Atlas Mehrgeschossiger Holzbau

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Vorwort Der Holzbau hat sich in der jüngeren Vergangenheit intensiv weiterentwickelt. Der Quantensprung der letzten Jahre zeigt sich darin, dass mit Holz immer mehr und höher gebaut wird. Die Gründe für die Renaissance dieses klassischen, in der Moderne fast vergessenen Baustoffs sind unterschiedlich. Durch den Klimawandel ist sowohl in der öffentlichen Meinung als auch aufseiten der Architekten und Bauherren ein steigendes Interesse an ressourcenschonenden, nachhaltigen und damit biobasierten Baulösungen entstanden. Der Holzbau kann dieses Interesse mehr als andere Bauweisen bedienen. Die besonderen Qualitäten des Naturbaustoffs Holz in den Bereichen Haptik, Optik, Olfaktorik und sein bezogen auf die Festigkeit herausragendes Leistungsgewicht machen den Holzbau zunehmend für das moderne Bauen interessant, obwohl die primären Kosten gegenüber den üblichen Standardlösungen – abhängig von der Art des Projekts – im Vergleich zu konventionellen Lösungen etwas höher sein können. In der Gesamtbetrachtung der Wirtschaftlichkeit aber kann der moderne Holzbau schon heute durchaus mithalten. Während der Holzbau beim Einfamilienhaus und im landwirtschaftlichen Bauen schon seit langer Zeit permanente Steigerungen verzeichnet, war er bis vor Kurzem aus der Stadt fast gänzlich verschwunden. Das beginnt sich zu ändern. Initiiert von engagierten Wohnungsbaugenossenschaften bzw. -gesellschaften und vereinzelten Baugruppen mit wachsendem Umweltbewusstsein entstehen neue mehrgeschossige Holzbauten, die das älteste und natürliche Baumaterial wieder für viele Menschen erlebbar machen. Die Rückeroberung der Stadt hat nicht zuletzt auch darum begonnen, weil der Holzbau sich für den Umbau und die Nachverdichtung in den Ballungszentren, also bei Aufstockungen, Ergänzungen und Umbauten, sehr gut eignet. Holz ist leicht, gut zu verarbeiten und effizient zu transportieren, und die Vorfertigung erlaubt schnelles und störungsarmes Bauen. Zahlreiche interessante Beispiele in diesem Atlas belegen die Bereicherung der Architektur im urbanen Raum durch Holzbauwerke. Häufig handelt es sich hierbei um Hybridlösungen, was für den Holzbau sicher keinen Rückschritt darstellt – ganz im Gegenteil. Es ist nur konsequent und logisch, in Abhängigkeit von Leistungsfähigkeit, Verfügbarkeit, Preis und Gestaltungspotenzial die auf dem Markt gängigen und bewährten Baumaterialien und Bauarten

geschickt zu kombinieren, um effiziente und wirtschaftliche Gebäude zu realisieren. Und das ist geradezu typisch für das Bauen in der Stadt. Man denke nur an die Mischbauweisen des Mittelalters, als die Kombination von Holz und Stein beeindruckende Fachwerkhauskonstruktionen ermöglichte, oder an die Gründerzeitbauten, die außen massiv gebaut erscheinen, aber einen hohen Holzanteil bei horizontalen Bauteilen wie Decken und Dach aufweisen. Gerade die modernen Möglichkeiten im Bereich der Konstruktion geben Anlass, die herkömmliche und sehr eng gefasste Einteilung in Holzrahmen-, Holzskelett- und Holzmassivbau zu hinterfragen und zu erweitern. Die heute bereits in der gängigen Praxis genutzten Kombinationsmöglichkeiten von horizontalen und vertikalen Elementen machen das Konstruieren mit Holz zu einem spannenden sowie kreativen Prozess und lassen zusammen mit modernen Hüllkonstruktionen die Anwendungsmöglichkeiten des nachwachsenden Rohstoffs geradezu explodieren. Die dauerhafte stoffliche Verwendung von Holz bewirkt durch die damit verbundene langfristige Kohlenstoffspeicherung eine CO2-Senke und trägt somit positiv zum Kampf gegen die Erderwärmung bei. Sie unterliegt aber zugleich genau diesem Klimawandel, da dieser zur Veränderung des Holzaufkommens führt. Der Naturbaustoff Holz wird uns daher in Zukunft in einer anderen Angebotsmischung als heute zur Verfügung stehen. Künftig ist mit einem steigenden Aufkommen von Laubholz zu rechnen, während das von Nadelholz gleichzeitig sinkt. Dies wird zwangsläufig zu einer Neu- und Weiterentwicklung von Holzbaustoffen mit einem deutlich höheren Anteil an Laubholz führen – mit positiven Folgen. So weisen Laubhölzer zum Teil erheblich bessere Festigkeits- und Steifigkeitseigenschaften auf, was beispielsweise schlankere Bauteile erlaubt und gerade im mehrgeschossigen Holzbau gänzlich neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Dabei belegt die seit Jahrhunderten nachhaltig betriebene Waldwirtschaft in Europa, dass es trotz intensiver Nutzung des Rohstoffs möglich ist, einen vitalen Wald zu erhalten, der seine anderen Funktionen von der Luftreinhaltung über die Wasserspeicherung bis zum Erholungsraum auch weiterhin erfüllen kann. Derzeit wächst in Europa mehr Holz nach, als genutzt wird, und in Deutschland, Österreich und der Schweiz wäre es theoretisch möglich, mit etwa der Hälfte des jähr-

lichen Holzaufkommens sämtliche Neubauten in Holz zu realisieren. Dieser Atlas soll ganz besonders den interessierten Planenden und Bauherren, die bisher nicht oder nur wenig mit dem Holzbau in Berührung gekommen sind, eine zielgerichtete Orientierung geben und helfen, ihnen die Skepsis gegenüber dem im Hochbau noch weitgehend unbekannten und vorurteilsbehafteten Baustoff zu nehmen. Anhand einer neuen, aus der Praxis heraus entwickelten Systematisierung der Konstruktionsmethoden werden potenzielle Gestaltungsmöglichkeiten vorgestellt und erläutert, die zeigen, dass das Bauen mit Holz nicht schwieriger ist als mit anderen Baustoffen. Es ist höchste Zeit, die verfügbare natürliche Ressource Holz stärker stofflich zu nutzen und mehr in das Wohn- und Arbeitsumfeld der Menschen zu integrieren. Seit Erscheinen der ersten Auflage 2017 hat es in Teilbereichen Neuerungen gegeben, was eine Überarbeitung notwendig gemacht hat. Auch sind sehr interessante Beispiele umgesetzt worden, die diese Entwicklungen dokumentieren. Die Themen einfaches Bauen, Laubholz in der konstruktiven Anwendung, holzbaugerechte Planung sowie Digitalisierung, die zum Zeitpunkt der Urfassung dieses Buchs im Forschungsund Entwicklungsstadium waren, befinden sich jetzt als Pilotprojekte in der Umsetzung. Diese interessanten Entwicklungen haben wir aufgearbeitet. Wir bedanken uns bei allen, die zum Zustandekommen dieses Buchs beigetragen haben: Beim Verlag für die gute Kooperation, bei den Autorinnen und Autoren für die kompetenten Beiträge, bei den Sponsoren für die großzügige Unterstützung und bei der Projektleiterin der Urfassung Anne Niemann sowie beim Projektleiter dieser Neuauflage Manfred Stieglmeier für ihren unermüdlichen Einsatz. München, im Juli 2021

Hermann Kaufmann Stefan Krötsch Stefan Winter

Landwirtschaftliches Zentrum, Salez (CH) 2019, Andy Senn Architekt


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