Atlas Moderner Stahlbau

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Tragverhalten und Ausbildung von Stahlbauten, Aspekte der Bauphysik Markus Feldmann

B 5.1

Bei Entwurf und Bemessung moderner Bauwerke aus Stahl ist technischen Aspekten und Anforderungen Beachtung zu schenken, die unterschiedlich stark in verschiedene ingenieur- und naturwissenschaftliche Bereiche hineinreichen.

Grundlagen Die in der Planung angesprochenen Disziplinen erstrecken sich von den Bereichen Statik, Material und Fertigung über Fragen der Gebrauchstauglichkeit, Bauphysik, Komfort und Behaglichkeit bis hin zu Sondergebieten wie z. B. die Auslegung gegen Erdbeben oder Explosionen. Die besonderen Eigenschaften von Baustahl wie Festigkeit, Zähigkeit, Robustheit oder auch seine Möglichkeiten der Gestaltfindung erlauben es, für viele Bauaufgaben architektonischtechnisch optimierte und eigenständige Stahlbaulösungen zu finden. B 5.1 B 5.2

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Skulptur »Orbit«, London (GB) im Bau, Anish Kapoor, Cecil Balmond Sicherheitsbeiwerte γ und Kombinationsbeiwerte ψ für verschiedene permanente und veränderliche Einwirkungen sowie für Tragfähigkeiten (Widerstände) von Querschnitten, Bauteilen und Anschlüssen Verlauf des Biegemoments M, der Querkraft V und der Normalkraft N in einem abgewinkelten, eingespannten Balken unter vertikaler Gleichlast pv und horizontaler Einzellast PH. Zu erkennen sind auch die inneren Kräfte und Momente (Schnittgrößen) nach (gedanklichem) Aufschneiden an der Einspannstelle sowie die Auflagerreaktionen MA, HA und NA Stockwerkrahmen als Rahmensystem mit zugehörigen Biege- und Momentenlinien (links) sowie als ausgesteifte Träger-Stützen-Konstruktion mit Durchlaufträgern (rechts) mit Auswahl an Normalkraft-, Biege- und Verformungsverläufen w Windlast s Schneelast g Eigengewicht v Verkehrslast δ Verformung M Moment N Normalkraft ebenes Fachwerk mit dazwischen auflagernden Nebenträgern (links) sowie räumliches Fachwerk mit gleicher Haupttragwirkung sowohl in x- als auch in y-Richtung (rechts)

Grundlagen der Bemessung

Belastungen wie Eigengewicht, Wind- und Schnee- oder Verkehrslasten erzeugen in den einzelnen Elementen von Bauwerken Beanspruchungen (E) in Form von inneren Kräften und Momenten, den sogenannten Schnittgrößen (Abb. B 5.3). Alle Kräfte und Momente, die an einem Baukörper angreifen (Belastungen und Auflagerreaktionen), müssen im Gleichgewicht stehen (äußeres Gleichgewicht). Gleiches gilt für die inneren Schnittgrößen und die Belastungen der am Schnitt getrennten Teilsysteme (inneres Gleichgewicht). Das Gleichgewicht wird erreicht, wenn alle anzutragenden Kräfte und Momente in der Summe null ergeben, z. B. für ebene Systeme (Gleichgewichtsbedingungen):

kein inneres Gleichgewicht, das Bauteil versagt. Es ist somit die Grundanforderung zu erheben, dass die Beanspruchungen (Einwirkungen) kleiner sein müssen als die Beanspruchbarkeiten (Widerstände), jeweils für Biegung, Normalkraft und Querkraft: E ≤1 R Grundprinzip jeder Bemessung ist also, die Einwirkungen E infolge der verschiedenen Belastungen und die Widerstände R aufgrund der Bauteil-, Querschnitts- und Baustoffwahl abzuschätzen und miteinander zu vergleichen. Hierzu müssen charakteristische Größen der Einwirkung Ek und des Widerstands Rk zur Berücksichtigung von Unwägbarkeiten um einen Teilsicherheitsbeiwert entweder erhöht (γE für die Einwirkungen) oder erniedrigt werden (γM für die Widerstände). Damit definiert sich das Bemessungsniveau (Abb. B 5.2) für Einwirkung und Widerstand: Ed γ E = E k ≤1 Rk Rd

γM Es sind so verschiedene Belastungsszenarien auf ein Bauwerk zu untersuchen, bei denen das Eigengewicht ständig, die veränderlichen Belastungen jedoch entweder einzeln oder kombiniert auftreten können (Abb. B 5.4). Sind mehrere veränderliche Belastungen gleichzeitig zu berücksichtigen, können die Sicherheitsbeiwerte wegen geringerer Auftretenswahrscheinlichkeit durch Kombinationsbeiwerte ψ mit ψ < 1 von γE zu ψ ∙ γE abgemindert werden. Außergewöhnliche Belastungen wie beispielsweise Erdbeben, Anprall etc. werden in der Regel ohne Sicherheitsbeiwerte gerechnet. Ebenso finden sie bei der Berechnung der zu erwartenden Verformungen δ keine Berücksichtigung.

∑ H = 0, ∑ V = 0 und ∑ M = 0 Tragwerksentwurf

H horizontale Kräfte V vertikale Kräfte M Momente Überschreiten die Beanspruchungen E die Beanspruchbarkeit R des Bauteils, so besteht

Tragwerke werden entsprechend der angestrebten Funktion, Architektur, Bauweise, Montageart und Wirtschaftlichkeit bemessen und konstruiert. Dabei ist zu beachten, dass Bauwerke große räumliche Gebilde sind. Ganze Bauwerksabschnitte oder einzelne Bauteile


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