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Misstrauen gegenüber Nachrichtenmedien

Teresa Ribeiro, ehemalige Außenministerin Portugals und neue OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, sieht die Medien freiheit inner- und außerhalb Europas durch Populismus, Desinformation und staatliche Regulierungen bedroht.

Fragen Julia van Leuven, DW-Redakteurin

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Julia van Leuven: Was sind in diesem Jahr die größten Bedrohungen für die Pressefreiheit?

Teresa Ribeiro: Unter den vielen Bedrohungen ist das wachsende Misstrauen gegenüber den Nachrichtenmedien sehr beunruhigend. Meist ausgelöst durch populistische Politiker und Behörden, die Zweifel säen wollen, um ihre antidemokratischen Tendenzen und Taten zu vertuschen. In den vergangenen Jahren ist es für Medienschaffende immer gefährlicher geworden, ihre Arbeit zu machen. Das berührt das Herz unserer demokratischen Gesellschaften.

van Leuven: Die digitale Sphäre hat durch die Pandemie noch mehr an Bedeutung gewonnen. Wie kann man Desinformation entgegenwirken?

Ribeiro: In Zeiten, in denen wir Abstandsregeln einhalten, verlassen wir uns mehr denn je auf das Internet, wenn es um Nachrichten und Informationen über unsere Gesundheit geht. Gleichzeitig hat sich das Internet als Verbreiter von „Fake News“ erwiesen. Propaganda und Desinformation sind kein neues Phänomen, aber die Geschwindigkeit und die Reichweite, mit der sie sich verbreiten, sind neu. Deshalb müssen wir Medienpluralismus unterstützen und weiterhin in eine freie und lebendige journalistische Szene investieren.

van Leuven: Journalistinnen sind besonders anfällig für Online-Gewalt. Wie kann ihre digitale Sicherheit verbessert werden?

Demonstrantin bei einem Studierendenprotest für mehr Pressefreiheit in Manila, Philippinen, 2018.

Demonstrantin bei einem Studierendenprotest für mehr Pressefreiheit in Manila, Philippinen, 2018.

© NOEL CELIS/AFP via Getty Images

Ribeiro: Wir möchten mit unserem SOFJO-Projekt (Sicherheit von Journalistinnen im Internet) das Bewusstsein für dieses Thema schärfen. Erst kürzlich haben wir einen umfassenden Leitfaden für staatliche und nichtstaatliche Akteure in der gesamten OSZE-Region herausgebracht. Er stellt Praktiken und Beispiele vor, wie internationale Standards umgesetzt werden können und bietet mit 40 Maßnahmen einen systemischen Multi-Stakeholder-Ansatz für Akteure, die für die Schaffung eines sicheren Medienumfelds zentral sind.

van Leuven: Eine Ihrer Aufgaben ist es, Frühwarnungen auszusprechen. Wie wollen Sie dieser Verantwortung gerecht werden in einer Zeit, in der laut Rangliste der Pressefreiheit 2020 von Reporter ohne Grenzen (RSF), nur 26 Prozent von 180 Ländern eine Situation aufweisen, die „gut“ oder „zufriedenstellend“ ist?

Wir müssen in Medienpluralismus und eine freie und lebendige journalistische Szene investieren.

Ribeiro: Meine Hauptaufgabe ist es, die Entwicklung der Medien in allen 57 Teilnehmerstaaten der OSZE zu beobachten und einzugreifen, wenn es ernsthafte Probleme gibt. Dafür arbeite ich mit den Behörden der Teilnehmerstaaten zusammen, ich kann das nicht allein tun. In der OSZE-Region gibt es viele Probleme, wenn es um die Medienfreiheit geht. Gleichzeitig gibt es eine Bereitschaft, die Situation zu verbessern. Die Verpflichtungen zur Medienfreiheit sind die Staaten selbst eingegangen; es ist meine Aufgabe, sie immer wieder daran zu erinnern.

van Leuven: Mit Blick auf die neuen Social-Media- Regulierungen in Ländern wie Russland, der Türkei oder Ungarn: Sehen Sie eine ­Zunahme des staatlichen Einflusses auf die digitale Sphäre?

Ribeiro: Das Thema bietet wahrscheinlich eine der wichtigsten Debatten, die wir in den nächsten Jahren führen müssen. Fragen wie: Welche Regeln sollen gelten? Was ist die Rolle von Big Tech? Wobei nicht vergessen werden darf, dass es unseren demokratischen Institutionen und Gerichten obliegt, die Regeln zu definieren und ihre Anwendung zu überwachen. Ich denke, es ist wichtig, immer eine Möglichkeit des Rechtswegs zu haben. Hier liegt die Herausforderung: Wie macht man die Spielregeln transparent und damit offen für eine rechtliche Überprüfung?

van Leuven: Was ist Ihr oberstes Ziel als OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit?

Ribeiro: Ich würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen könnte, sowohl bei den Behörden als auch in der Öffentlichkeit den Grundgedanken wiederherzustellen, dass freie und pluralistische Medien die einzige Möglichkeit sind, dass unsere demokratischen Gesellschaften gedeihen können. Dies ist eines der Kernprinzipien der OSZE. Es wäre gut, wenn sich jeder Mensch, der in unserer Region lebt, dessen sehr bewusst wäre.

Teresa Ribeiro

Teresa Ribeiro

Teresa Ribeiro

© C. Azevedo/Portal do Governo de Portugal

wurde im Dezember 2020 als Nachfolgerin von Harlem Désir zur OSZE- Beauftragten für Medienfreiheit ernannt. Die Portugiesin verfügt über langjährige Erfahrung in der internationalen Politik und Diplomatie, ihre Themenschwerpunkte sind Menschenrechte und Medien. Von 2015 bis zu ihrer Ernennung war sie Außenministerin Portugals und Präsidentin der Nationalen Kommission für Menschenrechte.

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