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Hass und Hetze im Netz

Weltweit sind Journalistinnen im Internet Hass und Hetze ausgesetzt. Das gefährdet unabhängigen Journalismus, sagt die Vorsitzende der britischen Menschenrechtsorganisation ARTICLE 19. Sie fordert Politik und Medien auf, entschlossen und mutig zu handeln.

Text Silvia Chocarro

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Stellen Sie sich vor, die Hälfte der Weltbevölkerung hätte keine Möglichkeit, sich öffentlich zu äußern. Medien müssten ohne die Stimmen von Journalistinnen auskommen, die aufgrund permanenter Belästigungen ihren Beruf an den Nagel gehängt hätten.

Dass Journalistinnen zunehmend online bedrängt werden, ist kein Geheimnis. Öffnen Sie eine beliebige Social-Media-Plattform: Auf frauenfeindliche Drohungen müssen Sie nicht lange warten. Im Gegensatz zu ihren Kollegen werden Frauen nahezu überall auf der Welt mit geschlechtsspezifischen Belästigungen konfrontiert, darunter häufig Formen sexueller Art.

Online-Belästigung findet nicht nur virtuell statt. Im schlimmsten Fall münden die Drohungen in körperliche Gewalt. Die emotionalen Folgen: Angst und Depression. Selbstzensur bis hin zum Rückzug aus dem Job sind keine Seltenheit. Studien zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Fälle nicht gemeldet wird, weil Frauen Angst haben, nicht ernst genommen zu werden.

Laut der UNESCO-Studie „Online Violence Against Women Journalists: A Global Snapshot of Incidence and Impacts“ üben 30 Prozent der befragten Frauen in den Sozialen Medien eine Form der Selbstzensur. 20 Prozent weichen von jeglicher Online-Interaktion ab, 38 Prozent machen sich bei ihrer Arbeit weniger sichtbar, vier Prozent haben ihren Job gekündigt und zwei Prozent den Journalismus ganz aufgegeben.

Die preisgekrönte brasilianische Journalistin Patricia Campos de Mello wurde selbst Opfer massiver Online-Schikanen und beschrieb in einem Interview mit dem „Committee to Protect Journalists“ den Zustand als „eine neue Form der Zensur“. Denn: „Jedes Mal, wenn wir einen Artikel schreiben, musst du am Ende zweimal nachdenken, weil du und deine Familie einiges durchmachen müssen.“ Die mexikanische Journalistin Montserrat Ortiz sagte gegenüber der Organisation ARTICLE 19, sie habe Angst und fühle sich nicht mehr sicher. Nach ihrer Berichterstattung über sexuelle Gewalt habe sie Online-Morddrohungen erhalten.

Weltweit leiden Frauen und Mädchen unter Formen der Diskriminierung, die ihnen die grundlegenden Menschenrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Teilnahme am öffentlichen Leben verwehren.

Schulungen zu internationalen Menschenrechtsstandards, insbesondere zu Meinungsfreiheit und Anti-Diskriminierung sowie zu digitalen Technologien sollten gesetzlich gewährleistet werden. Das Gleiche gilt für die Strafverfolgung; Protokolle und Ermittlungsmethoden sollten ebenfalls einen menschenrechts- und geschlechtergerechten Ansatz berücksichtigen.

Vor allem ist es an der Zeit, die Geschäftsmodelle der Social-Media-Plattformen kritisch zu prüfen. Menschenrechtsstandards gelten auch für diese Plattformen. Transparenz, Klarheit und Zugänglichkeit sollten in ihren Richtlinien und Nutzungsbedingungen sowie in ihren Richtlinien zur Moderation von Inhalten und in ihren Beschwerdemechanismen garantiert sein.

Auch Medienunternehmen kommt eine entscheidende Rolle zu: Die Entwicklung von Sicherheitsrichtlinien, das Angebot von Sicherheitstrainings sowie rechtliche und psychosoziale Unterstützung für Journalistinnen sollten einen festen Bestandteil der Unternehmenskultur bilden. Auch Journalistenverbände, Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft sind gefordert und sollten auf Fälle von Diskriminierung aufmerksam machen, sie dokumentieren, Kampagnen entwerfen und Lobbyarbeit betreiben.

Die massive Online-Belästigung von Journalistinnen muss ein Ende haben.

Silvia Chocarro

Silvia Chocarro

Silvia Chocarro

© Ignacio Monasterio

ist Vorsitzende bei ARTICLE 19, einer globalen Organisation, die sich weltweit für Meinungsfreiheit einsetzt. Sie sitzt im IFEX-Rat (Netzwerk International Freedom of Expression Exchange) und ist Mitglied des Centre for Freedom of Media (University of Sheffield). Zuvor arbeitete sie für Medienentwicklungsgruppen und zwischenstaatliche Organisationen sowie als Journalistin für zahlreiche Medien.

Twitter: @silviachocarro