Bauen im Bestand

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Bauen im Bestand Umnutzung Ergänzung Neuschöpfung

Christian Schittich (Hrsg.)

Edition Detail



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Bauen im Bestand Umnutzung · Ergänzung · Neuschöpfung Christian Schittich (Hrsg.)

Edition Detail – Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG München Birkhäuser – Verlag für Architektur Basel · Boston · Berlin


Herausgeber: Christian Schittich Redaktion: Thomas Madlener, Andrea Wiegelmann Redaktionelle Mitarbeit: Christine Fritzenwallner, Julia Liese Zeichnungen: Norbert Graeser, Marion Griese, Olli Klein, Nicola Kollmann, Emese Köszegi, Elli Krammer, Sabine Nowak, Andrea Saiko, Claudia Toepsch DTP: Peter Gensmantel, Andrea Linke, Cornelia Kohn, Roswitha Siegler

Dieses Buch ist eine Kooperation zwischen Edition Detail – Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG und Birkhäuser – Verlag für Architektur Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. © 2003 Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG, Postfach 33 06 60, D-80066 München und Birkhäuser – Verlag für Architektur, Postfach 133, CH-4010 Basel Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff (TCF ∞). Printed in Germany Reproduktion: Karl Dörfel Reproduktions-GmbH, München Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Kempten

ISBN 3-7643-0846-X 987654321


Inhalt

Kreativ umnutzen Christian Schittich

8

Parasit in Rotterdam Korteknie & Stuhlmacher, Rotterdam

98

Umnutzungen – total normal Johann Jessen und Jochem Schneider

10

Restaurant in Porto Guilherme Páris Couto, Porto

102

Die grüne Wiese ist nicht grün Günther Moewes

22

Plattenbauwohnanlage in Dresden Knerer und Lang, Dresden

106

Wohnanlage in Chur Dieter Jüngling und Andreas Hagmann, Chur

110

Versicherungsgebäude in München Baumschlager & Eberle, Vaduz

114

Museum Alf Lechner in Ingolstadt Fischer Architekten, München

124

130

Erhaltung von Bauten der klassischen Moderne Berthold Burkhardt

28

Stadterneuerung in Salemi Álvaro Siza Vieira, Porto Roberto Collovà, Palermo

38

Kulturzentrum in Toledo Ignacio Mendaro Corsini, Madrid

42

MoMA QNS in New York Michael Maltzan architecture, Los Angeles Cooper, Robertson & Partner, New York

Museum in Colmenar Viejo Aranguren Gallegos, Madrid

50

Tate Modern in London Herzog & de Meuron, Basel

136

Ladeneingang in New York Future Systems, London

54

Kultur- und Geschäftszentrum in Turin Renzo Piano Building Workshop, Genua

144

Besucherzentrum in Criewen Anderhalten Architekten, Berlin

58

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg Günther Domenig, Graz

156

Innenhof des British Museum in London Foster and Partners, London

164

Architekten

172

Autoren

175

Bildnachweis

176

Gelbes Haus in Flims Valerio Olgiati, Zürich

64

Wohn- und Ateliergebäude in Sent Rolf Furrer, Basel Christof Rösch, Sent

68

Pfarrheim in Schwindkirchen arc Architekten, München

72

Dachausbau in Berlin Rudolf + Sohn Architekten, München

76

Wohnhauserweiterung in Montrouge Fabienne Couvert & Guillaume Terver, Paris IN SITU montréal, Montreal

80

Wohnhauserweiterung in München Lydia Haack + John Höpfner, München

84

Haus am Starnberger See Fink + Jocher, München

88

Wohnhauserweiterung in Remscheid Gerhard Kalhöfer, Stefan Korschildgen, Köln

94



Kreativ umnutzen Christian Schittich

Die Auseinandersetzung mit bestehenden Gebäuden ist längst nicht mehr nur eine Frage der Stadtbild- oder Denkmalerhaltung, sondern ökonomische wie ökologische Notwendigkeit. In einer Zeit, in der sich Rohstoffsituation und Schadstoffproblematik dramatisch verschärfen, gleichzeitig aber die Bevölkerungszahlen in den Industrienationen zurückgehen, ist es das Gebot der Stunde, auf die vorhandene Bausubstanz zurückzugreifen, sie zu reparieren und weiterzunutzen, statt weitere Grünflächen zu zerstören und neue Ressourcen zu binden. Umbau- und Sanierungsmaßnahmen werden in naher Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen – ihr Anteil am Gesamtbauvolumen liegt in Mitteleuropa schon heute bei fast 40%. Im Bestand zu bauen heißt also nicht nur, sich mit historisch wertvoller Substanz zu befassen, sondern zunehmend auch mit banalen Gebäuden – Industrieobjekten oder Massenwohnsiedlungen der Nachkriegszeit. Entsprechend vielfältig ist das Aufgabenspektrum: Es reicht von der bloßen Bauschadensbehebung bis zur funktionalen und ästhetischen Optimierung oder zur ökologischen Sanierung, von der originalgetreuen Restaurierung zur kreativen Neuschöpfung. Die jeweilige Herangehensweise des Architekten hängt dabei entscheidend vom Altbau ab. Für den schöpferischen Umgang mit geschichtlich wertvoller Substanz galt Carlo Scarpas Sanierung des mittelalterlichen Castelvecchio in Verona (1956–64) lange Zeit als Maß aller Dinge. Seine hierfür entwickelten Prinzipien – die deutliche Trennung der selbstbewussten Eingriffe vom Bestand durch Verwendung konträrer Materialien – haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren und tauchen landauf, landab beim Umgang mit historischen Baudenkmälern nach wie vor auf. Ganz in der Tradition Scarpas, wenn auch mit weniger manierierten Details, stehen Alvaro Sizas Stadterneuerung im sizilianischen Salemi (s.S. 38f.) oder die Umnutzung einer Kirche zu einem Kulturzentrum in Toledo von Ignacio Mendaro Corsini (s.S. 42f.). Viel öfter aber zeigt sich eine Entwurfshaltung, bei der die Grenze zwischen Bestand und Ergänzung zunehmend verschwimmt, wo die Architekten den Altbau neu interpretieren und weiterentwickeln. Das gilt auch für die beiden grandiosen Umnutzungen monumentaler Industriedenkmäler – der früheren Bankside Power Station in London zur Tate Modern (s.S. 136f.) oder des ehemaligen Fiat-Werks in Turin (s.S. 144f.). Beinahe als pragmatisch kann man Renzo Pianos Herangehensweise an die eindrucksvolle LingottoFabrik bezeichnen: Von außen gesehen lässt er den Altbau

beinahe unberührt – abgesehen von den beiden neuen Akzenten auf dem Dach –, während in weiten Teilen Innen die Übergänge zwischen Alt und Neu verschwimmen und die reduzierten Details des Ausbaus sich wie selbstverständlich einfügen. Günther Domenig dagegen treibt bildlich gesprochen einen Pfeil ins Fleisch des gigantischen ehemaligen Reichsparteitagsgebäudes in Nürnberg (s.S. 156f.) und schafft damit das Kunststück, den aus zeitgeschichtlichen Gründen erhaltenswerten, historisch vorbelasteten groben Bau mit dem neuen Dokumentationszentrum sinnvoll zu nutzen, ohne ihn zu verklären. Während bei all diesen Beispielen Form und Aussehen des Altbaus weitgehend erhalten bleiben, geht es bei Sanierungen von Geschosswohnungsbauten, allen voran den sterilen Plattenbauten im Osten, meist darum, nicht nur die Wohnqualität, sondern auch das optische Erscheinungsbild zu verbessern, so etwa bei den Balkonvorbauten von Knerer und Lang in Dresden (s.S. 106f.). Nur noch die reine Tragstruktur schließlich verwenden Baumschlager und Eberle bei dem Versicherungsgebäude der Münchener Rück und schaffen damit ein modernes Haus, das außen wie innen von seinem Vorgänger nichts mehr zeigt. Lange Zeit haben Architekten Sanierungsaufgaben als eher lästiges Übel gesehen, während sie sich die Lorbeeren mit glanzvollen Neubauten verdienten. Das gilt in besonderem Maße für die Klassische Moderne, wo das Alte wenig Stellenwert hatte und die Avantgarde sich fast ausschließlich mit dem Neuen beschäftigte. Doch das Blatt hat sich gewendet. Die oben erwähnten Beispiele und die weiteren in diesem Buch vorgestellten Projekte verdeutlichen das breite Spektrum an Aufgaben, Möglichkeiten und Haltungen beim Bauen im Bestand und sie zeigen, dass das Thema nicht langweilig ist. Im Gegenteil: Die Auseinandersetzung mit der vorgegebenen Substanz, die dem Entwerfer die notwendigen Bindungen schafft, gehört zu den kreativsten und faszinierensten Aufgaben in der Architektur.

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Die grüne Wiese ist nicht grün Günther Moewes

Bauen auf der grünen Wiese ist das Gegenteil von Bauen im Bestand, und es ist nicht ökologisch. Neue Baugebiete erhöhen Freiraumverbrauch, Verkehrsaufkommen und Bodenversiegelung. Freiraumverbrauch bedeutet dabei nicht nur Störung der verbliebenen Fauna, sondern vor allem Vernichtung der letzten Erholungs- und Erlebnisräume für den Menschen und der letzten größeren Regenerationsräume für die Natur. Und Bauen auf der grünen Wiese verbraucht erheblich mehr Energie als Bauen im Bestand. Bauen auf der grünen Wiese war die städtebauliche Ausdrucksform der Wachstumsgesellschaft. Das rasante Städtewachstum ergab sich aus dem Bevölkerungswachstum, aus dem Wandel von der ländlichen Agrargesellschaft zur städtischen Industriegesellschaft und aus den wachsenden Volumenansprüchen pro Kopf. Alle diese Gründe sind heute in den europäischen Industrieländern weitgehend weggefallen: Die Bevölkerungszahlen werden nur noch mühsam infolge höherer Lebenserwartung und durch Zuwanderung stabil gehalten. Das Höfesterben führt nicht mehr zu nennenswerten Wanderungsverlusten. Und die Pro-Kopf-Volumina stoßen schon aus Gründen des Heiz-, Reinigungs- und Unterhaltungsaufwandes an ihre Grenzen. Vor allem aber: Die Brachflächen, Baulücken, Industriebrachen und Konversionsflächen innerhalb der Siedlungsgebiete übersteigen inzwischen den Baulandbedarf von Jahrzehnten. Bauen auf der grünen Wiese wird heute nur fortgesetzt, weil Ökonomie und Politik in den Industrieländern versuchen, trotz Bedarfssättigung und Bevölkerungsrückgang das exponentielle Wachstum des vergangenen Jahrhunderts aufrechtzuerhalten: Wenn eine Stadt mit 100 000 Wohnungen jedes Jahr 4000 Wohnungen hinzubaut, entspricht das in den Augen der Schulökonomen nicht 4% Wachstum, sondern Nullwachstum. Sie verstehen das als Krise. Wachstum ist erst, was sich exponentiell entwickelt. Wachstumskurven verlaufen deshalb in volkswirtschaftlichen Frühzeiten immer horizontal und harmlos, in Spätzeiten dagegen schießen sie fast vertikal in die Höhe. In einer solchen Spätzeit befinden wir uns heute. Leider schießt aber nur die Kurve der privaten Geldvermögen in Deutschland mit jährlich 7,45% Zuwachs in die Höhe, auf inzwischen über vier Billionen Euro. Und mit ihr, als Kehrseite der gleichen Saldenbilanz, die Kurve der öffentlichen Schulden. Das konkrete Wirtschaftswachstum dagegen bleibt infolge Bedarfssättigung dahinter zurück. Diese sich immer weiter öffnende Schere prägt die Wirtschaft und das Bauen von heute. Die privaten Überschüsse ergießen sich pausenlos in die Landschaft. Seit 1960 ist die Siedlungsfläche vier

Mal so schnell gestiegen wie die Bevölkerung. In Deutschland werden täglich 130 Hektar Fläche zugebaut. Im gleichen Tempo ist die Ausnutzung der innerstädtischen Flächen gesunken. In vielen Großstädten stehen immer noch riesige innerstädtische Grundstücke seit dem Zweiten Weltkrieg leer, weil die laufende Preissteigerung bei Hortung mehr abwirft als die bei Bebauung. Der Anteil brachliegender oder notdürftig begrünter Flächen steigt ständig. Bestand oder Leerstand? Mit den exponentiell steigenden privaten Überschüssen steigt der Anlagedruck, mit dem Ausbleiben des Wachstums die Arbeitslosigkeit. Realer Bedarf und reale Produktion können beide immer weniger kompensieren. Sie müssen ständig künstlich bedient werden durch Wegwerfartikel, geplanten Verschleiß, geplante Reparatur auf allen Ebenen – und in der Bauwirtschaft eben durch Abriss. Mit der Wegwerfgesellschaft wurden wir in Deutschland zum ersten Mal in den 50er-Jahren konfrontiert. Ungläubig und voller Skepsis hörten wir, dass man in den USA kaputte Socken nicht mehr stopfte, sondern einfach wegwarf, weil das billiger sei. Später hörten wir das Sockenargument bei jeder Abrissdiskussion: Neu bauen kommt billiger als sanieren. Wir ahnten damals noch nicht, dass man unsere Skepsis eines Tages ökologisch nennen würde. Die Ablehnung des Bestandes findet sich auch in der Ideologie des Funktionalismus wieder. Wirkliche Modernität war für ihn nur noch abseits des Alten auf der grünen Wiese vorstellbar. Das wurde meist als großartiger Aufbruchsund Pioniergeist gedeutet. In Wirklichkeit war es einfach Nachvollzug des Sieges eines einseitig betriebswirtschaftlichen Denkens über die bisherige ganzheitliche Nationalökonomie: Arbeitsteilung, Entmischung, Funktionstrennung, bloßes Funktionieren in fremdbestimmter Arbeit, Wegstapeln von Menschen nach betriebswirtschaftlichem Kalkül, freistehende Einzelkiste, punktuelle Konkurrenz und bezugslose Selbstdarstellung. Rücksichtnahme und behutsame Integration im vorgefundenen Bestand hatten da keinen Platz. Beispiele wie J.J.P. Ouds Café de Unie in Rotterdam (1924) oder Johannes Duikers Handelsblad-Cineac-Kino in Amsterdam (1934) waren die Ausnahme. Real sollten wir längst in einer Bestandsgesellschaft leben. Niemand kann mehr überzeugend erklären, weshalb eine trotz Zuwanderung kontinuierlich abnehmende Bevölkerung immer weiter neues Bauvolumen benötigt und immer weiter die letzten Landschaften verbrauchen muss, weshalb sie sich nicht vernünftig in ihrem vorhandenen Baubestand ein23


3.2

3.3

24

richten kann. Immer mehr Neubauten werden nicht mehr gebaut, um einen realen Bedarf zu decken, sondern um der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Seit 1990 wurden allein in Ostdeutschland 600 000 Wohnungen gebaut, obwohl damals schon 400 000 leer standen. Heute stehen 1,3 Millionen leer. Das sind 15,8% des Bestandes. Gleichwohl wurden Wohnungsneubauten allein im Jahr 2001 noch mit 3,1 Milliarden DM (1,6 Milliarden Euro) öffentlich gefördert, die Altbausanierung dagegen nur mit 1,7 Milliarden DM (870 Millionen Euro). Auch die Eigenheimzulage ist in Deutschland für Neubauten nach wie vor doppelt so hoch wie für Altbauten.1 Lediglich in einigen westdeutschen Großstädten besteht ein Fehlbedarf von insgesamt etwa 100 000 Wohnungen jährlich einschließlich Ersatzbedarf, während z.B. Kassel und Hannover Leerstände von 13 und 8,2% aufweisen. Im Osten Deutschlands werden inzwischen ganze Siedlungen rückgebaut oder abgerissen. Ebenso standen 2002 in Deutschland 1,7 Millionen m2 Büroflächen leer. Laut Einzelhandelsverband gibt es auch ca. 40 Millionen m2 Verkaufsflächenüberhang, und allein im Jahr 2002 mussten nach Angaben des Verbands etwa 15 000 Betriebe schließen. Deutschland hat mit 105 Millionen m2 bereits 1,6-mal so viel Verkaufsfläche pro Kopf wie beispielsweise Großbritannien. Negativer Höhepunkt dieser Entwicklung sind Einkaufszentren fern der Innenstädte. Natürlich kaufen die Leute durch sie nicht mehr. Die Kaufkraft bleibt im besten Fall gleich. Sie wird nur aus dem Bestand abgezogen und auf die grüne Wiese verlagert. Das Großkapital vernichtet so mittelständische Betriebe und treibt vormals Selbständige in ein unterbezahltes Verkäuferdasein in kunstbelichteten und klimatisierten Discount-Architekturen. So werden nicht nur Existenzen ruiniert, so wird auch der Baubestand ruiniert. Die leergezogenen Altbauten im Bestand weisen meist eine bessere und solidere Architektur auf als die Kommerzneubauten in und vor den Citys, verwahrlosen aber dennoch nach und nach. Bis Oberbürgermeister und Lokalpresse sie eines Tages als Schandfleck brandmarken und niemand mehr widersprechen mag, wenn sie abgerissen werden. Die Investoren ziehen dann nach 15 Jahren weiter und hinterlassen der Stadt eine teure Konversionsfläche, die mit Steuermitteln saniert werden muss. Und das alles nicht aufgrund einer unabwendbaren volkswirtschaftlichen Tatsache, sondern aufgrund einer hausgemachten und vermeidbaren politischen Fehlschaltung: Die Abhängigkeit von der Gewerbesteuer zwingt die Kommunen fortwährend, attraktive Landschaftslagen an potentielle Steuerzahler zu verschleudern und so ihre eigenen zentralen Baubestände systematisch zu entdichten und zu entwerten. Ein besonders dunkles Kapitel ist das Bauen im Bestand im ländlichen Raum, auf den Dörfern. Anstatt die aufgegebenen Höfe großzügig in Wohnraum umzuwandeln (Abb. 3.3), werden sie mit einer Veränderungssperre belegt, die jede vernünftige Nutzung verhindert. Die Dörfer verfallen nach und nach und sind nur noch als Kulisse für Historienfilme und Filme über die ehemalige DDR zu gebrauchen. Gleichzeitig reihen sich auf der grünen Wiese entlang der Ausfallstraßen die neuen freistehenden Einfamilienhäuschen der Stadtflüchtlinge aneinander. Man erklärt einfach Acker zu Bauland und verdient noch daran. Überall das gleiche Muster: privates Kapital in die billige Landschaft bei gleichzeitiger Verwahrlosung kostbaren Bestandes.


3.4

Energie wird nicht auf der grünen Wiese gespart Bestandssanierung und ökologischer Stadtumbau könnten dagegen Arbeitsplätze schaffen und die Bauindustrie für mindestens ein Jahrzehnt weiter auslasten. Allein die energetische Bestandssanierung in Deutschland erfordert nach den Berechnungen der deutschen Wirtschaftsinstitute 340 Milliarden Euro. Über zehn Jahre verteilt wären das 34 Milliarden Euro pro Jahr. Im Jahr 2001 wurden Wohnungsneubauten noch mit 1,59 Milliarden, Altbausanierung mit 0,87 Milliarden Euro gefördert. Das war – wie bereits dargestellt – zu einem erheblichen Grad Leerstandsförderung. Hinzu kommt noch die Eigenheimzulage für Alt- und Neubauten. Würde man diese Fördermittel auf die energetische Altbausanierung konzentrieren, könnten damit mühelos jährlich die fehlenden 31 Milliarden an Privatmitteln mobilisiert werden. Mit diesen 340 Milliarden Euro ließen sich nach und nach bis zu 75% der Gebäude-Energie einsparen, das sind etwa 24% des Primärenergiebedarfs. Energiesparen heißt also: Bauen im Bestand. Es lassen sich überhaupt nur drei Bauvorgänge denken, die wirklich Energie sparen, das heißt, bei denen der Energiebedarf nachher geringer ist als vorher: Altbausanierung, ein energiegünstigerer Ersatzbau und die Schließung einer Baulücke. Das sind alles Maßnahmen im Bestand. Jede Baulücke verschwendet nach einer Faustformel etwa den Energiebedarf von so vielen Wohnungen, wie sie Geschosse hat. Eine Geschosswohnung an einer Baulücke hat gegenüber normalen innenliegenden Wohnungen eine zusätzliche Verlustfläche, über die ähnlich viel Energie verloren geht wie über die Vorder- oder Rückfassade der Wohnung, also etwa 50% des Bedarfs einer innenliegenden Wohnung. Bei einer viergeschossigen Baulücke macht das 50% von beidseitig zusammen acht Wohnungen – also die gesamten 100% von vier Wohnungen. Anzahl und Bedeutung der Baulücken werden unterschätzt. In alten Blockrandvierteln der Gründerzeit kommt man nicht selten auf 70 Baulücken pro km2, das heißt, dort wird bei durchschnittlich vier Geschossen der Heizbedarf von 280 Wohnungen verschwendet. Bei ungedämmten Verlustgiebeln von 280 ungedämmten, bei gedämmten Verlustgiebeln von 280 gedämmten Wohnungen. Das ist aber noch nicht alles. Denn die Wohnungen des Neubaus, mit dem die Lücke geschlossen wird, haben einen erheblich geringeren Energiebedarf als vergleichbare Wohnungen in freistehenden Neubauten. Baulücken sind nicht nur unbebaute Grundstücke, denn sie müssen nicht bis zum Erdboden durchgehen. Auch der eingeschossige Supermarkt zwischen zwei fünfgeschossigen Nachbargebäuden verschwendet nicht nur den Heizbedarf, sondern auch den Grundstücksbedarf von den möglichen vier Geschossen darüber, die wir dann in der Landschaft vor der Stadt wiederfinden. Bisweilen wird die Schließung von Baulücken sogar absichtlich verhindert, um Grünflächen zu vernetzen, entkernte Höfe zu erschließen oder weil Fenster, die nach dem Kriege illegal in die anschließenden Gebäudegiebel gebrochen wurden, neues Recht gesetzt haben. Dabei wird übersehen, dass 3.1 Wohn- und Geschäftshaus in einer 2,56 m breiten Baulücke, Köln, 1997; Brandlhuber & Kniess, Köln 3.2 Einfamilienhaussiedlung in Klipphausen bei Dresden 3.3 Umwandlung eines Stallgebäudes in ein Zweifamilienhaus, Bergün, Schweiz, 1997; Daniele Marques und Bruno Zurkirchen, Luzern 3.4 Parasit auf dem Lagergebäude Las Palmas, Rotterdam, 2001; Korteknie & Stuhlmacher, Rotterdam (S. 98ff.)

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Grünflächen auch vernetzt und Höfe auch problemlos erschlossen werden können, wenn man die Lücke schließt und nur im Erdgeschoss eine Tordurchfahrt schafft, wie das in den 20er-Jahren üblich war. In der Schließung von Baulücken steckt nach der Dämmung das zweithöchste Einsparpotential bei der Bestandssanierung. Sie spart nicht nur Energie, sondern meist auch Landschaft. Und sie ist nicht auf historische Blockrandbebauungen beschränkt. Ein oft unterschätztes Anwendungsfeld ist die moderne Nachkriegsarchitektur. Auch sie ist Bestand und inzwischen oft sanierungsbedürftig. Kaum irgendwo lassen sich soziale, ästhetische und energetische Sanierung so schlüssig vereinen wie hier. Denn den Höhepunkt der Verlustflächenproduktion erreichte die moderne Architektur. Meist sind diese Bauten regelrechte Verlustflächenmonumente. Ausgerechnet als das Energieproblem durch den stetig zunehmenden Verbrauch fossiler Brennstoffe eine nie gekannte Dimension bekam, stieg auch die Energieverschwendung in der Architektur auf ein nie gekanntes Ausmaß. Man erfand das städtebauliche Prinzip des Freistehenden: Punkt, Zeile, Hügel und vor allem endlose Reihungen freistehender Einfamilienhäuser. Wo es in der Blockrandbebauung nur zwei Seiten Außenwand gab, gab es jetzt vier. Vor allem aber erfand man die Funktionstrennung: nicht mehr multifunktionale Gebäudeagglomerationen, sondern für jede Funktion ein eigenes, freistehendes Gebäude. All die Läden, Supermärkte, Kindergärten, Autosalons und Gewerbebetriebe, die man mühelos zu ebener Erde in Geschossbauten hätte unterbringen können, breitete man nun als freiliegende, eingeschossige Einzelgebäude in der Landschaft aus. Was früher energieneutrale Geschossdecken waren, 3.5

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wurde nun zu riesigen, ungenutzten, aber energieverschwendenden Flachdachflächen. Würde man diese Flächen als potentielle Grundstücke betrachten und bebauen, würde wiederum nicht nur Landschaft gespart, sondern auch Energie. Die Besetzung der Dächer von Gewerbegebieten mit Wohnungen brächte darüber hinaus noch eine Fülle anderer Synergieeffekte: großzügige Freisitze statt kleiner angeklebter Balkone, Doppelnutzung der Parkplätze, Reduzierung des Erschließungsaufwandes usw. Gleichwohl spielt sie bisher fast nur eine Rolle in Studentenarbeiten. Realisierte Beispiele gibt es wenige, das Sanierungspotential wird unterschätzt (Abb. 3.4, 3.6). Mit der Sanierung von Großsiedlungen und Geschossbauten sieht es dagegen besser aus. Bereits 1986 habe ich mit Studenten Vorschläge für eine exemplarische energetische Sanierung erarbeitet. Als Beispiel diente die Großsiedlung Dortmund-Scharnhorst in viergeschossiger WaschbetonPlatten-Bauweise, eine Städtebau-Sünde der 60er-Jahre, wie die Presse damals schrieb. Die Studenten haben einfach alle Lücken zu vollständigen Blockrandbebauungen geschlossen. Sie haben dabei festgestellt, dass die meisten dieser Großsiedlungen im Grunde verkappte Blockrandbebauungen sind, in die aufgrund eines Bedürfnisses nach moderner Offenheit noch bis in die 90er-Jahre künstliche Lücken hineingeplant wurden. Inzwischen gibt es zahlreiche gelungene Beispiele realisierter Sanierungen solcher Siedlungen oder auch Verwaltungsgebäude. Die Maßnahmenkataloge sind immer wieder die gleichen, sie spielten in den Studentenarbeiten von 1986 bereits eine Rolle: Schließung von Lücken oder offenen Ecken, Aufsetzen eines zusätzlichen leichten Staffelgeschosses, Vorstellen von


Balkonskeletten, Wintergärten oder Glasfronten (Abb. 3.5, S. 106ff., S. 110ff.). Baulückenschließungen und Dachbebauungen sind Bestandssanierungen durch Neubauten. Daneben gibt es die reine energetische Altbausanierung. Mögliche Maßnahmen sind in der Reihenfolge ihres Potentials: • Dämmung (Außenwände, Fenster, Dach), • Warmwassererzeugung durch Kollektoren, • Hofüberglasungen, • passive Solarnutzung, • Stromerzeugung durch Photovoltaik. Die Dämmung von Altbauten ist immer noch nicht unproblematisch: Da sie bauphysikalisch stets nach außen gehört, zerstört sie den Charakter und die Ästhetik historischer Fassaden, vor allem von Gründerzeitbauten, Arbeiterwohnungsbau und Klinkerfassaden. Dies kann auch nicht durch Entwicklung neuer Materialien gelöst werden. Ein weiteres Problem, das unterschätzt und von Lehrbüchern ignoriert wird: Die Dämmung bietet hervorragende Lebensbedingungen für allerlei Nagetiere. Ratten und Mäuse gelangen bis in die oberen Etagen und Dächer von Geschossbauten und haben dort keine Fressfeinde mehr. Dies führt zur tonnenweisen Ausbringung von nicht abbaubaren Giften. Insbesondere bei Altbauten ist eine völlige Abdichtung meist nicht möglich. Durch Hofüberglasungen können bei günstiger Hofgröße durch Vermeidung von Transmissionsverlusten etwa 20% der Heizkosten eingespart werden. Eine Möglichkeit, die insgesamt wohl unterschätzt wird. Ebenso lassen sich Überglasungen denken, die im Sommer geöffnet werden können. Auch temporärer Wärmeschutz wird unterschätzt: Hochgedämmte Klapp- oder Schiebeläden können bei Dunkelheit geschlossen werden – und die macht im Winter über 50% der Zeit aus. Bauen im Bestand sollte man nicht nur als ästhetisches Integrationsproblem begreifen, sondern stärker als bisher als Bestandteil eines groß angelegten ökologischen Stadtumbaus. Ein solcher ökologischer Stadtumbau müsste nicht nur defensiv Heizenergie einsparen, sondern auch offensiv Solarenergie produzieren, vor allem Solarstrom und Warmwasser. Warum soll Solarstrom unbedingt weiter in der Landschaft erzeugt werden, auf aufwändigen, eigens dafür notwendigen Trägerkonstruktionen, während die Gebäudeflächen in der Stadt ungenutzt bleiben? Alle Dächer und Südfassaden sollte man als kostenlos vorhandene Solarflächen begreifen. Nicht als bloße Trägerflächen, auf die die Module dann nachträglich appliziert sind, sondern als konstruktiv und gestalterisch integrierte Solarwetterhaut oder passive Solarverglasung. Bauen im Bestand bekäme so einen neuen, nie gesehenen Hightech-Charakter. Die Altbauten wären von den eingefügten Neubauten kaum mehr zu unterscheiden. Aus öden Waschbetonsiedlungen würden moderne Hightech-Quartiere. Das wäre die wirkliche Solarstadt der Zukunft, und sie würde nicht auf der grünen Wiese entstehen, sondern im Bestand.

3.6

Anmerkung: 1 Bei Redaktionsschluss wurde im Deutschen Bundestag über eine Neuregelung von Eigenheim- und Ökozulage diskutiert, eventuell mit stärkerer Förderung des Bestandes als bisher. 3.5 Sanierung einer Plattenbausiedlung, Leinefelde/Thüringen, 2000, Schließung einer offenen Ecke; Meyer-Scupin und Petzet, München 3.6 Umwandlung einer Seifenfabrik, Zürich, 1997, Mischnutzung mit Gewerbe, Ateliers und Wohnungen; Kaufmann, van der Meer und Partner, Zürich

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Die Projekte

Seite 38 Álvaro Siza Vieira, Porto

Stadterneuerung in Salemi, I

42 Ignacio Mendaro Corsini, Madrid

Kulturzentrum in Toledo, E

Neuordnung einer frühmittelalterlichen Stadtanlage Sanierung und Umnutzung eines barocken Klosters

50 Aranguren Gallegos, Madrid

Museum in Colmenar Viejo, E

Umgestaltung einer Kelterei aus dem 17. Jahrhundert

54 Future Systems, London

Ladeneingang in New York, USA

Eine Werkhalle wird zum Modeladen

58 Anderhalten Architekten, Berlin

Besucherzentrum in Criewen, D

Sanierung und Umnutzung eines ehemaligen Stallgebäudes

64 Valerio Olgiati, Zürich

Gelbes Haus in Flims, CH

Neugestaltung eines alten Wohn- und Geschäftshauses

68 Rolf Furrer, Basel

Wohn- und Ateliergebäude in Sent, CH

Ausbau des Wirtschaftsteils eines traditionellen Bauernhauses

72 arc Architekten, München

Pfarrheim in Schwindkirchen, D

Haus im Haus – sanierte Scheune mit eingestelltem Neubau

76 Rudolf + Sohn, München

Dachausbau in Berlin, D

Dachgeschossausbau in einer ehemaligen Zigarettenfabrik

80 Couvert & Terver, Paris

Wohnhauserweiterung in Montrouge, F

Ergänzung in Form zweier eigenständiger Baukörper

84 Haack + Höpfner, München

Wohnhauserweiterung in München, D

eingeschossiger Anbau an ein Wohnhaus aus den 50er-Jahren

88 Fink + Jocher, München

Haus am Starnberger See, D

zweigeschossige Erweiterung eines ehemaligen Fischerhauses

94 Kalhöfer und Korschildgen, Köln

Wohnhauserweiterung in Remscheid, D

flexibler und verschiebbarer Anbau an ein Einfamilienhaus

98 Korteknie & Stuhlmacher, Rotterdam

Parasit in Rotterdam, NL

Modellprojekt zur Besetzung schwer nutzbarer Standorte

102 Guilherme Páris Couto, Porto

Restaurant in Porto, P

Umnutzung eines alten Lastkahns

106 Knerer und Lang, Dresden

Plattenbauwohnanlage in Dresden, D

Sanierung und Aufwertung einer Wohnanlage in Fertigteilbauweise

110 Jüngling und Hagmann, Chur

Wohnanlage in Chur, CH

Restaurierung und Ergänzung eines Wohnkomplexes aus den 40er-Jahren

114 Baumschlager & Eberle, Vaduz

Versicherungsgebäude in München, D

Rück- und Umbau eines Verwaltungsgebäudes aus den 70er-Jahren

124 Fischer Architekten, München

Museum Alf Lechner in Ingolstadt, D

Umgestaltung einer Produktionshalle aus den 50er-Jahren

130 Michael Maltzan, Los Angeles

MoMA QNS in New York, USA

Umwandlung eines Fabrikgebäudes zum temporären Ausstellungsort

136 Herzog & de Meuron, Basel

Tate Modern in London, GB

Umwandlung eines alten Kraftwerks zum Museum

144 Renzo Piano, Genua

Kultur- und Geschäftszentrum in Turin, I

Sanierung und Umnutzung einer denkmalgeschützten Autofabrik

156 Günther Domenig, Graz

Dokumentationszentrum in Nürnberg, D

Umnutzung historisch vorbelasteter Bausubstanz

164 Foster and Partners, London

Hof des British Museum in London, GB

Neuordnung des Museumskomplexes durch Überdachung des Innenhofes

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Museum in Colmenar Viejo Architekten: Aranguren Gallegos, Madrid

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1722 gründete der Pfarrer in Colmenar Viejo, einer Stadt nördlich Madrids, eine Lateinschule. Sie wurde in für die Region typischer, traditioneller Bauart errichtet. An dem Hauptgebäude entstand ein Anbau mit einer Traubenpresse zur Weinproduktion und dessen Lagerung. Der gesamte Komplex, die »Casa del Maestro Almeida«, hat einen großen, historischen Wert innerhalb des Orts, sodass die Stadt Madrid die Architekten mit der Sanierung und Umnutzung der alten Weinkelterei beauftragte. Der restliche Gebäudeteil soll zu einem späteren Zeitpunkt restauriert werden. Die Kelterei ist nun in ein kleines Museum verwandelt, das die traditionelle Weinproduktion erklärt. Das Gebäude liegt versteckt hinter der ehemaligen Schule im Ortskern. Die verwendeten Materialien, Naturstein sowie Cortenstahl für sämtliche Metallprofile, passen sich der historischen Umgebung an und machen die Sanierung auf den ersten Blick fast nicht erkennbar. Sie harmonieren mit den vorhandenen Baustoffen und treten dennoch durch ihre Formgebung und bewussten Einsatz als eigenständige, neue Elemente in Erscheinung. Von der Straße gelangt man über ein Tor in der Mauer zunächst in den Hof. Das Tor besteht aus vier unterschiedlich großen, mit Stahlrahmen umfassten Betonplatten. Im Eingangshof liegen auf Kies lose verlegt große Betonfertigplatten, mit offenen Armierungsschlaufen versehen. Bei der späteren Sanierung des Hauptgebäudes können sie so leicht wieder entfernt werden. Hohe, vertikale Metallplatten bilden die Abgrenzung zum Garten. Von dem ursprünglichen Gebäudeanbau konnten nur die Wände erhalten werden, das Dach war bereits eingefallen. Der Fußboden ist mit Lehmziegelplatten ergänzt, das Mauerwerk gereinigt, ausgebessert und partiell erhöht wieder aufgebaut. Die Wandaußenseite verkleiden kleine, sich überlappende beigegraue Granitplatten. Da die Tragfähigkeit des Mauerwerks für die Dachkonstruktion nicht nachgewiesen werden konnte, sind Stahlstützen in und vor die Wände gestellt. Auf ihnen liegt das geneigte Dach. Sein Tragwerk aus Brettschichtholzträgern ist innen mit Holz verkleidet, außen bilden naturfarbenen Zinkplatten mit mattgrauer Bleioxidbeschichtung den Dachabschluss. Durch Industrieglasfenster fällt über die oberen Wandseiten natürliches Licht in den im Halbdunkel gelassenen Ausstellungsraum.


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bb Grundriss • Schnitte

Maßstab 1:200

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Schnitt Maßstab 1:20

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1 Leistendeckung, Zinkblech 2 Sandwichpaneel aus Holzwerkstoffplatte, phenylharzbeschichtet 18 mm Wärmedämmung, Polystyrol extrudiert 40 mm Dampfsperre Holzwerkstoffplatte, phenylharzbeschichtet 18 mm 3 Blech, Cortenstahl 5 mm

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4 Blech Cortenstahl 5 mm Holzwerkstoffplatte, phenylharzbeschichtet Dampfsperre Wärmedämmung Polystyrol extrudiert 5 Rinne Zinkblech gedoppelt mit Gefälle 6 Profil Cortenstahl ∑ 200/150/10 mm 7 Flachstahl Corten 20 mm 8 Balken Brettschichtholz

100/400 mm 9 Profilbauglas Dichtung Silikonprofil 30/3 mm 10 Profil Cortenstahl HEB 260 11 Profil Cortenstahl ∑ 120/120/12 mm 12 Flachstahl Corten 10 mm 13 Blech Cortenstahl Kiesschüttung Dachdichtung Bitumenbahn einlagig Leichtbeton im Gefälle

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Stahlblech verzinkt 4 mm Stahlprofil HEB 100 Hartschaumdämmung Polyurethan 50 mm Blech Cortenstahl 5 mm Profil Cortenstahl ∑ 200/200 mm Stahlrohr ¡ 20/40 mm Sturz Stahlbetonfertigteil Regenrohr Lüftungslamellen Cortenstahl



Besucherzentrum in Criewen Architekten: Anderhalten Architekten, Berlin

Inmitten eines von Peter Joseph Lenné gestalteten Landschaftsparks in Brandenburg liegt Schloss Criewen. Das barocke Gebäudeensemble verfügte neben Herren- und Verwalterhaus über Wirtschaftshof, Stall- und Speichergebäude. Im Zuge des Umbaus zum Deutsch-Polnischen-Begegnungszentrum ist der ehemalige Schafstall als Informationsgebäude für Besucher umgenutzt. 1820 als eingeschossiger Ziegelbau errichtet und später zur Tabaktrocknung aufgestockt, blieb er jahrzehntelang vernachlässigt und war schließlich in verwahrlostem Zustand. Als Folge mussten die gesamte innere Holzkonstruktion und das Dachtragwerk für die neue Nutzung entfernt werden. Da das feuchte Mauerwerk die Tragfähigkeit der Wände minderte, ist mit einer Distanz von 60 Zentimetern eine neue Stahlkonstruktion in den Altbau gestellt. Die sichtbar belassenen, feuchten Wandoberflächen können so weiter austrocknen und ihr Zustand kontrolliert werden. Markantes Merkmal ist der 45 Meter lange Fassadenvorhang aus Weidengeflecht, der als Schlagregenschutz und Lichtfilter dient. Das Material, das dem Deichbau der Oderpolder entstammt, fügt sich wie selbstverständlich in den neuen Kontext ein. Drei eingeschobene Windfänge führen in das Informationszentrum. Über dem Niveau des ehemaligen Stallbodens schwebt die Ausstellungsfläche als Holzdeck. Die schmalen Pfetten der Dachkonstruktion wirken wie Lamellen und betonen die Längsrichtung des Baukörpers. Dazwischen angeordnete Deckenstrahlplatten temperieren das Hallenvolumen. Neue, isolierverglaste Fenster liegen von außen unsichtbar hinter bestehenden Holzlamellen. Die ehemaligen Stallfenster im unteren Geschoss blieben einfach verglast und übernehmen als bauphysikalisch schwächster Punkt eine Indikatorfunktion: Zeigt sich hier Tauwasser, kann die Luftfeuchte über Lüftungselemente in der Lamellenzone geregelt werden.

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Ansicht • Grundriss Maßstab 1:500 b

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Detailschnitt Maßstab 1:20 Längsschnitt Querschnitt Maßstab 1:400

1 Dachaufbau: Zinkblech auf Bitumendichtungsbahn Rauspundschalung 28 mm Sparren 240/160 mm Mineralfaserdämmung 160 mm Dampfsperre PE-Folie Furniersperrholz Buche 18 mm 2 Deckenstrahlplatten (Heizung) 3 Pfetten beplankt mit Furniersperrholz 80 mm 4 Stahlträger HEA 140 5 Stahlprofil HEA 240 6 Stahlprofil HEA 180 A 7 Holzlamellen (Bestand) 8 Rahmen aus Stahlprofil ∑ 90/90/9 mm 9 Flachstahl ¡ 50/10 mm 10 Flechtwerk aus Weidenruten 11 umlaufender Gitterrost Maschenweite 30/90 mm 12 Mauerwerk (Bestand) 13 Nebenträger Stahlprofil HEA 200 14 Hauptträger Stahlprofil ÅPE 400 15 Dielen Weißeiche 135/35 mm 16 Wandaufbau Sanitärbox: Faserzementplatte 6 mm auf Spanplatte 13 mm Wärmedämmung Mineralfaser 120 mm wasserbeständige Flachpressplatte mit Dichtanstrich Steinzeugfliesen im Dünnbett 11 mm 17 Bodenaufbau Sanitärbox: Steinzeugfliesen im Dünnbett 11 mm Abdichtung Holzwerkstoffplatte 2≈ 25 mm Trittschalldämmmatte 10 mm Holzträger 160/120 mm Holzwerkstoffplatte 16 mm auf Beihölzern

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Horizontalschnitt Vertikalschnitt Eingang Maßstab 1:20

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1 Mauerwerk (Bestand) 2 Stahlprofil } 60/45/5 mm umlaufend 3 Bohlen Weißeiche, beidseitig genutet 178/26 mm 4 Feststellstab von Stahlprofil fi 30/30/3 mm eingefasst 5 Gitterrost Stahl, Maschenweite 22,2/66,6 mm auf Hartgummiprofilen 30/20 mm 6 EPDM-Dichtungsprofil 7 Stahlblech 3 mm 8 Holzwerkstoffplatte 24 mm 9 Stahlprofil } 60/60/7 mm 10 Hohlkammerdichtprofil auf Aluminiumrohr ¡ 50/25/3 mm 11 Glashalteleiste aus Stahlprofil ¡ 30/15 mm 12 Verglasung ESG 8 mm 13 Stahlbetonsturz 14 Sichtbeton, Oberfläche rutschhemmend aufgeraut 15 Flachstahl ¡ 6/55 mm 16 Entwässerung 17 Stahlprofil | 50/50/4 mm mit Bürstendichtung 18 geschweißtes Stahlprofil fi 110/60/8 mm 19 Stoßgriff Weißeiche 20/110 mm 20 Halterung Stahlprofil ∑ 35/35/3 mm 21 Stahlprofil HEA 240 22 Moosgummidichtung 20 mm 23 Polystyrolschaum extrudiert

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Wohnanlage in Chur Architekten: Dieter Jüngling und Andreas Hagmann, Chur

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Die 1942 entworfene Mehrfamilienhaussiedlung »Tivoli« am Bahnhofsplatz der Graubündener Kantonshauptstadt Chur ist ein unscheinbares, aber in der räumlich nicht klar definierten Umgebung städtebaulich erhaltenswertes Gebäudeensemble. Die sieben zu Zweier- und Dreiergruppen zusammengefassten Häuser sind entsprechend dem Straßenverlauf platziert und deuten eine Blockrandbebauung an. Ihre klein geschnittenen Wohnungen entsprachen nicht mehr dem Standard und waren deshalb schwer zu vermieten. Daher sollten sowohl die Wohnungszuschnitte den heutigen Bedürfnissen angepasst als auch die baugesetzlich überholten Treppenhäuser auf den neuesten Stand gebracht werden. Wegen der zentralen Lage der Siedlung erschien es außerdem sinnvoll, Gewerbe- und Büroflächen zu integrieren und die Nutzungen auf der vorhandenen Grundfläche zu verdichten. Dies führte dazu, dass die Altbauten sorgfältig restauriert wurden. Gleichzeitig haben die Architekten die drei einzeln stehenden Gebäude in den Zwischenräumen durch zurückgesetzte Neubauten ergänzt und zu einem Ensemble zusammengezogen. So umfasst der nun geschlossene Blockrand einen begrünten Innenhof. Durch die Auslagerung der Treppenhäuser entstand zusätzlicher Wohnraum. Im Hof zeigt das Gebäude dann auch sein gänzlich neues Gesicht, denn hier entstand eine zweite Schicht in Form eines Loggienanbaus vor der ursprünglichen Fassade. Die durchlaufenden, vollständig verglasten Veranden erweitern nicht nur die bestehenden Wohnungen, sie boten gleichzeitig, abgesehen vom Gewinn an Wohnqualität, die Möglichkeit, die alte Fassade mit einer außen liegenden Dämmschicht zu versehen sowie den Vorbau als Pufferzone zu nutzen. Damit verbessert sich die Energiebilanz des kompakten Baukörpers erheblich. Die Substanz der alten Wohnsiedlung ist sichtbar aufgewertet. Lageplan Maßstab 1:2000 A Bestand B Neubau Grundriss vor dem Umbau Grundrisse nach dem Umbau Maßstab 1:500

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Treppenturm Hofseite Loggienvorbau Hofseite Vertikalschnitte Horizontalschnitte Maßstab 1:20

1 Stahlrohr | 120/120 mm 2 Glaslamelle ESG 10 mm mit Punkthalter Flachstahl 115/50/5 mm 3 Stahlrohr ¡ 160/120 mm 4 Stahlrohr | 100/100 mm, Verkleidung Aluminiumblech 2 mm 5 Schiebeelement ESG 10 mm in Aluminiumschiene 6 Holzspanplatte zementgebunden 16 mm Wärmedämmung 140 mm Furniersperrholz 12 mm 7 Holzspanplatte, zementgebunden 16 mm Stahlrohr ¡ 120/60 mm Wärmedämmung 80 mm Mauerwerk 350 – 410 mm (Bestand) Putz 15 mm 8 Türblatt mit Aufdoppelung aus Holzspanplatte zementgebunden 16 mm 9 Stahlprofil fi 140/60 mm 10 Stehfalzdeckung Kupferblech Bitumenschweißbahn Dreischichtplatte 27 mm Holzbalken 100/80 mm Holzspanplatte, zementgebunden 16 mm 11 Profilblech gekantet 5 –7 mm Rahmen Stahlprofil ∑ 100/50 mm Stahlrohr ¡ 180/100 mm Hohlraumdämmung 30 mm Holzspanplatte zementgebunden 16 mm 12 Verkleidung Stahlblech 2 mm mit Flüssigkunststoff beschichtet Trapezblech 30 mm Rahmen Stahlprofil ∑ 30/30 mm Stahlrohr ¡ 160/80 mm 13 Parkett Eiche13 mm Vlies 2 mm mit Trittschalldämmplatte 16 mm 14 Bodenaufbau (Bestand): Parkett Buche 9 mm Dielen Tanne 21 mm Holzbalken 120/220 mm mit Schüttung 100 mm Zwischenboden Tanne 21 mm Gipsplatte 24 mm, Gipsputz 28 mm 15 Hartbetonestrich 30 mm Stahlbeton 250 mm 16 Klappladen mit Rahmen Tanne 32/48 mm, Füllung Sperrholz phenolharzbeschichtet 12 mm 17 Holzfenster Tanne 65 mm mit Isolierverglasung 18 Geländer aus Flachstahl 50/15 mm und Rundstahl Ø 15 mm 19 Schiebeelement ESG 10 mm in Aluminiumschiene 20 Furniersperrholz 12 mm Stahlrohr ¡ 120/60 mm Wärmedämmung 80 mm Mauerwerk 350 – 410 mm (Bestand) Putz 15 mm 21 Furniersperrholz 12 mm Wärmedämmung 140 mm Holzspanplatte zementgebunden 16 mm 22 Furniersperrholz 15 mm auf Schalung 24 mm Holzbalken 80/171 mm mit Stahlprofil Å 120 mm Lattung 80/30 mm, Wärmedämmung 30 mm Furniersperrholz gelocht 12 mm 23 Stahlblech gekantet 6 mm 24 Stahlbetonsockel fein abgerieben

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