Horizontalschnitt Fassade Maßstab 1:20 1 2 3 4 5 6
Deckleiste Bambus 10 mm Bambuslaminat auf Stahlrohr | 60/60/6 mm Polycarbonat transparent 10 mm Sonnenschutz ETFE-Membran weiß bzw. TextilScreen schwarz Aussteifung horizontal Edelstahlrohr Ø 33,7 mm Stahlseil diagonal Ø 8,1 mm
Horizontal section through facade scale 1:20 1 2 3 4 5 6 Naturbaustoff als Hightech-Material
Unter den zahlreichen natürlichen Baustoffen nimmt Bambus eine besondere Stellung ein. Er ist als Pflanze nicht anspruchsvoll, wächst schnell – laut Fachleuten bis zu 1 m am Tag –, wächst nach dem Ernten ohne Aussaat von selbst nach und weist Festigkeitswerte auf, die teilweise sogar Stahl übertreffen. Bereits nach drei bis fünf Jahren kann man die Gräser ernten. Es gibt über 1000 Arten. Zufällig hörte ich von einem Riesenbambus in Yunnan im Süden Chinas, und tatsächlich haben wir den Giant-Bambus oder auch Julong-Bambus an der Grenze zu Myanmar gefunden. Die insgesamt 96 Stützen, die aus 30 m langen Rohren herausgeschnitten wurden, bilden nun mit 22 cm Durchmesser am Fußpunkt und 7,40 m Länge die imposante Hauptkonstruktion des Bauwerks. Insektenschutz und Haltbarkeit Zur Haltbarkeit von Bambuskonstruktionen gibt es keine verbindliche Aussagen. In Bali werden laut Auskunft der Einheimischen nach sieben bis zehn Jahren viele Bauteile ausgewechselt oder es wird neu gebaut. Unter Einhaltung bestimmter Regeln lässt sich die Haltbarkeit wesentlich verlängern. Alle bekannten Maßnahmen beruhen auf individueller Erfahrung sowie auf Versuchen. Gegen die größte Gefahr, den Insektenbefall, nützt ein sechswöchiges Bad in einer Borax-Salzlösung. In einigen Gebieten werden die Rohre in den Fluss gelegt, um die Stärke auszuspülen, auf die es die Insekten besonders abgesehen haben. Aber auch Schimmelbefall und Fäulnis kann bei hoher Luftfeuchtigkeit zum Problem werden. Unterschiedlichste Anwendungen wie Behandlungen mit Chemikalien oder Dieselöl, Räuchern in großen Kammern, Kochen der Naturrohre oder Dampfdruckbehandlung sind die bekanntesten Methoden. Wird Bambus geschlagen, bevor die Struktur verfestigt ist, nach dem Einschlag vor der Trocknungsprozedur zu kurz gelagert oder ist das Material von schlechten Wuchs, kann es schnell zu Rissbildungen kommen. Vorteile gegenüber dem Naturrohr bieten die von
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uns entwickelten Laminate – nicht nur wegen ihrer Rissfestigkeit, sondern weil zur Konservierung eine umweltschonende Dampfbehandlung ausreicht. Wir hatten auch die Möglichkeit, mit einer Nanopartikelbeschichtung zu experimentieren. Feinste Siliziumpartikel werden auf die Oberfläche gesprüht und bilden eine unsichtbare Glasschicht. Abblätternde Lackschichten durch Bewitterung oder UV-Strahlung könnten damit der Vergangenheit angehören. Pilotprojekt »Deutsch-Chinesisches Haus« Das »Deutsch-Chinesische Haus« steht als Abschlussprojekt der drei Jahre währenden Kampagne des Auswärtigen Amts »Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung«. Als Künstler eingeladen, schlug ich für die Präsentation Pavillons aus Bambus vor, da ich mit diesem faszinierenden Material seit mehr als zehn Jahren an unterschiedlichsten Rauminstallationen Erfahrungen gesammelt hatte und gemeinsam mit den Ingenieuren Knut Göppert von sbp und Mike Sieder von der TU München innovative Verbindungstechniken weiterentwickeln konnte. Gegen große Vorbehalte – in China gilt Bambus bisher noch als primitives ArmeLeute-Material – setzte sich diese Idee nach und nach durch. Es entstanden fünf unterschiedliche Grundtypen mit insgesamt 22 Einzelbauten, die in fünf chinesischen Wirtschaftsmetropolen für jeweils drei Wochen aufgestellt wurden. Die Tatsache, dass wir von den Veranstaltern in Schanghai als einziger Gemeinschaftspavillon zweier Länder einen so prominenten Platz auf dem Expo-Gelände erhielten, war nicht zuletzt eine Folge dieser guten partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Dennoch brachten die Herausforderungen das Team an die Grenzen des Möglichen: Steht man vor ganz praktischen Fragen eines konkreten Bauvorhabens, können einem selbst die zahlreichen Forschungsinstitute, die sich mit Bambus beschäftigen, nicht weiterhelfen. Ein solches Abenteuer kann man nur mit Erfahrung, empirischen Untersuchungen, einem professionellen Planungsteam und einer gesunden Portion Selbstvertrauen bewältigen. Zu den rein
10 mm bamboo cover strip 60/60/6 mm steel SHS with bamboo laminate 10 mm transparent polycarbonate sheeting white ETFE sunscreen membrane or black textile screen Ø 33.7 mm stainless-steel bracing tube Ø 8.1 mm diagonal steel cable
technischen Fragen, die bei jedem Prototyp auftreten, kamen noch der enorme Zeitdruck von nur sechs Monaten für Planung und Bau sowie die restriktiven Zulassungsverfahren, die die Expo-Organisatoren allen Architekten abforderten und die bei anderen Pavillons so manche Innovation verhinderten. Für Optimierungen war keine Zeit, der Teststand war das Gebäude im Maßstab 1:1 selbst. Uns hat verblüfft, dass ein Land wie China mit reicher Tradition für Bambus über keinerlei Bauspezifikationen oder Genehmigungsgrundlagen für dieses Naturmaterial verfügt, in Europa aber solche Regelungen existieren – ein Paradoxon, das in naher Zukunft für europäische Planer und Firmen von Nutzen sein könnte. Obwohl Bambus aufgrund seiner ex trem harten Oberflächen auch ohne Zusatzmaßnahmen über hervorragende natürliche Brandschutzeigenschaften verfügt, mussten alle Materialien zusätzlich mit einem Brandschutzlack beschichtet werden. Zu unserem Erstaunen haben die Leimbinder zunächst den Brandschutztest nicht bestanden. Der Grund lag jedoch bei der ausführenden Firma, die versehentlich einen besonders gut brennbaren Leim verwendet hatte. Letztlich konnten wir als Team aus zahlreichen Firmen, Planern und Hochschulen in Deutschland und China viele Innovationen durchsetzen: neuartige Verbindungsknoten und Anschlüsse für die Bambusrohre, Fassadenelemente aus Bambus-Laminatholmen, die durch ihre facettierten Flächen selbststabilisierend sind, 4 m hohe BambusLeimbinder, die 6,40 m weit spannen und die die 80 m2 große Plattform für Sonderveranstaltungen tragen sowie ein neuer multifunktionaler Möbeltyp, bei dem mit wenigen Handgriffen die Sessel zur Seite gekippt zu Stehtischen werden und die aufeinander gestellten Hocker zum Rednerpult; so lässt sich die Lounge in einen Vortragsraum oder eine freie Plattform verwandeln, ohne dass ein Möbellager erforderlich wäre. Nach der Expo wanderte das »Deutsch-Chinesische Haus« ins Museumsviertel in Hangzhou – als Nachbar von Museumbauten von Herzog & de Meuron, Steven Holl und David Chipperfield. Markus Heinsdorff