wirbiz 2015 No.3

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wirbiz OFFENER BLICK – GENI˙¸S PERSPEKTI˙F HERAUSGEGEBEN VOM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART

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OFFENER BLICK – GENI˙¸S PERSPEKTI˙F HERAUSGEGEBEN VOM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART Revolutionskinder bringen ihre Geschichten auf die Bühne.

Ein Interview mit Winfried Kretschmann

WIR SIND AUF POTENZIALE ANGEWIESEN Cem Özdemir im Gespräch

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Von der Hauptschule in den Bundestag

Ein Beitrag von Nils Schmid

ISLAM IN DEUTSCHLAND Die Welt des Schattentheaters zu Gast in Stuttgart


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EDITORIAL EDİTÖRLERDEN Liebe Leserin, lieber Leser,

Sevgili Okurlar,

nun haben wir bereits zum dritten Mal Gelegenheit, Ihnen mit wirbiz unseren offenen Blick vorzustellen. Wie bisher möchten wir Anlass geben, sich über das alltägliche Miteinander ein eigenes Bild und eigene Gedanken zu machen. Angesichts der vielen auch in die Region Stuttgart flüchtenden Menschen gewinnt das Thema Neuankömmlinge – wie überall – auch in diesem Heft naturgemäß einen breiten Raum. Es gibt noch eine Neuerung. Weite Teile dieses Heftes sind von Studierenden der Hochschule der Medien Stuttgart gestaltet. In der dortigen Lehrredaktion schaffen sich rund hundert Studenten verschiedener medialer Studiengänge ein Semester lang den journalistischen Arbeitsalltag zu einem selbst gewählten Inhalt. In diesem Sommer haben sie eine unserer Arbeit verwandte Überschrift gewählt: „Diya –16,5 Millionen reden mit“. Viele ihrer Artikel drucken wir hier ab. wirbiz spiegelt so den frischen Blickwinkel junger Erwachsener wider, die sich mehrheitlich nicht seit Langem in der interkulturellen Arbeit tummeln. Alle Inhalte der Lehrredaktion finden Sie übrigens unter www.redaktionzukunft.de/diya. Wir freuen uns über Ihre Meinung zur aktuellen Ausgabe von wirbiz unter wirbiz@dtf-stuttgart.de. Und nun: Bühne frei für unsere Studenten mit Redaktionshintergrund!

wirbiz’in bu sayısıyla, güncel ve kalıcı konulara bakışımızı sizlerle paylaşmak üzere yine beraberiz ve yine olaylarla ve birlikte yaşamımızla ilgili olarak, yeni düşünceler, yeni görüşler kazanma ve paylaşma fırsatları yaratmak istiyoruz. Stuttgart bölgesine de sığınan çok sayıda insana bakarak ‘‘yeni gelenler‘‘ konusuna bu sayıda da geniş yer vermeye çalıştık. Bir yeniliğimiz daha var: Bu sayımızın önemli bir kısmı, Stuttgart Medya Yüksek Okulu öğrencileri tarafından tasarlandı. Okulun redaksiyon sınıfında, çeşitli medya bölümlerinde eğitim gören yaklaşık yüz öğrenci, bir sömestir boyunca kendi seçtikleri bir konuda çalışarak gazetecilik mesleğinin günlüğünü yaşıyor. Genç gazeteci adayları, bu sömestir “Diya – 16,5 milyon insan konuşuyor“çalışma başlığı altında, bizim işimize de çok yakın bir konuyu ele aldılar ve birçok makaleyle bu wirbiz’e katkı veriyorlar. Böylece wirbiz, çoğu kültürlerarası çalışmalarda derin deneyim sahibi olmayan genç yetişkinlerin, yeni ve samimi bakış açılarını yansıtıyor. Bu öğrencilerin tüm çalışmalarına, www.redaktionzukunft.de/diya adresinden ulaşabilirsiniz. wirbiz hakkındaki görüş ve düşüncelerinizi, wirbiz@dtf-stuttgart. de adresinden bizimle paylaşmanız bizi mutlu edecek. Ve şimdi sahneyi öğrenci redaktörlerimize bırakıyoruz!

Viel Spaß beim Lesen wünschen Özlem Şahin und Katrin Brandeis

Hoşça vakit geçirmeniz dileğiyle Özlem Şahin ve Katrin Brandeis

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INHALT İçERIİK

WIR SIND AUF POTENZIALE ANGEWIESEN POTANSİYELLERE İHTİYACIMIZ VAR

HOFFNUNG FÜR FLÜCHTLINGE IN STUTTGART

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Ein Interview von Katrin Brandeis mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann

DIYA UND DAS DTF: WIE PROJEKTE ENTSTEHEN DER WEG ZUM KRIMINALRAT Der deutsche Polizist Aşkın Bingöl erzählt

REVOLUTIONSKINDER BRINGEN IHRE GESCHICHTEN AUF DIE BÜHNE

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Ein Beitrag von Wirtschaftsminister Nils Schmid

DER EINBÜRGERUNGSTEST – EINE MEDAILLE MIT ZWEI SEITEN ZWISCHEN KEHRWOCHE UND BESCHNEIDUNG Özcan Coşar macht Kabarett 2

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DIE WELT DES SCHATTENTHEATERS ZU GAST IN STUTTGART

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SCHRIFTSTELLER GREIFEN EIN

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DAS NEUTRUM LEHRER BAKIŞ SORGT FÜR DIALOGE

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Ein DTF-Projekt

14 „DIE SCHÖNE HEIMAT MEINER ELTERN, ABER NICHT MEINE HEIMAT“

EINE FAMILIENSAGA AUS DEM SIEBENTÜRMEVIERTEL 18 DER KULTÜRÖFFNER Über Feridun Zaimoğlus neuen Roman BERATER UND BRÜCKENBAUER ISLAM IN DEUTSCHLAND ALMANYA‘DA İSLAM

Das Therapie-Projekt OMID

STIPENDIEN FÜR 42 KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER AUS BADEN-WÜRTTEMBERG

20 20 BILDUNGS-POTENZIALE DER EINWANDERUNGSGESELLSCHAFT

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Ein Interview mit dem Soziologen Yaşar Aydın

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24 VON DER HAUPTSCHULE IN DEN BUNDESTAG ORTAOKUL ÖĞRENCİLİĞİNDEN 26 ALMAN PARLAMENTOSU'NA Cem Özdemir im Gespräch

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Interkultureller Austausch in der Behindertenhilfe

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DIE EINE CHANCE NUTZEN

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Der Olympiastützpunkt Stuttgart

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DIE NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN 50 DES DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUMS STUTTGART

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NETZWERKE DER IMPRESSUM 68 DEUTSCH-TÜRKISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN 54 EINE REISE INS UNGEWISSE – MIGRANTEN FRÜHER UND HEUTE

Das Ağabey-Abla-Projekt

VONEINANDER LERNEN

46 DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN! 48 Migrations-Termini im Praxistest

Bekenntnis an der Tafel

VIELFALT UND AUTONOMIE DER TÜRKISCHEN DIASPORA TÜRK DİASPORASININ ÇEŞİTLİLİĞİ VE ÖZERKLİĞİ

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Migranten früher und heute

DAS LEBEN IN EINER VIELFÄLTIGEN KULTUR

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Ein Interview mit dem Soziologen Georg Kneer

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Politik

WIR SIND AUF POTENZIALE ANGEWIESEN POTANSİYELLERE İHTİYACIMIZ VAR Ein Interview von Katrin Brandeis mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann

wirbiz Ein Blick in die Vergangenheit: Nach dem zweiten Weltkrieg hat das zerbombte Deutschland zusätzlich zu der einheimischen Bevölkerung noch einmal rund ein Viertel Menschen unterbringen müssen – vor allem Auslandsdeutsche. Heute spricht man meist von unter fünf Flüchtlingen pro 1000 Einwohner, die kommen werden; die Prognosen schwanken. Können wir von damals lernen? Winfried Kretschmann Wanderungsbewegungen gehören schon immer zur deutschen und europäischen Geschichte und wir haben die Aufnahme der Menschen jedes Mal gut gemeistert. Wir können davon insofern lernen, als jeder, der Zuwanderung mit Zäunen und Stacheldraht verhindern will, scheitern wird. Es geht darum, diese zu regeln und Zuwanderung so zu gestalten, dass wir als Gesellschaft ebenso davon profitieren wie die Menschen, die zu uns kommen. wirbiz Kommen wir bei der Aufnahme von Fremden an unsere Grenzen, menschlich und administrativ? Wo sehen Sie Chancen, wo Risiken?

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Winfried Kretschmann Natürlich sind die Unterbringung und die Integration von Flüchtlingen eine große Aufgabe für uns alle, für den Bund, für das Land und unsere Kommunen. Aber wie ich schon öfters gesagt habe: „Das Boot ist für politische Flüchtlinge nie voll“. Menschen, die um Leib und Leben fürchten müssen, in ihrer Heimat politisch verfolgt werden und bei uns Schutz suchen, haben Anspruch auf unsere Hilfe. Es ist widerwärtig, wie Einzelne mit rechten Parolen Hetze gegen die Flüchtlinge betreiben. Zuwanderung ist aber auch eine große Chance, denn wir brauchen Zuwanderung für unsere demografische Entwicklung, zur Sicherung unserer Sozialsysteme und auch für unsere Wirtschaft. Der Fachkräftemangel ist im Südwesten gerade in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen oder im Pflegebereich längst Wirklichkeit. Damit der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg auch in Zukunft erfolgreich bleibt, sind wir auf die Potenziale aller hier lebenden Menschen und die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte angewiesen. wirbiz Wie läuft eigentlich die Zusammenarbeit innerhalb Deutschlands bei der Flüchtlingsfrage?

wirbiz Geçmişe bir bakış: İkinci Dünya Savaşı sonrasında, bombalanmış olan Almanya, yerel halkın yaklaşık dörtte biri kadar daha insanı bir kere daha barındırmak durumunda kaldı - özellikle de yurt dışı Almanlarını. Günümüzde, tahminler dalgalanmalar gösteriyor olsa da, çoğunlukla 1.000 kişilik nüfus başına en fazla 5 göçmenin geleceğinden bahsediliyor. O zamanlardan öğrenebileceğimiz bir şeyler var mı? Winfried Kretschmann Göçmen hareketleri, her zaman Alman ve Avrupa tarihinin bir parçası olmuştur ve biz her seferinde insanların kabulü konusunun üstesinden en iyi şekilde geldik. Şunu öğrenebiliriz ki, göçü dikenli tel ve çitlerle engellemek isteyen başarısız olacaktır. Amaç, göçü, bize gelecekolan insanlara olduğu gibi toplum olarak bizlere de faydalı olacak biçimde şekillendirmektir. wirbiz Göçmenlerin yerleşimi, sınırlarımızı zorluyor mu, iş gücü veya idari anlamda? Neleri fırsat neleri risk olarak görüyorsunuz? Winfried Kretschmann Tabii ki, mültecilerin yerleşimleri ve entegrasyonu için federal hükümet, ülke, toplum, hepi-

mize büyük sorumluluklar düşmekte. Ama daha önce de sık sık söylediğim gibi: "Siyasi mülteciler söz konusuysa gemide her zaman yer vardır". Hayatlarından endişe eden, ülkelerinde siyasi anlamda takip edilen insanların, bizim yardımımızı almaya hakları vardır. İnsanları, sağcı sloganlarla mültecilere karşı kışkırtanlar mide bulandırıcı. Göç, aynı zamanda demografik gelişimimiz, sosyal sistemimizi garantilememiz ve ekonomimiz için büyük bir şanstır. Güneybatı'da özellikle teknik ve bilimsel alanlarda ya da bakım sektöründe kalifiye eleman eksikliği olduğu çoktandır biliniyor. Baden-Württemberg'in, bir ekonomi bölgesi olarak gelecekte de başarısını koruyabilmesi için burada yaşayan her insanın potansiyeline ve kalifiye elemanların buraya göç etmesine ihtiyacımız var.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft Bakan Winfried Kretschmann bir mülteci kampını ziyaret ederken

wirbiz Mültecilerle iligili konularda Almanya içindeki işbirliğini nasıl değerlendiriyorsunuz? Winfried Kretschmann Eyalet başbakanları olarak, bu sorumluluğun üstesinden gelinebilmesi için hepimizin, büyük bir çaba harcaması gerektiğinin farkındayız ve bu doğrultuda ortak çözümler bulma çabasındayız. Arada farklı siyasi parti inançları devreye girse de, birbirimize elimizden geldiğince destek olmaya çalışıyoruz.

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Politik

„DAS RÜHRT AM GERECHTIGKEITSEMPFINDEN DER MENSCHEN.“

Winfried Kretschmann Wir sind uns unter den Ministerpräsidenten einig, dass es von uns allen große Anstrengungen erfordert diese Aufgabe zu meistern, und wir sind bestrebt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Wir versuchen, uns nach Kräften gegenseitig zu unterstützen, auch wenn natürlich ab und an dann doch unterschiedliche parteipolitische Überzeugungen zum Tragen kommen. wirbiz Was wünschen Sie sich von den anderen EU-Staaten? Winfried Kretschmann Wir brauchen innerhalb der EU eine faire Verteilung von Lasten und Flüchtlingen. Es kann nicht sein, dass zwei Länder Deutschland und Schweden - die Hälfte aller Flüchtlinge in der EU aufnehmen und andere sich zunehmend abschotten, wie Großbritannien oder Ungarn, oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen, wie einige osteuropäische Länder. Das rührt zu Recht am Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Wir müssen zudem alles tun, damit sich die Verhältnisse in den Herkunftsländern verbessern, damit die Menschen keinen Grund mehr haben ihre Heimat zu verlassen. Hier müssen Brüssel und die EU-Staaten

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sich engagieren und Druck machen. Egal ob auf dem Balkan oder in Afrika.

wirbiz Diğer AB ülkelerinden beklentileriniz nelerdir?

wirbiz Was sind die Konzepte der Landesregierung für die Aufnahme der Flüchtlinge?

Winfried Kretschmann Avrupa Birliği sınırları içerisinde, yüklerin ve mültecilerin adil dağılımına ihtiyacımız var. Tüm AB'de mültecilerin yarısını, Almanya ve İsveç olmak üzere sadece iki ülkenin aralarında paylaşıp barındırması, İngiltere ve Macaristan gibi ülkelerin kendilerini giderek bu konudan soyutlamaları ya da bazı Doğu Avrupa ülkeleri gibi kendilerini tamamen geri çekmeleri söz konusu olmamalıdır. Bu, doğal olarak insanların adalet duygusunu harekete geçiriyor. Ayrıca, insanların vatanlarını terk etmelerini gerektirecek nedenlerin kalmaması için, geldikleri ülkelerde koşulların düzeltilmesine yönelik mümkün olan her şeyi yapmalıyız. Burada Brüksel ve AB üyesi olan tüm ülkelerin gerek Balkanlar'da ya da Afrika'da müdahil olup baskı yapmaları gerekmektedir.

Winfried Kretschmann An erster Stelle steht die Unterbringung, hierfür müssen wir die vorhandenen Aufnahmekapazitäten angemessen nutzen, bis weitere Kapazitäten geschaffen worden sind. Seit unserem Flüchtlingsgipfel Ende Juli haben wir die Erstaufnahmekapazitäten um nochmals mehr als 3.000 Plätze erweitert. Damit sind wir in Baden-Württemberg jetzt bei insgesamt über 13.000 regulären Plätzen, wir haben die Erstaufnahmekapazitäten in dieser Legislatur damit mehr als verzehnfacht. Und es kommen in den nächsten Wochen und Monaten weitere Plätze hinzu. Dieses und nächstes Jahr sollen damit insgesamt mindestens weitere 10.000 erreicht werden. wirbiz Und wie kann es nach der Unterbringung weitergehen? Winfried Kretschmann Es geht ja auch um die Integration in unsere Gesellschaft. Wir fördern in Baden-Württemberg daher den Spracherwerb.

wirbiz mültecilerin kabulüyle ilgili eyalet hükümetinin proje taslakları nelerdir? Winfried Kretschmann İlk sırada konaklamaları yer almaktadır. Kapasite genişletilene kadar mevcut yerleşim kapasitesini en iyi şekilde değerlendirmemiz lazım. Temmuz ayı sonlarında mülteci zirvesinden

„BU, İNSANLARIN ADALET DUYGUSUNU HAREKETE GEÇİRİYOR.“ bu yana, kapasitemizi, tekrardan bir 3.000'den fazla yerleşim yeri olarak genişlettik. Böylelikle Baden-Württemberg'de toplam olarak 13.000 düzenli yerimiz mevcut bulunmakta. Böylece, bu yasama döneminde kapasitemizi on kat daha fazla genişletmiş oluyoruz. Önümüzdeki haftalarda ve aylarda buna daha da konut eklenecek. Böylece, bu yıl ve önümüzdeki yıl toplam en az 10.000 konut daha elde edilmiş olacak. wirbiz Mülteciler yerlerine yerleştirildikten sonra nasıl devam edecek? Winfried Kretschmann Toplumumuza entegre olmaları da tabii ki önem taşımaktadır. Biz, Baden-Württemberg'de, bu nedenle dil eğitimini teşvik edip destekliyoruz. Çünkü Almanca anlayıp konuşabilmek, iş hayatı ve toplumda yer alabilmenin temelini oluşturur. Bu nedenle, ana okullarını, 2,4 milyon Euro ile dil eğitimi için teşvik ediyoruz. Mülteciler için her ilçede zorunlu dil kursları sağlayan tek eyaletiz. Mesleki hazırlık için yeni dil kursları konseptleri de geliştirerek başlattık. Ayrıca, Federal hükümet, Baden-Württemberg'in baskısıyla, mültecilere kalma haklarını kazanma konusunda şanslarını yükseltecek olan, Federal İş ve

Denn Deutsch zu verstehen und zu sprechen ist elementar für gesellschaftliche Teilhabe und Arbeit. Daher stellen wir 2,4 Millionen Euro für die Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen bereit. Wir haben als einziges Bundesland verpflichtende Sprachkurse für Flüchtlinge in den Landkreisen flächendeckend eingeführt. Ein Konzept für berufsvorbereitende Sprachkurse haben wir ebenfalls initiiert. Der Bund wird auf Druck von Baden-Württemberg nun auch die Integrationskurse der Bundesagentur für Arbeit für Flüchtlinge mit guter Bleiberechtsperspektive öffnen. wirbiz Das klingt nach einem guten Anfang. Winfried Kretschmann Darüber hinaus brauchen wir Bildung. Kinder mit ausländischen Wurzeln dürfen in unserem Bildungssystem nicht länger auf der Strecke bleiben. Hier brauchen wir zusätzliche Klassen und Investitionen. Im Schuljahr 2014/15 haben wir 200 zusätzliche Deputate für die Vorbereitungsklassen geschaffen, weitere 200 Deputate stellen wir für das Schuljahr 2015/16 bereit. Und mit dem landesweiten Förderprogramm „Chancen gestalten“ ermöglichen wir die

Integration in den Arbeitsmarkt. Beispielsweise werden schulische, berufliche und sprachliche Qualifikationen erhoben, Netzwerke zur Steuerung der Integrationsmaßnahmen aufgebaut und betriebliche Praktika von Flüchtlingen mit beruflicher Vorerfahrung oder Ausbildung gefördert. Und wir unterstützen die zivilgesellschaftlichen Gruppen und Ehrenamtlichen, die sich um Flüchtlinge kümmern. Baden-Württemberg leistet also viel, um die Flüchtlinge aufzunehmen, zu integrieren und willkommen zu heißen. wirbiz Wie können da zivilgesellschaftliche Initiativen wie das Deutsch-Türkische Forum bei der Eingliederung der Menschen helfen? Und wie werden wiederum diese Akteure unterstützt? Winfried Kretschmann Ehrenamtlich und sozial Engagierte sind den Kommunen, den Landkreisen und der Landesregierung eine große Hilfe: ob bei der Verwaltung von Spenden, als Sprachbegleiter oder beispielsweise als Leiter eines Schwimmkurses für Flüchtlingskinder. Ich bin wirklich stolz auf das große Engagement für die Flüchtlingshilfe in Baden-Württemberg. Um die Engagierten zu unterstützen gibt es vielfältige Angebote der freien Träger, des

İşçi Bulma Kurumu'nun entegrasyon kurslarını da açacak.

ne gibi yardımları olabilir? Ve bu aktörler nasıl destekleniyorlar?

wirbiz Bu, kulağa iyi bir başlangıç gibi geliyor.

Winfried Kretschmann Gönüllü çalışanlar ve sosyal sorumluluklar üstlenenler, belediyeler, ilçe ve eyalet hükümeti için büyük yardım teşkil ediyorlar: gerek bağışların idaresinde, gerek dil konusunda yardım edenler, gerekse mülteci çocuklara yönelik yüzme kurslarını yönetenler. Baden- Württemberg eyaletinde mülteciler için yapılan yardımlaşmadan dolayı gerçekten gurur duyuyorum. Gönüllüleri desteklemek için, Sosyal İşler Bakanlığı, Baden-Württemberg'in Uyum Bakanlığı, gönüllülerin gelişimleri ve aralarında iyi bir ağ kurmalarını sağlayacak birçok imkan sunmaktadırlar onlara. Belediye Danıştayı Gisela Erler, mültecilere gönüllü yardım etmek isteyenlere yönelik bir el kitabı hazırladı ve onların aralarında ağ kurmaları için toplantılar düzenliyor. Tüm bunların yanında, mültecilere gönüllü yardım konusunda bilgi akışını sağlamak ve olumlu örnekleri kamuoyuna duyurabilmek için bir web sitemiz ve bir haber bültenimiz (www.fluechtlingshilfe-bw.de) bulunmaktadır.

Winfried Kretschmann Bunun dışında, eğitime ihtiyacımız var. Yabancı kökenli çocuklar, artık eğitim sistemimizden kaynaklanan sebeplerden yolda bırakılmamalılar. Bunun için ek sınıflara ve yatırımlara ihtiyacımız var. 2014/15 okul yılında, hazırlık sınıflarına ek olarak 200 ders ünitesi daha oluşturduk. Buna, 2015/16 okul yılında bir 200 daha ekleyeceğiz. Ülke çapındaki „Fırsat Yaratmak“ („Chancen gestalten“) programıyla, onların, işgücü piyasasına entegrelerini sağlayacağız. Burada örneğin, akademik, mesleki ve dilsel beceriler ediniliyor, entegrasyon için gerekenleri denetleyen ağlar kuruluyor ve mesleki eğitim veya deneyim sahibi olan mültecilere staj imkanları sağlanıyor. Aynı zamanda mülteciler için bir şeyler yapan sivil toplum örgütlerini ve gönüllüleri destekliyoruz. Yani Baden-Württemberg, mültecileri barındırmak, onları entegre etmek ve burada istendiklerini onlara hissettirmek için çok şey yapıyor. wirbiz Stuttgart Türk-Alman Forum'u gibi sivil toplum kuruluşlarının, insanların entegre olmalarında

wirbiz iltica ve ikamet statüsü yasalarında değişikliklerin yapılması gerekiyor mu?

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Politik

„İŞGÜCÜ PİYASASINDA ENTEGRASYONUN SAĞLANMASI.“ „INTEGRATION IN DEN ARBEITSMARKT ERMÖGLICHEN.“ Sozialministeriums, des Integrationsministeriums und der Baden-Württemberg Stiftung zur Vernetzung und Weiterbildung von Ehrenamtlichen. Staatsrätin Gisela Erler hat ein Handbuch für Ehrenamtliche in der Flüchtlingshilfe erarbeitet und organisiert Vernetzungstreffen von ehrenamtlich Engagierten. Zudem haben wir eine Homepage und einen Newsletter (www. fluechtlingshilfe-bw.de) eingerichtet, um die Informationen zur ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe zu bündeln und gute Beispiele aus der Praxisarbeit vor Ort publik zu machen. wirbiz Müssen bei Asylrecht und Aufenthaltsstatus Gesetze geändert werden? Winfried Kretschmann Wir brauchen auf jeden Fall Änderungen, gerade im Bereich der Arbeitsmöglichkeiten. Denn nichts integriert so sehr wie gemeinsam zu arbeiten und die selbst verdienten Brötchen beim Bäcker kaufen zu können. Wir fordern beispielsweise – im Einklang mit den Wirtschaftsverbänden - ein Bleiberecht für junge Asylsuchende und Geduldete während Zeiten der Ausbildung und dann für weitere zwei Jahre zur Berufsausübung. Und wir müssen leichtere Zugänge zum Arbeitsmarkt für Menschen aus den Staaten des Westbalkans schaffen. Viele von ihnen

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Winfried Kretschmann ist seit 2011 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er stellt den ersten Grünen Landeschef in Deutschland. Der bekennende Katholik hat vor seinen politischen Ämtern als Lehrer gearbeitet. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Winfried Kretschmann 2011 yılından bu yana Baden-Württemberg Eyalet Başkanı. Almanya'da Yeşiller'in ilk Eyalet Başkanı'dır. Katolik olan Kretschmann, siyasi kariyerinden önce öğretmenlik yapmıştır. Evli ve üç çocuk babasıdır.

Winfried Kretschmann Başta iş olanakları alanında olmak üzere kesinlikle değişiklikler gerekmektedir. Birlikte çalışmak ve kendi ekmeğini kendi kazandığın parayla satın alabilmek kadar başka hiçbir şey, entegre olmayı bu şekilde destekleyemez. Örneğin, Ticaret Birlikleriyle paralel bir doğrultuda, genç sığınmacılara ve tolere edilenlere, eğitimleri süresince ve ardından çalışmaları için bir 2 sene daha kalma izni talep ediyoruz. Bunun dışında, Batı Balkan ülkelerinden gelen insanların iş piyasasına erişimlerini kolaylaştırmamız gerekiyor. Pek çoğu, çocukları ve kendileri için maddi anlamda daha refah bir yaşam umuduyla geliyorlar. Kabul edilme olasılıkları çok düşük olduğundan iltica yasası onlar için bir çıkmaz sokaktır. Dolayısıyla bu insanlara iltica prosedürüne bir alternatif sunmak durumundayız. Örneğin bunu, Balkan ülkelerine istihdam koridorları oluşturarak yapabiliriz. Bu durum, her iki taraf için de avantaj: Balkanlar'dan gelen motivasyonu yüksek olan insanlar, örneğin bir kalifiye eleman eksikliği olan meslekte bir şans yakalıyor bizde. Bazı alanlarda yurtdışından işgücüne ihtiyacımız olduğuna, bunun bize de, yani yerel ekonomiye de katkıları olacaktır. wirbiz Toplumun, bu ani göç öncesi duydukları endişesini haklı bu-

suchen bei uns eine bessere wirtschaftliche Perspektive für sich und ihre Kinder. Für diese Menschen ist das Asylrecht eine Sackgasse, denn sie haben kaum eine Chance auf Anerkennung. Deshalb müssen wir diesen Menschen eine Alternative zum Asylverfahren anbieten, zum Beispiel indem wir für diese Balkanstaaten Beschäftigungskorridore schaffen. Das nützt beiden Seiten: Hochmotivierte Menschen vom Balkan bekommen bei uns eine Chance, zum Beispiel in Mangelberufen. Davon profitieren dann auch wir beziehungsweise die hiesige Wirtschaft, da wir in einigen Bereichen auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind. wirbiz Können Sie Ängste der Bevölkerung vor der plötzlichen Zuwanderung verstehen? Was sagen Sie Skeptikern? Winfried Kretschmann Zuwanderung ist ein Gewinn, aber sie ist auch eine Kraftanstrengung. Angst vor dem „Fremden“ ist nachvollziehbar, ist etwas urmenschliches, wenn man so will. Das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen, Erfahrungen und Werte ist nicht immer einfach. Integration ist anstrengend und herausfordernd – für beide Seiten. Aber

ich sage den Skeptikern auch immer, dass gelungene Integration auf jeden Fall aller Mühe wert ist. Ich meine, wir haben doch von vielen Einflüssen anderer Kulturen profitiert. Kulinarisch zum Beispiel – die italienische Küche ist doch inzwischen in jedem Haushalt in Deutschland eingebürgert. Und die Imbissbuden verkaufen nicht mehr nur Bratwurst, sondern auch Döner. Wären wir ohne Khedira, Özil, Boateng Weltmeister geworden? Wohl kaum. Und die unterschiedlichen Kulturen – all das bringt unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen in die Unternehmen – und genau das fördert die Kreativität, die wir brauchen, um auf den Weltmärkten mit innovativen Produkten zu bestehen. wirbiz Herr Kretschmann, wir danken herzlich für das Gespräch. n

luyor musunuz? Neden kuşku duyuluyor? Winfried Kretschmann Göç bir kazançtır, ama aynı zamanda da bunun için bir çaba harcanması gerekiyor. "Bilinmeyen" in insanı endişelendirmesi, anlaşılabilir bir durum, hatta insanın özünde var olan bir şey. Farklı kültürlerin, deneyimlerin ve değerlerin karşılaşması her zaman kolay değildir. Her iki taraf için de entegrasyon yorucu ve zorlu bir süreçtir. Şüphe duyanlara, başarılı bir entegrasyonun kesinlikle tüm zorluklara değdiğini de her zaman söylerim. Demek istediğim, diğer birçok kültürlerin etkisinden nice yarar sağlamışızdır. Örneğin gastronomi alanında günümüzde Almanya'da İtalyan mutfağı, neredeyse her eve girdi. Büfelerde artık sadece sosis değil döner de satılıyor. Khedira, Özil, Boateng olmadan Dünya Kupası'nı kazanabilir miydik? Hiç sanmıyorum. Ve farklı kültürler - bütün bunlar, şirketlere farklı bakış açıları ve farklı deneyimler kazandırıyor - ve işte tam da bu, dünya pazarında yenilikçi ürünlerle yerimizi alabilmemiz için ihtiyacımız olan yaratıcılığı teşvik ediyor. wirbiz Sayın Kretschmann, bu söyleşi için size çok teşekkür ediyoruz. n

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Bildung

DIYA UND DAS DTF: WIE PROJEKTE ENTSTEHEN

Ein Bericht von Katrin Brandeis

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um dritten Mal haben wir uns Gedanken gemacht über Themen, die für unser Magazin wirbiz interessant sein könnten. Dabei stellte sich – wie auch in der Vereinsarbeit – leise und manchmal lauter werdend eine ehrliche Frage aus dem Hintergrund: Beschäftigen wir uns zu viel, seit zu langer Zeit mit denselben Themen? Werden wir langsam betriebsblind? Da sich das DTF ebenso mit Jugendförderung wie mit Themen der Migration beschäftigt, war es nicht weit vom Kontakt mit Professoren der Stuttgarter Hochschule der Medien zur gemeinsamen Idee: Lassen wir doch den Jüngeren das Wort. Bei der HdM gibt es den Studiengang Crossmedia-Redaktion/Public Relations. Studiendekan Prof. Dr. Lars Rinsdorf und Lehrredaktionsdozentin Prof. Dr. Katharina Bader waren schnell Feuer und Flamme – und so entstand ein gemeinsames Projekt. Die rund 100 Studenten beschäftigen sich bei ihrer Lehrredaktion in einem Semester mit einem migrationsnahen Thema, und das DTF gibt Feedback und veröffentlicht eine Auswahl der Texte in diesem Magazin. Die neue Dynamik hat uns begeistert. Die Studenten wollten das Thema aus der Mitte der Gesellschaft angehen, quasi als Dialog. Es entstand das On-

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Redaktion Zukunft Das Convergent Media Center (CMC) ist die Lehrredaktion der Stuttgarter Hochschule der Medien, in der Studierende aus unterschiedlichen Studiengängen und Fakultäten Kompetenzen erwerben, aktuelle Ereignisse über unterschiedliche Ausspielkanäle (Video, Audio, Foto, Text, Infografik etc.) hinweg aufzubereiten – für die Website redaktionzukunft.de. Pro Semester sind ca. 100 Studierende in die redaktionelle Arbeit eingebunden. Seit Gründung des CMCs im Jahr 2008 liegt unserer Arbeit im CMC das didaktische Konzept der Cognitive Apprenticeship (CA) zugrunde: D. h. wir bieten allen Lernern Rahmenbedingungen, in denen sie problemorientiert eigene Lernstrukturen entwickeln und sich crossmediale redaktionelle Kompetenzen aneignen können. Dies schließt ein, dass die Studierenden nicht nur von den Lehrenden, sondern vor allem auch voneinander lernen.

Cem Özdemir zu Gast bei der Magzinsendung DIYA an der Hochschule der Medien

line-Magazin Diya der Redaktion Zukunft. Auf den Seiten von Diya unter www.redaktionzukunft.de/diya finden sich Filme, Bilder und Texte in den fünf Rubriken Glaube & Bekenntnis, Essen & Kultur, Arbeit& Plan, Leben & Freude, Wissen & Stand.

Und das sagen sie selbst über ihr Projekt: Diya – 16,5 Mio reden mit. Wo kommen wir her? Wie leben wir? Was macht uns aus? In Deutschland leben 16,5

Millionen Menschen, die noch ein Stück andere Kultur in sich tragen. Das sind 16,5 Millionen Gesichter und Geschichten. Bei Diya versuchen wir die kulturelle Vielfalt nicht nur abzubilden – wir wollen sie leben und greifbar machen. Wir wollen miteinander sprechen, nicht übereinander. Frag dich doch mal selbst: Was ist für dich Heimat? Ist es ein Ort, ein Gefühl, eine Sprache? Müssen wir uns überhaupt entscheiden? Wir leben in einer Zeit, in einer Stadt, in einem Land, in dem wir alles haben

können. Kein Entweder-oder, sondern Mocca und Spätzle sozusagen! Unser Magazintitel „Diya" spielt auf das Wort Diyalog an. Es ist eines der vielen Worte, das es im Deutschen und Türkischen gibt. Wenn Sprache also Ländergrenzen überwinden kann, dann sollte das für Menschen doch auch kein Problem sein. Auf unserer Plattform wollen wir keine altbackene Berichterstattung oder alte Klischees erfüllen, sondern neue Blickwinkel schaffen. n

Kollaboratives Lernen in professioneller Infrastruktur Gemäß des CA-Konzepts nehmen die Studierenden unterschiedliche Rollen in der Lehrredaktion eigenständig war. Erfahrene Studierende (3. Bachelor-Jahr oder Master) übernehmen die redaktionelle Konzeption und koordinieren als Chefs vom Dienst (CvD) die tägliche Redaktionsarbeit. Weniger erfahrene Studierende erarbeiten als Redakteur Themenvorschläge und setzen diese crossmedial für die Website um. Studenten mit technischer Affinität begleiten die CvDs und Redakteure als Tutoren durch die Produktionen. Die Lehrenden agieren als Coaches für Redakteure und CvDs. Im CMC arbeiten wir mit einem professionellen Content-Management-System, dem Redaktionssystem Tangomedia der Firma Markstein, in dem Rollen und Prozesse so abgebildet werden können, wie wir sie für das Redaktionsmanagement brauchen. Darüber hinaus können Media Assets ganz unterschiedlicher Formate verwaltet und in unterschiedlichen Kanälen ausgespielt werden. Die Semesterstruktur: Ein typisches Semester im CMC besteht zur Zeit aus einer drei-wöchigen Vorbereitungsphase, in der das studentische CvD-Team ein redaktionelles Konzept entwickelt, einer 12-wöchigen Produktionsphase, in der die CvDs dieses Konzept zusammen mit den Redakteuren umsetzen und einer zweiwöchigen Reflexionsphase, in der die Studierenden ihre Erfahrungen als Lerner in Lerntagebüchern reflektieren. Ein typischer Redaktionstag läuft von 10 bis 18 Uhr. Je nach Produktionsphase finden dann Themenkonferenzen, Feedbackgespräche oder Schlusskonferenzen statt, nebenbei wird an Beiträgen gearbeitet. Zusätzlich zu den Redaktionstagen werden für die Redakteure Tutorien zu technischen und journalistischen Sonderthemen angeboten (z. B. Bildbearbeitung, Interviewführung, AV-Technik).

AUCH DEUTSCHE UNTER DEN OPFERN

von Tuğsal Moğul

Will wirklich niemand etwas gewusst, niemand etwas gesehen haben, niemand etwas geahnt haben? Elf Jahre lang zieht eine rechte Terrorgruppe mordend durchs Land. Elf Jahre wurde von Seiten der Ermittler verbreitet, dass die Morde mit Drogendelikten, Geldwäsche und Menschenhandelder türkischen Mafia zusammen hängen. Schließlich wird im November 2011 der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) aufgedeckt, nachdem sich die Hauptverantwortlichen selbst getötet haben und es ergibt sich ein erschreckendes Bild davon, wie viel über den NSU bereits vorher bekannt war. Doch statt gründlich aufzuarbeiten wie Verfassungsschutz, V-Männer, NPD und NSU zusammenklüngeln, verrennt sich der seit Mai 2013 andauernde Prozess vor dem Oberlandesgericht München in den Details. Auf dem rechten Auge blind - diese Tradition der deutschen Behörden von Polizei und Justiz nimmt Tugsal Mogul in seinem Stück zum Anlass, Aufklärung darüber herzustellen. „Auch Deutsche unter den Opfern“ beleuchtet die Geschehnisse und stellt Fragen. Hätten die Behörden anders reagiert, wenn die Opfer deutsche Mitbürger gewesen wären? Was war die Rolle des Staates in dieser Mordserie? Es spielen: Katja Schmidt-Oehm, Ema Staicut, Aron Keleta, Yavuz Köroglu | Regie: Janet Stornowski | Bühnenbild und Kostüme: Gudrun Schretzmeier | Dramaturgie: Thomas Richhardt Regieassistenz: Brigitte Luik | Kostümassistenz: Christine Lange | Bühnenbildassistenz: David Fitzgerald | Bühnenbau: Marc Dobmaier, Max Hochreiter | Requisite: Beate Mergel Technik: Martin Hartnagel, Gunnar Hälsig, Jens Fischinger Foto: Simon Wachter

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Gesellschaft

DER WEG ZUM KRIMINALRAT

Ein Bericht von Claudia Articek, HdM

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şkın Bingöl ist ehrgeizig und gelassen, arbeitet professionell und ist ein Familienmensch durch und durch. Bei der Polizei hat er als einer der ersten Türken eine Bilderbuch-Karriere hinter sich und ist heute Kriminalrat im Innenministerium BadenWürttemberg. Dort sitzt er an der Schnittstelle zwischen Polizei und Politik. Am Hintereingang des Innenministeriums in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs wartet Aşkın Bingöl im Anzug mit strahlend blauer Krawatte und einem Lächeln im Gesicht, ein Interview zu geben. Plaudernd laufen wir zum Biergarten im Schlossgarten, um dort bei einem Radler über seine Person zu sprechen. Seine ruhige und gelassene Art passt zu einem Feierabend-Bierchen. Aşkın Bingöl kam mit sechs Monaten als Sohn eines türkischen Gastarbeiters nach Deutschland. „Spontan und abenteuerlustig wie ich bin, stimmte ich meinem Vater sofort zu, als er mich nach meinem Einverständnis nach Deutschland zu

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gehen, fragte“, sagt er ironisch und lacht. In Deutschland wuchs er dann in einem kleinen Städtchen in der Nähe von Ulm auf. Kindergarten, Grundschule und Gymnasium mit eingeschlossen. Danach ging er zum Studium nach Nürnberg. Wirtschaftswissenschaften sollten es sein. An die Börse wollte er. Es kam aber ganz anders. Aufgrund seiner finanziellen Situation suchte er sich eine Ausbildung. „Die Polizei zahlte damals 1500 Mark monatlich mit Anwärterzuschlägen. Da habe ich mich beworben, wurde genommen und bin da so reingeschlittert.“, erzählt Bingöl rückblickend.

Einer der ersten Polizeimeisteranwärter bundesweit Damals war er einer der ersten türkischen Polizeimeisteranwärter in ganz Deutschland. Bei einem Großteil seiner Kollegen war es normal, dass jemand eine andere Herkunft hat. Gewissen Vorurteilen ist er dennoch begegnet. Besonders negativ aufgenommen hat Aşkın Bingöl das alles aber nicht. Sein Ziel, Polizeimeister zu werden, hat er trotzdem nicht aufgegeben. Er ist dann eben offen auf die Kollegen zugegangen. „Die Polizei ist auch auf Vielfalt angewiesen. Das haben die meisten Kollegen verstanden“, erklärt Bingöl. Als

„ZUERST MIT GEMEINSAMKEITEN ANNÄHERN. SO FUNKTIONIERT DAS MITEINANDER.” Kommentar kam „Von einem Türken lass’ ich mich nicht verhaften!“, antwortete er darauf: „Das erklären Sie dem Staatsanwalt.“ So etwas ließ er nicht an sich heran.

„Es gibt nicht den kriminellen Türken“

Der Kriminalrat M.A. Aşkın Bingöl ist im Jahr 1973 in Erzincan (Türkei) geboren und ist 1973 nach Deutschland umgezogen. 1995 begann er seine Ausbildung im mittleren Polizeivollzugsdienst. 2012 erlangte er einen Masterabschluss in „Public Administration – Police Management" . 2014 wechselte er zum Innenministerium.

Migrant würde er sich dennoch nicht bezeichnen: „Wissen Sie, Migrant oder Nicht-Migrant hat immer einen sehr differenzierenden Charakter. Wir sind eben alle Baden-Württemberger mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Das ist auch gut so!“ Sein Ratschlag an alle: „Nähert euch zuerst

mit Gemeinsamkeiten an, nicht mit Dingen, die euch differenzieren. So kann das Miteinander funktionieren.“ Den Migrantenstempel kennt Aşkın Bingöl dennoch nur zu gut. Wie er damit umgegangen ist und immer noch umgeht einfach herumdrehen. „Gerade das tun, was die Leute nicht erwarten. Von den Aha-Erlebnissen, profitiert man noch Jahre danach“, sagt er mit einem Schmunzeln. In eine verwundbare Position hat sich Bingöl nicht begeben. Wenn bei einer Verhaftung der

2012 beendete der heutige Kriminalrat sein Studium an der Deutschen Hochschule der Polizei mit dem bundesweit besten Abschluss und wurde für seine besondere Leistung geehrt. Allerdings hat dieser Abschluss nicht Aufsehen erregt, weil er Türke ist, sondern weil es eine so herausragende Leistung ist. Als stellvertretender Chef der Kriminalpolizei und Leiter der Kriminalinspektion 2 in Reutlingen war er für Raubdelikte, organisierte Kriminalität und Erpressungsdelikte zuständig. Jetzt ist er im Innenministerium tätig und eher mit Buchstabenoperationen beschäftigt. Nach 20 Jahren bei der Polizei antwortet er auf die Frage, ob man dann noch an das Gute der Menschen glaubt, mit einem starken Ja. Kriminell werde kei-

ner geboren. Menschen werden kriminell, weil die Rahmenbedingungen ihres Lebens sowie potenzielle Möglichkeiten sie in eine bestimmte Richtung drängen würden, erklärt er. Den kriminellen Türken gebe es für ihn nicht. „Es gibt Kriminelle und die sind manchmal deutscher, türkischer oder italienischer Abstammung“, sagt er.

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Mittelpunkt Familie „Insgesamt hat mich das Leben gestreichelt“, reflektiert Aşkın Bingöl. Durch seine Leistung hat er seine Ziele immer erreicht. Trotz seiner steilen Karriere, ist die Familie für ihn das Wichtigste. Mit einem Funkeln in den Augen und voller Stolz erzählt er von seinen drei Töchtern: „Meine Töchter sind richtig gut gelungen.“ Und auch seine Familie ist sehr stolz auf ihn. „Die denken, ich habe einen Chauffeur und ein Büro so groß wie ein Vorstandszimmer“, lacht er. Wenn am Abend die Arbeit getan ist, fährt er zu seiner Familie in die Nähe von Ulm. Das Pendeln nimmt er gerne auf sich, wenn er dann zu Hause in die Arme der Familie geschlossen wird. Am Wochenende jongliere er dann mit Schuhe kaufen, Kaffee trinken und Handtaschen anschauen – Tatort Fußgängerzone. n

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Kunst & Kultur

REVOLUTIONSKINDER BRINGEN IHRE GESCHICHTEN AUF DIE BÜHNE

Ein Bericht von Marcia Scharf, HdM

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Da das Stück im öffentlichen Raum spielt, müssen die Schauspieler genau wissen, wie man mit der eigenen Stimme umgeht.

ass Theater nicht nur etwas für ältere Menschen ist, will das Team von „Lokstoff ! – Theater im öffentlichen Raum“ mit ihrem Konzept beweisen. Dabei ist es ihnen wichtig, aktuelle Themen aufzugreifen. Schon im dritten Jahr wird das Stück Revolutionskinder aufgeführt. Ein Stück, in dem die meisten Schauspieler keineswegs Profis sind, sondern Jugendliche und Flüchtlinge. „Das Volk fordert Dialog! Das Volk fordert Respekt", schallt es einem während der Theaterproben der Revolutionskinder entgegen. Ungefähr 40 Jugendliche stehen sich mit erhobenen Fäusten in zwei Gruppen gegenüber und gehen bei jeder Parole einen Schritt näher aufeinander zu. Man spürt die Spannung in der Luft.

„Durch die Flüchtlinge wird das Stück für die anderen Jugendlichen zur Realität" Das Stück „Revolutionskinder" wird in der Stuttgarter Stadtbibliothek aufgeführt und dreht sich um Revolution und Freiheit. Neben dem festen Ensemble spielen dabei auch Jugendliche und junge Flüchtlinge mit. Dabei prallen nicht nur Kulturen aufeinander, sondern auch teilweise traumatische Erlebnisse und außergewöhnliche Geschichten. „Bevor die Flüchtlinge zu uns kommen, müssen sie natürlich

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erst einmal Vertrauen kriegen. Wenn sie dann aber spüren, dass sie bei uns willkommen sind, wird das Angebot sehr geschätzt und ernst genommen", sagt Kathrin Hildebrand, Gründerin von „Lokstoff!". Einige warten sogar jede Woche auf die Proben, da es eine willkommene Abwechslung für die Flüchtlinge ist. Der 20-jährige David bemerkt: „Ich habe sehr viel Zeit und Langeweile. Wenn ich aber jeden Sonntag hierher komme, habe ich viel Spaß. Ich konnte hier viele deutsche Jugendliche kennenlernen und dadurch habe ich sehr schnell Freunde gefunden." David musste vor neun Monaten aus dem Irak nach Deutschland flüchten, da er in seinem Heimatland aufgrund seines christlichen Glaubens von der ISIS verfolgt wurde. David kommt, wie alle anderen Flüchtlinge, die bei „Revolutionskinder" mitspielen, durch den kulturellen Sprachkurs „Kultur macht Sprache" zum Theater. „Lokstoff!" hat im Januar 2015 diesen Kurs ins Leben gerufen. Damit soll Flüchtlingen, die nicht mehr unter die deutsche Schulpflicht fallen, die Chance gegeben werden, richtig Deutsch zu lernen. Doch nicht nur die Flüchtlinge finden das Theater-Angebot hilfreich. Die deutschen Jugendlichen werden durch die Flüchtlinge näher an die Thematik des Stücks herangeführt, denn sie kennen den Wunsch nach Freiheit kaum.

„Wenn jetzt Jugendliche dabei sind, die ihre bewegenden Geschichten erzählen, die sie selbst erlebt haben, wird das Stück auf einmal zur Realität für die anderen Jugendlichen, und sie setzen sich ganz anders damit auseinander", erzählt Kathrin Hildebrand. Bei den Proben herrscht keineswegs ein strenger Ton, auch wenn das jugendliche Ensemble nach Kathrin Hildebrand „ein Flohhaufen ist, der es mit der Pünktlichkeit nicht immer allzu genau nimmt". Vielmehr spürt man eine freundschaftliche, fast schon familiäre und ausgelassene, Stimmung. Da das Theater das Stück ohne Unterstützung nicht realisieren könnte, wird es durch das Projekt „jep – Kultur macht stark" gefördert. „jep" setzt sich besonders für bildungsbenachteiligte Jugendliche ein.

Der Inhalt wird von allen mitgestaltet Neben der Hauptgeschichte des Stücks, die sich um das von der Politik unterdrückte Liebespaar Pyramus und Thisbe dreht, werden auch die Biografien von einigen Jugendlichen in das Stück mit eingebracht. Sie dürfen ihre eigenen Texte und Geschichten in das Stück einfließen lassen und bekommen dabei Unterstützung vom Ensemble des Theaters. So kann jeder Schauspieler seinen Teil

Kathrin Hildebrand ist seit fast 20 Jahren in über 50 verschiedenen Rollen auf der Bühne zu sehen. Ihr Repertoire ersteckt sich von "Mephisto" im Urfaust über "Celimène" im Menschenfeind von Molière bis zu "Erna" in Präsidentinnen von Werner Schwab. Engagements führten sie unter anderem ans Alte Schauspielhaus Stuttgart, Staatstheater Stuttgart, Theater tri-bühne. 2003 gründete sie mit Wilhelm Schneck Lokstoff! Theater im öffentlichen Raum. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Gábor Zsámbéki, Cilla Back, Richard Sammel, Adriana Altaras. Sie ist zudem in zahlreichen Film-und Fernsehproduktionen zu sehen und als Sprecherin für Kino-Fernseh-Hörfunkwerbung, Hörspiele, Features und Kinderbuchvertonungen tätig.

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Kunst & Kultur

„Sie dürfen ihre eigenen Texte und Geschichten einfließen lassen.“

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zum Stück beitragen. Auch Regisseur Wilhelm Schneck steckt in den Pausen immer wieder die Köpfe mit ein paar Jugendlichen zusammen und erklärt, was sie noch besser machen können und wie man als Schauspieler noch überzeugender rüberkommt. Vor allem die Flüchtlinge, die manchmal noch mit der deutschen Sprache zu kämpfen haben, bekommen Tipps von den Profis. Zum Beispiel, wie man die Aussprache einzelner Wörter verbessert.

„Deutschland muss Willkommenskultur entwickeln" Lautstark und mit erhobenen Fäusten fordern die jungen Schauspieler Dinge, die ihnen am Herzen liegen: Respekt, Religionsfreiheit und Informationen.

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Integration hat bei „Revolutionskinder" höchste Priorität. Sogar eine blinde Schauspielerin spielt beim Stück mit. Das erfordert zwar teilweise eine andere Herangehensweise, wird aber von allen bedingungslos angenommen. Was Integration wirklich ausmacht, das sieht hier jeder ein bisschen anders. David findet, dass es hier in Deutschland super ist, und er selbst hätte keine Verbesserungsvorschläge. Er kann sich hier frei bewegen, was ihm sehr wichtig ist. Sein Ziel ist es jetzt, die deutsche Sprache perfekt zu lernen und eine Arbeit als Automechaniker zu finden. Kathrin Hildebrand ist beim Thema Integration in Deutschland eher skeptisch. Sie findet zwar, dass die Grundstimmung der deutschen Gesellschaft gegenüber

Flüchtlingen eher positiv ist, allerdings gebe es an vielen Stellen noch Verbesserungsbedarf. „Vor dem Staat sind die Flüchtlinge oft nur eine Nummer, die Persönlichkeit wird kaum wahrgenommen. Aus diesen Nummern müssen Menschen werden, und man sollte mehr auf die Individuen achten. Deutschland muss eine Willkommenskultur entwickeln!" Außerdem wünscht sie sich, dass die Hilfe weiter vorne an den Landesgrenzen beginnt und den Flüchtlingen schon auf dem Weg hier her jemand zur Seite steht. Sie kreidet an, dass die Menschen hier zwar legal leben dürfen, sie aber illegal aus ihrem Land fliehen müssen. Wenn der Staat schon vorher Hilfe leisten würde, würde es ihrer Meinung nach so etwas wie das „Massengrab Mittelmeer" gar nicht geben. Durch Revolutionskinder will das Theater den Flüchtlingen eine Stimme geben und darauf aufmerksam machen, was es heißt unterdrückt zu werden, sich nicht frei bewegen zu können und fliehen zu müssen. n

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Kunst & Kultur

EINE FAMILIENSAGA AUS DEM SIEBENTÜRMEVIERTEL

Ein Bericht von Sibylle Thelen

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Feridun Zaimoğlu schafft Bilder durch Beobachtungen auf der Straße.

it den Worten „Sie nennen mich Hitlers Sohn. Flüchtiger Arier. Kind mit Kraft“. beginnt Feridun Zaimoğlu seinen neuen, achthundert Seiten starken Roman „Siebentürmeviertel“. Er erzählt von einem knapp siebenjährigen Jungen namens Wolf, der mit seinem Vater aus Nazideutschland an den Bosporus flieht. Die beiden finden Zuflucht in Yedikule, dem Quartier im Schatten der mächtigen Stadtmauer, das den Namen der Festungsanlage mit den sieben Türmen trägt. Man schreibt das Jahr 1939. Nicht mehr lange, und die Deutschen brechen den Zweiten Weltkrieg vom Zaum. Wolfs Vater setzt sich schon bald ab nach Ankara. Dort arbeitet er für den neuen Staat der Türkei. Der Junge bleibt bei seinen Pflegeeltern zurück, bei Abdullah Bey und Beyka Hanim, die sich seiner annehmen. Und doch ist er oft genug auf sich allein gestellt. Er muss lernen, sich in der verwirrenden Vielfalt seines Viertels zurechtzufinden – als einziger Deutscher unter zwangsumgesiedelten Muslimen aus Griechenland, Flüchtlingen vom Balkan, Vertriebenen aus dem Kaukasus, unter armenischen Überlebenden eines verschwiegenen Völkermords,

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unter Kurden, Griechen, Juden. Fremd sind sie alle, doch das verbindet nicht, zunächst einmal sind sie einander fremd. Zaimoğlu schildert eine raue Welt der kleinen Leute. Allesamt sind sie unfreiwillig vereint und eins nur dann, wenn es darum geht, sich von den „Zigeunern“ abzugrenzen, zumindest das gibt Halt. Wolf begegnet archaischem Aberglauben, trägt Narben davon, nicht nur am Körper, entdeckt seine Sexualität in den düster funkelnden Abgründen der Stadt, wird wie alle anderen in der Schule einem unerbittlichen Anpassungsprozess unterzogen. Atemlos folgt man dem wendigen Jungen, der sich zu verlieren droht. Doch dann, Jahre später, kann Wolf seinen Standpunkt selbstbewusst verorten: „Sohn von Abdullah Bey und Beyka Hanim. Kind meines Viertels. Bruder meiner Brüder. Deutsches Blut. Türkische Haut. Das bin ich. Haus, Hof und Heimatboden. Das liebe ich.“ Man kann den Roman „Siebentürmeviertel“ als die Geschichte einer deutschtürkischen Integration lesen, wenn auch in umgekehrter Richtung. Und doch ist er mehr als das: ein Entwicklungsroman, der nicht nur das Heranwachsen eines Jünglings nachzeichnet, sondern auch die Entstehung eines noch immer jungen Landes und seiner neuen Ordnung. Die alten, feuda-

len Strukturen sind zerstört, das Gefüge des Vielvölkerstaats der Osmanen ist zerbrochen, umso mehr klammert sich das Volk an die Restbestände seiner Sitten und Gebräuche, an Aberglauben und archaisches Regelwerk bis hin zur Blutfehde. Einige der etwa achtzig Charaktere, die Feridun Zaimoğlu zeichnet, überleben diesen Kampf nicht. Gefährdet sind vor allem die Schwachen, die Anderen, die Frauen, von denen einem in diesen Roman viele als die eigentlich starken Figuren erscheinen. Aber auch Wolf, der tapfere Held, aus dessen Perspektive der Schriftsteller seine packende Geschichte entfaltet, ist stark. Dies alles erzählt Feridun Zaimoğlu mit sprachgewaltiger Wucht. Kreiert Wortschöpfungen, aufgeladen mit der Poesie der Straße. Schafft Bilder, die unter die Haut gehen. Es ist nicht das erste Mal, dass der deutsche Autor, der in den 1960er-Jahren im Vorschulalter nach Deutschland kam, den Plot in das Land seiner Eltern verlegt. Das pralle Porträt der Arbeitsmigrantin „Leyla“ (2006), zuletzt auch „Isabel“ (2014), die kühl abgefasste Leidensgeschichte einer zornigen Großstadtpflanze, führten in die Türkei. Wie selbstverständ-

lich erweitert sich in Zeiten von Migration und Globalisierung der Radius des Erzählens. Zaimoğlus neues Werk ist sein erster historischer Roman. Er kreuzt darin deutsche und türkische Geschichte. Doch er folgt nicht den Trampelpfaden der Betrachtung. Die Türkei, Zufluchtsstätte für deutsche Exilanten, war alles andere als eine Insel der Seligen – und Istanbul, die frisch enthauptete Kapitale des jungen, auf den Trümmern eines Großreiches errichteten Einparteienstaats schon gar nicht. Noch glich das Land einem fragilen Konstrukt. Zusammengehalten mit Druck und Kontrolle. Und umgeben von Gewalt. Jenseits der Grenzen, in den Nachbarländern, waren die Nationalsozialisten eingefallen. Die Diktatur erscheint als allgegenwärtige Gefahr. Und immer, so lehrt dieser Roman, bedroht sie die Menschen in ihrer Vielfalt. So betrachtet ist das „Siebentürmeviertel“ der 1930er- und 1940er-Jahre mit seinen Einwohnern aus vieler Herren Länder ein zeitloses Sinnbild dieser Heterogenität.

kischen hinzu. Auch er imaginiert jene vielfach verdrängten Zeiten. Aber anders als Orhan Pamuk, der in „Cevdet und seine Söhne“ vom neuen aufstrebenden Bürgertum erzählt, oder auch Mario Levi, dessen „Istanbul war ein Märchen“ das kosmopolitische Pera, in nostalgisch beschwört, nimmt sich Feridun Zaimoğlu der Underdogs an, der Ausgestoßenen und sich selbst Ausstoßenden. Mit ihrer Sicht konfrontiert er seine Leser. Burak, einer von Wolfs Freunden, sagt: „Man lebt nach altem Brauch und verreckt. Man lebt nach neuen Gesetzen und verreckt.“ Da ist viel Schmerz, aber auch viel Schönheit in diesem Roman. n

Siebentürmeviertel von Feridun Zaimoğlu, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln. Gebunden, 800 Seiten, 24,99 Euro.

Lesung am 19. Januar 2016 Feridun Zaimoğlu liest am 19. Januar 2016 in der Reihe LiteraTürkei des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart und der Stadtbibliothek Stuttgart aus seinem Roman "Siebentürmeviertel". Die Lesung findet um 20 Uhr in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz statt.

Die historische Rückschau als Abgleich mit dem, was uns heute umgibt. Auch so lässt sich das „Siebentürmeviertel“ interpretieren. Und nicht nur das: Wie nebenbei fügt der Kieler Autor den türkischen Istanbulromanen seinen eigenen deutschtür-

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Politik

ISLAM IN DEUTSCHLAND ALMANYA'DA İSLAM

Ein Beitrag von Nils Schmid

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ie hältst du es mit dem Terror? So oder so ähnlich lautet die Gretchenfrage, der sich viele Muslime in diesen Tagen gegenübersehen. Sie zeigt, dass aus den Gewehrläufen der Mörder von Paris neben todbringenden Kugeln noch etwas anderes in unsere Gesellschaft drang: das langsam wirkende Gift des Misstrauens. Denn so eindrucksvoll die Zeichen der Gemeinsamkeit auch sind, die in Paris und in vielen Städten Deutschlands zu sehen waren, so wenig können sie darüber hinwegtäuschen, dass unser Miteinander zerbrechlich ist. Ich werde die Frage meiner türkischstämmigen Frau nie vergessen, als bekanntwurde, dass die angeblichen „Dönermorde“ in Wahrheit von einer rechtsextremen Mörderbande begangen wurden: „Müssen wir jetzt Angst haben?“ Sie lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Wir dürfen deshalb nie vergessen, wen wir treffen, wenn wir von „dem“ Islam sprechen: den türkischen Kollegen, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, arbeitet und Wurzeln geschlagen hat; den persischen Exilanten, der vor einer islamistischen Diktatur nach Deutschland geflohen ist und sich nun für die Untaten mörderischer Wirrköpfe rechtfertigen soll; die junge Muslima,

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die in Deutschland geboren ist, hier ihren Weg zwischen Tradition und Moderne sucht und mit ihrer eigenen Identität Teil dieses Landes sein will. Sie alle gehören zu Deutschland – mit ihrer Religion, mit ihrem Glauben. Und niemand hat das Recht, sie unter Generalverdacht zu stellen. Warum sollte sich etwa meine Frau von den Enthauptungen der Schergen des „Islamischen Staates“ distanzieren, wenn zu Recht niemand von mir eine Distanzierung von den Morden eines Anders Breivik erwartet? Zumal jede Geste der Distanzierung wiederum Fragen ihrer Ernsthaftigkeit nach sich zieht. Ein bezeichnendes Beispiel: Nach einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor für die Opfer der Anschläge von Paris, zu der mehrere muslimische Verbände aufgerufen hatten, wurde sofort die Frage laut, warum nicht mehr Muslime da waren. Oder wie es in einer Nachrichtensendung im Privatfernsehen hieß: „Für eine muslimische Veranstaltung waren es zu wenige Muslime. Vielleicht 2000. Doppelt so viele kommen, wenn Erdoğan Wahlkampf macht in Berlin.“ Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals ähnliche Vergleiche zwischen den Besucherzahlen eines Hele-

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erör hakkında ne düşünüyorsun? Bugünlerde, Müslümanlar, bu gibi ya da buna benzer önemli sorularla yüzleştiriliyorlar. Bu gelişme, Paris’teki katillerin ölümcül kurşunlarının yanı sıra başka bir şeyin de topluma sızdığının bir göstergesidir: Etkisi yavaş görülen güvensizlik zehrinin. Paris'te ve Almanya’nın diğer şehirlerinde görülen ve çok etkileyici bir işaret olan birliğe rağmen bir aradalığımızın ne kadar kırılgan olduğu gerçeğini gizleyemeyiz. Sözde "döner cinayetleri"nin aslında aşırı sağcı bir çete tarafından işlendiği ortaya çıktığında Türkiye kökenli eşimin, bana yönelttiği soruyu asla unutmayacağım: "Bundan sonra korku içinde mi olmalıyız? " Kendisi 40 yıldır Almanya'da yaşıyor.   Bu nedenle bizler, "İslam"ı konuşurken, kimi kastettiğimizi asla unutmamalıyız: yıllardır Almanya'da yaşayan, çalışan ve burada kök salmış olan Türkiyeli iş arkadaşımızı; islamcı bir diktatörlükten Almanya’ya kaçan ve bir takım aklı başında olmayan katillerin işlemiş olduğu suçları açıklamak zorunda kalan Farslı sürgünü; Almanya’da doğmuş olan, burada gelenek ve modernlik arasında yolunu bulmaya çalışan ve kendi kişiliğiyle bu ülkenin bir parçası olmak isteyen genç Müslüman kızı.

Minister Nils Schmid bei der Manfred-Rommel-Preisverleihung Bakan Nils Schmid Manfred-Rommel Ödül Töreni'nde

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Politik

„UNSER MITEINANDER IST ZERBRECHLICH.“ „BİR ARADALIğIMIZ KIRILGAN.“ ne-Fischer-Konzerts und den Gedenkveranstaltungen für die Opfer des NSU- Terrors angestellt wurden. Auch die nun immer wieder verbreitete Formel, dass zwar Muslime zu Deutschland gehörten, „der Islam“ aber noch lange nicht, hält einer näheren Betrachtung nicht stand. Oder um es deutlich zu sagen: Sie ist völliger Unsinn. Schließlich wären Muslime ohne das Bekenntnis zum Islam keine Muslime. Zu erklären ist diese sprachliche Verrenkung nur aus der inneren Zerrissenheit der Unionsparteien, die zugleich die gesellschaftliche Mitte und den rechten Rand bedienen wollen. Doch wer Ressentiments bekämpfen will, kann sie nicht gleichzeitig schüren. All das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die islamischen Gemeinden in Deutschland vor schmerzhaften Fragen stehen: „Wie kann es sein, dass im Namen unserer Religion solche Gräueltaten verübt werden? Warum folgen junge Menschen aus unserer Mitte islamistischen Rattenfängern und werden zu Mördern? Was können wir tun, um dies in Zukunft zu verhindern?“ Und es führt kein Weg daran vorbei, sie schonungslos zu beantworten. Nicht, weil es Muslimen von außen aufgetragen

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Onların hepsi Almanya'ya ait Dinleri, inançları ile. Ve hiç kimsenin onları, genel zan altında bırakmaya hakkı yoktur. Eşim, neden "İslam Devleti"nin cinayetlerini savunan kitlenin bir parçası olmadığını açıklamak durumunda kalsın ki ,kimsenin, haklı olarak Anders Breivik cinayetini savunan kitlenin bir parçası olmadığını açıklaması beklenmezken? Özellikle de kendini olaydan uzaklaştırmaya ya da olaya yakınlaştırmaya yönelik her hareket, zaten samimiyeti sorgular. Paris saldırılarının kurbanları için birçok Müslüman sivil toplum kuruluşlarının da çağrıda bulunduğu Brandenburg Kapısı önünde tutulan nöbetin ardınan neden daha fazla Müslüman yoktu sorusunun yükselmesi, buna çarpıcı bir örnektir. Ya da özel bir televizyon kanalında bir haber programında söylendiği gibi: "Müslüman bir etkinlik için çok az sayıda Müslüman vardı. Belki 2000 kişi. Erdoğan Berlin'de seçim kampanyası yaptığında bunun iki katı kadar katılım oluyor. " Ben, hiç bir zaman Neonazi (NSU) terör kurbanlarını anma töreni ile bir Helene Fischer konser ziyaretçi sayısı arasında böylesi benzer bir karşılaştırmanın yapıldığını hatırlamıyorum.

Yayılmış olan, "İslam'ın" değil ama Müslümanlar'ın Almanya'ya ait olması düşüncesi, daha yakından incelendiğinde, doğruluğunu korumadığı görülmektedir. Ya da, daha açık söylemek gerekirse: Bu, kesnlikle saçmalıktır. Sonuçta Müslümanlar'ın, İslam'a bağlılığı olmadan Müslüman olmaları beklenemez. Bu dilsel aksama, sadece, aynı anda hem sosyal merkeze hem de sağ kenara hizmet vermek isteyen Birleşmiş Partiler'in iç kargaşası ile açıklanabilir. Ama kızgınlıkla mücadele etmek isteyen kişi, aynı zamanda kışkırtıcı olamaz. Tüm bunlar, Almanya'daki Müslüman topluluklarının sancılı sorularla karşı karşıya olduğu gerçeğini gizlemesin: "Nasıl olur da bizim dinimiz adına böyle vahşice şeyler yapılabilir? Aramızdan gençler neden İslamcı fare kapanlarına yakalanıp katil oluyorlar? Gelecekte bunu önlemek için ne yapabiliriz?" Bu soruları, hasar vermeden yanıtlamak çok zor. Müslümanlar'a dışarıdan bir yaptırımın söz konusu olduğundan değil. Kendini bu toplumun bir parçası olarak gören İslam'ın, içinde kin ve nifakın ekilmesine seyirci kalamayışından.

wird. Sondern weil ein Islam, der sich als Teil dieser Gesellschaft versteht, nicht zusehen kann, wie in seiner Mitte Hass und Zwietracht gesät werden. Für alle Nichtmuslime verbietet sich dabei jeglicher Hochmut. Als gläubiger Christ weiß ich um die alles andere als unbefleckte Geschichte meiner eigenen Religion. Als Deutscher habe ich gelernt, dass aus der Geschichte unseres Volkes zwar nicht individuelle Schuld, aber doch eigene Verantwortung erwächst. Und als westliche Gesellschaften insgesamt stehen wir alle vor denselben Fragen. Denn es sind Kinder ebendieser, unserer Gesellschaften, die in Syrien und in Paris im Namen einer religiös verbrämten Ideologie morden. So müssen wir uns alle gemeinsam der Frage stellen, was wir tun können, um die Feinde der Freiheit zu bekämpfen, ohne diese Freiheit selbst aufzugeben. Die Antwort lautet: nicht weniger, sondern mehr Offenheit, nicht weniger, sondern mehr Miteinander. Wer die Muslime in unserem Land unter Generalverdacht stellt, betreibt ungewollt das Geschäft der Terroristen. Deren Ziel ist es, Muslimen zu zeigen, dass sie hier nicht dazugehören. Unsere Aufgabe ist es, das Gegenteil zu beweisen. n

Müslüman olmayanların, her hangi bir kibire hakları yoktur. Dindar bir Hıristiyan olarak, lekesiz olmayan din tarihimizi biliyorum. Bir Alman olarak, halkımızın tarihinde bireysel suçun değil, ama bireyin kendine düşen sorumluluğunun geliştiğini öğrendim. Tüm Batı toplumları olarak hepimiz, aynı sorunlarla karşı karşıyayız. Çünkü Suriye'de ve Paris'te dini ideoloji adına cinayet işleyen, işte bu çocuklardır, bizim çocuklarımızdır. Bu yüzden beraberce özgürlük düşmanlarına karşı, bu özgürlükten vazgeçmeden mücadele etmek için ne yapabilirim sorusunu kendimize sormalıyız. Cevap şudur: daha az değil, daha çok açıklık ve daha az değil, daha çok bir aradalıktır. Ülkemizde her kim Müslümanları genel zan altında bırakırsa istemeden teröristlerin işini yapmaktadır. Onların amacı, Müslümanlar'a, buraya ait olmadıklarını göstermektir. Bizim görevimiz ise, bunun aksini kanıtlamaktır. n

Dr. Nils Schmid, ist Minister für Finanzen und Wirtschaft von Baden-Württemberg sowie dortiger stellvertretender Ministerpräsident seit 2011, außerdem Vorsitzender der Landes-SPD. Der gelernte Jurist ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dr. Nils Schmid, Baden-Württemberg Eyaleti'nin Maliye ve Ekonomi Bakanı ve aynı zamanda 2011'den beri oradaki Başbakan Yardımcısı. Ayrıca SPD Partisi'nin Eyalet Başkanı'dır. Kendisi bir hukukçu olup iki çocuk babasıdır.

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Gesellschaft

DER EINBÜRGERUNGSTEST – EINE MEDAILLE MIT ZWEI SEITEN

„WIR MÖCHTEN MIT UNSEREN SCHÜLERN INS GESPRÄCH KOMMEN.”

Ein Bericht von Carina Lachnit und Carolin Schmidt, HdM

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Faezeh Monzavi wurde im Iran geboren und kam im Alter von 29 Jahren nach Deutschland. Hier hat sie Politikwissenschaften und Orientalistik studiert. Seit dem Jahr 1992 arbeitet sie im Begegnungszentrum Dobelstraße e. V. und ist dort Integrationslehrerin und Leiterin des Zentrums. Afsaneh Akbari kommt aus den Iran und lebt seit 9 Jahren mit ihrem Mann in Deutschland. Der Einbürgerungstest hat ihr geholfen, sich in Deutschland heimisch zu fühlen.

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er deutscher Staatsbürger werden möchte, kommt um ihn nicht herum: den Einbürgerungstest. Jeder Anwärter auf den deutschen Pass muss mindestens 17 von 33 Fragen richtig beantworten. Der Fragenkatalog umfasst 300 allgemeine Fragen zu den Themengebieten „Leben in der Demokratie", „Geschichte und Verantwortung" und „Mensch und Gesellschaft", sowie jeweils zehn bundeslandbezogene Fragen. Ziel des Tests ist es zu zeigen, dass sich ausländische Mitbürger in die deutsche Gesellschaft integriert haben. Doch hält der Test, was er verspricht? Ist er die Universallösung, um zu zeigen, dass man „deutsch genug" für den Pass ist? Das Begegnungszentrum Dobelstraße in Stuttgart hilft Einwanderern auf ihrem Weg zum deutschen Pass. Gleichgesinnte haben die Möglichkeit, gemeinsam die deutsche Sprache und Kultur verstehen zu lernen. Das Zentrum wurde 1979 gründet und setzt sich zum Ziel, das Leben für ausländische Arbeiter und ihre Familien in Deutschland zu erleichtern. Dafür werden in der Dobelstraße Sprachkurse in einer angenehmen Atmosphäre angeboten. Faezeh Monzavi, Leiterin des Zentrums, engagiert sich seit 23 Jahren für Einwanderer. Ihr größtes Anliegen ist es nicht nur, Wissen und Sprache zu vermitteln, sondern

ihren Schülern einen Platz zum Wohlfühlen zu geben. Neben unterschiedlichen Sprachkursen, bot das Begegnungszentrum bis 2013 zweimal im Jahr Vorbereitungen für den Einbürgerungstest an. Seit der Orientierungskurs mit dem Abschlusstest „Das Leben in Deutschland" den Einbürgerungstest ersetzen kann, wird diese Prüfung zweimal im Jahr im Begegnungszentrum abgenommen. Der Orientierungs- beziehungsweise Vorbereitungskurs auf den Einbürgerungstest umfasst 60 Stunden und baut auf einen 600-Stunden-Sprachkurs auf. Für Teilnehmer der Integrationskurse, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vermittelt, ist die Teilnahme an beiden Kursen Pflicht. An einem Kurs nehmen zwischen sechs und 15 Schüler teil. Neben der Vorbereitung auf die 310 Fragen des Einbürgerungstests, werden Themen wie Baden-Württemberg, Bildung, Integration, Arbeit, Politik besprochen. Alle Kursteilnehmer präsentieren zusätzlich ihre Heimatländer. Anschließend wird über die Unterschiede zu Deutschland diskutiert. „Wir möchten mit unseren Schülern ins Gespräch kommen", betont Monzavi. „Uns ist es wichtig, gemeinsam zu diskutieren und uns auch über

sensible und schwierige Themen auszutauschen, wie etwa: Heimat, Religion, Homosexualität oder Gleichberechtigung. Uns liegt es am Herzen, gegenseitigen Respekt zwischen verschiedenen Kulturen zu vermitteln. Dazu gehört auch die deutsche Kultur." Durch den interaktiven Unterricht werden die Schüler optimal auf den Einbürgerungstest vorbereitet. Afsaneh Akbari hat den Einbürgerungstest bereits bestanden. Der Vorbereitungskurs in der Dobelstraße hat ihr dabei geholfen. „Als ich vor neun Jahren mit meinem Mann aus dem Iran nach Deutschland kam, habe ich weder die Sprache noch die Kultur verstanden. Der Unterricht von Frau Monzavi hat mich in allem unterstützt." Für Afsaneh war der Einbürgerungstest nicht schwer. Neben dem Kurs hat sie sich selbst vorbereitet und fleißig gelernt. „Man weiß dadurch einfach mehr über das Land, die Gesetze und die Leute", erklärt sie. „Ich bin stolz, den Einbürgerungstest bestanden zu haben. Damit bin ich einen Schritt näher am deutschen Pass. Ich hoffe, dass ich dann wieder als Sekretärin arbeiten kann." Die Motivation der Schüler spiegelt sich in den Testergebnissen wider: 96 Prozent aller Schüler, die den Einbürgerungstest im Begegnungszentrum Dobelstraße ablegen, bestehen diesen.

Eine (un)überwindbare Hürde zum Pass Eine solide Vorbereitung ermöglicht das Bestehen und somit einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Einbürgerung. So pauschal lässt sich das nur für eine kleine Zielgruppe sagen. Nach den Erfahrungen der engagierten Lehrerin gelingt es vor allem gebildeten Migranten den Einbürgerungstest schnell und erfolgreich abzuschließen. Für bildungsschwache Schüler oder Analphabeten stellt der Einbürgerungstest oft eine unüberwindbare Hürde zum deutschen Pass dar. „Viele meiner Schüler verstehen die Inhalte der Fragen nicht und lernen deshalb die Antworten für die Prüfung auswendig", erklärt Monzavi. „Das kann funktionieren. Aber danach habe ich ja immer noch nicht verstanden was Gleichberechtigung, Volkssouveränität oder Religionsvielfalt bedeutet."

„Deutsch sein" durch Respekt und Verständnis Der Einbürgerungstest zielt darauf ab, Wissen und Kultur zu vermitteln und dadurch eine bessere Integration zu ermöglichen. Doch sind diejenigen, die den Test nicht bestehen können, weniger integriert? „Wenn ich Freunden oder Nachbarn, die aus Deutschland kommen, Fragen gestellt habe, dann konnten manche diese auch nicht

beantworten", bemerkt Faezeh Monzavi und fügt hinzu: „Es ist absolut richtig, dass Leute, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen müssen. Auch ist es sinnvoll, sich über die Kultur, Politik und das Land miteinander auszutauschen. Aber dass man den Test verpflichtend bestehen muss, um den deutschen Pass zu bekommen, finde ich nicht in Ordnung." Nach Meinung von Monzavi sollte es alternative Testmöglichkeiten für bildungsschwache Schüler geben. Eine mündliche Prüfung oder Gruppendiskussion wäre denkbar. Der Einbürgerungstest sei somit keine Universallösung, um das „Deutschsein" unter Beweis zu stellen. Ganz im Gegenteil. Deutsch würde man nicht durch das Bestehen eines Tests, sondern durch Respekt und Verständnis gegenüber der neuen Kultur. Ein Test sei nur gerechtfertigt, wenn er keine unüberwindbare Hürde auf dem Weg zum deutschen Pass darstelle – und zwar für jeden. Dabei ist der Einbürgerungstest nur eine (un)überwindbare Hürde von vielen weiteren, die auf dem Weg zum deutschen Pass zu meistern sind. Das Schaubild zeigt die Voraussetzungen und den Ablauf des Einbürgerungsverfahrens. n

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Kunst & Kultur

ZWISCHEN KEHRWOCHE UND BESCHNEIDUNG

„WEISST DU, ALLES IST VERGÄNGLICH.”

Ein Bericht von Stephanie Schlagenhauf, HdM

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ie ist das, aus dem Haus zu gehen, von Nazis gejagt zu werden? Dich dann in die Schule zu hocken und von deinem Lehrer zu hören, dass du es sowieso nicht schaffen wirst? Ausländerfeindlichkeit und Perspektivlosigkeit prägten Özcan Coşars Kindheit. Heute steht er auf der Bühne und macht Stand-up Comedy.

Özcan Coşar mit Beobachtungsgabe und Humor

Das Interview mit Özcan Coşar unter www.redaktionzukunft.de/ zwischen-beschneidung-und-kehrwoche-o Mit seinem neuen Comedyprogramm „Du hast Dich voll verändert“ steht Özcan Coşar regelmäßig im Stuttgarter Theaterhaus und im März 2016 bei der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche im Renitenztheater auf der Bühne.

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Es ist ein warmer Frühsommernachmittag, an dem mich Özcan Coşar mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter an der Haustür seines Elternhauses lachend begrüßt. Das Haus, in dem der türkischstämmige Özcan seine halbe Kindheit verbrachte, fällt sofort ins Auge. Es ist das einzige im Hausenring, das noch nicht renoviert wurde. Mit zehn Jahren zog er mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern von Zazenhausen hierher nach Hausen. Sonnenlicht bricht sich zwischen dem braunen Mehrfamilienhaus und den weiß renovierten Bauten im Hausenring. Wir setzen uns auf die kleine Holzbank gegenüber der 68. Der 34-Jährige erzählt mir mit weicher Euphorie, wie sehr er die Gegend hier liebt, auch wenn es früher hart war. Für ihn bedeutet Hausen Heimat. Sein Blick schweift etwas wehmütig über die Straße, hinüber zu den Parkplätzen voll staubigem Schotter. Früher waren da Büsche, in denen er mit

seinen Kumpels spielte. Die sind auch weg, „Schade, dass hier alles erneuert wird“ - Er liebt die alten Dinge, denn sie erzählen eine Geschichte. „Die Perspektivlosigkeit war mir ins Gesicht geschrieben, ich war ein Türkenkind!“ Ausländerfeindlichkeit kannte er, „über Kommentare wie „Scheiß Türke“ haben wir uns irgendwann nur noch kaputt gelacht“. Damals arbeitete er neben der Schule in einer Druckerei, um sein Taschengeld aufzubessern. Auf dem Weg zur Arbeit hörte er plötzlich jemanden schreien: „Guck mal, ein Kanake!“ „Da bin ich losgerannt.“ „Hey so bin ich in Sport noch nie gerannt!“ Springerstiefel, Bomberjacken und Glatzen verfolgten ihn bis zur Tür. „Das war schon krass, ich dachte, die müssen doch irgendwann aufhören zu rennen.“ Ausländerfeindlichkeit erlebt Özcan heute „one in a million“. Der bekennende Liberale und Pazifist versucht zu verstehen, er urteilt nicht. Wenn man mal ein Ventil braucht, ist schnell ein Feindbild erschaffen. Dann ist man halt der „Scheiß Türke“. „Aber das ist nicht immer gleich Ausländerfeindlichkeit, weißt du.“ Seine Stimme färbt sich ernst: „Vor Glatzen hab ich keine Angst mehr, aber vor Menschen in Anzug, die solch ein Gedankengut in sich tragen.“ Er war einer von den wenigen

aus Hausen, die es auf die Realschule geschafft haben und „das war so, Scheiße Mann!“, bricht es aus ihm heraus. „Alle meine Freunde gingen auf die Rappachschule. Der Bus fuhr von Hausen aus los, nach zwei Haltestellen stiegen alle aus. Nur ich fuhr weiter.“

Das Plakat zu Cosars aktueller Show "Du hast Dich voll verändert"

Programme sind stark autobiografisch geprägt. Er lebt, was er erzählt. Zwischen Beschneidung und Kehrwoche fand er seine großartige Beobachtungsgabe. Dies brachte ihm sechs Preise in Folge, darunter den renommierten PRIX PANTHEON und Auftritte bei TV Total. Er sieht sich nicht als Gesellschaftskritiker. Auch ein Vorbild möchte er sich nicht nennen. Er ist einfach Özcan.

Sein Freundeskreis war multikulturell: Griechen, Deutsche, Türken. Was ist aus den anderen so geworden? Alle haben ihren Weg gemacht, auch wenn es nicht immer den Konventionen entsprach. Dann trübt sich sein Blick: „Einige Freunde sind an Drogen gestorben oder im Gefängnis gelandet. Die Schattenseiten gibt es leider auch.“ Mit 15 Jahren kam der Hip Hop. Er erfuhr zum ersten Mal echte Akzeptanz. Mit seiner Breakdance-Crew Dynamic Moves tourte er durch Europa, holte national und international viele Preise und wurde 2000 Deutscher Meister. „Alle waren stolz, ich repräsentierte Hausen nach außen hin.“ Besonnen fügt er hinzu: „Jeder Mensch ist auf der Suche nach Anerkennung, ich auch. Das Tanzen rettete mich aus dem Sog, diese Akzeptanz durch Schlägereien oder Diebstahl zu bekommen.“ Aber der Höhenflug hielt leider nicht für immer, und die Schule litt unter dem Erfolg.

„Mein Vater sagte zu mir: „Mein Sohn, ohne Ausbildung du hast keine Perspektive“. Ok, Perspektive hat er nicht gesagt. ‚Mein Sohn, ohne Ausbildung, nix gut!‘ Dann wurde ich Arzthelferin. Ich war der einzige Typ auf der Schule. Aber irgendwann habe ich mich integriert: Ich habe mir die Nägel angemalt, die Augenbrauen gezupft, und nach zwei Monaten habe ich meine Tage gekriegt.“ 2009 wurde Özcan Coşar dann durch die doppelte Staatsbürgerschaft offiziell Deutscher mit

Migrationshintergrund. Auf die Frage, ob er ein besseres Wort für dieses „Unwort“ auf Lager hat, lacht er sein entspanntes, lebensfrohes Lachen: „einfach Deutscher“. Zur Comedy kam er durch seinen Kumpel Jaus. Beide arbeiteten damals in der Marshall Bar in Stuttgart und brachten sich gegenseitig und andere Kollegen zum Lachen. Er erinnert sich schmunzelnd: „Ein Freund und Besitzer der Corso Bar druckte einfach Flyer und nahm uns ins Programm auf. Dann waren wir gezwungen uns was auszudenken!“ Seine

Ich frage ihn nach seinen Visionen. Sie sind bescheiden, alles was er sich wünscht, ist seine Tochter glücklich aufwachsen zu sehen. Nachdenklich resümiert er: „Heute bin ich Comedian, aber vielleicht schon morgen sagen die Leute: „Hey Alter, voll der Fisch.“ Das war auch mit Breakdance so. Irgendwann war‘s vorbei und ich war wieder auf der Sportschule und hab in einer Bar gearbeitet.“ Ein Traum wäre es schon, davon leben zu können, aber er will kein Superstar werden. Er schaut für einige Sekunden hinab auf den vom Gras durchwachsenen Asphalt, dann wieder grinsend hinüber zu den Parkplätzen voll Schotter: „Weißt du, alles ist vergänglich“. n

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Gesellschaft

BAKIŞ SORGT FÜR DIALOGE

Ein Beitrag von Knut Krohn

Wie viel „Charlie“ verträgt die Türkei?

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Moderation Sibylle Thelen und ihre Gäste Tuncay Akgün und Knut Krohn (von links)

er türkische Karikaturist Tuncay Akgün war im Mai 2015 zu Gast im Literaturhaus Stuttgart. Er erzählt von seiner Arbeit, den Beschränkungen, den Schwierigkeiten, dem Kampf gegen die Mächtigen in der Türkei und auch den kleinen Erfolgen. Besonders bedrückend sind seine Erinnerungen an den Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Er selbst ist Chefredakteur beim türkischen Satiremagazin Leman, die schon seit Jahren immer wieder enge Kooperationen mit den Kollegen von Charlie Hebdo hatten. Dabei wurden nicht nur Karikaturen ausgetauscht, immer wieder diskutierten die Zeichner über die eigene Arbeit – dass sie lebensgefährlich sein könnte, ahnte niemand. Deutlich wurde, dass Tuncay Akgün es noch immer nicht fassen kann, dass an jenem Tag in Paris seine Freunde kaltblütig ermordet wurden. Die Zukunft von Charlie Hebdo sieht er skeptisch. „Sie haben Charlie Hebdo ermordet“, sagt der Karikaturist. Dann fügt er aber leise hinzu: „Aber was sollen wir jetzt tun? Wir müssen weitermachen!“ Zu Gast war Tuncay Akgün auf Einladung des Deutsch-Türkischen Forums und des Literaturhauses Stuttgart. Im Zentrum

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des Abends stand die Frage: Wie viel Charlie verträgt die Türkei? Die Veranstaltung stand in der Reihe „BAKIŞ – Die Türkei im europäischen Dialog“. Anlass für den Abend war die Lage der Medien in der Türkei. Einerseits bieten sie ein breites Meinungsspektrum, auch Karikaturen haben eine lange Tradition und es wird inzwischen sogar auf Kurdisch publiziert. Und doch muss ein entschiedenes Andererseits hinzugefügt werden: in diesem Land der Widersprüche sitzen Journalisten im Gefängnis, werden Webseiten gesperrt, kann die Justiz auf ein Arsenal von Gesetzen zurückgreifen, mit denen sich die Pressefreiheit einschränken lässt. Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, die seit einiger Zeit eine Rangliste der Pressefreiheit publiziert, vergleicht die Situation in 180 Staaten. Sie weist darauf hin, dass sich die Medienfreiheit in Europa weiter verschlechtert habe, etwa in Ländern Südosteuropas. Auch die Türkei ist in der Liste abgesackt: auf Platz 154.

Feridun Zaimoğlus Abneigung gegen Ethno-Zombies Seit Jahrzehnten kommen Menschen aus der Türkei nach Deutschland, um hier zu arbeiten, eine Familie zu gründen und zu leben. Aus „Gastarbeitern” sind Wanderer zwischen den Kulturen geworden. Im Literaturhaus in Stuttgart diskutierten im Juni 2015 der Schriftsteller Feridun Zaimoğlu und der Soziologe Yaşar Aydın über Migration und die große Lüge, mit der Deutschland lange gelebt hat – oder heute noch lebt? Feridun Zaimoğlu ist kein glatter Mensch. Er hat Ecken und Kanten, Brüche in der Biografie, er hat sich nie in die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft vorgegebene Ordnung zwingen lassen. Aus seiner eigenen Sicht blickt der Schriftsteller auf die fast schon prototypische Lebensgeschichte eines türkischen Einwandererkindes zurück. Aber schon hier beginnt das Problem. „Wenn wir zurückblicken, beginnen wir zu lügen“, sagt Zaimoğlu. Dieser Satz ist wohlformuliert und der Schriftsteller lächelt erwartungsvoll vom Podium herab in den vollbesetzen Saal im Stuttgarter Literaturhaus. Er weiß, dass sich jeder im Publikum in diesen Sekunden auf die Suche nach den eigenen Lügen macht: wo er sich gegen den Anpassungsdruck der Gesellschaft durchgesetzt und wo er vielleicht

nachgegeben hat. Ob er eher ein „Wanderer zwischen den Kulturen“ geworden ist – so der Titel der Podiumsdiskussion – oder doch eher zur Spezies der „Ethno-Zombies“ gehört. Das ist die Bezeichnung, die Zaimoğlu für jene Migranten parat hat, die in ihrer Integrationswut die eigene Identität verlieren. „Wir müssen uns loslösen von der Normativität“, erklärt dazu Yaşar Aydın. „Man muss dem Individuum überlassen, aus welcher Kultur es schöpft.“ Er war der ideale, wissenschaftliche Gegenpart des eher erzählerisch mäandernden Schriftstellers. Der präzise formulierende Soziologe lehrt an der Universität Hamburg unter anderem zum Thema Zuwanderungspolitik. Auf den ersten Blick gleichen sich die Geschichten Zaimoğlus und Aydıns. Beide sind als Kinder mit ihren türkischen Eltern nach Deutschland gekommen und haben in der neuen Heimat Karriere gemacht. Und doch sind diese Männer ein fast

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Gesellschaft

Gesellschaft

„DIE SCHÖNE HEIMAT MEINER ELTERN, ABER NICHT MEINE HEIMAT“

Ein Bericht von Rıdvan Çavuş

perfektes Beispiel für das, was Zaimoğlu als „Einwanderungslüge“ bezeichnet. Sie sind nicht über einen Kamm zu scheren. Im Gegenteil, sie haben völlig verschiedene Charaktere, eine unterschiedliche Sozialisation und unterschiedliche Herangehensweisen an die Fragen, die sich ihnen stellen. Dennoch – oder gerade deshalb – kommen beide zum gemeinsamen Schluss: Die Entwicklung der Migration verlaufe nicht nach einem Einheitsschema, sei nicht linear – auch wenn die Mehrheitsgesellschaft das gerne so hätte. So ist der achte Themenabend in der Reihe „Bakis – Die Türkei im europäischen Dialog“ ein Plädoyer gegen den „formatierten“ Menschen, der im Sinne der Integration in eine vorgegebene Ordnung gezwungen werden muss. Auch die Wissenschaft habe in der Vergangenheit mit ihren Forschungen falsch gelegen, unterstreicht Aydın. „Lange wurde angenommen, man muss die eigene Kultur ablegen, wenn man sich integrieren will“, sagt

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er. „Heute aber ist klar, dass man sich nicht mehr entscheiden muss, woraus man seine eigene Identität zusammensetzt.“ Der Soziologe gibt zu bedenken, dass jeder Mensch sowieso viele Identitäten in sich trage. Er selbst habe die Rolle des Vaters, des Hamburgers, des Deutschen und auch des Europäers. Diese sehr differenzierte Sicht auf die Dinge macht es für Yaşar Aydın allerdings schwer zu definieren, wo seine eigene Heimat liegt. Das sei für ihn der Ort, wo er sich wohl fühle, die deutsche Sprache oder seine Freunde, erklärte der Soziologe. Zaimoğlu beantwortet die Frage nach Heimat mit einem Wort: Norddeutschland. Er gibt zu, dass er mit solch einer kurzen Antwort in den Verdacht gerate, es sich zu einfach zu machen. Das sei aber nicht der Grund, die Erklärung sei eine ganz andere. Und dann formulierte Zaimoğlu, dem laut eigenem Bekunden viele sein Deutschsein nicht zugestehen, einen dieser ironischen Sätze: „Deutsch sein ist eben gut. Das Gegenteil ist mir noch nicht bewiesen worden.“ n

S Knut Krohn arbeitet als Redakteur im Politik-Ressort der Stuttgarter Zeitung. Zuvor schrieb er als Korrespondent aus Polen, Italien und Russland. Er hat in Tübingen, Florenz und Moskau Deutsch, Politik und Sport studiert. Auch in seinen Blog kkrohnblog.wordpress.com sind regelmäßig Berichte von ihm zu lesen. Die Reihe „BAKIŞ – Die Türkei im europäischen Dialog“ des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart wird am 16. Oktober 2015 im Stuttgarter Literaturhaus mit einem Abend zum Thema „Die neue Diasporapolitik der Türkei und ihre Bürger in Deutschland“ fortgesetzt.

eit Jahrzehnten kommen Menschen aus der Türkei nach Deutschland, um zu arbeiten, eine Familie zu gründen, kurzum: um hier zu leben. Es gibt allerdings auch einen anderen Trend. Aus “Gastarbeitern” sind Wanderer zwischen den Kulturen geworden. Wir waren vor Ort, als der Autor Feridun Zaimoğlu und der Soziologe Yaşar Aydın im Literaturhaus Stuttgart über Migration und Ethnozombies sprachen. Der Abend wurde vom DeutschTürkischen Forum Stuttgart veranstaltet. „Stell dir vor, du kannst deutsch und trotzdem Türke sein“, rappte der Stuttgarter Max Herre schon 1999 in dem Lied „Nebelschwadenbilder“. Diese Vorstellung ist inzwischen Realität geworden. Das sagt zumindest der Soziologe Yaşar Aydın: „Durch Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter haben Migranten einen anderen Kommunikationsradius als früher. Sie müssen sich nicht mehr auf eine Kultur und Sprache begrenzen.“ Feridun Zaimoğlu mag zwar kein glatter Mensch sein, doch nie hat er sich in die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft vorgegebene Ordnung zwingen

lassen. Der Schriftsteller blickt auf die fast schon prototypische Lebensgeschichte eines türkischen Einwandererkindes zurück. Aber schon hier beginnt das Problem. „Wenn wir zurückblicken, beginnen wir zu lügen“, sagt Zaimoğlu. Er weiß, dass sich jeder im Publikum in diesen Sekunden auf die Suche nach den eigenen Lügen macht, wo er sich gegen den Anpassungsdruck der Gesellschaft durchgesetzt und wo er vielleicht nachgegeben hat. Ob er eher ein „Wanderer zwischen den Kulturen“ geworden ist – so der Titel der Podiumsdiskussion – oder doch eher zur Spezies der „Ethno-Zombies“ gehört. Das ist die Bezeichnung, die Zaimoğlu für jene Migranten parat hat, die in ihrer Integrationswut die eigene Identität verlieren. Den wissenschaftlichen Gegenpart zu Zaimoğlu bildet Yaşar Aydın. „Wir müssen uns loslösen von der Norm, man muss dem Individuum überlassen, aus welcher Kultur es schöpft“, erklärt Aydın. Der präzise formulierende Soziologe lehrt an der Universität Hamburg zu Themen wie Zuwanderungspolitik. Auf den ersten Blick gleichen die Geschichten beider einander, beide sind als Kinder mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland gekommen und haben in ihrer

neuen Heimat Norddeutschland Karriere gemacht. Doch sind beide ein sehr gutes Beispiel für die „Einwanderungslüge“. Sie haben völlig verschiedene Charaktere und unterschiedliche Sozialisationen. Dennoch – oder gerade deshalb – kommen beide zum gemeinsamen Schluss: Die Entwicklung der Migration verlaufe nicht nach einem Einheitsschema, sei nicht linear – auch wenn die Mehrheitsgesellschaft das gerne so hätte. Auch die Wissenschaft habe in der Vergangenheit mit ihren Forschungen falsch gelegen, unterstreicht Aydın. „Lange wurde angenommen, man muss die eigene Kultur ablegen, wenn man sich integrieren will“, sagt er. „Heute aber ist klar, dass man sich nicht mehr entscheiden muss, woraus man seine eigene Identität zusammensetzt.“ Der Soziologe gibt zu bedenken, dass jeder Mensch sowieso viele Identitäten in sich trage. Er selbst habe die Rolle des Vaters, des Stuttgarters, des Deutschen und auch des Europäers. „Die Identität besteht aus zahlreichen Ebenen“, fügt er hinzu. Diese sehr differenzierte Sicht auf Identitäten macht es für Aydın allerdings schwer, zu definie-

ren, wo seine Heimat liegt. Das sei für ihn der Ort, an dem er sich wohl fühle, die deutsche Sprache oder seine Freunde, erklärte der Soziologe. Zaimoğlu beantwortet die Frage nach Heimat mit einem Wort: „Norddeutschland!“ Nach der Massen-Arbeitermigration der 1970er Jahre sei es lange Zeit Ziel der deutschen Migrationspolitik gewesen, Migranten „rückkehrfähig“ zu halten, sagt Aydın. So wurden türkische Kinder beispielsweise in separate Schulklassen gesteckt. Heute werde der sogenannte Herkunftslandbezug als Problem angesehen. Dabei sollte man sich von solchen Entweder-oder-Fragen lösen und die Entscheidung dem jedem Einzelnen überlassen, sagt Aydın: „Man kann nicht sagen: Integration ist gut, Assimilation und hybride Identitäten noch besser. Jedes Individuum muss für sich selbst entscheiden, welchen Weg es einschlägt.“ Um sich in einem neuen Land einzufinden, müsse man die kulturellen Muster der Eltern nicht verlernen. Das sieht auch Zaimoğlu so: „Die Überwindung der Fremdheit als Ziel der Integration ist doch immer langweilig gewesen.“ Aydın nennt sich einen „Deutschen mit Wurzeln und Kontakten in die Türkei“, er hat die türkische Staatsbürgerschaft zugunsten der deutschen aufgege-

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Gesellschaft

„ICH SEHE IN DER TÜRKISCHEN GESELLSCHAFT SO VIELE SCHÖNE FACETTEN.“ ben, schöpft aber aus beiden Kulturen. Zaimoğlu geht noch einen Schritt weiter: „Die Türkei ist die schöne Heimat meiner Eltern, aber sie ist nicht meine Heimat.“ Die Wahrnehmung seiner Mitmenschen weiche davon häufig ab, so der Schriftsteller. „Ich sehe mich jeden Morgen im Spiegel. Ich weiß, dass 98 Prozent der Menschen da draußen denken: Deutsch? Du doch nicht“, sagt Zaimoğlu. „Aber es geht ja nicht um die anderen. Es geht um mein Selbstverständnis.“ wirbiz Herr Zaimoğlu und Herr Aydın, wo befindet sich die Türkei im europäischen Dialog? Yaşar Aydın Durch die Gezi-Proteste haben wir gesehen, dass es in der Türkei Menschen gibt, die für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte auf die Straße gehen und sich auch nicht scheuen, die Staatsgewalt zu provozieren. Das sind europäische Werte – die Gezi-Proteste haben das europäische Gesicht der Türkei gezeigt. Doch die Türkei hat auch ein anderes Gesicht – ein islamisches Gesicht, was man auch nicht wegdiskutieren kann. Die Türkei ist ein Land zwischen Europa und dem Islam. Man kann sich die Türkei ohne den Islam gar nicht vorstellen. Aber man kann sich die moderne Türkei auch nicht ohne Europa vorstellen.

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Feridun Zaimoğlu Es wird immer von der Türkei gesprochen, aber leider nicht von der türkischen Gesellschaft. In den Bildern, die die deutschen Medien von der Türkei zeigen, begegne ich dem Homogenisierungszwang und ich begegne einer Schwarzweißmalerei, die man den Türken vorwirft. Nur, man darf Folgendes nicht verkennen: Die Gewaltkultur der türkischen Gesellschaft. Im Grunde sehe ich in der türkischen Gesellschaft so viele schöne Facetten, so viele mutige, so viele kluge und widerständige Menschen. Mich kotzt es einfach an, dass man die Türkei so unterschätzt. Ich habe noch einen Kinderglauben und meine Großmutter sagte mir immer, Gott habe sie selig: „Zalimin zulmü varsa, sevenin Allah‘ı var.“ (Anmerkung des Autors: Wenn der Grausame die Quälerei hat, hat der Liebende Gott.) wirbiz Was verbindet die Türkei und Deutschland? Feridun Zaimoğlu Wir riechen anders. Wir gucken anders. Wir essen anders, wir Schwarzköpfe. Ich kann noch so oft sagen, dass ich deutsch bin, da grölen doch alle.

wirbiz Wie haben Sie das Gastarbeiteranwerbeabkommen miterlebt? Yaşar Aydın Also ich habe das überhaupt nicht miterlebt. Ich bin mit vier Jahren nach Deutschland „mitgebracht worden“. Ich habe nicht die Prozesse, die ein Migrant macht, erlebt. Ich war noch zu jung, nur irgendwann habe ich bemerkt, dass ich etwas anders bin als die anderen, dass wir eine andere Herkunft und Sprache haben. Ich habe nie eine Entwurzelung erlebt. Ein Beispiel: Als in den 70ern Deutschland gegen die Türkei gespielt hat, hat uns unser Lehrer getröstet und gesagt: „Ja, eure Mannschaft hat eigentlich besser gespielt, aber leider fehlte euch das Glück.“ Er hat immer von eurer Mannschaft gesprochen, anstatt zu sagen, dass auch die deutsche Mannschaft eure Mannschaft ist. Kein Lehrer kam je auf die Idee, so etwas zu sagen.

Auf dem Podium: Moderatorin Sibylle Thelen, Feridun Zaimoğlu und Yaşar Aydın (von links)

Feridun Zaimoğlu Kinderkumpel Bernhard fragt mich: „Was gibt es bei euch zu essen?“ „Bauch aufgerissen“, antworte ich ihm. „Hä, wie?“, erwidert Bernhard. Ich sage ihm: „Jo Alter, weißt du, Auberginen mit Hackfleisch gefüllt und dazu Reis mit Rosinen.“ „Iih, Rosinen…!“, ekelte sich Bernhard. Ja, dieses Iih mochte ich sehr. Ich hasse Harmonie. Für mich sind gekochte Rosinen gegarte

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Gesundheit

DER KULTÜRÖFFNER BERATER UND BRÜCKENBAUER

Ein Bericht von Nesrin Doğhan

„WAS GIBT ES BEI EUCH ZU ESSEN?“ „BAUCH AUFGERISSEN“ Muttermale. Ich halte die erste Arbeitergeneration, ich bin Sand unter ihren Füßen, für mich ist es die goldene Generation. Damals hießen die Gegenden, in denen sie wohnten Gastarbeiterwohnheimelager. Also vom Konzentrationslager zum Gastarbeiterlager. Diese Arschlöcher, die heute mit Deutschkenntnissen kommen, denen will ich was sagen: Damals hatte meine Mutter Börek gemacht und bei uns sagt man: „Jeder Bissen, den du verzehrst, führt zum Teufel, wenn dein Nachbar hungert.“ Deshalb ist mein Vater immer raus und hat Hungernde gefüttert frei nach dem Motto „Deutschland, hast du Hunger?“ Sie sind ins Nachbarhaus und sagten, hier, das ist für Sie. Man hat ihnen eiskalt die Tür zugeknallt. Und dann beschwerten sich die Leute bei der Heimleitung. Fortan war jeglicher Kontakt zu Deutschen untersagt. Das war eine Generation von großartigen Menschen. Für mich sind das Helden. Für jeden Ossi baut man nach der Wende ein Denkmal, aber für die goldene Generation, auf sie lasse ich echt nichts kommen, gibt es nichts. Ihre Geschichte muss noch geschrieben werden – die goldene Generation. Die erste Generation: Gold, die dritte: Scheiße, die haben nichts gelernt.

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wirbiz Wir sind heute in der dritten oder vierten Generation, viele denken über eine Rückkehr nach. Was denken Sie, wo hat Deutschland bei den Jugendlichen versagt und die Türkei sie bereichert? Yaşar Aydın Ich würde das nicht als Versagen bezeichnen, wir leben in einem Zeitalter der Mobilität. Aufgrund der Verflechtungen zwischen Deutschland und der Türkei ist es völlig normal, dass Leute ihr Glück in der Türkei suchen. Das sind ja nicht nur türkischstämmige. Ich finde auch, wir sollten abrücken von diesem Wort „Rückkehr“, das ist keine

Rückkehr mehr. Das hat mit einer zirkulären Bewegung zu tun. Es gibt ja auch Türkischstämmige, die woanders hingehen, das ist eine Strategie. Ich habe auch für meine Studie nur Leute interviewt, die hier eine Arbeit ausüben und gut integriert sind, jetzt nutze ich selber das Wort Integration. Warum wandern diese Menschen aus? Wenn ich jetzt zum Beispiel nach Istanbul auswandern würde, dann wäre das keine Rückkehr, denn meine Eltern kommen aus der Schwarzmeerregion. Feridun Zaimoğlu Noch einmal: Ein Blick auf die Türkei, um zu verkennen, was das für eine dynamische Machenschaft ist, das können nur Idioten. Also, sprich 90 Prozent der Türkeiexperten in Deutschland. Entweder sind es Welt-Reporter, Süddeutsche-Reporter, FAZ-Reporter oder Spiegel-Reporter, die sowieso keine Ahnung von Tuten und Blasen haben. Die gehen dahin, laufen einmal die Istiklal Caddesi hoch und runter und wollen nur die üblichen Bilder und verkennen, was das für eine hochdynamische Gesellschaft ist, die sich entwickelt. Jeden Tag! Sehr dynamisch! Sehr lebhaft. wirbiz Vielen Dank für das Gespräch. n

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ine der Teilnehmerinnen sagte nach dem alters- und kultursensiblen Handyund PC-Kurs, der im Rahmen des KulTürÖffner-Projektes in türkischer Sprache für Seniorinnen veranstaltet wurde, „Ich fühle mich, als könnte ich im Ozean schwimmen“. Integrative Beschäftigungsund Freizeitaktivitäten dieser Art werden seit dem Frühjahr 2015 angeboten, wodurch das Engagementpotential und das Gesundheitsbewusstsein von türkeistämmigen Senioren gestärkt werden sollen. Der größte Teil der Veranstaltungen findet im treffpunkt 50 plus statt, um den älteren Migrantinnen sukzessive die Scheu vor bereits bestehenden Einrichtungen der Altenhilfe zu nehmen. Denn nur durch die Erkennung und Stärkung der eigenen Ressourcen und Fähigkeiten können die Seniorinnen aktiv an der Stuttgarter Stadtgesellschaft partizipieren und sich auch für diese engagieren. Um die Voraussetzungen für eine gelingende Teilhabe zu schaffen, wurden die Bedürfnisse von türkeistämmigen Seniorinnen hinsichtlich der sozialen und gesundheitlichen Versorgung durch qualitative Interviews im Rahmen einer Masterarbeit abgefragt.

Zertifikatsübergabe an die Teilnehmer des PC-Kurses

Diese Ergebnisse sowie weitere Erkenntnisse und Erfahrungen fließen in den zweiten Bereich des KulTürÖffner-Projektes ein. Die Zielsetzung hierbei ist die prozessbegleitende Beratung von Regeldiensten im Gesundheits- und Sozialsektor bei der interkulturellen Öffnung. Es gibt bereits zukunftsweisende Ansätze, die weiterhin konsequent verfolgt und kultur- und religionsspezifisch an die besonderen Anforderungen der Seniorinnen mit Migrationshintergrund an-

gepasst werden müssen. Der KulTürÖffner wirkt dabei neben der Beratungsfunktion auch als erfolgreicher Brückenbauer zwischen den einzelnen Einrichtungen und der türkeistämmigen Bevölkerungsgruppe. Die einjährige Modellphase des Projekts KulTürÖffner wurde von der Robert Bosch Stiftung gefördert und endet im Herbst 2015. Das Deutsch-Türkische Forum Stuttgart bemüht sich um eine Anschlussfinanzierung, um auf den Erkenntnissen aufbauend neue Maßnahmen zu entwickeln. n

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Bildung

BILDUNGS-POTENZIALE DER EINWANDERUNGSGESELLSCHAFT

Ein Bericht von Maria Tramountani

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ie funktioniert Bildung in der Migrationsgesellschaft? Welche Herausforderungen gilt es gemeinsam zu lösen? Wie kann die Kooperation unterschiedlichster Akteure optimal gefördert werden? Diese Fragen begleiteten die Teilnehmer der Fachtagung zum fünfjährigen Bestehen des Stipendien- und Mentorenprogramms Ağabey-Abla am 26. Februar 2015 im Hospitalhof Stuttgart. Namhafte Referenten aus der akademischen Welt gaben, ergänzt durch Politik und Stiftungswesen interessante Impulse zum Thema „Potenziale der Einwanderungsgesellschaft für das Bildungssystem“. Nach einer kurzen Einleitung des Moderators Dr. Martin Kilgus gab Dr. Mehmet Varlık, der Vorsitzende des Kuratoriums des Deutsch-Türkischen Forums, einen Überblick über die Erfolge und Fortschritte des Ağabey-Abla-Programms, bevor er das Wort an Dr. Olaf Hahn weitergab, Bereichsleiter des Programmbereichs „Gesellschaft und Kultur“ der Robert Bosch Stiftung, dem Hauptförderer des Programms und der Fachtagung. Nach einem weiteren Grußwort von Dr. Jörg Schmidt, Ministerialdirektor des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport

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Fachtagung zum fünfjährigen Bestehen des Ağabey-Abla Programms

Das Stipendien- und Mentorenprogramm Ağabey-Abla (türkisch: großer Bruder – große Schwester) wurde 2009 mit der Unterstützung der Robert Bosch Stiftung gegründet. Über 200 türkeistämmige Studierende und Gymnasiasten engagierten sich seit Beginn des Programms für über 200 türkeistämmige Schüler. Ağabey-Abla fördert diese jungen Menschen auf ihrem Bildungsweg und setzt sich so für mehr Chancengleichheit in der Gesellschaft ein.

Baden-Württemberg, in dem er auf die Zusammenhänge zwischen Bildung und Migration einging, gab Professor Dr. Mechtild Gomolla den ersten wissenschaftlichen Impuls zum Thema Bildung und Migration in Deutschland. Professorin Gomolla, die derzeit an der Helmut Schmidt Universität in Hamburg lehrt, stellte ihre renommierte Forschung zum Thema institutionelle Diskriminierung in Schulen vor und legte somit den Fokus auf Strukturen, die gezielt verändert werden müssten, um das Lernen aller Kinder optimal zu fördern und bestehenden Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem entgegenzuwirken. Professor Dr. Sandra Kostner von der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd be-

richtete im Anschluss über Bildungsaufstiege von Migranten in der Einwanderungsgesellschaft und verglich dabei Erfolgsfaktoren und Bewertungskriterien in ihren Forschungsgebieten Deutschland und Australien. Eine Podiumsdiskussion mit den Referentinnen, Gari Pavković, dem Integrationsbeauftragten der Landeshauptstadt Stuttgart und Derya Erkılıç, Lehramtstudentin und Mentorin des Ağabey-AblaProgramms, schloss die erste Hälfte der Fachtagung ab und gab viel Gesprächsstoff für die Kaffeepause. Professor Dr. Artemis Alexiadou legte zu Beginn der zweiten Hälfte der Tagung den Fokus auf Bikulturalität und Mehrsprachigkeit. Als Leiterin des Instituts für Linguistik der Universität Stuttgart berichtete, die Professorin aus ihrer Forschung und beleuchtete dabei die Schwierigkeiten und Vorteile, die Mehrsprachigkeit mit sich bringt. Herkunftssprachen

der Schülerinnen und Schüler sollten im Schulalltag verankert werden, betonte sie und schlug damit den Bogen zur letzten Referentin der Tagung. Renate Schlüter, die Schulleiterin der Elise von König-Gemeinschaftsschule Stuttgart gab einen Einblick in die Praxis des Schulalltags. Ihr Vortrag umriss das Konzept der individuellen Förderung, das an ihrer Schule und in der Gesellschaft für mehr Chancengleichheit sorgen soll. Vielfältige Lehrmethoden kön-

nen viele verschiedene Kinder ansprechen und dadurch Bildungsbenachteiligungen ausgleichen, erklärte Frau Schlüter und betonte damit auch einen wichtigen Bestandteil des Ağabey-Abla-Programms. Bei der abschließenden Podiumsdiskussion nutzten die Teilnehmer nochmals die Gelegenheit, weitere Fragen an die Referentinnen zu stellen und verschiedene Aspekte der Vorträge zu vertiefen. Gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Deutsch-Türkischen Forums Kerim Arpad, Eva Maria Malzon vom Ministerium für Kultus,

Jugend und Sport Baden-Württemberg und Tuğba Karaca, International Business-Studentin und Mentorin des AğabeyAbla-Programms, diskutierten Referentinnen und Publikum zum Thema Mehrsprachigkeit und individuelle Förderung von mehrsprachigen Kindern. Der anschließende Empfang im Salon des Hospitalhofs diente den Teilnehmern und Referenten als ein entspannter Ausklang des Tages und eröffnete nochmals die Möglichkeit zum Austausch und zum besseren Kennenlernen. n

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Politik

VON DER HAUPTSCHULE IN DEN BUNDESTAG ORTAOKUL ÖĞRENCİLİĞİNDEN ALMAN PARLAMENTOSU'NA Cem Özdemir im Gespräch mit Sinan Sevinç und Lukas Walter, HdM

Sinan Sevinç / Lukas Walter Was hätten Ihnen Ihre Lehrer entgegnet, wenn Sie gesagt hätten: „Ich werde mal Bundestagsabgeordneter“? Cem Özdemir Kommt darauf an, welchen ich es gesagt hätte. Die früheren Lehrer hätten mich für verrückt gehalten, die späteren zumindest für sehr ambitioniert. Ich erinnere mich an eine Situation in der vierten Klasse, als der Lehrer in das Klassenzimmer kam und fragte, auf welche Schule man am liebsten gehen möchte. Ich habe mich für das Gymnasium gemeldet. Ich saß in der letzten Reihe, wo die zwei „Kanakenkinder“ saßen – José, der Portugiesenjunge und Cem, der Türkenjunge, wie wir genannt wurden. Als dem Lehrer und der Klasse auffiel, dass ich streckte, brachen sie in großes Gelächter aus. Es gibt Momente, die vergisst man seinen Lebtag nicht. Dieses Lachen gehört dazu. Sinan Sevinç / Lukas Walter Wie hat es sich angefühlt, so einen Stempel zu bekommen? Cem Özdemir Ich hab’ das damals nicht bewusst reflektiert. Ich habe es nur immer dann gemerkt, wenn ich nach Hause kam. Meine Eltern wollten, dass ich nicht nur mit

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Migrantenkindern, sondern auch mit deutschen Kindern zu tun habe und deshalb sind wir innerhalb von Bad Urach in eine Straße umgezogen, damit ich ein eigenes Zimmer bekomme und mehr deutsche Freunde. Die deutschen Kinder hatten Eltern, die ihnen bei den Hausaufgaben helfen konnten, da war entweder die Mutter oder die Großmutter am Nachmittag zu Hause. Sinan Sevinç / Lukas Walter Welche Person hat Sie in Ihren Leben am meisten geprägt? Cem Özdemir Meine Mutter hat mich sicherlich auf eine gewisse Weise geprägt. Mein Vater natürlich auch. Ich hab’ gesehen, wie hart sie gearbeitet haben – meine Mutter in der Papierfabrik, bis sie sich später nach langer Krankheit und Arbeitslosigkeit selbstständig gemacht hat. Sie hatte oft die Arme blutig geschnitten, weil sie schwere und große Papierstapel manuell sortieren musste. Obwohl sie eine zierliche Frau ist, hatte sie starke Oberarme mit denen sie, gegen mich und meinen Vater beim Armdrücken immer gewonnen hat (lacht). Mein Vater hat sich als Fast-Analphabet durchgeschlagen und sich das Lesen selbst beigebracht. Dass meine Eltern mich nicht so sehr in der Schule unterstützen konnten, liegt da ein bisschen in der Natur der Sache. Da beide eine jeweils

Sinan Sevinç / Lukas Walter Bir gün, „Almanya Federal Parlamento milletvekili olacağım“ deseydiniz öğretmenlerinizin tepkisi ne olurdu? Cem Özdemir Bunu, hangi öğretenime söylediğime bağlı. Önceki öğretmenlerim çıldırmış olduğumu, sonrakiler de, en azından hırslı olduğumu düşünürlerdi. Dördüncü sınıftayken bir gün öğretmenimizin sınıfa girip hangi okula gitmek istediğimizi sorduğunu hatırlıyorum. Ben, Gymnasium (lise) denildiğinde parmak kaldırdım. İki „Kanake“ çocuğunun (yabancılara takılan bir lakab) oturduğu son sırada oturuyordum – Portekizli çocuk José ile Türk çocuğu Cem diye hitap ediliyorduk. Parmak kaldırdığımı farkeden öğretmen ve tüm sınıf kahkahalara boğuldu. İnsanın hayatı boyunca unutamayacağı anlar vardır. Bu kahkahalar bunlardan biri. Sinan Sevinç / Lukas Walter Bu şekilde damgalanmak sizde ne gibi hisler uyandırdı? Cem Özdemir O zamanlar bunu bilinçli olarak sorgulamamıştım. Bunu, her eve gelişimde farkediyordum. Ailem, sadece yabancı çocuklarla değil Almanlar'la da arkadaşlık etmemi istiyorlardı. Sırf bu yüzden Bad Urach içerisinde, kendi

odama dolayısıyla daha fazla Alman arkadaşa sahip olabilmem için başka bir sokağa taşındık. Alman çocularının, onlara ödevlerinde yardımcı olabilecek aileri vardı, öğleden sonraları ya anneleri ya da büyükanneleri evde olduğundan.

Cem Özdemir, Politiker und Sozialpädagoge, ist Vorsitzender der Grünen und war 1994 der erste Bundestagsabgeordnete mit Migrationshintergrund. Seine Lieblingsthemen sind Außenund Bildungspolitik. Er ist Kuratoriumsmitglied beim Deutsch-Türkischen Forum Stuttgart. Aufgewachsen in Bad Urach, wohnt er nun mit seiner Familie in Berlin-Kreuzberg.

Sinan Sevinç / Lukas Walter Hayatınızda en çok kimden etkilendiniz? Cem Özdemir Annemin muhakkak üzerimde belli bir etkisi olmuştur. Tabii ki babamın da. Ne kadar zor şartlarda çalıştıklarını gördüm – annem, uzun süren bir rahatsızlık ve işsizlik döneminden sonra serbest meslek sahibi olana kadar kağıt fabrikasında çalıştı. Ağır ve büyük kağıt yığınlarını manuel olarak sıralamak durumunda kaldığından kolları sürekli kanlı kesikler içindeydi. Minyon bir yapıya sahip olmasına rağmen beni ve babamı bilek güreşinde sürekli yenecek kadar güçlü kollara sahipti (gülüyor). Babamsa nerdeyse hemem hiç okuma yazma bilmemesine rağmen oumayı kendi kendine öğrenmeyi başardı. Ailemin beni okulda pek destekleyemeyişleri gayet doğal. İkisi de oldukça sıradışı biyografilere sahipler – erken yaşta yarı öksüz kalan, çerkez olarak bir sünni köyünde yaşayan, komşu köyden alevi bir yaşıtıyla arkadaşlık eden babam ve ninesi Yunan olan annem, milliyetçılığe ve funda-

Cem Özdemir setzt sich für ein faires Bildungssystem ein. Cem Özdemir adil bir eğitim sistemini savunuyur.

ungewöhnliche Biografie haben - mein Vater, der früh Halbwaise wurde und als Tscherkesse in einem sunnitischen Dorf mit einem gleichaltrigen Aleviten im Nachbardorf eng befreundet war, und meine Mutter, deren Großmutter Griechin war, haben mich gegen Nationalismus und Fundamentalismus für ein ganzes Lebens immunisiert. Sinan Sevinç / Lukas Walter Sie haben mal erwähnt, dass Sie die deutschen Kinder beneidet

haben, weil dort immer ein Elternteil zu Hause war. Haben Sie Sorge, dass es Ihren Kindern mit einem vielbeschäftigten Politikervater auch so geht? Cem Özdemir Ich meinte gar nicht so sehr, dass Mutter oder Vater stets da waren, sondern vielmehr, dass die Eltern ihren Kindern helfen konnten. Dass es jemanden

mentalizme karşı bir ömür boyu bağışıklık kazanmamı sağladılar. Sinan Sevinç / Lukas Walter Alaman çocuklarına, evde sürekli aileden birinin bulunmasından dolayı özendiğinizden bahsetmiştiniz. Çok yoğun politikacı bir babaya sahip olan çocuklarınız için de aynı şeyin geçerli olabileceğini düşünüyor musunuz?

Siyasetçi ve sosyal pedagog olan Cem Özdemir, Yeşiller Partisinin Başkanı'dır ve 1994 yılında yabancı kökenli ilk Federa Almanya Parlamento milletvekiliydi. En sevdığı konular dış ve eğitim politikaları. Stuttgart Türk-Alman Forumu'un mütevelli heyeti üyesidir. Bad Urach'da büyüyen Özdemir, şimdi ailesiyle birlikte Berlin-Kreuzberg'de yaşamaktadır.

Cem Özdemir Aslında kastettiğim anne ya da babalarının sürekli yanlarında olmalarından ziyade, daha çok ailelerinin çocuklarına yardım edebilecek durumda olmalarıydı. Ödevlerinde yardım için danışabilecek birilerinin bulunması – benim böyle bir imkanım yoktu. Ailem, ödevlerimde nasıl yardımcı olabilsinlerdi ki? Bu yüzden, sonraları beni evlerine davet eden arka-

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Politik

„WAS BERICHTET WIRD, HAT AUSWIRKUNGEN AUF MEIN LEBEN.“

gab, den man nach Hilfe bei den Hausaufgaben fragen konnte – diese Möglichkeit hatte ich nicht. Wie hätten meine Eltern mir mit den Hausaufgaben helfen sollen? Deshalb bin ich sehr dankbar, dass ich später Freunde hatte, die mich immer mal wieder nach Hause mitgenommen haben. Die Mutter hat auch über meine Hausaufgaben geschaut und die Großmutter nahm mich mit zum täglichen Wandern. So produziert man "anatolische Schwaben". In Berlin profitieren meine Frau und ich davon, dass es sehr gute Einrichtungen für Kinder gibt. Das geht auch nicht anders bei zwei berufstätigen Eltern. Es geht den Eltern dabei nicht nur ums „Verwahren“ der Kinder, sondern auch darum, dass sie dort in guten Händen sind. Sinan Sevinç / Lukas Walter Sie sind bereits mit 15 Jahren den Grünen beigetreten. Wie kam es dazu? Cem Özdemir Der ein oder andere Lehrer in der Realschule hat eine wichtige Rolle für mein politisches Engagement gespielt. Ich hatte eine tolle Gemeinschaftskunde - und Geschichtslehrerin, die gemerkt hatte, dass bei uns keine Zeitung gelesen wird, aber ein Fernseher

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da ist, der die ganze Zeit läuft. Also hat sie mir die Aufgabe gegeben, zwei Wochen lang die Nachrichten zu schauen, auszuwerten und das Ergebnis der Klasse vorzutragen. Da hab’ ich auf einmal gemerkt, dass das richtig spannend ist. Das, was da berichtet wird, hat Auswirkungen auf mein Leben, und darauf wollte ich schließlich auch selbst Einfluss nehmen. Sinan Sevinç / Lukas Walter Sie waren der erste Bundestagsabgeordnete mit Migrationshintergrund und sind seit 2008 Vorsitzender Ihrer Partei. Hat man als Politiker mit anderem kulturellen Hintergrund einen besonderen Blick für spezielle Themen? Cem Özdemir Dem Thema Bildung – und damit auch Fragen der Gerechtigkeit – werde ich mein Leben lang verbunden bleiben: Weil ich selbst in meiner Kindheit gesehen habe, dass unser Bildungssystem oft nicht fair war und dass zu viele Kinder auf der Strecke geblieben sind. Es muss uns doch wütend machen, wenn die Talente eines Kindes nicht gefördert werden und es sein Potenzial nicht ausschöp-

„EĞİTİM KONUSUNA HATAYIM BOYUNCA BAĞLI KALACAĞIM.“ daşlarımın bulunmasına minnettarım. Anneleri ödevlerimi kontrol eder, büyükanne günlük yürüyüşlere beni de götürürdü. Böylece „Anadolu'lu Swabianlar“ („anatolische Schwaben“) meydana grliyor. Eşim ve ben, Berlin'de çocuklar için oldukça iyi kurumların bulunmasından faydalanıyoruz. Zaten iki çalışan ebeveyn ile başka türlüsü de mümkün değil. Ebeveynler için önemli olan çocukların sadece „bakımları“ değil, orada emin ellerde olmalarıdır. Sinan Sevinç / Lukas Walter Daha 15 yaşındayken Yeşillere üye oldunuz. Bu nasıl gerçekleşti? Cem Özdemir Ortaokuldayken bazı öğretmenlerimin, siyasi sorumluluklar almam konusunda önemli bir rolü olmuştur. Bizde gazete okunmadığını ama sürekli açık olan bir televizyonun bulunduğunu farkeden çok iyi bir vatandaşlık ve tarih dersi öğretmenim vardı. Böylece bana ödev olarak, 2 hafta boyunca haberleri izleyip, değerlendirmemi ve sınıfın karşısında sonuçları sunma görevini verdi. O zamanlarda bunun çok heyecan verici olduğunu keşfettim. Orada bildirilenlerin, benim hayatım üzerinde etkisi vardı ve ben de tüm bu olanların üzerinde bir etkim olsun istedim.

Sinan Sevinç / Lukas Walter Siz, yabancı kökenli ilk Federal Almanya Parlamento üyesisiniz ve 2008'den bu yana siyasi partinizin başkanısınız. Sizce farklı kültürel kökene sahip bir politikacı, belirli konulara daha farklı bir bakışaçısıyla yaklaşabilir mi?

fen darf, weil entweder Eltern, Schule oder Gesellschaft dies dem Kind aus welchen Gründen auch immer vorenthalten… Da geht nicht nur dem Kind etwas verloren. Auch die Gesellschaft verliert viel Potenzial und viele kluge Köpfe.

Cem Özdemir Eğitim ve bununla birlikte adalet sorunlarına hatayım boyunca bağlı kalacağım: çünkü çocukluğumda, eğitim sistemimizin çoğunlukla adil olmadığını ve bu yüzdn birçok çocuğun başarısız olduğunu gördüm. Ebeveynlerin veya okulun ya da toplumun, her ne sebepten olursa olsun bir çocuğu bundan yoksun bırakması, çocukların yeteneklerinin destleklenmeyişi ve potansiyelinin sonuna kadar kullanamamasının engellenmesi bizi kızdırmalı… Burada bir şeyler kaybeden sadece çocuk değildir. Toplum da bir çok potansiyeli ve dehayı kaybeder.

Sinan Sevinç / Lukas Walter Sie selbst sind vegetarischer Deutsch-Türke, Ihre Frau ist Argentinierin, Ihre Kinder sind also Deutsche mit türkisch-argentinischen Wurzeln. Was kommt da eigentlich bei Özdemirs auf den Tisch?

Sinan Sevinç / Lukas Walter Siz kendiniz vejetaryen bir Türk-Almansınız, eşiniz Arjantinli, dolayısıyla çocuklarınız Türk-Arjantin kökenli Almanlar. Böyle olunca Özdemirler'de sofrada neler sunuluyor? Cem Özdemir Aslında durum daha da karmaşık. Eşimin anne tarafı İtalyan kökenli olduğu için eşimin İtalyan pasaportu var. Arjantin

Eigentlich ist es noch komplizierter. Meine Frau hat einen italienischen Pass, weil ihre Vorfahren mütterlicherseits italienischer Herkunft sind. Die Schnittmenge bei uns ist die mediterrane Küche, obwohl in Argentinien und der Türkei sehr viel Fleisch gegessen wird. Wir treffen uns sozusagen in Italien: sehr viel Olivenöl und Mezze oder Pasta – und da ich Schwabe bin, auch gerne mit dem ein oder anderen Bier aus dem Ländle. Sinan Sevinç / Lukas Walter Eines Ihrer Hobbies ist das Wandern – oder das „Spaziera ganga“. Wie kamen Sie dazu?

Cem Özdemir Die Großmutter meines Freundes Hermann hat in mir die Liebe zum Wandern geweckt. Die hat immer gesagt: „Wenn m’rgsond sei will, muss m’roimal am Tag spazieraganga.“ Das ist für eine türkische Familie eine ganz seltsame Vorstellung, ohne Sinn und Zweck loszulaufen. Okay, laufen, aber wohin? In den Wald? Um was zu tun? Um sich die Natur anzusehen und Vögel zu hören? Für viele Türken aus den ländlichen Teilen der Türkei war laufen immer etwas, was mit Armut und Not zu tun hat, und sobald man es sich in Deutschland leisten konnte, fuhr man natürlich ein Auto, das was hergibt, und isst soviel Fleisch wie möglich. Und was macht der Sohn? Fährt Fahrrad oder Zug und wird Vegetarier und Grüner. So spielt das Leben (lacht). Sinan Sevinç / Lukas Walter Herr Özdemir, wir danken herzlich für das Gespräch. n

ve Türkiye'de çok fazla et tüketilmesine rağmen bizim kesişim noktamız akdeniz mutfağıdır. Yani biz İtalya'da buluşuyoruz: bol zeytinyağı, meze ya da makarna – ve tabii Swabian olduğum için, yanında eyaletin biralarını tercih ediyoruz. Sinan Sevinç / Lukas Walter Hobilerinizden birisi de yürüyüş yapmak. Bu nasıl gelişti? Cem Özdemir Arkadaşım Hermann'ın büyükannesi, içimde yürüyüşe karşı bir sevgi uyandırdı. Her zaman „sağlıklı olmak istiyorsak günde bir kere yürüyüş yapmalıyız“ derdi. Bir Türk ailesi için amaçsızca yürümek, garip bir düşünce. Yürüyelim tamam, ama nereye? Ormana mı? Ne yapmaya? Doğayı izlemeye ve kuşları dinlemeye mi? Türkiye'nin kırsal kesimlerinden gelen birçok insan için yürümek, yoksulluk ve sıkıntıyla ilişkiliydi ve Almanya'da bunu karşılayabilir hale geldiklerinde hemen mümkün olan en iyi arabayı kullanır ve mümkün olduğu kadar et yerlerdi. Ve oğulları ne yapıyor? Bisiklet ya da trene biniyor ve vejetaryen olup yeşillere mensup oluyor. Hayat böyle işte (gülüyor).

Vom belächelten Hauptschüler zum Parteivorsitzenden der Grünen Alay konusu olan ortaokul öğrenciliğinden Yeşiller Partisi Genel Başkanlığına

Sinan Sevinç / Lukas Walter Sayın Özdemir, bu söyleşi için size çok teşekkür ediyoruz n

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Gesellschaft

HOFFNUNG FÜR FLÜCHTLINGE IN STUTTGART

Ein Bericht von Fabian Rohr, HdM

„DIE IDEE VON OMID IST VOR ALLEM FRÜHZEITIG HILFE ANZUBIETEN.“

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rieg, Folter, Vergewaltigungen. Wie hilft man den Menschen, die hier in Stuttgart eintreffen und solche Brutalitäten erleben mussten? Und vor allem: Wer hilft ihnen? Flüchtlinge kommen nicht aus Spaß, das sagt eigentlich schon die Bezeichnung. Sie flüchten vor einer konkreten Gefahr. Und dass auch der Fluchtweg gefährlich ist, wissen wir nicht erst seitdem die EU Militäreinsätze im Mittelmeer beschlossen hat. Die Menschen, die hierzulande ankommen, sind nicht nur mit ihren physischen Kräften am Limit. Für die ärztliche Behandlung im Raum Stuttgart stehen die psychosozialen Zentren „refugio stuttgart“ und „PBV“ zur Verfügung. Die Wartezeit für ein erstes Gespräch beträgt aber mittlerweile mindestens neun Monate – eine unvorstellbar lange Zeit für jemanden, der dringend Hilfe benötigt. Der Caritasverband Stuttgart hat die Situation erkannt und im letzten Jahr das Projekt OMID ins Leben gerufen. OMID ist persisch und bedeutet Hoffnung. Seit Oktober arbeiten drei erfahrene ProjektmitarbeiterInnen in jeweils einer großen Flüchtlingsunterkunft der Caritas. Sie kümmern sich um die Flüchtlinge vor Ort und hören deren Geschichten an, geben ihnen das Gefühl, dass jemand für sie da ist. Elke Abdullahi ist eine davon, therapeutisch ausgebildet

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Eine andere Möglichkeit sei, dass der Flüchtling seine Geschichte so erzähle, als würde er sie auf einem Monitor sehen. Er hätte eine Fernbedienung und könne die Wiedergabe jederzeit stoppen. Damit werde Kontrolle vermittelt. Wichtig sei auch zu lernen, wie man das Erlebte in den Alltag integrieren könne.

und arbeitet schon seit über 13 Jahren für die Caritas. Ihr Büro in Möhringen ist direkt in die Flüchtlingsunterkunft integriert, für die sie zuständig ist. Die Idee von OMID ist vor allem frühzeitig Hilfe anzubieten, um eine posttraumatische Störung vorzubeugen. Dadurch arbeitet Abdullahi öfters mit Flüchtlingen, die weder Deutsch noch Englisch sprechen. Dann braucht sie einen Dolmetscher – dabei greift sie auch auf die ansässigen Einwohner zurück, die sich gerne als Übersetzer engagieren. Trotz des Umgangs mit all den schweren Schicksalen, erklärt Abdullahi, erlebe sie oft auch unbeschwerte Momente mit den Menschen hier. Strahlend erzählt sie, erst heute habe sie die Benachrichtigung erhalten, dass die verschwunden geglaubten Kinder der Somalierin gefunden wurden. Oft würde sie einfach spontan in den Arm genommen. Am vorherigen Freitag hätten die Somalier nach einem an-

Dabei würde es auch helfen, sich einen Rückzugsort – sei es in der Fantasie oder im echten Leben – zu überlegen. Oder Gedanken aufzuarbeiten, indem man sie gezielt aufschreibt und malt, um anschließend darüber zu sprechen. Auch OMID bietet keine unbegrenzten Kapazitäten. Derzeit

behandelt Azinovic zehn Flüchtlinge, darunter zwei Kinder. Das Projekt ist auf eine Laufzeit von drei Jahren konzipiert. Ob und wie es danach weitergeht, hängt vom Erfolg ab. Finanziert wird es aus den Mitteln des bischöflichen Flüchtlingsfonds und Eigenmitteln der Caritas Stuttgart. Ein Interview mit der The-

rapeutin Elke Abdullahi über Erlebnisse der Flüchtlinge, aus denen Traumata resultieren und wie sie in der Therapie gegen diese ankämpft, unter www. redaktionzukunft.de/traumatisierte-flüchtlinge-stuttgart Das vollständige Audio-Interviewfinden Sie auf youtu.be/ Wi1otox4sYM n

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Elke Abdullahi ist Therapeutin und hat im Rahmen von Projekt OMID schon vielen Flüchtlingen geholfen, die sich im Alltag Schwierigkeiten ausgesetzt sahen. Slavko Azinovic arbeitet schon seit vielen Jahren für die Caritas, ist Diplompsychologe und berät Menschen von klein bis groß in allen möglichen Lebenslagen.

strengenden Tag für sie gekocht. Letztlich seien es die positiven Momente, die überwiegen. Aber auch Abdullahi hat ihre Grenzen. Wenn sie merkt, dass ein Flüchtling ernsthaft traumatisiert ist, reicht sie den Fall an einen von zwei Psychologen weiter, die an OMID teilnehmen. Im ersten Schritt bauen diese dann ein Vertrauensverhältnis auf, geben Orientierung und erklären, dass bestimmte Reaktionen ganz natürlich sind („Psychoedukation“). Dieser Prozess kann sehr langwierig sein, doch erst im Anschluss daran ist es möglich, die Erlebnisse psychologisch aufzuarbeiten. Ziel der Therapie ist, dass der Flüchtling von den

Geschehnissen erzählen kann, ohne körperlich und emotional zu reagieren. Doch wie gehen die Psychologen vor, um das zu erreichen? Dazu gäbe es unterschiedliche Methoden. Eine davon sei das Verändern von Alpträumen. Der Diplom-Psychologe Slavko Azinovic von OMID erzählt von einer Frau, die immer wieder davon träumte, wie sie im Keller vergewaltigt wurde. Azinovic hat mit ihr daran gearbeitet den Traum so zu lenken, dass sie sich aus diesem Keller und der aussichtslosen Lage befreit. Sie flüchtete durch ein Fenster und konnte den Alpträumen dadurch ein Ende bereiten.

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Kunst & Kultur

DIE WELT DES SCHATTENTHEATERS ZU GAST IN STUTTGART

„FARBIGE SILHOUETTEN... SIE WIRKEN ‚ECHT’.”

Ein Bericht von Annette Krämer

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as „Karagözspiel“ (Karagöz oyunu), wird hierzulande manchmal mit dem „Kasperletheater“ verglichen. Tatsächlich bestehen Ähnlichkeiten: Die frechen Helden Karagöz („Schwarzauge“) und Kasperl sind beide Namensgeber einer komödiantischen Tradition, die mehrere Jahrhunderte zurück reicht. Vergleichbar ist insbesondere ihr Publikum: Sie faszinieren heutzutage vor allem Kinder – was nicht immer so gewesen ist. Doch „Karagöz“ ist nicht Puppen- sondern Schattentheater: Figuren, die traditionell aus transparentem, bemaltem Pergament gefertigt und meist zwischen 30 und 40 cm groß sind, treten hinter einer beleuchteten Leinwand auf und erscheinen dem Publikum als farbige Silhouetten. Sie wirken „echt“, sind aber nur eine Illusion, die Klein und Groß fasziniert und in Zeiten der flackernden Beleuchtung mit Öllampen noch zauberhafter gewesen sein muss. Dass das Schattentheater letztlich nur ein Abbild der Wirklichkeit vermittelt, die Silhouetten nicht „real“ sind, hat zu seinem Überleben beigetragen. Es behauptete sich trotz wiederholter Verbote und theologischer Debatten um die (Un-)Zulässigkeit

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Die Figuren fertigen Schattenspieler häufig selbst. Darüber hinaus muss ein Hayali über musikalisches Wissen und Talent verfügen: Die Musik spielt im Karagöztheater wie in allen Schattentheater-Traditionen Asiens und des Orients eine herausragende Rolle. Jeder Charakter wird mit einem bestimmten Lied eingeführt: So kann man etwa am Lied „Fesleğen ektim gül bitti“ erkennen, dass nun ganz sicher der Opiumraucher Tiryaki auftreten wird. Die Figur Zenne in Ferace

des Figurenspiels, indem es nicht zuletzt von der islamisch-mystischen, Sufi- Tradition als Lehrbeispiel für die Menschen legitimiert wurde: Im Schattenspiel erkennen sie die Verborgenheit von Wahrheit und Wirklichkeit in der diesseitigen Welt, die wie von einem „Vorhang“ begrenzt ist. Mit Führungsstäben, die in kleine, runde Öffnungen in den Figuren gesteckt werden, können diese horizontal an die Leinwand gepresst und bewegt werden. Dabei ist der Schattenspieler, Hayali, ein Allround-Künstler, der verschiedene Talente und Fertigkeiten besitzen und anwenden muss. Geschickt führt er die Helden des Schattenspiels, denen er jeweils unterschiedliche Stimmen sowie Ausdrucksund Verhaltensweisen verleiht.

Die Anfänge des osmanisch-türkischen Schattentheaters liegen im Dunkeln, möglicherweise erhielt es Impulse aus Ägypten, wie eine Quelle vom Anfang des 16. Jahrhunderts nahelegt. Erst seit dem 17. Jahrhundert sind die Hauptfiguren Karagöz und Hacivat belegt. Traditionell ist Karagöz lebenslustig, ungebildet und stets auf Arbeitssuche. Hacivat ist ein opportunistischer Kleinbürger mit etwas Bildung und noch mehr Einbildung. Ihr Miteinander und Missverstehen in zahlreichen Dialogen prägt das Spiel: Karagöz

verstand früher weder das mit Fremdworten durchsetzte Osmanisch, noch die von Hacivat angesprochenen Inhalte. Auch heute sind die Hauptcharaktere noch komplementär gezeichnet, selbst wenn der sprachliche und soziale Gegensatz weniger markant ausfällt. Das Karagöztheater war vor allem im 18. und 19. Jahrhundert eine beliebte Unterhaltung. Insbesondere im Fastenmonat Ramadan wurde Karagöz gespielt. Auch Beschneidungsfeiern waren ein typischer Anlass. Nur zum Teil wurde ein Familienpublikum angesprochen. In Kaffeehäusern führte man in der Vergangenheit ein derbes Karagöztheater auf, dem obszöne Szenen nicht fremd waren. Dies, aber auch die manchmal bissige Sozialsatire mit verbalen Angriffen auf Vertreter der Obrigkeit ließen das Karagöztheater im späten Osmanischen Reich zum Opfer von Zensur werden. Denn in den Stücken traten typische Akteure der osmanischen Gesellschaft auf, die von den

Das Linden-Museum Stuttgart zeigt vom 3. Oktober 2015 bis 10. April 2016 die Ausstellung „Die Welt des Schattentheaters. Von Asien bis Europa“. In ihr werden sowohl Schattentheater-Traditionen aus Asien und dem Orient, als auch zeitgenössische Entwicklungen vorgestellt. Zu sehen sind auch zahlreiche Karagözfiguren des bekannten Meisters Ragıp Tuğtekin (1892 bis 1982). Außerdem können die Besucher selbst „Schatten spielen“

Karagözspielern meisterhaft in Sprache und Verhalten als „Typen“ gezeichnet wurden. In vielen Stücken durchleben sie nacheinander ähnliche Situationen. Karagöz zeigte gesellschaftliche Missstände und menschliche Abgründe auf, ohne Partei zu ergreifen, und die Zuschauer lachten über ihre eigene Lebenswelt. In der Republik Türkei deutete man Karagöz um. Der kecke Held wurde zum nationalen Vermittler gesellschaftlicher Werte, er war nun eine eindeutig positiv besetzte Figur. Karagöz trat auch in den Halk Evleri (Volkshäusern) auf. Dennoch kämpfte das Karagözspiel zunehmend mit der medialen Konkurrenz von Kino, später auch Rundfunk und Fernsehen. Karagöz eroberte all diese Medien, doch im Gegenzug verlor die „echte“ Schattenkunst an Bedeutung. Kinder wurden Hauptpublikum, und nicht zuletzt an Schulen wird Karagöz bis heute gespielt. Und wie es inzwischen einen „Verkehrskasper“ gibt, so vermitteln auch in der Türkei Hacivat und Karagöz gerne die Verkehrsregeln. Karagöz ist bis heute Teil der kulturellen Identität in der Türkei. Er ist eine Art „Kulturikone“ geworden, und darf selbstverständlich etwa in der Werbung während des Ramadan auftreten. 2009 wurde das

Bühnenszene: Hacivat, Karagöz und das Haus von Karagöz

Karagöztheater als immaterielles Kulturerbe der Menschheit von der UNESCO anerkannt. Damit verbunden ist ein verstärktes Bewusstsein dafür, in der digitalen Welt auch das analoge Spiel mit Karagöz und Hacivat vor dem Verschwinden zu retten. Heute bewahrt eine kleine Szene von Karagözspie-

lern das Schattentheater in der Türkei. Viele von ihnen verstehen sich als Künstler, einige von ihnen wollen das Karagöztheater verändern und nicht zuletzt attraktiver für ein erwachsenes Publikum werden lassen. Zuweilen möchten sie dessen sozialkritisches Potential wiederbeleben, manchmal sucht man die Verbindung zu anderen Medien und Künsten – etwa zum Film oder dem „normalen“ Theater. In Deutschland ist mit Ali Köken immerhin ein Karagözspieler bei der internationalen Organisation UNIMA registriert.

Noch gibt es genügend Hayali, die Karagöz lieben und bewahren. Auch wenn er ein „Schattendasein“ führt: In modernen Gesellschaften mit ihren zahlreichen, diversen Milieus und Lebensformen könnten die Voraussetzungen für ein Überleben von Karagöz gegeben sein. n

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Gesellschaft

SCHRIFTSTELLER GREIFEN EIN

Pia Marie Piech im Gespräch mit Josef Haslinger (Präsident PEN) und Ingo Schulze (Schriftsteller und PEN-Mitglied)

Grafik 1: Steigende Asylbewerberzahlen in Deutschland, Quelle: BAMF

Grafik 2: Die zentralen Flüchtlingsrouten nach Europa, Quelle: Frontex

Anzahl der Asylanträge 250.000

Zentrale Mittelmeerroute

200.000 Östliche Mittelmeerroute

150.000 100.000

Westliche Mittelmeerroute

50.000

0 2010

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ie hoffen auf eine neue Heimat, einen Job und Sicherheit. Die Flüchtlinge, die nach Europa wollen, nehmen dafür selbst den Tod in Kauf. Das PEN-Zentrum fordert jetzt von der EU Maßnahmen, um diese Katastrophe zu stoppen. Es kommen immer mehr Einwanderer nach Europa. Sie wollen Ihre Familie vor Krieg und Verfolgung schützen. Oder aber sie werden „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt und kommen in die Europäische Union, um eine Ausbildung oder einen Job zu finden. 2014 wurden allein in Deutschland fast 80.000 Asylanträge mehr gestellt als im Jahr zuvor. In den ersten vier Monaten diesen Jahres wurden 114.200 Asylanträge gezählt. Diese Zahlen veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. (siehe Grafik 1) In den letzten Wochen wurde die Öffentlichkeit mit tragischen Bildern auf die Notlage der Flüchtlinge aufmerksam gemacht. Laut Zahlen von ProAsyl starben mehr als 1.000 Flüchtlinge auf dem Weg über das Mittelmeer innerhalb nur eines Monats. Dabei sind die zentrale und die östliche Mittelmeerroute mit Abstand die beliebtesten nach Europa: 2014 kamen etwa 200.000 Flüchtlinge über diese Routen. (siehe Grafik 2)

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Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine Schriftstellervereinigung, die sich für Schriftsteller und Journalisten in Problemsituationen weltweit einsetzt. Jetzt hat das Zentrum das aktuelle Problem der Flüchtlinge thematisiert; sie wollen, dass sich etwas drastisch ändert in der europäischen Flüchtlingspolitik. Dafür haben sie die Resolution mit dem Titel „Schutz in Europa“ beschlossen. 1.200 Schriftsteller der Europäischen Union stellen darin konkrete Forderungen. Die Resolution, wurde am 14. April 2015 vom PEN-Deutschland Präsidenten, Josef Haslinger an den Präsidenten der EU, Martin Schulz übergeben. Pia Piech Herr Haslinger, wie kam das PEN-Zentrum dazu, diese Resolution zu beschließen? Josef Haslinger Als ich Günter Grass einlud, bei der 90-Jahr Feier des deutschen PEN-Zentrums in Hamburg an einem öffentlichen Gespräch über die weltweite Vertreibungs- und Verfolgungssituation von Autoren teilzunehmen, antwortete er: „An dem von Ihnen vorgeschlagenen Gespräch mit Ihnen nehme ich gerne teil, bitte aber zu erwägen, ob

es nicht ratsam wäre, nicht nur über verfolgte Autoren zu sprechen, sondern auch über die wachsende Millionenzahl Verfolgter, Vertriebener, von Land zu Land Irrender und nirgends Willkommener. Ich weiß, dass damit die Gefahr droht thematisch auszuufern, aber eine bloße Beschränkung auf das uns naheliegende Schicksal verfolgter Autoren ist andererseits zu ausschließlich. Was halten Sie von meinem Vorschlag?“ Ich hielt sehr viel von diesem Vorschlag und machte mich daran, die Resolution „Schutz in Europa“ zu formulieren und mit kompetenten Beratern abzustimmen. Wir wissen, wie sehr Günter Grass das Thema Asyl und Schutz von Flüchtlingen am Herzen lag. Schließlich war die Verschärfung der deutschen Asylgesetze sein Anlass gewesen, aus der SPD auszutreten. Danach machte ich mich an die Arbeit. Pia Piech Wie darf ich mir das vorstellen, wie eine solche Resolution länderübergreifen beschlossen wird? Josef Haslinger Ich stimmte mich zunächst mit dem englischen PEN ab, weil wir ja auf jeden Fall eine englische Version der Resolution brauchen würden. Dann trugen der englische PEN und der deutsche PEN gemeinsam das Anliegen an den internationalen PEN

heran, mit der Bitte, den Appell an alle europäischen PEN-Zentren zu senden, mit der Bitte, ihn den Mitgliedern zugänglich zu machen. Gleichzeitig wandte ich mich an andere Autorenorganisationen in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Es sollten ja nicht nur PEN-Mitglieder unterschreiben. So kamen schließlich diese 1200 Unterschriften von Autoren aus 26 europäischen Staaten zusammen, die wir dem deutschen Ministerium für Inneres und Parlamentspräsident Martin Schulz in Brüssel vorlegen konnten. Pia Piech Können Sie knapp zusammenfassen, worum es in der Resolution geht? Josef Haslinger Es geht um den Schutz von Flüchtlingen. Der sollte bei allen Flüchtlingsfragen an erster Stelle stehen. Und es geht darum, legale Fluchtwege zu schaffen, damit die Menschen sich erst gar nicht Schleppern anvertrauen müssen. Wenn Europa die Grenzen dicht macht, werden die Verfolgten eines Grundrechts beraubt. Europa soll nicht nur die Abwehrmaßnahmen, sondern auch das Menschenrecht auf Asyl und den Schutz von Flüchtlingen als gemeinsame Aufgabe verstehen.

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Ingo Schulze Es soll verhindert werden, dass Flüchtlinge ihr Leben riskieren müssen, wenn sie Europa erreichen wollen. Das heißt, dass es möglich sein muss, Flüchtlingsvisa zu beantragen. Es geht um menschenwürdige Standards bei der Unterbringung während des Asylverfahrens und ein gemeinsames Handeln aller europäischer Staaten. Pia Piech Was fordern Sie im PEN und in der Resolution konkret von Deutschland? Was muss Deutschland ändern? Ingo Schulze Die Unterbringung der Flüchtlinge ist teilweise katastrophal. Wenn das Geld vom Bund den Kommunen sofort zur Verfügung gestellt wird, erleichtert das die Arbeit für Städte und Gemeinden. Josef Haslinger Deutschland kann sich freiwillig und mit Vorbildwirkung in den Dienst der europäischen Quote stellen. Und Deutschland hat das Know-how, beim Aufbau einer europäischen Asylbehörde behilflich zu sein. Zwischen Deutschland und Bulgarien die Flüchtlinge hin und her zu schieben, kann doch wohl nicht die Lösung sein.

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Pia Piech Glauben Sie, dass sich durch die Resolution etwas ändern wird? Oder werden sich alle wieder aus der Verantwortung ziehen?

Pia Piech Haben Sie von der EU oder aus Deutschland Rückmeldungen zur Resolution bekommen? Wie sahen diese aus?

Josef Haslinger Entscheidend ist, dass wir mit dem, was wir wollen, an die Öffentlichkeit treten. Wir sind doch bei weitem nicht allein und unsere Forderungen sind keineswegs exotisch, sondern werden von vielen Menschenrechtsexperten geteilt. Da sind wir eine Stimme in einem Konzert, aber das Konzert ist groß. Die Unzufriedenheit mit Europas Festungspolitik wächst. Die Menschen wollen halt auch über den morgigen Tag hinaus denken und nicht auf Konfrontationskurs mit den Armen der Welt gehen.

Josef Haslinger Das Innenministerium hat uns mehr oder weniger abgefertigt. Nicht einmal ein dpa-Fotograf, der vor Ort war, durfte die Übergabe für die Presse festhalten. In Brüssel wurde die Internationale PEN-Delegation von Martin Schulz sehr herzlich empfangen und als Live-Stream ins Internet gestellt.

Ingo Schulze Das Treffen im Bundesinnenministerium am 13. April zeigte aber eher eine gewisse Unwilligkeit des Ministeriums, darüber noch mal grundsätzlich nachzudenken. Es ist notwendig, das Flüchtlingsproblem nicht wie eine vorübergehende Unwetterkatastrophe zu behandeln. Die eigentlichen Probleme beginnen wahrscheinlich erst.

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Flüchtlingszahlen 2014

Ingo Schulze Es waren ja dann wenige Tage nach der Übergabe der Resolution die Katastrophen auf dem Mittelmeer, die zum erneuten Nachdenken zwangen. Aber auch das, was bisher beschlossen wurde, zeugt eher von einer Verteidigung der europäischen Grenzen als von einer grundsätzlichen Veränderung der europäischen Haltung.

Pia Piech Herr Schulze, Sie sind schon seit langem politisch und gesellschaftlich engagiert. Haben Sie zum Schluss noch einige persönliche Worte zum Thema? Ingo Schulze Es gibt heute kaum einen Konflikt auf der Welt, der nicht durch Kolonialismus, Kalten Krieg oder Neokolonialismus ausgelöst oder wesentlich verschärft worden ist. Deshalb geht es nicht nur um humanitäre Hilfe, sondern darum, die europäische Mitverantwortung am Zustand dieser Welt zu akzeptieren und zu versuchen, dieser Mitverantwortung gerecht zu werden. n

Pia Piech Zuletzt noch eine hoch aktuelle Frage: Herr Haslinger, was sagen Sie zum aktuellen Beschluss der EU? Josef Haslinger Ich glaube, dass nach dem gestrigen Beschluss, Fluchthelfer militärisch zu bekämpfen, alle europäischen Außenminister rücktrittsreif sind.

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Bildung

DAS NEUTRUM LEHRER

Ein Interview von Kim Lucia Ruoff, HdM

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wölf Jahre herrschte Uneinigkeit über die Präsenz religiöser Symbole an deutschen Schulen. Neun davon waren „religiöse Bekundungen“ für Lehrer verboten. Die Neutralität sollte gewahrt werden. Doch gibt es dabei einen Unterschied zwischen Kopftuch und Nonnentracht? Zwei Lehrerinnen berichten von ihrem Alltag, den Reaktionen der Schüler und ihrer Auffassung von Neutralität.

Die 28 jährige Sihem Zidi beendete ihr Referendariat im Juli 2004. Auf bundesweit 50 Bewerbungen erhielt sie eine Zusage. Seit September 2014 unterrichtet sie Englisch und Französisch an der Akademie für privates Lernen in Stuttgart.

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Sihem Zidi und Schwester Maria Angela. Zwei Lehrerinnen. Zwei Schleier. Eine Gesetzgebung. Die Praxis sieht allerdings anders aus. Für die mit Kopftuch unterrichtende Sihem Zidi konnte der Berufswunsch Lehrerin nur an einer privaten Schule in Erfüllung gehen. Schwester Maria Angela durfte durch eine Ausnahmeregelung weiter in ihrem Nonnengewand an einer staatlichen Schule unterrichten. Beide tragen den Schleier aus freiem Entschluss. Kann man also noch von einer Gesetzgebung auf der Grundlage der Neutralität sprechen, wenn das eine pauschal verboten und das andere als christliche Tradition entschuldigt wird? Das Verfassungsgericht rudert bei dieser Frage zurück. Das grundsätzliche Verbot von religiösen Symbolen im Unterricht wurde entkräftet. Die Auslegung liegt jetzt bei den Ländern. Beide Lehrerinnen bewerten das als eine positive Ent-

wicklung. Zwei Gespräche mit vielen Fragen und noch mehr vergleichbaren Erfahrungen. Kim Lucia Ruoff Warum haben Sie sich dazu entschlossen das Kopftuch/ das Nonnengewand zu tragen? Sihem Zidi Ich trage Kopftuch seit 2007, da war ich im dritten Semester meines Lehramtstudiums. Bei mir war es die Suche nach dem Sinn und Sein des Lebens. Meine Eltern sind zwar Muslime, aber Religion hat bei uns Zuhause keine große Rolle gespielt. Durch die mediale Darstellung der Muslime habe ich angefangen, mich selber damit zu beschäftigen und zu lesen. Schritt für Schritt kam dann die Überzeugung, diesem göttlichen Gebot, wie ich es sehe, nachzugehen und Kopftuch zu tragen. Für mich ist das eine Form des Gottesdienstes. Es erinnert mich täglich daran, dass ich mich entschieden habe, Muslima zu sein. Schwester Maria Angela Ich komme aus einer christlich geprägten Familie. Gut, in der Jugend macht man dann alle möglichen Phasen durch, das ist klar. Ich habe mich dann aber ganz bewusst wieder für den Glauben entschieden. Auch

dadurch, dass ich das Studium gewählt und als Hauptfach Religion hatte. Mein Gewand und der Schleier stehen für meinen Entschluss Ordensschwester zu sein, in einem Kloster zu leben und dafür auch Zeugnis abzulegen. Kim Lucia Ruoff Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie das erste Mal in eine neue Klasse kommen? Sihem Zidi Schüler reagieren da ganz normal, da kommt einfach eine Lehrerin. Ich habe nie empfunden, dass es da eine besondere Reaktion gibt, nur weil ich ein Kopftuch trage. Jüngere Schüler haben nie direkt nach dem Tuch gefragt, aber wenn man sich länger kennt, dann sagen sie mal „Oh, heute haben sie ein schönes Tuch an“, oder einmal wurde ich zum Beispiel nach der Haarfarbe gefragt. Schwester Maria Angela Am Anfang steht für die Grundschulkinder erstmal der Schulalltag, da ist alles so aufregend, dass sie vollkommen darauf konzentriert sind. An unserer Schule sind sehr viele verschiedene Konfessionen vertreten. Es gibt evangelische, jüdische, muslimische Kinder, Zeugen Jehovas und auch viele ungetaufte Kinder. Meistens geht das dann

ein paar Wochen, dann kommen auch die Fragen. „Warum trägst du immer dasselbe?“, „Hast du auch Haare?“, „Hast du auch Ohren?“ Ich versuche, diese Fragen dann auch immer zu beantworten und erzähle recht viel über den Klosteralltag. Kinder erkennen aber auch Gemeinsamkeiten zu ihrer eigenen Religion zum Beispiel die Gebetszeiten im Islam und im Christentum und diesen Austausch „Was haben wir, was gibt es dort“ finde ich toll. Kim Lucia Ruoff Wie beeinflussen Sie die Schüler durch Ihr äußerliches Auftreten und Ihren Glauben? Sihem Zidi Beeinflussen würde ich so nicht sagen. Ich behandle gerne Themen wie Stereotype, vielleicht aus eigenen Erfahrungen, aber das ist auch Thema im Bildungsplan. Vielleicht kann ich das dann noch aus einer anderen Perspektive mit den Schülern betrachten, aber ansonsten hat man seinen Bildungsplan und muss bestimmte Themen behandeln und hat keine Zeit für andere Dinge. Schwester Maria Angela Ich denke schon, dass es die Kinder –beeinflusst ist vielleicht zu viel gesagt- aber ich denke und hoffe, dass sie einen positiven Zugang zu Ordensleuten bekommen. Wenn sie ansonsten

Ordensmenschen treffen, soll es nichts von einer anderen Welt sein, sondern respektiert werden. Ansonsten unterrichte ich Deutsch und Mathematik genau wie alle anderen. Ich halte mich dabei an den Lehrplan. Kim Lucia Ruoff Wie haben sie das Urteil zum Verbot von religiösen Symbolen in Baden-Württemberg erlebt? Sihem Zidi Ich konnte es überhaupt nicht verstehen. Vor allem in Deutschland. Wenn man überlegt, wie viele Grundrechte man einer Frau dadurch nimmt. Man legt ihr ein Berufsverbot auf, man nimmt ihr das Recht auf Selbstbestimmung, man nimmt ihr das Recht auf Religionsfreiheit. Das war von Anfang an diskriminierend. Ich glaube nicht, dass man eine Gefahr am Äußeren festmachen kann. Man hat beim Kopftuch immer so das Gefühl, entweder sie ist unterdrückt oder sie ist fanatisch. Das sind dann so die typischen zwei Optionen. Dass sich jemand aus freiem Willen dazu entscheidet, ist irgendwie gar keine so richtige Option für viele Menschen.“ Schwester Maria Angela Als es aufkam, ging es dann ja auch um die jüdische Kippa oder das christliche Kreuz. Deswegen

Die 66 jährige Schwester Maria Angela lebt in der Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal nahe BadenBaden und ist seit 1987 Grundschullehrerin.

hat das Kopftuchverbot uns natürlich sehr betroffen gemacht, da wir gesagt haben, wir wollen so an unserer Schule unterrichten und sehen es auch so, dass es auch anderen Religionen gewährt werden müsste. Also, uns wäre es wesentlich lieber gewesen, wenn man für alle religiöse Kleidung zulässt. Kim Lucia Ruoff Wie könnte Neutralität in der Schule aussehen?

Sihem Zidi Neutralität gegenüber Schülern kann und muss man von jedem Lehrer erwarten. Also niemanden bevorzugen, niemanden benachteiligen. Das lässt sich aber nicht am Äußeren des Lehrers festmachen. Einen neutralen Lehrer gibt es so eigentlich nicht. Ich wusste zum Beispiel immer, welche politische Einstellung mein Lehrer hat, was er in seiner Freizeit macht. Für mich wäre neutral, wenn wir beispielsweise den urstrengen Katholiken auf der einen Seite hätten, und auf der anderen Seite den Juden, die Muslima, den Atheisten, den Agnostiker, den Öko. Sprich, man hat eine Reihe von Menschen, und wenn man nichts davon abschneidet, sozusagen die Vielfalt unserer Gesellschaft in der Schule präsent ist, dann ist Schule neutral. Schwester Maria Angela Faszinierend finde ich zum Beispiel eine Drei-Religionen Grundschule, wo alle zusammen leben, und die Kinder gemeinsam die verschiedenen Glaubensrichtungen kennen lernen können. Das gemeinsame Suchen und das verbindende Suchen finde ich hier ganz wichtig. Wenn ein Schüler diese Ausrichtung nicht möchte, sollte er die Möglichkeit haben, an eine andere Schule zu gehen. n

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Gesellschaft

VIELFALT UND AUTONOMIE DER TÜRKISCHEN DIASPORA TÜRK DİASPORASININ ÇEşİTLİLİğİ VE ÖZERKLİğİ Ein Interview von Candida Splett (Online-Redaktion Stiftung Wissenschaft und Politik) mit dem Soziologen Yaşar Aydın

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on Yaşar Aydın ist kürzlich die SWP-Studie »Die neue türkische Diasporapolitik« erschienen. Im Interview erläutert er, was sich hinter dem Begriff verbirgt, welche Ziele die Türkei mit ihrer Politik verfolgt und welche Probleme es bei der Umsetzung gibt. Candida Splett Sie schreiben in Ihrer jüngsten Studie über die Diasporapolitik der Türkei. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Yaşar Aydın Mit ihrer Diasporapolitik verfolgt die Türkei die Strategie, mit der türkischen Diaspora in Europa dauerhafte, institutionalisierte Beziehungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Dabei wird unter der Diaspora in Deutschland eine Community verstanden, die sich dauerhaft hier niedergelassen hat. Dies steht im Gegensatz zur einstigen Wahrnehmung Türkischstämmiger als Gastarbeiter, die nur vorübergehend hier sind. Candida Splett Welche Ziele verfolgt die türkische Regierung mit ihrer Diasporapolitik? Yaşar Aydın Die Türkei möchte die Diaspora für ihre politischen Ziele, etwa den Beitritt der Türkei zur EU, mobilisieren. Sie soll so etwas wie ein Sprachrohr für die In-

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eçtiğimiz günlerde Yaşar Aydın'ın, "Yeni Türk Diaspora Politikası" adlı SWP (Stiftung Wirtschaft und Politik) Araştırması yayımlandı. Bu röportajda Yaşar Aydın, kavramın anlamını, Türkiye'nin siyasi hedeflerini, siyasetiyle neyi hedeflediğini ve uygulamada ne gibi güçlüklerle karşılaşılınabileceğini açıklıyor. Candida Splett Son araştırmanızdaTürkiye'nin diaspora politikası hakkında yazıyorsunuz. Bu kavramla ne kastediliyor? Yaşar Aydın Diaspora politikası ile Türkiye, Avrupa'daki Türk diasporası ile uzun vadeli, kurumsallaştırılmış bir ilişki kurması, ya da var olan ilişkileri koruması yönünde bir strateji izlemektedir. Almanya'daki diaspora denildiğinde, buraya yerleşmiş olan bir topluluktan bahsedilmektdir. Bu kavram, eski algıya göre Türkiye kökenlilerin burada yalnızca geçici misafir işçi olarak görülmesinin aksidir. Candida Splett Türkiye, diaspora politikası ile neleri hedeflemektedir? Yaşar Aydın Türkiye, diasporayı, mesela Türkiye'nin AB'ye katılımı gibi siyasi amaçları için seferber etmek istiyor. Onlar, Türk hükümetinin çıkarları için bir iletişim kanalı

görevi görmeli. Bunu başarmak için, Türkiye, Türk toplumunun Almanya'da iyi entegre olması için ısrar ediyor, çünkü ancak bu şekilde siyasi partiler ve dernekler gibi kurumlarda yer alıp Türkiye için bir lobici olarak hareket edebilirler. İyi entegre olmamış bir toplumun, bir yandan siyasi olarak faal olmadığı, öte yandan da Alman toplumunda kötü bir Türkiye resmi çizdiği için negatif etkileri olabilir. Candida Splett Eski Türkiye Başbakanı ve şimdiki Cumhurbaşkanı Recep Tayyip Erdoğan'ın, Almanya'daki Türkiye kökenlilere, asimile olmamaları konusundaki uyarıları bu bağlamda nasıl anlaşılmalı? Yaşar Aydın Erdoğan, asimilasyon derken, Alman kimliğinin olduğu gibi devralınmasından, yani Türk kimliğinin kaybından bahsediyor. Bunun arkasında yatan düşünce, Türkiye'ye kültürel bir bağı olanların yalnızca onların çıkarına hareket edebilir olmasıdır. Yani söz konusu olan, iyi entegre olurken Türk kültürünün korunmasıdır.

teressen der türkischen Regierung sein. Um das zu erreichen, drängt die Türkei darauf, dass sich die türkische Community gut in Deutschland integriert, weil sie sich nur dann in Institutionen wie Parteien und Verbänden engagieren und damit als Lobbyistin für die Türkei fungieren kann. Eine schlecht integrierte Community hingegen könnte sich nach dieser Auffassung negativ auswirken, zum einen, weil sie sich nicht politisch engagiert, zum anderen, weil sie ein schlechtes Türkeibild bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft erzeugt.

Candida Splett Welchen Stellenwert hat die Religion dabei?

Candida Splett Wie sind in diesem Zusammenhang etwa Mahnungen des ehemaligen türkischen Premiers und jetzigen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan an Türkeistämmige in Deutschland zu verstehen, sich nicht zu assimilieren?

Candida Splett Wie viele Türkeistämmige in Deutschland fühlen sich denn von dieser Rhetorik angesprochen?

Yaşar Aydın Mit Assimilation meint Erdoğan eine vollständige Übernahme der deutschen bzw. im Umkehrschluss eine Aufgabe der türkischen Identität. Dahinter steht der Gedanke, dass nur diejenigen, die sich kulturell mit der Türkei verbunden fühlen, auch in ihrem Interesse handeln können. Es geht also zum einen darum, gut integriert zu sein, zum anderen aber auch um den Erhalt der türkischen Kultur.

Dr. Yaşar Aydın Für Erdoğan und für die türkischen Konservativen insgesamt ist die Religion sehr wichtig und eine der wichtigsten Komponenten der türkischen Identität. Auch für eine Mehrheit der türkischen Bevölkerung ist ein Türke, der nicht Muslim ist, kaum vorstellbar. Entsprechend spielt die Religion eine große Rolle in der konservativen Rhetorik, die auch gegenüber der Diaspora verwendet wird.

Yaşar Aydın Eine Mehrheit der Türkeistämmigen von etwa 60 Prozent teilt die konservative Sozialmoral Erdoğans und fühlt sich durchaus angesprochen. Aber die verbleibenden rund vierzig Prozent, die säkular orientierten, religiös gemäßigten Aleviten oder Kurden, können damit nichts anfangen.

Dr. Yaşar Aydın war bis Ende September 2014 Mercator-IPC-Fellow in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen. Er ist Lehrbeauftragter an der HafenCity Universität Hamburg. In der DTF-Reihe „BAKIŞ – Die Türkei im europäischen Dialog“ widmen sich Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan und Prof. Dr. Kerem Öktem am 16. Oktober 2015 im Stuttgarter Literaturhaus dem Thema „Die neue Diasporapolitik der Türkei und ihre Bürger in Deutschland“. Dr. Yaşar Aydın, Eylül 2014'e kadar AB Dış İlişkiler Araştırma Bölümü Mercator IPC üyesiydi. Yaşar, HafenCity Hamburg Üniversitesi öğretim görevlisidir. 16 Ekim 2015'te, DTF'in „BAKIŞ – Türkiye Avrupa ile diyalogda“ adlı etkinlik dizisinde Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan ve Prof. Dr. Kerem Öktem Stuttgar Edebiyat Evi'nde „Türkiye'nin yeni diaspora siyaseti ve Almanya'daki vatandaşları“ adlı konuyu işleyecekler.

Candida Splett Wie konkret sieht denn der Kontakt der Türkei mit der Diaspora aus?

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Gesellschaft

„MIT DER ZEIT IST DIE POLITIK EXKLUSIVER GEWORDEN.“ „POLİTİKA DAHA KENDİNE ÖZGÜ BİR HALE GELDİ.“ Yaşar Aydın In der Türkei gibt es das Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften, das regelmäßig Diasporaverbände einlädt. Am Anfang war das noch inklusiver, da wurden auch kurdische oder alevitische Verbände eingeladen. Mit der Zeit ist die Politik exklusiver geworden, kritische Verbände fühlen sich nicht mehr erwünscht. Hinzu kommt, dass viele Verbände nach der Protestwelle in der Türkei im letzten Jahr von sich aus das Interesse an den Diasporaaktivitäten verloren haben. Candida Splett Die Verbände ziehen sich also zurück? Yaşar Aydın Viele Verbände tun das. Das trifft auf säkulare Organisationen wie die Türkische Gemeinde zu, die kritisiert, dass die Türkei nicht transparent macht, welche Ziele sie konkret mit ihrer Diasporapolitik verfolgt. Sie hält auch den Begriff der Diaspora für unglücklich, weil er nach Fernsteuerung durch die Türkei klingt. Aber auch im konservativen Lager ist eine Distanzierung von den Diasporaaktivitäten zu beobachten, etwa bei der Millî Görüş, die um ihre Autonomie fürchtet. Die alevitischen Verbände wiederum bleiben den Diasporatreffen fern, weil dort keine Kritik erwünscht und damit auch kein Dialog möglich

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ist. Tatsächlich bewegt sich die Kommunikation der Türkei mit der Diaspora auf einer Einbahnstraße. Die Interessen der türkischen Verbände in Deutschland werden kaum berücksichtigt. Candida Splett Welche Chancen bietet die Diasporapolitik aus deutscher Sicht? Yaşar Aydın Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass die Türkei mit fünf Millionen Türkeistämmigen, die außerhalb ihres Landes leben, eine Diasporapolitik betreibt. Und prinzipiell könnte eine solche Diasporapolitik auch dazu beitragen, dass die türkische Community eine Brückenfunktion zwischen deutscher und türkischer Gesellschaft einnehmen kann. Eine große Chance sehe ich darin, dass Vertreter der türkischen Regierung, wann immer sie Reden in Deutschland halten, an die türkeistämmige Bevölkerung appellieren, sich zu integrieren, Bildungschancen zu nutzen, für ihren sozialen Aufstieg zu sorgen und sich politisch zu engagieren. Dies zu tun, erfordert eine Öffnung für Werte wie Demokratie, Pluralität und Rechtsstaatlichkeit und trägt zur Integration bei. Candida Splett Offenbar wird aber die Türkei in dieser Sache nur noch von wenigen Türkischstämmigen gehört.

Candida Splett Dinin burada nasıl bir etkisi var? Yaşar Aydın Erdoğan ve Türk muhafazakarlar için dinin önemi büyüktür ve din, Türk kimliğinin önemli bir bileşenidir. Türk nüfusunun çoğunluğu için de, Müslüman olmayan bir Türk'ü hayal etmek zordur. Buna göre, din, diasporaya karşı da kullanılan muhafazakar retorikte önemli bir rol oynar. Candida Splett Almanya'da yaşayan kaç Türkiye kökenli bu retorikten etkileniyor? Yaşar Aydın Yaklaşık yüzde 60'lık bir oranla Türkiye kökenlilerin çoğunluğu, Erdoğan'ın muhafazakar toplumsal ahlakına kendini yakın hissediyor, dolayısıyla ondan etkileniyor. Ama geri kalan laik yönelimli, ödaha az muhafazakar olan alevi ya da kürtlerden oluşan yüzde kırklık bir kesim, bundan hiç etkilenmiyor. Candida Splett Türkiye'nin diasporayla irtibatı tam olarak nasıl gerçekleşiyor?

Yaşar Aydın Türkiye'de, yurtdışındaki Türkleri ve Akraba Toplulukları'nı düzenli olarak davet eden bir Bakanlık bulunmaktadır. Başta daha kapsamlıydı. Bu toplantılara kürt veya alevi toplulukları da davet ediliyordu. Zamanla, buradaki politika daha kendine özgü bir hale geldi. Kürtler kendilerinin artık istenmediklerini fark ettiler. Ayrıca, birçok kuruluş, geçen yıl Türkiye'de gerçekleşen protesto dalgasının ardından diaspora faaliyetlerine ilgisini kaybetti. Candida Splett Yani kuruluşlar kendilerini geri mi çekiyorlar? Yaşar Aydın Birçok kuruluş bunu yapıyor. Bu mesela, Türkiye'nin diaspora politikaları ile hangi hedefi takip ettiklerini açıkça ortaya koymadıkları gerekçesiyle eleştiren Türk Toplumu gibi laik örgütler için geçerlidir. Onlar, diaspora kavramını da çok talihsiz olarak görüyorlar, çünkü bu, kulağa Türkiye'den uzaktan kumandayla yönetilme gibi geliyor. Ama özerkliklerinden endişhelenen Milli Görüş gibi muhafazakar kesimlerde de diaspora faaliyetlerinden bir uzaklaşma gözlemlenmektedir. Orada eleştiriye yer verilmediği, dolayısıyla diyaloğun mümkün olmadığı için alevi dernekleri de diaspora toplantılarından uzak duruyorlar. Gerçekten de

Yaşar Aydın In der Tat. Das Problem ist die schlechte Umsetzung der Diasporapolitik, die mit ihrer konservativen und zum Teil sehr überzogenen Rhetorik und der nicht vorhandenen Dialogbereitschaft zur Ablehnung in der türkischen Community führt. Und auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erzeugt sie zunehmend eine ablehnende Haltung gegenüber der Türkei. Die Zustimmungsraten zu einem türkischen EU-Beitritt oder einer doppelten Staatsbürgerschaft sinken. Candida Splett Wo sehen Sie Handlungsbedarf für die deutsche Außenpolitik? Yaşar Aydın Deutschland sollte in Gesprächen mit der türkischen Regierung deutlich machen, dass es nun darauf ankommt, die Vielfalt und Autonomie der türkischen Diaspora und Verbände in Deutschland zu respektieren und den Dialog zuzulassen. Gleichzeitig sollte aber auch deutlich gemacht werden, dass Deutschland es anerkennt, dass ein Großteil der Türkischstämmigen in Deutschland seine Beziehungen zur Türkei aufrechterhalten möchte. Eine binationale Identität sollte ausdrücklich wertgeschätzt werden. n

Türkiye'nin diasporayla iletişimi tek yönlü gerçekleşmektedir. Almanya'daki Türk derneklerinin çıkarları neredeyse hiç dikkate alınmamaktadır. Candida Splett Alman perspektifinden diaspora politikasının ne gibi getirileri var? Yaşar Aydın Temelde, beş milyon Türkiye kökenli vatandaşın kendi ülkesi dışında yaşamasından dolayı, Türkiye'nin bir diaspora politikası yürütmesi anlaşılabilir bir durum. Aslında böyle bir diaspora politikası, Türk toplumuna, Almanlar ve Türkler arasında bir köprü vazifesi görmesi durumunda faydalı olabilir. Türk hükümetinin temsilcilerinin, Almanya'da yaşayan Türk toplumuna, entegre olmaları, sosyal anlamda ilerlemelerini sağlamaları, sunulan eğitim fırsatlarını kullanmaları, siyasi açıdan aktif olmaları yönündeki her seslenişini büyük bir fırsat olarak görüyorum. Bunu yapmak için, demokrasi, çoğulculuk ve hukukun üstünlüğü gibi değerlerin açılımının entegrasyonuna da katkısı olur.

Candida Splett Görünüşe göre, bu konuda Türkiye, az sayıda birkaç Türkiye kökenli tarafından dikkate alınıyor. Yaşar Aydın Doğru. Sorun, muhafazakar ve bazen de çok abartılı söylemleriyle ve diyaloğa açık olmayan duruşlarıyla, dolayısıyla diaspora politikalarını kötü uygulamalarıyla, Türk toplumu tarafından reddedilmelerine yol açıyor. Ve aynı zamanda Alman toplumunda da giderek Türkiye'ye karşı olumsuz bir tutum oluşmasına meydan veriyor. Türkiye'nin AB üyeliğine ya da çifte vatandaşlığa onay oranları gitgide düşmektedir. Candida Splett Alman dış politikasının sizce bu konuda nerede harekete geçmesi gerekmektedir? Yaşar Aydın Almanya, Türk hükümeti ile görüşmelerinde Almanya, Türkiye'nin, Almanya'daki Türk diasporasının ve derneklerin çeşitliliğine ve özerkliğine saygı duyması ve diyaloğu sağlaması gerektiğini netleştirmesi gerektiğinin altını çizmelidir. Ayrıca, Almanya burada yaşayan Türkler'in çpğunluğunun Türkiye ile olam ilişkilerini sürdürmek istediğini kabul ettiklerini açık bir şekilde ifade ediyor. İki uluslu bir kimliğin değeri bilinmeli. n

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Wirtschaft

NETZWERKE DER DEUTSCH-TÜRKISCHEN WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN

Ein Interview mit Tarkan Şöhret und Matthias Schwarz vom Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialog

wirbiz Sie sind die Initiatoren des Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialogs (DTW). Worin sehen Sie dieHauptaufgabe dieser Organisation? Tarkan Şöhret Wir verstehen uns als Wirtschaftsbrücke zwischen den beiden Communities. Durch unsere breit gefächerten Kontakte bieten wir z.B. den Deutschen Unternehmen den direkten Zugang in die türkische Community und umgekehrt. Hier gibt es große Potenziale, die besser genutzt werden müssen. Matthias Schwarz Die DTW ist eine Empfehlungsplattform, die als Ratgeber und Ansprechpartner rund um die Deutsch-Türkische Community fungiert. Wir werden uns auch für wohltätige Organisationen einsetzen und soziale Projekte unterstützen. wirbiz Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Ein deutsches Industrieunternehmen sucht Abnehmer für seine Produkte in der Türkei – können Sie hier unterstützen? Und wenn ja, auf welche Weise?

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Tarkan Şöhret Durch unsere DTW-Filiale in der zweitgrößten türkischen Stadt in Izmir, haben wir sehr gute Kontakte vor Ort. Wir kennen uns im türkischen Markt bestens aus. Somit können wir durch unser Netzwerk die richtigen und vor allem zielführenden Kontakte in der Türkei herstellen. wirbiz Was verspricht sich hiervon der DTW? Matthias Schwarz Wir wollen unseren Mitgliedern einen Mehrwert bieten und das Bindeglied zwischen den Deutsch-Türkischen Medien und der Politik werden. wirbiz Was ist Ihrer Meinung nach der größte Vorteil für deutsche Unternehmen, sich in der Türkei wirtschaftlich zu engagieren, z.B. um dort einen Produktionsbetrieb zu gründen? Tarkan Şöhret Viele große deutsche Unternehmen haben es schon erfolgreich vorgemacht und sind schon lange in der Türkei präsent. Wir wollen durch unser Netzwerk auch den kleineren Unternehmen die Möglichkeit geben, sich in neuen Märkten zu etablieren und zusätzliche Umsatzpotenziale zu nutzen. Das trägt dann gleichzeitig auch zur

Arbeitsplatzsicherung in unserer Region bei. wirbiz Was spricht dafür, dass sich türkische Unternehmen besonders in Deutschland aktiv betätigen? Tarkan Şöhret Die türkischen Unternehmen haben sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt und sind finanziell stabil. Diese Unternehmen wollen in den Wirtschaftsstandort Stuttgart und Umgebung investieren. Wir haben schon einige Anfragen und wollen hier als Ratgeber zur Verfügung stehen. wirbiz Diese Organisation „DTW“ wurde erst Anfang des Jahres von Ihnen und anderen Gleichgesinnten gegründet – warum gerade zum jetzigen Zeitpunkt, gibt es hierfür einen besonderen Grund? Matthias Schwarz Seit vielen Jahren arbeiten die beiden Communities schon erfolgreich zusammen. Jetzt war es uns wichtig, diese Verbindungen noch professioneller zu organisieren und zu fördern. Aus diesem Grund war solch eine Organisation unserer Meinung nach schon längst überfällig.

wirbiz Was bewegt Sie dazu, sich federführend im und für den Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialog einzusetzen – worin liegt für Sie persönlich der Anreiz hierzu? Matthias Schwarz Wir möchten den Wirtschaftsstandort Stuttgart stärken und intensive Verbindungen in die Türkei schaffen. Solch ein Projekt gab es in unserer Region bisher noch nicht, somit ist es für uns auch eine neue Herausforderung diesen Weg zu gehen. wirbiz Auf der Homepage ist unter anderem ein Verweis auf die Türkische Gemeinde BadenWürttemberg zu lesen – welche Verbindung besteht zwischen dem DTW und der TGBW ? Tarkan Şöhret Die Türkische Gemeinde ist einer unserer Verbandspartner. Wir stehen der TGBW als Ansprechpartner zu Wirtschaftsthemen zur Verfügung. Der Dialog zwischen dem einflussreichsten türkischen Verband TGBW und uns wird die Partizipation der Türkeistämmigen neben dem sozialen Bereich auch den wirtschaftlichen Bereich qualitativ erhöhen.

wirbiz Sie haben doch sicherlich ganz konkrete Visionen und Ziele, die Sie in Ihrer Funktion beim Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialog verwirklichen möchten – verraten Sie uns diese? Tarkan Şöhret Eines unserer Highlights ist das DTW-Magazin. Als erste Deutsch-Türkische Organisation werden wir in einer deutschen Tageszeitung unser eigenes Medium haben. Hier

werden wir interessante Projekte und Unternehmen vorstellen. Gleichzeitig über Erfolgstories berichten und Informationen zu Kultur, Bildung und Wirtschaftsthemen veröffentlichen. wirbiz Herr Söhret, Sie sind selbstständiger Unternehmer, Mitglied im Vorstand der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg, Initiator des Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialogs – und haben dabei noch eine Familie. Wie bringen Sie das alles „unter einen Hut“?

Tarkan Şöhret Das ist zwar nicht immer ganz einfach, aber mir ist es sehr wichtig, ausreichend Zeit für meine Familie zu haben und an Wochenenden möglichst wenig ins Büro zu gehen. Ich sehe es aber für uns Unternehmer auch als eine Verpflichtung an, uns für die Belange der Gesellschaft einzusetzen und etwas zurückzugeben.

Tarkan Şöhret und Matthias Schwarz vom Deutsch-Türkischen Wirtschaftsdialog

wirbiz Vielen Dank für das Gespräch. n

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Gesellschaft

EINE REISE INS UNGEWISSE – MIGRANTEN FRÜHER UND HEUTE

Ein Bericht von Stefanie Julia Heinrich, HdM

„ES WAR EINE SCHWERE ZEIT, ALS WIR GEKOMMEN SIND.“

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ranka B. beginnt zu erzählen. „Mein Name ist Aranka B. Ich bin 1924 in Budakalász in Ungarn geboren.“ Ihr österreichisch-ungarischer Akzent ist noch zu hören. Im März 1946 gab es nach Kriegsende eine Volksbefragung in Ungarn. Das Gebiet gehörte bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Eltern sind deutsch und geben dies bei der Befragung an. Dadurch wird die Familie ausgewiesen. Die Eltern, die 78-jährige Großmutter, die 22-jährige Aranka und fünf der sechs Geschwister haben 48 Stunden Zeit um das Nötigste zu packen. 50 Kilogramm pro Person dürfen

Aranka B. in ihrem Wohnzimmer

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mitgenommen werden. Der jüngste Bruder Josef ist sechs Jahre alt, die Älteste Schwester Anusch ist bereits verheiratet und darf in Ungarn bleiben. Eine Familie wird auseinander gerissen, die Zukunft ist ungewiss. Ein ganzes Dorf wird ausgewiesen und umgesiedelt. Am Abreisetag finden sich alle Ungarn-Deutschen am Bahnhof ein. Mehrere Familien werden zusammen in Viehwaggons verfrachtet. Aranka sieht die Gitterstäbe noch genau vor Augen. Es ist eng und laut. Die holprige Fahrt beginnt und nach zehn Stunden kommt der Zug zum Stehen. In Berchtesgaden müssen alle aussteigen. Sie wer-

den entlaust. Aranka lacht kurz auf und macht eine Sprechpause. Die Absurdität dieser Behandlung stimmt sie nachdenklich. Die Fahrt geht weiter ins schwäbische Murrhardt. Nochmal sieben Stunden sind die Familien in den Viehwagen unterwegs. Am Ziel angekommen, werden sie zunächst für einige Tage in Turnhallen untergebracht. Schreiende Kleinkinder, zwischen Gepäckstücken schlafen Menschen auf dünnen Matratzen. Aranka B. erzählt, dass sie in der Schule Deutschunterricht hatte, aber nur eine Stunde in der Woche. Mit österreichischem Dialekt habe sie Deutsch gelernt. Das Schwäbisch versteht sie zu-

nächst nicht. Die Familie kommt in einer ehemaligen Baracke unter. Die Eltern, Großmutter und sechs Kinder wohnen in drei engen Räumen. Das Arbeitsamt entscheidet wo sie arbeiten sollen. Der Vater ist Zimmermann und soll in einer Holzfabrik anfangen. Aranka war in Ungarn Weberin und kommt zunächst in einer Holz- und Porzellanfabrik unter. In den ländlichen Regionen herrscht Abneigung gegen die Flüchtlinge. Immer wieder muss sich die Familie auf ihrem Weg zur neuen Bleibe viele Beschimpfungen anhören, Zigeuner wurden sie genannt, erinnert sich Aranka. Doch die Mutter erkennt, es ist wichtig neu anzufangen, mit Ungarisch kommen sie nicht weiter. Sie verbietet den Kindern, die ihnen vertraute ungarische Sprache zu sprechen – auch der ältesten Tochter und deren Mann. Sie sollen im Beisein der Geschwister fortan nur noch Deutsch reden. Zur Verständigung in der Familie, damit die jüngeren Geschwister nicht ausgegrenzt werden und damit die deutschen Nachbarn nicht denken, dass sie etwas Böses sagen. Aranka ist tüchtig, lernt schnell indem sie beobachtet und nachfragt. Sie lernt die Sprache, geht auf die Menschen zu. Sie grüßt höflich über die Gartenzäune auf dem Weg zu ihrer Arbeit. Bei der Arbeit knüpft sie erste Kontakte zu Einheimischen. Bald öffnen

sich diese und es entstehen Gespräche über den Gartenzaun. Aranka erhält Hilfe durch eine ältere Dame, diese macht sie mit verschiedenen Einwohnern des Orts bekannt. Bald entstehen Freundschaften und dadurch lernt sie das Dorf besser kennen. Was sie besonders vermisst? „Das Essen und die Lebens-

mittel.“ In Ungarn wird gerne scharf gegessen. Nach dem Krieg gab es in Deutschland noch keine Paprika zu kaufen. Die Ungarn-Deutschen haben diese mitgebracht und gezüchtet. Heute gehören die gefüllten ungarischen Paprika zur Vielfalt und den kulturellen Einflüssen der Migration. n

Das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. Der Verein DOMID wurde 1990 von vier aus der Türkei stammenden Migranten gegründet. In den vergangenen 25 Jahren wurden mehr als 70.000 Objekte, Dokumente und Interviews gesammelt. Seit Ende April 2015 beginnt der Verein mit der Umsetzung eines zentralen Migrationsmuseum in Deutschland.

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Gesellschaft

Kunst & Kultur

DAS LEBEN IN EINER VIELFÄLTIGEN KULTUR

STIPENDIEN FÜR KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER AUS BADEN-WÜRTTEMBERG

Ein Interview von Stefanie Julia Heinrich mit dem Soziologen Georg Kneer

Ein Bericht von Isabell Ohst, Kulturmanagement – Kunststiftung Baden-Württemberg

Prof. Dr. habil. Georg Kneer studierte von Soziologie, Politikwissenschaften und Neuere Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Dort und am Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle war er zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. 2001 folgte Kneer einem Ruf auf die Professur für Wissenschaftliche Grundlagen der Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd. 2010/11 übernahm er die Lehrstuhlvertretung der Professur für Migrationssoziologie an der Universität Tübingen.

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Stefanie Julia Heinrich Herr Kneer, einer Ihrer Schwerpunkte ist die Migrationssoziologie. Diese forscht nach den Ursachen und Folgen von Wohnortswechseln. Dabei steht auch die Frage nach der Integration im Vordergrund. Wenn man in der Vergangenheit die Migration mit der heute vergleicht, wie gelingt Integration?

und mit einer kulturellen Vervielfältigung und Verfeinerung einhergeht. Das bedeutet, dass die Gesellschaft multikulturell ist, dass sie viele Werte, Normensysteme und Stilrichtungen hat. Beispielsweise in der Musikbranche ist es absolut normal, dass wir mit ganz unterschiedlichen Musikstilen konfrontiert werden.“

Prof. Dr. habil. Georg Kneer „Wir unterscheiden drei Begriffe in der Migrationssoziologie: Assimilation, Integration und Inklusion. Der Assimilationsbegriff setzt voraus, dass Kulturfremde kommen und sich an die Kultur der Aufnahmegesellschaft anpassen müssen, sprich ihre Herkunftskultur auf geben sollen. Das sagt man in der Migrationssoziologie glücklicherweise heute nicht mehr. Aber es gibt da eine Kontroverse zwischen dem Integrations- und Inklusionsbegriff.“

Stefanie Julia Heinrich In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Ausschreitungen gegen Flüchtlingsheime, wieso reagieren so viele Menschen mit Vorurteilen?

Stefanie Julia Heinrich Worin liegt dann hier der Unterschied? Prof. Dr. habil. Georg Kneer „Integration meint eine Verschmelzung unterschiedlicher kultureller Dinge. Migranten als auch Personen, die bereits dort leben, sollen kulturelle Dinge einbringen und sich verändern. Der Inklusionsbegriff sagt, dass Migration für alle Beteiligten mit einem kulturellen Wandel

Prof. Dr. habil. Georg Kneer „In der Migrationsdebatte läuft vieles falsch. Migranten werden danach geprüft, ob sie kulturell entsprechend aufnahmefähig sind. Man verweist auf kulturelle Konflikte und meint daraus resultieren die Schwierigkeiten. Aber sie bringen eine ganze Menge Dinge mit und tragen damit hier zu einer Bereicherung bei. Meine Oma hörte andere Musik, mein Vater zog sich anders an, mein Nachbar schneidet sich anders die Haare... wir leben in einer vielfältigen Kultur. In der Regel nehmen wir das nicht als Problem wahr. Dass wir es bei den Migranten dann doch als Problem wahrnehmen, scheint mir eher damit zusammen zu hängen, dass hier Ängs-

te um Arbeitsplätze und soziale Absicherung damit verbunden sind. Kultur ist also nur ein vorgeschobenes Argument, eigentlich geht es um andere Dinge.“ Stefanie Julia Heinrich Was ist von beiden Seiten für eine erfolgreiche Integration nötig? Prof. Dr. habil. Georg Kneer „Die Migranten, die in den 40er Jahren, nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zwangsumgesiedelt worden sind, konnten sich schneller beteiligen. Sie trugen zum Wiederaufbau Deutschlands maßgeblich bei. Man sollte sich aber auch da nichts vormachen. Die strukturelle Integration in den Arbeitsmarkt, zog nicht unbedingt gleich auch nachbarschaftliche Integration nach sich. Ich kenne Personen, die fühlen sich noch 60 Jahre nach der Einwanderung nicht zu Hause in diesem Land. Weil ihnen bestimmte Beteiligungen, Kontakte und soziale Kommunikationsformen nach wie vor fehlen. Sie fühlen sich gewissermaßen als außenstehende Beobachter. Für die gegenwärtige Situation wäre wichtig, dass der bundesdeutsche Staat durch eine Vielzahl sozialpolitischer Maßnahmen die strukturelle Eingliederung der Neuankömmlinge erleichtert. Der Blick allein auf kulturelle Unterschiede blendet vieles aus.“ n

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ie Kunststiftung BadenWürttemberg ist eine der bedeutendsten Institutionen zur Förderung der jungen experimentellen Kunstszene im Land. Sie wurde 1977 durch die Initiative von Abgeordneten aller im Landtag vertretenen Parteien gegründet. Seitdem konnten bereits über 900 besonders begabte, im Land lebende Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturschaffende gefördert werden. Es werden Stipendien in den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Literatur, Kunstkritik und Kulturmanagement vergeben. Somit wird den Stipendiaten ein professionelles Arbeiten zu Beginn ihrer Karriere ermöglicht. Mit der Herausgabe von Publikationen und der Orga-

nisation von Veranstaltungen stellt sie ihre Preisträgerinnen und Preisträger einer größeren Öffentlichkeit vor. In Zukunft wird es immer wichtiger auch junge Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern. Durch die Erweiterung der Bewerberkriterien der Kunststiftung Baden-Württemberg können sich nun auch junge Kunstschaffende bewerben, die einen für ihr künstlerisches Schaffen wichtigen Teil in Baden-Württemberg verbracht haben, also z.B. hier studiert haben.

Stipendiat Emil Kuyumcuyan

Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr Emil Kuyumcuyan (Stipendiat für Musik) und Fatma Aydemir (Stipendiatin Literatur) als türkischstämmige Stipendiaten fördern zu können. n

Weitere Informatonen zu den Stipendien: Kunststiftung Baden-Württemberg Gerokstraße 37 70184 Stuttgart www.kunststiftung.de

Die Stipendiaten bei der Stipendienverleihung im März 2015.

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Gesellschaft

VONEINANDER LERNEN

Ein Bericht von Leonie Seidel vom bhz Stuttgart e.V.

Interkultureller Austausch in der Behindertenhilfe

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as bhz Stuttgart e.V. ist ein diakonischer Träger der Behindertenhilfe, in der ca. 400 Menschen mit unterschiedlicher Behinderung beschäftigt, gefördert und betreut werden. Ein wichtiger Leitsatz in der Arbeit des bhz ist, dass jeder Mensch, ob mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne Migrationshintergrund, genau so geschaffen und gewollt ist und jedem Menschen der Respekt vor der Einmaligkeit gebührt. Um diesen Satz vollständig leben zu können, ist ein Verständnis für die unterschiedlichen Kulturen erforderlich. Das bhz möchte Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund als zuverlässiger, offener, kenntnisreicher und qualifizierter Partner zur Seite stehen. Aus diesem Grund rief das bhz Stuttgart das Projekt „Türkische Kultur und das bhz Stuttgart“ unter der Patenschaft von Ministerin Öney im Jahr 2011 ins Leben. Für die Dauer des Projektes wurde der Fokus auf die türkische Kultur gelegt, da diese die größte Gruppe im bhz ist.

Beschäftigte des bhz Stuttgart e.V. bei der Urlaubsreise nach Kaş im Mai 2015

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Ziel des Projekts war die Situation der Menschen mit Behinderung mit türkischem Migrationshintergrund im bhz darzustellen und bei Bedarf zu verbessern. Außerdem sollte der deutsch-türkische Dialog gefördert werden. Um diese Ziele erreichen zu können, wurden Menschen mit Behinderung mit türkischem Migrationshintergrund zunächst in Interviews befragt. Dadurch konnte herausgefunden werden, wie es den Menschen hier im bhz geht. Fühlen sie sich in ihrer Kultur wertgeschätzt? Haben sie Wünsche um das Verständnis füreinander noch mehr stärken zu können? Fragen wie diese konnten anhand des Interviewbogens beantwortet werden. Nach einer Startphase wurden dann auch konkrete Schritte durchgeführt, um die deutsche

und die türkische Kultur etwas näher zusammenzuführen. So wurde beispielsweise der Speiseplan angepasst indem er durch die visuelle Kenntlichmachung ergänzt wurde, beispielsweise ein Schwein als Symbol für Schweinefleischgerichte. Aber auch der Prospekt über das bhz wurde ins Türkische übersetzt und es fand ein gemeinsamer Besuch in einer Moschee statt. Durch das Projekt konnten viele neue Kontakte hergestellt und Netzwerke geknüpft werden. So waren beispielsweise die Integrationsministerin Öney und der damalige türkische Generalkonsul Ari im bhz zu Gast. Aber auch Kontakte zur Abteilung Integration der Stadt Stuttgart mit Frau Ayşe Özbabacan, konnten aufgebaut und bis heute aufrecht gehalten werden. Es entstanden aber auch besondere Kontakte zur Behindertenhilfe in der Türkei. So wurde das

bhz von einer türkischen Delegation der Dreams Academy besucht. Die Dreams Academy ist in der Türkei ein Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Für alle Beteiligten war es sehr interessant Parallelen und Unterschiede in der Arbeit mit behinderten Menschen in verschiedenen Kulturen kennenzulernen und somit interkulturelles Wissen zu erlangen. Dieser Kontakt konnte auch weiterhin ausgebaut werden und es fand bereits ein zweiter Besuch statt. Auch das bhz war in der Zwischenzeit in der Türkei und machte mit einigen Menschen mit Behinderung Urlaub in dem Camp der Dreams Academy in Kaş. Es war eine tolle Reise, gerade für die Menschen mit Behinderung – sie konnten schwimmen, reiten, am Strand spazieren gehen und sogar eine türkische Hochzeit miterleben.

Finanziell ermöglicht wurde die Reise durch den Rotary Club Stuttgart-Rosenstein und den Rotary Club Istanbul.

Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und unterschiedlichem Migrationshintergrund wohnen und arbeiten im bhz Stuttgart e.V.

Und nicht nur durch die Reise und die weiterhin fortbestehenden Kontakte konnte das Projekt weiterhin nachwirken – das bhz hatte auch mit dem Ende des Projekts eine Mitarbeiterin zur Migrationsbeauftragten berufen. Diese Mitarbeiterin ist Ansprechpartnerin wenn es um interkulturelle Fragestellungen und auch mögliche Probleme geht. Mit dem Projekt und den daraus resultierenden Kontakten, konnte eine kulturelle Öffnung stattfinden, welche eine Bereicherung für alle Beteiligten darstellt. Wir lernen voneinander, von unseren Stärken und unseren Erfahrungen. n

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Gesellschaft

DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN!

Ein Bericht von Kim Lucia Ruoff, HdM

„KEINE ABSICHT ODER FEHLENDES SACHWISSEN?“

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ibt es einen Unterschied zwischen türkisch oder türkeistämmig? Sagt man Zuwanderer oder Einwanderer? Pauschale Zuschreibungen zeichnen Bilder in den Medien, die oftmals falsch sind. Die Neuen deutschen Medienmacher setzen sich für eine differenzierte Berichterstattung ein. Durch Formulierungshilfen von Journalisten für Journalisten. Der „Türke Serdar B.“ – Eine Zeile wie man sie in deutschen Zeitungen oft lesen kann. Doch etwas daran ist falsch. Der „Türke Serdar B.“ ist eigentlich gar kein Türke. In Deutschland geboren, aufgewachsen und heimisch, besitzt er einen deutschen Pass. In Redaktionen fällt daraufhin häufig der Satz: „Das war ja nicht so gemeint“. Keine Absicht oder fehlendes Sachwissen? Das Handwerkszeug der Journalisten, die Sprache, wird teilweise noch zu wenig als solches betrachtet. Differenzierung und eine treffende Wortwahl stellen für die Neuen deutschen Medienmacher (NdM) allerdings das Fundament für eine qualitativ hochwertige Berichterstattung. Mit ihrem Glossar „Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland“ wollen sie mehr Bewusstsein für Sprachbilder schaffen. Unterteilt in die The-

menbereiche Migration, Islam, Asyl, Kriminalitätsberichterstattung und „Wer sind wir – wer sind die anderen“ werden die korrekten wissenschaftlichen Bedeutungen verschiedener Begriffe aufgeführt.

sung von Straftaten genutzt, die von vermeintlichen „Ausländern“ begangen wurden. Ein Beispiel aus der „Nordwestzeitung“ liest sich bezeichnend als Beispiel für fehlende Hinterfragung von Relevanz.

„Fremdenfeindlichkeit“ ist dabei beispielsweise kein freundlicheres Wort für Rassismus. Es beschreibt etwas grundlegend anderes. Wenn ein Schweizer Bürger von einem Deutschen beschimpft wird, einfach weil er Ausländer ist, nämlich Schweizer, dann handelt es sich um Ausländerfeindlichkeit. Wenn hingegen schwarze Deutsche aufgrund ihrer Hautfarbe von weißen Deutschen beleidigt werden, handelt es sich um Rassismus. Eine deutlicher Unterschied, der in vielen Redaktionen allerdings noch als kleinkarierte Erbsenzählerei abgetan wird. Die Bezeichnung „Fremdenfeindlichkeit“ macht die Betroffenen dagegen erst zu Fremden im eigenen Land. Dabei wird die Sicht des Täters widergegeben, anstatt seine Tat richtig einzuordnen. Vor allem in der Kriminalitätsberichterstattung werden häufig noch Vorurteile und Stereotypen bedient. Die „Ausländerkriminalität“ wird häufig als Zusammenfas-

Zwei Straftaten, verhandelt am selben Tag am selben Gericht, werden von der Redaktion zusammengefasst: »Im ersten Fall war ein 40-jähriger Türke der versuchten räuberischen Erpressung für schuldig befunden worden. […] In der zweiten Verhandlung war ein 50-jähriger Delmenhorster der räuberischen Erpressung angeklagt« (»50-Jähriger bedroht Einzelhändler mit Flaschenhals. Schöffengericht verhandelt zwei Fälle von räuberischer Erpressung« 2012). Beide Männer kommen aus Delmenhorst. Trotzdem wird der 40-Jährige als Türke bezeichnet, ohne dass es einen nennenswerten Grund für die Benennung der Herkunft gibt. Die Aufmerksamkeit wird allerdings zwangsläufig auf die Nationalität gelenkt. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als spiele sie eine Rolle zur Nachvollziehbarkeit der Tat. Neben diesen Hinweisen auf fragwürdige Begrifflichkeiten liefert das Netzwerk von Medienmachern auch neue Formu-

lierungen. „Turco-Deutsch“ statt „Deutsch-Türke“ oder „Greco-Deutsch“ als Alternative für „Deutsch-Griechen“. Für eine Zuhörerin bei der Vorstellung der Initiative in Stuttgart zu viel. „Ehrlich gesagt kann ich mich mit diesen Begriffen überhaupt nicht identifizieren. Ich würde mich selbst nie so bezeichnen.“

Ihrer Meinung nach führen die neuen Termini dazu, dass unterschiedlich Rollen zementiert würden. Das noch mehr Kategorien entstünden, wo eigentlich keine sein sollten. Konstantina Vassiolou-Enz, Geschäftsführerin der NdM stimmt ihr bei dieser Problematik zu.

„Natürlich wäre es uns lieber, wenn man unsere Initiative so gar nicht benötigen würde, aber solange es diese Unterschiede in unserer Gesellschaft noch gibt, sollten wir wenigstens dafür sorgen, dass wir Bezeichnungen selbst lenken können und dadurch keine Vorurteile oder Stereotypen entwickelt wer-

den.“ Dabei solle es keinesfalls um „political correctness“, Gutmenschentum oder Vorschriften gehen. Das Ziel sei es, qualitativ gute Berichterstattung zu fördern. Dazu gehöre, Relevanz zu hinterfragen und differenziert zu berichten. n

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Kunst & Kultur

DIE EINE CHANCE NUTZEN

Ein Bericht von Kerim Arpad

Im Olympiastützpunkt Stuttgart trainieren die Athleten für Olympia 2016 – und das durchaus international.

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und 350 Athleten bereiten sich im Schatten der Mercedes-Benz Arena in Stuttgart-Bad Cannstatt auf die nächsten Olympischen Spiele in Rio de Janeiro vor. Bis zu 45 Stunden in der Woche befinden sich die Athleten im Training. Der Olympiastützpunkt (OSP) Stuttgart ist einer von bundesweit 19 Betreuungs- und Serviceeinrichtungen für Bundeskaderathleten sowie deren Trainer. Die Hauptaufgabe der Olympiastützpunkte liegt in der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen sportmedizinischen und physiotherapeutischen Betreuung der Spitzensportler. Zudem erhalten sie dort bewegungswissenschaftliche und soziale Unterstützung sowie Beratung in psychologischen und ernährungswissenschaftlichen Themen. Thomas Grimminger leitet den Stuttgarter Olympiastützpunkt seit 2009. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern und den Trainern sorgt er für optimale Lebensund Trainingsbedingungen für die Sportler. Die bestmögliche

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Vorbereitung auf Wettkämpfe ist wichtig, denn die Athleten haben in ihrer Karriere nur ein enges Zeitfenster. „Oft haben sie nur eine Chance, um sich bei großen Wettbewerben zu beweisen“, so Thomas Grimminger. Der OSP Stuttgart geht auch in Sachen Trainingsstättenbau und internationaler Zusammenarbeit völlig neue Wege. Seit 2013 ist „Gloria Hotels & Resorts“ offizieller Partner des Olympiastützpunkts Stuttgart. Aus dieser Kooperation heraus entstand die „Gloria Sports Arena“, ein moderner Sportkomplex im türkischen Belek, der im Dezember 2014 eröffnet wurde. Bei der Planung und Umsetzung der verschiedenen Trainingsstätten unterstützten die Fachleute des OSP mit ihrem Know-how. „Gemeinsam mit den Verantwortlichen vor Ort konnten wir Qualitätsstandards setzen und damit optimale Bedingungen für unsere Sportler schaffen“, so Grimminger. Über 40 Sportarten können im 6.200 Quadratmeter großen Indoor-Bereich und im angeschlossenen Leichtathletikstadion und im olympischen Freibecken ausgeübt werden. Die 5-Sterne Hotelanlage verfügt über 100 Zimmer, ein Physio-Zentrum für Prävention, Erholung und Rehabilitation sowie sportwissenschaftliche Betreuung für Profi- und Amateursportler. Auch die Sportler aus Stuttgart können dort ganz-

jährig trainieren und profitieren von vertrauten Trainingsgeräten und Begegnungen mit Topathleten aus aller Welt. Die deutschen Bundeskader werden immer internationaler. Durch die Einwanderung nach Deutschland seit den 1960er Jahren und die Öffnung der Staaten Osteuropas erweitern sich auch die Herkünfte der Spitzensportler. Für Thomas Grimminger stellt dies eine große Bereicherung dar. Viele Sportler aus Migrantenfamilien sind inzwischen in Deutschland geboren. Die Herkunft ihrer Eltern prägt teils die Sportarten, so findet man in den Kampfsportarten viele Sportler mit asiatischen Wurzeln und in der Gymnastik russischstämmige Athleten. Da die Trainerausbildung in Deutschland kaum gefragt und auch nur wenig anerkannt ist, finden auch immer mehr Trainer aus dem Ausland ihren Weg nach Stuttgart. Das Team des OSP setzt sich zusammen aus Trainern aus Ungarn, den USA, Rumänien, den Staaten der Russischen Föderation und vielen anderen Ländern. Ein glänzendes Beispiel für diese Entwicklung ist die Sportlerin Rana Tokmak. Sie ist seit März 2014 Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft der

Rana Tokmak trainiert momentan mit der Nationalmannschaft-Gruppe am Bundesstützpunkt in Fellbach.

Rhythmischen Sportgymnastik. Die 19-Jährige hat gerade ihr Abitur in einem Gymnasium in Fellbach-Schmieden bestanden und trainiert seit 2013 am OSP Stuttgart. Zur Rhythmischen Sportgymnastik kam Tokmak, die 1996 als Kind türkischer Eltern in Castrop-Rauxel geboren wurde und in ihrer Kindheit Ballett lernte, durch einen Zufall. Als ihre Mutter Ranas Bruder zum Leichtathletiktraining anmelden wollte, landeten sie irrtümlicherweise in der Gymnastikhalle. Der dortigen Trainerin stieß Rana sofort ins Auge. Sie war von dem jungen Talent begeistert, die durch das Ballett schon Figuren wie Spagat und Seitstand beherrschte, und lud sie zum Training ein. Nach dem Willen der Mutter war eigentlich neben Ballett- und Klavierunterricht keine Zeit mehr für die Gymnastik, doch als Rana dann die roten Bälle und Bänder durch die Luft fliegen sah, stand die Entscheidung fest: „Ich will das hier machen“, schrie sie damals lauthals durch die Halle. „Ich verliebte ich mich in diese Sportart“, so Tokmak heute. „Die Rhythmische Sportgymnastik ist eine Sportart mit sehr vielen Kunstelementen. Sie enthält Musik, Choreographie, Tanz,

Akrobatik, Mimik. Keine andere Sportart beinhaltet so viele künstlerische Aspekte.“ Seit ihrem siebten Lebensjahr ist Rana Tokmak aktive Gymnastin, sie wurde neun Mal deutsche Meisterin bei den Junioren. Das Training am OSP schätzt sie sehr. „Es ist sehr professionell organisiert. Uns stehen Psychologen, Physiotherapeuten und Betreuer zur Seite. Wir arbeiten mit den besten Trainern

und Ballettmeistern zusammen. Schule und Sport werden von der OSP sehr gut koordiniert“, betont Tokmak. Da viele der jungen Athleten noch schulpflichtig sind und neben ihrer sportlichen Karriere auch die Ausbildung nicht versäumen sollen, ist an den OSP auch ein Internat angeschlossen und man kooperiert mit Sporteliteschulen, die den Schülern Zeiträume für das tägliche Training einrichten, sie bei Wettkämpfen freistellen und bei Bedarf auch

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Kunst & Kultur

DIE NÄCHSTEN VERANSTALTUNGEN DES DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUMS STUTTGART

„UNSERE EMOTIONEN VERBINDEN UNS.“

Rana Tokmak ist Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft der Rhythmischen Sportgymnastik.

mal Klausuren im Trainingslager oder bei Turnieren ermöglichen. Überhaupt ist das Leben der jungen Sportler nicht gerade komfortabel. „Als Spitzensportler hat man ein durchgeplantes, ja sogar überwachtes Leben“, stellt Thomas Grimminger fest. Trainingszyklen, Wettbewerbe und persönliche Meilensteine sind teilweise Jahre im Voraus geplant. Aufgrund der ständig möglichen Kontrollen der Anti-Doping-Kommission müssen die Sportler Tagesabläufe verbindlich einhalten, es gibt tägliche Präsenzzeiten und nur wenig Privatsphäre. Seitdem sie das Gymnasium beendet hat, trainiert auch Rana Tokmak täglich von morgens bis spät am Abend, unterbrochen nur von Essen- und Massagepausen. Wenn sie nicht gerade auf Wettkämpfen ist, bleibt so nur der Sonntag für einen freien Tag mit Freunden im Kino oder im Hallenbad. Auf ihre eigenen türkischen Wurzel und die kulturelle Vielfalt im deutschen Spitzensport angesprochen, stellt Rana Tokmak fest, dass Fragen der Herkunft und Integration kaum Themen in ihrer Jugend waren. „Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht und wurde nie mit

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meiner Herkunft konfrontiert. Meine negativen Erfahrungen habe ich nie auf meine Herkunft zurückgeführt. Weil ich in Deutschland geboren bin, habe ich mich nicht fremd gefühlt. Als ich nach Stuttgart gezogen bin, hätte ich Bedenken, ob ich mich hier zu Hause fühlen kann, geht aber sehr schnell dank der warmherzigen Menschen“, so Tokmak. In der Rhythmischen Sportgymnastik habe sie „die deutsche Disziplin und Technik mit meiner türkischen Herzlichkeit und Emotion verbunden“. Herkunft und Vielfalt sind für den Sport bereichernd. „Die jetzige Gruppen-Nationalmannschaft besteht aus sieben verschiedenen Nationen“, betont die junge Sportlerin, die so ganz nebenbei russisch gelernt hat. „Durch den Sport sind wir zusammen aufgewachsen und haben ‚Freunde zum Spielen‘ gefunden. Sport ist ein Spiel und bei diesem Spiel haben wir uns besser kennengelernt. Jeder bringt seine Kultur mit ein. Hier interessieren uns unsere gemeinsamen Erfolge, Niederlagen, Freuden und Tränen. Unsere gemeinsamen Emotionen verbinden uns.“ Nach den Weltmeisterschaften der Rhythmischen Sportgymnastik im September in Stuttgart konzentriert sich Rana Tokmak nun auf die wohl größte Herausforderung ihrer bisherigen Karriere: „Die Teilnahme an

den olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro ist mein Ziel“. Die erfolgreiche Turnerin möchte ihre Erfahrungen dazu nutzen, um Kinder und Jugendliche für den Sport zu begeistern. „Nach meinen Erfahrungen machen die arabischen und türkischen Mädchen sehr wenig Sport, wohingegen russische Mädchen im Sport sehr aktiv sind. Dafür gibt es einige kulturelle und religiöse Gründe“, so Tokmak. Als Botschafterin für Integration im Landessportbund NRW möchte sie gerade Mädchen mit Migrationshintergrund für den Sport und für die Sportvereine gewinnen. Rana Tokmak möchte auch Vorbild sein: „Mit harter Arbeit und Ehrgeiz kann man einiges im Leben erreichen, in der Schule und im Sport gleichzeitig Erfolg haben. Für mich ist Sport ein wichtiger Teil des Lebens und gehört zum Glücklichsein dazu. Genau dieses Gefühl möchte ich den jungen Leuten vermitteln. Meine Philosophie besteht darin, dass ich das mache, was mich glücklich macht“, sagt Rana Tokmak. Und ihr Ratschlag an die Eltern: „Wichtig ist es, dass der Sport von klein auf ausgeübt wird, da es im Jugendalter schwierig ist, die Jugendlichen dafür zu begeistern“. n

12. Oktober 2015, Literaturhaus Stuttgart LiteraTürkei – Emrah Serbes liest aus seinem Roman „Deliduman“.

25. November 2015, DTF-Geschäftsstelle Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

13. Oktober 2015, Stadtbibliothek Stuttgart LiteraTürkei – Lesung von Ece Temelkuran aus ihrem Roman „Was nützt mir die Revolution, wenn ich nicht tanzen kann“

11. Dezember 2015, Literaturhaus Stuttgart LITERATÜR – Zülfü Livaneli stellt seinen Roman „Schwarze Liebe, schwarzes Meer“ vor.

16. Oktober 2015, Literaturhaus Stuttgart In der Reihe „BAKIŞ – Die Türkei im europäischen Dialog“ widmen sich Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan und Prof. Dr. Kerem Öktem dem Thema „Die neue Diasporapolitik der Türkei und ihre Bürger in Deutschland“.

23. Dezember 2015, DTF-Geschäftsstelle Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt.

23. Oktober 2015, Stuttgarter Rathaus Preisverleihung Manfred-Rommel-Preis 28. Oktober 2015, DTF-Geschäftsstelle Der DTF-Literaturkreis liest und diskutiert Romane aus aller Welt

19. Januar 2016, Stadtbibliothek Stuttgart LiteraTürkei – Feridun Zaimoğlu liest aus seinem neuen Roman „Siebentürmeviertel“. 18. bis 27. März 2016, Renitenztheater Stuttgart Bei der deutsch-türkischen Kabarettwoche präsentieren Kabarettisten und Comedians ihre neuesten Programme.

22. bis 29. November 2015, Delphi Arthaus Kino SiNEMA – die deutsch-türkischen Filmtage zeigen neue Produktionen sowie Highlights aus dem türkischen Programmkino, eine facettenreiche Auswahl von Spielfilmen, darunter zahlreiche Festivalgewinner.

Weitere Informationen und Anmeldung zum Newsletter unter www.dtf-stuttgart.de

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Dankeschön Teşekkürler

Impressum Baskı hakkında

Wir bedanken uns ganz herzlich für die tolle Unterstützung bei allen Anzeigenkunden, dem gesamten Redaktionsteam und allen Gesprächspartnern, die sich Zeit für Beiträge und Interviews genommen haben. Außerdem geht unser Dank an die Dozenten und Studierenden der Hochschule der Medien Stuttgart. Auch ein herzliches Dankeschön an die Stiftung für Wissenschaft und Politik sowie an die Frankfurter Allgemeine Zeitung für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der entsprechenden Beiträge.

Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Stuttgart Türk-Alman Forumu Hirschstraße 36, 70173 Stuttgart

Ihr Deutsch-Türkisches Forum Wir freuen uns über Leserbriefe. Per E-Mail: wirbiz@dtf-stuttgart.de Per Post: Deutsch-Türkisches Forum Stuttgart e. V. Stuttgart Türk-Alman Forumu Hirschstraße 36, 70173 Stuttgart

Telefon: 07 11 / 248 44 41 www.dtf-stuttgart.de wirbiz@dtf-stuttgart.de Chefredaktion der 3. Ausgabe Katrin Brandeis und Özlem Şahin Redaktionsteam Kerim Arpad, Gülten Aysel, Dr. Ulrich Bopp, Sibylle Thelen Fotos Theater Lokstoff (Titel); Claudia Articek (S. 12); Marcia Scharf (S. 14, 15, 16); Klaus Haag (S. 18); Ministerium für Finanzen BW (S. 23); Carina Lachnit und Carolin Schmidt (S. 24, 25); Gianni D. und pilaupictures.com (S. 26, 27); Rıdvan Çavuş (S. 33); Sinan Sevinç und Lukas Walter (S. 39, 41); Sebastian Buck (S. 38 bis 41); Friedemann Müns-Österle und Fabian Rohr (S. 42); Anatol Dreyer (S. 44, 45); Pia Marie Piech (S. 47); Kim Lucia Ruoff (S. 48, 49); DTW (S. 55); Stefanie Julia Heinrich (S. 56, 58); Frank Kleinbach (S. 59); bhz (S. 60, 61); Ricardobufolin|CBG (S. 65, 66) Alle weiteren Fotos DTF Textübersetzungen Özlem Şahin Lektorat Katrin Brandeis, Özlem Şahin, Derya Bektaş, Leyla Demirhan Konzeption und Gestaltung Atelier Hans Ulrich Scholpp Beratung. Design. Netzwerk www.ulrichscholpp.de Layout Sheela Rübenach Druck studiodruck GmbH Talstraße 68, 72622 Nürtingen-Raidwangen Auflage 2.500 Stück

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wirbiz OFFENER BLICK – GENI˙¸S PERSPEKTI˙F HERAUSGEGEBEN VOM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART

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OFFENER BLICK – GENI˙¸S PERSPEKTI˙F HERAUSGEGEBEN VOM DEUTSCH-TÜRKISCHEN FORUM STUTTGART Revolutionskinder bringen ihre Geschichten auf die Bühne.

Ein Interview mit Winfried Kretschmann

WIR SIND AUF POTENZIALE ANGEWIESEN Cem Özdemir im Gespräch

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Von der Hauptschule in den Bundestag

Ein Beitrag von Nils Schmid

ISLAM IN DEUTSCHLAND Die Welt des Schattentheaters zu Gast in Stuttgart


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