Wachs in seinen Händen

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Wachs in seinen Händen

Daniel Neubergers Kunst der Täuschung

Johanna Diehl, Barbara Goldmann, Paulus Rainer und Konrad Schlegel

Kunsthistorisches Museum, Wien 11. Februar bis 30. Juni 2025

Gefördert von REINER WINKLER STIFTUNG

»Vielleicht ist ›Erkennen‹ hier nicht der ganz richtige Ausdruck.«
Ernst Gombrich

Inhalt

Jonathan Fine

Vorwort

Paulus Rainer Prolog

Konrad Schlegel

Leben und Werk Daniel Neubergers

Paulus Rainer

Neuberger Inventor. Wenn Auge und Geist sich uneins sind

Johanna Diehl

Die Bossiertechnik Daniel Neubergers und ihr Kontext

Kat.-Nrn. 1–19

Barbara Goldmann

»ein sehr mühsames Werck von Wachs boussiret«.

Zur Konservierung und Restaurierung von Daniel Neubergers

Tod Kaiser Ferdinands III. (Kat.-Nr. 19)

Übersicht der Untersuchungsergebnisse

Quellen

Literaturverzeichnis

Autorinnen und Autoren

Vorwort

Trompe-l’Œil, die kunstvolle Täuschung des Auges der Betrachter*in durch die visuell überzeugende Nachahmung der Wirklichkeit, war im 17. Jahrhundert etwas, das Künstler*innen sich zum Ziel setzten und Auftraggeber*innen und Käufer*innen in einem Werk auf das Höchste schätzten. Jeder gebildete Kunstsinnige kannte die Geschichte des Wettstreits zwischen den beiden berühmten antiken Malern Parrhasius und Zeuxis, wer das bessere (in der Täuschung überzeugendere) Bild schaffen könne: Zeuxis malte Trauben, die so echt wirkten, dass Tauben heranflogen, um daran zu picken. Siegessicher ging er daraufhin zu Parrhasius’ Bild, um den es verbergenden Vorhang zurückzuschieben – nur um erkennen zu müssen, dass dieser gemalt war. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Niederlage einzugestehen: » Parrhasius, du bist der bessere Maler, denn ich kann zwar Tiere überlisten, aber du kannst einen anderen Künstler täuschen « .

Die Ausstellung Wachs in seinen Händen. Daniel Neubergers Kunst der Täuschung zeigt, dass dieses Spiel mit der Illusion und die Freude an der Täuschung der Betrachter*in im Barock nicht auf zweidimensionale Gemälde beschränkt war. Gerade am Kaiserhof, für den Neuberger über zehn Jahre erfolgreich arbeitete, war diese Art von Naturimitation hochgeschätzt. Neuberger war, wie sein Vater, Wachsbossierer und die in der Ausstellung gezeigten fragilen Kunstwerke sind wahre Wunder der Augentäuschung: Haut, Haare, Stoffe – alles ist unglaublich naturgetreu aus Wachs modelliert. Berühmt war sein »Kaiserautomat« in der Schatzkammer, der sich, in echte Gewänder gekleidet, dank eines komplexen Mechanismus bewegen konnte und den Kaiser anscheinend so täuschend nachahmte, dass von Besucher*innen berichtet wird, die tatsächlich dachten, sie stünden dem Kaiser gegenüber. Lange verloren geglaubt, wurden Reste davon im Zuge der Ausstellungserarbeitung identifiziert und restauriert, und so wird dieses einzigartige Werk Neubergers in der Ausstellung erstmals wieder präsentiert. Konzipiert wurde diese schöne, kleine Ausstellung von einem Team von Kuratoren und Restauratorinnen der Kunstkammer. Ausgangspunkt war die dringend notwendige Konservierung von Neubergers Tod Kaiser Ferdinands III . in der Schatzkammer. Ich freue mich ganz besonders, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Restaurator*innen und Kurator*innen, die sonst hinter den Kulissen stattfindet, hier in den Vordergrund gerückt und der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Mein besonderer Dank gilt zuallererst den vier Expert*innen der Kunstkammer, die die Ausstellung kuratiert haben: Johanna Diehl, Barbara Goldmann, Paulus Rainer und Konrad Schlegel. Elisabeth Kainberger vom Ausstellungsmanagement war für den, wie

immer, reibungslosen Aufbau zuständig, Itai Margula verantwortet die elegante Ausstellungsarchitektur.

Ihnen allen und dem gesamten großartigen Team des KHM-Museumsverbands sei an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ebenso bedanken möchte ich mich bei unseren Leihgebern, den privaten Sammler*innen, die nicht genannt werden wollen, dem Museum August Kestner Hannover, dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Technischen Museum Wien, sowie bei der Reiner Winkler Stiftung, die die Restaurierung einer anonymen Wachsbüste und der Büste Leopolds I., die in der Ausstellung eine wichtige Rolle spielt, finanziert hat.

Ich wünsche Ihnen, liebe Freund*innen des Kunsthistorischen Museums, viel Freude beim Besuch der Ausstellung und beim Lesen dieses Katalogs.

Abb. 1

Prolog

Kat.-Nr. 18: Daniel Neuberger, zugeschrieben, Büste Leopolds I. , Detail

» Kunstvoll die Täuschung, fest gefügt und kühn « 1 William Shakespeare

Es ist nun neunzig Jahre her, dass mit dem Beitrag von Heinrich Klapsia ein erster umfassender Aufsatz über den Wachsbossierer Daniel Neuberger d. J. im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien erschien.2 Fünf Jahre zuvor schon hatte Theodor Hampe seinen Blick auf den Augsburger Künstler gerichtet und mit einer Abhandlung erste detaillierte Informationen zur gesamten Familie Neuberger geboten – zum Vater Daniel d. Ä., dem namensgleichen Sohn, dessen Bruder Ferdinand und Daniels Tochter Anna Felicitas.3 So wichtig dieser Beitrag war, jener des Kunsthistorischen Museums unterschied sich von ihm schon im Ansatz. Er erschien als dritter Teil der von Ernst Kris herausgegebenen Beiträge zur Kunsttätigkeit am österreichischen Kaiserhofe im 17. Jahrhundert, die ein besonderes Augenmerk auf die explizite »Bedeutung alter fürstlicher Kunstsammlungen für die kunstgeschichtliche Forschung« legten, wie es in der Vorbemerkung des Schülers Julius von Schlossers heißt. 4 Diese Bedeutung liege vor allem darin, dass solche Sammlungen von einer direkten Beziehung zwischen Auftraggeber und Künstler geprägt seien, durch die Beauftragung zeitgenössischer Kunst wüchsen und in diesem Sinne soziologische Aspekte der Kunstwerke veranschaulichen könnten.

Das gilt allemal für Daniel Neuberger und dessen Tätigkeit am Wiener Hof. Bei ihm haben wir es mit einem Künstler zu tun, der seine Auftraggeber nicht nur mit geschaffenen Werken zu überzeugen wusste; seine etlichen Künste und neu erfundenen Wissenschaften, die er stolz in einem Memorial anführt, 5 verschafften ihm auch die Ehre, so manch kaiserliche Hoheit in diesen zu unterrichten. 6 Seine vortrefflichen Fähigkeiten zeichneten ihn also nicht nur für den allgemeinen Hofdienst aus, ihm wurde auch eine darüberhinausgehende, besondere Nähe zur kaiserlichen Familie zugestanden. Das wiederum mag nicht nur an seinen künstlerischen Fähigkeiten, sondern vor allem an seinem künstlerischen Ansatz gelegen haben; dem Ansatz nämlich, mithilfe von substantiell modifiziertem Wachs andere Naturmaterialien täuschend echt imitieren zu können. Denken wir dabei an die kolportierte Vorliebe Kaiser Ferdinands III. für augentäuschende Bilder und Maler, die sich in dieser Kunst des Trompe-l’Œil besonders hervortaten, so passt Neubergers Imitationsansatz bestens ins Bild. Zu Samuel van Hoogstraten wie auch zu Sebastian Stosskopf sind Anekdoten übermittelt, die zeigen sollen, dass sie den Kaiser mit ihrer Kunst hinters Licht zu führen vermochten und dieser – gerade weil das Trompe-l’Œil erfolgreich war – die

betreffenden Bilder von den beiden Malern erwarb.7 Ein Auftraggeber, der den einen augenbetrügenden Maler lobt – »Dit ist der eerste Maler die mir betrogen heeft«8 (dies ist der erste Maler, der mich getäuscht hat) – und die Täuschung durch den anderen mit einem anerkennenden Lachen quittiert haben soll – hier soll der Kaiser nach einem gemalten Gegenstand auf dem Gemälde gegriffen haben9 –, muss wohl besonderen Gefallen an Neubergers Materialimitationen gefunden haben. Dessen Irreführungen sollten ja über jene der Maler noch hinausgehen und nicht nur das Auge, sondern auch die tastende Hand düpieren. Und schließlich fasziniert Wachs schon als Material: Figuren aus ihm erscheinen unheimlich, weil sie eine Grenze zwischen der Symbolwelt der Kunst und der wirklichen Welt überschreiten – ein Gedanke Ernst Gombrichs,10 den Georges Didi-Huberman nicht ganz nachvollziehen konnte,11 der uns aber umso verlockender erscheint. Man denke nur an den wächsernen »Kaiserautomaten« in der Wiener Schatzkammer (Kat.-Nr. 18 & Abb. 1).

In Bezug auf das Trompe-l’Œil – ob motivisch oder materiell – ist die Lust zur Irreführung und das Gefallen daran, in die gestellten Fallen zu tappen, aber nicht nur Ausdruck individueller Vorlieben, die aus dieser Richtung auf soziologische Aspekte schließen ließen; es passt auch in ein größeres, zumindest für bestimmte Gesellschaftsbereiche gültiges Bild. Es geht dabei um die zu jener Zeit immer virulenter werdende Frage danach, was Erkenntnis sein kann und vor allem wo deren Grenzen liegen. Hatten die Herren der frühen Kunstkammern noch in und mit ihren Sammlungen von Kunst- und Naturdingen nach tieferer Welterkenntnis gesucht, wollten sie noch mithilfe der Objekte und ihrer Ordnung hinter das Offensichtliche blicken und zu jenem Verständnis gelangen, das die Ursachen und Beweggründe des Weltganzen, die Wurzeln des Seins und Werdens offenbart, so gesellte sich ab 1600 zur Sammlungsbetrachtung vermehrt das Experiment. Die Anwesenheit des kaiserlichen Mathematikers Johannes Kepler bei einem optischen Experiment in der Dresdner Kunstkammer, bei dem ein »Luftbild«, also ein im Raum schwebendes Abbild der Außenwelt in die Kammer projiziert wurde, ist bekannt. 12 Ebenso, dass Kepler – wohl nicht unbeeindruckt von solchen Phänomenen – eine neue Theorie des Sehvorgangs entwickelte. Fragen danach, warum ein projiziertes Phänomen anders wahrgenommen werde als dasselbe in direkter Anschauung, was Abbild (pictura) und was Wahrnehmung (imago) sei und was davon wahr oder falsch sein könne, beschäftigten die Gelehrtenwelt in zunehmendem Maße. Optische Phänomene und neue Geräte trugen das Ihre dazu bei; ihr Täuschungspotenzial wollte ergründet und verstanden werden. Dass die Antworten darauf nicht eindeutig sein konnten, wird uns nicht verwundern. So stießen etwa Galileo Galileis »Sternenbote«, der 1610 publizierte Sidereus Nuncius, und die darin geschilderten Beobachtungen mit dem Fernrohr teilweise auf Ablehnung – weil das Beobachtungsgerät an sich infrage gestellt wurde: »Es herrschte die Überzeugung, dass das, was darin zu sehen war, keineswegs der Realität entspreche – dass das Fernrohr täusche.« 13 Professorenkollegen Galileis, aber auch Höflinge Kaiser Rudolfs II. verweigerten den Blick durch das optische Gerät. Auf ebensolche Skepsis stieß auch das etwa zeitgleich entwickelte Mikroskop, das aber ebenso zum imaginativen Sehen anregen konnte. Noch 1796 schreibt Jean Paul, dass mit dem Blick durch dieses ein Tropfen Burgunder zu einem roten Meer, Schimmel zu einem blühenden Feld und Sand zu einem Juwelenhaufen würden. 14 Man konnte mit den neuen und sich ständig verbessernden Geräten zwar ferner in die Ferne und tiefer in die Tiefe blicken, trotzdem blieben gewisse Zweifel, die auch in symbolischen und emblematischen Darstellungen ihren Ausdruck fanden. Wir machen etwa Brillen mit facettiert geschliffenen Gläsern ebenso als Bildmotiv von Emblemen aus (Abb. 2) wie das Fernrohr. 15 Beides verweist auf den Täuschungscharakter der erzeugten Bilder: Im einen

Abb. 2

Sobras son de la verdad (Sie sind die Schatten der Wahrheit), Emblem 18 aus: Sebastián de Covarrubias Orozco, Emblemas Morales , Madrid 1610. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sign. 74.G.106

Fall, indem sich der betrachtete Gegenstand vervielfältigt, im anderen, indem das Fernrohr sowohl vergrößern als auch verkleinern kann – je nachdem durch welches Ende man schaut. Das erste Emblem bemüht Platons Höhlengleichnis, indem es das Gesehene als Schatten der Wahrheit versteht (»Sombras son de la Verdad«), das zweite steht sinnbildlich für die schmeichlerische Irreführung des Fürsten.16

Bei allen Vorbehalten boten die neuen Möglichkeiten aber durchaus Spannendes und erweiterten mit vergrößernden Einund Ausblicken die Horizonte. In unserem Zusammenhang soll die schöne Fügung nicht unerwähnt bleiben, dass die erste mithilfe eines Mikroskops gemachte und in einem Buch veröffentlichte Naturstudie ausgerechnet eine Honigbiene, die Urheberin von Neubergers bevorzugtem Werkstoff, zeigt. Wir finden sie in einer 1630 veröffentlichten italienischen Übersetzung der Satiren des römischen Dichters Aulus Persius Flaccus, die dem Kardinal Francesco Barberini gewidmet ist (Abb. 3). 17 Bezeichnenderweise ist die Biene dessen Wappentier und die Naturstudie zeigt sie in drei Ansichten, dem Wappen entsprechend angeordnet. Wenn auch auf anderer Ebene, so offenbart sich auch hier das große Konfliktpotenzial einer Zeit, die auf der Suche nach Einordnung und Verständnis war; die versuchte, überlieferte Autoritäten und neue Beobachtungen und Schlussfolgerungen in Übereinstimmung zu bringen, sich aber noch zu keinen prävalenten Ansichten durchringen konnte. Es ist vielleicht ein Symptom gerade dieser Zeit der Widersprüche und Ambiguitäten, dass das Mikroskop, mit welchem die Bienenstudie gemacht wurde, wohl von Galileo Galilei stammte, der Widmungsempfänger der Studie aber ausgerechnet einer jener zehn Richter im Prozess von 1633 gegen Galilei war, in dem dieser seiner wissenschaftlichen Überzeugung abschwören sollte. 18 An diesem Prozess, der bei weitem nicht so eindeutig und absolut war, wie ihn spätere Erzählungen charakterisieren werden, wird ebenso wie an der ambivalenten Einschätzung der neuen Beobachtungsgeräte verständlich, worin das damalige Dilemma bestand: Neue Möglichkeiten boten neue Einblicke, konnten aber auch in die Irre führen und sogar gefährlich werden, wenn diese mit den überlieferten Autoritäten nicht in Übereinstimmung zu bringen waren.

Man würde das nicht gerade als ein Klima ansehen, das zu gelöstem Forscherdrang und ungehemmtem Experiment ermutigt. Und dennoch fand beides statt. Galileo, Kepler, Descartes oder Pascal, Boyle, Hooke wie auch Guericke, Newton und Leibniz sind hier nur lose und unzusammenhängend aneinandergereihte Namen großer Forscher. Sie alle

Abb. 3

Matthäus Greuther nach Francesco Stelluti, Descrizzione [dell’Ape], aus: Persius 1630, 52. Zürich, ETH-Bibliothek, Rar 1676, DOI: doi.org /10.3931/e-rara-14032

entfalteten ihre Wirkung aber in ebendieser Zeit und ihre Bedeutung hält bis heute an. Nun sollen deren unterschiedliche Ansätze und Voraussetzungen, ihre örtlich wie zeitlich abweichenden Wirkungsbereiche nicht in einen Topf geworfen und schon gar nicht auf die Situation unseres Protagonisten Daniel Neuberger und den Wiener Hof umgelegt werden. Doch mit einem Umstand waren alle konfrontiert: Beobachtung und Theorie, Neues und Überliefertes drifteten zusehends auseinander. Und beim Versuch, diese Klüfte zu überwinden, ging es letztlich um Meinungsführerschaften und Deutungshoheiten. Weder hier noch dort waren die Antworten und die Lösungen aber absolut, man blieb

zuweilen in Unentschiedenheit und akzeptierte Widerspruch. Das galt für den gelehrten Wissensdiskurs, aber auch für so manche Marginalie der Geschichte. Wie etwa den Umstand, dass ein Künstler mit evangelischer Konfession auch im 17. Jahrhundert am katholischen Kaiserhof durchaus eine Stellung als Hofkünstler innehaben konnte. Hält man sich die Rolle der Habsburger im Zusammenhang mit Gegenreformation und Dreißigjährigem Krieg vor Augen, erscheint dies mehr als unwahrscheinlich. Und doch weist gerade Daniel Neuberger stolz darauf hin, dass er sich in Wien öffentlich zu seinem evangelischen Glauben habe bekennen dürfen. 19 Und dies so kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Hier zeigt sich einer jener soziologischen Aspekte, an die Ernst Kris gedacht haben mag, als er über die Bedeutung fürstlicher Sammlungen – und damit auch über Künstler im Dienste dieser Fürsten – sprach.

Dass sich diese Künstler nicht nur auf jene Tätigkeiten beschränkten, die sie ihrer Anstellung und ihrem Titel nach zu leisten hatten, lässt sich anhand zahlreicher Beispiele zeigen. Daniel Neuberger war hier keine Ausnahme. Schon die Berufsbezeichnungen, unter denen er in den Wiener Quellen aufscheint, künden von seiner Vielseitigkeit. Wir finden ihn als kaiserlichen Wachsbossierer, kaiserlichen Konterfetter und kaiserlichen Steinschneider. 20 Darüber hinaus handelte er mit Gemälden und Kunstkammerstücken, betrieb zeitweise ein Bergwerk zum Abbau von Jaspis und Achat und beschäftigte Augsburger Steinschneider. Dass er die kaiserlichen Herrschaften in seiner Kunst unterwies, war nicht selbstloses Vergnügen; für den Unterricht von Kaiser Leopold I. suchte er um eine »gnad und monathliches salarium« 21 an. Als Konterfetter war er auch für die kaiserliche Münze tätig 22 und er soll die »Wachsmodelle für etliche Gußstücke des Balthasar Herold gearbeitet« 23 haben, wenn wir Klapsia in diesem Punkt Glauben schenken wollen. Diese Aktivitäten wie auch jene für die Höfe in München und Stuttgart oder die Fürsten von Liechtenstein, die Grafen von Hanau-Lichtenberg und Nassau-Idstein sollen in der vorliegenden Publikation nicht näher behandelt werden. Vielmehr konzentriert sie sich auf die Wachskunst Neubergers und hier im Besonderen auf diese Kunst für den Wiener Hof. Damit verstehen sich die Texte auch in einer ideellen Nachfolge der Beiträge zur Kunsttätigkeit am österreichischen Kaiserhofe im 17. Jahrhundert . Wie diese versucht auch der vorliegende Band, die kunsthistorische Forschung mit archivalischem Quellenmaterial zu unterfüttern und so ein nachvollziehbares und überprüfbares Bild von Neubergers Tätigkeit zu liefern. Der Tradition der Jahrbücher des Kunsthistorischen Museums und im Speziellen auch der Beiträge zur Kunsttätigkeit am österreichischen Kaiserhofe im 17. Jahrhundert folgend, bietet der Band einen kurzen Anhang, in dem bisher nicht oder nur ungenügend beachtetes Archivmaterial zu Daniel Neuberger veröffentlicht wird. Dieses Material ergänzt jene Regesten, die Klapsia als Anhang zu seinem Aufsatz 1935 publiziert hat, und erweitert so den Blick auf die Hoftätigkeit des Künstlers. Ein Memorial, in dem Neuberger seine Fertigkeiten darlegt, war in der Literatur zwar bekannt, wurde bisher aber in Bezug auf ihn selbst nicht ausgewertet. Die Abschrift eines Privilegs aus dem Jahr 1661 bzw. 1663, das ihm zum Schutz seiner Wissenschaften und Künste ausgestellt wurde, zeichnet ein umfangreiches Bild dieser seiner Fertigkeiten und wird hier erstmals publiziert. Ebenso wie jener Auszug eines gedruckten Nachlassverzeichnisses des Künstlers, der die » Rariteten von des Seel. Herrn Daniel Neubergers eigner Hand« 24 enthält. Diese Quellen sollen zum einen zu einem besseren Verständnis des Künstlers beitragen, zum anderen aber auch eine Basis für nachfolgende Forschungsarbeit legen.

Das gleiche gilt für jenen Bereich kunstwissenschaftlicher Forschung im Museum, der unseren Vorgänger*innen vor neunzig Jahren noch nicht zugänglich war, heute aber kaum

noch wegzudenken ist – die naturwissenschaftlichen und kunsttechnologischen Untersuchungen mitsamt ihrer Einordung und Interpretation. Auch sie sollen dabei helfen, mehr über den Künstler zu erfahren, Einblicke in seine Materialien und Arbeitsweisen zu gewinnen und damit letztendlich den skizzierten Horizont weiter zu verbreitern. Ausgangspunkt für diese Analysen waren zunächst Restauriervorhaben an zweien der Hauptwerke Neubergers in den Sammlungen des Kunsthistorischen Museums: Der Tod Kaiser Ferdinands III. , ein Sinnbild der Vergänglichkeit (Kat.-Nr. 19), übersetzte seine symbolische Aussage in die Wirklichkeit; das Kunstwerk war im Verfall begriffen und steuerte buchstäblich seiner materiellen Vergänglichkeit entgegen. Dieser Prozess musste dringend gebremst werden. Bei der Tafel mit den 60 Szenen aus den Metamorphosen des Ovid (Kat.-Nr. 5) hatten Haftungsverluste zwischen Hintergrund und Modellierung dazu geführt, dass die Lesbarkeit dieser minutiösen Szenen stark eingeschränkt war und das Kunstwerk nur mehr sehr bedingt als jenes Hauptwerk wahrgenommen werden konnte, als welches es Auftraggeber und Biograf – Kaiser Ferdinand III. und Joachim von Sandrart – erlebt hatten. Für die Maßnahmen an beiden Objekten und die Abwägung der Möglichkeiten mussten zunächst die materiellen und herstellungstechnischen Grundlagen erforscht werden. Dass diese aber nicht nur für die Konservierung und Restaurierung unerlässlich sind, sondern auch wichtige Einblicke in das Schaffen des Künstlers bieten, ist evident. Aus diesem Verständnis heraus wurden die weiteren Werke, die in diesem Katalog behandelt und vorgestellt werden, ebenso analysiert – nicht immer mit derselben Intensität und Bandbreite der Methoden wie bei den Hauptwerken, aber zumindest so weit, dass sich aus diesen Analysen wertvolle Schlüsse ziehen lassen. Im Ergebnis ist es die Zusammenschau zwischen kunsthistorischer Analyse, naturwissenschaftlich-technischem Befund und historischer Einbettung, die es uns heute ermöglicht, ein präziseres Licht auf das Wiener Schaffen Daniel Neubergers zu werfen. Dass dabei Etliches an bisheriger Forschungsmeinung zurechtgerückt werden musste, ist notwendiger und gleichermaßen erfreulicher Teil einer solchen Auseinandersetzung. Der Katalogteil geht in seinen neunzehn Einzeldarstellungen auch auf die fortuna critica der einzelnen Objekte ein, würdigt sie aus heutiger Sicht – nämlich als vollwertige Kunstwerke –, schlägt einzelne Neuzuschreibungen, neue Deutungen und Datierungen vor, die immer von der Autopsie des jeweiligen Objektes und seiner künstlerisch-historischen Einbettung ausgehen. Drei Kunstwerke werden dabei in umfassenderen Katalogeinträgen beleuchtet: Es sind dies die beiden schon in Joachim von Sandrarts Teutscher Academie als herausragend beschriebenen Hauptwerke Neubergers, die Tafel mit den 60 Szenen aus den Metamorphosen des Ovid (Kat.-Nr. 5) und der bisher als verloren geltende »Kaiserautomat« (Kat.-Nr. 18) sowie der 1660 dokumentierte und als in der Werkstatt Neubergers befindlich beschriebene Tod Kaiser Ferdinands III. (Kat.-Nr. 19). Bei den Einträgen zu diesen drei Objekten folgt dem kunsthistorischen Teil jeweils ein erweiterter technologischer und konservierungswissenschaftlicher Bericht. Die übrigen Katalognummern sind in thematischen Blöcken, den beabsichtigten Materialimitationen folgend, gegliedert.

Zwei einleitende Aufsätze werfen einen kunsthistorisch-historischen Blick auf den Künstler Daniel Neuberger und sein Milieu und sollen sein Schaffen aus seiner Zeit heraus verständlich und nachvollziehbar machen. Zu Wort kommen dabei der Künstler selbst, sein erster Biograf Joachim von Sandrart, aber auch etwaige Neider und Konkurrenten. Dies soll ein Stimmungsbild zeichnen, in das sich die einzelnen Arbeiten Neubergers sinnhaft einpassen lassen und aus dem heraus sie selbst einzelne, vielleicht nicht offensichtliche Facetten preisgeben.

Ein dritter Aufsatz führt in die Geschichte und Technik des Wachsbossierens ein und beleuchtet die spezielle Arbeitsweise Neubergers, die es ihm ermöglichte, seine besonderen, nicht nur für seine Zeitgenossen erstaunlichen Kunstwerke zu schaffen. Mit dem Anhang, in dem wir einerseits eine summarische Übersicht über die materielle Beschaffenheit der einzelnen Werke Neubergers geben und andererseits das bereits angesprochene Quellenmaterial publizieren, sollen die vorgestellten Überlegungen abgerundet und begründet, aber auch für Weiteres nutzbar gemacht werden.

Mit seinen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlich-technologischen Verschränkungen wirft der Katalog insgesamt einen umfassenden, gleichzeitig aber auch detaillierten Blick auf das Schaffen eines Hofkünstlers, der sich uns durchaus als Kind seiner Zeit präsentiert. Dass sich seine Kunst mit Erkenntnisfragen befasst, Auge und Hand hinters Licht führen will und mit der Diskrepanz zwischen Schein und Sein spielt, erklärt sich aus seiner Zeit heraus. Ebenso ist die Akzentuierung seiner Fertigkeiten als Wissenschaft nur im Kontext seiner Epoche richtig einzuordnen – einer Epoche, die noch unentschlossen ist, in der aber zunehmend Vernunft und Fortschrittsgedanke dominieren und das rationale Denken über die reine Sinneswahrnehmung gestellt werden soll.

Dass all dies auch uns heute nicht fremd ist, mag uns vielleicht auch etwas über unsere Gegenwart sagen. In diesem Fall wird uns das Folgende nicht nur befähigen, frische Einblicke in die künstlerische Aktivität des Kaiserhofes wie auch in jene des Individuums Neuberger zu erlangen, sondern uns ebenso zum Nachdenken über uns und unsere Zeit anregen. Wenn dem so ist, könnten wir vielleicht auch den sinnierenden, aber letztendlich gar nicht so in sich gerichteten Blick des Künstlers auf seinem Selbstporträt (Kat.-Nr. 1) – beschützt von Minerva, sekundiert von Saturn – in diesem Sinn lesen: Als den Blick eines Künstlers, der sich Gedanken macht, was die Vergangenheit geschaffen und was die Zukunft mit sich bringen wird.

Uns als Autor*innen dieses Bandes hat die Zeit, in der wir uns mit Neuberger und seinem Schaffen beschäftigt haben, jedenfalls viel Lust, Vergnügen und so manches Aha-Erlebnis beschert. All dies wollen wir gerne mit Ihnen teilen und wünschen dabei viel Vergnügen.

1 William Shakespeare, The Rape of Lucrece , in Übersetzung von Lisbeth Gombrich (?), in: Gombrich 1978, 233.

2 Klapsia 1935.

3 Hampe 1930.

4 Kris 1934, 197.

5 Memorial; siehe Anhang, S. 171.

6 Siehe Beitrag Rainer, S. 33 f.

7 Hengerer 2010, 142. Dieser Thematik widmete sich 2024/25 die von Sabine Pénot kuratierte Ausstellung Rembrandt – Hoogstraten. Farbe und Illusion im Kunsthistorischen Museum. Wir führen diesen Gedanken fort, indem wir ihn auf den Bereich der Skulptur und Plastik übertragen.

8 Ebenda.

9 Ebenda.

10 Gombrich 1978, 80.

11 Didi-Huberman 1999, 19 f.

12 Marx 2014, 104, und Korey 2018.

13 Smolka 2006, 66.

14 Mann 2000, 384.

15 Henkel – Schöne 1996, Sp. 1425 f.

16 Ebenda, Sp. 1426.

17 Das Blatt und die dazugehörige Descrizione dell’Ape sind eingebunden in Persius 1630, 51–54; vgl. dazu Walt 2014. Als Einzelblattdrucke waren die Bienenbeobachtungen Francesco Saluttis unter den Titeln Melissograophia und Apiarium bereits fünf Jahre zuvor erschienen.

18 Wenngleich Barberini einer derer war, die für ein mildes Vorgehen plädierten und das Urteil gegen Galilei nicht unterzeichneten.

19 Dies schildert er in einem Brief an Sigmund von Birken vom 2. April 1668; Korrespondenz Neuberger – Birken, C.239.03.

20 Haupt 2007, 609, Nr. 3090.

21 Haupt 1983, XXXV, Reg. 1759.

22 Siehe Beitrag Schlegel, S. 27.

23 Klapsia 1935, 234.

24 Nachlassverzeichnis; siehe Anhang, S. 175–177.

Aufsätze

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