Ja ­ und?

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Früher verglich Özlem Bächli ihren Sohn mit normal begabten Kindern. Was die alles Tolles schafften ! Fabian würde, bei all seinem Charme, nie so weit kommen. Und sie würde auch nie Grossmutter sein – sie, die am liebsten in ei­ nem Mehrgenerationenhaus leben würde. Und manchmal ist der Alltag mit Fabian stressig. Es ist schon vorgekom­ men, dass er die Feuerwehr alarmiert hat, einfach so.

„ Fabian wird ein gutes Leben haben.“

Ihren Sohn ein wenig loszulassen, fällt ihr noch schwerer als anderen Müttern. Nie wird sie jenen Vormittag vor einem Jahr vergessen, als sie ihn zum ersten Mal allein zu Hause lassen musste, weil sie eine Sitzung zu leiten hatte. Fabian musste versprechen, nicht in die Küche zu gehen. Dann, mitten in der Sitzung, läutete das Handy. Es war Fabian. „  Ich koche !“, berichtete er stolz. Sie habe, erinnert sich die Mutter, vor lauter Angst zu hyperventilieren begonnen. Doch Fabian habe ihre Angst gespürt und gesagt : „  Mama ! Das war nur ein Scherz !“ Sie hat gelernt, ihr Kind anzunehmen. Hat viel über Behinderung und Normalität nachgedacht, hinterfragt auch den Begriff Intelligenz : Fabian, sagt sie sich, kann zwar

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nicht rechnen, aber er findet sich mit Tram und Bus zu­ recht, kann mit elektronischen Geräten umgehen, vor de­ nen sie selber kapitulieren müsse. Und er habe Humor und diesen ganz speziellen Charme. Manchmal schütten sich Mutter und Sohn richtig aus vor Lachen. Oder sie tanzen miteinander. „  Ob ich das mit einem sogenannt normalen Kind auch tun könnte ?“, fragt sie sich. Nur über etwas spricht sie nicht gerne. Über ihre Selbstaufopferung, welche längerfristig die Beziehung zum Partner unterminierte. „  Als Eltern eines behinderten Kin­ des belügt man die Umwelt und sagt : Kein Problem, wir machen das tipptopp !“ Doch bei vielen Paaren sei die Be­ hinderung häufig ein Trennungs- oder Scheidungsgrund. Und doch, sagt Özlem Bächli, und ihre ganze Lebens­ freude bricht wieder durch, habe sie es gut gemacht. Am liebsten würde sie noch ein oder zwei Kinder mit Down­ syndrom adoptieren. Sie ist ganz schön stolz auf ihren Fa­ bian. Und trotzdem werde sie immer eine Glucke bleiben, sie habe ständig Angst, eine Therapie zu verpassen, wenn er sich wieder schwerfälliger bewege oder undeutlicher spre­ che. „  Aber“, fügt sie sofort bei, „  Fabian hat ein glückliches Gemüt. Er wird ein gutes Leben haben.“ Fabian wird ungeduldig. Es ist Spätnachmittag, er will hinüber zu Oma und Opa. Er hat sie seit gestern nicht mehr gesehen. Heute ist fast wieder ein normaler Tag.


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