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Zum Schweigen gebracht

Das Jahr 2020 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Hongkongs. Für die Weltzeit beschreibt die dortige Korres pondentin der DW die gravie renden Auswirkungen des neuen Sicherheitsgesetzes auf die Pressefreiheit in der Stadt.

Text Phoebe Kong

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Das Tränengas, das durch die Straßen in Hongkong wehte, ist für viele vor Ort noch nachhaltig in Erinnerung. Ein Jahr danach sind es nicht mehr der Rauch und Flammen, die Hongkong einhüllen, sondern eine allgegenwärtige Angst und Kälte. Einst die freieste Stadt in ganz Asien, steht Hongkong am Scheideweg.

Die 2019 ausgebrochenen Anti-Regierungsproteste kamen durch Inhaftierungen inmitten der Corona-Pandemie zum Erliegen. Jüngste offizielle Zahlen enthüllen, dass bis Ende 2020 mindestens 10.200 Personen wegen ihrer Beteiligung an den Protesten festgenommen wurden, darunter 40 Prozent Studierende.

Als Antwort auf die größten politischen Unruhen in China seit Jahrzehnten verhängte Peking im vergangenen Juni ein Gesetz zur nationalen Sicherheit über Hongkong. Es verbietet Subversion, Erbfolge und Kollaboration mit ausländischen Kräften. Für „terroristische Aktivitäten“ können Verurteilte lebenslang hinter Gitter kommen. Trotz seiner weitreichenden Wirkung wurde das Gesetz nicht von Hongkongs eigener Legislative geprüft, sondern lediglich vom Parlament in Peking abgesegnet. Fast hundert Personen wurden unter dem weitreichenden Sicherheitsgesetz festgenommen, darunter 55 Oppositionelle, die an einer Vorwahl teilgenommen hatten, sowie der Medienmogul Jimmy Lai und führende Aktivistinnen und Aktivisten. Das neue Gesetz könnte für das internationale Finanzzentrum einen abschreckenden Effekt mit sich bringen.

Insbesondere Aktivistinnen könnten eine entscheidende Rolle spielen. Agnes Chow, die die inzwischen aufgelöste politische Partei Demosisto gründete, wurde zusammen mit Joshua Wong im vergangenen Dezember zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die 23-Jährige ist nicht nur eine Ikone der pro-demokratischen Bewegung in Hongkong, sondern auch im benachbarten Japan, wo sie seit Jahren für Unterstützung wirbt. Ihre Inhaftierung sorgte in Japan für Schlagzeilen. Der Hashtag #FreeAgnes trendete in Japan auf Twitter.

Das Engagement von Frauen bei den Protesten ist generationenübergreifend. Vor Wochen traf ich die jüngste Asylbewerberin Hongkongs. Ein 15-jähriges Mädchen, das aus Angst vor politischer Verfolgung allein ins britische Exil gegangen war. Eine 64-jährige Frau, die währendder Bewegung ständig protestierte und von ihren Mitstreitenden liebevoll „Oma Wong“ genannt wird, wurde Berichten zufolge 14 Monate lang in Festlandchina festgehalten.

DW-Korrespondentin Phoebe Kong in Hongkong

DW-Korrespondentin Phoebe Kong in Hongkong

© DW/P. Kong

Es ist eine der bislang herausforderndsten Zeiten für die journalistische Arbeit in Hongkong – auch weil die schlimmste politische Umwälzung auf eine öffentliche Gesundheitskrise trifft. Reporterinnen und Reporter sind online und offline mit zunehmenden Anfeindungen konfrontiert. Belästigende Einträge in den Sozialen Medien, diffamierende Kritik oder sogar Vergewaltigungsdrohungen sind Folgen, denen wir durch unsere Berichterstattung ausgesetzt sein können. In den Redaktionen ist eine wachsende Selbstzensur spürbar. Amtlicherseits wird versucht, kritische Berichterstattung einzuschränken: Die Maßnahmen reichen von der Verhängung von Bußgeldern gegen Bürgerjournalistinnen und -journalisten wegen Verstoßes gegen die Anti- Corona-Regeln bis zur strafrechtlichen Verfolgung einer preisgekrönten Journalistin, weil sie in einer Reportage über die Proteste berichten wollte.

In diesem Jahr ist in Hongkong mit einem tiefgreifenden Wandel in allen gesellschaftspolitischen Bereichen zu rechnen, insbesondere innerhalb der Zivilgesellschaft, in der Justiz, aber auch im Bildungswesen. Auch mit weiteren Urteilen gegen Aktivistinnen und Aktivisten muss gerechnet werden.

Phoebe Kong

ist DW-Korrespondentin in Hongkong. In den vergangenen Jahren berichtete sie oft aus China und Taiwan.