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Der Gerettete WaLD

12.000 Jahre soll er alt sein. Sein Ende war beschlossene Sache. 2012 besetzten Klimaaktivist*innen den Wald. Nun ist sein Erhalt gesichert. Die Rede ist vom Hambacher Forst, wobei die Baumschützer*innen lieber vom Hambacher Wald sprechen. Ein Bildband erzählt nun die Geschichte seiner Rettung.
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Der Hambacher Forst hat in den vergangenen elf Jahren ein bewegtes Leben hinter sich. Aus einem 200 Hektar großen Wäldchen wurde ein Symbol für die globale Klimabewegung. Einst erstreckte sich das Waldgebiet, in dem hauptsächlich Hainbuchen und Stieleichen wachsen und dessen ältester Baumbestand circa 350 Jahre alt ist, auf mehr als 4000 Hektar zwischen Elsdorf und Niederzier. Bis Ende der 1970er Jahre die Bagger anrollten. Der Kohlekonzern RWE hatte das Waldgebiet von mehreren Gemeinden gekauft und begann mit dem Abbaggern von Braunkohle in der Region. Baum für Baum schrumpfte der Wald. Zwar hatte sich schon früh Widerstand gegen den Abbau gebildet, aber erst 2012 gewann dieser an Wucht. Im und um den „Hambi“, so nennen die Aktivist*innen den Wald, entstanden drei Baumhaussiedlungen mit etwa 50 Häusern sowie ein Wohnwagendorf. Die Forderung der Aktivist*innen: „Hambi bleibt“. Die Anzahl der Bewohner*innen ging zwischenzeitlich in die Dutzende, vielleicht sogar Hunderte, genau weiß das keiner. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und RWE-Mitarbeiter*innen, die die Camps räumen wollten. RWE argumentierte, Braunkohle würde noch lange gebraucht und sichere die Grundversorgung mit Elektrizität. Die Aktivist*innen hielten die klimaschädlichen Auswirkungen entgegen. Allein die nahegelegenen Kraftwerke Neurath, Niederaußem und Weisweiler schleuderten jährlich 80 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft, etwa ein Zehntel der gesamtdeutschen Emissionen. Dieser Konflikt wurde teils friedlich, teils kreativ, teils gewaltsam ausgetragen. Es fanden Waldspaziergänge statt, die Bäume wurden zu Kunstwerken umgewandelt oder Blockaden gebaut.

Besonders tragisch war der Tod des jungen Filmemachers Steffen Meyn, der bei einem Räumungsversuch der Polizei von einer Leiter stürzte. Der Protest und die spürbaren Folgen des Klimawandels sensibilisierten die breite Öffentlichkeit. So nahmen bei einer Großdemonstration für den Erhalt des „Hambi“ 2018 geschätzte 50.000 Menschen teil. 2019 besuchte Greta Thunberg den Forst. 2020 gab es dann eine politische Leitentscheidung, dass der Hambacher Wald nicht weiter gerodet werden soll. Später wurde der Erhalt in einem Gesetz konkretisiert. Ein riesiger Erfolg für die Klimabewegung. Hambi bleibt!
Meist friedlich standen sich Unterstützer*innen und Polizei gegenüber. Doch immer wieder kam es zu gewalttätigen Konflikten, bei denen sowohl Polizist*innen als auch Aktivist*innen verletzt wurden. Foto: Thekla Ehling
Der DRAUSSENSEITER berichtete zweimal über den Künstler und Aktivisten Todde Kemmerich, der im Wald wohnte, sich für den „Hambi“ stritt und zwischenzeitlich sogar seine Freiheit für ihn verlor. Noch heute leben einige Menschen in den Baumhäusern und dem Wohnwagendorf; der Wald ist für sie Heimat und Ideal geworden. Ideal für eine antikapitalistische Lebensweise, die frei ist von Zerstörungen, wie sie der Kapitalismus hervorbringt.
Der Bildband „10“, veröffentlicht zum zehnten Jahrestag der Besetzung, erzählt von diesen Geschichten. 17 Fotograf*innen, darunter Todde Kemmerich selbst, sichteten ihr Bildmaterial und fügten es zu einem bildgewaltigen Buch zusammen. Entstanden ist eine Kombination aus künstlerischen und aktivistischen Positionen, die die Geschichte des Protestes und seiner Menschen widerspiegeln. Das Fotobuch versteht sich als Chronik, Hommage und Mahnung. Und es zeigt auf eindrückliche Weise: Einen Wald zu retten ist viel Arbeit – die sich lohnt.
10 Jahre
Hambacher Forst.

Verlag Kettler, 240-seitiges Fotobuch, 28 Euro.
ISBN 978-3-86206-986-2