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Lützi bleibt –uns immer im gedächtnis

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Der Gerettete WaLD

Der Gerettete WaLD

Über die Bedeutungsverschiebung eines Ortes

Einen geografischen Ort kann man vielfältig beschreiben, z.B. durch Position, geologische Beschaffenheit, Nutzung durch Menschen, Art und Größe. Wie hätte man danach Lützerath vor 20 Jahren charakterisiert: 51° 3‘ nördlicher Breite und 6° 24‘ östlicher Länge, 96 Meter über dem Meeresspiegel, Lößböden über Braunkohleschichten, bewohnte Siedlung, landwirtschaftliche Nutzung, klein. Eine Ansammlung von Höfen und Häusern zwischen Immerath und Keyenberg. Ein Dorf wie viele andere im rheinischen Großraum nördlich der Eifel.

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Der unscheinbare Ort ist nun zu einem Kristallisationspunkt der weltweiten Klimadebatte geworden. Darin ähneln sich „Lützi“ und „Hambi“. Nachdem es beim „Hambi“ gelungen war, durch lokalen Widerstand und ein Gerichtsurteil ein kleines Teilstück des einst mächtigen Waldes zu retten, wollte die Klimabewegung in den Dörfern um Garzweiler einen weiteren Haltepunkt setzen. Greenpeace markierte in einer symbolischen Feueraktion die Landstraße bei Lützerath als 1,5-Grad-Grenze der deutschen Klimapolitik. In der ganzen Welt hielten Mitglieder von Fridays for Future Plakate mit der Forderung „Lützi bleibt“ in die Höhe. Sogar die „Washington Post“ berichtete über Lützerath und den Kampf des Landwirts Eckhardt Heukamp um seinen Hof. Doch nach der juristischen Niederlage Heukamps vor dem Oberverwaltungsgericht war es zu spät, Lützerath zu klein, die Fläche hinter Lützerath zu attraktiv für RWE.

Man stelle sich vor, das alte und deutlich größere Immerath wäre Gegenstand der Auseinandersetzungen geworden, ein paar Jahre früher. Dann wäre nicht die kleine Eibenkapelle mit Gottesdiensten geschützt worden, sondern der stattliche Immerather Dom. Für den Erhalt des „Immis“ wäre die neue Mischung von verbliebenen Dorfbewohner*innen, neuen Aktivist*innen, christlich Bewegten und starken Umweltverbänden auf die Straße gegangen. „Immi bleibt!“ hätte nicht nur auf Kölsch eine zweite Bedeutung gehabt. Wer das berührende Video vom Abriss des Immerather Doms auf garzweiler.com sieht, wird das nachempfinden können. Was bleibt von Lützerath? Viele Ortsnamen haben durch besondere Ereignisse ikonische Bedeutung bekommen. Gorleben, Verdun, Rostock-Lichtenhagen, Stalingrad, Auschwitz, Versailles, Schengen, Wackersdorf – das lässt sich beliebig fortsetzen. Man könnte mit den Namen eine Quizshow bestücken, bei der Kandidat*innen sekunden- schnell sagen müssten, was ihnen bei dem Ortsnamen durch den Kopf geht. In der aktuellen deutschen Politik gehören „Hambi“ und „Lützi“ dazu. Ist jetzt „Hambi“ ein großer Erfolg und „Lützi“ eine tragische Niederlage der Umweltbewegung? In der medialen Verkürzung mag es so wirken, aber beides stimmt nicht. Der Wald ist nicht gerettet, denn durch das Abbaggern von Manheim und den Kiesabbau rundherum droht sein Vertrocknen. Und die Auseinandersetzung um Lützerath ist nicht verloren, denn wie viel Kohle unter Lützerath neben den Böden verfeuert wird, ist noch nicht entschieden. Aber es gibt auch andere Bedeutungsverschiebungen. Wer in Lützerath war und heute den Hambacher Wald besucht, spürt, dass die neuen Bewohner*innen eine Utopie in der Realität leben wollen. Einen Raum schaffen, in dem politische, soziale und wirtschaftliche Zwänge weniger Bedeutung haben – ein Leben in Solidarität, ohne Hierarchien und mit einem Minimum an Ressourcenverbrauch.

Wer in Lützerath war und heute den hambacher Wald besucht, spürt, dass die neuen bewohner*innen eine Utopie in der realität leben wollen. einen raum schaffen, in dem politische, soziale und wirtschaftliche zwänge weniger bedeutung haben ...

Insofern sind „das Dorf“ und „der Wald“ Orte sozialer Visionen geworden.

Dass der Wald und das Landleben mit Bedeutung aufgeladene Sehnsuchtsorte sind, ist nicht neu. Auch in der deutschen Romantik gab es diese Überhöhung in der beginnenden Industrialisierung, um sich angesichts zunehmender Verschmutzung und sozialer Probleme am Schönen festzuhalten und hierdurch an innerer Kraft zu gewinnen. Nicht zufällig war eine der berührendsten Aktionen des Protests ein Wandelkonzert im Keyenberger Winzenhof während der Corona-Beschränkungen, bei dem professionelle

Orchestermusiker*innen Beethovens „Pastorale“ spielten. Ein weiterer Aspekt ist für die Bedeutung des Ortes wichtig. Im Protest um die Tagebaue haben sich soziale Gruppen zusammengefunden, die sonst wenig miteinander zu tun hätten. Unterschiedlich in Ansichten und Lebensweisen haben sie gelernt, sich zu respektieren und sich gegenseitig zu schützen, um keinen Keil in die Bewegung treiben zu lassen. Die Menschen im Wald und Ende Gelände haben starke antikapitalistische Motive, BUND und Greenpeace sind hochmotivierte Umweltbewegungen, Buirer für Buir und Alle Dörfer bleiben stammen aus dem Widerstand der eher ländlichen Bevölkerung vor Ort, Die Kirche(n) im Dorf lassen sind vom christlichen Glauben geprägt.

Diese Verbundenheit für ein gemeinsames Ziel zeigt, dass nur durch den sozialen Zusammenhalt unterschiedlicher Gruppen dringend notwendige Veränderungen in

Gang kommen. Es gehört allerdings auch zur Wahrheit, dass nicht die gesamte Ortsbevölkerung hinter dem Widerstand steht: viele sind gern in neue Häuser gezogen, verdienen ihr Geld bei RWE und zeigen Unverständnis gegenüber dem Engagement ihrer Nachbar*innen. Dennoch gilt: die Forderungen der Klimabewegung haben schon viel mehr Akzeptanz, als uns manche Politiker*innen weismachen wollen, und vermutlich werden in wenigen Jahren die letzten fanatischen Autofans die wahren Extremist*innen sein.

Wenn wir später einmal versuchen, noch jüngeren Menschen als den heute Jungen zu schildern, wann an welchen Orten und Zeitpunkten etwas Wichtiges passiert ist, wird Lützerath zu dieser Erzählung gehören, ebenso wie der Hambacher Wald. Insofern gilt auch nach dem Abriss: „Lützi, Lützi, Lützi. Bleibt, bleibt, bleibt!“ Nur nicht als Dorf im Rheinland, sondern in unser aller Köpfen.

Kommentar Eine Zuflucht vor dem Rest der Welt

Lützerath war ein bezaubernder Ort. Mal wurde zu großen Festivals eingeladen, dann war die Zeltwiese voll: Workshops und Skillshares, Diskussionsrunden und Konzerte. Plenum mit allen, zur aktuellen Lage und zu kommenden Aktionen. Überall waren Schilder mit Hinweisen. Die reproduktive Arbeit war kollektiviert, insbesondere auch wenn weniger Menschen dort lebten: Zu jeder Zeit kochte ein Team und der Abwasch wurde in Spülstraßen organisiert (eine der besten Gelegenheiten sich in an kalten Tagen die Hände zu wärmen und miteinander ins Gespräch zu kommen). Die Komposttoiletten wurden von der tapferen Shit-Brigade entleert und es gab Nachtschichten. Kosten wurden zentral organisiert. Materialien und Werkzeuge wurden geordnet und zur Verfügung gestellt, Schlafplätze je nach Bedürfnissen verteilt. Die Gemeinschaft lud ein, auf das Umfeld und den eigenen Umgang mit Sprache und Aufgabenverteilung zu achten.

Gleichzeitig war Lützerath ein Ort der Zuflucht vor dem Rest der Welt. Man konnte offline den Tag bestreiten. In gewissem Maße der Ordnung der Städte, der Werbung und den Ungerechtigkeiten absagen. Es war eine Vernetzung für alle diejenigen, die andernorts nicht gehört werden oder daran verzweifeln keinen Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben – egal wen oder ob sie wählen oder auf wie viele Demos sie gehen. Und dann stürmten bewaffnete Einsatzkräfte ins Dort, sie waren eindeutig in der Überzahl. Nachdem die erste Reaktion der Verteidigung verstummte, rissen sie alles mit ungemeiner Selbstsicherheit ein. Sie räumten mit einer Geschwindigkeit, bei der sie nicht unterschieden, wer sich wie auf die Räumung vorbereitete und mit entsprechenden Repressionen rechnete. Auf Anordnung der politischen Vertretung zerstörten sie diesen Ort der gelebten Demokratie. Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen ihren Handlungsspielraum ausnutzen, innerhalb von Recht und Toleranz und außerhalb von Alltagsroutinen.

An was halte ich mich? Was halte ich für richtig? Was können wir gemeinsam verändern? Celia Brandt-Peretti sagt Marwin. Das gesamte Dorf musste aufgrund dieser beispiellosen Situation Verluste in der Landwirtschaft hinnehmen, fügt er hinzu, das brachte die Menschen in mehr als einer Hinsicht in Bedrängnis. „Wir hatten absolut keine Ahnung, warum dies geschah. Wir haben sogar kollektive Puja (Gebete) durchgeführt und unseren Göttern Opfer dargebracht, aber das brachte nichts“, sagte Marwin.

Dorfbewohner*innen bei der Arbeit in ihrem Wald. Sie haben ihn gepflanzt, um sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen.

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