Deutsche Oper Berlin: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

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Tannhäuser und der Sängerkrieg aufRichardWartburg Wagner

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Richard Wagner [1813 – 1883]

Romantische Oper in drei Aufzügen

Uraufführung am 19. Oktober 1845 in Dresden

Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 30. November 2008

Handlung

Erster Aufzug

Tannhäuser, Ritter und Dichter, ist einst der starren höfischen Welt entflohen, um in den Armen der Venus die Freuden der entbehrten sinnlichen Liebe zu erleben. Doch auch hier entwickelt sich aus dem Zuviel ein Überdruss. Er will seine Geliebte verlassen, um in das Leben unter Seinesgleichen zurückzukehren. Venus will ihn zum Bleiben überreden, doch weder ihre Verführungskünste noch ihre Drohungen vermögen ihn von seinem Entschluss abzubringen. Mit Tannhäusers Anrufung der Maria versinkt das Venusreich.

Ein Pilgerzug weckt sein Schuldbewusstsein – durch die Hingabe an Venus empfindet Tannhäuser sich als Sünder. Die Jagdgesellschaft des Landgrafen Hermann erkennt in dem vermeintlichen Büßer den lange Vermissten. Allen voran Wolfram von Eschenbach, beschwören ihn die Ritter, in ihre Mitte zurückzukehren. Tannhäuser zögert – doch die Erinnerung an Elisabeth stimmt ihn um.

Zweiter Aufzug

Elisabeth erwartet freudig Tannhäusers Ankunft. Seit seinem Verschwinden hat sie die Gesellschaft gemieden, in der Tannhäuser aus den Sängerwettstreiten so oft als Sieger hervorging. Als er eintritt, erwachen die gegenseitigen Gefühle von Neuem, Tannhäuser und Elisabeth bekennen einander ihre Liebe; der im Hintergrund bleibende Wolfram sieht seine Hoffnungen auf Elisabeth zerstört.

Die geladenen Gäste ziehen ein, um zur Feier der Rückkehr Tannhäusers dem Sänger wettstreit beizuwohnen. Die Aufgabe für denWettbewerb lautet, das Wesen der Liebe im Gesang zu ergründen. Der Sieger darf den Preis nach eigenem Ermessen fordern und von Elisabeth in Empfang nehmen.

Wolfram besingt die reine, geistige Liebe, stellt aber gleichzeitig eine Verbindung zum Abendstern – der Venus – her. Tannhäuser antwortet sogleich und regelwidrig mit einem Gruß an ebendiesen Stern,den er aber als die Göttin der Liebe in der von ihm erlebten Gestalt preist.

Die Debatte wird immer hitziger, so dass Wolfram das Wort ergreift und die Gemüter durch einen Lobgesang auf die hohe Liebe zu beruhigen versucht. Tannhäusers Erfahrungen stehen jedoch im Gegensatz zu den Auffassungen der höfischen Gesellschaft. Er provoziert einen Skandal, der seinen Ausschluss unweigerlich macht: Er empfiehlt den Empörten seine Erlebnisse in den Armen der Venus zur Nachahmung.

Nur das Einschreiten Elisabeths kann Tannhäuser vor dem Schlimmsten bewahren. Die gewaltbereiten Männer willigen ein, dass sich Tannhäuser einem Pilgerzug anschließen und in Rom um Gnade flehen soll.

Dritter Aufzug

Unter dahinsiechenden heimgekehrten Pilgern, die sie aufopfernd pflegt, erwartet Elisabeth Tannhäuser in der Hoffnung, dass er Vergebung durch den Papst erhalten hat.

Sie und Wolfram stellen fest, dass Tannhäuser nicht gekommen ist. Elisabeth fleht zu Maria um Gnade für Tannhäuser.

Wolframs Lied an den Abendstern – Venus – ist eine Bitte um Gruß an Elisabeth, wenn die Verdämmernde an ihm vorbeiziehen werde.

Da erscheint Tannhäuser, nicht mit den anderen gemeinsam aus Rom zurückgekehrt. Er berichtet von der Pilgerreise und von der Vergebung, die der Papst ihm verweigert hat. Angesichts der Sinnlosigkeit seiner Mühen will er in den Venusberg zurückkehren, wo er einst wirklich willkommen war. Wolfram versucht ihn abzuhalten, doch vergebens …

Auf einen Blick

das süsze thun, das wir die liebe nennen, den freien dienst, den wundenlosen streit, den besten schmack, die zuckerung der zeit, den lieben todt, das angenähme brennen, und was wir sonst noch bessers können nennen, das leset hier.

Variantenreich wie der Barockdichter Paul Fleming unterschied schon der Platonismus vier Arten der Liebe. Der Mensch, so lernen wir, ist bei normaler Entwicklung mehrerer Spielarten der inneren Haltung zustimmender, naher und tiefreichender Verbundenheit fähig.

Nun hat sich nach heutigem Verständnis die inhaltliche Bedeutung der platonischen Begriffe in eine stärkere Eindeutigkeit entwickelt, so dass die Verschie denartigkeit wesentlich nachvollziehbarer wird: Während Éros mit der körperlichen Hinwendung in Verbindung gebracht wird, beschreibt Philía die auf Wechselseitigkeit beruhende seelische Gemeinschaft und Agapé schließlich das, was verkürzt mit „Nächstenliebe“ im christlichen Sinne bezeichnet werden kann.

Der Platonismus beschreibt diese Formen der Liebe gewissermaßen als ein ansteigendes [und auch als Positiventwicklung wertendes] Steigerungsmodell. Éros, Philía, Agapé: Spielarten der Liebe, die in der Übertragung für je einen Auf zug in Richard Wagners TANNHÄUSER zu stehen scheinen. Dabei steht die Venuswelt des ersten Aufzugs für die sinnliche Liebe, der Kunsttempel als Vortrags ort der ‚Hohen Minne‘ im zweiten für die rein anbetende Hinwendung, das Siechenhaus der todkrank Heimgekehrten im dritten Akt schließlich für das mitleidend hingebungsvoll Aufopfernde.

Eine denkbar konsequente szenische Umsetzung ist mithin die als historischer Bilderbogen mit den Mitteln eines illustrationsfernen, aber illusionsreichen Theaters. Dabei geht es weder um den Aspekt eines „Sittengemäldes“ noch um den ja gleichfalls aus heutigem Verständnis denkbaren der „Zeitreise“ – die gefundenen Bilder, die über den optischen Sinn das musikalische Geschehen stärker wahrzunehmen helfen, verhelfen in ihrer Bezugnahme auf kollektive Sehnsüchte, Leidenschaften und Ängste vielmehr zu einer Reise ins Unbewusste.

Ich will mir das Leben nicht ersparen …

Kirsten Harms im Gespräch mit Christian Baier

Christian Baier

1845 wird TANNHÄUSER uraufgeführt und stellt den mittelalterlichen Minnesänger ins Spannungsfeld von Kunst und Liebe. Zwanzig Jahre später komponiert Wagners Mentor und späterer Schwiegervater Franz Liszt sein Oratorium „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ und beleuchtet aus sakraler Perspektive das Thema der aufopferungsvollen und welt­ und lustentsagenden Nächstenliebe. Kurz vor seinem Tod behauptet Wagner kryptisch, der Welt den TANNHÄUSER schuldig geblieben zu sein …

Kirsten Harms

TANNHÄUSER ist ein Werk über Menschen, die einander und sich selbst etwas schuldig bleiben. Zu Beginn erleben wir einen Urzustand unserer eigenen Entwicklungsgeschichte: Ein Ritter schwebt in die Welt der Sinnlichkeit, die aus dem Unterbewusstsein aufsteigt. Der Venusberg ist keine Lasterhöhle, sondern eine Sphäre, in der sich Wunsch, Verlangen und Begehren zur lustvollen Erfüllung verschränken.

Christian Baier

Dennoch verlässt Tannhäuser dieses Paradies

Kirsten Harms

In TANNHÄUSER prallen zwei Utopien aufeinander: die des Venusberges und die der Wartburg. Beide existieren im Denken der Menschen nur unter Ausschluss der jeweils anderen. Dem Venusberg fehlt die Tragödie der Wartburg, der Wartburg die Sinnenfreude des Venusberges. Aber nur zusammen sind diese beiden Utopien die Wirklichkeit.

Christian Baier

Lässt ihn Venus deshalb ziehen?

Kirsten Harms

Sie hat die Größe, ihn in die „andere“ Freiheit zu entlassen: „Komm’ wieder, wenn dich dein Herz zu mir führt.“ Doch spätestens in der Konfrontation mit dem Liebesbegriff anderer Minnesänger merkt Tannhäuser: Er kann die Erfahrungen, die er gemacht hat, nicht verleugnen. Sie haben ihn entscheidend geprägt. Seine Vision ist es, die Trennung von Eros und Geist aufzuheben.

Beim Abschied aus dem Venusberg zwingt er sich in eine Entscheidungssituation: „Mein Heil liegt in Maria.“ Tannhäuser meint vorerst also, sich zwischen Lustprinzip und Hoher Minne entscheiden zu müssen

Kirsten Harms

Das ist einer der vielen Irrtümer, die Tannhäuser begeht, bevor er schlussendlich zur Erkenntnis gelangt. Das Entweder­ Oder­ Prinzip ist ein Aufführungsklischee und für mich in einer Zeit nicht mehr aktuell, in der sich die Werteskala verkehrt hat: Sexualität ist heute gesellschaftlich weit weniger anrüchig als die „Hohe Minne“. Zu Wagners Zeit führte die „Hohe Minne“ den Menschen zu sich selbst, heute verspricht man sich von enttabuisierter Sexualität den Zugang zum authentischen Ich.

Christian Baier

Im Unterschied zu vielen Sichtweisen und Deutungen des Werkes, in dem der Künstler Tannhäuser im Zentrum steht, liegt der Focus Ihrer Inszenierung auf den Frauen des Stückes.

Kirsten Harms TANNHÄUSER erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die zwei Seelen in ihrer Brust haben. Deutlich zeigt sich dies in der Personalunion von Elisabeth und Venus, die von einer Künstlerin interpretiert werden. Aber auch Tannhäuser und Wolfram sind zwei Aspekte einer Persönlichkeit. Die Brisanz des Werkes zu seiner Entstehungszeit bestand darin, dass Wagner den Aspekt der Sexualität thematisierte. Für unsere Zeit halte ich die Interpretation von Venus und Elisabeth als strikt getrennte Alternativen für überkommen. Im Zuge der Liberalisierung haben sich ganz andere Problemfelder aufgetan. Nicht „Was darf ich leben “, sondern „Was will ich leben “ ist die zeitgemäße Frage. Ein strenges Moralsystem wie das des 19. Jahrhunderts mit rigiden Ein­ und Beschränkungen machte es leicht zu sagen, was man wollte. Wille und Wunsch – meist gesellschaftlich nicht in Einklang zu bringen – waren deckungsgleich. Ihr gemeinsamer Nenner war die Sehnsucht.

Christian Baier

Wer hindert die beiden Liebenden daran, zusammenzukommen und das Prinzip Lust miteinander zu teilen?

Kirsten Harms

Vordergründig ist es die Gesellschaft. Als Tannhäuser aus dem Venusberg in die Gesellschaft zurückkehrt, findet er sich zwischen Pilgerzügen wieder, die unterwegs sind vom Tat­ zum Gnadenort – nach Rom! Es ist immer einfach, der Gesellschaft die Schuld zu geben. Die Wartburg ist ein kultivierter Ort. Kunst wird dort zum Filter persönlicher Bedürfnisse. In wohlgesetzten Worten diskutieren Menschen über Liebe und Sexualität. Aber die hohe Minne besingen allein reicht nicht zur Befriedigung von Verlangen und Begehren. Die Gesellschaft der Wartburg ist Resultat eines Zivilisationsprozesses, der darauf abzielt, durch Abtötung von Begierden das Individuum vor dem Chaos der Natur, der Emotionen und Instinkte zu schützen. Wer in diesen elitären Kreis von geharnischten Rittern Aufnahme finden will, muss seinen natürlichen Trieben entsagen. Dann bieten ihm die Mauern der Burg Schutz.

Kirsten Harms im Gespräch mit Christian Baier

Christian Baier

Die „Hohe Minne“ des Mittelalters basiert auf Anbetung und entfaltet dabei religiöse Dimensionen.

Kirsten Harms

Die Frau wird zur Ikone, die gleich der Gottesmutter unberührbar und asexuell über allem Irdischen thront. Blicken wir in der Geschichte zurück, müssen wir feststellen, dass dieser Phase der Glorifizierung des Weiblichen die Inquisition folgte. Sie dämonisierte vor allem Frauen.

Christian Baier

Nicht die Gesellschaft hindert Tannhäuser und Elisabeth also daran, ihre Liebe zu leben, sondern das Denken, das diese Gesellschaft geprägt hat …

Kirsten Harms

Dieses Denken ist auch in den beiden Liebenden. So einfach können Tannhäuser und Elisabeth die Verhaltensmuster nicht abstreifen, in denen sie Jahre lang gelebt haben. Es kostet sie viel Kraft und Überwindung. Tannhäuser schafft es beim Sängerwettstreit nur durch die öffentliche Verletzung des herrschenden Moralsystems. Er wählt den ungünstigsten Moment für sein Liebesbekenntnis und brüskiert die gesamte Gesellschaft, als er sein alles andere denn platonisches Verhältnis zu Elisabeth „outet“. Elisabeth hingegen – und hierin ist sie durch ihre große Authentizität Venus – geht einen Schritt weiter. Sie stellt sich gegen die Gesellschaft und den Landgraf, als es darum geht, Tannhäuser vor der Hinrichtung zu bewahren. Sie zeigt Haltung und Größe, als sie nicht durch Worte, sondern durch eine Tat das „Wesen der Liebe“ definiert. Eine Frau verteidigt ihren Geliebten vor einer Schar von charaktergepanzerten Rittern. Und wie reagieren diese? Sie mystifizieren diesen menschlichen Akt sofort und besingen den Engel, der in Gestalt Elisabeths zu ihnen gesprochen hat! Dabei geht es einfach darum, Mensch zu sein und instinktiv zu beschützen, was man liebt. Vor diesem Einfachnur­ Mensch­Sein hat die Gesellschaft der Wartburg große Angst, denn es impliziert auch die Anfälligkeit für Irrtum, für Sünde, für Schuld. Doch ohne diese drei gibt es auch keine Erkenntnis und keine Individualität.

Christian Baier

Welche Rolle spielt für Sie Wolfram von Eschenbach?

Kirsten Harms

Wir erleben ihn in der Gesellschaft gepanzerter Ritter, die Jagd auf das Böse in der Welt machen. Er erkennt Tannhäuser und setzt sich vor seinen Mitstreitern für den zurückgekehrten Sünder ein. Als Tannhäuser die Einladung, zur Wartburg zurückzukehren, ausschlägt, lässt Wolfram das entscheidende Codewort fallen und weckt in Tannhäuser Schuldgefühle: „Elisabeth!“ Von der Wiederbegegnung der beiden verspricht er sich einen endgültigen Bruch zwischen Elisabeth und Tannhäuser. Dann wäre für ihn der Weg zu Elisabeths Herzen frei. Als dies jedoch nicht eintritt, wählt er beim Sängerwettstreit seine Worte so, dass Tannhäuser auf jeden Fall Einspruch erheben, das Reglement brechen und den versammelten Hof brüskieren wird. Damit ist er nicht mehr gesellschaftsfähig. Doch womit Wolfram nicht rechnet, ist: Elisabeth ergreift offen Partei für Tannhäuser. Es gelingt ihr, das Todesurteil in eine schwere Buße umzuwandeln. Tannhäuser muss nach Rom pilgern und vom Papst Absolution erhalten. Ein sinnloses Unterfangen, wie

alle wissen, denn Tannhäusers Vergehen ist zu groß, um kirchliche Vergebung zu finden. Wolframs Liebe zu Elisabeth speist sich mehr aus der Sehnsucht denn aus dem Drang zur Erfüllung. Es ist nicht jene Liebe, die sie im Zusammensein mit Tannhäuser kennen gelernt hat, keine Liebe, die die ganze Person meint, sondern bestimmte Aspekte – das Venushafte, die Sinnlichkeit – ausklammert. Wolfram betet die Ikone Elisabeth an. Die Venus­ Seite macht ihm Angst. Mich interessiert die Tragik von Wolfram, der von seiner Sehnsucht nach Liebe spricht, aber vor der Realisierung seiner Wünsche zurückschreckt.

Christian Baier

Im dritten Akt begegnet er schließlich seinem Idealbild einer Frau. Der Ort ist makaber – ein Siechenhaus. Spielt das auf die historische Elisabeth an?

Kirsten Harms

Ja. Elisabeth von Thüringen kehrte nach dem Tod ihres Mannes Ludwig, Sohn des Landgrafen Hermann I., dem irdischen Hofleben den Rücken und widmete sich der Nächstenliebe. Sie gründete das Hospiz in Marburg, eine der ersten Sozialeinrichtungen des Abendlandes. Schon vier Jahre nach ihrem Tod wurde sie heilig gesprochen.

Christian Baier

Das christliche Denken hat die selbstlose Nächstenliebe der ich­bezogenen sinnlichen Liebe entgegensetzt.

Kirsten Harms

Am Ort des Todes wartet Elisabeth auf Tannhäuser. Ihre Liebe zu ihm kompensiert sie in Fürsorge für Sterbende. In dieser Situation sucht Wolfram sie auf. Stets hält er sich in ihrer Nähe auf. Er will den Moment nicht versäumen, in dem sie einsieht, dass Tannhäuser nicht zu ihr zurückkommen wird. Erst als sie dem Tode nahe ist und in Bewusstlosigkeit fällt, wagt er sich ihr zu nähern. Sie ist schon zu schwach, um sich seinen Berührungen zu widersetzen. Sein Gesang an den holden Abendstern – zynisch eigentlich, wenn man bedenkt, dass dieses Gestirn den Namen der sündigen Liebesgöttin trägt – ist ein Wiegenlied, mit der er Elisabeth langsam in den Tod singt. Nun endlich ist sie sein!

Christian Baier

Doch da kehrt Tannhäuser aus Rom zurück …

Kirsten Harms

… und Wolfram verbirgt die vermeintlich tote Elisabeth vor dem Konkurrenten. Mit allen Mitteln versucht er, Tannhäusers Aufmerksamkeit von der Bewusstlosen abzulenken, bringt die Rede auf Rom. Tannhäuser berichtet zynisch und verbittert über seine Begegnung mit dem Papst. Er ist voll Selbstmitleid. Als er seinen Entschluss verkündet, in den Venusberg zurückzukehren, erwacht Elisabeth noch einmal zum Leben. Und in diesem Moment ist sie nicht die keusche Jungfrau, sondern Elisabeth und Venus zugleich. – Sie ist ganz. Das ist der große Moment der Erlösung, den Wagners Oper verheißt.

Christian Baier

Die gewagte Deutung eines Finales, das ursprünglich auf dem romantischen Gedanken der Erlösung durch Auslöschung basiert.

Kirsten Harms

Es ist sehr einfach, Menschen im Tod die Erlösung finden zu lassen. Natürlich könnte die Oper so enden: Elisabeth ist tot, Tannhäuser gebrochen. Dann wäre die Opernwelt wieder in Ordnung. Aber für mich lebt Elisabeth. Sie überlebt diesen Irrsinn. Sie hat zu sich gefunden. Nicht Tannhäuser hält ihren Leichnam im Arm, sondern sie den zitternden Minnesänger. Tannhäuser ist nach seiner RomErfahrung am Ende. Ihm wird die Gnade der Tränen zuteil. Der Null­ Punkt kann ein neuer Anfang sein. Endlich ist er dort angelangt, wo „Heil“ möglich ist: außer sich. In diesem Moment beginnt für mich das Wunder.

Christian Baier

Und Wolfram?

Kirsten Harms

Er kann sich nur an der Peripherie des Wunders in sich selbst zurückziehen. In die Sphäre, in die Elisabeth und Tannhäuser gelangt sind, kann er nicht folgen. Wolframs Schweigen begründet die Heiligenlegende, die die herbeiströmenden Pilger in die Welt setzen. Er allein kennt die wahren Ereignisse und hat erlebt, dass große Wahrheiten ganz einfach sein können. Doch wie er sich selbst sein Verlangen schuldig geblieben ist, so bleibt er der Nachwelt die einfache und berührende Wahrheit schuldig.

Christian Baier

Bei Ihrer Inszenierung nehmen Sie Wagners Musiksprache, aber auch das Pathos der Worte sehr ernst …

Kirsten Harms

Wagners Musik ist für mich nicht tönendes Beiwerk einer Story, sondern essentieller Bestandteil der Problematik, die in dieser Oper verhandelt wird. Sein Bekenntnis, er sei der Welt den TANNHÄUSER schuldig geblieben, zeigt, wie nahe der Komponist bis zu seinem Tod diesem Werk stand. Es ist ein Selbstporträt, nicht des Künstlers Wagner, sondern des Menschen. Wagners Musikdramen sind in ihrem Inneren sehr filigran und verletzlich. Wenn man das erkannt hat, braucht man nicht mehr versuchen, ihnen inszenatorisch etwas entgegenzusetzen, um den Begriff von Pathos und Größe, mit dem Wagners Dramaturgie operiert, klein und menschlich zu kriegen.

Christian Baier

Sie siedeln den TANNHÄUSER in einer archaischen Bilderwelt an. Das Mittelalter war eine Epoche, in der aufgrund des Analphabetismus und der geringen Verbreitung von Schriften (der Buchdruck war ja noch nicht erfunden) über Zeichen und Symbole kommuniziert wurde.

Kirsten Harms

Ich bediene mich dieses Kommunikationssystems nicht, um mittelalterliche Bilder auf der Bühne nachzustellen, sondern um Lust­, Angst­ und Untergangsszenarien des kollektiven Unterbewusstseins wachzurufen. Die Symbolik dieser Bilder schlummert tief in uns. Aus ihnen speisen sich unsere Träume: dämonische Flugwesen, die gleich Geiern über der sündigen Menschheit ihre Kreise ziehen, Nacktheit als Zeichen einer Unschuld, die Scham als sittliches Regulativ nicht nötig hat. Menschen strecken in Reinheitsekstase aus den Flammen des Fegefeuers ihre

Arme gegen den Himmel. Ritter auf gepanzerten Pferden stochern mit Lanzen in den Abgründen von Sünde und Schuld. Eine Hofgesellschaft diskutiert in ihren Harnischen über das verletzlichste Gefühl des Menschen – die Liebe. Am Rande des Todes – im Siechenhaus – vollzieht sich die Vereinigung der Gegensätze. Bernd Damovsky arbeitet nur mit den Elementen, die die Bühne der Deutschen Oper Berlin zur Verfügung stellt: Schnürboden, Podien, Bühnenversenkungen. Aus ihnen erwachsen die Hemisphären von TANNHÄUSER : Himmel, Erde und Hölle. Jedes Opernhaus kann eine Wartburg sein, Kunstort, wo das „Wesen der Liebe“ er­ und verklärt wird. Illusionen lassen sich am Theater vielfältig erzeugen. Mich interessiert, Bilder wachzurufen, die wir alle in uns tragen. Die Bühne kann immer nur Anstoß für das Erleben einer von vielen Wirklichkeiten in uns sein. Niemals kann sie Wirklichkeit ersetzen. TANNHÄUSER handelt von Menschen, die versuchen, sich das Leben, die Liebe und das Leiden zu ersparen, indem sie darüber singen. Ich will mir das Leben nicht ersparen, indem ich es auf die Bühne stelle. Das ist Prämisse dieser TANNHÄUSER ­ Produktion.

Kirsten Harms im Gespräch mit Christian Baier

Entstehungserinnerungen

Ganz schon nur mit meiner Rückkehr nach Deutschland, und mit der Beschaffung der nöthigen Mittel dazu beschäftigt, mußte ich, gerade um dieser letzteren willen, nach der Beendigung des FLIEGENDEN HOLLÄNDERS noch einmal zur musikhändlerischen Lohnarbeit greifen. Ich machte Klavierauszüge von Halévy’schen Opern. Ein gewonnener Stolz bewahrte mich aber bereits vor der Bitterkeit, mit der mich früher diese Demüthigung erfüllt hatte. Ich behielt guten Humor, korrespondirte mit der Heimath wegen der vorrückenden Zurüstungen zur Aufführung des Rienzi; aus Berlin traf selbst die Bestätigung der Annahme meines FLIEGENDEN HOLLÄNDERS zur Aufführung ein. Ich lebte ganz schon in der ersehnten, nun bald zu betretenden heimischen Welt. –

In dieser Stimmung fiel mir das deutsche Volksbuch vom „Tannhäuser “ in die Hände; diese wunderbare Gestalt der Volksdichtung ergriff mich sogleich auf das Heftigste; sie konnte dieß aber auch erst jetzt. Keineswegs war mir der Tannhäuser an sich eine völlig unbekannte Erscheinung: schon früh war er mir durch Tieck’s Erzählung bekannt geworden. Er hatte mich damals in der phantastisch mystischen Weise angeregt, wie Hoffmann’s Erzählungen auf meine jugendliche Einbildungskraft gewirkt hatten; nie aber war von diesem Gebiete aus auf meinen künstlerischen Gestaltungstrieb Einfluß ausgeübt worden. Das durchaus moderne Gedicht Tieck’s las ich jetzt wieder durch, und begriff nun, warum seine mystisch kokette, katholisch frivole Tendenz mich zu keiner Theilnahme bestimmt hatte; es ward mir dieß aus dem Volksbuche und dem schlichten Tannhäuserliede ersichtlich, aus dem mir das einfache ächte Volksgedicht der Tannhäusergestalt in so unentstellten, schnell verständlichen Zügen entgegentrat. – Was mich aber vollends unwiderstehlich anzog, war die, wenn auch sehr lose Verbindung, in die ich den Tannhäuser mit dem „Sängerkrieg auf Wartburg“ in jenem Volksbuche gebracht fand. Auch dieses dichterische Moment hatte ich bereits früher durch eine Erzählung Hoffmann’s kennen gelernt; aber, gerade wie die Tieck’sche vom Tannhäuser, hatte sie mich ganz ohne Anregung zu dramatischer Gestaltung gelassen. Jetzt gerieth ich darauf, diesem Sängerkriege, der mich mit seiner ganzen Umgebung so unendlich heimathlich anwehte, in seiner einfachsten, ächtesten Gestalt auf die Spur zu kommen: dieß führte mich zu dem Studium des mittelhochdeutschen Gedichtes vom „Sängerkriege“, das mir glücklicher Weise einer meiner Freunde, ein deutscher Philolog, der es zufällig in seinem Besitze hatte, verschaffen konnte. – Dieses Gedicht ist, wie bekannt, unmit telbar mit einer

größeren epischen Dichtung „Lohengrin“ in Zusammenhang gesetzt: auch dieß studirte ich, und hiermit war mir mit einem Schlage eine neue Welt dichterischen Stoffes erschlossen, von der ich zuvor, meist nur auf bereits Fertiges, für das Operngenre Geeignetes ausgehend, nicht eine Ahnung gehabt hatte. – Ich muß die hieraus gewonnenen Eindrücke näher bezeichnen.

Wichtig wird es manchem Anhänger der historisch­dichterischen Schule sein, zu erfahren, daß ich zwischen der Vollendung des FLIEGENDEN HOLLÄNDERS und der Konzeption des TANNHÄUSERS , mich mit dem Entwurfe zu einer historischen Operndichtung beschäftigte; unerfreulich, und als Beweis für meine Unfähigkeit wird es ihm gelten, wenn er erfährt, daß ich diesen Entwurf gegen den des TANNHÄUSERS fahren ließ. Ich will für jetzt hier einfach nur den Hergang berichten, weil ich den hierher bezüglichen ästhetischen Gegenstand bei der Erzählung eines späteren Konfliktes ähnlicher Art, näher zu besprechen Veranlassung gewinnen werde.

Meine Sehnsucht nach der Heimath hatte, sagte ich, Nichts von dem Charakter des politischen Patriotismus; dennoch würde ich unwahr sein, wenn ich nicht gestehen wollte, daß auch eine politische Bedeutung der deutschen Heimath meinem Verlangen vorschwebte: natürlich konnte ich diese aber nicht in der Gegenwart finden, und eine Berechtigung zu dem Wunsche einer solchen Bedeutung – wie unsere ganze historische Schule – nur in der Vergangenheit aufsuchen. Um mich zu vergewissern über Das, was ich an der deutschen Heimath, nach der ich mich doch sehnte, denn eigentlich liebte, führte ich mir das Bild der Eindrücke meiner Jugend zurück, und um dieß klar und deutlich zu ersehen, schlug ich im Buche der Geschichte nach. Bei dieser Gelegenheit suchte ich auch noch nach einem Opernstoffe: nirgends in den großen Zügen der alten deutschen Kaiserwelt bot er sich mir aber dar, und ohne deutliches Wissen fühlte ich, daß diese Züge, um durchaus getreu und verständlich dargestellt zu werden, ganz in dem Grade sich der Fähigkeit zur Dramatisirung überhaupt entzogen, als sie namentlich auch meiner musikalischkünstlerischen Anschauung, mit unumfangbarer Sprödigkeit sich entwanden. – An einem Zuge endlich haftete ich, weil ich hier ein freieres Gewährenlassen meines dichterischen Gestaltungstriebes mir zu erlauben für gestattet halten durfte. Es war dieß ein Zug aus den letzten Momenten der Hohenstaufischen Welt. Manfred, Friedrich’s II. Sohn, reißt sich aus dem Zustande der Muthlosigkeit und Versunkenheit in lyrische Ergetzung, wirft sich, von äußerster Noth gedrängt, nach Luceria, der Stadt, die von seinem Vater den aus Sicilien versetzten Sarazenen mitten im hochheiligen Kirchenstaate zum Wohnort angewiesen worden war, und gewinnt, zunächst durch die Hilfe dieser streitlichen und leicht zu begeisternden Söhne Arabiens, das ganze, vom Papste und den herrschenden Welfen ihm bestrittene Reich Appulien und Sicilien; mit seiner Krönung schloß der dramatische Entwurf. In diesen rein geschichtlichen Vorgang wob ich eine erdichtete weibliche Gestalt: ich entsinne mich jetzt, daß sie mir aus dem Anschauen einer bereits längst mir zu Gesicht gekommenen Zeichnung, als Erinnerung entsprang: es war dieß eine Darstellung Friedrich’s II., umgeben von seinem fast ganz arabischen Hofe, aus welchem namentlich singende und tanzende orientalische Frauengestalten lebhaft meine Phantasie fesselten. Den Geist dieses Friedrich’s, meines Lieblinges, verkörperte ich nun in der Erscheinung einer jungen Sarazenin, der Frucht einer Liebesumarmung Friedrich’s und einer Tochter Arabiens während jenes friedlichen Aufenthaltes des Kaisers in Palästina. Das Mädchen hatte daheim von dem tiefen Falle des gibelinischen Hauses Kunde erhalten; mit dem Feuer desselben arabischen Enthusiasmus’, der noch jüngst

dem Oriente Liebeslieder für Bonaparte eingab, machte sie sich nach Appulien auf. Dort, am Hofe des entmuthigten Manfred, erscheint sie als Prophetin, begeistert, reißt zu Thaten hin; sie entzündet die Araber in Luceria, und führt, überall hin Enthusiasmus ausgießend, den Sohn des Kaisers von Sieg zu Sieg bis zum Throne. Geheimnißvoll verbarg sie ihre Abkunft, um auch in Manfred selbst durch das Räthsel ihrer Erscheinung zu wirken; er liebt sie heftig, und will das Geheimniß durchbrechen: sie weist ihn prophetisch zurück. Bei einem Anschlag auf sein Leben fängt sie den tödtlichen Stoß mit ihrer Brust auf: sterbend bekennt sie sich als Manfred’s Schwester, und läßt ihre volle Liebe zu ihm errathen. Der gekrönte Manfred nimmt für immer von seinem Glücke Abschied.

Dieses, wohl nicht glanz­ und wärmelose Bild, das meine heimaths sehnsüchtige Phantasie mir in der Beleuchtung eines historischen Sonnen untergangsscheines zuführte, verwischte sich sogleich, als meinem inneren Auge die Gestalt des Tannhäusers sich darstellte. Jenes Bild war mir von Außen vorgezaubert; diese Gestalt entsprang aus meinem Inneren. In ihren unendlich einfachen Zügen war sie mir umfassender, und zugleich bestimmter, deutlicher, als das reichglänzende, schillernde und prangende historisch ­ poetische Gewebe, das wie ein prunkend faltiges Gewand die wahre, schlanke menschliche Gestalt verbarg, um deren Anblick es meinem inneren Tannhäuser sich ihm darbot. Hier war eben das Volksgedicht, das immer den Kern der Erscheinung erfaßt, und in einfachen, plastischen Zügen ihn wiederum zur Erscheinung bringt; während dort, in der Geschichte – d.h. nicht wie sie an sich war, sondern wie sie uns einzig kenntlich vorliegt – diese Erscheinung in unendlich bunter, äußerlicher Zerstreut heit sich kundgiebt, und nicht eher zu jener plastischen Gestalt gelangt, als bis das Volks auge sie ihrem Wesen nach ersieht, und als künstlerischen Mythos gestaltet.

Dieser Tannhäuser war unendlich mehr als Manfred; denn er war der Geist des ganzen gibelinischen Geschlechtes für alle Zeiten, in eine einzige, bestimmte, unendlich ergreifende und rührende Gestalt gefaßt in dieser Gestalt aber Mensch bis auf den heutigen Tag, bis in das Herz eines lebenssehnsüchtigen Künstlers. Doch von diesen Beziehungen später!

Für jetzt berichte ich bloß noch, daß ich auch in der Wahl des Tannhäuserstoffes gänzlich ohne Reflexion verfuhr, und bestätige somit nur die Erscheinung, daß ich, ohne kritisches Bewußtsein, durchaus unwillkürlich zu meiner Entscheidung mich bestimmt fühlte. Durch meine Erzählung allein erhellt es, wie ganz ungrundsätzlich ich mit dem FLIEGENDEN HOLLÄNDER meine neue Bahn eingeschlagen hatte. Mit der SARAZENIN war ich im Begriffe gewesen, mehr oder weniger in die Richtung meines RIENZI mich zurückzuwerfen, um eine große fünfaktige „historische“ Oper zu verfertigen: erst der überwältigende, mein individuelles Wesen bei weitem energischer erfassende Stoff des TANNHÄUSERS , erhielt mich im Festhalten der mit Nothwendigkeit eingeschlagenen neuen Richtung. Es geschah dieß, wie ich nun berichten will, unter noch andauernden lebhaften Konflikten mit zufälligen äußeren Einflüssen, die allmählich meine Richtung mir auch zu immer deutlicherem Bewußtsein bringen sollten. –

Endlich, nach fast dreijährigem Aufenthalte, verließ ich, neunundzwanzig Jahre alt, Paris. Meine direkte Reise nach Dresden führte durch das thüringische Thal, aus dem man die Wartburg auf der Höhe erblickt. Wie unsäglich heimisch und anregend wirkte auf mich der Anblick dieser mir bereits gefeiten Burg, die ich – wunderlich genug! – nicht eher wirklich besuchen sollte, als sieben Jahre nach­

her, wo ich – bereits verfolgt – von ihr aus den letzten Blick auf das Deutschland warf, das ich damals mit so warmer Heimathsfreude betrat, und nun als Geächteter, landesflüchtig verlassen mußte! –

Ich traf in Dresden ein, um die versprochene Aufführung meines RIENZI zu betreiben. Vor dem wirklichen Beginne der Proben machte ich noch einen Ausflug in das böhmische Gebirge: dort verfaßte ich den vollständigen scenischen Entwurf des TANNHÄUSER . Bevor ich an seine Ausführung gehen konnte, sollte ich mannigfaltig unterbrochen werden. Das Einstudiren meines RIENZI begann, dem manche Zurechtlegungen und Änderungen der ausschweifend weit ausgeführten Komposition vorangingen. Die Beschäftigung mit der endlichen Aufführung einer meiner Opern unter so genügenden Verhältnissen, wie sie mir das Dresdener Hoftheater darbot, war für mich ein neues Element, das lebhaft zerstreuend auf mein Inneres wirkte. Ich fühlte mich damals von meinem Grundwesen so heiter abgezogen, und auf das Praktische gerichtet aufgelegt, daß ich es sogar vermochte, einen früheren, längst bereits vergessenen Entwurf zu einem Opernsüjet, nach dem König’schen Romane „die hohe Braut“, für meinen nachmaligen Kollegen im Dresdener Hofkapellmeisteramte, der eben ein Operntextbedürfniß zu empfinden glaubte, und den ich mir dadurch zu verbinden suchte, in leichten Opernversen nebenbei mit auszuführen.

Das unterirdische Reich dauert weiter

Friedrich Huch

Stürz Dich nur jetzt in die Musik der Nibelungen und berausche Dich an ihr, – man kann sie nicht anders als im Rausch genießen. Wagner ist ein Magier, ein Zauberer, sein Name schließt eine Welt in sich, die einzig dasteht. Aber um diese Welt liegt keine reine, himmlische Atmosphäre, es ist, als entstiegen aus allen ihren Poren narkotisierende, betäubende, süße Dämpfe, die die Seele einhüllen; sie knechtet die Empfindungen anstatt sie zu befreien. Und in diesem Geknechtetsein liegt die ganze Wollust ihres Zaubers, der etwas Verruchtes an sich hat. Der Venusberg des Tannhäusers ist mir ein Symbol für Wagners Kunst; es ist, als sei sie gleichsam unterirdisch abgeschlossen, dumpf umwölbt von einer Riesenhöhle, die den Himmel nicht mehr sehen lässt. Und der Tannhäuser selbst kommt mir vor wie einer, der sich gewaltsam aus dieser Welt, die ihn zu ersticken droht, befreit – es hat etwas Erschütterndes an sich, wie er wieder zum erstenmal die Hirtenflöte des freien Tales hört, wie wenn Wagner sich selbst den Rücken kehren möchte zu einer andern Welt hin. Solche Töne der Natur hat er öfter getroffen und jedesmal wirken sie auf mich wie die Rufe eines Träumenden, der sich befreien möchte von dem Alpdruck seines Traumes, wie ein visionärer Blick in ein verschlossenes, fernes Paradies. Das Erlebnis „Wagner “ ist ganz anders als alle andern künstlerischen Erlebnisse. Es wirkt nicht rein als Kunst, es wirkt persönlich. Wie wenn man jahrelang unter dem Einfluss eines dämonischen Menschen gestanden hätte, bis man aus Selbsterhaltungstrieb diesen Einfluss endlich von sich abschüttelt. Und ist es gelungen, ist einmal der Bann gebrochen, dann sehen einen wieder wie aus der Ferne zwei Menschenaugen an, die zu fragen scheinen: Wo bist du geblieben Dann kann es einem gehen wie dem Tannhäuser, der sich in die verlassene Welt zurücksehnt, der in sie zurückkehren würde, wenn ihn nicht andere, reinere Kräfte hielten. Das unterirdische Reich dauert weiter, – so, wie Wagners Kunst bestehen bleibt, auch wenn man sie negiert. Sie ist eine feste Tatsache, eine Welt für sich, ein Riesenleuchtturm, dessen Licht magisch anziehende Strahlen versendet für alles, was in der Luft herumfliegt. Wer sich einmal fast den Kopf an ihm zerstoßen hat, der meidet ihn. Wagner gegenüber muss man, wenn man sich selbst noch nicht gefunden hat, sich freiwillig in Fesseln schlagen, wie Odysseus sich an den Mast binden ließ, als er an der Insel der Sirenen vorbeifuhr. Seine Kunst macht glücklich­unglücklich, und wirkt auch am meisten auf Menschen, in deren Leben und Wollen eine Disharmonie besteht.

Dem Denkenden zu denken

Friedrich Nietzsche

Es ist die eigenste Urerfahrung, welche Wagner in sich selbst erlebt und wie ein religiöses Geheimniss verehrt: diese drückt er mit dem Worte Treue aus, diese wird er nicht müde in hundert Gestaltungen aus sich heraus zu stellen und in der Fülle seiner Dankbarkeit mit dem Herrlichsten zu beschenken, was er hat und kann – jene wundervolle Erfahrung und Erkenntniss, dass die eine Sphäre seines Wesens der anderen treu blieb, aus freier selbstlosester Liebe Treue wahrte, die schöpferische schuldlose lichtere Sphäre, der dunkelen, unbändigen und tyrannischen.

Im Verhalten der beiden tiefsten Kräfte zu einander, in der Hingebung der einen an die andere lag die grosse Nothwendigkeit, durch welche er allein ganz und er selbst bleiben konnte: zugleich das Einzige, was er nicht in der Gewalt hatte, was er beobachten und hinnehmen mußte, während er die Verführung zur Untreue und ihre schrecklichen Gefahren für sich immer auf’s Neue an sich heran kommen sah. Hier fliesst eine überreiche Quelle der Leiden des Werdenden, die Ungewissheit. Jeder seiner Triebe strebte in’s Ungemessene, alle daseinsfreudigen Begabungen wollten sich einzeln losreissen und für sich befriedigen; je grösser ihre Fülle, um so grösser war der Tumult, um so feindseliger ihre Kreuzung. Dazu reizte der Zufall und das Leben, Macht, Glanz, feurigste Lust zu gewinnen, noch öfter quälte die unbarmherzige Noth, überhaupt leben zu müssen; überall waren Fesseln und Fallgruben. Wie ist es möglich, da Treue zu halten, ganz zu bleiben– Dieser Zweifel übermannte ihn oft und sprach sich dann so aus, wie eben ein Künstler zweifelt, in künstlerischen Gestalten: Elisabeth kann für Tannhäuser eben nur leiden, beten und sterben, sie rettet den Unstäten und Unmässigen durch ihre Treue, aber nicht für dieses Leben. Es geht gefährlich und verzweifelt zu, im Lebenswege jedes wahren Künstlers, der in die modernen Zeiten geworfen ist. Auf viele Arten kann er zu Ehren und Macht kommen, Ruhe und Genügen bietet sich ihm mehrfach an, doch immer nur in der Gestalt, wie der moderne Mensch sie kennt und wie sie für den redlichen Künstler zum erstickenden Brodem werden müssen. In der Versuchung hiezu und ebenso in der Abweisung dieser Versuchung liegen seine Gefahren, in dem Ekel an den modernen Arten, Lust und Ansehen zu erwerben, in der Wuth, welche sich gegen alles eigensüchtige Behagen nach Art der jetzigen Menschen wendet. Man denke ihn sich in eine Beamtung hinein – so wie Wagner das Amt eines Kapellmeisters an Stadt­ und Hoftheatern zu versehen hatte; man empfinde es, wie der ernsteste Künstler mit Gewalt da den Ernst er­

zwingen will, wo nun einmal die modernen Einrichtungen fast mit grundsätzlicher Leichtfertigkeit aufgebaut sind und Leichtfertigkeit fordern, wie es ihm zum Theil gelingt und im Ganzen immer misslingt, wie der Ekel ihm naht und er flüchten will, wie er den Ort nicht findet, wohin er flüchten könnte und er immer wieder zu den Zigeunern und Ausgestossenen unserer Cultur als einer der Ihrigen zurückkehren muss. Aus einer Lage sich losreissend, verhilft er sich selten zu einer besseren, mitunter geräth er in die tiefste Dürftigkeit. So wechselte Wagner Städte, Gefährten, Länder, und man begreift kaum, unter was für Anmuthungen und Umgebungen er es doch immer eine Zeit lang ausgehalten hat. Auf der grösseren Hälfte seines bisherigen Lebens liegt eine schwere Luft; es scheint, als hoffte er nicht mehr in’s Allgemeine, sondern nur noch von heute zu morgen, und so verzweifelte er zwar nicht, ohne doch zu glauben. Wie ein Wanderer durch die Nacht geht, mit schwerer Bürde und auf das Tiefste ermüdet und doch übernächtig erregt, so mag es ihm oft zu Muthe gewesen sein; ein plötzlicher Tod erschien dann vor seinen Blicken nicht als Schreckniss, sondern als verlockendes liebreizendes Gespenst. Last, Weg und Nacht, alles mit einem Male verschwunden! – das tönte verführerisch. Hundertmal warf er sich von Neuem wieder mit jener kurzathmigen Hoffnung in’s Leben und liess alle Gespenster hinter sich. Aber in der Art, wie er es that, lag fast immer eine Maasslosigkeit, das Anzeichen dafür, dass er nicht tief und fest an jene Hoffnung glaubte, sondern sich nur an ihr berauschte. Mit dem Gegensatze seines Begehrens und seines gewöhnlichen Halb ­ oder Unvermögens, es zu befriedigen, wurde er wie mit Stacheln gequält, durch das fortwährende Entbehren aufgereizt, verlor sich seine Vorstellung in’s Ausschweifende, wenn einmal plötzlich der Mangel nachliess. Das Leben ward immer verwickelter; aber auch immer kühner, erfindungsreicher waren die Mittel und Auswege, die er, der Dramatiker, entdeckte, ob es schon lauter dramatische Nothbehelfe waren, vorgeschobene Motive, welche einen Augenblick täuschen und nur für einen Augenblick erfunden sind. Er ist blitzschnell mit ihnen bei der Hand, und ebenso schnell sind sie verbraucht. Das Leben Wagner’s, ganz aus der Nähe und ohne Liebe gesehen, hat, um an einen Gedanken Schopenhauer’s zu erinnern, sehr viel von der Comödie an sich, und zwar von einer merkwürdig grotesken. Wie das Gefühl hiervon, das Eingeständniss einer grotesken Würdelosigkeit ganzer Lebensstrecken auf den Künstler wirken musste, der mehr als irgend ein anderer im Erhabenen und im Ueber­ Erhabenen allein frei athmen kann, – das giebt dem Denkenden zu denken.

Des Junggesellen Nachtmütze

Dicht bei Eisenach dehnt sich eine Kette steiniger Berge aus, einer von ihnen ist stumpf und rund und trägt weder Baum noch Strauch noch Gras, er wird der Venusberg genannt. In seinem Innern wohnt Frau Venus, eine Göttin aus heidnischer Zeit, die auch Frau Holle genannt wird; das wusste und weiß noch jetzt jedes Kind in Eisenach. Zu sich hinein hatte sie den Ritter Tannhäuser gelockt, den Minne sänger aus der Wartburg Sängerkreis.

Die kleine Molly und Anton standen oft an dem Berge, da sagte sie einmal: „Getraust Du Dich anzuklopfen und zu rufen: Frau Holle, Frau Holle, mach auf, hier ist Tannhäuser“. Doch das wagte Anton nicht. Molly wagte es. Doch nur die Worte: „Frau Holle! Frau Holle“ rief sie laut und deutlich, den Rest ließ sie im Winde verfliegen, so undeutlich, dass Anton überzeugt war, dass sie eigentlich gar nichts gesagt habe. So keck sah sie dabei aus, so keck wie zuweilen, wenn sie mit anderen Mädchen ihm im Garten begegnete, die ihn alle küssen wollten, gerade weil sie wussten, dass er nicht geküsst sein wollte und um sich schlug; sie allein wagte es.

„Ich darf ihn küssen!“, sagte sie stolz und nahm ihn um den Hals; darin lag ihre Eitelkeit, und Anton fand sich darein und dachte nicht weiter darüber nach. Wie reizend sie war und wie keck! Frau Holle im Berge sollte auch schön sein, aber ihre Schönheit, sagte man, sei die verführerische Schönheit des Bösen. Die höchste Schönheit dagegen sei die der heiligen Elisabeth, der Schutzheiligen des Landes, der frommen thüringischen Fürstin, deren gute Taten in Sage und Legende so manchen Ort hier umraunten. In der Kapelle hing ihr Bild von silbernen Lampen umgeben; – doch sie glich Molly nicht im entferntesten.

Wie Morgenroth am Himmel aufzittert,

So sprüht es rings aus den Schachten herauf: Des Berges Nacht erdröhnt und gewittert, Die Riegel, die Thore, sie fliegen auf:

Ein strömt der Sonne leuchtender Schein: –Tannhäuser im Lorber schreitet herein!

Die Nacht wird Tag und glänzende Helle

Durchrieselt, durchglüht die Zauberfluth

Und flammt und sprüht um die heimliche Stelle, Wo das süße Weib still vor ihm ruht.

Er kniet vor ihr, und in seinem Kuß Frau Venus zum Leben erwachen muß.

Sie öffnet das Aug’, und es blicket wieder

Der Liebe Seele daraus ihn an, Und heißt ihn willkommen und zieht ihn nieder, –Da ward ihm ein Himmelreich aufgethan.

„Der Schönheit Meister grüß’ ich Dich!

Ich bin Deine Seele – und Du bist ich!“

Vom edlen Ritter Tannhäuser Ludwig Bechstein

Da Ludwig der Milde, Landgraf von Thüringen, auf einem Kreuzzug im Morgenlande gestorben war, verließ er keine Kinder, und das Land fiel an seinen Bruder Hermann. Zu dessen Zeiten blühte in deutschen Landen der Minnesang und ward geübt und geliebt von Fürsten und Edeln, und Fürst Hermann versammelte viele Sänger zu seinem glänzenden Hofhalt auf der Wartburg. Eine Zeit nach ihm lebte auch ein Minnesänger im Frankenlande, der führte wie die meisten seiner Sanggenossen ein Wanderleben. Da habe ihn, als er am Hörseelenberge vorüberzog, die Erscheinung eines wunderholden Frauenbildes aufgehalten, das sei niemand anders als eben Frau Venus selbst gewesen, und ihm gewinkt, ihr in den Berg hineinzufolgen, und obschon auch ihn der treue Eckart gewarnt, habe der Ritter doch nicht zu widerstehen vermocht, und sei hineingegangen, und habe sich von Frau Venus umstricken lassen, und habe ein ganzes Jahr im Berge verweilt. Viele alte Lieder singen und sagen, wie nun die Reue über den Tannhäuser gekommen, da ss er sich besonnen und in sich gegangen, und habe wieder aus dem Berge herausbegehrt. Als er solches nun äußerte, erinnerte Frau Venus ihn an seinen Eid, den er ihr geschworen, allein Tannhäuser leugnete ihr solches in ihr schönes Gesicht hinein. Darauf erbot sie sich, ihm eine andere Gespielin statt ihrer zu geben, aber er sprach, so er solches täte, müsse er ewig ob solcher Vielweiberei in der Glut der Hölle brennen. Da lachte Frau Venus hell auf und fragte ihn, was er doch von der Hölle Glut schwatze. Ob er diese je bei ihr empfunden habe? Ob nicht ihr roter Mund zu allen Stunden ihm freundlich zugelacht? So ging der Streit noch eine Weile fort, bis Tannhäuser in seiner Undankbarkeit für alles Liebe und Gute, was Frau Venus an ihm getan, sie eine Teufelin schimpfte. Das nahm Frau Venus endlich übel und drohte, es ihm entgelten zu lassen. Da schrie der Tannhäuser die Jungfrau Maria an, ihm von dem Weibe zu helfen, und da sprach Frau Venus mit Stolz: Nun könne er hingehn, er möge sich nur bei dem Greise beurlauben – er werde dennoch ihr Lob noch preisen. Nun ging der Tannhäuser reuevoll aus dem Venusberge und wallete gen Rom zum Papst Urban, dem klagte und beichtete er seine Sünden und bekannte, da ss er bei einer Frau mit Namen Venus ein Jahr lang gewesen. Der Papst hielt in seiner Hand den hohen Stab mit dem römischen Doppelkreuze und sprach zu dem reuigen Sänger: So wenig der dürre Stab hier grünet, kommst du, der du bei des Teufels Hulde warst, zu Gottes Hulde! Vergebens flehte der Tannhäuser, ihm eine jahrelange Buße aufzuerlegen, dann zog er wie der aus dem ewigen Rom voll Leid und Jammer und klagte bitterlich, da ss des Papstes hartes Wort ihn auf ewig von Maria, der himmlischen Huldin, scheide,

da ss Gott ihn nicht annehme, und verwünschete sich wieder zu Frau Venus in den Hörseelenberg. Die stand schon da und lachte hell und spottete ihm entgegen recht teufelisch: Seid gottwillkommen, Tannhäuser, mein lieber Herr, ich hab Euer recht lang entbehrt, mein auserkorener Buhle!, und lachte noch einmal und ri ss ihn durch die Höhlenpforte mit sich hinab. Aber am dritten Tage danach, da hub des Papstes Stab an zu grünen, und nun sandte der Papst Boten aus in alle Lande, wo der Tannhäuser hingekommen wäre – der war aber wieder in dem Berg bei seinem schlimmen Lieb, und deshalb ist der Papst Urban der Vierte auch mit in die ewige Verdammnis gefallen, wie das alte Tannhäuserlied schließt:

Des must der vierte Bapst Vrban Auch ewigklich sein verloren.

Denn er hatte selbst, bevor er Papst wurde, mit einem Weibe im Bistum Lüttich, genannt Frau Eva in der Klause, die im abergläubischen Müßiggang sich verschlossen hielt, in sonderlicher Freundschaft gestanden und ihr zuliebe das Fronleichnamsfest gestiftet; er hatte drei Jahre lang mit großem Blutdurst die Parteien der Welfen und Ghibellinen aneinandergehetzt, und die Sekte der Bettelbrüder hatte er als ein rechter Heuschreckenkönig mit den schönsten Freiheiten begabt. Drei Monate lang leuchtete ein wundergroßer Komet schrecklich durch die Nächte, bis in die Nacht, in welcher Papst Urban IV. 1265 starb, da hörte er auf zu erscheinen.

Des Tannhäusers Lied von der Vergeblichkeit männlicher Hoffnungen und von der Unerfüllbarkeit weiblicher Bedingungen

Stæter dienest der ist guot.

Den man schonen frowen tuot.

Als ich miner han getan.

Der muos ich den salamander bringen.

Eines hat si mir gebotten.

Daz ich schike ir abe den rotten.

Hin provenz in das das lant

Ze nuerenberg so mag mir wol gelingen.

Unde die tuonouwe uber rin

Fuege ich das so tuot si swes ich muote.

Spriche ich ia si sprichet nein.

Sus so hellen wir en ein.

Dank so habe diu frowe min.

Sist geheissen guote.

Heia hei

Sist ze lange gewesen us miner huote.

La hiute unde iemer mere ia.

Heilalle unde aber ia.

Ziehent herze wafena.

Wie tuot mir diu liebe so

Diu reine unde div vil guote.

Daz si mich niht machet fro.

Des ist mir we ze muote.

Mich fröit noch bas ein lieber wan.

Den ich von der schonen han.

So der miuseberg zerge

Sam der sne. So lonet mir diu reine.

Alles des min herze gert

Des bin ich an ir gewert.

Dauerdienst, ja der ist gut, den man an schönen Frauen tut, wie ich’s bei meiner hab’ getan:

Der ich den Salamander bringen muss!

Und noch ein zweites sie mir abverlangt: Dass ich die Rhône umleit ihr aus der Provence hinauf in Nürnbergs Land: dann hätt’ ich Erfolg bei ihr!

Doch noch die Donau lenken sollt’ ich übern Rhein; schafft’ ich dies, dann gäb’ sie sich mir hin.

Merci, Madame! Sie heisst die Gute.

Sag’ ich ja, dann sagt sie nein, So passen wir zusammen!

Juchhei, juchhe!

Zu lang ist sie aus meiner Obhut gewesen.

Heute will sie viel und morgen noch viel mehr. Das, was sie will, das bring ich her, Doch macht sie mir das Herz nur schwer. Warum quält mich die Liebste so, Die Edle, Holde und GuteIhr wisst, sie macht mich niemals froh, Da wird mir weh zumute!

In meinem süßen Liebeswahn Hab ich dies und das getan, Sang die schönsten Lieder ihr, War sie nicht die beste aller Frauen Sie versprach mir ihre Huld, Bat mich aber um Geduld,

Minen willen tuot si gar.

Buwe ich ir ein hus von helfenbeine.

Swa si will uf einen se.

So habe ich ir friuntschaft unde ir hulde.

Bringe ich ir von galylee

Her an alle schulde.

Einen berk gefuoge ich daz.

Da her adan uffe sas.

Heia hei

Daz were aller dienste ein uber gulde.

La hiute unde iemer mere ia.

Heilalle unde aber ia.

Ziehent herze wafena.

Wie tuot mir diu liebe so

Diu reine unde div vil guote.

Daz si mich niht machet fro.

Des ist mir we ze muote

Ein boun stan in yndian.

Gros den wil si von mir han.

Minen willen tuot si gar.

Seht ob ich irs alles her gewinne.

Ich muos gewinnen ir den gral.

Des da pflag her parcyfal.

Unde den apfel den paris

Gab dur minne uenus der güttine.

Unde den mantel der beslos

Gar die frowen diu ist unwandelbere.

Dannoch wil si wunder gros.

Daz ist mir worden swere.

Ir ist nach der arke we.

Diu beslossen hat noe.

Heia hei

Brehte ich die wie lieb ich danne were.

Schon verlangte sie von mir,

Ihr ein Haus aus Elfenbein zu bauen.

„Einen See direkt ans Haus, Mitten zwischen ewig grünen Bäumen.

Schnell, mein Diener, mach dich raus!“

Ach, so nutzte sie mich aus.

Und ich baute an dem Haus, Folgte ihren Träumen, Heiahei!

Musste fast mein eignes Glück versäumen.

Heute will sie viel und morgen noch viel mehr.

Das, was sie will, das bring ich her, Doch macht sie mir das Herz nur schwer.

Warum quält mich die Liebste so,

Die Edle, Holde und GuteIhr

Wisst, sie macht mich niemals froh, Da wird mir weh zumute!

Einen mächt’gen Baum aus Indien, den will sie von mir haben.

Zu Willen ist sie mir, schaut, wenn ich das schaffe.

Ich muss erringen ihr den Gral, um den sich Parzival gekümmert, und den Apfel, den Paris vor lauter Minn’ der Göttin Venus gab dahin, und auch den Zaubermantel noch, der nur die treue Frau umhüllt.

Und dann will sie was ganz Extremes, wo mich die Schwermut gleich gepackt: Ihr ist so nach der Arche weh, In der geborgen war Noe. Juchhei, juchhe!

Schleppt’ ich die an, wie lieb ich ihr dan wär!

Der Tanhuser – Zusammenstellung aus mehreren neuhochdeutschen Nachdichtungen

Der Tannhäuser

Brüder Grimm

Der edle Tannhäuser, ein deutscher Ritter, hatte viele Länder durchfahren und war auch in Frau Venus’ Berg zu den schönen Frauen geraten, das große Wunder zu schauen. Und als er eine Weile darin gehaust hatte, fröhlich und guter Dinge, trieb ihn endlich sein Gewissen, wieder herauszugehen in die Welt, und begehrte Urlaub. Frau Venus aber bot alles auf, um ihn wanken zu machen: sie wolle ihm eine ihrer Gespielen geben zum ehelichen Weibe, und er möge gedenken an ihren roten Mund, der lache zu allen Stunden. Tannhäuser antwortete: kein ander Weib gehre er, als die er sich in den Sinn genommen, wolle nicht ewig in der Hölle brennen, und gleichgültig sei ihm ihr roter Mund, könne nicht länger bleiben, denn sein Leben wäre krank geworden. Und da wollte ihn die Teufelin in ihr Kämmerlein locken, der Minne zu pflegen, allein der edle Ritter schalt sie laut und rief die himmlische Jungfrau an, dass sie ihn scheiden lassen musste. Reuevoll zog er die Straße nach Rom zu Papst Urban, dem wollte er alle seine Sünden beichten, damit ihm Buße aufgelegt würde und seine Seele gerettet wäre. Wie er aber beichtete, dass er auch ein ganzes Jahr bei Frauen Venus im Berg gewesen, da sprach der Papst: „Wann der dürre Stecken grünen wird, den ich in der Hand halte, sollen dir deine Sünden verziehen sein, und nicht anders.“ Der Tannhäuser sagte: „Und hätte ich nur noch ein Jahr leben sollen auf Erden, so wollte ich solche Reue und Buße getan haben, dass sich Gott erbarmt hätte“; und vor Jammer und Leid, dass ihn der Papst verdammte, zog er wieder fort aus der Stadt und von neuem in den teuflischen Berg, ewig und immerdar drinnen zu wohnen. Frau Venus aber hieß ihn willkommen, wie man einen lang abwesenden Buhlen empfängt; danach wohl auf den dritten Tag hub der Stecken an zu grünen, und der Papst sandte Botschaft in alle Land, sich zu erkundigen, wohin der edle Tannhäuser gekommen wäre. Es war aber nun zu spät, er saß im Berg und hatte sich sein Lieb erkoren, daselbst muss er nun sitzen bis zum Jüngsten Tag, wo ihn Gott vielleicht anderswohin weisen wird. Und kein Priester soll einem sündigen Menschen Misstrost geben, sondern verzeihen, wenn er sich anbietet zu Buß und Reue.

Ave formosissima, gemma pretiosa, ave, decus virginum, virgo gloriosa, ave, mundi luminar, ave, mundi rosa, Blanziflor et Helena, Venus generosa.

Gegrüßt seist du, Schönste, kostbarer Edelstein, gegrüßt seist du, Zierde der Jungfrauen, herrliche Jungfrau, gegrüßt seist du, Licht der Welt, gegrüßt seist du, Rose der Welt, Blanchefleur und Helena, edle Venus!

Synopsis

Act I

The knight and poet Tannhäuser once fled the rigid world of the court to experience in Venus’ arms the joys of the sensuous love he had to forego. Here, too, however, overabundance has led to weariness. He wants to leave his lover to return to life among his equals. Venus tries to persuade him to stay, but neither her powers of seduction nor her threats can make him change his mind. As Tannhäuser invokes Mary, the realm of Venus disappears.

A procession of pilgrims awakens his guilty conscience – having given in to Venus, Tannhäuser feels he has become a sinner. The hunting party of Landgrave Hermann recognizes their long­lost companion in the supposed penitent. Led by Wolfram von Eschenbach, the knights entreat him to return to their midst. Tannhäuser hesitates – yet memories of Elisabeth persuade him.

Act II

Elisabeth joyfully awaits Tannhäuser’s arrival. Since his disappearance, she has avoided society, where Tannhäuser often emerged victorious from the singers’ competitions. When he enters, their mutual feelings reawaken, and Tannhäuser and Elisabeth confess their love; Wolfram, who remains in the background, sees his own hopes for Elisabeth destroyed.

The invited guests file in to attend the singers’ competition in celebration of Tannhäuser’s return. The task for this competition is to explore the nature of love in song. The victor may demand a prize of his own choosing, which Elisabeth will present to him.

Wolfram sings in praise of pure, spiritual love, but also makes a connection with the evening star – Venus. Tannhäuser answers immediately, and against the rules, by saluting that very star, but praising it as the goddess of love in the form experienced by him.

The debate grows more heated, so that Wolfram steps in and tries to calm the spirits by singing in praise of high love. Tannhäuser’s experiences, however, are in contrast to the opinions of courtly society. He provokes a scandal, forcing his expulsion from the group: he recommends that those now in high dudgeon seek to imitate his experiences in Venus’ arms.

Only an intervention by Elisabeth can save Tannhäuser from the worst. Just before violence erupts, the men agree that Tannhäuser should join a group of pilgrims and beg for mercy in Rome.

Act III

Among the ill pilgrims who have returned home and whom she nurses devotedly, Elisabeth awaits Tannhäuser, hoping that the Pope might have forgiven him. She and Wolfram note than Tannhäuser has not returned. Elisabeth begs Mary for mercy for Tannhäuser.

Wolfram’s song to the evening star – Venus – is a plea to salute Elisabeth when she passes the star as she dies.

At this point, Tannhäuser appears, as he has not returned from Rome with the others. He reports on his pilgrimage and the forgiveness the Pope denied him. Given the pointlessness of his efforts, he is determined to return to the Mount of Venus, where he was once truly welcome. Wolfram tries to stop him, but in vain …

Impressum

Copyright Stiftung Oper in Berlin Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin

Intendant Dietmar Schwarz; Geschaftsführender Direktor Thomas Fehrle; Spielzeit 2024/25 Redaktion Andreas K.W. Meyer / Jörg Königsdorf (2. Aufl.); Gestaltung Uwe Langner; Druck: trigger.medien gmbh, Berlin

Textnachweise

Andersen, Hans Christian: Das ABC-Buch. In: Andersens Märchen. Bayreuth. 1976. Bechstein, Ludwig: Deutsches Sagenbuch. Meersburg/Leipzig. 1930. Dahn, Felix: Gedichte. Leipzig. 1892.

Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsche Sagen. München. 1981. Harms, Kirsten: Ich will mir das Leben nicht ersparen … K. H. im Gespräch mit Christian Baier. Originalbeitrag für dieses Programmheft. Huch, Friedrich: Enzio. München. 1911. Nietzsche, Friedrich: Unzeitgemäße Betrachtungen. Aus dem Nachlaß 1873– 1875 . Leipzig. 1906. Wagner, Richard: Werke, Schriften und Briefe. Herausgegeben von Sven Friedrich. Berlin. 2004. Codex Buranus: Ave formosissima . o. O. o. J.

Der Tanhuser: Stæter dienest, der ist guot . In: Die Dichtungen des Tannhäusers . Kiel. 2006–2007. Die Handlung übersetzte Alexa Nieschlag.

Die Rechtschreibung folgt den Vorlagen.

Bildnachweise

Die sw­Abbildungen stammen von akg ­images: [S. 4] Tannhäuser und Frau Venus, Holzstich (1887). [S. 16] Tannhäuser, 3. Akt, 1. Szene: „ Er kehrt nicht zurück! / Allmächt’ge Jungfrau hör’ mein Flehen!“, Gemälde von Ferdinand Leeke (1894). [S. 42/43] „ Der Sängerkrieg auf der Wartburg“, Holzstich nach Zeichnung von Adalbert Müller.

Bettina Stöß fotografierte die Wiederaufnahme am 1. November 2017.

Besetzung: Andreas Schager (Tannhäuser), Emma Bell (Venus /Elisabeth), Markus Brück (Wolfram), Albert Pesendorfer (Landgraf) u.a. 2. überarb. Auflage (2025)

Richard Wagner

TANNHÄUSER

UND DER SÄNGERKRIEG AUF WARTBURG

Romantische Oper in drei Aufzügen Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 30. November 2008

Musikalische Leitung: Ulf Schirmer; Inszenierung: Kirsten Harms; Bühne, Kostüme, Video: Bernd Damovsky; Mitarbeit Kostüme: Inga Timm; Dramaturgie: Andreas K.W. Meyer; Choreografie: Silvana Schröder; Chöre: William Spaulding; Künstlerische Produktionsleitung: Christian Baier

Tannhäuser: Torsten Kerl; Landgraf Hermann: Reinhard Hagen; Venus / Elisabeth: Nadja Michael; Wolfram von Eschenbach: Markus Brück; Walther von der Vogelweide Clemens Bieber; Bitrolf: Lenus Carlson; Heinrich der Schreiber: Jörg Schörner;Reinmar von Zweter: Jörn Schümann; Hirt: Heidi Stober

Chor, Extra­ Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin

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