Asiatisch genießen

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werden nicht nur Tischsitten vermittelt und erlernt, es werden Werte weitergegeben, Konversation eingeübt, ästhetisches und geschmackliches Empfinden geprägt. Ebenso wie Architektur und Sprache, im kleinräumigen Sinne auch der Dialekt, sind Esstraditionen tragende Säulen in einer komplexen und dynamischen Struktur. Innerhalb der Kultur schaffen sie gemeinsam mit der Geografie einen regionalen Charakter. Die Gestaltung von Räumen und die Esskultur haben sich parallel aus regionalen Besonderheiten entwickelt. Die Herausbildung von regionaltypischen Küchen und der Art, wie und wo gegessen wird, führt auch zu einer regionalen Architektur, die nicht nur von der zwangsläufigen Notwendigkeit eines Orts, sondern auch von Religion und Werten, Tradition, hierarchischer Schicht, klimatischen und örtlichen Gegebenheiten geprägt wird. Und beide, die Esskultur und die Räume, in denen gegessen wird, sind Träger und Teil menschlicher Kultur. In einem weiteren Schritt vollzog sich die Transformation von lokaler Esskultur und Architektur, die sich zunächst hauptsächlich auf das eigene Haus bzw. die eigene Region bezogen, hin zu öffentlichen Orten, in denen man in den Städten der großen Handelsstraßen mit anderen entweder auf Reisen zusammenkam oder um in Gesellschaft zu sein. In der Architektur von Karawansereien, Garküchen, Food Courts bis hin zu klassischen Esslokalen spiegelt sich die Kultur der jeweiligen Region wider. Selbstverständlich waren die frühen »Restaurants« sowohl in ihrer Speisenauswahl als auch in ihrer Architektur durch lokale Traditionen geprägt. Erst später begann man, Gerichte aus fernen Ländern in einem passenden Ambiente zu kochen und zu konsumieren. Vermutlich ging es einerseits darum, den Menschen vor Ort fremde Kulturen und Speisen zu präsentieren, andererseits etablierten sich entlang der langen Handelsstraßen auch Lokale mit fremdländischen Gerichten und ebensolcher Architektur, um den vorbeiziehenden Händlern und Reisenden ein wenig Geschmack und Stimmung aus der Heimat zu verkaufen. Durch die Globalisierung ist heute beinahe jede Küche überall zu bekommen, zumindest in den größeren Städten und Agglomerationsräumen. Pad Thai um die Ecke gehört genauso zu unserem Leben wie Sauerbraten, Sashimi und Pizza. Die Innenraumgestaltung der Lokale nimmt diese kulturellen Einflüsse auf und setzt sie mal gelungener, mal

Die Zubereitung von Teigtaschen auf dem Markt in Kashgar, Xinjiang

weniger gelungen um. Viele hervorragende Beispiele finden sich in diesem Buch. Es zeigt Raumkonzepte, die nicht nur die Kultur hinter den präsentierten Speisen widerspiegeln, sondern sich darüber hinaus einer weiterentwickelten Formensprache bedienen, eingebunden in den kulturellen Gesamtkontext. Wo aber soll man beginnen, wo enden? Asiatische Esskulturen sind so vielfältig, dass über jede einzelne eigene Bücher geschrieben werden. Die Unterschiede zwischen chinesischer, japanischer und südostasiatischer Esskultur sind groß. Eine Besonderheit stellt sicherlich die chinesische Esskultur dar, die sich durch Auslandschinesen seit über 250 Jahren im südostasiatischen Raum ausgebreitet, mit regionalen Kochtraditionen verbunden und weiterentwickelt hat. Besonders gut ist das im Stadtstaat Singapur zu beobachten, wo aus der Vermischung von malaiischer und chinesischer Lebensart die Peranakan-Kultur hervorgegangen ist. Aus der interkulturellen Verbindung zwischen malaiischen Frauen und chinesischen

Männern, meist Händlern oder Seeleuten, entstand eine eigenständige Kultur mit einem besonderen Bau-, Wohn- und Kochstil, der sich noch heute besonders ausgeprägt im Stadtteil Katong findet. Bunte, zweistöckige Häuser mit kleinen Vorgärten und hölzernen Fensterläden säumen die Straßen. An einer Ecke stehen Frauen mit Einkaufskörben beim Plausch, daneben wird in der Garküche von Nancy, der »Classic Mrs Singapore 2006«, in großen Pötten eine der besten Laksa-Suppen der Stadt zubereitet. Ein Koch bearbeitet mit einem Holzhammer eine schwarze Nuss, die »buah keluak« genannt und häufig in der PeranakanKüche benutzt wird. Neben ihm steht ein großer Topf mit »Rempah«, einer selbstgemachten Gewürzpaste, die als Basis für die meisten Gerichte dient. Eine Straße weiter wird zum Frühstück im traditionellen Kaffeehaus Chin Mee Chin Confectionery malaiischer Kaffee, Kopi, in verschiedensten Varianten gereicht. Dazu gibt es Kaya-Toast, Butter, süße Marmelade und Vier-Minuten-Eier, die – ganz auf klassische chinesische Art – mit Sojasoße gewürzt werden. 19


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