Deutsche Oper Berlin: WRITTEN ON SKIN

Page 1

Written on Skin George Benjamin



Written on Skin

George Benjamin [*1960] Oper in drei Teilen Text von Martin Crimp nach dem anonymen okzitanischen Text „Guillem de Cabestanh – Le cœur mangé“ aus dem 13. Jahrhundert Uraufführung am 7. Juli 2012 am Grand Théâtre de Provence in Aix-en-Provence Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 27. Januar 2024



3

Martin Crimp

Teil I 1. Szene: Chor der Engel Entfernt den Samstags-Autoparkplatz vom Markt, lasst die Lebenden verschwinden, erweckt die Toten wieder zum Leben. Ein Engelschor führt achthundert Jahre zurück in eine Zeit, in der jedes Buch ein kostbarer „auf Haut geschriebener“ Gegenstand ist. Drei Engel erwecken zwei Protagonisten der Geschichte zum Leben: den Protector, einen reichen und intelligenten Großgrundbesitzer, „der von Reinheit und Gewalttätigkeit besessen ist“, und eine gehorsame Frau, sein „Eigentum“, Agnès. Ein Engel verwandelt sich dann in den dritten Protagonisten, „den Jungen“, einen Buchillustrator. 2. Szene: Der Protector, Agnès und der Junge Vor seiner Frau fordert der Protector den Jungen auf, sein Leben und seine Wohltaten in einem illustrierten Buch festzuhalten. Es soll seine Feinde in der Hölle und seine eigene Familie im Paradies darstellen. Als Probe seines Könnens zeigt der Junge dem Protector die schmeichelhafte Miniatur eines reichen und huldvollen Mannes. Agnès misstraut dem Jungen und dem Malen von Bildern, aber der Protector weist ihre Einwände zurück und befiehlt ihr, ihn in ihrem Haus willkommen zu heißen. 3. Szene: Chor der Engel Die Engel evozieren die Brutalität der biblischen Schöpfungsgeschichte („erschafft den Menschen und ertränkt ihn“, „drängt ihn schreiend in eine Grube") sowie ihre Frauenfeindlichkeit („erschafft sie/entblößt sie/macht ihr alles zum Vorwurf“). 4. Szene: Agnès und der Junge Ohne ihrem Mann etwas zu sagen, geht Agnès zur Werkstatt des Jungen, um herauszufinden, „wie ein Buch gemacht wird“. Der Junge zeigt ihr eine Miniatur von Eva, aber Agnès lacht darüber. Sie fordert den Jungen auf, das Bild einer „wirklichen“ Frau zu malen, die ihr gleicht, einer Frau mit klaren und erkennbaren Zügen, einer Frau, die er, der Junge, sexuell begehren kann. 5. Szene: Der Protector und die Besucher, John und Marie Der Winter kommt, und der Protector grübelt über das veränderte Benehmen seiner Frau nach. Sie spricht oder isst kaum, kehrt ihm im Bett den Rücken zu und

2

Handlung


gibt vor zu schlafen, aber er weiß, dass sie wach ist, und hört, wie ihre Wimpern „wie ein Insekt auf dem Kissen schaben“. Als Marie, die Schwester von Agnès, mit ihrem Mann John kommt, fragt sie nach dem Buchvorhaben, und insbesondere danach, wie klug es sei, einen fremden Jungen einzuladen, der mit Agnès am Familientisch isst. Der Protector verteidigt nachdrücklich den Jungen und das Buch und droht, John und Marie von seinem Besitz zu entfernen. 6. Szene: Agnès und der Junge In derselben Nacht, als Agnès allein ist, schleicht der Junge in ihre Kammer, um ihr das Bild zu zeigen, um das sie ihn gebeten hat. Zunächst gibt sie vor, nicht zu wissen, was er meint, erkennt jedoch bald, dass das Bild einer schlaflosen Frau im Bett ein Porträt von ihr selbst ist, von ihrem nackten, in Betttücher gehüllten Körper. Während sie gemeinsam das Bild betrachten, wächst die sexuelle Spannung, bis Agnès sich dem Jungen hingibt.

Teil II 7. Szene: Der böse Traum des Protectors Der Protector träumt nicht nur, dass seine Leute gegen die Kosten für das Buch rebellieren, sondern auch, noch beunruhigender, von einem Gerücht über eine geheime Seite, „feucht wie der Mund einer Frau“, auf der Agnès zu sehen ist, „wie sie den Jungen in ein geheimes Bett zieht“. 8. Szene: Der Protector und Agnès Der Protector erwacht aus seinem Traum und will sich seiner Frau zuwenden. Sie steht jedoch am Fenster und sieht den schwarzen Rauch in der Ferne, als die Männer des Protectors feindliche Dörfer niederbrennen. Sie bittet ihren Mann, sie zu berühren und zu küssen, aber er ist von dieser Annäherung seiner Frau abgestoßen und weist sie mit den Worten ab, dass nur ihre Kindlichkeit ihr Benehmen entschuldigen könne. Zornig verbittet sie es sich, als Kind bezeichnet zu werden, und sagt ihm, wenn er die Wahrheit über sie wissen wolle, müsse er zu dem Jungen gehen: „Frag ihn, was ich bin“. 9. Szene: Der Protector und der Junge Der Protector findet den Jungen im Wald, wie „er sich in einer Messerklinge spiegelt". Er will den Namen der Frau wissen, die „mit dir schreit und schwitzt / in einem geheimen Bett“; ist es Agnès? Der Junge, der Agnès nicht verraten will, sagt dem Protector, dass er mit Marie, der Schwester von Agnès, schläft, und beschwört eine absurde Szene mit Maries erotischen Fantasien herauf. Der Protector glaubt dem Jungen bereitwillig und erzählt Agnès, dass der Junge mit „deiner Schwester, der Hure" schlafe. 10. Szene: Agnès und der Junge Agnès glaubt den Worten ihres Mannes und wirft dem Jungen wütend vor, sie zu betrügen. Er erklärt, dass er gelogen habe, um sie zu schützen, doch das macht sie nur noch zorniger: Er wollte nicht sie, sondern sich selbst schützen. Wenn er sie wirklich liebe, müsser er den Mut haben, die Wahrheit zu sagen, und zugleich ihren Mann dafür bestrafen, dass er sie wie ein Kind behandelt. Sie verlangt von dem Jungen als Treuebeweis ein neues, schockierendes Bild, das die Selbstgefälligkeit ihres Mannes endgültig vernichten soll.


11. Szene: Der Protector, Agnès und der Junge Der Junge zeigt dem Protector und Agnès einige Seiten aus dem fertigen Buch mit einer Reihe von Gräueln, worauf der Protector zunehmend ungeduldig das Paradies sehen will. Der Junge ist überrascht: behauptet, dies seien tatsächlich Bilder des Paradieses hier auf Erden; erkennt der Protector nicht seine eigene Familie und seinen Besitz? Agnès möchte daraufhin, dass er ihr die Hölle zeigt. Der Junge gibt ihr eine beschriebene Seite. Das frustriert Agnès, denn als Frau hat sie nicht lesen gelernt. Doch der Junge geht und lässt Agnès und ihren Mann allein mit der „geheimen Seite“. 12. Szene: Der Protector und Agnès Der Protector liest den Text auf der Seite laut vor. Darin beschreibt der Junge seine Beziehung zu Agnès sinnlich und detailliert. Für den Protector ist dies verheerend, aber für Agnès bestätigt sich damit, dass der Junge ihren Wunsch genau ausgeführt hat. Aufgeregt und fasziniert durch den Text bittet sie ihren Mann, unempfindlich für seine Qual, ihr „das Wort für Liebe“ zu zeigen. 13. Szene: Chor der Engel und der Protector Die Engel evozieren die Grausamkeit eines Gottes, der den Menschen aus Staub erschafft, nur um seinen Sinn mit widerstreitenden Begierden zu füllen und ihn „Scham darüber empfinden zu lassen, ein Mensch zu sein“. Zerrissen zwischen Erbarmen und Gewalt geht der Protector wieder in den Wald und tötet den Jungen „mit einem langen, sauberen Schnitt in den Körper“. 14. Szene: Der Protector und Agnès Der Protector versucht, wieder Kontrolle über Agnès zu gewinnen. Er schreibt ihr vor, was sie sagen soll, wie sie sich selbst nennen soll oder nicht, und zwingt sie, während sie an einem langen Esstisch sitzt, das ihr vorgesetzte Gericht zu essen, um ihren „Gehorsam“ zu erweisen. Der Protector fragt sie immer wieder, wie ihr das Mahl schmecke und ist erbost darüber, dass sie auf dessen Wohlgeschmack beharrt. Dann offenbart er ihr, dass sie das Herz des Jungen gegessen habe. Weit davon entfernt, ihren Willen zu brechen, löst dies einen trotzigen Ausbruch aus, in dem Agnès erklärt, dass keinerlei Gewalt („auch nicht, wenn du meinen Körper in Säure auflöst“) jemals den Geschmack vom Herzen des Jungen aus ihrem Mund entfernen wird. 15. Szene: Der Junge / Erster Engel Der Junge erscheint wieder als Engel, um ein letztes Bild zu präsentieren: Darauf ergreift der Protector ein Messer, um Agnès zu töten; doch sie tötet sich lieber selbst, indem sie vom Balkon springt. Das Bild zeigt ihre fallende Gestalt, die der Buchillustrator für immer am nächtlichen Himmel schweben lässt, während drei kleine, an den Rand gemalte Engel sich umwenden, um auf den Blick des Betrachters zu treffen.

5 Handlung

4

Teil III



6

7

Angels 2 + 3 Strip the cities of brick dismantle them. Strip out the wires and cover the land with grass. Angel 2 Force chrome and aluminium back into the earth. Angel 3 Cancel all fligths from the international airport Angels 2 + 3 and people the sky with angels.

Angel 1 Erase the Saturday car-park from the market-place rub out the with lines. Angels 2 + 3 Shatter the printing-press. Make each new book a precious object Written on skin. Angel 1 Make way for the wild primrose and slow torture of criminals. Fade out the living: snap back the dead to life.

Teil 1, Szene 1


Drastik und Distanz

Der Stoff von WRITTEN ON SKIN in der Inszenierung von Katie Mitchells Sebastian Hanusa

So einfach die in WRITTEN ON SKIN erzählte Geschichte auf den ersten Blick erscheint, so komplex ist sie auf einen zweiten – insbesondere durch die Rahmenhandlung, in die Autor Martin Crimp die mittelalterliche Legende um den Troubadour Guillem de Cabestanh gesetzt hat. Die Kerngeschichte jedoch lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Ein junger Mann hat eine Affäre mit einer verheirateten Frau. Ihr Ehemann erfährt davon, tötet den Liebhaber, schneidet ihm das Herz aus dem Leib und setzt es seiner Frau zum Abendessen vor. Sie isst das Herz und als sie erfährt, was sie gegessen hat, nimmt sie sich das Leben. Als weitere, wichtige Dimension kommt bereits in der Textgrundlage die Rolle der Kunst hinzu. Bei Crimps und Benjamins wichtigster Quelle handelt es sich um einen Razo über Guillem de Cabestanh. Razos sind kurze, biographisch-anekdotische Lebensbeschreibungen bekannter Troubadoure, in denen, zumeist erst Jahrzehnte nach ihrem Tod, eine mündliche Überlieferung schriftlich aufgezeichnet wurde und in denen Realität und Fiktion ineinandergriffen, so dass sie heute nicht mehr zu trennen sind. Innerhalb der Razos wurden Ereignisse aus dem Leben eines Troubadours mit seinen Liedern und Gedichten in Verbindung gebracht, zumeist mit einer Liebesgeschichte, und die Trennung zwischen dem literarischen Sujet und einer biographischen Person wurde aufgehoben. Somit ist heute nicht mehr nachvollziehbar, ob der historische Guillem de Cabestanh, der zwischen ca. 1160 und 1212 in Südwestfrankreich gelebt hat und dem gesichert sieben Gedichte zugeordnet werden können – zwei weitere sind in der Zuschreibung fraglich –, auch der Protagonist der tragischen Geschichte vom „Cœur mangé“ ist. Und ebenso ist fraglich, ob sein Patron und Auftraggeber Raimon de Castel Roussillon, der in einigen seiner Gedichte genannt wird, auch sein Mörder wurde. Angeknüpft haben Crimp und Benjamin jedoch an die Eigenart der Troubadour­ dichtung, dass sich deren Liebeslyrik an eine oftmals höhergestellte Dame oder auch Herrin richtet, die als Geliebte unerreichbar bleibt, da sie verheiratet ist und zudem oft unschwer als Gattin des Herren, Mäzens und Auftragsgebers des Dichters zu erkennen ist. Während dies als naheliegende Steilvorlage für Spekulationen diente und die biographische Legendenbildung der Razos unterstützt hat, war jenes Loblied der Herrin als einer begehrten und ersehnten Geliebter zugleich intendiertes Ziel jener Aufträge: im Sinn eines bestellten, der Kunst mächtigen Stellvertreters, der im Namen seines Herren durch seine Kunst


Hiermit angelegt ist einer der zentralen Unterschiede zwischen der mittelalterlichen Stoffvorlage und Crimps Text. In den Razos bleibt Guillems Geliebte Soremonda quasi stumm. In WRITTEN ON SKIN erlebt man jedoch Agnès’ Emanzipationsgeschichte, in deren Verlauf sie an zwei Schlüsselstellen darin insistiert, beim Namen genannt zu werden und nicht als „die Frau“ bezeichnet zu werden und damit als ein Gegenstand, den man besitzen und über den man frei verfügen kann – zu Beginn der Oper bezeichnet sich Agnès noch selber mit „the woman“. Die erste dieser Stellen befindet sich in der sechsten Szene und damit der großen Liebesszene zwischen Agnès und dem Jungen am Ende des ersten Teils. Zuvor hatte Agnès in der vierten Szene darum gebeten, nachdem sie ein Bild der biblischen Eva in den Illustrationen des Jungen gesehen hat, nun das Bild von einer „woman who’s real“ und damit ein Porträt von ihr zu malen. Zugleich hatte sie ihn hier gebeten, auch dies in einer Form von Stellvertreterschaft durch die Kunst, dieses Mal jedoch mit einer von der Frau und nicht dem minnenden Mann ausgehenden Initiative, ein Liebesverhältnis jener abgebildeten Frau mit einem „Jungen“ in das Bild hineinzumalen – eine Liebeserkärung vermittels der Malerei. In der sechsten Szene nun zeigt der Junge Agnès sein Bild und beschreibt dessen Details. Hierbei bezeichnet er die dargestellte Frau in der dritten Person, bis Agnès schließlich auf seinen Satz „I’ve painted the woman’s heart“ mit „No! – not ‚the woman‘ – I am Agnès“ antwortet. Sie insistiert darauf, mit ihrem Namen angesprochen zu werden, insistiert darauf, dass über sie als Person und nicht nur über ihr Bild gesprochen wird – und schließt die Szene, bevor sich der Vorhang senkt und die beiden den Liebesakt vollziehen, mit den Worten: „Love’s not a picture: love is an act.“ Die zweite Szene, in der Agnès darauf beharrt, mit ihrem Namen angeredet zu werden, anstatt dass über sie, wie über einen Gegenstand, in der dritten Person gesprochen wird, findet sich in der vierzehnten Szene, dem dramatischen Höhepunkt des Stückes. Es ist die Szene, in der ihr Mann ihr das zubereitete Herz des Jungen vorgesetzt hat und sie nötigt, dieses zu essen. Auch hier insistiert sie „I’m not the woman. / I’m Agnès.“ Doch ihr Mann geht nicht darauf ein. Was er jedoch nicht erwartet, ist die Reaktion seiner Frau, nachdem er ihr gesagt hat, was sie gegessen hat. Statt des von ihm erwarteten Zusammenbruchs begehrt sie auf, isst die Mahlzeit auf und provoziert den Protector mit den Worten „Nothing will ever take the taste of that Boy’s heart / out of this mouth.“ Dem Versuch des Protectors, sie im Zorn zu töten, entzieht sie sich durch den Freitod.

9 8 Drastik und Distanz

spricht und durch den öffentlichen Vortrag seines Werkes zugleich den Wert des herrschaftlichen Besitzes und seines Eigentümers unterstreicht. So erleben wir es auch in WRITTEN ON SKIN , wenn der Protector seinen Besitz präsentiert, die Ländereien mit den fronpflichtigen Bauern, seine Weinberge, seine Mühle, seine Gärten und seine Tiere aufzählt und mit dem Satz schließt: „My wife’s body – her still and obedient body – is my property“. All dies soll durch einen jungen Künstler, der im Stück namenlos ist und lediglich als „the Boy“ bzw. „der Junge“ bezeichnet wird, zur Darstellung gebracht werden. Wobei es sich bei Crimp und Benjamin nicht um einen Troubadour und damit einen Dichter-Sänger-Komponisten handelt, sondern um einen bildenden Künstler, der den Auftrag erhält, eine kostbar illustrierte Bilderchronik zu gestalten. Auch sein Auftraggeber trägt keinen Namen sondern wird immer nur als der „Protector“ bezeichnet. Anders jedoch seine Ehefrau Agnès sowie die zwei Nebenfiguren Marie, die Schwester von Agnès, sowie ihr Ehemann John.


Die Rede in der dritten Person wird von Crimp aber auch als Stilmittel eingesetzt, um die handelnden Figuren in gewisse Distanz zu sich selber zu setzen. So kommentieren die drei Hauptfiguren ihre direkte Rede immer wieder mit einem „Says the Boy / Woman“ oder sprechen die Regieanweisungen bezüglich ihrer eigenen Person mit wie der Protector, wenn er etwa in Szene zwei sagt: „But the Protector takes the page / gently to the window / looks deeper and deeper into the page – / recognises in the rich and merciful painted man / himself.“ Diese Distanznahme ist Fortsetzung des Spielprinzips, das durch die von Crimp dem mittelalterlichen Stoff hinzugefügte Rahmenhandlung eingeführt wird. Diese spielt in der unmittelbaren Gegenwart und zeigt in der ersten Szene des Stückes drei Engel, die in knappen und zugleich bildstarken Sätzen davon sprechen, dass sie die Merkmale der modernen Welt austilgen und durch die Zeit ins Mittelalter zurückreisen. Sie erwecken den Protector und Agnès wieder zum Leben und lassen sie noch einmal ihre Geschichte durchleben. In die Rolle des Jungen schlüpft jedoch Engel 1, während die anderen Engel, aus einer – hier im wörtlichen Sinne – Position des „Deus ex machina“ das Geschehen kommentieren, eingreifen sowie in die Rollen Agnès Schwester Marie und ihres Ehemanns John schlüpfen. Und gleichzeitig fällt Engel 1 zwischenzeitlich kurz aus seiner Rolle, wenn er in anachronistische Bemerkungen über Dinge spricht, die für die mittelalterlichen Menschen in der Zukunft liegen und die ihnen unbekannt sind. Auch spricht er am Ende, nach dem tragischen Ausgang der Geschichte – die er selber als unsterbliches Wesen überlebt hat – im Epilog wiederum aus distanzierter, den Zeiten übergeordneter Perspektive. Die Anlage dieser Rahmenhandlung in Text und Vertonung lässt weiten Spiel­ raum für eine Interpretation durch die Regie. Katie Mitchell hat dazu in ihrer Inszenierung der Uraufführung, die auch in Berlin zu sehen ist, eine detaillierte Hintergrundgeschichte für den Handlungsverlauf geschrieben. In dieser beschreibt sie die Vorgeschichte der drei Protagonisten mit ihrem familiären Hinter­ grund und ihrer Biografie, hat aber auch für die einzelnen Szenen der mittelalterlichen Handlung äußerst konkrete Zeitangaben festgelegt. Demnach kommt, mit der zweiten Szene, der Junge an einem sonnige Morgen im September 1211 in das Haus des Protectors und in einer Nacht kurz vor Weihnachten des selben Jahres kommen Agnès und der Junge in der sechsten Szene des Stückes zusammen. An einem Vormittag Ende Mai 1212 präsentiert der Junge dem Protector sein fertiggestelltes Buch, in dem er auf Agnès’ Wunsch hin als Beweis seiner Treue zu ihr ihre Beziehung entdeckt. Drei Tage später tötet der Protector ihn und setzt Agnès sein Herz vor. Zugleich erzählt diese Hintergrundgeschichte auch ausführlicher von den Engeln und ihrer Motivation, die mittelalterliche Geschichte wieder aufleben zu lassen und sich in diese hineinzubegeben, sich dieser auch, speziell in der Verkörperung als Junge, auszusetzen. Als unsterbliche Wesen haben sie den Lauf der Geschichte von Anbeginn miterlebt, mit all den Gräueln, die die Menschen sich untereinander angetan haben – bis hin zu den Verbrechen des 20. Jahrhunderts, mit denen die Menschen, so Mitchell in ihrer Geschichte, Gott getötet haben. Ohne Aufgabe und allein zurückgelassen von Gott, wollen sie das Handeln des Menschen und sein Verhalten als liebendes wie hassendes, begehrendes wie tötendes Wesen verstehen, dass vermittels seines sterblichen Körpers in der Welt existiert.




Im Bühnenbild Wicki Mortimers findet sich das Nebeneinander der beiden Zeitebenen räumlich durch das Nebeneinander von modernen und historischen Räumen wieder. Für diese hat Mitchell in ihrer Rahmenhandlung die Geschichte eines reichen Sammlers mittelalterlicher Handschriften erfunden, der plant, ein Museum in Südfrankreich zu errichten. Er muss den Plan jedoch aufgeben – und in das verlassene Haus mit seinen historischen Räumlichkeiten wie seinem Archiv ziehen die drei Engel, unterstützt von vier weiteren Engels-Darsteller*innen, für ihr Mittelalter-Reenactment ein. Und auch im Spielsystem der Inszenierung mit dem Wechsel zwischen Engelshandlung und Hauptgeschehen zeigt sich dieser Wechsel: Wenn Protector und Agnès quasi „an- und ausgeschaltet“ werden, durch signifikante Lichtwechsel und durch das Agieren der für die Menschen un­ sichtbaren, körperlosen Engelswesen.

13 Drastik und Distanz 12

Hierzu nehmen sie menschliche Gestalt an, vergessen aber zugleich nicht ihre Engelsexistenz und damit den Blick aus der Distanz. Speziell Engels 1 wird dabei durch das körperliche Erleben seiner Beziehung zu Agnès immer wieder auch emotional in das Geschehen hineingezogen, nimmt aber auch mit zynischer Kälte Abstand.


Der Komponist George Benjamin über WRITTEN ON SKIN Martin Crimps Text Diese Mischung aus indirektem und „natürlicherem“ Schreiben spricht mich ungemein an. Dem haftet eine Fremdartigkeit an, die, wie ich finde, buchstäblich Platz schafft für die Musik. Die Sprache, die Martin Crimp gebraucht, ist von großer Simplizität – und damit wie geschaffen für Gesang – doch die Strukturen, die er durch diese linguistischen Idiome erschafft, besitzen eine beachtliche Komplexität, was mich ebenfalls sehr anspricht. Schlussendlich bin ich davon überzeugt, dass sich nicht ein einziges Wort in seinen Texten finden lässt, das nicht in irgendeiner Form ein immenses emotionales Gewicht besitzt.

Entstehung Viele Aspekte der Architektur wurden in den Monaten, bevor Martin den Text schrieb, entwickelt. Den Vorschlag von Bernard Foccroulle (des damaligen Leiters des Festivals in Aix-en-Provence, des Auftraggebers für WRITTEN ON SKIN), einen Countertenor zu wählen, habe ich gerne angenommen, da die Idee von Duetten zwischen Counter und Sopran meiner Fantasie sehr entgegenkam. Ebenso wie die Entscheidung, das Orchester auf sechzig Instrumente zu beschränken, damit ich mich bei meinen instrumentalen Entscheidungen auf das Wesentliche konzentrieren musste. Es war besonders anregend, mit einem so feinsinnigen und erfahrenen Dramaturgen wie Martin Crimp zusammenzuarbeiten. Mit seiner ausdrücklichen Unterstützung habe ich oft die natürliche rhythmische Sprache seines Textes unterwandert und sogar die sich wiederholenden metrischen Muster ignoriert, die seine Sprache manchmal nahelegt. Meine ersten Skizzen für jegliche Passagen betrafen oft und vor allem anderen die Abstände und die zeitliche Planung der Worte, und immer wurden diese Entscheidungen von der dargestellten dramatischen Situation bestimmt.

Formale Anlage Was die genaue dramatische Form betrifft, so war dies letztlich Martin Crimps Aufgabe – und ich habe mich der Herausforderungen, die er mir stellte, mit Freuden


Handlungszeit Was die chronologische Zeit betrifft, so bewohnt diese Oper ein seltsames hy­ brides Territorium – sowohl das 21. Jahrhundert als auch das Mittelalter. Was das gemeinsame Zeitempfinden der Protagonisten auf der Bühne betrifft, so „hören“ diese sich gegenseitig die meiste Zeit nicht und scheinen in getrennten Welten zu leben – daher der häufige Einsatz von gegensätzlichen Tonhöhen und Metren. Momente gelingender Kommunikation – insbesondere die Liebesszene am Ende des ersten Teils – sind selten. Und da die drei Hauptfiguren im weiteren Verlauf der Geschichte auch ihre eigenen Rollen erzählen, sind wir, so glaube ich, weit entfernt von dem Zeitgefühl, das man mit einer mehr naturalistischen Oper verbindet.

Orchesterbesetzung In meiner Instrumentierung werden einige stärker besetzte Instrumentengruppen (vier Klarinetten, vier Trompeten und vier Schlagzeuger) durch leicht reduzierte Streicher (8.6.6.6.4) ausgeglichen. Und dann gibt es noch die beiden zusätzlichen Akteure – eine Bassgambe und eine Glasharmonika, beides Instrumente, die mir besonders am Herzen liegen und die für besondere Momente in der Oper reserviert sind. Für mich ist der Klang der Gambe nicht „fern“ – sie ist einfach eine wunderbare klangliche Ressource, hoch resonant und überaus reich an Obertönen. Ich habe versucht, diese Eigenschaften hervorzuheben, indem ich den Klang der Gambe mit einem Geflecht aus gedämpften Blechbläsern „umhüllt“ habe, die alle fortissimo spielen und doch pianissimo klingen, wobei das kräftige Spielen ihren Klang zum Flirren bringt ... Ich habe die Glasharmonika als harmonische Ressource benutzt, um komplexe Akkorde zu spielen (wofür sie eigentlich nicht ausgelegt ist). Die Spannung zwischen Fingern und Glas erzeugt eine einzigartig instabile und zerbrechliche Klangfülle, fast elektronisch – wenn auch sensibler und unvorhersehbarer.

Stimmbehandlung Obwohl die Gesangsstimmen stets Vorrang haben – und daher der instrumentale Hintergrund oft diskret gehalten ist – wollte ich eine sehr breite Palette orchestraler Farben aufzeigen, auch um die Welt des mittelalterlichen Illustrators heraufzubeschwören.

15 George Benjamin über WRIT TEN ON SKIN 14

angenommen. Ich wollte unbedingt jeder Szene eine ganz eigene Atmosphäre, einen ganz eigenen Ton und eine ganz eigene Sprache geben – mit einem quasi filmischen Schnitt dazwischen. Es gibt zwar zahlreiche kurze Passagen nur für das Orchester, aber sie bilden keine konventionellen Interludien zwischen den Szenen; die meisten sind sogar innerhalb der Szenen selbst platziert. In einer Komposition dieser Größe ist eine der Hauptaufgaben, ausreichende Vielfalt der Erfindung und des Ausdrucks zu realisieren und gleichzeitig einen durchgehenden Spannungsbogen über die gesamte Struktur hinweg zu wahren. Dies bedeutet, dass man eine größere Heterogenität in Technik und Idiom riskieren muss als in einem kleineren abstrakten Werk, während man im großen Zusammenhang die rhythmische und harmonische Verklammerung eisern im Griff halten muss.



Harmonik – Klangfarbe – Rhythmus Harmonische Mittel? Das war schon immer meine Obsession, noch bevor ich bei Messiaen in Paris studierte ... Jede Szene besitzt eine spezifische Harmonik und Klangfarbe sowie eine klare rhythmische Untermalung. Obwohl es keine spezifischen Leitmotive gibt, tauchen bestimmte Harmonien immer wieder auf. Diese durchgängige harmonische Gestaltung trägt – so hoffe ich – dazu bei, ein Gefühl von Kohärenz und Spannung über die gesamte Dauer der Oper aufrechtzuerhalten, wodurch die Einteilung in Szenen untergraben wird. Einige der Prinzipien des harmonischen Plans, auf dem das Werk basiert, stehen im Zusammenhang mit Tonhöhengruppierung. Vieles von der Musik des Jungen ist verbunden mit einem in sich reichen Heptachord, der häufig mit bestimmten Klangfarben verbunden ist: Harfe, gestrichene Kuhglocken, Viola da Gamba, tiefe Trompeten mit Übungsdämpfern. Dann gibt es einen Hexachord, der mit der Musik des Protectors verbunden ist und normalerweise mit den warmen Tönen des Cellos, der Hörner und Fagotte orchestriert wird. Diese Tongruppierungen modulieren innerhalb bestimmter Grenzen und bei der Wahl dieser Technik wurde ich von Berg, Boulez und meinem großen Freund Oliver Knussen beeinflusst. Durch den Gebrauch der erzählenden Rede erkennt Martin Crimp in seinen Texten die Künstlichkeit des Mediums Oper – insbesondere, wie dieses im 21. Jahrhundert erscheint – an und macht sie sich vielmehr zunutze, als dass er sie verschleiert. Die Überschneidung von Texten erfüllt in meiner Vertonung einen ähnlichen Zweck – sie geht dem Naturalismus aus dem Weg und ermöglicht ein viel flexibleres Tempo der stimmlichen Gestaltung und des dramatischen Kontextes. Gleichzeitig ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die Geschichte klar und verständlich erzählt wird, da sonst Verwirrung entstehen würde.

17 George Benjamin über WRIT TEN ON SKIN 16

Große Intervalle sind die Ausnahme, aber sie werden sowohl in ruhigen als auch in erregten Situationen eingesetzt. Die üblichen disjunkten Intervalle – kleine Septime und kleine None – der postseriellen Musik sind für mich in den letzten Jahrzehnten in der zeitgenössischen Musik viel zu omnipräsent geblieben, und so setze ich sie sparsam ein. Die noch größeren Intervalle – von großer Dezime und reiner Duodezime – werden in der Gesangsstimme häufiger verwendet, insbesondere für Agnès. Es gibt ein fast willkürliches Element, das einen großen Einfluss auf den Gebrauch der Stimmlagen hatte, und das sind die Vokale meiner Muttersprache. Ich versuche fast ausnahmslos, hohe Töne den offenen Vokalen vorzubehalten. Ein wichtiger Teil für meinen Ansatz, für die Stimme zu schreiben, ist die wahrnehmbare Integration des Gesangs in die umgebende Orchesterharmonie. Mein Anspruch ist es, dass dies sowohl für die Sänger*innen als auch für das Publikum sehr deutlich wird. Für die Gesangspartien ist daher meist eine Begleitung von einfacherer harmonischer Kontinuität vorgesehen, als wenn das Orchester allein spielt.


Boy

I’ve painted the woman’s heart.

Agnès No! – not ‘the woman’ – I am Agnès. My name’s Agnès. Boy

Agnès.

Agnès What use to me is a picture? Boy

Agnès.

Agnès A picture – says Agnès – is nothing. Love’s not a picture: love is an act.

Teil 1, Szene 6


Ein Klangmoment Sebastian Hanusa

Der Eintritt des sechzehnjährigen George Benjamin in die renommierten Kompo­ sitionsklasse Olivier Messiaens am Pariser Conservatoire im Jahr 1976 ist ein viel­­­zitierter Schlüsselmoment im Leben des Komponisten. Nachdem er bereits in England Klavier- und Kompositionsunterricht bei Peter Gellhorn erhalten hatte, trat er damit, als hoch begabter junger Künstler in jene Kompositionsklasse ein, die wie keine andere die Entwicklung der musikalischen Moderne von den späten 40er bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein beeinflusst hat und in der, um nur die allerbekanntesten Namen zu nennen, von Boulez und Stockhausen bis hin zu Gerard Grisey und Tristan Murail, gleich mehrere Avantgarde-Generationen ihre Ausbildung erhalten hatten. Wobei zu erwähnen ist, dass, bei aller internationalen Strahlkraft, bis mindestens in die 80er Jahre hinein es in der akademischen Kompositionsausbildung so etwas wie nationale Schulen gab, gerade was die britischen Inseln mit ihren starker Traditionslinie abseits der kontinentaleuropäischen Avantgarde betrifft. Insofern ist es umso mehr bemerkeswert, dass es Benjamin sechszehnjährig von London nach Paris gezogen hat – und er im Anschluss an seine Zeit bei Messiaen seine Ausbildung in Cambridge bei dem deutschstämmigen Komponisten Alexander Goehr abgeschlossen hat, dem Sohn des während der Nazi-Zeit nach England emigrierten Schönberg-Schülers Walter Goehr. Diese knappen biographischen Eckdaten seien hier genannt, um das breite Spektrum der verschiedenen stilistischen Einflüsse anzudeuten, die Benjamin in seiner Musik zu seinem individuellen Personalstil verschmolzen hat und die damit Eingang gefunden haben in WRITTEN ON SKIN . Benjamin selber spricht im Interview von jener „Vielfalt der Erfindung und des Ausdrucks“ innerhalb der großformalen Anlage seiner Oper und erwähnt dabei das breite Spektrum verschiedener Inspirationsgeber wie Pierre Boulez und Oliver Knussen, aber auch Alban Berg. Von dessen WOZZECK hat er die Anlage in drei Teilen – beziehungs­ weise Akten – und fünfzehn Szenen übernommen und zudem finden sich weitere musikdramaturgische Bezüge dieser zentralen Oper des 20. Jahrhunderts. Benjamin spricht aber auch davon, dass jede Szene eine „spezifische Harmonik und Klangfarbe sowie eine klare rhythmische Untermalung“ habe, wobei sich erst aus der spezifischen Verbindung dieser verschiedenen Elemente der jeweils eigene Charakter der einzelnen Szenen ergibt.

19 18

Hörbar gemachte Verführung


Beispielhaft sei hierfür die sechste Szene des Stückes angeführt, die große Liebesszene zwischen Agnès und dem Jungen. Diese ist als große Steigerung angelegt, von einem intimen, äußerst kammermusikalischen Beginn hin zu strahlend aufblühenden Orchesterklängen am Ende, von der noch schüchtern zurückhaltenden Präsentation des vom Jungen gemalten Porträts von Agnès hin zur ekstatischen Vereinigung der Liebenden. Harmonisch basiert ist die gesamte Szene über dem Grundton D sowie der darüber liegenden Quinte A, von der ausgehend eine aufsteigende Skala A-H-C-D-Es ein weiteres, zentrales Tonmaterial der Szene ist. Letzteres ist auch gleich zu Beginn der Szene in der hier solistisch, quasi als obligates Instrument der Szene eingesetzten Bass-Viola da Gamba zu hören. Kurz danach findet sich in den ersten und zweiten Geigen die Verbindung der kleinen Septime G-F und der darüber liegenden großen Terz mit A. Auch dieser Akkord ist, als quasi Spannungs- und Gegenpunkt, ein zentrales Element der Szene. Mit diesen Bausteinen arbeitet Benjamin, variierend, modulierend und transponierend im Verlauf der Szene, verbindet sie aber zudem mit markanten Instrumentalfarben. Dies sind neben der Viola da Gamba die Glasharmonika und die mit Übedämpfern gespielten Hörner, Trompeten und Posaunen. Dieser besondere Dämpfer erwirkt, dass die Lautstärke des Instrumentalklanges deutlich reduziert wird. Dies erzeugt einen speziellen Effekt: Benjamin lässt die Bläser das Instrument im Fortissimo spielen, zu hören ist jedoch maximal ein Mezzoforte. Der Klang selber bekommt aber, durch die Kraftanstrengung des Hineinblasens, ein hohes Energielevel und zugleich eine leicht „schnarrende“, sehr obertonreiche Klangfarbe, die der ebenfalls obertonreichen Klangfarbe der Viola ähnelt und sich mit dieser mischt. Hinzu kommen die Streicher, mit denen Benjamin im Verlauf der Szene, zusam­men mit den bereits genannten Elementen eine musikalische Gestalt entwickelt, die klanglich an die französische Musique spectrale anschließt. Es ist eine Klang­ gestalt, die aus einem Impuls und einer sich daran anschließenden Bewe­gung besteht, in der sich ein Akkord der Streicher von einem Grundton aus über das gesamte Klangspektrum hinweg aufbaut, um dann sukzessiv wieder zu verklingen, bis nur noch in höchster Lage der Grundton dieses Klangs (wie der gesamten Szenen), das D, liegenbleibt. Der Aufbau dieses Klanges besteht aus Flageoletttönen der Streicher und damit reinen Obertönen über D. Seinen Bewegungs­impuls erhält diese Klangaufbau indes aus dicht gesetzten Tremoli in tiefer Streicherlage, die fast etwas Geräuschhaftes haben, sowie aus weichen und zugleich kraftvollen Bläserklängen der tiefen Hörner und Holzbläser. Und zugleich findet sich in dieser tiefen, den Klang grundierenden Schicht als markantes rhythmische Element eine Pulsation im triolischen Rhythmus des Herzschlages. Eingesetzt wird diese Klanggestalt von Benjamin als ein musikalischer Ausdruck erotischen Begehrens, der dann, in variierter Form, quasi leitmotivisch zudem an weiteren Stellen im Stück erklingt: In der achten Szene, wenn Agnès versucht, den Protector zu verführen oder auch, als im Orchestersatz versteckte Reminiszenz, in der Szene, wenn Agnès das Herz des Jungen isst, in jenem Moment, wenn der Protector sie fragt: „What makes the woman eat?“



„Das Decameron“ Vierter Tag: Neunte Novelle

Giovanni Boccaccio

Herr Guiglielmo Rossiglione gibt seiner Frau das Herz des Herren Guiglielmo Guardastagno zu essen, den sie geliebt und den er getötet hat; als sie es erfährt, stürzt sie sich aus dem Fenster und stirbt. Gemeinsam mit ihrem Geliebten wird sie begraben. Neifiles Novelle war zu Ende und hatte bei allen Zuhörerinnen großes Mitgefühl erregt; der König wollte Dioneos Vorrecht erhalten und begann nun selber: Da euch, wohlmeinende Damen, das Unglück in der Liebe so zu Herzen geht, kam mir eine Novelle in den Sinn, die euer Mitgefühl nicht weniger erregen wird als die soeben erzählte; denn sie handelt von Personen höheren Ranges als die vorherige, und ihnen ist etwas noch Grausameres zugestoßen. Ihr müsst wissen, dass in der Provence, wie man dort erzählt, zwei edle Ritter lebten, die beide über Burgen und Vasallen herrschten; der eine hieß Guiglielmo Rossiglione und der andere Guiglielmo Guardastagno. Beide waren tapfer im Waffenhandwerk und zogen gemeinsam unter einer Devise zu Turnieren und Waffengängen. Ein jeder wohnte in seiner Burg, die gut zehn Meilen voneinander entfernt waren; Guiglielmo Rossiglione hatte eine schöne und liebreizende Frau zur Gemahlin, und es geschah nun dass Guiglielmo Guardastagno wider alle Freundschaft und Waffenbrüderschaft sich über die Maßen in sie verliebte, und es ihm gelang, die Dame durch gewisse Zeichen darauf aufmerksam zu machen. Das gefiel ihr, weil sie ihn als einen tapferen Ritter kannte, und auch sie richtete ihre Liebe auf ihn und ersehnte und erwartete nichts sehnlicher, als dass er sie zur seinen machte; damit ließ er auch nicht lange auf sich warten, und sie waren das eine und das andere Mal in heißer Liebe zusammen. Da sie sich unvorsichtig verhielten, geschah es, dass der Ehemann dahinterkam; er war so empört, dass sich die große Liebe, die er für Guardastagno empfand, in tödlichen Hass verwandelte; den wusste er besser zu verbergen, als die Liebenden es mit ihrer Liebe verstanden hatten; und er nahm sich fest vor, jenen umzubringen. Nachdem Rossiglione diesen Entschluss gefasst hatte, wurde im Königreich Frankreich ein Turnier ausgerufen; Rossiglione setzte Guardastagno sogleich in Kenntnis und ließ ihm ausrichten, dass er, wenn es ihm recht sei, zu ihm kommen


Am folgenden Tag griff er zu seinen Waffen, stieg mit einigen Knechten zu Pferde und legte sich etwa eine Meile vor seiner Burg auf die Lauer, um Guardastagno abzupassen. Nach einer Weile näherte dieser sich mit zwei Knechten, alle waren unbewaffnet, als hätten sie nichts zu befürchten. Als er nah genug war, stürzte Rossiglione voller Bosheit und Wut und mit erhobener Lanze auf ihn zu und schrie: „Verräter, du bist des Todes!“ Und mit diesen Worten stieß er ihm die Lanze in die Brust. Guardastagno konnte sich weder wehren noch ein Wort hervorbringen, fiel von der Lanze durchbohrt zu Boden und starb kurz darauf. Die Knechte wandten ihre Pferde, ohne den Täter erkannt zu haben, und flohen, so schnell sie konnten, zurück zur Burg ihres Herrn. Rossiglione stieg ab, öffnete mit einem Messer die Brust des Guardastagno und riss mit den eigenen Händen das Herz heraus; er ließ es in das Fähnlein einer Lanze wickeln und befahl einem seiner Knechte, es mitzunehmen. Nachdem er allen eingeschärft hatte, sich nicht zu erdreisten, etwas über die Sache verlauten zu lassen, bestieg er sein Pferd und kehrte bei Einbruch der Nacht auf seine Burg zurück. Die Dame, die gehört hatte, Guardastagno solle zum Abendessen zu ihnen kom­ men, erwartete ihn mit großer Sehnsucht; als er nicht kam, wunderte sie sich und sagte ihrem Gatten: „Wie kann es sein, dass Guardastagno nicht gekommen ist? Ihr Gatte antwortete: „Frau, ich habe Nachricht, dass er erst morgen kommen kann.“ Die Dame war etwas beruhigt. Rossiglione stieg vom Pferd, ließ seinen Koch rufen und sagte: „Nimm dieses Wildschweinherz und bereite ein vorzügliches und schmackhaftes Gericht; sobald ich bei Tisch bin, schicke es mir auf einer silbernen Schüssel.“ Der Koch bot all seine Kunst und Sorgfalt auf, zerkleinerte es, gab gutes Gewürz dazu und bereitete einen rechten Leckerbissen. Als es an der Zeit war, begaben sich Messer Guiglielmo und seine Gattin zu Tisch. Die Speisen wurden aufgetragen; er selbst aß wenig, der Gedanke an seine Missetat hinderte ihn. Der Koch ließ ihm den Leckerbissen bringen, den er seiner Frau vorsetzte und als besonders schmackhaft lobte; er selbst gab vor, keinen Appetit mehr zu haben. Der Dame mangelte es nicht an Appetit. Sie griff zu, und es schien ihr so gut, dass sie alles aufaß. Als der Ritter sah, dass sie alles verzehrt hatte, sagte er: „Frau, wie schien Euch das Gericht?“ Die Dame antwortete: „Herr, auf mein Wort, es hat mir sehr gut geschmeckt.“ „Gott steh mir bei“, sagte der Ritter, „das will ich Euch glauben; und es wundert mich nicht, dass Euch tot gefallen hat, was Euch lebend mehr als alles andere ergötzt hat.“ Als die Dame das hörte, zuckte sie zusammen und sagte: „Wieso? Was gabt ihr mir zu essen?“ Der Ritter antwortete: „Was ihr gegessen habt, war wirklich und wahrhaftig das Herz des Herren Guiglielmo Guardastagno, den Ihr als treuloses Weib so sehr geliebt habt. Und wisset, dass es wirklich seines gewesen ist, weil ich es ihm mit diesen meinen Händen, bevor ich zurückgekommen bin, aus der Brust gerissen haben.“ Als die Dame hörte, was ihm, den sie über alles liebte, zugestoßen war, war sie zutiefst betrübt; nach einer Weile sagte sie: „Ihr habt wie ein treuloser und gemeiner Ritter gehandelt. Denn nicht er hat mich gezwungen, sondern ich habe ihn zum Herrn meiner Liebe gemacht und Euch damit beleidigt; also hätte auch ich die

23 „Das Decameron“ Vierter Tag: Neunte Novelle 22

möge, um zu überlegen, ob und wie sie gemeinsam dorthin zögen. Guardastagno stimmte freudig zu und wollte ihn am nächsten Tag zum Abendessen besuchen. Als Rossiglione das vernahm, glaubte er, dass die Gelegenheit gekommen sei, ihn umzubringen.


Strafe empfangen müssen. Niemals aber ist es gottgefällig, dass auf eine so edle Speise, wie es das Herz des tapferen und vornehmen Ritters Messer Guiglielmo Guardastagno war, noch eine andere Speise folgt.“ Sie stand auf und, ohne zu zögern, stürzte sie sich aus einem Fenster, das hinter ihr war. Das Fenster war so hoch gelegen, dass sie nicht nur starb, sondern fast ganz und gar zerschmettert wurde. Als Messer Guiglielmo das sah, erschrak er sehr und es schien ihm, dass er Unrecht getan hatte; er bekam Furcht vor dem Landvolk und dem Grafen der Provence, ließ die Pferde satteln und ging fort. Am folgenden Morgen erfuhr die ganze Gegend, was vorgefallen war. Denn die Leute von der Burg des Guiglielmo Guardastagno und die von der Burg der Dame trugen unter großer Trauer und unter Wehklagen die beiden Leichname in die Kirche der Burg der Dame; dort wurden sie in ein und demselben Grabe beigesetzt; auf dem Grab stand in Versen, wer darin begraben war und wie und warum sie zu Tode kamen.


















Teil 3, Szene 13

41 40

Agnès Ah ah ah ah ah ah oh please please Oh please let me see the word for love.


Vom Troubadour zum Buchillustrator

Emma Dillon

Mittelalterliche Quellen für WRITTEN ON SKIN: Cansos, Vidas, Razos und Liederbücher von Guillem de Cabestaing

Die Anregung für ein Opernsujet kann manchmal von unerwarteter Seite kommen. Im Fall von George Benjamins und Martin Crimps Oper WRITTEN ON SKIN aus dem Jahr 2012 brachte es der Auftrag für eine neue Oper für das Festival in Aixen-Provence für Komponist und Autor mit sich, ein Thema zu suchen, das mit der Provence verbunden ist. Durch Zufall war Crimps Tochter zu dieser Zeit Studentin an der Universität in Cambridge, wo sie mit Bill Burgwinkle zusammenarbeitete, einem führenden Gelehrten für mittelalterliche okzitanische Literatur, worüber sie leichten Zugang hatte zu einem reichen Fundus an farbenfrohen Geschichten über Liebe, Tod, Verrat und blutige Rache im Bereich der Oper wie der mittelalterlichen Lyrik. Dieses Ineinandergreifen eines Interesses für Mittelalterliches und Zeitgenössisches wurde zur Grundlage für eine Oper, die die mittelalterliche Lebenswelt der Troubadoure des zwölften Jahrhunderts als ein „Hier und Jetzt“ (wie Martin Crimp es beschreibt) rekonstruiert und hier aber Vergangenheit nicht etwa durch die Rekonstruktion okzitanischer Melodien wiederbelebt, sondern mit zeitgenössischen musikalischen Mitteln, mit denen George Benjamin diese Welt zum Erklingen bringt. Als Quelle diente Benjamin und Crimp ein Razo aus dem dreizehnten Jahrhundert und damit eine okzitanische Prosa-Biografie des Troubadours Guillem de Cabestaing (um 1162–1212), der Ende des zwölften Jahrhunderts in der Region Roussillon lebte. Guillem war Verfasser zahlreicher Lieder oder Cansos in der Tradition der fin'amors, und wie bei vielen Troubadouren aus dieser Tradition wurde sein Leben von späteren Schriftstellern zu kurzen Biografien verarbeitet, die als Ergänzung und „Begründung“ für die Geschichten von Liebe und Verlust, die sich in den Liedern selbst entfalten, gelesen und genossen werden sollten. Guillems Leben (und Tod) ist – wie im Mittelalter üblich – berüchtigt für die außerordentlich gewaltsamen Folgen seiner verbotenen Liebe. In dessen Mittelpunkt steht der blutige Verzehr des Herzens des Troubadours, das„cœur mangé“.


Wie für die Tradition der Troubadoure typisch, gibt es nur wenige unabhängige Belege für die historische Figur des Guillem de Cabestaing, seines Gönners Raimon und dessen Frau Soremonda. Auch gibt es nur wenige unabhängige Belege für die reißerischen Ereignisse, die in den Vidas und Razos geschildert werden. Wenn der „echte“ Guillem in den Archiven des späten zwölften Jahrhunderts des Roussillon kaum mehr als ein Schatten ist, so hat er literarisch, als Troubadour, mit dem Korpus seiner Lieder, eine lebendige Spur hinterlassen, die über Generationen von Sängern und Schreibern sorgfältig weitergegeben wurde und von der sich einiges in einer Reihe von Lieberbüchern oder „Chansonniers“ aus dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert erhalten hat. In einigen Fällen wird dabei in diesen Chansonniers die Fiktion einer authentischen Biografie aufgebaut, dass hinter den Liedern ein „echter“ Guillem stehe, indem Kopien der Cansos zusammen mit Prosa-Biografien und illuminierten Autorenporträts kombiniert werden. In diesem Zusammenhang scheinen die blutigen Schilderungen des Razos, in denen Guillem für seine Liebe einen brutalen Tod stirbt, den Liedern, deren zentrales Thema immer die Freude und der Schmerz der Liebe ist, emotionale Glaubwürdigkeit verliehen. Neben den dramatischen Ereignissen aus dem Leben Guillems, wie sie im Razo überliefert werden, ist die emotionale Dichte von Guillems Liedern auch in WRITTEN ON SKIN präsent und prägt die Interaktionen der Figuren, die in der Intensität der von ihnen gesungenen musikalischen Linien und der sie umgebenden Orchestrierung hörbar wird. Und vor allem sollten wir nicht vergessen, dass das Pergament in WRITTEN ON SKIN bei der Verwandlung des Jungen vom Troubadour-Sänger zum Buchmaler eine Hauptrolle spielt. Pergament war auch das entscheidende Medium für die Überlieferung der Troubadoure in ihrer frühen Rezeption und bleibt das wichtigste Medium, durch das wir ihnen heute noch begegnen.

43 Vom Troubadour zum Buchillustrator 42

Diese Legende wurde im Mittelalter und auch darüber hinaus in zahlreichen Versionen adaptiert und ihre zentralen Momente sind die folgenden: Der Trou­ba­ dour, ein Ritter in den Diensten von Raimon de Castel Roussillon, verliebt sich in die Frau seines Herrn, Lady Soremonda, für die er Lieder komponiert und singt. Durch Zufall verraten die Lieder diese Affäre und machen sie bekannt. Trotz eines Ablenkungsmanövers von Guillem, wonach das Objekt seiner Liebe in Wahrheit die Schwester der Frau ist, wird die Affäre aufgedeckt. Als Rache ermordet Raimon den Troubadour, schneidet ihm das Herz heraus, würzt, kocht und serviert es seiner Frau. Als diese erfährt, woher das köstliche Mahl stammt, erklärt sie, dass sein süßer Geschmack das letzte sei, was ihr über die Lippen komme, und stürzt sich, verfolgt von ihrem Mann, in den Tod. Die dramatischen Ereignisse von Guillems Biografie finden sich unmittelbar in Crimps Text wieder, allerdings mit entscheidenden Veränderungen. Während das mittelalterliche Ambiente der Erzählung beibehalten wird, wird der historische Bezug der drei Figuren reduziert und Guillem, Raimon und seine Frau Soremonda werden zum Jungen, dem Protector und der Frau. Deren Dreiecksbeziehung spielt sich mit ihren fatalen Folgen zwar ab wie im Razo, aber bei dem Jungen handelt es sich nicht mehr um einen Sänger und Liedermacher, sondern um einen Manuskript-Illustrator. Wie sein komponierender und singender Vorgänger tritt er in den Dienst seines Herrn, des Protectors, erhält aber nicht den Auftrag, Lieder, sondern ein Buch auf Pergament zu schreiben, in dem von der Herrschaft und den Besitztümern des Protectors berichtet wird. In einer weiteren Wendung von Crimps Szenario kommen Engel hinzu, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und herpendeln, Zeugen der Ereignisse sind und dem Publikum von ihren Beobachtungen berichten.


Agnès Nothing I ever eat nothing I drink will ever take the taste of that Boy’s heart out of this body. No force you use nothing you forbid can take away the pictures that Boy’s hands draw on my skin. He can unfold the tight green bud unwrap the tree, darken the wood, lighten the sky, blacken the dust with rain – each mark he makes on me is good – each colour clear –

Teil 3, Szene 14


In der Überlieferung finden sich insgesamt neun Cansos, die Guillem de Cabes­ taing zugeschrieben werden, davon zwei mit fragwürdiger Autorschaft. Sie sind in mittelalterlichen, der Troubadour-Lyrik gewidmeten Chansonniers überliefert und, wie bei diesem Repertoire üblich, ist keine mit vollständiger Melodie erhalten. Obwohl Guillems Textkorpus im Vergleich zu dem einiger „Star“-Troubadoure bescheiden ist – man vergleiche die etwa fünfundvierzig erhaltenen Texte, die Bernart de Ventadorn zugeschrieben werden –, ist er doch typisch für diese gesamte Tradition. In Form und Inhalt wiederholen die Texte viele der zentralen Werte und Praktiken, die sie seit ihren Anfängen in den ersten Jahrzehnten des zwölften Jahrhunderts prägten: Die Sammlung befasst sich mit der Dynamik der Liebe, den fin'amors, und untersucht sorgfältig die schmerzhaften Machtverhältnisse zwischen dem Troubadour und seiner Dame. Guillems Lieder würdigen aber gelegentlich auch die Rolle des Mäzens, eines wichtigen Akteurs für die Dynamik der okzitanischen Liedproduktion. Dies waren die Personen, die die Produktion und Aufführung von Liedern unterstützten und deren Ansehen wiederum durch ihre Nennung in den Liedern gefördert wurde. Drei der Cansos von Guillem schließen mit der Nennung von „Raimon“ (in Anlehnung an Guillems Gönner Raimon de Castel Roussillon) als Zielpublikum. Die beiden hier beschriebenen Cansos bieten einen Ausschnitt aus Guillems Schaffen und sind repräsentativ für die Tradition, der er angehörte. Sie sind besonders geeignete lyrische Gegenstücke zu WRITTEN ON SKIN , da beide im Szenario der Oper eine Phantompräsenz haben. Die Anfangszeilen des ersten Beispiels „Aissi cum selh que baissa.l fuelh“ wurden von Martin Crimp überarbeitet, um Teil eines „geheimen Blattes“ zu werden – ein beschriebenes Pergamentblatt –, das der Knabe auf Geheiß von Agnès für den Protector vorbereitet hat und das in Teil III, Szene 12 laut rezitiert wird. Es besteht aus sechs achtzeiligen Strophen, die jeweils nach einem gemeinsamen Reimschema (den sogenannten coblas unissonans) gegliedert sind. Außerdem wird ein metrisches Schema verwendet, das auch in vielen anderen Liedern des Repertoires zum Einsatz kommt. In formaler Hinsicht zeigt es Guillems klare Zugehörigkeit und Vertrautheit mit der vorangegangenen Tradition, ebenso wie seine sorgfältige Modulation der Liebe des Troubadours und seines schmerzlichen Leidens an der Distanz der Dame zu ihm – klassische Themen des Cansos der Troubadoure. Der zweite Text „Lo dous cossire“ wird in Versionen des biografischen ProsaRazos zitiert, in dem die traumatische Liebesbeziehung Guillems beschrieben wird, der Hauptquelle, aus der Crimp und Benjamin das Szenario für ihre Oper entwickelt haben. Seine Versifikation ist in der Tradition eher selten, wenn auch keineswegs eine radikale Abweichung von den Konventionen: Sie besteht aus sechs fünfzehnzeiligen Strophen, gefolgt von einer Tornada (zwei kürzeren zusammenfassenden Passagen), die Guillems Gönner Raimon de Castel Roussillon nennt. In diesem Fall wechselt das Reimschema alle zwei Strophen (ein Schema, das als coblas doblas bekannt ist). Die Dame ist erneut Gegenstand des Liedes, zunächst als Objekt der Verehrung, im weiteren Verlauf des Liedes jedoch zunehmend als Quelle quälenden Leids. Im weitesten Sinne verkörpern diese Cansos also in lyrischer Miniatur die intensive emotionale Landschaft, in der sich die Figuren von WRITTEN ON SKIN bewegen,

45 Vom Troubadour zum Buchillustrator 44

Cansos


sowie die verschwommenen Grenzen zwischen Begehren und oft gewalttätigem Leiden, die die wichtigsten erotischen Beziehungen in der Oper bestimmen. Auf Mikroebene schafft die Phantompräsenz der beiden Cansos, die durch Zitate und Assoziationen mit dem Razo in den Operntext einfließen, enge Parallelen zwischen der Troubadour-Dame-Patron-Konfiguration in Guillems Cansos und dem Liebesdreieck Junge-Agnès-Protector in Crimps Bearbeitung.

Vidas und Razos über Guillem de Cabestaing Vidas und Razos sind kurze Prosaberichte über das Leben der Troubadoure. Wie die Chansonniers sind sie mehrere Jahrzehnte nach der Entstehung der Lieder aufgeschreiben worden und tauchen erstmals in Quellen aus der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts auf, obwohl sie in mündlich überlieferter Form wahrscheinlich schon in den 1220er Jahren existierten. Sie sind eine wichtige Gattung der Prosabiografie, die die Texte der Troubadoure durch Informationen über deren Leben und die Entstehungsumstände ihrer Lieder ergänzen soll, auch wenn der Wahrheitsgehalt der historischen Belege oft fraglich ist. Die Vidas enthalten in der Regel biografische Informationen, die in einer vorhersehbaren Reihenfolge und Form präsentiert werden. Die Razos haben ebenfalls einen biografischen Schwerpunkt, aber im Gegensatz zu den Vidas besteht der Hauptzweck eines Razos darin, einen Kommentar, quasi die „Begründung“ für ein bestimmtes Lied zu liefern, das häufig teilweise oder vollständig in der Erzählung zitiert wird. Für Guillem sind sowohl Vidas als auch Razos überliefert, und zwar in mehreren Versionen. Ich biete hier eine vollständige Fassung der kurzen Version seiner vida (wie sie in den frühesten Chansonniers erscheint) und Auszüge aus zwei Versionen des Razo, die beide Guillems berühmtestes Lied „Lo dous cossire“ deren. Die Entstehung und Aufführung von „Lo dous cossire“ ist in beiden Fällen der Auslöser für die gewaltsame Ermordung von Guillem durch Raimon de Castel Roussillon, die in WRITTEN ON SKIN durch den Mord des Protectors am Jungen dargestellt wird.

Razo – kürzere Version Guillem de Cabestaing war ein Ritter aus der Region Roussillon, die an Katalonien und das Narbonnais grenzt. Er war ein sehr charmanter Mann, der sich an den Waffen wie durch seine Galanterie und Höflichkeit auszeichnete. Und es gab in seiner Gegend eine Dame namens Dame Soremonda, die Frau des Herrn Raimon de Castel Roussillon, der sehr reich und edel, aber auch böse und wild, grausam und hochmütig war. Und Guillem de Cabestaing liebte die Dame aufrichtig und sang über sie und komponierte seine Lieder über sie. Und die Dame, die jung und edel und schön und charmant war, liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt. Und dies wurde dem Herrn Raimon von Castel Roussillon erzählt. Und als ein zorniger und eifersüchtiger Mann untersuchte er die Sache und erfuhr, dass sie wahr war. Und er ordnete an, dass seine Frau sorgfältig überwacht werden solle. Und so geschah es, dass Raimon de Castel Roussillon eines Tages Guillem ohne größere Begleitung vorbeikommen sah und ihn tötete. Und er nahm das Herz aus


Und als die Dame das Herz von Herrn Guillem de Cabestaing gegessen hatte, sagte Lord Raimon ihr, was es gewesen war. Und als sie es hörte, verlor sie ihr Augenlicht und ihr Gehör. Und als sie wieder zu sich kam, sagte sie: „Herr, du hast mir etwas so Gutes zu essen gegeben, dass ich nie wieder essen werde.“ Und als er hörte, was sie sagte, lief er mit seinem Schwert und wollte sie auf den Kopf schlagen. Sie aber lief auf den Balkon und stürzte sich hinunter.

Razo – längere Version (Auszug) Die ganze Nacht hindurch war die Dame darüber sehr betrübt, und am nächsten Tag schickte sie nach G., empfing ihn schlecht und nannte ihn einen Lügner und Verräter. G. bat sie um Gnade, wie ein Unschuldiger, und erzählte ihr alles, was geschehen war, Wort für Wort. Die Frau rief ihre Schwester herbei und erfuhr durch sie, dass G. unschuldig war. Aufgrund all dessen sagte die Dame zu ihm und befahl ihm, ein Lied zu komponieren, in dem er zeigen würde, dass er keine andere Dame als sie liebe. Und so komponierte er dieses Lied, in dem es heißt: Lo dous cossire Que.m don’Amors Dona.m fai dire De vos maynh ver plazen. Pessan remire Vostre cors car e gen, Cuy ieu dezire Mais que no fas parven. E si tot me desley Per vos, gen no.us abney, Qu’ades vas vos sopley Ab fina benvolensa. Dompn’ en cuy beutatz gensa, Mayntas vetz oblit mey, Qu’ieu lau vos e mercey.

Der süße Gedanke den die Liebe mir oft gewährt bringt mich dazu, über Sie, Herrin, viele angenehme Verse zu rezitieren. Ich blicke auf deinen edlen, kostbaren Körper, den ich so sehr begehre, ohne es je zu zeigen. Auch wenn ich umherwandere, um deinetwillen verlasse ich dich nie sondern gebe mich dir weiter hin mit feinen, liebevollen Gefühlen. Herrin, in der die Schönheit zur Vollkommenheit gebracht wird, ich vergesse mich oft selbst, denn ich preise dich und erflehe dein Erbarmen.

Und als R. de Roussillon das Lied hörte, das G. über seine Frau gedichtet hatte, lud er ihn zu einer Unterredung vor das Schloss, schlug ihm den Kopf ab und steckte ihn in einen Jagdsack, schnitt ihm das Herz aus dem Leib und steckte es in den Sack mit dem Kopf.

47 Vom Troubadour zum Buchillustrator 46

seinem Körper und ließ es zu einem Knappen in sein Haus bringen, der es kochen und pfeffern ließ und es seiner Frau zu essen gab.



Teil 3, Szene 15

49 48

Angel 1 This – says the Angel – shows the Woman Falling: here – look – the man takes a knife but the woman’s quicker, and jumps. See how her body has dropped from the balcony – how I pause her mid-fall – at the exact centre of the page. Here in the night sky – see them – stars hold in a bright web her black silhouette on blue. As she drops from the house three small angels – look – are watching her calmly from the margin. In their face in their eyes see their cold fascination with human disaster as they turn from the falling woman to where the white lines of the Saturday car-park cover the heaped-up dead.


Biografien

Sir George Benjamin Sir George Benjamin, geboren 1960 in London, gilt als einer der bedeutend­ sten Komponisten seiner Generation. Bereits im Alter von 14 Jahren studierte er Komposition und Klavier bei Peter Gellhorn, zwei Jahre später setzte er seine Ausbildung in Paris bei Olivier Messiaen fort, der dem außerordentlichen Talent seines Schülers mit großer Wertschätzung begegnete. Ein Studium am King‘s College in Cambridge bei Alexander Goehr schloss sich an. Mit der Uraufführung des Orchesterstückes „Ringed by the Flat Horizon“ war er 1980 der jüngste Komponist, dessen Musik je bei den BBC Proms uraufgeführt wurde. Zwei Jahre später spielte die London Sinfonietta unter der Leitung von Sir Simon Rattle mit der Uraufführung des Ensemblestücks „At First Light“ ein weiteres Schlüsselwerk Benjamins, der seither dem Ensemble als künstlerischer Partner eng verbunden ist. Das London Symphony Orchestra widmete George Benjamin im Jahr 2002 eine eigene Porträtreihe am Barbican Centre, 2012 und 2016 gab es in London groß angelegte Retrospektiven seiner Arbeit und in der Saison 2018/2019 war George Benjamin Composer in Residence der Stiftung Berliner Philharmoniker. Mit Benjamins erstem musiktheatralen Werk, der Kammeroper INTO THE LITTLE HILL , die 2006 beim Festival d‘Automne de Paris uraufgeführt wurde, begann seine Zusammenarbeit mit dem englischen Dramatiker Martin Crimp. Als zweites gemeinsames Projekt der beiden folgte die 2012 beim Festival in Aix-en-Provence uraufgeführte Erfolgsoper WRITTEN ON SKIN , 2018 wurde am Royal Oper House die auf Christopher Marlowes „Edward II.“ basierende Oper LESSONS IN LOVE AND VIOLENCE uraufgeführt. Mit PICTURE A DAY LIKE THIS folgte im Sommer 2023, wiederum in Aix-en-Provence, die vierte Oper der beiden. Als Dirigent gastiert George Benjamin regelmäßig bei den renommiertesten Orchestern. Sein Repertoire umfasst Musik von Mozart bis hin zu Uraufführungen von Wolfgang Rihm, Unsuk Chin, Gérard Grisey und György Ligeti. Er ist unter anderem Honorary Fellow der Guildhall School of Music and Drama, des King’s College Cambridge und der Royal Academy of Music sowie Fellow des King’s College in London, das ihn 2001 zum Henry Purcell Professor of Composition berief. 2017 wurde er in den Adelsstand erhoben.


1956 in Dartford / Kent geboren, studierte Martin Crimp in Cambridge englische Literatur. Seine ersten Stücke wurden Anfang der 1980er Jahre am Orange Tree Theatre in Richmond / London uraufgeführt. Mit „No One Sees the Video“ schrieb er 1990 sein erstes Drama für das renommierte Londoner Royal Court, an dem seitdem die meisten seiner Werke zur Uraufführung gebracht wurden, unter anderem „Getting Attention“ („Das stille Kind“) 1991, „The Treatment“ („Der Dreh“) 1993, „Attempts on her Life“ („Angriffe auf Anne“) 1997, „The Country“ („Auf dem Land“) 2000, „Fewer Emergencies“ („Weniger Notfälle“) 2005, „The City“ („Die Stadt“) 2008, „Play House“ („Im Haus“) 2012 und „In the Republic of Happiness“ („In der Republik des Glücks“) 2012. Auch von den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen sind seine Stücke nicht mehr wegzudenken. Bei den Wiener Festwochen 2004 kam – unter der Regie von Luc Bondy – „Cruel and tender“ zur Uraufführung. „Schlafende Männer“ (original: „Men Asleep“) wurde 2018 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt (Regie: Katie Mitchell), nachdem bereits 2013, ebenfalls in einer Inszenierung von Katie Mitchell, mit Crimps „The Rest will be Familiar to you from Cinema“ die Ära von Intendantin Karin Beier in Hamburg eröffnet worden war. Martin Crimp, der auch eine Reihe von preisgekrönten Hörspielen geschrieben hat, ist außerdem als Übersetzer der Werke von Molière, Marivaux, Ionesco, Koltès, aber auch von Tschechow und Ferdinand Bruckner in Erscheinung getreten. Mit dem Komponisten George Benjamin verbindet ihn eine Zusammenarbeit, bei der bislang vier viel beachtete Musiktheaterwerke entstanden, INTO THE LITTLE HILL (2006), WRITTEN ON SKIN (2012), LESSONS OF LOVE AND VIOLENCE (2018) und PICTURE A DAY LIKE THIS (2023).

51 50

Martin Crimp



Part I Scene 1: Chorus of Angels Erase the Saturday car-park from the market place, fade out the living, snap back the dead to life. A Chorus of Angels takes us back 800 years, to a time when every book is a precious object “written on skin.” They bring to life two of the story’s protagonists: the Protector, a wealthy and intelligent landowner “addicted to purity and violence,” and his obedient wife, his “property,” Agnès. One of the angels then transforms into the third protagonist, “the Boy,” an illuminator of manuscripts. Scene 2: The Protector, the Boy, and Agnès In front of his wife, the Protector asks the Boy to celebrate his life and good deeds in an illuminated book. It should show his enemies in Hell, and his own family in Paradise. As proof of his skill, the Boy shows the Protector a flattering miniature of a rich and merciful man. Agnès distrusts the Boy and is suspicious of the making of pictures, but the Protector overrules her and instructs her to welcome him into their house. Scene 3: Chorus of Angels The Angels evoke the brutality of the biblical creation story, “invent man and drown him,” “bulldoze him screaming into a pit,” and its hostility to women, “invent her/strip her/blame her for everything.” Scene 4: Agnès and the Boy Without telling her husband, Agnès goes to the Boy’s workshop to find out “how a book is made.” The Boy shows her a miniature of Eve, but she laughs at it. She challenges the Boy to make a picture of a “real” woman, like herself, a woman with precise and recognizable features, a woman that he, the Boy, could sexually desire. Scene 5: The Protector and the visitors, John and Marie As winter comes, the Protector broods about a change in his wife’s behavior. She hardly talks or eats, has started to turn her back to him in bed, and pretends to be asleep, but he knows she’s awake and can hear her eyelashes “scrape the pillow / like an insect.” When Agnès’s sister Marie arrives with her husband, John, she questions the enterprise of the book, and in particular the wisdom of inviting a strange

53 52

Synopsis


Boy to eat at the family table with Agnès. The Protector emphatically defends both Boy and book, and threatens to exclude John and Marie from his property. Scene 6: Agnès and the Boy The same night, when Agnès is alone, the Boy slips into her room to show her the picture she had asked for. At first she claims not to know what he means, but soon recognizes that the painted image of a sleepless woman in bed is a portrait of herself, her naked limbs tangled with the covers. As they examine the picture together, the sexual tension grows until Agnès offers herself to the Boy.

Part II Scene 7: The Protectores’s bad dream The Protector dreams not only that his people are rebelling against the expense of the book, but also, more disturbingly, that there are rumors of a secret page, “wet like a woman’s mouth,” where Agnès is shown “gripping the Boy in a secret bed.” Scene 8: The Protector and Agnès The Protector wakes up from the dream and reaches out for his wife. She, however, is standing at the window watching black smoke in the distance, as the Protector’s men burn enemy villages. She asks her husband to touch and kiss her, but he’s disgusted at being approached in this way by his wife and repels her, saying that only her childishness can excuse her behavior. She angrily refuses to accept the label “child”, and tells him that if he wants to know the truth about her, he should go to the Boy: “Ask him what I am.” Scene 9: The Protector and the Boy The Protector finds the Boy in the wood “looking at his own reflection in the blade of a knife.” He demands to know the name of the woman who “screams and sweats with you / in a secret bed”, is it Agnès? The Boy, not wanting to betray Agnès, tells the Protector that he is sleeping with Agnès’s sister, Marie, and conjures up an absurd scene of Marie’s erotic fantasies. The Protector is happy to believe the Boy, and reports back to Agnès that the Boy is sleeping with “that whore your sister.” Scene 10: Agnès and the Boy Believing that what her husband said is true, Agnès furiously accuses the Boy of betraying her. He explains he lied to protect her, but this only makes her more angry: it wasn’t to protect her, but this only makes her more angry: it wasn’t to protect her, it was to protect himself. If he truly loves her then he should have the courage to tell the truth, and at the same time punish her husband for treating her like a child. She demands that the Boy, as proof of his fidelity, create a new, shocking image that will destroy her husband’s complacency once and for all.


Scene 11: The Protector, Agnès, and the Boy The Boy shows the Protector and Agnès some pages from the completed book, a sequence of atrocities that make the Protector increasingly impatient to see Paradise. The Boy is surprised: he claims that these are indeed pictures of Paradise here on earth; doesn’t the Protector recognize his own family and property? Agnès then asks to be shown Hell. The Boy gives her a page of writing. This frustrates Agnès because, as a woman, she hasn’t been taught to read. But the Boy goes, leaving Agnès and her husband alone with the “secret page.” Scene 12: The Protector and Agnès The Protector reads aloud the page of writing. In it the Boy describes in sensous detail his relationship with Agnès. For the Protector, this is devasting, but for Agnès it is confirmation that the Boy has done exactly as she asked. Excited and fascinated by the writing, indifferent to his distress, she asks her husband to show her “the word for love.” Scene 13: Chorus of Angels and the Protector The Angels evoke the cruelty of a god who creates man of dust only to fill his mind with conflicting desires and “make him ashamed to be human.” Torn between mercy and violence, the Protector goes back to the wood, and, “cutting one long clean incision through the bone,” murders the Boy. Scene 14: The Protector and Agnès The Protector attempts to reassert control over Agnès. She is told what to say, what she may or may not call herself, and, sitting at a long dining table, is forced to eat the meal set in front of her to prove her “obedience.” The Protector repeatedly asks her how the food tastes and is infuriated by her insistence that the meal tastes good. He then reveals that she has eaten the Boy’s heart. For from breaking her will, this provokes a defiant outburst in which Agnès claims that no possible act of violence, “not if you strip me to the bone with acid,” will ever take the taste of the Boy’s heart out of her mouth. Scene 15: The Boy / Angel 1 The Boy reappears as an Angel to present one final picture: in it, the Protector takes a knife to kill Agnès, but she prefers to take her own life by jumping from the balcony. The picture shows her as a falling figure forever suspended by the illuminator in the night sky, while three small angels painted in the margin turn to meet the viewer’s gaze.

55 Synopsis 54

Part III


Impressum Copyright Stiftung Oper in Berlin Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin Intendant Dietmar Schwarz; Geschaftsführender Direktor Thomas Fehrle; Spielzeit 2023/24 Redaktion Sebastian Hanusa; Gestaltung Uwe Langner; Druck: trigger.medien gmbh, Berlin Textnachweise Martin Crimp, Inhaltsangabe/Synopsis, geschrieben für das Programmheft der Uraufführung beim Festival in Aix-en-Provence am 7. Juni 2012; die beiden Texte von Sebastian Hanusa und die Biografien von George Benjamin und Martin Crimp sind Originalbeiträge für dieses Heft; „Der Komponist George Benjamin über WRITTEN ON SKIN “, zitiert nach: Written on Skin. Marie Luise Maintz im Gespräch mit George Benjamin, in: sometime voices. Der Komponist George Benjamin, Symposium, 18. September 2011, Alte Oper Frankfurt am Main, hrsg. von Hans-Klaus Jungheinrich, Mainz 2012; Giovanni Boccaccio, Das Decameron. Mit den Holzschnitten der venezianischen Ausgabe von 1492. Aus dem Italienischen übersetzt, mit Kommentaren und Nachwort von Peter Brockmeier, Stuttgart 2020; Emma Dillon, Notes From the Stage. Medieval Sources for George Benjamin’s and Martin Crimp’s „Written on Skin“ (2012): Cansos, Vidas, Razos, and Songbooks of Guillem de Cabestaing, in: The Opera Quarterly, Volume 33, Numbers 3-4, Summer-Autumn 2017, deutsche Übersetzung von Sebastian Hanusa. Bildnachweise Die Fotografien der Inszenierung stammen von Bernd Uhlig. Die weiteren Bilder: akg-images

George Benjamin

WRITTEN ON SKIN

Oper in drei Teilen Text von Martin Crimp nach dem anonymen okzitanischen Text „Guillem de Cabestanh – Le cœur mangé“ aus dem 13. Jahrhundert Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 27. Januar 2024 Musikalische Leitung: Marc Albrecht; Inszenierung: Katie Mitchell; Szenische Einstudierung: Daniel Ayling; Bühne, Kostüme: Vicki Mortimer; Licht: Jon Clark; Dramaturgie: Sebastian Hanusa Protector: Mark Stone; Agnès: Georgia Jarman; First Angel / The Boy: Aryeh Nussbaum Cohen; Second Angel / Marie: Anna Werle; Third Angel / John: Chance Jonas-O’Toole Orchester und Statisterie der Deutschen Oper Berlin




Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.