Zeitfenster. Stephan Balkenhol trifft Alte Meister

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Zeitfenster

Stephan Balkenhol trifft Alte Meister

Herausgegeben von Peter Forster für das Museum Wiesbaden

»Meine künstlerische Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit dem Menschsein und der Welt, in der wir Menschen verhaftet sind. Dazu gehört auch die Historie.

Nur mit Geschichtsbewusstsein lassen sich Gegenwart und Zukunft bewältigen.

Stellvertretend für den Ausstellungsbesucher stehen meine Figuren in einer Gemäldegalerie, betrachten Kunst und Geschichte und versuchen sich dadurch selbst zu verorten.«

Stephan Balkenhol

Das Museum besitzt jetzt einen König. Dieser König wird niemals regieren, denn er ist ein König ohne Land. Er wird nur der sein, der er ist: ein sitzender Mann mit Krone. Und das in einem Museum, das sich in seiner bald 200-jährigen Geschichte – spätestens mit dem heutigen Museumsbau von 1915 – als eine Art neuer Tempel und die Künstler gleichsam als neue Heilige verstand. Die Architektur von Theodor Fischer spielt vielfach mit solcher Reminiszenz und bündelt diesen Anspruch in einer martialischen kolossalen Granitstatue, die weithin sichtbar im Mittelbau des römischen Portikus untergebracht ist und in deren Achse darüber sich der Turm der Winde aus Athen erhebt. Die von Hermann Hahn 1912 entworfene und 1919 vor der Eingangstür aufgestellte Skulptur zeigt den auf einem Thron sitzenden Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe als obersten Gott des Olymps, Zeus. Mit athletischem nacktem Oberkörper, bekleidet mit einer kurzen Chlamys, ruht seine rechte Hand auf einem Adler, der auf seinen Knien sitzt. Dieser denkmalgeschützten und daher unverrückbaren Überhöhung, die nichts mit der heutigen Museumswirklichkeit zu tun hat, sondern für die jetzigen Verhältnisse ein irritierendes Zeichen einer Bildungseinrichtung sendet, wird nun eine zeitgemäße Antwort entgegengesetzt: der König auf Stuhl. Stephan Balkenhol gestaltet seinen ikonischen Mann, der eine schwarze Hose und ein weißes Hemd trägt, als ein Symbol eines gegenwärtigen Menschenbildes mit vielen Deutungsräumen aus. Mit der Krone, dem Machtsymbol der Monarchie, überträgt Balkenhol die Herrschaft an uns alle. Er stattet einen normalen Menschen mit Würde aus. Die Krone wird so zu einem zutiefst demokratischen Zeichen. Wir alle erhalten mit ihr die Insignien der Herrschaft und sind so auch in die Verantwortung genommen.

Eine der großen Qualitäten des Künstlers ist es, in den letzten Jahrzehnten der Bronzeskulptur im öffentlichen Raum zu neuer Blüte verholfen zu haben. Sein facettenreiches und raffiniertes Spiel mit Traditionen und Sehgewohnheiten, oft auch an ungewöhnlichen Plätzen, bereichert zahlreiche Städte im In- und Ausland. Es wäre wunderbar gewesen und das richtige Zeichen, den König als Außenskulptur in unmittelbarer Sichtnähe zu Goethe zu sehen.

Aber es ist ebenfalls wunderbar, den König in Holz, dem bevorzugten Arbeitsmaterial des Künstlers, im Museum zu wissen. Bislang besaß das Landesmuseum Wiesbaden keine Arbeit des Künstlers. Zwar finden sich in Hessen zahlreiche Werke in öffentlichen und vor allem privaten Sammlungen, aber eben nicht bei uns. Dass diese große Lücke jetzt

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Vorwort Der König ist tot –Lang lebe der König

geschlossen werden konnte, verdanken wir dem Bürgersinn Wiesbadens – der zum erworbenen Objekt passt.

Vier Jahre konnte die Museumsgala, eine der wichtigsten Förderveranstaltungen des Museums und ein gesellschaftliches Highlight in Wiesbaden, aufgrund der Pandemie und ihrer Folgen nicht stattfinden. Organisiert und durchgeführt wird dieses Event von den Freuden des Museums, federführend unter ihrem Kuratoriumsvorsitzenden Stephan Ziegler, mit dem Ziel, für das Museum jeweils ein Kunstwerk zu erwerben.

Bei der Gala 2023 waren Kathrin und Stephan Balkenhol anwesend; der Künstler selbst positionierte im Eingangsoktogon einen monumentalen Gipskopf und trug mit dieser Setzung zum Erfolg des außergewöhnlichen Abends bei. Nach dem Ende der Gala wanderte der gigantische Kopf auf die gegenüberliegende Seite der Wandelhalle, quasi aus der Dunkelheit ins Licht. Bei dem Kopf handelt es sich um den Gipsentwurf für seinen Wettbewerbsbeitrag für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin aus dem Jahr 2010. Balkenhol hatte eine fünf Meter hohe Skulptur eines knienden Mannes eingereicht und dafür den ersten Preis erhalten. Die Tatsache, dass es nicht zur Umsetzung kam, möchten wir hier bewusst unkommentiert lassen, und sind darüber sehr glücklich, dass Wiesbaden den Gipskopf präsentieren konnte!

Der Erlös der Gala wurde zum Kauf des Königs auf Stuhl verwendet: Das Bürgertum setzt sich für einen bürgerlichen König ein und stimmt damit für ein demokratisches und offenes Museum.

Unser großer Dank gilt dem unermüdlichen Engagement der Freunde des Museums, die diese Ausstellung vielfältig begleitet und unterstützt haben. Darüber hinaus wurde im historischen Vortragssaal des Museums, jenem mythischen Fluxus-Raum, das »BalkenholKino« eingerichtet. Dort kann man den Meister bei der Arbeit sehen, und das Publikum erlebt seine Virtuosität beim Bearbeiten des Holzes aus so großer Nähe wie möglich. Dass er, einer der renommiertesten Künstler des Landes, sich auf das ungewöhnliche Ausstellungskonzept von Zeitfenster – Balkenhol trifft Alte Meister eingelassen hat, ist durchaus bemerkenswert. Balkenhol hat Kunstgeschichte verinnerlicht – und auch selbst geschrieben –, aber das hieß ja noch nicht, dass er eine solch schwierige und komplexe Aufgabe annehmen würde. Das Ergebnis übertrifft all unsere Erwartungen. Auf drei Ebenen interagieren nun die Kunstwerke der Alten Meister, die Arbeiten Stephan Balkenhols und die Besuchenden und bilden ein eng verzahntes Netzwerk. Es werden neue Beziehungs-

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Vorwort

geflechte generiert, überraschende Perspektiven eröffnet, überraschende Einsichten vermittelt: Der Museumsbesuch wird zum Abenteuer.

Unser großer Dank gilt Stephan Balkenhol, der jetzt auch als Künstler im Museum Wiesbaden vertreten ist, und Kathrin Balkenhol. Dass der Künstler extra Werke für die Ausstellung geschaffen hat, so die Museumsspatzen, ist bei allen auf Begeisterung gestoßen. Christian Fux hat mit sicherem Gespür für das Werk von Balkenhol Hand angelegt. Der Galerist Christian Löhrl und seine Frau Martina aus Mönchengladbach haben die Ausstellung generös unterstützt und mit dem Erlös aus dem Verkauf der Bronzeedition Waage (Justitia) und den Kopfreliefs zur Realisierung des Katalogs beigetragen. Mit ihren Eltern, Christa und Dietmar Löhrl, ist unser Haus seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden.

Für ihre Unterstützung danken möchten wir auch der Galerie Holger Priess in Hamburg. Für eine Ausstellung von Balkenhol benötigt man Werke von Stephan Balkenhol. Doch Balkenhols sind rar, insbesondere in seinem Atelier: Seine Arbeiten sind sehr begehrt. Deshalb benötigt man Leihgaben, auch aus Privatbesitz. Die lange Ausstellungsdauer hat es vielen sicher nicht leicht gemacht, sich von ihren Objekten zu trennen, aber dennoch war die Unterstützung von privater Seite begeisternd. Wir möchten daher allen privaten Leihgebern sehr herzlich danken.

Dank gilt auch unserer Registrarin Caren Jones, die sich unermüdlich für die Ausstellung engagiert hat, ferner den Restauratorinnen Ines Unger, Jana Merseburg und Anne-Sophie Bennke. Unserem Fotografen Bernd Fickert sind die atmosphärisch dichten Bilder des Katalogs zu verdanken; mit seinem professionellen Blick hat er die Ausstellung in all ihrer Vielschichtigkeit erfasst. Die Büchermacher Petra Kruse und Kai Reschke haben die Publikation wie stets umsichtig betreut und eine überzeugende Form für die Ausstellungsinhalte gefunden.

Dass diese im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Ausstellung, dank des exzellenten Rufes des Künstlers, gut besucht wird, war vorhersehbar, dass sie aber ein so positives Echo auslöst, hat uns doch freudig überrascht.

So freuen wir uns, dass es gelungen ist, alte und neue Werke – und die Besucherinnen und Besucher! – zu einer großen Feier der Kunst zusammenzubringen.

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Verzeichnis der ausgestellten Werke

Wenn nicht anders angegeben, befinden sich die Werke in Privatbesitz.

Bozetto 1990

Wawa-Holz

122 × 38 × 42 cm

Mann unter Fliegenpilz 1991

Kiefernholz

155 × 53 × 52 cm

Mann mit hellbrauner Jacke 2012

Wawa-Holz, farbig gefasst

170,5 × 55 × 21,5 cm

Türkise Frau

2013

Wawa-Holz, farbig gefasst 170 × 24,5 × 34,3 cm

Ausgesägter Mann ca. 1996

Pappelholz

130 × 70 × 10 cm

Zwei Figurensäulen, Mann und Frau mit Besen 2001

Wawa-Holz, farbig gefasst

Frau 156 × 34 × 24 cm

Mann 156 × 33,5 × 20 cm

Ecce Homo 2013 (?)

Relief in Inkjet-Print 157 × 157 × 4,2 cm

Mann mit grauen Haaren 2003

Wawa-Holz, farbig gefasst 167 × 24 × 25 cm

Sphinx 2014

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 32 × 33 × 32 cm

Plinthe 0,8 × 39 × 39 cm

Gipskopf (Knieender)

2015

Gips

120 × 90 × 90 cm

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Mephisto

2016

Wawa-Holz, farbig gefasst

170 × 28 × 30 cm

Frau auf Stamm: Moderne Frau, Gotische Frau, Urfrau

2017

Wawa-Holz, farbig gefasst

Höhe gesamt je 201 cm

Höhe Figur je 96 cm

Stamm je 25 × 75 × 40 cm

Tisch je 80 × 82 × 48 cm

Herme Mann

2020

Wawa-Holz, farbig gefasst

175 × 39 × 24 cm

Venus

2017

Wawa-Holz, farbig gefasst

185 × 82 × 54 cm

Herme Frau

2020

Wawa-Holz, farbig gefasst

153 × 40 × 23 cm

Löwenmann

2018

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 53 × 27 × 45 cm

Plinthe 0,8 × 48,5 × 32 cm

Mann

2020

Wawa-Holz, farbig gefasst

154 × 41 × 23 cm

Einhorn

2020

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 34 × 55 × 18 cm

Plinthe 1 × 35 × 70 cm

Apoll (Leiermann)

2020

Zedernholz

228 × 95 × 95 cm

Fahrradfahrer

2021

Pappelholz, Fahrrad

200 × 50 × 180 cm

Verzeichnis der ausgestellten Werke

Katzenfrau 2021

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 63 × 27 × 15 cm

Plinthe 1 × 26 × 26 cm

Steinbockfrau 2021

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 66 × 16 × 16 cm

Plinthe 1 × 24 × 24 cm

Tigermann 2022

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 66 × 16 × 16 cm

Plinthe 1 × 24 × 24 cm

Löwe 2022

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 24 × 52,5 × 24 cm

Plinthe 1 × 58 × 28 cm

Mann mit Revolver 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst 171 × 37 × 24 cm

Galerie Löhrl, Mönchengladbach

Frau mit grünem Trenchcoat 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst 168 × 37 × 24 cm

König auf Stuhl 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst 166 × 35 × 35 cm

Museum Wiesbaden

Liberty 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst 183 × 29 × 23 cm

Mann mit schwarzer Hose und weißem Hemd 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst 171 × 35 × 34 cm

Lucifer 2022

Kirschholz, farbig gefasst

Figur 66 × 28 × 33 cm

Tischsockel 167 × 40 × 40 cm

Holger Priess Galerie, Hamburg

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Kleiner Mann mit grauer Fahne 2022

Wawa-Holz, farbig gefasst

171,5 × 34 × 35 cm

Engel 2022

Kirschholz, farbig gefasst

45 × 20 × 40 cm

Mann mit schwarzer Hose und weißem Hemd (»d’ Krempler«)

2023

Wawa-Holz, farbig gefasst

170 × 35 × 33 cm

Galerie Löhrl, Mönchengladbach

Skorpionmann

2023

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 50 × 30 × 48 cm

Plinthe 1 × 47 cm

Waage (Justitia)

2023

Bronze, patiniert und gefasst

Figur 63 × 21 × 19,5 cm

Plinthe 1 × 29 × 29 cm

Galerie Löhrl, Mönchengladbach

Baby

2023

Wawa-Holz

204 × 115 × 50 cm

Mann mit der Weltkugel

2023

Wawa-Holz farbig gefasst

170 × 34,5 × 34,5 cm

3 Museums-Spatzen

2023

Holz, gefasst

130 × 30 × 30 cm (2)

127 × 30 × 30 cm (1)

Relief Frau (nach rechts)

2023

Pappelholz, gefasst 30 × 30 × 3,7 cm

Relief Mann (von vorne)

2023

Pappelholz, gefasst 30 × 30 × 3 cm

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