Fassaden Atlas

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Begrünte Fassaden

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und der Einfluss der Begrünung auf Gebäude und Stadtbild sowie das »Sommerklima« thematisiert. Während in den 1920er-Jahren insbesondere Wohnungsbaugenossenschaften an diese »Blütezeit« der Verwendung von Kletterpflanzen anknüpfen, tritt vor allem nach 1945 das Thema sukzessive wieder in den Hintergrund. Neue Formensprachen und Bauweisen in der Architektur, steigende Ge­­bäudehöhen und bauaufsichtliche Hürden führen zu einer er­­ neuten Ablösung des Bauens vom lokalen (Stadt-) Klima und damit zu einem weitgehenden Verschwinden der Bauwerksbegrünung. Zunehmende Kritik an der »Unwirtlichkeit« der Städte (Alexander Mitscherlich) ab Mitte der 1960er-Jahre in Verbindung mit dem Beginn der Umweltbewegungen in den 1970er-Jahren rückt die Bedeutung von Pflanzen für das Bauen und das Leben wieder in den Blickpunkt. Zunächst sind insbesondere die begrünten Dächer der Öko(vorort)siedlungen Gestaltungsfläche für Pflanzen. Seit etwa 1980 kommen dann verstärkt auch die Fassaden hinzu. Bauphysikalische Bedeutung

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Mit einem gezielt funktionalen Einsatz von Vegetation lassen sich natürliche, auf organische Wirkungen setzende Effekte erreichen, die das Mikroklima an Fassaden positiv beeinflussen. So können beispielsweise Pflanzen als natürlicher Sonnenschutz vor transparenten Öffnungen eingesetzt werden. Je nach Art und Anordnung, Habitus und Bedeckungsgrad der Blätter verändern sich infolge der Verschattung die Temperaturen der fassadennahen Luftschichten. Die botanischen Merkmale der betreffenden Pflanzenart spielen für den zu erreichenden Effekt eine wesentliche Rolle [6]. Vor opaken Wandflächen werden durch eine Begrünung die Oberflächentemperaturen reduziert, mit entsprechend positiver Wirkung auf das Mikroklima. Bestimmte Arten wie immergrüne Kletterpflanzen (z. B. Efeu oder Geißblatt) können im Winter mit dichtem Blattwerk auf großen Flächen durch die Ausbildung von Luftpolstern auch die Auskühlung der Wandoberflächen abmindern und damit als zusätzliche Wärmedämmung fungieren. Dabei variieren die Effekte bei Pflanzen mit dem natürlichen jahreszeitlichen Wandel – im Gegensatz zu konventionellen Dämmmaterialien – und sind außerdem abhängig von der Pflanzenentwicklung und bei wandgebundenen Systemen auch von der Bodenfeuchte. In Studien konnte jedoch nachgewiesen werden, dass selbst bei gut gedämmten Wandaufbauten noch weitere Dämmeffekte zu erzielen sind [7]. Eine Absenkung heißer Außentemperaturen an den Fassadenoberflächen kann auch den Einsatz kompakter, dezentraler Lüftungsein­ heiten (siehe »Installierte Fassaden«, S. 322ff.) deutlich verbessern, um so die steigenden Anforderungen an Frischluftqualität, energetisch effizienter zu gewährleisten.

Typologie Bei Fassadenbegrünungen wird zwischen bodengebundenen mit Kletterpflanzen und wandgebundenen mit speziellen Begrünungssystemen unterschieden (Abb. C 6.6). Bodengebundene Fassadenbegrünungen

Bei bodengebundenen Fassadenbegrünungen spricht man je nach Kletterverhalten der Pflanzen von selbstklimmenden Pflanzen und Gerüstkletterpflanzen: •  Selbstklimmer haften direkt auf der Außenwandoberfläche und breiten sich fächerförmig aus. Eine Direktbegrünung mit Efeu oder Echtem Wein ist kostengünstig und erfordert nur einen relativ geringen Pflegeaufwand. Allerdings eignet sich nicht jede Außenwand dafür. Zur Vermeidung von Bauwerksschäden sollten Bepflanzungen nur auf massiven Wandkon­struktionen (Mauerwerk, Beton) ausgeführt werden (Abb. C 6.2 und C 6.4). •  Gerüstkletterpflanzen benötigen eine Rank­ hilfe und werden nach ihrem Kletterverhalten botanisch unterschieden in Schlinger (u. a. Blauregen, Geißblatt) und Ranker (u. a. Echter Wein, Waldreben). Entlang der Kletter­ hilfen / Spaliere (Abb. C 6.3) – vorzugsweise netz- oder gitterartige Strukturen, aber auch lineare Strukturen mit Stäben, Rohren oder Seilen sind möglich – wachsen die Pflanzen selbstständig aufwärts. Ihre Ausbreitung ist durch die Kletterhilfen weitgehend begrenzt. Gerüstkletterpflanzen benötigen regelmäßige Schnittmaßnahmen. Hierbei sind die Erreichbarkeit der Pflanzen und der hieraus entstehende Pflegeaufwand bereits in der Planung entsprechender Systeme zu beachten. Bei bodengebundenen Fassadenbegrünungen ist die Wuchsgeschwindigkeit und Kletterstrategie der Pflanzen in Verbindung mit der Gebäudehöhe zu berücksichtigen. Die sogenannte Flächenwirkung kann zwischen 5 und 20 Jahren (Selbstklimmer) bzw. zwischen 3 und 12 Jahren (Gerüstkletterpflanzen) liegen. Für eine Fassadenbegrünung mit Kletterpflanzen sind in Deutschland etwa 150 Pfanzen­ arten und -sorten geeignet. Es handelt sich um eine über Jahrhunderte entwickelte und verfeinerte Technik, die sich mit relativ geringem Zusatzaufwand auf einer Vielzahl von Außenwandoberflächen realisieren lässt [8].

C 6.2  Castello Sforzesco, Mailand (I) 1450ff. C 6.3  Goethes Gartenhaus, Weimar (D) 16. /18. Jahrhundert C 6.4  Villa Bonnier, Stockholm (S) 1927 C 6.5  Gebäude der »Magistratsabteilung 48«, Wien (A) 2010 C 6.6  Konstruktive und vegetationstechnische Entscheidungsparameter zur Fassadenbegrünung [9]


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