt. Im DZHK-Standort RheinMain startet nun eine klinische Studie, die zeigen soll, ob sich das entzündungshemmende Medikament Cyclosporin A zur Behandlung des Takotsubo-Syndroms eignet.

#DZHK

HIV-NEUTRALISIERENDE

ANTIKÖRPER ERFORSCHT

Bislang gibt es noch keinen Impfstoff, der vor einer Infektion mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) schützt. Eine solche Impfung wäre voraussichtlich nur dann wirksam, wenn sie beim Geimpften auch sogenannte neutralisierende Antikörper erzeugt. In einer Kohorte von 2.300 HIV-infizierten Menschen identifizierte ein internationales Team um DZIF-Forschende aus Köln sogenannte „Elite-Neutralisierer“ –Infizierte, die gegen die HIV-Infektion auf natürliche Weise eine sehr potente, breit neutralisierende und über Jahre anhaltende Antikörperantwort aufbauen. Diese Befunde sind vielversprechend für die Entwicklung eines HIV-Impfstoffs, der eine dauerhafte Impfantwort hervorrufen könnte.

#DZIF

NEUES MITGLIED DER LEOPOLDINA

PROF. SONI SAVAI PULLAMSETTI

Die Molekularbiologin und DZL-Wissenschaftlerin Prof. Dr. Soni Savai Pullamsetti ist in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt worden, die älteste naturwissenschaftlich-medizinische Gelehrtengesellschaft in Deutschland. In ihrer Forschung untersucht Pullamsetti, wie epigenetische Mechanismen und Transkriptionsfaktoren die Genregulation beeinflussen. Damit möchte sie die Basis für neue therapeutische Strategien zur Behandlung von Lungenkrankheiten, insbesondere Lungenhochdruck (pulmonale Hypertonie), Rechtsherzversagen und Lungenfibrose schaffen.

#DZL

ROLAND-ERNSTFORSCHUNGSPREIS THERESA SUCKERT

Dr. Theresa Suckert wurde für ihre Dissertation „Normal brain tissue after proton irradiation“ am DKTKPartnerstandort Dresden mit dem Roland-Ernst-Forschungspreis ausgezeichnet. Mit ihren Untersuchungen zur Entstehung strahleninduzierter Gehirnschäden durch Protonengehirnbestrahlung war sie maßgeblich an der Entwicklung einer kliniknahen, bildgestützten Methode zur präzisen Bestrahlung von Teilvolumina in Mausgehirnen beteiligt. Das etablierte Modell wird aktuell beispielsweise verwendet, um die Ursachen und Auswirkungen von Neuroinflammation nach Strahlentherapie zu untersuchen.

#DKTK

BREAKTHROUGH PRIZE THOMAS GASSER

Der Tübinger Parkinson-Forscher Thomas Gasser hat den mit drei Millionen US-Dollar dotierten „2024 Breakthrough Prize in Life Sciences“ erhalten – gemeinsam mit zwei weiteren Fachleuten aus den USA. Die Auszeichnung würdigt die Entdeckung genetischer Risikofaktoren für die Nervenerkrankung Parkinson. Der „Breakthrough Prize“ wird in verschiedenen Disziplinen vergeben und gilt als die weltweit höchstdotierte Auszeichnung in den Naturwissenschaften. Gasser forscht am Tübinger Standort des DZNE und ist zugleich Vorstandsvorsitzender des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen.

#DZNE

KURZ UND KNAPP 51

AN DIESEN STANDORTEN FORSCHEN DIE DZG GEMEINSAM FÜR DIE

ZUKUNFT.

Wesentliches Ziel des Gesundheitsforschungsprogramms der Bundesregierung ist es, die besonders häu gen Krankheiten – die Volkskrankheiten – wirksamer bekämpfen zu können. Mit dem Aufbau der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung als langfristig angelegte, gleichberechtigte Partnerschaften von außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit Universitäten und Universitätskliniken schaffen das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie die Bundesländer dafür die Voraussetzungen. Die sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung arbeiten eng zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und Synergien zu nutzen.

IMPRESSUM

„SYNERGIE – Forschen für Gesundheit“ berichtet über aktuelle Projekte aus den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Das Magazin erscheint zweimal jährlich und richtet sich an ein breites wissenschaftsinteressiertes Publikum. Der Bezug ist kostenlos.

HERAUSGEBER

Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung www.deutschezentren.de

Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK): Deutsches Krebsforschungszentrum

Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg

Vorstand: Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Baumann, Ursula Weyrich

Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg

Vorstand: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Hrabě de Angelis, Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Roden, Prof. Dr. Dr. Michele Solimena Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e. V. (DZHK) Potsdamer Str. 58, 10785 Berlin

Vorstand: Prof. Dr. Stefanie Dimmeler, Prof. Dr. Steffen Massberg, Prof. Dr. Thomas Sommer Deutsches Zentrum für Infektionsforschung e.V. (DZIF) Inhoffenstraße 7, 38124 Braunschweig

Vorstand: Prof. Dr. Dirk Busch, Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Prof. Dr. Maura Dandri, Prof. Dr. Andreas Peschel, Prof. Dr. Thomas Pietschmann Deutsches Zentrum für Lungenforschung e.V. (DZL) Aulweg 130, 35392 Gießen

Vorstand: Prof. Dr. Werner Seeger, Prof. Dr. Hans-Ulrich Kauczor, Prof. Dr. Klaus F. Rabe, Prof. Dr. Tobias Welte†, Prof. Dr. Ali Önder Yildirim Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE) Venusberg-Campus 1/99, 53127 Bonn

Vorstand: Prof. Dr. Dr. Pierluigi Nicotera, Dr. Sabine Helling-Moegen

REDAKTION

Juliane Gringer (wirDesign, verantwortliche Redakteurin), Alina Zidaric und Dr. Jörn Bullwinkel (DZL), Christine Vollgraf (DZHK), Dr. Nadine Ogrissek (DKTK), Birgit Niesing (DZD), Janna Schmidt und Dr. Nicola Wittekindt (DZIF), Dr. Marcus Neitzert (DZNE)

Wissenschaftlicher Beirat

Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Baumann (DKTK), Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Hrabĕ de Angelis (DZD), Prof. Dr. Stefanie Dimmeler (DZHK), Prof. Dr. Dirk Busch (DZIF), Prof. Dr. Werner Seeger (DZL), Prof. Dr. Dr. Pierluigi Nicotera (DZNE)

REDAKTIONSSCHLUSS: April 2024

FOTOS UND ILLUSTRATIONEN

Svea Pietschmann (S. 2)

Freepik (S. 22–27, 34, 36, 38, 46–49), unsplash (S. 34, 36, 38), Pixabay (S. 22, 24–25), Envato (S. 22–23, 26)

In dieser Publikation werden – aus Gründen der besseren Lesbarkeit und des Platzmangels –im Plural nicht immer die weiblichen Formen gesondert genannt. Selbstverständlich beziehen sich Personenbezeichnungen immer auf Personen aller Geschlechter.

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Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)

Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL)

Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD)

www.deutschezentren.de

EINE VERNETZTE FORSCHUNG

SORGT FÜR DURCHBRÜCHE IM KAMPF GEGEN VOLKSKRANKHEITEN.

DAS STICHWORT LAUTET: TRANSLATION.

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