Deutsche Oper Berlin: LASH – Acts of Love

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Lash–Acts of Love

Lash–Acts of Love

Rebecca Saunders [*1967]

Oper in drei Akten – Love, Mute und Loss

Libretto von Ed Atkins und Rebecca Saunders, basierend auf einem Originaltext von Ed Atkins

Uraufführung am 20. Juni 2025 an der Deutschen Oper Berlin

Kompositionsauftrag der Deutschen Oper Berlin, gefördert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung

Mit freundlicher Unterstützung des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin e.V.

Lash–Acts of Love

Akt 1 | Act 1

LIEBE | LOVE

Eine Frau, in einer Erfahrung von Tod gehalten. Sie sucht tröstliche Bedeutung angesichts der Sinnlosigkeit des Todes. Wörter sprudeln hervor.

„Ich wollte fragen …“ – dieses Leitmotiv steht für vergebliche Fragen und verloren gegangene Absichten. Eine Frau unter Beobachtung. Vier Darsteller*innen (K, A , N, und S) erscheinen nacheinander auf der Bühne.

In which a woman is suspended in the immediate aftermath of a death. She searches for consoling significance in death’s meaninglessness. Words spill forth. “I wanted to ask…” emerges as a motif, capturing abortive questions of lost intention. A woman is observed. Four performers (K , A , N, and S) appear, one by one.

Akt 2 | Act 2

STUMM | MUTE

Eine Wimper wird gefunden und zu einer weit gefassten Synekdoche erhoben. Zu einem Omen für Liebe, Tod, Sex und Sprache. Tod ist so intim wie ein·e Geliebte·r, beharrlich und nah. Liebe, unbestimmt, bleibt ein Versprechen.

In which an eyelash is retrieved and elevated to vast synecdoche. A portent of love, death, sex, and language. Death is as intimate as a lover, insistent and close; love, undefined, remains a promise.

Akt 3 | Act 3

VERLUST | LOSS

Eine Frau ist bereit für den Verlust und findet zurück zu sich selbst. Tod reift heran zur Wirklichkeit. Eine Art Einwilligung.

In which a woman receives loss and returns to herself. Death ripens to real. There is acceptance.

Diese Begegnung von Tod, Sex und Liebe

Komponistin Rebecca Saunders im Gespräch mit Dramaturg Sebastian Hanusa

Sebastian Hanusa Lass uns mit der Frage nach dem Entstehungsprozess von LASH – ACTS OF LOVE beginnen. In einem Gespräch vor einigen Wochen hast du auf die Frage, warum du nach über dreißig Jahren erfolgreicher Arbeit als Komponistin erst jetzt den Auftrag für deine erste Oper angenommen hast – als Dietmar Schwarz im Sommer 2022 als Intendant der Deutschen Oper Berlin dich wegen des Kompositionsauftrags angefragt hat –, geantwortet, dass vorher dazu noch nicht die Rahmenbedingungen gegeben waren.

Rebecca Saunders Es war insgesamt eine lange Reise, einen Weg zu finden, mit Text zu arbeiten. 2015 habe ich „Skin“ für Sopran und Ensemble geschrieben. Die Haut dient als Metapher für die Vergänglichkeit – den kontinuierlichen Prozess des Abwerfens abgestorbener Haut und des Nachwachsens neuer. Der Text von „Skin“ stammt von mir und hat sich im Laufe des langen Kompositionsprozesses nach und nach herauskristallisiert. Später schrieb ich 2017 „Yes“, eine räumliche und musikalische Polyphonie von 83 Minuten. „Yes“ bezieht sich auf Molly Blooms Monolog, das letzte Kapitel von James Joyces „Ulysses“. Dieser Monolog lässt sich als eine Art literarische Collage betrachten, ein Netz aus unzähligen Pfaden von Geschichten, Gedanken, Assoziationen und Momenten in einem kontinuierlichen, unerbittlichen Strom energiegeladener Emotionen: eine Momentaufnahme, ein Seinszustand vor und während des Einschlafens. 2017 habe ich dann Ed Atkins kennengelernt. Ich stellte schnell fest, dass er sich mit Themen befasst, die mich mein Leben lang beschäftigt haben und die auf einer sehr tiefgreifenden Ebene meiner ganzen Musik unterlegt sind. Der Text von Ed Atkins, auf dem LASH basiert, ist eine berauschende, virtuose Beschäftigung mit dem Körper, mit dem Fleisch, mit Vergänglichkeit und Flüchtigkeit. Ein Bewusstseinsstrom, der manchmal greifbar, nah, intim und beängstigend gegenwärtig ist, um den Leser dann in seine drängenden, dichten Tiefen zu katapultieren – eine atemlose Sinnlichkeit, die zugleich hinreißend und schockierend ist. Die Oper befasst sich mit den grundlegenden menschlichen Erfahrungen von Sex, Liebe, Tod und Verlust, mit dem teuflischen, intimen Tanz von Liebe und Tod. Es ist eine Auseinandersetzung mit all diesen Themen durch die Wahrnehmung und Erfahrung des Körpers.

Sebastian Hanusa Diese erste Begegnung von dir mit Ed Atkins lässt sich exakt datieren. Es war ein Podiumsgespräch am 10. September 2017 im Rahmen des Musikfest Berlin und in Zusammenarbeit mit dem „Monat der zeitgenössischen Musik“ von field notes und der initiative neue musik berlin e. V. Damals fand im Musikfest die Uraufführung deiner Komposition „Yes“ statt und im Martin-GropiusBau war Eds große Einzelausstellung „Old Food“ zu sehen. Bei diesem Gespräch, dessen Mitschnitt man auch immer noch im Internet findet, ist scheinbar direkt der Funke zwischen euch übergesprungen. Wie ist eure Zusammenarbeit dann aber weiter verlaufen?

Rebecca Saunders Ich habe daraufhin die Komposition „Us Dead Talk Love“ auf einen Text von Ed aus seinem 2016 erschienenen Buch „A Primer for Cadavers“ komponiert. Das Stück entstand für Noa Frenkel und das Ensemble Nikel und wurde 2021 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Als die Anfrage wegen der Oper kam, war mir klar, dass ich diese unbedingt zusammen mit Ed schreiben wolle.

Sebastian Hanusa Neben Ed Atkins als künstlerischem Partner stand, bevor das Libretto geschrieben wurde, schon die Besetzung der vier Solistinnen Noa Frenkel, Sarah Maria Sun, Anna Prohaska und Katja Kolm fest. Ihnen hast du die Partien auf den Leib geschrieben und die vier Rollen des Stückes sind mit dem Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen benannt. Aber wie verlief der weitere Kompositionsprozess?

Rebecca Saunders Die Verkörperung von Klang fasziniert mich, und wenn man mit einer Sängerin oder einem Sänger eng zusammenarbeitet, gelangt man zu seinem Wesen – dem enormen Spektrum der ausdrucksstarken Eigenheiten der Stimme. Und das nicht nur in den lyrischen Gesangslinien, sondern auch bei Rezitationen und Gesangsweisen, die den Klang oder die Körnigkeit der Stimme erforschen. Gleichzeitig war mir klar, ich möchte Melodien schreiben. Ich habe mich mit den Darstellerinnen getroffen und mit ihnen einzeln gearbeitet. Für jede Protagonistin habe ich eine präzise und besondere Palette von Klängen ausgearbeitet, ausgehend von ihrem besonderen Klang, Atem, Körper und ihren Ausdruckmöglichkeiten – die Musik ist stark inspiriert von der Arbeit mit diesen großartigen Frauen. Und ich habe Eds Text studiert und in mich aufgenommen, ihn beinahe eingeatmet. Auch konzeptionell gab es schon klare, grundlegende Ideen: die Verräumlichung im dritten Akt oder der dramaturgische Verlauf im zweiten Akt. Dann kam ich aber erst einmal kompositorisch nicht weiter, weil ich Eds Text nicht in der Form eines Librettotextes bekommen hatte. Es war etwas zwischen einem dramatischen Text und einem Monolog. Der Text und die Sprache war inspirierend und grossartig, aber es fehlte eine Struktur. Ich habe daher die Aufteilung der drei Akte, der einzelnen Szenen und die Charakterisierung der Figuren herausgearbeitet, sowie den Text zusammen mit Ed ganz wesentlich gefiltert und reduziert. Wir haben regelmäßig gesprochen und er hat die Entwicklung jedes Akts eng verfolgt. Als ein Akt fertig komponiert war, hat Ed dann mit seiner großartigen, poetischen Sprache das noch einmal poliert und Regieanweisungen hinzugefügt zur Farbigkeit, zum Licht und zu den Szenen. Mit der eigentlichen Komposition habe ich dann im September 2023 begonnen.

Sebastian Hanusa Wenn du auf den Entstehungsprozess zurückschaust: Findest du die Bilder, die du dir während des Komponierens vorgestellt hast, nun, einige Tage vor der Uraufführung, in der Regie von Dead Centre wieder?

Rebecca Saunders Ich habe mich sehr gefreut, dass zu Beginn der Oper der Mund aus der Nähe zu sehen ist. Ich habe 2020 die Komposition „The Mouth“ für Stimme und Zuspiel geschrieben. Der Mund ist die Schwelle zwischen zwei Welten, der inneren und der äußeren. Es gibt die innere Stimme, die jeder von uns in sich trägt – einen inneren Monolog, eine unaufhörliche Erzählung, unterdrückt und unter der Oberfläche verborgen. Und dann ist da noch die Stimme, die wir in die Welt senden – flüchtige Äußerungen, ein beredter Diskurs oder ein stolperndes, unverständliches Gemurmel. Diese klingende Stimme ist verletzlich, von äußerster Zerbrechlichkeit – ein Teil von uns, der freigelegt und aus uns hinaus in einen Abgrund projiziert wird. Und da ist die Kluft zwischen Innen und Außen: eine Dichotomie zwischen der inneren und der äußeren Stimme, zwischen unserem geheimen inneren Monolog und der Stimme, die in die Welt hinausgesandt und gehört wird. Und das ist ein Element, das ebenfalls Eingang in LASH gefunden hat. Ich finde es schön, wie Dead Centre mit dem Bild des Auges arbeiten. Auch das Auge ist dieser Übergangsraum zwischen Außen und Innen und die Lashes, die Wimpern, fungieren wie ein Vorhang zwischen Innen- und Außenwelt. Außerdem wünschte ich mir in LASH einen Raum der Poesie, wobei Text, Musik und Bild ineinander verwoben sind, intensiv bis zum letzten Ton. Wie klingt die Sinnlichkeit?

Sebastian Hanusa Gibt es Kunstwerke, die wichtige Inspirationsquellen für dein Komponieren für Stimme waren?

Rebecca Saunders Vor zehn Jahren waren es – und sind es bis heute – die großartigen „Récitations“ von Georges Aperghis. Diese kurzen Solostücke für Stimme sind wie Miniatur-Theaterstücke. Andere starke Inspirationsquellen waren die kurzen Theaterstücke und TV-Plays von Samuel Beckett, und, insbesondere in Bezug auf LASH , „Not I“. Diese körperlose Stimme, der Mund in Dunkel gehüllt, die Ekstase. Die Stimme, immer wieder in den Abgrund getrieben, bricht ab und setzt noch einmal von vorne an.

Und auch hier freut es mich sehr, dass diese Beckett-Assoziationen Eingang in die Regie gefunden haben in diesem Multimedia-Kunstwerk, das wir gemeinsam als großes Team auf die Bühne bringen. Auf der einen Seite ist dieses Gefühl der Einsamkeit und der Isolation des Körpers im leeren Raum, für das metaphorisch der Mund und das Auge stehen. Und auf der anderen Seite diese Versuche, in Verbindung zu treten über den Abgrund zwischen Ich und Welt hinweg. Was die Kunst letztlich leisten kann: Dass man miteinander in Verbindung tritt, auch wenn nur für einen Augenblick. Außerdem habe ich mich in Monteverdis ORFEO vertieft und die Kunst der Verzierung, in die Musik von Rameau und weiteren Barockkomponisten.

Sebastian Hanusa Innerhalb dieses Erfahrungsraumes, der sich in der Oper öffnet, ist das Spiel der vier Protagonistinnen in einem Bühnengeschehen zu erleben, das sich zwischen einem non-narrativen, postdramatischen Theater und erzählenden Momenten, einzelnen, teils auch recht konkreten Szenen und Bildern bewegt.

Rebecca Saunders Es geht in dem Stück um diese vier Facetten einer Protagonistin – verkörpert durch die vier Darstellerinnen –, die ich aber auch gern als Stränge oder Linien bezeichnen würde, die sich durch das Stück ziehen. Es geht für mich nicht um eine Frau, die von Trauer aufgesplittert oder zerrissen wird. Wir alle haben eine aus vielen verschiedenen und sehr unterschiedlichen Facetten bestehende Persönlichkeit. Jede der vier Frauen zeigt und erforscht zugleich diese unterschiedlichen Perspektiven.

Dead Centre haben ein zentrales Element aufgegriffen: Die sich wiederholenden Fragen, die die Oper durchziehen, deuten ein mögliches Geschehen an. Was ist passiert? Befinden wir uns in einem Traum, aus dem die Protagonistin am Ende erwacht? Gibt es dort Liebesbeziehungen zwischen vier verschiedenen Frauen? Oder sind es die Fantasien oder Erinnerungen eines einzigen Menschen? Erlebt man ein narzisstisches Spiel? Hat sich dort in der Vergangenheit ein Drama ereignet und man durchlebt es noch einmal, verschwommen, verzerrt und irgendwie unzusammenhängend, in Gedanken oder im Schlaf? Hat sie den Kontakt zur Realität verloren, oder befindet sie sich in einem Ausnahmezustand, in einem Außer-SichSein?

Findet hier ein Prozess innerhalb einer bestimmten Zeitspanne statt oder geschieht das in einem Augenblick? In einem Traum, innerhalb eines Tages oder eines Wimpernschlags? Es gibt damit in dem Stück neben der Frage danach, wie aus dem Körper heraus Klang und Sprache als Medien der Kommunikation und Verständigung in die Welt kommen, auch immer wieder dieses Changieren hin zu möglichen Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden. So in den sehr starken sprachlichen Bildern des Librettos. Zum Beispiel die Geschichte von der toten Maus am Beginn des dritten Akts. Da entsteht plötzlich etwas konkret – und verschwindet dann sofort wieder –, ein Moment von Klarheit und Verständlichkeit.

Sebastian Hanusa In dieser „Geschichte von der toten Maus“ geht es um die allererste Erfahrung eines Kindes mit dem Tod und damit die Konfrontation mit der Tatsache der eigenen Sterblichkeit. Und es geht um das Begehren, als etwas, das vor dem Hintergrund des Bewusstseins um die eigene Vergänglichkeit als ein „Anbegehren“ gegen den Tod verstanden werden muss.

Rebecca Saunders Das wird in LASH über den Körper vermittelt. Dieser abstrakte Gedanke wird sinnlich erfahrbar: der Körper, die Wimper, die Haut, der Augapfel, die Oberfläche der Haut, eine Wunde in der Haut, die Haare, der Mund - und wie dort Sprache entsteht.. Ed hat sinngemäß geschrieben, dass die Frau durch die Nähe ihres eigenen Körpers ihre Sterblichkeit entdeckt. Und diese ist wiederum Voraussetzung für die Liebe und das Leben. Diese Begegnung von Tod, Sex und Liebe, die Intimität des Todes.

Sebastian Hanusa Und damit geht es natürlich um Erfahrungen, die man teilt. Du hast in dem eingangs erwähnten Interview gesagt, dass es für dich im Kern um die Frage geht, wie Sinnlichkeit klingt. Und zugleich bedeutet es, dass man, wenn man mit einem Kunstwerk auf diese Frage antwortet, dies nicht primär diskursiv macht, sondern mittels sinnlicher Erfahrung. Einer Erfahrung, für die das Publikum offen und bereit sein muss, sich einzulassen und sich vom Kunstwerk verführen zu lassen.

Rebecca Saunders Es geschieht für mich über den Klang. Diese erste, winzige Bewegung, ein Hauch von Klang, wird in den Raum gesetzt, und der Raum öffnet sich. Als Komponistin ziehe ich an diesem Strang, halte die Spannung, führe den Klang und folge ihm und seiner Spannung gleichzeitig. Man wird in die Musik hineingezogen, folgt den Transformationen und Bewegungen des Klanges, auch so, dass man spürt, wie die Zeit angehalten wird und dann wieder plötzlich nach vorne fällt. Und zwar nicht in dem Sinne, dass ich dem Publikum ermögliche, durch ein Schlüsselloch in einen anderen Raum zu schauen und damit den Bildausschnitt und die Perspektive definiere, in dem es auf etwa einen Menschen in diesem Raum schaut. Sondern indem ich die Tür öffne, so dass man in diesen Raum hineingehen kann, um zu diesem Menschen zu gelangen. Mir geht es nicht um ein quasi

voyeuristisches Hören und Schauen, sondern um Begegnung mittels der Kunst. Und wenn das gelingt, ist es für mich ein Moment von unfassbarer Poesie. Peter Brooks sagte in seinem Werk „Der leere Raum“: „Der Musiker arbeitet mit einem Gewebe, das dem Unsichtbaren so nahe kommt, wie der Mensch es nur erreichen kann.“ Und an anderer Stelle schreibt er, dass „Musik das Theater des Unsichtbaren ist.“ Ich fand das wunderschön. Musik ist nicht Mittel zum Zweck. Sie transportiert weder Botschaft noch Bedeutung. Sie ist die Sache selbst. Musik ist außergewöhnlich und einzigartig, da sie auf fast magische Weise etwas andeuten und suggerieren kann. Poesie. Sie gibt dem Raum, was sprachlich so schwer zu artikulieren ist.

Gefühlswelten erfahrbar machen

Gedanken zur Musik von LASH

Kontrapunkt, Harmonie und Klangfarbe

Ich kenne kaum jemanden, der heute noch den Begriff des Kontrapunkts verwenden würde, um über seine Musik zu sprechen. Das klingt einfach zu akademisch, nach etwas, was über Jahrhunderte an Hochschulen gelehrt wurde, ein veraltetes Regelwerk. Da hat der Papst auf dem Konzil von 1562 gesagt, so und so muss man Musik schreiben, so ein wenig ajatollahhaft, und dann musste man sich über Jahrhunderte daran halten. Wenn wir das Wort Kontrapunkt nicht im engeren, historischen Sinne verwenden, gibt es dieses Phänomen aber auch in der Musik des 21. Jahrhunderts. Unter Kontrapunkt versteht man ja nicht mehrere Linien, die nebeneinander herlaufen, sondern Stimmen, die sich miteinander verbinden. Bei Palestrina ist es ganz klar, dass das harmonische Gefüge der Musik aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Melodielinien gebildet wird. Bei der Musik von Rebecca Saunders gibt es ein solches Ineinandergreifen verschiedener Schichten ebenfalls. Es gibt zum Beispiel unterschiedliche Ebenen im Orchester von LASH , das Schlagzeug, die elektronischen Instrumente (zwei Korg BX3-Synthesizer und eine E-Gitarre), die Blasinstrumente. Diese verschiedenen Farben greifen ineinander und geben sich Raum. Die eine Schicht hört auf und die andere öffnet sich, das geht manchmal schnell und manchmal langsam. Die ganze Art der Verzahnung der Klangfarben, wie die eine aus der anderen hervorgeht und wie dann auch die Singstimmen aus diesem Kontinuum von verschiedenen Farben hervorgeht, das könnte man durchaus als kontrapunktisch bezeichnen. Das ist etwas, was in LASH unheimlich differenziert und subtil gehandhabt wird. Während die Musik von Palestrina immer um die Begriffe Konsonanz und Dissonanz kreist, und aus den Auflösungen von Dissonanzen ihre Schönheit gewinnt, so gilt dies bei Saunders für die Klangfarben: manche Instrumente stehen in einem dissonanten Verhältnis, weil ihre Farben sich nicht verbinden, andere verschmelzen nahezu vollständig. Daraus entsteht die Schönheit ihrer Musik. Harmonik gibt es in der zeitgenössischen Musik nicht mehr ohne die Klangfarbe und damit die Frage, welches Instrument spielt in welcher Lage, mit welcher Lautstärke und welcher Spieltechnik welchen Ton. In der abendländischen Musiktheorie gab es über Jahrhunderte hinweg die Idee, dass ein Ton grundsätzlich derselbe bleibt, unabhängig davon, in welcher Oktave er erklingt. Wenn man aber auf dem Klavier einen Dur-Akkord in einer ganz hohen Lage spielt, kann man diesen Akkord gar nicht als einen solchen erkennen. In der ganz tiefen Lage ist das ebenso. Das

geht nur in der Mittellage. Die Musiktheorie hat sich hier geirrt und die akustischen Phänomene missverstanden.

Die Grundlage für die Farbigkeit der Musik in LASH ist das profunde Wissen um die Bindekraft der Klangfarben. Jeder Klang hat hier mindestens einen Partnerklang. Zu den tiefen Bässen gehören die tiefe E-Gitarre, die Basstrommeln, tiefe Töne der Harfe, des Akkordeons und der elektrischen Orgeln. Und es gibt von dort aus fließende Übergänge, weil jeder Klang mit einem anderen Klang verbunden ist, so dass man irgendwie von jedem Klang zu jedem anderen Klang kommen kann.

Ein Kontinuum der Farbverläufe.

Melodien

In der zeitgenössischen Musik wird das Konzept der Melodie mit Vorsicht behandelt. Und zwar aufgrund dieser Selbstverständlichkeit, mit der etwas als Norm und Regel grundsätzlich vorausgesetzt wird: Musik wird von vielen erst einmal mit Melodien gleichgesetzt. Jeder kann sich mit Melodien identifizieren, die er aus seiner Kindheit kennt oder die von überall her ständig zu hören sind, im Restaurant und auf der Straße. Aber wenn man auf der Suche nach etwas Unverbrauchtem ist, nach etwas, was nicht an der Vergangenheit klebt, wenn man das Überraschende und Ungewöhnliche sucht, ist das Konzept „Melodie“ nicht gerade naheliegend. Daher finde ich es geradezu revolutionär, dass es in der Musik von LASH zahllose Melodien gibt. Und zwar auf eine derart gelungene Weise, dass die Melodien, die man hier hört, nichts Sentimentales haben, nichts von einer „guten alten Zeit“, aber auch nichts Kommerzielles, Manipulatives und keine Fast-food-Qualität. Sie schauen wirklich nach vorne, in die Zukunft.

Es gibt ganz grob zwei Verfahren, wie sich das Orchester diesen Melodien der Sängerinnen anschmiegt. Zum einen ist es das, was man traditionell Heterophonie genannt hätte: Es gibt die Melodielinie der Sängerin und dann gibt es dazu eine ähnliche Melodie in einem Blasinstrument oder einer Geige, in drei oder manchmal auch zehn Blasinstrumenten. Die spielen ganz ähnliche oder auch die gleichen Töne, umspielen die Singstimme und man weiß eigentlich nie, welche Melodielinie im Vordergrund steht. Ist es die Sängerin oder das Blasinstrument? Wer hat gerade die Hauptstimme?

Und dann gibt es diese Satzweise, dass die Streicher die Sängerinnen mit unterschiedlich großen Clustern umspielen. Das wird in der Partitur mit einer unheimlichen Vielfalt und Meisterschaft gehandhabt und geht manchmal so weit, dass die Streicher komplett aufgeteilt werden und jeder einen eigenen Ton spielt. Das erinnert mich an Bachs „Matthäuspassion“. Wenn dort die Jesusworte kommen, gibt es immer Streicherakkorde, die die Stimme wie mit einem Heiligenschein umgeben. In LASH gibt es etwas Vergleichbares. Es sind diese Streichercluster, die sich mit den Singstimmen bewegen. Gehen die Singstimmen zum Beispiel nach oben, geht der Cluster mit, wird dabei auch breiter oder enger, verändert sich in seiner Zusammensetzung. Das finde ich unheimlich schön und zugleich trägt es auch die Stimmen. Ich habe den Eindruck, die Sängerinnen genießen es geradezu, dass sie vom Orchester wie auf ein Kissen gebettet und unterstützt werden. Und das gelingt umso mehr, wenn man die Musik mit den vielen, in der Partitur enthaltenen Details auch möglichst genau so spielt, wie sie dort notiert ist. Diese Musik ist wirklich bis ins kleinste Detail durchdacht, aber auch mit dem Körper erspürt. Entscheidend für die Arbeitsweise von Rebecca Saunders ist die genaue Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern, um möglichst persönliche und besondere Klänge zu erfinden. Die Gestaltung der vier Solopartien von LASH ist in Ver-

bindung mit den vier Solistinnen entstanden und die Oper hätte so niemals geschrieben werden können, wenn die Komponistin sich nicht über Jahre mit den Sängerinnen immer wieder getroffen hätte. Der spezifische Charakter von LASH basiert auf der absolut originellen und ungewöhnlichen Art, mit den Singstimmen umzugehen. Ich kenne keine zeitgenössische Oper, der es gelingt, zugleich experimentell und melodisch zu sein.

Kontraste

Beim Blick auf die einzelnen Szenen fällt auf, in was für einem weiten Spektrum sich die einzelnen Szenen und Momente von ihrem Charakter her unterscheiden. Es gibt ganz zarte Stellen, dann aber auch sehr laute Klangeruptionen mit den neun Schlagzeugern, von denen vier als Bühnenmusiker auf der Bühne stehen. Auch die elektronischen Instrumente können sehr laut spielen, aber eben auch unheimlich leise. Es gibt eine sehr große dynamische Bandbreite und auch eine große Geduld darin, nach und nach den Raum immer weiter zu öffnen. Im ersten Akt entfaltet sich das Stück erst einmal sehr langsam. Da werden in Form klassischer Auftrittsarien die einzelnen Sängerinnen vorgestellt, dann gibt es Duette und schließlich größere Ensembles. Im zweiten Akt werden die Kontraste immer größer und es gibt Szenen unterschiedlichsten Charakters. Vom Präludium des Aktes, wo die elektronischen Instrumente sehr starre und zum Teil auch geradezu unangenehme Klänge produzieren, über einen Choral geht es zu zwei schnellen, kurzen Stücken, die fast nur mit Geräuschen im Orchester begleitet werden. Der Akt endet mit den Szenen 7, 8 und 9, die sich über insgesamt 20 Minuten immer weiter steigern. Dort wird die Musik immer schneller und immer massiver. Und im dritten Akt wird die Musik dann verräumlicht mit Sängerinnen und Instrumentalisten rund um das Publikum, eine Musik, die die Zeit anhalten möchte und ganz ins Offene geht. Man hat das Gefühl unterzutauchen, als ob man unter Wasser wäre, und verliert die klare Orientierung, weiß nicht mehr, wo man sich befindet, Dinge passieren gleichzeitig und sind miteinander verwoben. Ich habe das Gefühl, es könnte ewig so weitergehen.

Gefühle

Es gibt ein Missverständnis über zeitgenössische Musik, sie sei verkopft und intellektuell. Das ist einfach falsch. Davon abgesehen wird in anderen Kunstsparten nicht so negativ darüber gesprochen, wenn der Verstand angesprochen wird. Wenn ich mich mit zeitgenössischer Musik beschäftige, geht es mir immer darum, den spezifischen Ausdruck und die Emotionalität der Musik zu finden und für das Publikum erfahrbar zu machen. Die Musik von Rebecca Saunders hat eine Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die selten ist und ungewöhnlich. In diesem Sinn ist die Musik von LASH richtige Opernmusik. Sie hat den Mut zu großen Gefühlen.

Das Finden einer Wimper als existenzielle Erfahrung

Dramaturg Sebastian Hanusa im Gespräch mit Dead Centre – den Regisseuren

Bush Moukarzel und Ben Kidd –, Bühnenund Kostümbildnerin Nina Wetzel und Videodesigner Sébastien Dupouey.

Sebastian Hanusa Was war euer erster Eindruck, als ihr das Libretto von LASH –ACTS OF LOVE bekommen habt?

Bush Moukarzel Zunächst einmal habe ich verstanden, was Rebecca an Eds Sprache so angesprochen hat. Es ist dies bewusst Enigmatische und dass es dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Bedeutung gibt. Man wird auf eine Suche nach dem Sinn der Worte gelockt und findet ihn nie ganz. Und das ist etwas, das analog auch auf die Musik zutrifft. Dort ist zunächst einmal die Form der Musik der zentrale Bedeutungsträger. Und das ist etwas, das Ed als konzeptionell und visuell arbeitenden Künstler auch an der Sprache interessiert. Deren direkte klangliche, sinnliche Qualität. Und es geht ihm nicht so sehr um eine durchgehende Erzählung. Zugleich habe ich die Frage direkt zu Beginn der Oper „I wanted to ask if finding an eyelash under your skin was significant?“ als Provokation verstanden. Denn darin findet sich die Frage, ob es möglich sei, eine einzelne Wimper zum Ausgangspunkt für eine abendfüllende Oper zu machen. Kann etwas scheinbar so Unbedeutendes wie ein Stück Haar einen Menschen an die wichtigsten Momente seines Lebens erinnern? An Liebe, Sex, Tod – und damit an die großen Themen der Oper? Rebecca hat einmal sehr schön gesagt, dass es ihr in LASH darum gehe, „Sinnlichkeit wahrnehmbar“ zu machen. Und das fasst, wie ich finde, sehr gut den Ansatz des Librettos von Ed und ihr zusammen: anzusetzen mit dieser Provokation, dann aber doch damit begonnen zu haben, Verbindungslinien zwischen unmittelbarer Sinneswahrnehmung und einem möglichen Gehalt zu spinnen, ausgehend von den Emotionen und Stimmungen der Sprache. Das waren unsere ersten Eindrücke und Gedanken, als wir das Material des Librettotextes kennengelernt haben.

Sebastian Hanusa Wie hast du, Nina, als Bildende Künstlerin, Bühnen- und Kostümbildnerin, auf diesen Text reagiert? Was hat dich interessiert?

Nina Wetzel Zunächst einmal dachte ich, wie großartig es doch ist, dass hier eine Frau eine Oper für vier Frauen komponiert. Denn dass vier Frauen in den Hauptrollen auf der Bühne sein würden, war etwas, das sehr früh schon feststand. Ich

dachte, es muss auf jeden Fall darum gehen, zu zeigen, dass da starke und selbstbewusste Frauen auf der Bühne stehen – und dass es dazu hier die Chance gibt. Auch sollte das Bühnenbild ein Echoraum für die Sinnlichkeit der Sprache und der Musik sein.

Zugleich haben mich die behandelten Themen unmittelbar angesprochen. Diese existenziellen Themen, Liebe, Sex, Tod, die uns alle beschäftigen. Und dafür wollte ich etwas schaffen, das diesen Frauen, diesen Themen einen Raum gibt. Eine Art Labor, in dem man an diesen Themen arbeiten und experimentieren kann.

Sebastian Hanusa Ich mag diese Formulierung des „Katz und Maus-Spiels“ sehr, da damit sehr schön beschrieben wird, wie die Sprache sich entlang der Bedeutungsgrenze bewegt. Das Medium der Musik ist dagegen ohnehin größtenteils nicht-bezeichnend im Sinne einer konkreten Bedeutung. Aber Bilder auf der Bühne, Körper auf der Bühne und ihre Aktionen sind dagegen viel konkreter. Und ich denke, hier beginnt die große Herausforderung eurer Arbeit als Regieteam.

Bush Moukarzel Das ist die große Herausforderung. Man arbeitet sehr konkret als Regisseur. Aber wie wird das Konkrete dann wieder abstrakt? Und wie nimmt es Bezug auf die Welt? Selbst wenn für Nicht-Muttersprachler das Libretto schwer zu verstehen ist; auch als Muttersprachler empfinde ich einen gewissen Schwindel, wenn ich den Text lese. Und das hat nicht mit dem Verständnis einzelner Worte zu tun. Es gibt ein paar wenig geläufige Worte, wenn Ed sämtliche Register des Poeten zieht. Grundsätzlich sind aber alle Worte für mich verständlich. Doch durch ihre Verbindung werde ich immer wieder dazu gebracht, nicht zu wissen, wo es hinführt. Ähnlich geht es mir mit Kompositionen der musikalischen Avantgarde. All die Töne, die dort verwendet werden, gibt es schon. Niemand erfindet ein H neu. Aber wenn diese Töne in eine neue Ordnung gebracht werden, bringt dies mich zu neuen Orten. Und so ist es auch bei Ed. Die Worte, die er benutzt, kann man auch in einem Kinderbuch finden. Aber durch die Art, wie er mit ihnen arbeitet, erschließt er mir völlig neue Orte. Wobei wir als Inszenierungsteam auch mit ganz praktischen Herausforderungen zu tun hatten. Wir mussten einen Teil der Inszenierungskonzeption über ein Jahr vor der Uraufführung erstellen. Und damit lange, bevor wir die Musik hören konnten oder auch das Libretto in seiner endgültigen Form vorliegen hatten.

Nina Wetzel Immerhin gab es ja schon einiges an Texten, es gab die Themen des Stückes. Und der nächste Schritt war der zu einem Material. Ich hatte mir im Modellbaubedarf verschiedene Spiegel besorgt, habe sie dann in das Bühnenbildmodell gelegt und so ist die Idee eines Spiegelraums entstanden. In diesem befinden sich wiederum vier verspiegelte Boxen, die individuell fahrbar sind und in denen die vier Protagonistinnen, aber auch einzelne Settings, platziert und bewegt werden können.

Das hat dann zum Thema der Echos und Reflexionen geführt. Ganz konkret durch die verspiegelten Flächen. Aber auch im metaphorischen Sinne. Echos der Körper, der Liebe, der Menschen. Hinzu kam die Möglichkeit, Live-Video einzusetzen, das in so einem Raum sehr gut funktioniert. Und so entstand eine spezifische Art von Sinnlichkeit. Obwohl die Materialien an sich, vier motorbetriebene, fahrbare Spiegelboxen, erst einmal nicht als das Sinnlichste wahrgenommen werden dürften, was es auf der Welt gibt. Aber ich glaube, dass sie unseren Versuch, Sinnlichkeit als Ausdruck von Menschlichkeit zur Darstellung zu bringen, unterstützen und dem insbesondere Raum geben, um etwas zu erzählen, dass, wenn überhaupt, nur in Fragmenten als Geschichte greifbar ist.

Bush Moukarzel Normalerweise hat man als Regisseur ein Szenario und darauf basierend entstehen die Entwürfe für Bühne und Video. Doch in diesem Fall war es umgekehrt. Sébastien und Nina haben uns in der Bauprobe ihre Entwürfe für Bühne und Video präsentiert und in den gemeinsamen Gesprächen darüber entstand dann allmählich das Szenario. Also ausgehend von der Materialität, von der Nina gesprochen hat, den Spiegeln, aber auch Nebel und die Video-Close-Ups, die sich so auch im Libretto, in seiner Sprache und seiner Emotionalität finden. Es ist ein Szenario, in dem es darum geht, dass Identität durchlässig ist, als im Fluss erlebt wird zwischen diesen vier Frauen auf der Bühne, bei denen es sich vielleicht um die gleiche Person handelt, vielleicht um vier verschiedene. Und das ist in einer Art Feedback-Loop mit dem Bühnebild entstanden, in dem es die schimmernden, reflektierenden Oberflächen gibt, in denen sich Menschen und ihre Identitäten spiegeln. Dann hat sich zum Probenstart hin das Szenario aus dem Set-Design heraus konkretisiert. Als eine Reihe von Fragmenten eines Lebens, an dem wir in dieser Bruchstückhaftigkeit teilhaben und in dem es zu fließenden Übergängen, Konfusionen und Irritationen innerhalb eines Spiels mit Identität kommt. So würde ich das Stück auch dem Publikum erklären: Ich weiß auch nicht mehr als das, was das Publikum sieht, weiß oder auch erfahren wird. Also auf die Frage hin „Was ist überhaupt los? Was hat diese Frau getan, wer ist sie überhaupt?“ kann ich nur antworten: Ich bin mir nicht sicher. Und auf die Frage hin „Ist alles in Ordnung, ist ihr etwas passiert?“ muss ich entgegnen: Ich hoffe, nichts ist passiert. Aber vielleicht ist hier nichts in Ordnung und ihr ist etwas widerfahren. Das ist die Qualität des Librettos wie auch von Rebeccas Komposition. Dinge kommen zur Darstellung und werden dann gleich wieder in Frage gestellt. Man denkt, dass man weiß, woran man ist, und dann muss man das Gegenteil annehmen. Das betrifft unmittelbar unsere Arbeit. Wir können auf der Bühne immer nur das zeigen, was auch das Publikum in einer bestimmten Situation von einer Figur erfährt. Und daraus speist sich das Unbehagen, das sich im Herzen des Librettos verbirgt. Diese Reihe von Fragen, die mit „I wanted to ask …“ beginnt, ist eine Folge von unbeantworteten Fragen. Weil man nie die Person versteht, die man zu verstehen hofft. Und aus dieser hier anklingenden, grundsätzlichen Begrenztheit darin, einen anderen Menschen wirklich verstehen zu können, kommt ein Grundimpuls der Inszenierung. Das ist der wahre Grund, warum man nicht vollständig wissen kann, was passiert ist. Weil man nicht vollständig in ein anderes Leben hineinschauen kann.

Sebastian Hanusa Immerhin gibt es im Libretto einige Sätze, die sehr konkret an jemanden adressiert sind. Dort wird gesagt: „I love you.“ Oder es wird direkt ein geliebter Mensch angesprochen. Aber es ist offen, ob dort ein anderer adressiert wird. Oder ob nicht jemand in einem solipsistischen oder auch narzisstischen Loop gefangen ist.

Bush Moukarzel Dieses „to you“ kommt wie ein Refrain mehrfach in der Oper vor. Und natürlich fragt man sich, wer spricht und zu wem. Das ist ein wunderbarer Kunstgriff innerhalb des Stückes, um diese Grenze des gegenseitigen VerstehenKönnens zu zeigen. Und das findet sich dann auch auf der Videoebene wieder als das Spiel mit Körper als einer Grenze. Man kann extrem nah an ein Auge, die Haut oder den Mund heranzoomen. Aber man kommt nie „nach innen“ in den Mund, in den Augapfel. Du kannst jemandes Lippen küssen. Aber niemandes Seele. Die Oberflächen des Körpers sind daher die zentrale Metapher für diese Grenzerfahrung. Und natürlich ist das der Grund für die Verbindung von Sex und Tod. Der Tod ist ein „Refraiming“ des Körpers. Durch den Tod wird der Körper zu etwas skandalös

Absurdem. Es lässt uns erschaudern, dass all das, was wir mit einem Menschen verbunden haben, nun definitv nicht mehr da ist. Das ist das Unheimliche an toten Körpern, dass sie nicht mehr der Mensch sind, dem sie zugehört haben. Aber auch wenn jemand noch lebt, stellen wir uns diese Frage. Du bist jemandem körperlich sehr nahe. Aber trotzdem fragst du ihn: Wo bist du? Selbst, wenn man sich direkt Gesicht an Gesicht gegenübersteht.

Sebastian Hanusa Der erste Satz im Vorwort des Librettos lautet „A woman is suspended in the immediate aftermath of a death” und auch hier findet sich dieses Moment des Übergangs, des liminalen Raumes der Todeserfahrung.

Bush Moukarzel Und es bleibt auch hier offen, wessen Tod es ist. Zugleich bleibt offen, in was für einer Form von Zeitlichkeit sich jemand hier befindet. Jeder kennt diese Erfahrung, dass in Momenten der Trauer scheinbar Raum und Zeit aufgehoben sind, wie im Traum. Das ist der Moment, an dem wir ansetzen, denn etwas Ungewöhnliches ereignet sich dort in und durch diese Erfahrung.

Sebastian Hanusa Wie macht man als Videokünstler diese Erfahrung von unmittelbarer körperlicher Nähe in einem Saal wie dem der Deutschen Oper erfahrbar, in dem das Publikum auf große Distanz und mit einem Blick von außen auf die Bühne schaut? Wie macht man Nähe sichtbar?

Sébastien Dupouey Die erste Herausforderung bestand für mich darin, auf der Bühne eine Welt zu erschaffen, in der sich ständig die Dimensionen von Nähe und Distanz verschieben. Und das multisensorisch, zwischen den verschiedenen Medien und Sinnen, zwischen Momenten reiner Sinnlichkeit und Bildern, die mit Bedeutung aufgeladen sind. Und die nächste Herausforderung war die, über die einzelnen Momente des Stückes etwas Verbindendes zu finden. Und auch hier ging es darum, verschiedene Dimensionen miteinander zu verbinden. Dieses Prinzip bedingt, dass die Figuren – und mit ihnen das Publikum – ständig in etwas hinein- und aus etwas heraustreten, dass es diese ständigen Perspektivwechsel gibt. Wir arbeiten daher ständig mit Distanzveränderungen und unterschiedlichen Skalierungen, die sich auf verschiedenen Ebenen überlagern und miteinander verschmelzen.

Sebastian Hanusa Mit dem Kostüm der Darstellerinnen kann aber sehr konkret etwas über ihre Figuren ausgesagt werden. Was erzählen die Kostüme über die vier Darstellerinnen?

Nina Wetzel Ich komme ja eigentlich mehr vom Schauspiel und arbeite daher mit dem Ansatz, persönlich und individuell für die Darstellerinnen etwas gemeinsam mit ihnen zu entwickeln. Zugleich sollte es aber etwas geben, das die vier Figuren miteinander verbindet und zeigt, dass sie ja eigentlich ein und dieselbe Frau sein könnten. Und so entstand die Idee der Overalls. Ich selber habe mein Leben lang Overalls getragen. Sie geben Sicherheit, zumindest habe ich es so erlebt, als ich als Bühnenbildnerin in dieser sehr patriarchalen und männlich bestimmten Welt des Theaters begonnen habe. Und zugleich konnte ich diese Overalls sehr individuell und persönlich gestalten, vom Schnitt her, in ihrer Materialität und Farbe, so dass jede der vier Frauen ein wenig anders ist. Und dann gibt es Abendkleider, die etwas sehr Glamouröses haben und die den Protagonistinnen, aber auch uns im Publikum, eine gewisse Sinnlichkeit vermitteln. Es geht ja in dem Stück um Liebe, Betrug, Sinnlichkeit, und ich hoffe, dass sich dies über diese glitzernden Stoffe und den Glamour vermittelt.

Sebastian Hanusa Wenn du von Glamour in Verbindung mit einer Bühnenfigur sprichst, kann das ja zweierlei meinen. Zum einen beschreibt es die Eigenschaft eines Kostüms in dem Moment, wo wir es sehen. Als eine sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft dieses Kostüms, die durch dieses in dem Moment, wo man es wahrnimmt, zur Darstellung gebracht – und damit unmittelbar erfahren werden kann. Und zugleich bedeutet ein glamouröses Kostüm etwas. Es ist zum Beispiel Zeichen für eine Situation, in der wir die Darstellerin, die es auf der Bühne trägt, erleben, es zeigt ihren sozialen Status an oder ist Zeichen für ihre Gefühlslage.

Bush Moukarzel Diese Ebene der Bedeutung ist interessant. Wir können immer erst, nachdem etwas geschehen ist, darüber sprechen, was es zu bedeuten hat. Im Rückblick oder in Analysen, die in die Zukunft voraus zu schauen versuchen, um von dort die Gegenwart zu betrachten. Im Moment, in dem sich etwas ereignet, ist die Frage nach der Bedeutung aber ausgesetzt. Wenn man zum Beispiel Musik hört, fühlt man unmittelbar etwas. Man fragt sich in diesem Moment aber nicht, was man fühlt. Man weiß unmittelbar darum, was man fühlt. Und erst im Rückblick fragt man nach der Bedeutung dieser Erfahrung. Analog hierzu verhält es sich mit dem Leben. Man lebt und fragt sich erst im Rückblick, was man erlebt hat, was etwas zu bedeuten hat.

In LASH wird genau diese Frage nach der Bedeutung Gegenstand kommunikativen Handelns. Ganz im Sinne der „Acts of Love“. Liebe ist – im traditionellen Sinne und in ihren verschiedensten Spielarten – ein Akt der Verständigung zwischen zwei Menschen. Interessanterweise ist auch LASH ganz konkrekt aus Paarbeziehungen heraus entstanden. Rebecca und Enno verbindet eine langjährige Arbeitsbeziehung, sie bringen zusammen dieses Stück auf die Bühne. Sie hat es komponiert und er dirigiert es. Die Bühnenbildnerin und der Videodesigner leben zusammen. Und wir zwei Regisseure führen eine Art professioneller Ehe und die Regie entsteht aus unserem Dialog heraus. Die Struktur solcher Symbiosen prägt ganz wesentlich den Schaffensprozess.

Ben Kidd Das kann man auch über Rebecca und Ed sagen. Die beiden haben schon vor LASH zusammengearbeitet und ihre Arbeitsbeziehung war der Ausgangspunkt für die Oper. Meistens haben Komponist*innen ja bei einem Opernprojekt ein bestimmtes Sujet, eine bestimmte Geschichte, einen Text oder einen Film, den sie gerne für die Opernbühne adaptieren wollen. Bei Rebecca war es aber die Arbeitsbeziehung mit Ed Atkins. Und aus dieser Beziehung heraus ist das ganze Stück entstanden. In der Geschichte der Oper geht es letztlich fast immer um das Erzählen von Geschichten. Rebecca aber versucht, nah an die menschliche Erfahrung an sich heranzukommen. Wenn man eine Geschichte auf der Bühne erzählt, entsteht immer eine Distanz, allein dadurch, dass dem Publikum die Figuren und ihre Geschichte auf der Bühne vorgeführt werden und es mit einem Außenblick draufschaut. Rebecca und Ed versuchen aber, eine ästhetische Erfahrung zu ermöglichen, in der es unmittelbar um Sinnlichkeit und die Erfahrung zu Leben an sich geht.

Bush Moukarzel Sie versucht Körperlichkeit als solche auf die Bühne zu bringen. Die Oper selber ist ein Körper. Die Figuren auf der Bühne wachsen aus diesem Körper heraus. Und auch die ersten vokalen Äußerungen des Stückes treten erst allmählich aus der Tiefe dieses Körpers hervor. Anfangs sind sie noch unverständlich und erst allmählich nimmt die Sprache Form an und wird verständlich. Aus dieser Idee der Oper als eines Körpers heraus ist auch die Idee für den dritten Akt entstanden, wenn die Musik ganz konkret, mit im Zuschauerraum platzierten Musiker*innen, in den Zuschauerraum hinein expandiert.

Sebastian Hanusa Es ist diese Idee, nicht aus einer Distanz heraus auf eine Musik „heraufzuhören“ – so, wie man von außen betrachtet –, sondern die Erfahrung zu haben, innerhalb des Körpers der Musik zu sein. Und dahin ging auch meine Frage bezüglich der visuellen Künste wie der Regie. Hören ist immer intimer und näher an einem dran als das, was man sieht.

Bush Moukarzel Das übersetzen wir, indem immer wieder Dinge aus diesem „Körper“ der Bühne herauskommen. Zum Beispiel diese Boxen, die aus dem Bühnenboden heraus erscheinen. Wir spielen mit Oberflächen und Dingen, die daraus erscheinen. Es gibt diese Gaze, die wie eine Haut die Bühne bedeckt und auf die das Video projiziert ist so wie auf eine Epidermis.

Sébastien Dupouey Es geht immer um Oberfläche und Innen und es wird sehr viel mit Symbolen gespielt. Mit diesen Boxen auf der Bühne, aber auch innerhalb der einzelnen Spielszenen. Was wir zeigen wollen, sind die verschiedenen Arten des Sehens und zwar simultan, ganz besonders im dritten Akt. Wir gehen sehr nah an Oberflächen heran. Und dann gibt es einige Tricks, wo man denkt, dass man eine Oberfläche sieht und eigentlich sieht man tief in etwas hinein. Damit spielen wir. Und es laufen auch verschiedene Dinge auf den unterschiedlichen Ebenen kontrapunktisch zueinander. Manchmal versuchen wir, organisch die verschiedenen Medien und Materialien zusammen zu bringen und miteinander zu verschmelzen, manchmal laufen Dinge aber auch mehr parallel.

Bush Moukarzel Ein Schlüsselsatz des ganze Stückes ist für mich dabei das „What the fuck happened?“ Diese Frage wird nicht beantwortet. Und das nicht, weil es in einem Versteckspiel für Erwachsene zu einem Geheimnis wird, das man nicht verraten möchte. Statt dessen soll hier Raum gelassen werden für ein Nachdenken über die zahlreichen Möglichkeiten, auf diese Frage zu antworten.

Sebastian Hanusa Und damit kommen wir wieder zu dieser „Erfahrung im Moment eines Todes“, des „suspended in an aftermath of a death“. Im Moment eines Todes kann man nicht sagen, was dort gerade Existenzielles passiert. Und man kann auch nicht sagen, was die Erfahrungen waren, die ein sterbender Mensch in seinem Leben gemacht hat, die durchlebt wurden und sich eingeschrieben haben. Man kann nicht ein ganzes Leben in drei bis fünf Sätzen zusammenfassen.

Bush Moukarzel Aber am Ende schließt der Abend mit einem Lullaby für Erwachsene. „Come to bed and fucking die, add some light to a small pink star.“ Und es wiederholt sich. Ich habe mit Rebecca, die ja eine große Verehrerin von Beckett ist, darüber gesprochen: Grundsätzlich besteht der Sisyphos-Charakter eines Schlaflieds darin, ein Baby in den Schlaf zu singen und damit an einem Abend Erfolg zu haben – am nächsten Tag muss man es wieder machen. Und der Gedanke hinter einem Schlaflied für Erwachsene ist, dass wir, wenn wir aufwachen, nicht mehr weinen dürfen. Wir müssen weitermachen. Aber innerlich ist uns zum Weinen zu Mute. Auch wir brauchen ein Schlaflied. Und auch das ist eine unendliche Aufgabe.

Ben Kidd Und dann gibt es den Moment, in dem das nicht mehr nötig ist. Wenn man stirbt, macht es keinen Sinn mehr zu fragen, was verdammt noch einmal passiert ist. Das ist der erste Moment, in dem man akzeptieren kann, dass es eine unbeantwortbare Frage gibt, die nicht mehr gestellt wird.

Bush Moukarzel Ich denke, der letzte Akt von LASH heißt nicht „Loss“ | „Verlust“, aus einer Art von morbidem Todestrieb, mit dem wir alle ins Grab rasen. Es geht in dieser großen Meditation um den Gedanken, dass Verlust die Grundvoraussetzung für Liebe ist. Dass der Preis, den man für all die Dinge zahlt, die einem wichtig sind, darin besteht, dass man akzeptieren muss, dass man sie verlieren wird. Diese beiden Erfahrungen sind unmittelbar miteinander verbunden. Der Verlust ist der Liebe nicht äußerlich, die Erfahrung von Verlust ist integral mit der der Liebe verbunden. Und damit zurück zur Wimper und der Frage, ob man davon ausgehend eine Oper schreiben kann: Ja.

Biographien

Ed Atkins

Ed Atkins gehört zu den vielseitigsten britischen Künstlern seiner Generation und hat als Bildender Künstler, Autor und Filmemacher international Aufsehen erregt.

Ed Atkins lebt und arbeitet in Kopenhagen. Zu den jüngsten institutionellen Einzelausstellungen gehören „Refuse“ im Tank, Shanghai (2022), „Get Life / Love’s Work“ im New Museum, New York (2021) sowie Ausstellungen im Kunsthaus Bregenz und K21 Düsseldorf (beide 2019), im Martin-Gropius-Bau, Berlin, im MMK Frankfurt und DHC/ART in Montréal (alle 2017), im Castello di Rivoli und in der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin, in The Kitchen New York, im SMK Kopenhagen (alle 2016), im Stedelijk Museum Amsterdam (2015), in The Serpentine Gallery London (2014), in der Julia Stoschek Collection Düsseldorf (2013) und bei MoMA PS1 (2012). Atkins nahm an der 56. und 58. Biennale von Venedig, der 13. Biennale von Lyon und den Performa 13 und 19 teil.

Eine Anthologie von Atkins’ Texten, „A Primer for Cadavers“, wurde 2016 bei Fitzcarraldo Editions veröffentlicht, 2017 erschien eine umfangreiche Künstlermonografie bei Skira. Ein epischer Monolog, „Old Food“, wurde 2019 ebenfalls bei Fitzcarraldo Editions veröffentlicht, und 2021 erschien ein Buch mit Atkins’ Zeichnungen für Kinder im Verlag Walther König. Die Performance „Sorcerer“, die er zusammen mit Steven Zultanski geschrieben und inszeniert hat, wurde im März 2022 im Teater Revolver in Kopenhagen aufgeführt.

Zwischen April und August 2025 ist in der Tate Britain die bislang größte Einzelausstellung mit Arbeiten von Ed Atkins zu sehen. Im April 2025 ist mit „Flowers“ Atkins‘ neues Buch erschienen. Seit 2024 unterrichtet er als Vertretungsprofessor an der Kunstakademie Düsseldorf.

Rebecca Saunders

Mit ihrer unverkennbaren und bemerkenswerten Klangsprache ist die in Berlin lebende britische Komponistin Rebecca Saunders (geb. 1967) eine der führenden internationalen Vertreterinnen unserer Zeit. Sie wurde in eine Familie professioneller Musiker hineingeboren, wuchs umgeben von Klavieren und Sängern auf und begann als Kind zu Komponieren. Saunders ist eine Komponistin mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik und Großform. Sie schreibt Musik, die tief körperhafte Klangwelten und nuancierte sinnliche Klangfarben und Texturen mit beeindruckender struktureller Klarheit verbindet.

Im Fokus ihres Werks liegen die plastischen und räumlichen Eigenschaften von organisierten Klängen, die Eingang in zahlreiche Stücke gefunden hat: Dazu zählen „chroma I-XXIII“ (2003/2023), „Stasis“ und „Stasis Kollektiv“ (2011/16), das zusammen mit Sascha Waltz entstandene, über hundert Mal international gespielte „insideout“, „Rockaby“ (2017-2024) – eine Konzertcollage für Musiker*innen und 250 Spieluhren –, die Konzertinstallation „Myriad I-III“ (2015-2023), die 83minütige räumliche Komposition „Yes“, entstanden für die Berliner Philharmonie und die Kathedrale St. Eustache (Paris) sowie die Musik für „Moving Picture 946-3“ (2021), eine Zusammenarbeit mit Gerhard Richter und der Filmemacherin Corinne Belz. Einen weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet das kollaborative Arbeiten im Dialog mit verschiedenen Musiker*innen und Künstler*innen. Seit 2013 entstand zusammen mit Künstler*innen, mit denen sie schon viele Jahre eng zusammengearbeitet hat, Solowerke für nahezu alle gängigen Orchesterinstrumente. Davon ausgehend hat sie ihr leidenschaftliches Interesse für konzertante Formen verfolgt und schrieb das Doppelkonzert für Perkussionduo „Void“ (2014), das Trompetenkonzert „Alba“ (2015), „Skin“ (2016), „Still“ (2011/16) für Violine und Orchester, „Yes“ (2017) für Sopran und großes Ensemble sowie das Klavierkonzert „To an utterance“ (2020) und „Wound“ für Ensemble und großes Orchester (2022). Rebecca Saunders Interesse an Literatur fand Eingang in die Vertonung von Texten verschiedenen Autoren u.a. von Beckett und Joyce. Ihre Zusammenarbeit mit Ed Atkins bei „Us Dead Talk Love“ für Alt, Tenorsaxophon, E-Gitarre, Korg-Orgel und Schlagzeug war eine expressive und dramatische tour de force, ihre Oper LASH erweitert dieses vorherige Werk in gewaltigem Maßstab.

In den letzten Jahren war Rebecca Saunders als Composer in residence im Musikverein Wien und der Hamburger Elbphilharmonie (beides 2023/2024), beim Lucerne Festival (2021), bei Casa da Musica Porto (2022) und beim Festival Acht Brücken in Köln (2023) eingeladen. Zudem steht sie dieses Jahr als Portraitkomponistin im Mittelpunkt des Programms des Festival des Volques in Nimés.

In London geboren, studierte sie Komposition bei Nigel Osborne und Wolfgang Rihm. Für ihre Kompositionen hat Saunders zahlreiche Preise erhalten, darunter den Ernst von Siemens Musikpreis 2019 und erhielt zuletzt den Goldenen Löwen für Musik der Biennale von Venedig 2024. Sie erhielt dem Ehrendoktorwürde von den Universitäten Huddersfield in 2018 und Edinburgh in 2023 und ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, München und Dresden.

I wanted to ask if anfindingeyelash under your skin was significant.

(aus dem Stück)

Lash – Acts of Love

Komposition / Composer Rebecca Saunders

Libretto Ed Atkins und / and Rebecca Saunders, nach einem Text von / based on an original text by Ed Atkins

Übersetzung aus dem Englischen von Odile Kennel

Eine Frau, in einer Erfahrung von Tod gehalten. Sie erzählt von ihren Fantasien und ihren Erinnerungen an Liebe, Verlust, Sex, Krankheit, von Küssen, Augäpfeln, Genitalien, Fingerspitzen, Lippen, Wimpern – immer auf der Suche nach tröstlicher Bedeutung angesichts der Sinnlosigkeit des Todes.

Durch ihren Körper hindurch, durch ihre eigene Sterblichkeit, begreift sie Verlust als Voraussetzung für Erfahrung – von Liebe.

A woman is suspended in the immediate aftermath of a death. She recounts fantasies and memories of love and loss and fucking and sickness, kissing, eyeballs, genitals, fingertips, lips, and lashes— each scoured for consoling significance to hold back death’s meaninglessness.

Through the imminence of her own body, her own mortality, she rediscovers loss as the precondition of experience – of love.

Note

Everything is both figuratively and literally extracted from the performers’ bodies. There are four performers, but only one person. A woman. Throughout the opera the performers should conspicuously mirror one another – teasing at their broken unity until the end. The woman seeks to retrieve something lost, to remember and to reclaim meaning. She performs a dialectic between base material (corpse; the literal) and spiritual aspiration (memory; the metaphor) that drives the entire piece.

Scenographic images should originate directly and exclusively from the performers bodies; through the cameras and projections, the performers’ bodies can conjure any environment. Through mime and movement, any object, character, or corpse can appear.

Lash abounds with fractured symmetries, kaleidoscopes, echoes –most notably at the opera’s beginning and end, when the space yawns open and the performers are as one within. Echoes converge on their source and sing in perfect unaccompanied unison:

Come to bed and fucking die. Add light to some small pink star.

Anmerkung

Alles in diesem Stück entspringt im übertragenen wie im wörtlichen Sinne den Körpern der Darsteller· innen. Es gibt vier Darsteller· innen, aber nur eine Person. Eine Frau. Die ganze Aufführung hindurch sollen die Darsteller·innen sich unübersehbar aufeinander beziehen und so ihre zerbrochene Ganzheit verspotten – bis zum Schluss.

Die Frau versucht, etwas Verlorenes zurückzuholen, sich zu erinnern, wieder Sinn zu finden. Sie spielt mit großer Anmut und verkörpert die Dialektik zwischen bloßer Materie (Leichnam; das Wörtliche) und spiritueller Sehnsucht (Erinnerung; die Metapher) – durch das gesamte Stück hindurch die treibende Kraft.

Die szenischen Bilder sollten nur aus den Darsteller·innen selbst heraus entstehen. Durch die Kameras und Projektionen können die Körper jede Szenerie heraufbeschwören, durch Pantomime und Bewegung jedes Ding, jede Figur, oder auch einen Leichnam.

Lash ist voller zerbrochener Symmetrien, Kaleidoskope, Echos, vor allem am Anfang und am Ende der Oper, wenn der Raum aufklafft und die Darsteller·innen darin eins werden. Echos kehren zu ihrem Ursprung zurück, sie singen in perfektem Einklang a capella:

Komm ins Bett und fucking stirb.

Gib Licht zu einem winzig pinken Stern.

Act 1 LOVE

In which a woman is suspended in the immediate aftermath of a death. She searches for consoling significance in death’s meaninglessness. Words spill forth. “I wanted to ask…” emerges as a motif, capturing abortive questions of lost intention. A woman is observed. Four performers (K , A , N, and S) appear, one by one.

Eine Frau, in einer Erfahrung von Tod gehalten. Sie sucht tröstliche Bedeutung angesichts der Sinnlosigkeit des Todes. Wörter sprudeln hervor.

„Ich wollte fragen …“ – dieses Leitmotiv steht für vergebliche Fragen und verloren gegangene Absichten. Eine Frau unter Beobachtung. Vier Darsteller·innen (K, A , N, und S) erscheinen nacheinander auf der Bühne.

Pink static noise. Gradually it subsides.

Everything is of a deep, dark timbre. Dun.

We see K . She stands centre­stage, illuminated, eyes closed.

K is observed by cameras whose feeds are projected vast. They cut between shots of her eyes, mouth, and face, all rendered forensically close. A country of pores. K’s eyes—and her eyes’ projected doubles—open and close according to the recitation at first, and the lighting responds. She is the source of this world; she spills it forth.

K is a compressed expression of longing, frustration, desperation, passion, and mourning.

Colour blooms subtly, diluted by low whites and greys; pale gradients of pink are offset queasily with gill­green. A sense of sentiment attempting expression. Love. Lurid, dewy, going off.

K starts unintelligibly, language rising from within her body. Occasional lines become starkly intelligible. There is ramping comprehension: gradually, the cascade of language is interspersed with thwarted questions that become increasingly frequent. It is urgent.

Throughout K’s recitation, cameras scrutinise her face which is projeted huge and cropped.

At the end of Scene 1, once K’s language has congealed into vague intelligibility, the following:

I wanted to ask if finding an eyelash under your skin was significant.

I wanted…

I wanted to ask —

I wanted to ask —

I wanted to ask

Statischer Pink Noise. Lässt allmählich nach.

Alles hat einen tiefen, dunklen Klang. Fahl.

Wir sehen K Sie steht in der Mitte der Bühne, angeleuchtet, die Augen geschlossen.

K wird von den Kameras beobachtet, die das Erfasste großflächig projizieren. Harte Schnitte zwischen Aufnahmen von Augen, Mund, Gesicht in einer quasi forensischen Nahaufnahme. Eine Landschaft aus Poren. Ks Augen – und die projiziierten Aufnahmen ihrer Augen – öffnen und schließen sich, folgen zunächst der Rezitation. Die Beleuchtung reagiert darauf. K ist der Ursprung der Welt; diese quillt aus ihr hervor.

K drückt zugleich Sehnsucht, Enttäuschung, Verzweiflung, Leidenschaft, Trauer aus.

Zarte Farbschlieren blühen auf, abgetönt durch leichtes Weiß und Grau. Blasse Nuancen von Pink, durchsetzt von schmierigem Glitschgrün. Ein Gefühl versucht, sich seinen Weg zu bahnen –Liebe. Entlädt sich perlend, grell.

K zunächst unverständlich, die Sprache steigt aus der Tiefe ihres Körpers auf. Gelegentlich eine klar verständliche Zeile. Zunehmend deutlicher: Immer häufiger wird der Redeschwall von Fragen unterbrochen. Es ist dringend.

Während K s Rezitation suchen die Kameras ihr Gesicht ab und projizieren es riesengroß, teils angeschnitten.

Gegen Ende der ersten Szene, wenn Ks Sprache zu etwas vage Verständlichem gerinnt, das Folgende:

Ich wollte fragen, ob es eine Bedeutung hatte, eine Wimper zu finden unter deiner Haut.

Ich wollte …

Ich wollte fragen –

Ich wollte fragen –

Ich wollte fragen –

A’s lyrical, gentle, ornamented aria is split into four parts: Part I to III in Scene 2, and Part IV interrupts N in Scene 3. K inquires and comments.

A appears

1. Aria Part I

Come to my bed and… Come to bed and fucking die Add light to some small pink star.

K

I wanted to ask if finding an eye-lash under your skin was significant. A

…eyelash under your foreskin… magnificent.

K

…skin…

If you’d dwelled on it. It felt significant to me. A

2. Aria Part II

I wanted to ask

If you dwelled on it.

Blew´d a wish…

K

Magnificent and rare.

A

…Blew´d a wish For stars’ spent poignance, stuck death to life. Stardust rheum. Slow stroke.

K

Lush pink from barren zilch A life’s left. K

I wanted to whisper an ask. If the eyelash was significant to you.

A s lyrische, sanfte Arie voller Verzierungen hat vier Teile: Teil I bis III in Szene 2, Teil IV unterbricht N in Szene 3. K fragt nach und kommentiert.

A tritt auf

1. Arie Teil I

Komm zu mir ins Bett und … Komm ins Bett und fucking stirb. Gib Licht zu einem winzig pinken Stern.

K

Ich wollte fragen, ob es eine Bedeutung hatte, eine Wimper zu finden unter deiner Haut.

A

… Wimper unter deiner wunderbaren … … Vorhaut.

K

… Haut …

Ob du darüber gegrübelt hast. Es fühlte sich für mich bedeutsam an.

2. Arie Teil II

Ich wollte fragen

Ob du darüber gegrübelt hast. Dir was gewünscht hast …

K

Wunderbar und seltsam.

A

… Dir was gewünscht hast, denn die verpuffte Strahlkraft der Sterne hat das Leben erledigt. Sternenstaubsekret. Langsamer Schlag.

K

Sattes Pink aus tumbem Nichts. A Lebensrest.

K

Ich wollte flüstern und fragen. Ob die Wimper bedeutsam für dich war.

Did you interpret it? Read it as romantic?

Flush of obnoxious lavender!

3. Aria Part III

Purpled provenance. Eye-lash shorn from trembling crêpe lid.

A & K

Screwed shutfuck.

N appears

Scene 3 N

N´s desire to be understood becoming more acute throughout. Intent and intense. Interspersed with recitations shared with K. A’s Aria Part IV interrupts, as if from afar, like an echo.

1. Aria Part I

I wanted to ask if you grinned. — In remembrance, intimacy, that stab of pleasure.

2. Aria Part 2

I wanted to ask if you pictured my face.

…my face, if you…

…if you pictured my face, if you…

… if you’d grinned. With the folly of the find. Which would could might quick finally inflect a surge of love, surge of — truly —

War sie für dich ein Zeichen?

Etwas Romantisches?

Schwall von widerwärtigem Lavendel!

3. Arie Teil III

Purpurne Herkunft. Wimper geschoren vom bebenden Krepp-Lid.

A & K Verdammter Scheißmist.

N tritt auf

Szene 3 N

Ns Wunsch, verstanden zu werden, wird immer stärker. Konzentriert und eindringlich. Eingestreute, mit K geteilte Rezitationen. Unterbrechung durch Teil IV von A s Arie aus Szene 1: wie aus der Ferne, echogleich.

1. Arie Teil 1

Ich wollte fragen, ob du gegrinst hast. – Bei der Erinnerung, Intimität, diesem Stich von Lust.

2. Arie Teil 2

Ich wollte fragen ob du dir mein Gesicht vorgestellt hast.

… mein Gesicht, ob du …

… ob du dir mein Gesicht vorgestellt hast, ob du …

… ob du gegrinst hast. Über diesen unfasslichen Fund. Der vielleicht womöglich plötzlich schließlich einen Schwall Liebe zur Folge hatte, einen Schwall – ja, genau –

Sex. Death. Intimacy. Melancholy futility. N

Discovery, the eyelash like a curse, condemning either you or, more likely, the previous owner of the eyelash: your lover.

A stiff wilt of dead matter disinterred from its loose soil reburied beneath a thick fold of another’s clay-like skin.

3. A’s Aria Part IV a tender echo, overlapping Skin… Written in skin on skin under skin. Held in place. Raw, dermic proximity.

N

Dead… Dead, charred skin.

A …Raw, dermic proximity.

4. N’s Aria Part IV As sharp key, fucking whip, lash clung stripe, like, gone. Gone.

Lost! N

Like fossils are impossibly lost.

K …impossibly lost.

Sex. Tod. Intimität. Melancholie Vergeblichkeit.

N

Entdeckung, die Wimper als Fluch, der dich verdammt, oder vermutlich die Person, der die Wimper gehörte: deiner Liebe.

K

Starr und welk, tote Materie aus losem Boden gezogen wiedervergraben unter der satten Falte einer anderen lehmgleichen Haut.

3. A’s Arie Teil IV zartes Echo, sich überschneidend Haut …

In Haut geschrieben auf Haut unter die Haut. Dort gehalten. Rau, hautnah.

N

Tote … Tote, verkohlte Haut.

A ... rau, hautnah.

N

4. N’s Arie Teil IV

Schneidender Schlüssel Gerte fürn Fick Peitsche hängender Strich eben weg. weg.

K Verloren!

N

Wie Fossilien eben nicht verloren gehen.

K … nicht verloren gehen.

Ecstatic fossil.

Unearthed tenderly from sweet sod. Smashed, curved, fucked, shaved, sunk.

Scene 4 S

Colours blush. Under the cameras’ gaze, close­up details glisten and shimmer. Lushness in the projections bounce back onto the stage and the performers.

seductive and lush

1. Aria Part 1

Purple sourceless light of desire. Everything apart. We could never merge.

Recitation 1

I wanted to ask whether an eyelash— this congress living and dead matter— whether it would have struck you as sick.

As in, unwell?

Parasitic Infectious Gangrenous…

…Infectious Gangrenous

As in, unclean. Filthy.

2. Aria Part II

An eyelash trapped beneath your skin. A lost night…

Recitation II

…a lost night of unveiled fucking. Or a night of average sleep as any other…

Verzücktes Fossil. Zart aus süßer Grasnarbe gegraben. Zerquetscht, gebogen gefickt geschoren versunken.

Szene 4 S

Farben leuchten auf. Im Auge der Kamera flimmern und glitzern die Details der Nahaufnahmen. Die Üppigkeit der Projektionen überträgt sich auf die Bühne und die Darsteller*innen.

S

üppig und verführerisch

1. Arie Teil I

Purpur, ohne Ursprung, Licht der Lust. Alles getrennt. Wir konnten nie verschmelzen.

Rezitation I

Ich wollte fragen ob eine Wimper –Zusammentreffen von lebendiger und toter Materie –ob du es ungesund gefunden hättest. Anders gesagt, unangenehm? Schädlich ansteckend faulig …

... Ansteckend faulig anders gesagt, unsauber. Eklig.

S

2. Arie Teil II

Eine Wimper eingeklemmt unter deiner Haut. Eine verschwendete Nacht …

Rezitation II … eine mit enthemmtem Ficken verschwendete Nacht. Oder eine Nacht mit durchschnittlichem Schlaf wie jede andere…

…a taken-for-granted lover…

S

3. Aria and Duet Part III …a taken-for-granted lover. Ecstatic. Singular.

S & A

Plural: Thoughts, images. Heat and duress.

Humid welt.

S Recitation III

The eyelash proof of an acute tenderness Of your intimacy.

Of your capability for intimacy.

4. Aria and Duet Part IV Apex. Sensational. Not trips off the tongue but fists the brain.

S & A Remembrance. Stabs of pleasure.

5. Aria and Duet Part IV—Postlude Eyelash

S a glint

S & A of sparkling touch. Eyes glut snog.

… eine als selbstverständlich betrachtete Liebe

S

3. Arie und Duett Teil III

… eine als selbstverständlich betrachtete Liebe … Verzückt. Einmalig.

S & A

Mehrfach:

Gedanken, Bilder Hitze und Druck. A

Feuchter Striemen.

S

Rezitation III

Die Wimper Beweis für überbordende Zärtlichkeit Für deine Intimität.

N

Für deine Fähigkeit zur Intimität.

S

4. Arie & Duett Teil IV Spitze. Sinnlich. Springt nicht von der Zunge sondern faustfickt das Hirn.

S & A

Erinnerung. Stiche von Lust. A

5. Arie und Duett Teil IV – Nachspiel Wimper

S

Glitzern

S & A prickelnder Berührung. Augen Fluten Knutschen.

Scene 5 K & N

Recitations of extreme contrast. Suppressed tension.

Scene 5a K

Grey light, petrified bone.

K

like a secret, but very tense

I wanted to ask if your first thought would have been morbid. The lash a curse to condemn your lover. For your lover.

K & N

Stiff wilt dead matter.

Colours begin to earth. Mousy ruts.

K

I wanted to ask if you could recall that sweet zoo smell. Eyelashes of elephants. Ice-shagged arachnid limbs of mega crustacea.

Scene 5b N

Dark and voluptuous. Foreboding. Lyrical and percussive veer.

N

I wanted to say that the smell was sexual. As in; aroused.

Posthumous aspect

Residual arousal. Specific arousal:

Recalling sex with morbid growl. Sex with foul clause. Rank retort. Recalling.

Scene 6 A & S

Colours grimly brighten to shadowless overcast. Dawning understanding that these four performers are the same person. She/they are beginning to coalesce; there is the gradual transformation of melancho ly into mourning.

Szene 5 K & N

Sehr kontrastreiche Rezitation. Unterdrückte Spannung.

Szene 5a K

Graues Licht; Knochenstarre.

K

geheimnisvoll, aber sehr angespannt.

Ich wollte fragen, ob dein erster Gedanke düster war. Die Wimper ein Fluch, der deine Liebe verdammt. Deine Liebe.

K & N

Starr und welk, tote Materie.

Die Farben sinken allmählich zu Boden. Mausgraue Rillen.

K

Ich wollte fragen, ob du dich an süßen Zoogeruch erinnerst. Elefantenwimpern. Eisbedeckte Spinnenglieder von Riesenschalentieren.

Szene 5b N

Dunkel und überbordend. Vorahnungsvoll. Lyrische und ungestüme Wendungen.

N

Ich wollte sagen, der Geruch war sexuell. Anders gesagt, erregt.

Posthumer Anblick. Resterregung.

Spezifische Erregung:

Erinnerung an Sex mit morbidem Knurren. Sex mit schmutzigen Absichten. Ranzige Antwort. Erinnerung.

Szene 6 A & S

Die Farben hellen sich auf zu schattenloser Bewölkung. Allmählich wird klar, dass die vier Darsteller·innen ein und dieselbe Person sind: Sie beginnen zu verschmelzen; langsame Verwandlung von Melancholie in Trauer.

Throughout the scene, A and S join together: their movements come to mirror one another. Lines of symmetry are described throughout their movements and the scenography, which amplifies. Duet – A and S’s Arias combined. Lyrical, gradually becoming high and intense.

An address between two performers, the gradual meeting of two——a kiss.

Camerawork is close, and then closer.

1. S begins gently Bodies,

slanted bodies

in the city.

Those steel bolts.

Their cool shadows.

A & S We would meet.

Gawping… S …across the square.

2. A & S Eyes averted till close enough to… A …to survive the meeting…

A & S …of molten gazes.

3. A & S with increasing passion Close enough

Im Laufe der Szene werden A und S eins: Ihre Gesten spiegeln sich. Immer häufiger symmetrische Linien in ihren Bewegungen und in der Bühne.

Duett – A s und S s vorherige Arien verbinden sich. Lyrischer Gesang, nach und nach höher und eindringlicher.

Zwei Darsteller·innen wenden sich einander zu, kommen sich näher – ein Kuss.

Nahaufnahme Kamera, dann noch näher.

1. S beginnt sanft Körper,

A schiefe Körper

S in der Stadt.

A Diese Stahlbolzen.

S Ihre kühlen Schatten.

A & S Wir trafen uns.

A Starrten uns an …

S … quer über den Platz.

2. A & S Augen abgewandt bis nah genug um ...

A … die Begegnung schmelzender …

A & S … Blicke zu überleben.

3. A & S mit zunehmender Leidenschaft Nah genug um

to rouse

A & S a god between us.

Compressed in…

in our hug,

Our kiss,

& S

Our kiss, our crazed ardour.

4. A kiss begun token and cool, fast shifts to eager, and devouring. Lunatics.

5. Kiss.

To kiss like vagrants in the long grass. To kiss like poisoned lakes. Like meetings of river and sea. Merge bone-ache cold thrill together. Like strata of clay pinned by steel veins. Like two wet gods.

Like two wet gods.

…gods.

whispered but bold Wet

A & S in­breathe, hold still! gods.

A & S hold their breaths and slowly close their eyes in unison. Low, dark pulsing. They kiss, very slow and only once.

S einen Gott

A & S zu entflammen zwischen uns.

Eingequetscht in … A

in unserer Umarmung, S

unserem Kuss, A & S unserem Kuss, unserem verrückten Ungestüm.

4. Ein Kuss, erst zeichenhaft, cool, wird schnell gierig und verschlingend. Irre.

5. Küssen. Küssen wie Hallodris im hohen Gras. Küssen wie vergiftete Seen. Wie das Zusammenfließen von Fluss und Meer. Knochenkälte verschmelzen lassen, zusammen erregt werden. Wie Schichten von Lehm von Stahladern gehalten. Wie zwei nasse Götter.

Wie zwei nasse Götter. A … Götter.

A geflüstert, aber entschlossen. Nasse

A & S Einatmen, innehalten! Götter.

A & S halten den Atem an und schließen langsam gemeinsam die Augen. Tiefes, dunkles Pulsieren. Sie küssen sich, sehr langsam und nur ein Mal.

6. Postlude A & S delicate

We kissed. Cast in our slimed drunken image.

Scene 7 Quartet Two duets

A & S and N & K

N and K re­ enter.

Symmetries of all kind kaleidoscope. Chromatic aberrations suggest doubling, separation, nostalgia – edges lost. Discreteness giving way to giddy merge.

1. N & K gentle

I wanted to ask what on earth happened?

I wanted to…

As in, what on earth… what the fuck…

What… N & K what happened?

2. A & S intimate

All I could think to…

For so long, what I wanted to… A & S …ask.

6. Postludium

A & S zart

Wir küssten uns. Geworfen in unser schleimiges, trunkenes Bild.

Szene 7 Quartett Zwei Duette

A & S und N & K

N und K wieder auf der Bühne.

Symmetrien unterschiedlichster Kaleidoskope. Chromatische Abweichungen suggerieren Verdoppelung, Trennung, Nostalgie – verwischte Ränder. Zurückhaltung wird zu übermütigem Verschmelzen.

1. N & K sanft

Ich wollte fragen, was um alles in der Welt passiert ist?

Ich wollte … Anders gesagt, was in aller Welt … was verdammt …

Was …

N & K was ist passiert?

2. A & S innig

Das Einzige, an was ich denken konnte …

Schon so lang, was ich ….

A & S

… fragen wollte.

3. A & S, N & K

N

For so long, what I wanted to… K

To get your take on things. Ease the burden of my testimony.

A, S & N

Ease the burden… ALL my…

N & K …testimony.

4. A & S

To demand the absolution, … N & K ...the acquittal of my responsibility to you.

A & S whisper

To Reality rears and colours realign momentarily. All you. K

spoken, disappearing into her body What the fuck… Wait!

Subito blackout.

A & S, N & K

Schon so lang, wollte ich …

Wissen, wie du das siehst. Die Last erleichtern meiner Zeugenschaft.

A, S & N

Die Last erleichtern …

ALLE meiner …

N & K … Zeugenschaft.

4. A & S Absolution erbitten …

N & K

... freigesprochen werden von der Verantwortung dir gegenüber.

A & S geflüstert Gegenüber

Realität wird deutlich, die Farben verschieben sich für einen Moment.

Alle dir.

gesprochen, verkriecht sich in sich selbst Was verdammt … Warten!

Plötzliche Dunkelheit.

Act 2 MUTE

In which an eyelash is retrieved and elevated to vast synecdoche. A portent of love, death, sex, and language. Death is as intimate as a lover, insistent and close; love, undefined, remains a promise.

Eine Wimper wird gefunden und zu einer weit gefassten Synekdoche erhoben. Zu einem Omen für Liebe, Tod, Sex und Sprache. Tod ist so intim wie eine·e Geliebt·e, beharrlich und nah. Liebe, unbestimmt, bleibt ein Versprechen.

Prelude Szforzando vertical attacks like rods of lightning, overtures of the storm to come. Sporadic flashes of light bounce off the mirrored surfaces of the set, and cast deep shadows. The performers’ bodies, captured up ­ close by the cameras, are seared into afterimages by the flashes.

Timelapse: flashes suggest stopframe.

Sudden mood swings from scene to scene heighten the tension, like static building in the pre­storm air.

Eerie contrast: black clouds on daylight. The performers are visible, sometimes silhouetted, sometimes backlit. The orchestral climaxes to come are the storm’s arrival— rage escaped and manifested.

Waiting. Wired. Building threat.

A , S , N and K revealed on stage

Scene 1 Lash

N, S & A

1. Chorale I simply, delicate

One…

K

One...

N, S & A

One line drawn, one-lash brush.

K

One…

N, S & A

One deft stroke. Faint ravish.

K like a secret

One deft stroke. Faint ravish. —Meaning?

S & A

I, N I did not…

Präludium Vertikales Szforzando beginnt heftig, als wären es Lichtblitze. Ouvertüre für das aufziehende Gewitter. Gelegentliche Lichtreflexe prallen ab von den spiegelnden Oberflächen der Bühne und erzeugen tiefe Schatten. Die Körper der Darsteller·innen, von der Kamera aus nächster Nähe aufgenommen, werden von den Blitzen in den Hintergrund eingebrannt.

Zeitraffer: Lichtblitze suggerieren Stop ­Motion. Plötzliche Stimmungsschwankungen zwischen den einzelnen Szenen erhöhen die Spannung, wie elektrisch aufgeladene Luft vor einem Gewitter.

Gespenstischer Kontrast: schwarze Wolken bei Tageslicht. Die Darsteller·innen sichtbar, machmal als Silhouetten, machmal von hinten beleuchtet. Die orchestralen Höhepunkte sind das aufziehende Gewitter – Wut, die herausgelassen wird. Warten. Aufgedrehtheit. Aufbau von Bedrohung.

A , S , N und K zeigen sich auf der Bühne.

Szene 1 Wimper

N, S & A

1. Choral I einfach, zart

Eine …

K

Eine ...

N, S & A

Eine gezeichnete Linie, eine Wimpernbürste.

K

Ein …

N, S & A

Ein sicherer Strich. Mattes Entzücken.

K wie ein Geheimnis Ein sicherer Strich. Mattes Entzücken. —Bedeutet?

S & A

Ich, N ich dachte nicht …

K

…did not think it would turn out this way.

N, S & A

2. Chorale II

simple and gentle Death beside beneath inside atop the sex.

K like a secret …beside beneath inside atop the sex.

K to N Or there’s you.

N, S & A to each other …you.

K —Limpid with buttery grease.

A and K leave

Scene 2 Hair

N & S

Virtuosic, ramping the tension.

S

1. Recitation I hesitant, but with relish—enjoying every syllable on the cusp of opening up I wanted… to whisper… an ask… to ask if… you could recall… that sweet smell.

2. Recitation II N shadowing S . Close­ups of hair and mouth. Umber shadows, lights close in.

… dachte nicht, dass es so kommen würde.

N, S & A

2. Choral II

einfach and sanft Tod neben unter im, auf dem Sex.

K wie ein Geheimnis … neben unter im auf dem Sex.

K zu N Oder da bist du.

N, S & A zueinander … du.

K

—Leuchtend von buttrigem Fett.

A und K ab

Szene 2 Haar

N & S

Virtuos, die Spannung steigernd.

S

1. Rezitation I zögerlich, aber lustvoll – jede Silbe genießend ist dabei, sich zu öffnen Ich wollte … flüstern … und fragen … fragen, ob … du dich erinnert hast … an diesen süßen Duft.

2. Rezitation II

N wirft Schatten auf S . Nahaufnahmen von Haaren und Mund. Umbrafarbene Schatten, umzingelnde Lichter.

clear and elongated—enjoy! Closeness to dampness, heat; girding bits, mussed and wadded, soaked again.

No exposure to sunlight, No sobering breeze. No snow!

Clinical and statisitical modes in the following recitation are reflected in the drabbing of colour, and the mirrors serve contrasting purposes of glamour and sterility. The cameras’ looking might lurch between dispassionate objectivity and caring subjectivity. Confused.

3. Recitation III

conversationally — becomes fast, a vomit of technical­sounding language

I wanted to ask whether you would concur that most (predominantly blithe) interest in hair is around hair growth, hair types and hair care. Ah! Whereas you might rejoin— or at least redress, reset—with a sentence like: hair is an IMPORTANT BIOMATERIAL! primarily composed of protein. Notably keratin.

N and S look at each other, expressionless.

Most mammals lack hair in some places:

N & S

4. Duet I

becoming passionate

Finger’s ventral, hands´ palms, soles of feet, ear-lobe, eye-lid, eye-ball, lips, labia, tongue, head.

Bald road to the end; to cadaverousness.

deutlich und in die Länge gezogen – mit Genuss! Nähe wird feucht

wird Feuer. Zeug, gegürtet zerwühlt, prall wieder durchnässt.

Kein Kontakt zur Sonne Keine kühlende Brise.

Kein Schnee!

Die klinisch­statistische Stimmung in der folgenen Rezitation wird von den Farbenverläufen reflektiert. Die Spiegel dienen einem gegensätzlichen Effekt von Glanz und Sterilität. Das Kameraauge könnte changieren zwischen leidenschaftsloser Objektivität und zugeneigter Subjektivität. Verwirrt.

3. Rezitation III

im Unterhaltungston gesprochen – immer schneller, ein Schwall technisch klingender Sprache

Ich wollte fragen, ob du mir zustimmst, dass sich das (in der Regel unbekümmerte) Interesse an Haaren meist um ihr Wachstum, ihre Beschaffenheit, ihre Pflege dreht. Ah! Während du vielleicht entgegnest – oder zumindest gegensteuerst, gegenvorschlägst – etwas wie: Haare sind WICHTIGE BIOMASSE!, hauptsächlich bestehend aus Eiweiß, insbesondere aus Keratin.

N und S schauen sich ausdruckslos an.

Den meisten Säugern fehlen stellenweise Haare:

4. Duett I

N & S

zunehmend leidenschaftlich

Fingerkuppen

Handflächen

Fußsohlen

Ohrläppchen

Augenlider

Augäpfel

Lippen

Vulvalippen

Zunge Kopf.

Kahler Weg zum Ende; zur Leichenhaftigkeit.

5. Recitation IV

trying not to laugh, then giving in to laughing, somewhat disturbing — runs off the tongue

Presumably…

Presumably the soles of feet used to be covered in… subito eyes wide open, looks expectantly …hair.

Presumably…

Presumably the tips of fingers used to be covered in hair. Presumably the tips of penises used to be covered in hair. Presumably the palms of hands used to be covered in hair. Presumably the lips of vulvas used to be covered in hair. Presumably the soles of feet used to be covered in hair. Presumably the button-mashing tips of fingers used to be covered in hair.

Presumably the walls of your bedroom used to be covered in hair!

6. Duet II

Scene 3 Eyes

N & S

Recovered the lash with spit, On the tongue direct; Swilled foam.

S, N & A

1. Recitation I S & N N

I wanted to— S

—wanted to ask if you thought the lash an incision? N sensual … an incision, an underlining. An emphatic strike-through. S rhythmic

An error maintained as visible in order not to make the same mistake

5. Rezitation IV

versucht, ein Lachen zu unterdrücken, lacht dann los, was irgendwie verstörend wirkt – sprudelt heraus

Vermutlich …

Vermutlich waren Fußsohlen früher bedeckt mit… reißt die Augen auf, schaut erwartungsvoll … Haaren.

Vermutlich …

Vermutlich waren Fingerspitzen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren Penisspitzen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren Handflächen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren Vulvalippen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren Fußsohlen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren die knopfdrückenden Fingerspitzen früher bedeckt mit Haaren.

Vermutlich waren die Wände deines Schlafzimmers früher bedeckt mit Haaren!

N & S

6. Duet II

Die Wimper mit Spucke geborgen Direkt auf der Zunge Schaum geschluckt.

Szene 3 Augen

1. Rezitation I

S, N & A

S & N

Ich wollte –

– wollte fragen, ob du die Wimper als Einschnitt empfunden hast?

sinnlich … als Einschnitt, als Unterstreichung. Als mitfühlendes Durchstreichen.

rhythmisch

Ein Fehler, sichtbar gehalten, um nicht den gleichen Fehler zu begehen,

S & N laughing again!

2. Recitation II

Mirrors dim with bodies blotting the view projected, so cameras slip to eyes that roll

N starts gently Hair and nails grow after death, but eyeballs remain the same size from birth.

S Eyeballs’ precarious jelly precarious function precarious

S & N laughing view!

N darkly

Eyeballs, the first things to rot in death. Symmetry breaking.

A, S & N

3. A Aria A

With a blade. Slit with a blade. An opening to pass wrong things.

S & N

4. Trio —Like words.

All —Like guilt. Both thick. Painfully passed. Or love.

A Excess love vented –

S & N lachend schon wieder!

2. Rezitation II

Die Spiegel verdunkeln sich, als Körper sich vor die Projektion schieben; die Kameras gleiten über zu rollenden Augen ...

N

beginnt sanft Haare und Nägel wachsen weiter nach dem Tod, Augäpfel haben schon bei der Geburt ihre endgültige Größe.

S

Augäpfel ihr empfindliches Gallert ihre empfindliche Funktion ihr empfindliches

S & N lachen

Sehen!

N düster

Augäpfel, das was zuerst verrottet nach dem Tod. Die Symmetrie zerbricht.

3. A Arie

A, S & N

A

Mit der Klinge. Mit der Klinge aufgeschlitzt. Eine Öffnung für falsche Dinge.

S & N

4. Trio – Wie Worte.

All – Wie Schuld. Beide massig. Kommen schwer durch. Oder Liebe.

A

Zuviel Liebe entwichen –

…vented.

All Or tears— For secret sobs. Away from prying eyes.

K & A

Scene 4 Love

The unsuccessful search for an expression of love.

K

1. K Spoken

Dark, rising from within the body. Hesitant. Attempting meaning, soon wringing out the language, feeling the language’s resistance. incomprehensible, eyes open, mouth closed: As in— I love you. As in, I love you. As in I love you… becoming comprehensible, teeth closed: As in— I love you. As in, I love you. As in I love you…

K

2. K Aria

dark and expressive As in I love you. As in, I love you. dark and stretched. Love. As in an abattoir in July. The world responds, shrinking to limit. The sky becomes a ceiling that lowers and lowers.

A3. A Aria

The world is smaller. tentative, a second attempt I wanted to say. I wanted to ask, to say,

Szene 4 Liebe

… entwichen.

Alle

Oder Tränen –für heimliches Schluchzen. Geschützt von neugierigen Blicken.

K

& A

Suchen vergeblich nach einem Ausdruck für Liebe.

K

1. K Gesprochen

Dunkel, aus dem Körper emporsteigend. Zögerlich. Sucht nach Bedeutung, will sie der Sprache abringen, fühlt den Widerstand der Sprache.

unverständlich, Augen geöffnet, geschlossener Mund:

Anders gesagt –ich liebe dich.

Anders gesagt, ich liebe dich.

Anders gesagt, ich liebe dich ...

allmählich verständlicher, durch die Zähne:

Anders gesagt –ich liebe dich.

Anders gesagt, ich liebe dich. Anders gesagt, ich liebe dich ...

K

2. K Arie

dunkel und ausdrucksstark

Anders gesagt, ich liebe dich.

Anders gesagt, ich liebe dich.

tief und gedehnt Liebe. Anders gesagt, ein Schlachthof im Juli. Die Welt antwortet, schrumpft bis an ihre Grenze. Der Himmel hängt wie eine Decke immer tiefer.

A3. A Arie

Die Welt ist kleiner.

zaghaft, zweiter Versuch. Ich wollte sagen. Ich wollte fragen, sagen,

and in saying so, to ask, to imply, as in…

I wanted to say, I love you, to say.

I wanted to say, I love towards you.

A lies down S joins K

Scene 5 Skin

The dead body. Hard morgue light with a fantastical fringe. Unreal.

K & S

1.

2.

Both looking at A’s body.

K

I wanted to ask about sex and death, then.

S —wanted to ask how sex and death report life.

K & S

Your life.

K

There´s a collapse here— A collapse of experience, of sensible grasp. A collapse from coherence.

K & S

The skin’s in retreat!

3.

A rant. Fast, rhythmic, building. Absurd at times. Giddy. Suppressing laughter. S , with K joining in.

Skin… …skin in retreat. Within the skin Written in skin

und indem ich das sage fragen, implizieren, anders gesagt ...

Ich wollte sagen, ich liebe dich sagen.

Ich wollte sagen, ich liebe zu dir hin.

A legt sich hin

S geht zu K

Szene 5 Haut

Der tote Körper. Grelles Leichenhallen­ Licht, fast schon phantastisch.

K & S

1

2.

Betrachten beide A s Körper.

K

Dann wollte ich fragen nach Sex und Tod.

S

– wollte fragen, wie Sex und Tod das Leben beschreiben.

K & S

Dein Leben.

K

Es gibt ein In-sich-Zusammenbrechen hier— Ein In-sich-Zusammenbrechen der Erfahrung, des emotionalen Begreifens. Ein In-sich-Zusammenbrechen der Kohärenz.

K & S

Die Haut zieht sich zurück!

3.

Suada. Rezitation, schnell, rhythmisch, sich aufbauend. Gelegentlich absurd. Schwindelerregend. Unterdrücktes Lachen. S zusammen mit K

Haut … … Haut zieht sich zurück. In der Haut in die Haut geschrieben

On skin

Under your skin. Glabrous skin

Swollen skin— to laughing, then back —Split hairline dead, tinted, coiled skin. Beneath my skin: your porous skin. Prairies of skin, your ruined skin. Skin. My lustrous skin, My once-taut skin, My now-clouded eyes. The skin, the hair, distinctive moles and marks. Skin hardens for the final chemical peel! — both laughing …

Then sober. Moved. Smiles turn sincere. K

dark and slow: staring at A’s body The posthumous skin of the living, breathing, lolloping body.

A , S and K leave N

Scene 6 Longing N appears tender and intimate , rejection and pain, dark and pleading

1. Aria Part I I wanted to ask if a demand for love was too much. On my part. Too much to ask.

2. Aria Part II For fizzing love to counter toppled granite hate six feet above my brow.

auf die Haut unter deine Haut. Glatte Haut

geschwollene Haut –lacht, dann zurück – ausgefranster Haaransatz tote verfärbte eingerollte Haut. Unter meiner Haut: deine durchlässige Haut. Prärien aus Haut deine kaputte Haut. Haut.

Meine glänzende Haut Meine einst straffe Haut, Meine jetzt trüben Augen. Haut, Haar, verschiedene Flecken und Male. Haut verhärtet für das letzte chemische Peeling! — beide lachen …

Jetzt nüchtern. Berührt. Jetzt aufrichtiges Lächeln.

K

langsam und dunkel: starrt auf As Körper Die Haut nach dem Tod des lebenden, atmenden, hampelnden Körpers.

A , S und K ab N

Szene 6 Sehnsuchtsvoll

N tritt auf sanft und intim, Ablehnung und Schmerz, dunkel und flehend

1. Arie Teil 1

Ich wollte fragen, ob geliebt werden zu wollen zu viel war. Meinerseits. Zu viel verlangt.

2. Arie Teil II

Überschwänglich geliebt werden zu wollen gegen den Hass von gestürztem Granit sechs Fuß über meiner Stirn.

If I could ask. If that was too much to ask.

3. Aria Part III

If in asking or not I´m more pathetic. If I’m condemned …

4. Aria Part IV

… to crawl the driveway at dusk on my belly.

Scene 7 Sex

Seductive. Cameras defocus. Touching. Mirrors seem closer; reflection move inwards.

1. Duet

2 . Trio

A , with S

If love was the faith in the body that formed the lash and laid it beneath my skin my foreskin with a sleight of tender hand.

A , with S & N

If love was the devout faith that your giving vital body…

3. …giving vital body were still warm and heavy and alive.

4. Then we’d sink into flesh-walled caves. Stupendous presence.

Scene 8 Ecstasies

All appear K

1. Recitation I

Lighting sharpening. Reflections begin distorting. Mirrors judder and the light that’s thrown is barbed. The tension of the restraint required to hold back rage. Becoming furious and dark.

I… I wanted to ask about infidelity.

Ob es ok war, das zu wollen. Ob es zu viel verlangt war.

3. Arie Teil III

Ob ich jämmerlicher bin, wenn ich das verlange oder nicht. Ob ich verurteilt bin ...

4. Arie Teil IV

… bei Dämmerung auf dem Bauch die Einfahrt hochrobben.

Szene 7 Sex

Verführerisch. Berührend. Die Spiegel scheinen näher gekommen; Spiegelungen bewegen sich nach innen.

1. Duett

2. Trio

A , mit S

Ob Liebe der Glaube an den Körper war, der die Wimper formte und sie unter meine Haut legte meine Vorhaut mit zarter Fingerfertigkeit.

A , mit S & N

Ob Liebe der tiefe Glaube war, dass dein gebender, reger Körper ...

3. .… dein gebender, reger Körper immer noch warm wäre, schwer und lebendig.

4. Und wir würden in fleischige Höhlen sinken. Überwältigende Anwesenheit.

Szene 8 Ekstasen

Alle auf der Bühne K

1. Rezitation I

Das Licht wird schärfer. Spiegelungen verzerren allmählich. Die Spiegel vibrieren, werfen Lichtstachel. Anspannung, die entsteht bei dem Versuch, Wut zu unterdrücken. Spricht frei, zornig und düster.

Ich… Ich wollte fragen, was mit Untreue ist.

This corporal revenge.

The genuine, concerted and systematic undoing of grace. secretly

Every promise discovered too late; a fucking lie told badly.

A, S & N

Ca-da-ver-…

Ca-da-ver-ous-ness.

K darkly

The promise of intimacy and the promise of beauty ripped away to reveal a gawping, hyperreal brute.

lyrical, drooled and dragged: a gawping, hyperreal brute—for just a moment

An almost perfect representation of me.

A, S & N

Ca-da-ver-…

Ca-da-ver-ous-ness.

K

Perfection withheld by the white of dawn beneath the door and the imminent waking when all of this might nonchalantly be buried beneath several square tons of language and a sprint of animal velocity.

A, S & N

Ca-da-ver…

All Cadaverousness!

2. Recitation II

The three singers are in very close proximity, restricting one another’s voices and bodies. They jockey for position: a tight, choreographed scrum. Each singer, physically restricted, fights to be heard. The camerawork emphasises the confusion of bodies.

A, S & N

Holding back. Skeletal. Ranting and interruptive. Tense.

Partially incomprehensible.

Diese körperliche Rache. Die echte, gewollte, systematische Aufhebung von Erbarmen. heimlich

Jedes zu spät entdeckte Versprechen eine verdammte, schlecht erzählte Lüge.

A, S & N

Lei-chen …

Lei-chen-haf-tig-keit.

K tief gesprochen

Das Versprechen von Intimität und das Verprechen von Schönheit weggewischt von einem gaffenden hyperrealen Biest. lyrisch, geifernd, schleppend: ein gaffendes, hyperreales Biest – nur für einen Moment. Eine fast perfekte Darstellung von mir.

A, S & N

Lei-chen …

Lei-chen-haf-tig-keit.

K

Perfektion, gehalten vom Weiß der Dämmerung unter der Tür und dem bevorstehenden Erwachen, wenn all dies vielleicht einfach so begraben sein wird unter mehreren Quadrattonnen Sprache und einem tierhaft schnellen Sprint.

A, S & N

Lei-chen…

All Leichenhaftigkeit!

2. Rezitation II

Die drei Sänger·innen stehen sehr nah beeinander, schränken Stimme und Körper der jeweils anderen ein. Sie ringen um ihre Position: choreographiertes Gedränge. Jede·r Sänger·in, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, kämpft darum, gehört zu werden. Die Kamera betont noch das Gemenge der Körper.

A, S & N

Zurückhaltend. Skeletthaft. Schimpfend und sich unterbrechend. Angespannt.

Teils unverständlich.

S

A counter to these trainee murderers insisting on my follicular precision, the authenticity of my sprouting hair— of my malfunctioning…

Mouths in close­up. Sealed shut or flapping. The light has the feel of spittle about it: flecks; water spots on the lens; crude lens flares.

A

A counter to these trainee murderers insisting on my follicular precision, the authenticity of my sprouting hair, my malfunctioning…

N

shouting into her hands, at times cupped tightly over her mouth

A counter to these trainee murderers insisting on my follicular precision, the authenticity of my sprouting hair—malfunctioning hair on… …my hair ending up on your cheek. Retrieved by you, proffered up for me to pucker up and blow.

A, S & N

Shouting into her hands, at times cupped tightly over her mouth.

My sprouting hair, my malfunctioning hair. My hair ending up on your cheek. Retrieved by you, proffered up by you. To pucker and blow, to pucker and blow…

and offer up a hurried wish to the patron saint of… Wait!

Again, shouting into their hands cupped over their mouths.

N

Me-gapixels, real-time simulators, real-time fractures,

A & S

ri-gid body solvers, com-plete interactivity,

A, S & N

ter-riff-ic polygon counts, fully destructible scenery, gratuitous fragging.

S

Ein Gegenpart zu diesen Mordgesellen, die auf meine drüsenhafte Genauigkeit bestehen, auf die Echtheit meiner sprießenden Haare – auf meine Funktionsuntüchtigkeit … Münder in Nahaufnahme. Geschlossen oder auf und zu gehend. Das Licht scheint bespuckt: Flecken; Wassertropfen auf der Linse; grobes Flackern der Linse.

A

Ein Gegenpart zu diesen Mordgesellen, die auf meine drüsenhafte Genauigkeit bestehen, auf die Echtheit meiner sprießenden Haare, auf meine Funktionsuntüchtigkeit …

N

schreit in ihre Hände, die sie manchmal fest vor den Mund hält

Ein Gegenpart zu diesen Mordgesellen, die auf meine drüsenhafte Genauigkeit bestehen, auf die Echtheit meiner sprießenden Haare – funktionsuntüchtigen Haare auf … ... meine Haare, die an deiner Wange enden. Zurückgeholt von dir, mir dargeboten, die Lippen zu spitzen, zu pusten.

A, S & N

Schreien in ihre fest auf den Mund gedrückten Hände. Meine sprießenden Haare, meine funktionsuntüchtigen Haare.

Meine Haare, die an deiner Wange enden. Zurückgeholt von dir, von dir dargeboten. Spitzen und pusten, spitzen und pusten ... und einen eiligen Wunsch richten an den Schutzpatron der ... Warten!

Wieder in ihre fest auf den Mund gepressten Hände schreiend.

N

Me-gapixel, Echtzeit-Simulatoren, Echtzeit-Frakturen,

A & S

ri-giden Körperauflöser, kom-pletten Interaktivität,

A, S & N

sa-gen-haf-ten Polygonenanzahl, völlig zerstörbaren Szenerie, des sinnlosen Zersplitterns.

No hands! A Megapixels, S real-time simulators, N real-time fractures, A rigid body solvers, S complete interactivity, A terriffic polygon counts, N fully destructible scenery,

S gratuitous fragging. The lighting rears up.

All Patron saint of gunshot wounds and shining burns. —Of screaming and roaring.

3. Climax I – Instrumental

4. Fermata I Static noise, like stage lights buzzing. Trembling.

K

eyes wide open, listening. I wanted to ask if you mourned.

Calming to a familiar overcast and the camerawork abstracts its subjects.

Instrumental lament becomes HOT.

All

Whether you fantasised about the quiet, sofa-bound end— silence

All —together.

Ohne Hände!

A Megapixel, S

Echtzeit-Simulatoren, N

Echtzeit-Frakturen, A rigide Körperauflöser, S komplette Interaktivität, A sagenhafte Polygonenzahl, N völlig zerstörbare Szenerie, S sinnloses Zersplittern. Das Licht bäumt sich auf.

Alle

Schutzpatron der Schusswunden und leuchtenden Verbrennungen. —des Geschreis und Gebrülls.

3. Höhepunkt I – Instrumental

4. Fermate I

Statisches Geräusch, wie das Surren von Bühnenlichtern. Zittrig.

K

Augen weit geöffnet, lauscht Ich wollte fragen, ob du getrauert hast.

Alles beruhigt sich zum bereits bekannten bewölkten Licht; die Kameras zeigen die Darsteller·innen als etwas Abstraktes. Instrumentale Klage baut sich auf und wird HEISS.

Alle

Ob du phantasiert hast über das ruhige, dem Sofa zugeneigte Ende –Stille

Alle – zusammen.

5. Climax II – Instrumental Massive

Four percussionists and their bass drums appear on stage, but are only visible – FLASH – for the duration of each attack. During Climax II the bass drums have eight interjections. Bolts of lightning! Roars of thunder! Leads directly into Scene 9.

Scene 9 Rite

K appears between the bass drums centre stage. She plays a massive wooden box 1 with each entry of her rant, reciting like a fury.

1. Prologue K

Picture us!

Faces merge. Wet mouths in close­up.

A , S and N hesitant and fractured After a lifetime of winter slush. slow and looping We lay together. Not caring who saw.

K

We lay together. Not caring who saw.

A , S and N fade away as the bass drums take over.

2. Climax III – K’s Rant and Bass Drums

In the storm. Lights swerve and dive. With the flashes of lightning, the whole auditorium is blinded, lit by the explosion. Bastard saints struggle to be born. Cameras track the blows.

A flailing litany to the grotesque, born of desperation. The sacred is profaned by wretched life.

01 The precedent is Galina Ustwolskayas's Composition II "dies irae” for 8 double basses, wooden box, and piano; prior to that, Mahler’s Sixth Symphony and Alban Berg’s Three orchestral pieces.

5. Höhepunkt II – Instrumental Massiv.

Vier Perkussionist·innen mit ihren Großen Trommeln erscheinen auf der Bühne, sind aber nur – FLASH – während der ForteSchläge sichtbar.

Beim Höhepunkt II haben die Großen Trommeln acht Einsätze. Blitze! Donnergrollen! Der letzte Einsatz führt direkt in Szene 9.

Szene 9 Ritual

K erscheint zwischen den Großen Trommeln in der Mitte der Bühne. Schlägt bei jeder Suada auf eine massive Holzkiste 1 , rezitiert wie eine Furie.

1. Prolog

K

Stellen Sie sich uns vor!

Die Gesichter verschmelzen. Feuchte Münder in Nahaufnahme.

A , S und N zögerlich und zersplittert Nach einem ganzen Leben voller Wintermatsch. langsam und als Loop Lagen wir beieinander. Es war uns egal, wer uns sah.

K

Wir lagen beieinander. Es war uns egal, wer uns sah.

A , S und N immer leiser, sie verstummen, als die Großen Trommeln lauter werden und schließlich übernehmen.

2. Höhepunkt III – K s Suada und Große Trommeln Im Gewitter. Lichter schwanken und tauchen ab. Blitze blenden den gesamten Zuschauerraum, von der Explosion erleuchtet. Bastardheilige kämpfen darum, geboren zu werden. Kameras verfolgen die Stöße.

Eine um sich schlagende, groteske Litanei, geboren aus der Verzweiflung. Das Heilige durch erbärmliches Leben entweiht.

01 Als Vorlage dient Galina Ustwolskayas’ Komposition II „dies irae“ für 8 Kontrabässe, Holzkasten und Klavier; zuvor auch in Mahlers Sechster Symphonie and Alban Bergs Drei Orchesterstücke.

rants, riffs and loops – broad When we wished. When we wished upon the patron saint of ballistics.

We! We wished upon the patron saint of corrugations, troughs, and ditches.

We! We wished, we wished. We wished to the patron saint of atrophy and ruin; of bogland and greying skies drowning in still tarns.

Wish! …to the patron saint of poets and refugees, of amputees and adolescents.

I! I wish to the patron saint of fetishes and shrapnel jawlines, of appalling palmistry and cigarettes, of swarming bees and mulched civilisations, of devastated clairvoyants and suicidal chain-smokers.

Wish, I wish!

I… now… wish to the patron saint of the mercurial, of broken conjurers and apocalyptic prophets — of the unwashed, opportunistic masses.

I wish and I wish to the patron saint of ex-bankers, ex-prostitutes, your exes, their exes, the ex-planets. I wish!

3. Postlude I

Horizontal shafts of ivory light. If they do move at all, they move downwards, grounding and pressing.

Bass drums during and after.

A further tightening. Seething, quiet and measured. Heavy and dark.

I wanted to ask whether you could have passed me some paper, a pen, a drink— A drink. A fucking drink.

Whether you might have… Whether you could have just… a spike of dwindling selfishness, still unhurried Whether you might have summoned the heart to fix me and pass me a fucking drink. simply, more gentle

K rezitiert, schimpft und loopt – nimmt Raum ein Als wir Wünsche richteten. Wünsche richteten an den Schutzpatron der Ballistik.

Wir! Wünsche an den Schutzpatron der Furchen, Senken und Gräben.

Wir! Wünsche über Wünsche.

Wir richteten Wünsche an den Schutzpatron der Verkümmerung und des Verderbens; des Sumpfes und des grauen Himmels, der ertrinkt in stillen Bergseen.

Wünsche! … an den Schutzpatron der Dichter·innen und Geflüchteten, der Amputierten und Jugendlichen.

Ich! Ich richte Wünsche an den Schutzpatron der Fetische und zersplitterten Kieferlinien, der schrecklichen Handlinien und Zigaretten, der Bienenschwärme und gemulchten Zivilisationen, der am Boden zerstörten Hellseher und suizidären Kettenraucher.

Wünsche über Wünsche!

Ich … richte jetzt … meine Wünsche an den Schutzpatron des Quecksilbers, der zerstörten Beschwörer·innen und apokalyptischen Prophet·innen – der ungewaschenen, op portunistischen Massen.

Ich richte Wünsche über Wünsche an den Schutzpatron der Ex-Banker, Ex-Prostituierten, deiner Exen, ihrer Exen, den Ex-Planeten. Wünsche!

3. Postludium I

Wagerechte Schafte von elfenbeinfarbenem Licht. Falls überhaupt, dann bewegen sie sich abwärts, zur Erde hin, drückend.

Große Trommeln währenddessen und danach.

Noch straffer. Brodelnd, ruhig und gemessen. Schwer und dunkel.

Ich wollte fragen, ob du mir Papier hättest reichen können, einen Stift, ein Getränk— Ein Getränk. Ein verdammtes Getränk.

Ob du vielleicht …

Ob du vielleicht einfach … ein Stachel von schwindendem Egoismus, immer noch ohne Eile Ob du dich vielleicht getraut hättest, mich zu reparieren und mir ein verdammtes Getränk zu reichen. schlicht, sanfter

Whether you knew… Whether you knew the slightest thing… about… re-… silence … -demption.

K leaves.

A , solo violin and trumpet appear in the boxes of the auditorium.

4. Postlude II – A & Solo Violin

The space expands. A gentle, seeking the words I… I am… I am sor… in silence. I am sorry. Blackout.

Ob du wusstest …

Ob du überhaupt das winzigste Bisschen wusstest ... über… Er-… Stille … -lösung.

K geht ab A , Solovioline und Trompete erscheinen in Logen und Rang.

4. Postludium II – A & Solovioline Der Raum weitet sich.

A sanft, sucht nach Worten Ich … Es … Es tut mir … schlicht in die Stille gesprochen. Es tut mir leid.

Blackout.

Act 3

LOSS

In which a woman receives loss and returns to herself. Death ripens to real. There is acceptance.

VERLUST

Eine Frau ist bereit für den Verlust und findet zurück zu sich selbst. Tod reift heran zur Wirklichkeit. Eine Art Einwilligung.

Each performer faces outward, a different vision of loss. The space expands and contracts troughout, and there is accord with each medium: light and sound breath. Light widens and sweeps outwards. A sense of things building emerges—not toward a dramatic climax (redemption), but back to reality (reconciliation).

During Act 3, several modules begin one by one, both in the auditorium and on the stage.

—Space is set in motion through the introduction and interrelation of these modules, rendering the space more and more pliable as it stretches with an increasingly innateness, like a diaphragm.

The music takes the lead, defining the world.

Prelude Synthesisers and e­guitar prepared improvisation. Live feed projections of performers’ bodies in closeup, confused with a live feed of the musicians' bodies, too—their hands on their instruments.

Scene 1 S

S appears alone centre stage. Just her face, spotlit in the darkness all around.

At first, virtual silence, save for the buzzing.

S plainly

I want to find out if you recall your first vivid experience of death. When, in early childhood, you found a dead mouse in the grounds of a cottage. Moved, you buried the mouse beneath a wad of green moss. You went back a couple of days later and, lifting the moss away, discovered a black beetle in the mouse’s stead.

Scene 2 N

N appears in a box. Simply lit, pockets of light. Projected live/ pre­recorded feed of N’s in­ and out­breaths.

Piano 1 appears in stage.

Alle Darsteller·innen blicken nach außen, eine andere Sicht auf Verlust.

Die ganze Zeit über weitet der Raum sich aus und zieht sich zusammen, Licht und Klang im Zusammenspiel: sie atmen. Das Licht wird weiter, schwappt über die Ränder. Ein Gefühl für Dinge in Entstehung kommt auf – nicht hin zu einem dramatischen Höhepunkt (Erlösung), sondern zurück zur Realität (Versöhnung).

Während des dritten Akts beginnen nacheinander mehrere Module sowohl im Zuschauerbereich als auch auf der Bühne.

– Der Raum wird durch die Einführung und Wechselbeziehung dieser Module in Bewegung gesetzt, wird immer biegsamer und dehnt sich mit immer größerer Natürlichkeit, als sei er Zwerchfell.

Die Musik übernimmt die Führung, bestimmt die Welt.

Präludium Für Synthesizer und E­ Gitarre vorbereitete Improvisation. LiveNahaufnahmen der Körper der Darsteller·innen, vermischt mit Live ­ Nahaufnahmen der Körper der Musiker·innen – ihrer Hände an den Instrumenten.

Szene 1 S

S betritt alleine die Mitte der Bühne. Nur ihr Gesicht sichtbar, erleuchtet inmitten der Dunkelheit. Zunächst fast absolute Stille, mit Ausnahme eines Summens.

Sdurchgehend gesprochen

Ich möchte herausfinden, ob du dich an deine erste klare Erfahrung mit dem Tod erinnerst. Als du in deiner frühen Kindheit eine tote Maus in einem Garten fandst. Tief bewegt hast du die Maus unter einem grünen Moospolster begraben. Als du ein paar Tage später das Moos anhobst, war da ein schwarzer Käfer anstelle der Maus.

Szene 2 N

N tritt in einer Loge im Zuschauerraum auf. Einfache Beleuchtung, Lichtflecken. Live ­ Projektion/Aufnahme des Ein­ und Ausatmens von N

Flügel 1 kommt auf die Bühne.

N simply I…

I want to ask if you’re thinking of something dead growing. in­breath

Urge… slow, deliberate, out­breath

Urged through tight follicles in prairies of skin. The follicle decides the shape:

Gritted teeth

Sewer grate

Honeycomb

Prison bars

Lotus pods

Interlaced fingers

Elaborately tipped piping bags

Coral Pumice

Lattice relieving, in­breath

Bone. out­breath

Warm, warm, warm spring mouths. N leaves and A enters.

Scene 3 A— Part I

Somewhere else. A re­ appears with several musicians in the box of the auditorium,

Simply lit, pockets of light.

The spatialisation begins.

A simply, slow, hesitant and weighted The only… part of you… that now grows… is your… hair.

The only part… of you… that now moves is your gorgeous… hair. In these eddies of black water.

Ich …

einfach gesprochen

Ich möchte fragen, ob du an etwas Totes denkst, das wächst.

Einatmen

Getrieben … langsames, bewusstes Ausatmen

Getrieben durch dicht gesähte Drüsen auf Hautprärien.

Die Drüse entscheidet über die Form:

Knirschende Zähne

Abwasserrost

Bienenwabe

Gefängnisgitter

Lotusschalen

Verschlungene Finger

Aufwendig gestaltete Spritzbeutel

Koralle

Bimsstein

Gitternetz erleichterndes Einatmen

Knochen.

Ausatmen

Warme warme warme Quellmündungen.

N ab und A tritt auf.

Szene 3 A–Teil 1

Anderswo. Zusammen mit mehreren Musikern taucht A erneut in einer Loge auf.

Einfache Beleuchtung, Lichtflecken. Die Verräumlichung beginnt.

Aeinfach gesprochen, zögerlich und gewichtig Der einzige … Teil von dir … der jetzt noch wächst … ist dein …

Haar.

Der einzige Teil … von dir … der sich jetzt noch bewegt ist dein wundervolles …

Haar.

In diesen Wirbeln schwarzen Wassers.

Scene 4 K— Part I

K appears alone centre stage. Just her face, spotlit in the absolute darkness all around.

This is the first of three spoken entries during Act 3.

Further spacialized insruments begin.

K

simply and gently

Do you remember retrieving the eyelash? Or perhaps you left it there. Tucked it back in. Left to rot.

The lash a body; the body a tomb. A loving tomb, but still a tomb. Where remembrance demands forgetting. So we might move on, you know?

Piano 2 appears during this scene up stage right. K exits.

Scene 5 A— Part II & S

A continues with musicians in the auditorium. S re­ appears on stage. A & S to one another.

A to S

The eyelash: A worm mistook for a brooch.

S to A

A broken hammer mistook for a…

A & S

…fist-sized jewel.

S

A fist-sized fist mistook for a…

A & S

…upturned palm. What this means for love.

S

Mistaking nothing for something.

A & S

What this means for love.

Szene 4 K–Teil I

K alleine in der Mitte der Bühne. Nur das Gesicht sichtbar, angestrahlt in der absoluten Dunkelheit ringsum. Dies ist der erste von drei gesprochenen Auftritten während Akt 3.

Weitere Instrumente setzen im Raum ein.

K

einfach und sanft gesprochen Erinnerst du dich, wie du die Wimper herausgezogen hast? Oder vielleicht hast du sie einfach da gelassen. Wieder reingestopft. Damit sie dort verrottet.

Die Wimper ein Körper, der Körper ein Grab. Ein liebendes Grab, aber dennoch ein Grab. Wo Erinnerung verlangt, dass man vergisst. Wir könnten also einfach weitergehen, oder?

Flügel 2 erscheint in dieser Szene auf der Bühne. K ab.

Szene 5 A–Teil II & S

A verbleibt mit den Musikern im Zuschauerraum.

S wieder auf der Bühne.

A & S zueinander gewandt.

A

An S gewandt

Die Wimper: ein Wurm, verwechselt mit einer Brosche.

S

An A gewandt

Ein zerbrochener Hammer, verwechselt mit einem …

A & S … faustgroßen Juwel.

S

Eine faustgroße Faust, verwechselt mit einer …

A & S

… nach oben gewandten Handfläche. Was das bedeutet für die Liebe.

S

Nichts mit irgendetwas zu verwechseln.

A & S

Was das bedeutet für die Liebe.

A & S leave. Musicians continue in the auditorium. N enters.

Scene 6 Full Spatialisation

N & saxophone Duo

N & saxophone re­ appear in a box joined by more musicians in the auditorium.

each line a discrete, lyrical gesture I want to ask what you thought of my desire to become a representation an image of myself. How I die each night…

S enters

S & Piano 1: Lied 1

S stands in the curve of Piano 1. Close­up camerawork/livefeed. Scrutinising the surface of the face. S

My face…

Ev’-ry single-night in the presence of a lover.

Did you picture my face? If my face were lively or still. In close-up or whole.

A enters and N leaves. All music in the space continues to circulate. S

A face is shown.

A & S ab. Die Musiker machen im Zuschauerraum weiter.

N betritt die Bühne.

Szene 6 Anordnung im gesamten Raum .

N & Saxophonduo

N & Saxophon erscheinen nochmals in einer Loge, weitere Musiker schließen sich ihnen im Zuschauersaal an.

gesungen, jede Zeile eine diskrete, lyrische Geste Ich möchte fragen, was du dachtest über meinen Wunsch, eine Darstellung

ein Bild zu werden

meiner selbst. Wie ich sterbe jede Nacht …

S tritt auf

S & Flügel 1: Lied 1

S singt, steht in der Wölbung von Flügel 1. Nahaufnahme Kamera / Live ­ Feed. Das Gesicht wird minutiös abgesucht.

Mein Gesicht …

Jede einzelne Nacht in Anwesenheit einer Liebe.

Hast du dir mein Gesicht vorgestellt? Ob mein Gesicht lebendig war oder ruhig. Von Nahem oder als Ganzes.

A tritt auf und N ab. Die Musik kreist weiterhin durch den Raum.

Ein Gesicht wird gezeigt.

A & Piano 2: Lied 2

A stands in the curve of Piano 2. Cameras enter the body: they rove then dip, then entering through the mouth…

AA collapse here and here…

S

The skin… K enters.

Lied 1 & Lied 2 halt for a moment. The music in the space expands. It is love. The cessation of melancholy. Resignation to love, mutual submission: an embrace. Abating…

K— Part II

K

from within the now vast web of sound— quiet and warm The Lash.

An exquisite and partial death. A death that remembers itself. The posthumous skin of the living, breathing lolloping body in hushed and dulcet tones.

Floating, breathing, expanding and retracting

Lied 1 & Lied 2 continue, increasingly interwoven as the music in the space dies away.

S

the hair, the moles and marks, scars and creases in base close-up. A face shown; My face in repose.

Amy once-firm ribcage, my once-taut skin, my once-glint eyes.

A & Flügel 2: Lied 2

A singt stehend in der Wölbung von Flügel 2. Die Kameras dringen in den Körper ein: suchen ihn erst ab, tauchen dann ein durch den Mund ...

AEin In-sich-Zusammenbrechen hier und hier …

S

Die Haut ...

K tritt auf.

Lied 1 & Lied 2 halten einen Moment inne. Alle Module breiten sich aus. Es ist Liebe. Das Ende der Melancholie. Sich der Liebe ergeben, gegenseitige Unterwerfung: eine Umarmung. Die lockerer wird …

K–Teil II

Kaus dem Inneren des inzwischen weiten Geflechts aus Klang—ruhig und warm

Die Wimper.

Ein erlesener und teilweiser Tod.

Ein Tod, der sich an sich selbst erinnert. Die posthume Haut des lebenden, atmenden, hampelnden Körpers in sanften, lieblichen Tönen.

Schwebend, atmend, sich ausdehnend und wieder zusammenziehend.

Lied 1 & Lied 2 gehen weiter, zunehmend miteinander verwoben, während die Musik im Raum nach und nach verstummt.

S

die Haare, Flecken und Male, Narben und Falten in Nahaufnahme.

Ein Gesicht wird gezeigt: Mein Gesicht, ruhend.

Amein einst fester Brustkorb, meine einst straffe Haut, meine einst funkelnden Augen.

Instrumental

A collapse of experience, of sensible grasp.

K re­appears.

K— Part III

Light builds placidly. Gentle, warm.

AA collapse from coherence.

A wash of rose pink blushes into being and tints everything, every surface.

The light, then, climbs surefootedly from overcast to pink through every increment, and the eyes of the audience scarcely notice the change. A bodily effect visited on the entire audience—chromatic adaptation; a flood of light to swallow the entire theatre, blurring all boundaries.

Spatial, same shape, colour, light, feeling.

With K , a faint ripple in slo­motion. And then the ripples coalesce and rejoin.

There’s a newness—a new light—“a small pink star”.

K

fragile, like a secret

Everything slashed with heat.

Flicked pitch.

Every follicle a valve in a vast, breathing instrument.

All spatial music swells up again—then retract further.

Space just turns gently for a moment.

Fermata of intense light.

Postlude I

All appear downstage.

All in accord. Simple. Sitting down. The spatialisation retracts as they speak gently and quietly.

The world returns. A

In your honour.

Instrumental

Ein In-sich-Zusammenbrechen der Erfahrung, des emotionalen Begreifens.

K taucht wieder auf.

K–Teil III

Das Licht baut sich ruhig auf. Sanft, warm.

AEin In-sich-Zusammenbrechen der Kohärenz.

Ein pinkfarbener Hauch tritt deutlicher hervor und färbt nach und nach alles, jede Oberfläche.

Das Licht verändert sich graduell aber stetig von gedämpft zu pink, so subtil, dass das Publikum kaum die Veränderung bemerkt: ein körperlicher Effekt auf das Publikum, eine chromatische Anpassung: Lichtflut, die das gesamte Theater erfasst und alle Grenzen verwischt.

Räumlichkeit, gleiche Form, Farbe, Licht, Gefühl.

Mit K s Einsatz beginnt ein schwaches Kräuseln in Zeitlupe. Schließlich fließen die Wellen zusammen und verschmelzen. Etwas ist neu – ein neues Licht – ein „kleiner pinker Stern“.

Kzerbrechlich, geheimnisvoll Alles von der Hitze aufgeschlitzt. Geschnippter Teer.

Jede Drüse ein Ventil in einem riesigen, atmenden Instrument.

Die Musik im Raum schwillt wieder an – und zieht sich dann noch weiter zurück.

Der Raum wird für einen Moment sanft.

Fermate aus intensivem Licht.

Postludium I

Alle erscheinen vorne auf der Bühne.

Alle miteinander. Schlicht. Setzen sich hin.

Der riesige Raum schrumpft, sie reden sanft und ruhig.

Die Welt kehrt zurück.

AZu deinen Ehren.

II

Dedicated to you.

Come to bed and fucking die. Add light to some small pink star. And come to bed and fucking die. Add light to some small pink star.

Wait.

All eyes close together. Everything closes so there’s just the rose pink. Silence.

Hold the warm, the rose pink, the closeness— then cut to black. END

Postlude

Postludium II

Lied

Dir gewidmet. S Eine Widmung … S & K … hier.

An

Alle … dich.

warten in Stille

Alle

Komm ins Bett und fucking stirb. Gib Licht zu einem winzig pinken Stern. Und komm ins Bett und fucking stirb. Gib Licht zu einem winzig pinken Stern.

Warten.

Alle Augen schließen sich gleichzeitig. Alles wird geschlossen, übrig bleibt nur Pink. Stille.

Weiterhin warmes Pink, Nähe – dann Schnitt, schwarz.

ENDE

Impressum

Copyright Stiftung Oper in Berlin Deutsche Oper Berlin, Bismarckstraße 35, 10627 Berlin

Intendant Dietmar Schwarz; Geschaftsführender Direktor Thomas Fehrle; Spielzeit 2024/25 Redaktion Sebastian Hanusa; Gestaltung Sandra Kastl; Druck: trigger.medien gmbh, Berlin

Textnachweise

Bei sämtlichen Texten handelt es sich um Originalbeiträge für dieses Heft.

Bildnachweise

Die Fotografien der Inszenierung stammen von Marcus Lieberenz. Die weiteren Bilder: Sébastien Dupouey

Rebecca Saunders

LASH — ACTS OF LOVE

Uraufführung am 20. Juni 2025 an der Deutschen Oper Berlin

Musikalische Leitung: Enno Poppe; Inszenierung: Dead Centre; Bühne, Kostüme: Nina Wetzel; Licht: Jörg Schuchardt; Video: Sébastien Dupouey; Dramaturgie: Sebastian Hanusa

A: Anna Prohaska; S: Sarah Maria Sun; N: Noa Frenkel; K: Katja Kolm; Synthesizer / Klavier: Christoph Grund, Ernst Surberg; E-Gitarre: Adrian Pereyra; Orchester der Deutschen Oper Berlin

Kompositionsauftrag der Deutschen Oper Berlin, gefördert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung. Mit freundlicher Unterstützung des Förderkreises der Deutschen Oper Berlin e.V.

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