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Knast statt Knete?

Ersatzhaftstrafen für Schwarzfahren – mehr Schaden als Nutzen

Kürzlich gab es in der Karl Rahner Akademie in Köln eine von Klaus Jünschke und Martin Stankowski initiierte Veranstaltung zum Thema „Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe“, jener Freiheitsstrafe also, die Menschen verbüßen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen. Besonders häufig trifft es Obdachlose, die Geldstrafen, etwa wegen Schwarzfahrens, nicht bezahlen können. Daher spielte das Thema Obdachlosigkeit eine große Rolle – und, damit verbunden, auch die harten Bandagen der Kölner Verkehrsbetriebe.

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Auf dem Podium sitzen Dr. Nicole Bögelein, DiplomSoziologin am Kölner Institut für Kriminologie, Dr. Peter Biesenbach, ehemaliger NRW-Justizminister (CDU), und Petra Hastenteufel, Sozialarbeiterin in der OASE, Anlaufstelle für obdachlose Menschen in Köln-Deutz.

Der Journalist Martin Stankowski moderiert die Podiumsdiskussion vor zahlreichen Gästen, unter denen sich auch Reinhold Goss als Vertreter der Grünen befindet. Die Kölner Grünen fordern seit dem 19.11.2022, dass die KVB keine Strafanträge mehr gegen „Freifahrer*innen“ stellt, bis ein neues Bundesgesetz hierzu vorliegt.

Auch Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter nimmt teil, der seinen „Unruhestand“ nutzt, sich noch stärker um Brennpunktthemen wie Obdachlosigkeit und Seenotrettung zu kümmern. Er verteilt druckfrische Flugblätter des Vringstreffs e.V., der im November eine Freikaufkampagne für Inhaftierte wegen Leistungserschleichung gestartet hat, und sammelt die ersten Spenden.

Worum geht es überhaupt?

Nicole Bögelein liefert Zahlen zum Einstieg: 2022 befanden sich 56.000 Personen in unseren Haftanstalten, davon etwa 4000 wegen Ersatzfreiheitsstrafen, das sind über 10 % aller Strafgefangenen. 4000 Menschen, die wegen nicht bezahlter Geldstrafen einsitzen, darunter viele Fahrscheindelikte, nicht bezahlte Hundesteuer oder kleinere Ladendiebstähle. Ihre durchschnittliche Haftdauer beträgt 70 Tage, es besteht aber eine große Streuung, d.h. es gibt tatsächlich

Menschen, die wegen solcher Kleindelikte oder einfach nur aus Armut bis zu 720 Tage Gefängnis verbüßen müssen.

Diese situation wirft eine Menge Fragen auf Ist es gerecht, wenn z.B. Raser*innen mit 200 km/h erwischt werden und dies trotzdem nur eine Ordnungswidrigkeit ist, während Fahren ohne Fahrschein als Vergehen behandelt wird? Den*die Raser*in erwarten maximal zwei Wochen Erzwingungshaft.

Ist es vernünftig, Menschen wegen geringer Schulden einzusperren, wenn jeder Hafttag die Gesellschaft 130-160 € pro Häftling kostet?

Sollen alle Schwarzfahrer*innen gleich behandelt werden, oder sollte man zwischen denen unterscheiden, die dies als „Sport“ betreiben, und denen, die kein Geld haben, unterscheiden? Wenn ja, dann wie?

Während Ex-Justizminister Biesenbach auch für die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe plädiert, verweist er aber wiederholt darauf, dass das Thema ein gesellschaftliches und kein juristisches sei. Die Justiz könne nur so handeln, wie die bestehenden Gesetze es vorgeben. Ändern müsse sich die Situation. Er plädiert für die Wiedereinführung der Schaffner-Kontrollen und eine aufsuchende Betreuung für Menschen, die in sozialen Nöten sind oder z.B. psychologische Unterstützung benötigen. Das klingt schön, aber auch utopisch, denn in der Praxis fehlen erstens genau diese Beratungspersonen und Anlaufstellen in ausreichender Zahl. Und zweitens ist auch die qualifizier- teste Betreuung keine Garantie für die Verbesserung einer prekären Lebenssituation.

Petra Hastenteufel berichtet von einigen Fällen aus ihrer praktischen Erfahrung in der OASE. Etwa von einem Klienten, der im Winter lieber in der JVA einsitzt, als in einem Obdachlosenwohnheim zu schlafen, wo die Zustände zum Teil katastrophal seien. Sie hat auch eine 62-jährige Frau unter ihren Kund*innen, die seit 40 Jahren ohne Obdach lebt und nun von November bis Ostern ins Gefängnis muss. Diese ist hoffnungslos, jemals aus dem Teufelskreis herauszukommen, genau wie die psychisch kranke Frau, die ihre Mahnungen an die AOK weitergeschickt hatte und gar nicht verstand, warum sie inhaftiert wurde.

Ticket zum badezimmer?

Petra Hastenteufel macht klar: Wohnunglose Menschen brauchen ein Ticket. Betrachtet man den Tagesablauf einer Person ohne Obdach genauer, stellt sich heraus, wie mobil dieser gezwungenermaßen sein muss – Aufstehen und den Schlafplatz räumen, zu einer Einrichtung fahren, wo man duschen kann, seine*n Betreuer*in sehen, die Tafel aufsuchen, evtl. zu einem Arztmobil gehen – abends wieder einen Schlafplatz finden. All diese Bewegungen erfordern Mobilität, das hat auch ein Forschungsprojekt der Katholischen Fachhochschule Köln herausgefunden. Dabei waren zehn wohnungslose Probanden mit Trackinggeräten ausgerüstet worden. Hastenteufel findet ein markantes Bild: „Während wir morgens vom Bett aus in die Dusche gehen, brauchen Wohnungslose schon ein Ticket zum Badezimmer.“ Eine Möglichkeit wäre ihrer Ansicht nach, Fahrscheine an die bedürftigen Menschen zu verschenken. Linda Rennings habe es 2022 vorgemacht, indem sie mehr als 50 Neun-Euro-Tickets aus Spenden gekauft und verteilt hatte. Dies könnte die KVB auch tun, es wäre billiger und einfacher. Alle Probleme wären damit natürlich nicht gelöst. Es blieben die Fragen, wer ein kostenloses Ticket bekommt, wie man verhindert, dass dieses einfach nur weiter verkauft wird, welche Einrichtungen für die Verteilung zuständig wären etc. bremen macht es vor

Nicole Bögelein verweist in diesem Zusammenhang auf das Bremer Modell. Dort bekommen Bedürftige ein Sozialticket, das beim Jobcenter hinterlegt wird. So kann es nicht „verscherbelt“ werden und die Kontrolleur*innen können elektronisch die Richtigkeit prüfen.

Eine Haftstrafe ist für einen Menschen psychisch eine Katastrophe

Eine solche Haftstrafe ist unsinnig für Menschen, die im Grunde gar nicht anders können, als wieder und wieder rückfällig zu werden, da ihnen schlicht das Geld fehlt, um die teuren KVB-Tickets zu bezahlen. Darin sind sich bei der Veranstaltung alle einig. Haftstrafen sollen den Menschen dazu bringen, nach der Verbüßung straffrei zu leben, aber das funktioniert in diesen Fällen eben nicht. Was die Haftstrafe an negativen Folgen hat, ist ungleich schlimmer.

Im Publikum sitzt auch Reiner Laux, Autor und Gefängnisgegner beziehungsweise -reformer. Er stellt klar, dass Gefängnisaufenthalte Biografien vernichten könnten. Das bestätigt Streetworker Franco Clemens: Sein jugendliches auch für die Haftanstalten entstehen Probleme Petra Hastenteufel weist darauf hin, dass auch die Haftanstalten unter dem hohen Anteil von psychisch kranken Menschen leiden. Diese werden meist durch schnellrichtende Richter*innen in die Haftanstalt verwiesen – und nicht in die Psychiatrie. Im Falle eines Haftbefehls wegen Leistungserschleichung kommt es erst gar nicht zu einer Gerichtsverhandlung. Die Betroffenen sind oft von ihrer Festnahme überrascht, bekommen kein Beratungsgespräch, sind vielleicht gar nicht haftfähig – und wenn sie dann dort einsitzen, sind sie oft ohne Angehörige, werden also auch nicht mit der sogenannten „Haftwährung“, wie z.B Zigaretten, versorgt und gehören damit sogar im Gefängnis zu den Außenseiter*innen.

Klientel in Porz entstamme zumeist Familien, die die Geldstrafen nicht aufbringen können. Ein Gefängnisaufenthalt stigmatisiert und kriminalisiert Jugendliche und erschwert ihren weiteren Lebensweg. Im Gefängnis werden Menschen oft folgestraffällig, da von dort und danach erst richtige Coups geplant und durchgeführt werden. Außerdem sind manche Anstalten derart überbelegt, dass ein*e harmlose*r Schwarzfahrer*in in einer Zelle landen kann mit einem*einer sadistischen Totschläger*in – psychische und physische Folgen sind unkalkulierbar.

Zwei Gefängnisse weniger in NRW

Klaus Jünschke betreut einen Gesprächskreis in der JVA Ossendorf mit einsitzenden Obdachlosen, als Autor beschäftigt er sich schon lange mit Realität und Wirkung des Strafvollzugs. Er beklagt ein Missverhältnis von Delikt und Strafen. So sitzen Menschen 12 Tage für nicht gezahlte Hundesteuer von 120 €. Er kennt über 300 Männer mit

„15 % der Menschen sind bei antritt ihrer Ersatzfreiheitsstrafe akut suizidgefährdet, da verlässt mich die sachlichkeit, besonders, weil es immer wieder vorkommt, dass sich diese Menschen das Leben nehmen.“ Nicole Bögelein jeweils mehr als 30 Vorstrafen, denen durch Einsitzen nicht geholfen werden kann. Die Zustände müssten verändert werden, andere Institutionen müssten zuständig sein. Etwa die Drogenhilfe, die personell zu verstärken sei. Peter Biesenbach rechnet vor, wie in NRW zwei Strafanstalten mit je 600 Plätzen eingespart werden könnten. Dies würde einen dreistelligen Millionenbetrag freisetzen.

Die KVb in der Kritik

von einer jungen Frau, die aus diesem Grund bei der Tafel mitarbeitet. Der Kontakt zu Menschen und die Tatsache, dass sie in ihrer Rolle jetzt anderen etwas geben kann, sei ein unschätzbar wichtiges Gefühl. Aber nicht jeder Mensch ist in der Lage, dies zu leisten.

Freikaufen

Nicole Bögelein hält das Freikaufen für eine sinnvolle Sofortmaßnahme, um etwa zu verhindern, dass Menschen sich das Geld illegal besorgen oder noch mehr Schulden machen, um den Knast zu vermeiden. Sie verweist darauf, dass es auch legal sei, dass Unternehmen Geldstrafen für ihre Mitarbeiter*innen zahlten, wenn die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit straffällig werden. Diese können sie sogar von der Steuer absetzen. Die Bestrafung von Armut müsse abgeschafft werden.

Freikaufen Köln

Die Initiative „Freikaufen Köln“ des Vringstreff e.V. befreit vormals obdachlose und arbeitslose Menschen aus der JVA in KölnOssendorf, die wegen „Fahren ohne Fahrschein“ hinter Gittern sitzen.

Wer diese Kampagne unterstützt, hilft Menschen auf dem Weg zurück in die Freiheit.

Spendenkonto:

In der Publikumsdiskussion kommt auch die Rolle der Kölner Verkehrsbetriebe aufs Tapet. Reinhold Goss von den Kölner Grünen fordert den Verzicht auf Strafanträge. Mit 2000 Fällen im Jahr verursachten die KVB Kosten in schwindelerregender Höhe, obwohl sie selbst bereits ein subventionierter Betrieb seien. Auch der Tatbestand der Leistungserschleichung sei juristisch nicht eindeutig zu klären, da die Bahnen ja auch ohne Fahrgäste führen. Zudem –so Goss – sei Mobilität ein Grundrecht, von dem Arme nicht ausgeschlossen werden dürften. Andere wie Studierende oder Berufstätige bekämen ermäßigte Sondertickets – Arme gingen in den Knast. „Die KVB schießen mit Kanonen auf Spatzen, und zwar auf sehr arme Spatzen“, bemerkt Goss abschließend.

Lösungen an diesem abend?

Soziale Arbeit

Für manche Menschen wäre es sicher eine bessere Lösung, ihre Strafe in Soziale Arbeitsstunden umzuwandeln. Eine Tafelmitarbeiterin erzählt

Vringstreff e.V. sparkasse KölnBonn iBan DE34 3705 0198 0005 0520 48 stichwort „Freikaufen“

Spenden an den Vringstreff e.V. sind steuerlich absetzbar.

Ansprechperson für Freikaufen Köln: Thomas Münch, 0179 - 46 28 736

 www.vringstreff.de

Tickets für Bedürftige und keine Strafanträge mehr

Mit Sozialtickets und dem Aussetzen der Strafanträge wäre bis zur Abschaffung des § 265a schon einiges erreicht. Andere Probleme blieben trotzdem, z.B. für Obdach- und Wohnungslose aus anderen Ländern, die hier in Deutschland Geld verdienen oder erbetteln, um in ihrer Heimat ihre Familien zu unterstützen. Sie würden auch durch diese Raster fallen. ÖPNV kostenlos

Ein kostenloser ÖPNV wäre für alle Menschen und natürlich auch für die Umwelt am besten und die Lösung all dieser Probleme. Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, war an diesem Abend in der Karl Rahner Akademie spürbar.

Schiffbrücke mit Blick nach Deutz (1895)

Foto: Historisches Archiv Köln, AP 0241086_0001 gleichzeitig eine untertänige Geste an Friedrich Wilhelm III., der an diesem Tag sein 25-jähriges Regierungsjubiläum feierte. Der General der Kavallerie in Koblenz, Freiherr von Thielmann, leitete dann an diesem Tage unter großer Beteiligung der Bevölkerung die Eröffnung der Brücke, auch die Kölnische Zeitung berichtete ausführlich darüber.

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