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Umgebaute Bauernhäuser im Allgäu

gewidmet Doris Riedmiller

Vorwort

„Ich setzte mich eine Zeitlang hinein in dieses gemauerte Gehäuse. Draußen vor dem winzigen Fenster trieben die Schneeflocken vorbei, und bald kam es mir vor, als b efände ich mich in einem Kahn auf der Fahrt und überquerte ein großes Wasser. Der feuchte Kalkgeruch ve rwandelte sich in Seeluft; ich spürte den Zug des Fahrtwinds an der Stirn und das Schwanken des Bodens unter meinen Füßen und überließ mich der Vorstellung einer Schiffsreise aus dem überschwemmten Gebirge hinaus.“

Der Schriftsteller W. G. Sebald beschreibt mit diesen Worten in seinem Buch „Schwindel. Gefühle“ in der Geschichte „Il Ritorno in Patria“ sehr poetisch ein Raumgefäß in der Nähe seines Geburtsortes Wertach und transportiert ein Stimmungsbild unserer Allgäuer Kulturlandschaft, die jahrhundertelang maßgeblich durch ihre Bauwerke mitgeformt wurde, zumeist durch Höfe und Stadel. Sebald verließ das Allgäu in jungen Jahren und wanderte später nach England aus, thematisierte in seinen Werken aber immer wieder die prägenden Erinne rungen an seinen Herkunftsort. Der seit der Mitte des 20. Jahrhunderts fortschreitende Wandel in der Landwirtschaft zwingt uns faktisch zum Nachdenken über den Umgang mit und die Zukunft dieser prägenden Bausubstanz. Die Frage nach dem „Sollen wir überhaupt weiternutzen?“ sollte sicherlich mit einem „In jedem Fall!“ beantwortet werden, die Frage nach dem „Wie weiternutzen?“ bietet indes eine Fülle an Optionen, die nicht immer von einem tieferen Verständnis für den Bestand getragen sind. Genau dies war für das architekturforum allgäu der eigentliche Anlass zu vorliegender Publikation. Dazu wurde im Jahr 2019 ein interner Arbeitskreis ins Leben gerufen, der sich auf die Suche nach beispielhaften Projekten im ganzen Allgäu gemacht hat. Aus über hundert ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäuden traf eine unabhängige Fachjury – bestehend aus dem verantwortlichen Redakteur des „Bauberaters“ beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, Bernhard Landbrecht, dem Augsburger Architekturprofessor

Wolfgang Huß und dem Vorarlberger Architekten DiplomIngenieur Walter Felder – die Auswahl der 19 im Buch gezeigten Projekte. Diese wurden intensiv von Studierenden des Masterstudiengangs der Hochschule Augsburg unter die Lupe genommen, die nach ausführlichen Analysen auch einheitliche Planunterlagen dazu erarbeitet haben.

Die Projekte werden einzeln in Bild, Text und Plan vorgestellt. Dabei werden unterschiedliche Fragestellungen und Lösungswege deutlich, die nicht zuletzt mit den zahlreichen Variationen des Haustyps zusammenhängen. Diese Vielgestalt wird im Gespräch mit Anton Hohenadl, dem ehemaligen Kreisbaumeister des Ostallgäus, Dr. Bernhard Niethammer, dem Leiter des Schwä bischen Bauernhofmuseums Illerbeuren, und Franz Vogler als Architekt und Hausforscher thematisiert.

Durchaus ernst genommen wird die Frage, wieso diese Bauten, die ihrem bäuerlichen Zweck kaum mehr genügen, überhaupt zu erhalten seien: Das Gespräch mit der Architektin Martina Buchs, der Historikerin Dr. Veronika Heilmannseder und dem Landschaftsarchitekten Philip Sodeur sucht darauf Antworten.

Ganz praktische Fragen, die sich stellen, wenn man sich mit dem Umbau eines solchen Hauses befasst, beantwortet Wolfgang Huß, Architekt und Professor an der Hochschule Augsburg.

Verfasser der Hausgeschichten ist Florian Aicher, der auch die beiden begleitenden Gespräche geführt hat. Ins Bild gesetzt wurden die meisten Objekte von Hermann Rupp, neben Rainer Retzlaff und Nicolas Felder. Die Gestaltung des Buches lag in den Händen von Nicola Reiter. Ein ganz herzlicher Dank gilt dem Arbeitskreis aus den Reihen des architekturforum allgäu für seinen großen ehren amtlichen Einsatz.

Allen, denen das Allgäu und seine früher identitätsstiftende Baukultur am Herzen liegt, sei dieses Buch empfohlen.

Franz G. Schröck

im Namen des architekturforum allgäu

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19 1 16 16 07 7

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Kempten Isny Wangen Oberstaufen

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Memmingen Kaufbeuren Bodensee

Wertach Iller Argen Lech

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Oberstdorf

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Die ausgewählten Projekte

01 Görisried / Vom Segen der Gelassenheit in zweiter Reihe

02 Halblech / Bauenmüssen und Wohnenlassen als Lebenskunst

03 Nesselwang / Wo das Ferienhaus im eigenen Haus möglich wird

04 Pfronten / Ein Ort aus ländlicher Gunstlage und Geschichtsraum

05 Wald / Wenn ein Hausbau neue Maßstäbe setzt

06 Unterthingau / Platz für einen Hidden Champion in jeder Dorfmitte

07 Buchenberg / Zusammenspiel und Planung helfen bei Überraschung

08 Kempten / Ausgelassen feiern, wo einst hart gearbeitet wurde

09 Immenstadt / Kraft des Naheliegenden und geglückte Fügung

10 Immenstadt / Analog erneuern heißt weiterbauen statt gegensetzen

11 Immenstadt / Wenn der Baufortschritt mit der Eisenbahn kommt

12 Bolsterlang / Fließender Raum zwischen dichtem Dorf und weitem Land

13 Obermaiselstein / Neue Interessen bringen neues Leben ins alte Haus

14 Oberstdorf / Wie die Ortsgeschichte zu Hausgeschichte wird

15 Heimenkirch / Wenn Bescheidenheit sich als Glücksfall erweist

16 Arnach / Mit Stahl und Glas alten Stallgeruch austreiben

17 Bad Grönenbach / Wenn Umbau auf Umbau auf Umbau aufbaut

18 Türkheim / Zwanglosigkeit des Landes trifft Reichtum der Stadt

19 Pleß / Ein Haus wird zur gebauten Dorfgemeinschaft

S.16 S.24 S.32 S.40 S.50 S.58 S.66 S.74 S.84 S.92 S.100 S.108 S.116 S.124 S.134 S.142 S.152 S.160 S.168

Legende flach hügelig voralpin hochalpin

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05 – 08 Projekte

Wald / Wenn ein Hausbau neue Maßstäbe setzt

Bauherren Prof. Dr. Ben Bachmair und Angela Bachmair Architekturbüro Sabine Pfister, InterQuality Architekten, Augsburg

Ursprungsbau Mitte 18. Jahrhundert Fertigstellung Umbau 1996 Standort 87616 Wald Lage Ortsrand

Das lang gestreckte Bauernhaus mit flach geneigtem Dach zeigt die typische Gliederung in Stadel und Tenne, Stall, Flur und Wohnräume. Da bäuerliche Arbeit vor dem Haus entfällt, reicht die Wiese bis zur Haustür.

Ein Winternachmittag, wie er im Buche steht. Tief stehende Sonne, in der Ferne immer wieder Gipfel des Allgäuer- oder Ammergebirges, enge Ortsdurchfahrten und weites Feld, einige Schneewehen über den Straßen, und dann doch ankommen. Eine nicht ganz einfache Anreise, nachdem Telefon und Internet tagelang ausgefallen waren und das Handy nur an ausgewählten Orten empfängt.

In scharfem Winkel geht der Weg von der Hauptstraße ab, und nochmals fragt man sich, ob man richtig ist, bis klar wird: Dies ist die lange Zufahrt zum gesuchten Haus, einem niedrigen Allgäuer Bauernhaus mit sehr flachem Dach, an dem der Wandel der Landwirtschaft der letzten 250 Jahre vorübergegangen ist.

Die Wand aus Feldsteinen trennt den Wohnteil vom Stall. Mit runderneuertem Boden und neuer Decke ist der alte Stall heute Studio, Werkstatt und behaglicher Rückzugsraum gleichermaßen.

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„Man hört die Ruhe, das richtig Eingehängte, die wohlbekannte Kameradschaft der Dinge“, so hat Ernst Bloch den Besuch eines bayerischen Bauernhauses in den 1920er-Jahren beschrieben.

Der Eindruck des Ursprünglichen bestätigt sich beim Betreten des Hauses: Die Dielen des Flurs haben viele Füße gesehen. Das steigert sich in der Stube: Ein regelrechtes Wellenmeer führen die breiten Dielen hier auf. „,Da hat der Vater uns das Tanzen in genagelten Schuhen beigebracht.‘ So hat es mir einer der letzten Bewohner des Hauses, der hier aufwuchs, erzählt“, so die Journalistin Angela Bachmair, die mit ihrem Mann, Professor für Medien, seit 27 Jahren hier wohnt. „Die Hausführung macht Ben“, meint sie und so beginnen wir im Westen mit der Scheune.

Der aufgeräumte, doch nicht weiter ausgebaute Raum bis unters Dach zeigt eine gebeilte, mit überblatte ten Kopfbändern gefügte Konstruktion, die vielfach ergänzt, erneuert und ausgeglichen werden musste, um das heutige Dach mit neuen Sparren, Unterdach und harter Deckung plan und dicht zu bekommen. In der ehemaligen Sattelkammer hat der Hausherr, der im Ruhestand Imker geworden ist, seine Utensilien für die Bienenarbeit untergebracht. An der Nordwand hängen seine und der Enkelkinder Bilder.

Zum Wohnraum hin, in dieses Volumen eingestellt, schließt der Stall an, in vorliegender Form wohl aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, gemauert und mit einer Holzbalkendecke versehen. Der ist seit erst rund zehn

← Dafür geben manche viel Geld aus – diese „Skulptur“ entstand aus handwerklichem Können, einfachem Bauschmuck und deutlichen Spuren von Gebrauch. Technische Perfektion hat hier nichts verloren.

Gemäß dem Motto, dass jede Veränderung, die keine Verbesserung ist, eine Verschlechterung darstellt, wurde erhalten, was sich bewährt hat; so auch die offene Elektroinstallation –eine der ersten in einem Bauernhaus in der Gegend.

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7 10

Grundrisse Umbau

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Erdgeschoss 1 Fletz 2 Stube 3 Küche 4 Austrag 5 Waschküche 6 Stall 7 Scheune

4 5 4

3 3

2 2

Erdgeschoss 1 Fletz 2 Stube 3 Küche 4 Speisekammer 5 Bad 6 Wohn- und Arbeitsatelier 7 Scheune 8 Imkerei 9 Abstellraum 10 Gerätschaftsscheune

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Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2–3 Kammer 4 Hühnerstall 5 Abort 6 Heustadel 7 Tenne

5 2 2

Obergeschoss 1 Schlafzimmer 2 Arbeitszimmer 3 Schlafzimmer 4 WC 5–6 Abstellraum 7 Sauna

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53 Grundrisse Bestand

Ansichten Umbau

Ost Ost

Schnitte Bestand

Schnitte Umbau

Detailzeichnungen historisches Fenster

1 Holzladen 2 herausnehmbare Zusatzverglasung 3 Fenster Montagevorrichtung 4 historische Sprossenfenster 5 Öffnungsflügel

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4 5

5 4 2

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Süd Süd Ansichten Bestand
1

Der Flur im Obergeschoss – ein Ständerbohlenbau mit verputzten Außenwänden auf den Erdgeschosswänden aus Feldstein. Am Ende des Flurs ging es einst rechts in den Hühnerstall.

„Es gibt mehrere Lieblingsplätze. Das ist einmal die Stube und dort der alte Kachelofen sowie der große Esstisch. Ein weiterer Lieblingsplatz ist der sanierte Stall, den wir intensiv für handwerkliche und musische Hobbys nutzen.

Vor dem Haus an der Südseite steht im Windschatten eine Sitzgruppe zum Kaffeetrinken.“

[Angela

Jahren begehbar, nachdem der Zustand des hölzernen Unterbaus eine Komplettsanierung erzwang – die Standsicherheit der flankierenden Wände war gefährdet. Die Nordwand wurde mit Dämmziegeln erneuert, die Natursteinwand zum Wohnteil mit neuem Fundament gesichert, ein neuer Dielenboden schwimmend im Kiesbett verlegt.

Erstaunlich die Wand zum Wohnteil: auf ganzer Länge, bis zur Decke einen halben Meter Naturstein. Das Staunen nimmt zu, wenn man feststellt, dass die hinteren Räume, Küche und Kammer, gleichfalls von Natursteinwänden gefasst sind. Was für Ben Bachmair nur den Schluss zulässt, hier handle es sich um den ältesten Kern des Hauses, einem der drei Häuser des vermutlich vor 500 Jahren gegründeten Weilers. Die heutige Größe des Wohnhauses verdanke sich einer Erweiterung um 1750: die Stube als Ständerbohlenbau.

Die Nutzung des Wohnteils ist im Grunde gleich geblieben – Stube und Küche im Erdgeschoss, drei Schlafräume im Obergeschoss. Lediglich die eine Kammer im Erdgeschoss wurde zum Bad und das Plumpsklo zum WC. Wer allerdings das Haus aus der Zeit des Kaufs 1995 noch vor Augen hat, kann den Wandel kaum glauben: Jahrzehnte war das Haus von der Witwe des Bauern alleine bewohnt worden und glich mit undichtem Dach und herabfallendem Putz einer Ruine.

Die einzelnen Maßnahmen aufzuzählen, wäre uferlos. Prinzipiell wurde neu eingebaut, was heutiger Standard gebietet: Heizung (Gas), Wandtemperierung, sanitäre und elektrische Installation, Bad mit Fußbodenheizung.

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Immenstadt / Kraft des Naheliegenden und geglückte Fügung

Bauherr Prof. Peter Tausch

Architekten tausch architekten, München / Immenstadt

Ursprungsbau ca. 1763 Fertigstellung Umbau 2012 Standort 87509 Immenstadt

Lage Ortsrand

„Alles Köstliche kommt uns nur durch Zufall zu.“ Nicht nur der Weg, wie Peter Tausch zu dem Anwesen in Freundpolz fand, sondern auch, wie mancher Raum dort zu seiner heutigen Gestalt kam, scheint Ernst Jünger mit diesem Bonmot bezeichnet zu haben. Das erstaunt insofern, als einem Architekten, wie es der Hausherr ist, doch strenge Rationalität zugeschrieben wird.

Gut ein halbes Leben ist es her, dass es den Wahlmünchner für einige Jahre für die Ferien zu einem Freund in die Nachbarschaft verschlug. Verständlich angesichts des großartigen Panoramas, das die kleinen Weiler auf dem letzten Sonnenhang gegenüber dem Austritt des Illertals hinüber in die Berge bieten! Auf Jahre der Abstinenz folgten immer wieder Besuche in dieser Gegend, entscheidend war jedoch nach missglücktem Hausprojekt anderswo ein Blick ins Immobilienangebot. Ein dort gelistetes Bauernhaus sollte wenigstens wieder einmal eine Reise ins Allgäu wert sein. Vor Ort war es dann Liebe auf den ersten Blick – der Kauf 2007 ein spontaner Entschluss, den Peter Tausch seither niemals bereut hat.

Ansicht von der Straße, mit der Stube an der nord-östlichen Ecke. Das Bild verdeutlicht einen Vorzug des flachgeneigten alpinen Dachs: Im Winter erreicht das „Dämmpaket“ aus Schnee eine Stärke von gut einem Meter.

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Der vormals geschlossene, mit Blech beschlagene Giebel nach Süden ist heute großzügig mit maßstäblichen Fenstern fürs Atelier geöffnet, die neu konstruierte Wand gedämmt und mit lasierter Schalung versehen.

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Wohl die zentrale Entwurfsidee: Die weite, ehemalige Flurküche ist großzügig nach oben geöffnet und wird zur zentralen Halle. Links die Strickwand der alten Wohnzimmer, rechts ein „moderner“ Strickverband, Vollholzbalken mit Nut und Feder.

Dabei war keineswegs klar, was er da erhielt. Das Haus, direkt an der Straße gelegen, war deutlich in die Jahre gekommen und von den letzten Bewohnern verbaut und unter zahllosen Schichten verborgen worden. „Wegschie ben“, war der häufigste Rat, „was Neues weg von der Straße bauen.“ Was für den Städtebauer mit Blick für Ortsgefüge und Bautyp nie infrage kam.

Das Mitterstallhaus mit einem halben Dutzend Rindern gehört zu den hier üblichen Bauernstellen der Zeit um 1750. Traufseitig wird ein klassischer Küchenflur mit unge wöhnlich breitem Flur erschlossen. Die Stube ist – im Ort kein Einzelfall – nach Nord-Osten orientiert. Der kleine Hackenschopf, die dem Haus vorgelegte Rampe über dem Misthaufen und die Doppelpfette am First sind für die Gegend typisch. Knappe Dachüberstände ließen einen Blockbau vermuten.

Die nun anstehende Bauaufnahme bestätigte dies, als der Kern von zahlreichen Tapeten und Verkleidungen befreit wurde. Die gelagerten Balken werden durch „Allgäuer Klebestützen“ – so der beauftrage Zimmerer –abgesichert. Aussparungen zeigen ältere Korrekturen der Raumhöhe, zahlreiche Ständer belegen Türlichten von kaum 1,70 Meter Höhe. Die Struktur des hangseitigen Schopfs lässt auf eine spätere Erweiterung des Hauskerns schließen. Insgesamt ein baulicher Organismus im Wandel.

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Wechselnde Farbigkeit des Holzes beim Zusammenspiel von Blockwand und neuer Holzkonstruktion von Galerie und Decke zum Dachboden

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3

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Grundrisse Umbau

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10 7

1 1

5 4 5

Erdgeschoss 1 Küche 2 Flur 3 Bad 4 Abort 5–6 Zimmer 7 Scheune 8 Klärgrube 9 Werkstatt

6 6

Erdgeschoss 1 Flurküche 2 Lager 3 Werkstatt 4 Bad 5 Flur 6 Wohnen 7 Bad 8 Einliegerwohnung 9 Pellets 10 Lager/Heizung

Ansichten Bestand

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7 4

1 1 5

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6 2

5 3

Obergeschoss 1 Küche 2 Flur 3 Abort 4–5 Zimmer 6 Speicher

Obergeschoss 1 Galerie 2–3 Schlafzimmer 4 Bad 5 Wohnatelier 6 Atelier 7 Terrasse

87 Grundrisse Bestand
OstWestSüd

Immenstadt / Wenn der Baufortschritt mit der Eisenbahn kommt

Bauherrin Buddhistische Gemeinde (Buddhismus Stiftung Diamantweg)

Architekten Dietrich Untertrifaller Architekten, Bregenz, mit Roland Gnaiger Ursprungsbau um 1910 Fertigstellung Umbau 2015 Standort 87509 Immenstadt Lage Alleinlage

Blick über den Garten des Herrenhauses auf das mächtige Ökonomiegebäude, das heute der (Ver-)Sammlung dient, und auf den Gästetrakt; davor der Gartenpavillon des Herrenhauses

Gut Hochreute ist heute ein spirituelles Begegnungszentrum. Die Hofanlage war bereits zur Zeit ihrer Entstehung um 1910 landwirtschaftlichen Reformideen verpflichtet; Kultur und Natur sollten nach den Vorstellungen eines Augsburger Textilunternehmers mit der Selbs tversorgungsanlage eine neue Einheit eingehen. Während die Wohnhäuser vom Jugendstil geprägt sind, herrscht bei den Betriebsbauten technische Rationalität bei höchstem Qualitätsstandard vor. Bis zu 150, meist

Speisesaal im ehemaligen Stallbereich wird als Treffpunkt

gemeinsamen Mahlzeiten, Aus tausch, Besprechungen, Filmabenden, Kinderspiel, Partys multifunktional intensiv genutzt.“

[Buddhistische Gemeinde]

Das Erdgeschoss, einst Stall für drei Dutzend Rinder, ein Dutzend Rösser und Dutzende von Schweinen, ist heute moderner Gast- und Speisebereich mit rund 150 Plätzen inklusive Bar, Großküche und Foyer.

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„Der
zu

Der mächtige alte Giebel mit traditioneller Biberschwanzdeckung, Ochsenauge und Lüftungstürmchen verträgt den neuen Aufzugsturm und die moderne Glasfassade sowie die ornamentale Zahnleiste der Holzschalung.

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Das weit ausladende Vordach dank damals neuartiger Holzkonstruktion schafft einen geschützten Raum, der selbstverständlich zur Freischankfläche und Erweiterung des Gastraums wird. Die Kastanien tun das ihre.

italienische Baufachkräfte, setzten auf der Baustelle diesen Standard ins Werk.

Das Ökonomiegebäude mit seinem mächtigen Satteldach mit Ochsenaugen und symmetrisch gesetzten Türmchen war bei Fertigstellung 1913 technisch auf der Höhe der Zeit. Im gemauerten Erdgeschoss befanden sich die Stallungen, die über die Türme entlüftet wurden. Darüber lag der gewaltige Bergeraum – die wegweisende Holzkonstruktion ergab eine stützenfreie Fläche von 550 Quadratmetern. Die Zangenkonstruktion mit geschraubten Knoten knüpft an den Ingenieurholz bau seiner Zeit an. Noch nach 100 Jahren ein Gewinn: Für die Sanierung ließ sich der Dachstuhl problemlos zerlegen, ergänzen und wieder baugleich errichten.

Blick aus dem Herrenhaus auf den Ökonomiebau kurz nach der Fertigstellung um 1910. Ohne Einpflanzung wird die ganze Dimension des Gebäudes deutlich.

Rationale Landwirtschaft: Platz für ein Dutzend Rösser, drei Dutzend Rinder, Schweine und Hühner, dazwischen Hauschinde zur Verteilung des Futters mit Raum für Schweizer und Melkgeschirr

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7 3 4 2

Erdgeschoss 1 Foyer 2 Windfang 3 Küche 4 Foyer 5 Fluchttreppenhaus 6 Aufenthalts- /Essbereich 7 Treppenhaus

5 6

1 1 2 3 44

Obergeschoss 1 Treppenhaus 2 Fluchttreppenhaus 3 Gebetsraum (Gompa) 4 Nebenräume

Ansichten Bestand

Nord Ost

103 Grundrisse Umbau

Schnitt BestandSchnitt Umbau

Detailzeichnung

Fassadenschnitt Nord

Dachaufbau

1 Ziegeldeckung (Biberschwanz) 2 Lattung/ Konterlattung 3 Dachbahn 4 Zwischensparrendämmung 5 Unterdachdämmung, Dampfbremse 6 Installationsebene 7 Holzschalung, akustisch wirksam Außenwandaufbau

8 Holzschalung auf Kreuzlattung 9 Dämmung zwischen und auf Holztragwerk 10 Installationsebene 11 Holztäferung Deckenaufbau

12 Holzdielen mit Trittschalldämmung

13 Stahlbetondeckenplatte 14 Gipskartonplatte auf Unterkonstruktion Bodenaufbau

15 Bodenbelag 16 Schwimmender Estrich 17 Dämmung auf Schweißbahn 18 Stahlbetonbodenplatte

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

104 Nord
Ansichten Umbau
Ost

Ein wahrer Kirchenraum, gebaut für nichts als Heu! Ein Beispiel frühen Ingenieurholzbaus mit Zangenkonstruktion und Schraubenbolzen erlaubt ungekannte Stützenfreiheit. Dem beeindruckenden Tragwerk antwortet der Eichenboden.

Das Gebäude wurde ab 2013 komplett umgebaut. Im Erdgeschoss befinden sich nun Foyer, Speisesaal und zentrale Küche. Großzügige Räume, fallweise eine raumhoch verglaste Fassade und ein moderner Innenausbau mit Holz gehen mit den sichtbar belassenen Ziegelwänden des Altbaus eine spannungsreiche Komposition von historischer Vielschichtigkeit ein. Die dem Speisesaal vorgelagerte Terrasse ergänzt den Raum mit weitem Vordach und dem Blätterdach 100-jähriger Kastanien. Mit dem gegenüberliegenden Herrenhaus und den Seitenbauten ergibt sich ein großzügiger, introvertierter Hof, der durch die Bergkette der ansteigenden Nagelfluhkette über den Dächern seinen Abschluss findet.

Das Obergeschoss als eindrucksvollen Raum mit seinem Dachstuhl bis unter den First als Einheit zu erhalten, stellte dagegen die eigentliche Herausforderung dar. Mit einem Meditationsraum, „Gompa“ genannt, ist das geglückt – dem Erhabenen des neuen Inhalts entspricht die historische Form dieser landwirtschaftlichen Kathedrale.

Dank des großzügig verglasten Anbaus, in dem die Fluchttreppen untergebracht sind, konnte der Raum in seiner Gesamtheit erhalten bleiben – möglich geworden durch die zielorientierte Kooperation der Behörden.

Blick aus einem der Gästezimmer auf den neu verschalten Giebel mit Fensterschlitzen im Maß der Deckbretter. Eine Pergola verlängert den südlichen Vorraum des Gebäudes bis zum Schlaftrakt.

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Bauherr Martin Weber

Architekt Philip Lutz, Ludescher+Lutz Architekten, Bregenz Ursprungsbau um 1880 Fertigstellung Umbau 2011 Standort 88178 Markt Heimenkirch Lage freistehend

Heimenkirch / Wenn Bescheidenheit sich als Glücksfall erweist

Zweischalige Hülle: Nach Westen und Süden sind dem Kern des Hauses wettergeschützte Außenräume vorgelagert, die mit ihrer Reduktion auf Dreieck und liegendes Rechteck auf die Geometrie der Moderne anspielen.

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Das kleine Bauernhaus in ursprünglicher Form mit typischer Gliederung, bevor es mehrfach umgestaltet wurde: bescheidene, eingeschossige Anlage mit Kehrgiebel

Beim Stichwort Allgäuer Bauernhaus denkt man gewöhnlich an ein großes Gebäude unter steilem Dach mit reichlich Stall, großem Bergeraum und Wiederkehr mit Hocheinfahrt. Doch nur wohlhabende Bauern konnten sich dergleichen leisten; der gewöhnliche Bauer musste mit weniger auskommen.

Eine solche bescheidene Bauernstelle war dieses Haus. Vor 130 Jahren errichtet, freistehend inmitten der eigenen Wirtschaftsfläche für die Bauernfamilie, vier Kühe, ein Pferd. Wohnhaus und Stall waren gemauert, der Wirtschaftsteil mit Tenne und Bergeraum als Fachwerk gezimmert, darüber das durchgehende Dach. Das einge schossige Haus wurde bis unters Dach bewohnt. Noch heute bezeugen alte Hochstämme den einst großen Obstgarten ums Haus, davor lag der Gemüsegarten. Seit Langem schon wurde die Landwirtschaft aufgegeben und das Haus nur noch als Wohnhaus genutzt.

Mit steigenden Ansprüchen wurde es eng. Man überlegte, den Wirtschaftsraum auszubauen, doch die Sanierung stand in keinem Verhältnis zum Nutzen. Also Neubau. Doch einen kompletten Neubau wollte die Behörde nicht genehmigen. So fand man mit dem Bauamt in Lindau einen Kompromiss, der im Grunde auch der Neigung der Bauherren entsprach: Das gemauerte Wohnhaus blieb erhalten und wurde mit der Hingabe eines Hausliebhabers saniert; den Wirtschaftsteil ersetzt ein Neubau. Das durchgehende Dach fasst beide zusammen – nunmehr mit einer großen Schleppgaube für die Dachräume.

Die Veranda auf der Südseite bildet einen stützenfreien Rahmen, der mithilfe einer verdeckten Stahlkonstruktion in der Waage gehalten wird. Einige Stufen trennen den Eingangsbereich vom höheren Wohnteil.

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Der kräftige Rahmen der Stahlkonstruktion erlaubt einen freien Grundriss im Erdgeschoss des Wohnraums, der den ehemaligen Wirtschaftsteil ersetzt. Der weite Außenbereich liegt wenige Stufen tiefer.

Um- und Neubau wurden durch den Architekten Philip Lutz aus Bregenz begleitet. Viel wurde auf der Baustelle entwickelt, das Zusammenspiel von Bauherrschaft und Architekt reichte bis zu kleinen Details. Noch heute ist man sich freundschaftlich verbunden.

Auf einem betonierten Keller entstand eine reine Holzständerkonstruktion – lediglich einmal durch eine Betonscheibe und eine sparsame Stahlkonstruktion unterstützt. Angestrebt wurde ein offener Raum. Und mit dem Umbau des Hauses wurde die Chance genutzt, zwei eigene Wohnbereiche – einen für die Kinder, den anderen für die Eltern – zu schaffen, miteinander verbunden über je eine Stiege. Bei Bedarf lässt sich so das Haus in zwei eigenständige Wohnungen teilen. Damit ist ein Problem vieler Einfamilienhäuser elegant gelöst – Vorsorge für die Zeit, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

Eine ausgeprägte Vorzone verbindet die Gebäudeteile. Das Dach schleppt sich auf gesamter Gebäudelänge flach ab; nach Süden entsteht so ein etwa 1,5 Meter tiefer gedeckter Rahmen, Zugang, Stellplatz und großzügige Veranda in einem. So kann der neue, raumhoch verglaste Wohnraum ganz auf Sonnenschutz verzichten. Dagegen geben sich die Ost- und Nordseite des Hauses geschlossen, verschalt mit rustikalen, naturbelassenen Schwartlingen, die witterungsbedingt vergrauen und das Haus samt grauer Dachdeckung ganz selbstverständlich in die Landschaft integrieren.

Klar gegliedert: Der Konstruktion der großzügigen Veranda ist eine Zone üppigster Blütenpracht vorgelagert, bevor der Blick über die Allgäuer Wiesen zum Nachbarn und hinüber zum Wald schweift.

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Kellergeschoss ca.1880 1 Vorrat

Grundrisse Umbau

4 1 1 2 4

Kellergeschoss 1 Vorrat 2 Kellerräume

Ansichten Bestand

Süd ca.1990

Ansichten Umbau

Süd

Erdgeschoss ca.1880 1 Stall / Tenne 2 Flur 3–4 Stubenzimmer

Ost ca.1990 Ost

2 2

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Erdgeschoss 1 Essen/Küche/Wohnen 2 Flur 3–4 Stubenzimmer

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Obergeschoss ca.1880 1 Stall / Tenne 2 Flur 3 Stubenzimmer 4 Kinderzimmer 5 1880 eine Wiederkehr, 1990 zwei Wiederkehre

3

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1 1 2 3 4 5 6 7

4 1 1

Obergeschoss 1 Flur 2 Badezimmer 3–4 Stubenzimmer 5 Fitness 6 Bad 7 Schlafzimmer 8 Ankleide 9 Flur

Nord ca.1990 Nord

137 Grundrisse Bestand

07 Buchenberg S.66

08 Kempten S.74

09 Immenstadt S.84

10 Immenstadt S.92

11 Immenstadt S.100

12 Bolsterlang S.108

13 Obermaiselstein S.116

Wohnhaus, ehemalige Stallung

1 Wohnung, 4 Ferienwohnungen, Gastronomie

267m² 330m² 19°/30° 13,9×10,5m 11,9×17,9m

217m² 810m² 34° 26,3×14,2m 12,7×12,7m

2 Wohnungen, Garage 280m² 87m² 21° 17×14m 9,5×14m

14 Wohnungen

Pelletkessel, zentraler Ofen, Kachelofen

Heizkörper, Kachelofen (still)

Brennwertkessel Erdgas, Solarthermie

Heizkörper, Deckenheizung, Fußbodenheizung

Pelletkessel, Holzofen

Heizkörper

1010m² 240m² 30° 35,5×14,5m 12,7×14,5m Gastherme Heizkörper

Tagungszentrum 1170 + 360m² 45° 52,5×18,5m (Gesamtgebäude) Hackschnitzel, Geothermie

3 Wohneinheiten, Garage 144+379m² 172m² 18° 20,1×17,2m 9,2×9,2m Pelletkessel, Kachelofen

3 Wohnungen, Lager 347m² 204m² 18° 21,1×16,6m 9,2×9,4m Pelletkessel, Kachelofen

keine Angabe

Wandtemperierung mit Kupferheizrohren, Kachelofen

Fußbodenheizung

178

14 Oberstdorf S.124

15 Heimenkirch S.134

16 Arnach S.142

17 Bad Grönenbach S.152

18 Türkheim S.160

19 Pleß S.168

Einfamilienhaus, Gästebereich, Lager

307m² 136m² 18° 26,6×13,4m 14,4×13,4m Holzofen, Ölheizung

2 Wohnungen, Keller 210m² 77m² 45° 20×10,3m 7×8,8m

Heizkörper

Wärmepumpe mit Erdsonden, Solar kollektoren, Photovoltaikelemente

Fußbodenheizung, Kaminofen

Gemeindehaus 510m² 51° 19,9×11m 11,2×11m Gasheizung

Wohnung, Garage 410m² 640m² 45° 27,1×10,5m 7,6×15m Pelletkessel, Holzofen, Solarthermie

Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung

Fort- und Weiterbildungszentrum für Musik

Bauaufgabe Bestand Umbau Ersatz Nutzung

Nutzungseinheiten

263+70m² 331+98m² 45° 11×14,2m (Gesamtgebäude)

441m² 253m² 53° 21,4×19,1m (Gesamtgebäude)

Flächen Wohnfläche sonstige Nutzfläche

Dachneigung

Giebelansicht l ×b Gesamtgebäude ehem.Wohnteil

Beheizte Räume ehem.Stallteil

Anpassung Raumhöhen ehem.Wohnteil

Nachrüstung Wärmedämmung ehem.Wohnteil

Fenster ehem.Wohnteil

Erdgas

Fußbodenheizung, Heizkörper

Heizkörper, Fußbodenheizung, Kachelofen

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Fußbodenheizung

Nahwärmenetz

Fußbodenheizung, Heizkörper

Wärmeerzeugung

Wärmeübergabe

Album
01 02 03
05 06 07

Legende Album Album

01 Kapelle „Unsere Liebe Frau im Burgweg“, im Hintergrund Projekt 04 Pfronten, Foto Dr. Hubert Kindlert

02 Hof Haggenmüller bei Altusried (Archiv Alois Kracker, Altusried)

03 Ort unbekannt, evtl. Reinhardsried (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

04 Anwesen Diepolder, Einöde, 1927 (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

05 Hauptmannsgreut, vermutlich 1950 er-Jahre (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

06 Projekt 03 Nesselwang, Familienfoto 1938 (Archiv Martin Kopp)

07 Hof mit zugehörigem Grundbesitz in der Ajen, Hirschdorf bei Kempten, Zeichnung 1868

08 Hof Riedschneider bei Zadels, Ronsberg (Archiv Familie Schröck, Kempten)

09 Ort unbekannt, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

10 Ort unbekannt, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

11 Projekt 03 Nesselwang, Hochzeitsfoto (Archiv Martin Kopp)

12 Einödhöfe zwischen Wiggensbach und Altusried, 1928 (Foto Michael Haggenmüller)

13 Beim Schreiner in Winnings, Wiggensbach, um 1914 / 15 (Archiv Alois Kracker, Altusried)

14 Projekt 04 Pfronten, mit Kapelle „Unsere Liebe Frau im Burgweg“, Foto Eberle Verlag, Alt-Pfrontener-Photoalbum Bilder von den Anfängen der Photographie bis 1930, Pfronten 1984

15 Projekt 03 Nesselwang, Foto Albert Haug, Gschwend, 1981 16 Ort unbekannt (Archiv Alois Kracker, Altusried) 17 Herkunft unbekannt 18 Ort unbekannt, Sennerei, Postkarte (Archiv Familie Reiter, Wildpoldsried)

19 Hof Buchenbrunn bei Markt Rettenbach (Archiv Familie Schröck, Kempten) 20 „Gruß aus Blockwiesen“, Postkarte (Archiv Roland Rasemann, Leutkirch) 21 Projekt 03 Nesselwang, Klaus Jäger, Kaufbeuren (Archiv Martin Kopp) 22 Ort unbekannt (Archiv Roland Rasemann, Leutkirch) 23 Umbau eines Anwesens in Urlau, ca. 1905 (Archiv Christian Skrodzki, Leutkirch)

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Variation eines Typs –das Allgäu-Haus

Ja, das gibt es: das Allgäu-Haus. Die Literatur der Hausforschung kennt diesen Begriff.

Indes ist es gar nicht einfach, diesen Begriff mit den in dieser Region verbreiteten Hausformen zur Deckung zu bringen – zumal bereits die Region selbst kaum zu f assen ist. Hinzu kommt der Wandel des bäuerlichen Tuns und Bauens im Lauf der vergangenen 500 Jahre. Im Folgenden ein Gespräch auf der Suche nach einem Typ.

oder West-Ost-Richtung verlaufen. Diese regelmäßige Ausrichtung von West nach Ost ergibt eine eigene kulturlandschaftliche Prägung und macht den Unterschied zum Schwäbischen, wo sich die Wohnteile an der Straße gegenüberstehen.

Am 11. Januar 2022 trafen sich Florian Aicher (FA ), Anton Hohenadl (AH ), Bernhard Niethammer (BN ) und Franz Vogler (FV ) im Bauernhofmuseum Illerbeuren zu einem Gespräch.

FA 25 Jahre ist es her, dass sich das nahe Rotisforum das Thema Allgäu-Haus vorgenommen hat. Franz Vogler, du erinnerst dich?

FV Gewiss! Das Wort hatte etwas Schlagwortartiges für etwas, das niemand recht anpacken wollte – das Bauen dieser Region. Es wurde freilich bald klar, dass ein Wort für die Vielfalt der Hauslandschaft dieser Region nicht reicht.

FA Schließt das aus, dass es Merkmale gibt, die den historischen Bauernhäusern des bayerischen und schwä bischen Allgäus gemeinsam sind? Welche könnten das sein?

FV Zunächst: Es wurde mit Holz gebaut. Im schneereichen Oberallgäu mit flachen Dächern und verschindelten Wänden, im Unterallgäu mit steilen, strohgedeckten Dächern und Ständerbohlenwänden. Konstruktiv domi nierte Holz.

AH Dazu kommt, dass alles unter einem Dach zusammengefasst war: Mensch und Vieh, Wohnen und Arbeiten, Maschinen und Vorratshaltung. Wir sprechen vom Einfirst haus.

Weiter gilt als übergeordnetes Merkmal die Orientierung an Klima und Wetter. Eine kleinklimatische Schichtungsfolge von Westen mit Heustock, mittig gelegenem Stall und Tenne schließt im Osten mit dem Wohnteil ab. Das ist so in den Dörfern wie in den Einzelgehöften. Dabei ist es unerheblich, ob die Straßen in Nord-Süd-

Das Bauernhaus im Tageslauf der Sonne und der Hauptrichtung von Wind und Wetter

FV Diese grundlegende Anordnung wird jedoch immer modifiziert durch die Topografie oder die Dichte der geschlossenen Siedlungen. Das Beispiel Oberstdorf zeigt, wie im alten Ortskern diese Orientierung auch unter dem Druck der Erbteilung aufbricht.

FA Ist man dagegen über Land unterwegs, so ist man selbst in dichtestem Nebel über die Himmelsrichtung orientiert, sobald ein Bauernhof in Sicht kommt.

FV Es liegt nahe, dass die Bauten sich von den vorherr schenden Nord- bzw. Westwinden abwenden – schon die 6000 Jahre alten Bauten am Federsee zeigen das. Ebenso logisch, wenn auch nicht so alt, ist das Raumgefüge auf der Ostseite des Hauses. Zur Morgensonne, an der Süd-Ost-Ecke des Hauses, liegt die helle Stube, an der Nord-Ost-Ecke der elterliche Schlafraum, der Gaden. Zur Gebäudemitte liegt der Flur, erschlossen von der Mittagsseite.

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1 Stall

Die Entwicklung des Allgäuer Bauernhauses. oben Vorläufer Paarhof, Frühform Bauernhaus Mitte Seitenflurhaus mit Tenne und einem First unten seitliche Erweiterung und Wechsel vom Mittertenn- zum Mitterstallhaus

BN Dabei ist der Flur weit mehr als ein Verbindungsraum. Er ist ein Multifunktionsraum von einer zur anderen Seite des Hauses, vom Erdgeschoss bis unters Dach, mit der Treppe entweder links vom Eingang oder am Flurende. Der Raum war ursprünglich bis unters Dach offen, der Rauch der Kochstelle zog durch die Dachdeckung ab. Entsprechend großzügig fällt der Raum aus, im Oberallgäu mehr als im Unterallgäu.

Dieser Multifunktionsraum hält sich lange und wird erst allmählich ins eigentliche Wohnen integriert. Das kommt aus dem alpinen Raum und macht einen deutlichen Unterschied zum Zentralraum der Hallenhäuser weiter im Norden.

AH Man betritt dieses Quer- oder Seitenflurhaus traufseitig von der besonnten, warmen Längsseite – wie auch Stall und Tenne. Der Vorraum des Hauses, der Hof, gehört wesentlich zu diesem Raumgefüge. Er spielt eine Hauptrolle, ist Lebensraum und Verbindung zur Straße. Die Stube in Ecklage ist Dreh- und Angelpunkt zwischen Außenraum und Hausinnerem. Die zentrale Bedeutung des Hofs als sozialer und ortsplanerischer Baustein des Dorfs ist bisher viel zu wenig beachtet worden. Wenn der Hof mit den leerstehenden Hofstellen verschwindet, dann verschwindet der Charakter des Dorfs. Deshalb ist die Umnutzung so wichtig.

Die Dörfer und Weiler im Allgäu sind in halboffener Bauweise erbaut: Das Haus ist an die nördliche Grundstücksgrenze gerückt, der Hofraum liegt auf der eher schneefreien Südseite. Die heute übliche offene Bauweise

mit dem Haus in der Grundstücksmitte und der Zufahrt im Norden stört das vorhandene Dorfgefüge erheblich. Die Raum- und Erschließungsfolge von öffentlicher Straße, halböffentlichem Hofraum und privatem Wohnraum ist verloren.

FA Der Hof in der Mittagssonne vor dem Haus – das haben die Gehöfte der Region gemeinsam.

BN Und das gilt sowohl für das frühe Bauernhaus mit gemischter Vieh- und Feldwirtschaft als auch für das spätere mit Viehhaltung; das gilt auch bei handwerklicher Nutzung. Das Museum bearbeitet gerade einen Fall, wo über 200 Jahre so ein Haus mit 3-Raum-Wohnteil, Stall-Werkstatt und Heustock-Lager nacheinander von einem Kürschner, einem Nagelschmied und einem Weber genutzt wurde. Diese stabile Wechselnutzung bricht ein, als die Landwirtschaft zur intensiven Marktproduktion übergeht.

Der Ort Hörmanshofen, Gemeinde Biessenhofen, ca. 1830 mit typischer Struktur: zum Flusslauf parallele Hauptstraße mit Ausweitung für den südlichen Hof vor dem Bauernhaus mit Stube an der Süd-Ost-Ecke.

FA Das gilt auch für die Mühlen der Region: einerseits der 3-Raum-Wohnteil, andererseits die Mühlentechnik statt der Räume für die bäuerliche Arbeit.

AH Die regelmäßige Verteilung der Nutzung im Rhythmus der Gefache vom Wohn- zum Wirtschaftsteil bringt auch die typische Abfolge in der Ansicht des Gebäudes mit sich: der Wechsel bei Material, Art der Fügung, Dichtigkeit der Außenhaut und Anzahl der Öffnungen je nach Bedarf.

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2 Heustock 3 Hof 4 Gaden 5 Stube 6 Flurküche 7 Tenne 8 Flur 9 Küche 10 Remise
1 + 2 7 = 3 3 6 6 5 5 5 5 44 4 4 5 9 1 1 1 2 27 78 9 10 11 18 7 2 2

Die Holzkonstruktion des Wohnteils ist verputzt oder verschindelt; beim Wirtschaftsteil bleibt die Holzkonstruktion o ffen, beim Heustock ist Durchlässigkeit in Maßen sogar erwünscht. Im Westen wirken die Gebäude verschlossen mit grauem Wetterschirm aus Holz, im Osten der helle Giebel mit den typischen Fensterreihen. Jedes Haus hat ein eindeutiges Vorne und Hinten, ein Gesicht und eine Rückseite.

BN Das zeigt die pragmatische Flexibilität des AllgäuHauses: Der Hausstock kann im Norden wachsen, der Wir tschaftsteil im Westen. Dagegen ist ein Fachwerkhaus etwa im Ries „endlich“, also abgeschlossen.

FV Dazu trägt auch das flachgeneigte Dach bei. Von einer Ausgangslage mit drei Fensterachsen im Giebel geht das über fünf bis zu neun Achsen, einschließlich wechselnder Nutzung, etwa einer Wagenremise im Erdgeschoss.

FA Auch die Südseite kennt Erweiterungen: den Ganter, ein Gestell zum Nachreifen der Feldfrucht, oder den Schopf. Und das Seitenflurhaus bewältigt den räumlichen Wechsel, den wachsende Viehhaltung mit sich bringt: Aus dem älteren Mittertennhaus wird das Mitterstallhaus. Nun liegt der Stall neben dem Wohnen, nicht mehr die Tenne. Das alles sind Gemeinsamkeiten. Was sind wesentliche Unterschiede?

FV Das Haus des Oberallgäus, alpinen Ursprungs, ist ein Block- oder Strickbau. Der setzt den gerade wachsenden Nadelbaum voraus und hat strenge Regeln hinsichtlich Größe, Proportion und Fügung. 6 Meter Holzlänge sind ein Limit. Die Balken werden gestapelt, mit zunehmend komplizierten „Schlössern“ gestrickt, ein annähernd quadratischer Raum entsteht. Das ist das Maß der Stube, dazu kommt der halb so breite Gaden und mit dem breiten Flur ergibt sich wieder annähernd ein Quadrat. Bei den Walsern, die die Gegend vom Berg herab besiedelten, ergibt das einen Wohnkubus, dem ein Wirtschaftskubus zur Seite steht; der Giebel schaut ins Tal. Mit der Zeit, im flachen Gelände, wird beides unter einem Dach zusammen gefasst mit dem Arbeitsraum Tenne dazwischen.

AH Dem steht der Ständerbohlenbau im mittleren und unteren Allgäu gegenüber. Er führt Fachwerk- und Blockbau zusammen und optimiert die Anwendung des Materials Holz. Die räumliche Verteilung der Bauweisen deutet aber auch daraufhin, dass sich hier offensichtlich verschiedene Kulturkreise treffen, und zwangsläufig entwickeln sich auch Übergangsformen.

Block- oder Strickbau des Alpenraums. Flach geneigtes Pfettendach

FA Im schwäbischen Bauernhaus sind über die Geschosse durchlaufende Ständer prägend, darunter mächtige Firstständer bis zur Firstpfette, Auflager für die steilen Sparren des strohgedeckten Dachs, das sich über der Außenwand erhebt. Während Wand und Dach beim Blockbau als „gemauerter Holzbau“ (A. Seifert) zusammen entstehen, ist der Ständerbau ein Gefüge aus senk- und waagrechten Traggliedern, stabilisiert durch schräge Verbindungen – Bänder genannt. Wand und Dach sind deutlich geschieden.

AH Der Ständerbohlenbau im Allgäu ist ein Fachwerk bau, allerdings in einem Block über beide Geschosse gezimmert und ausgefacht mit Bohlen. Bohlen sind statisch mittragende kräftige „Bretter“, eingenutet in die Ständersäulen. Das erlaubt weite Abstände der Ständerkonstruktion.

FA Der Ständerbau strukturiert den Hausstock; das Dach erhebt sich darüber als eigenes, stabiles Gefüge mit Sparren, die am First fest untereinander und am Fußpunkt im „Zerrbalken“ verankert sind. Beim Blockbau liegen die Dachbalken auf First- und letztem Wandbalken lose auf –Rafen genannt. Das Sparrendach muss steil, das Dach des Blockbaus kann nur flach sein. Beim reinen Sparrendach ist wenig, beim Rafendach etwas mehr Dachüberstand möglich.

Ständerbohlenbau des Voralpenraums. Flach geneigtes Pfettendach mit Kaltraum

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Alle Fotografien von Nicolas Felder, Wiggensbach – Eckartsberg (Projekte: 10, 15, 18)

Rainer Retzlaff, Waltenhofen –Niedersonthofen (Projekte: 03, 09, 17) Hermann Rupp, Kempten (Projekte: 01, 02, 04, 05, 06, 07, 08, 10, 12, 13, 14, 16, 19)

Darko Todorovic, Dornbirn (Projekt 11)

außer

S. 8: Gemälde von Konrad Witz 1444 (Detail), MAH Musée d’art et d’histoire, Genf, Fotografie: Bettina Jacot Descombes S. 9: Nachlass A. Seifert, TUM Weihenstephan, Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und öffentlichen Raum S. 14 / 15: Nicola Reiter, Kempten S. 21 unten: Zeichnung Baugesuch Vorderstaig, 1919 S. 30 rechts: Verformungsgerechtes Aufmaß von Harald Bader, Simbach S. 34 unten: historisches Bild, Hörich S. 38 oben links: Martin Kopp, Nesselwang S. 40: historisches Bild, Meillingen S. 48 / 49: Nicola Reiter, Kempten S. 59 oben: Hafner Bau, Görisried S. 59 Mitte: Gemeindearchiv Unterthingau S. 60 oben: Hafner Bau, Görisried S. 68 links: historisches Bild, Gablers S. 74, 79 unten, S. 80 oben: Architekturbüro Hagspiel Stachel Uhlig, Kempten S. 76 Mitte: historisches Luftbild, Michlhof S. 82 / 83: Nicola Reiter, Kempten S. 89 unten: Prof. Peter Tausch, Freundpolz S. 97 oben: Studio Heimhuber, Sonthofen S. 97 unten: Thomas Mayfried, München S. 102 Mitte, unten: historisches Bild und Plan, Gut Hochreute S. 113 rechts: historisches Bild, Sonderdorf S. 124 unten: historisches Bild, Meillingen S. 132 / 133: Nicola Reiter, Kempten S. 135 oben: historisches Bild, Heimenkirch S. 140 unten / 141: Architekturbüro Lutz, Bregenz S. 142 unten: historisches Bild, Arnach S. 150 / 151: Nicola Reiter, Kempten S. 154 unten: historische Farbfotografie, Rothmoos S. 157 unten, S. 159: Benedikt Natzer, Schrobenhausen

S. 162 links unten: historisches Bild, Türkheim S. 169 oben: Planzeichnung Zehentstadel Pleß 1892, Staatsarchiv Augsburg

Illustrationen S. 195 – 208: Florian Aicher

Projekt 10: Nicolas Felder: S. 92, S. 93, S. 94 unten, S. 98 oben, S. 99; Hermann Rupp: S. 94 oben, S. 98 unten

Herausgeber: architekturforum allgäu e. V. Autoren: Florian Aicher, Wolfgang Huß

Redaktion: Doris Riedmiller, Franz G. Schröck Gestaltung: Nicola Reiter Zeichnungen: Studierende der Hochschule Augsburg Illustrationen: Florian Aicher

© 2022, erste Auflage DETAIL Business Information GmbH, München detail.de

ISBN 978-3-95553-593-3 (Print) ISBN 978-3-95553-594-0 (E-Book)

Foto Umschlag: Freundpolz, Hermann Rupp

Koordination im Verlag: Sandra Hofmeister Lektorat: Katrin Pollems-Braunfels Schlusskorrektur: Gabriele Oldenburg Herstellung: Simone Soesters, Roswitha Siegler Lithografie: ludwig:media, Zell am See Druck und Bindung: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen

Papier: Umschlag: FLY extraweiß 400 g / m 2 , Innenteil: Munken Lynx zartweiß 120 g / m 2 , Bengali hellgrün 80 g / m 2

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