Erker Ausgabe Oktober 2012

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In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. drangen die Langobarden von Süden, die Slawen von Osten und die Bajuwaren von Norden in den Alpenraum vor. Die Bajuwaren dürften bereits gegen Ende des 6. Jahrhunderts n. Chr. die Kontrolle über den Brenner und das südliche Wipptal erlangt haben. Der langobardische Geschichtsschreiber und Gelehrte Paulus Diaconus (zw. 725 und 730 – zw. 797 und 799) berichtet in seiner langobardischen Geschichte (Historia Langobardorum), dass die Bajuwaren nach dem Friedensvertrag zwischen Franken und Langobarden im Jahr 591 sich als Verbündete der Franken im Eisacktal niederließen. Das Gebiet der Bajuwaren – nach der römischen Bezeichnung „Vallis Norica“ Norital oder Nurithal genannt – erstreckte sich damit vom mittleren Inntal über das südliche Wipp- und Eisacktal bis etwa südlich von Klausen. Das althochdeutsch-germanische Suffix -ing, das u. a. in der Ortsbezeichnung Toffring oder im Stadtnamen Sterzing vorkommt, deutet auf diese bajuwarische Besitznahme bzw. Besiedelung hin. Die manchmal vorkommende Ableitung des Namens Sterzing vom bajuwarischen Herrscher Starkholf ist allerdings unsicher und liefert keine zuverlässige historische Information. Im Jahr 1996 entdeckte man im Zuge 46

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Stilfes, Trens, Flains, Tschöfs, Telfes, Thuins und Tulfer.

Foto: Alberto Perini

heute diese Ortsnamendeutung weitgehend als überholt betrachtet, doch lässt sich ostgotische Präsenz im südlichen Wipptal nicht ausschließen. In der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. tritt der ostgotische König Witigis (Witichis; Vitigis 536 – 540 n. Chr.) den Franken große Teile Rätiens ab. Ob das südliche Wipptal davon betroffen war, lässt sich historisch leider nicht mehr nachweisen. Der aus Treviso gebürtige und im französischen Poitiers wirkende Gelehrte und Bischof Venantius Fortunatus (ca. 540 – 600/610 n. Chr.) erwähnt in einem Reisebericht im Jahr 565 ein wohl in rätischer Zeit entstandenes Valentinsheiligtum („Valentini benedicti templa“) am Brenner. Zwar nennt er den Brenner nicht direkt, doch gilt dies mittlerweile aufgrund der Gebietsbeschreibung als wissenschaftlich gesichert.

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der Verlegung einer Abwasserleitung während der durchgeführten Grabungsarbeiten am nordöstlichen Fuße des Burghügels von Schloss Reifenstein am Rande des Sterzinger Mooses neben einigen Schmuckstücken und Gebrauchsgegenständen auch mehrere Skelette und elf äußerst gut erhaltene Baumsärge. Die Datierung der Funde erwies sich als schwierig, doch deutet die Bestattungsart auf einen Zusammenhang mit den Bajuwaren hin. Es wird angenommen, dass die Baumsärge zwischen dem 6. und 7. nachchristlichen Jahrhundert entstanden sind. Die Nähe zum Burghügel und der Kapelle zum hl. Zeno dürfte dabei wohl nicht zufällig gewesen sein. Der hl. Zeno(n) war Bischof von Verona und wurde besonders im 5. und 6. Jahrhundert verehrt. Viele ihm geweihte Gotteshäuser entstanden in jenen zwei Jahrhunderten und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kapelle zum hl. Zeno auf dem Burghügel von Reifenstein gegen Ende des 6. Jahrhunderts errichtet wurde. Aus dem 7. und 8. Jahrhundert haben sich bezogen auf das südliche Wipptal keine besonders aussagekräftigen historischen Zeugnisse erhalten. Zwar wird allgemein angenommen, dass die im Jahr 1233 erstmals urkundlich erwähnte Urpfarrei Sterzing karolingischen Ursprungs sei, doch mangelt es auch hier an gesicherten Informationen. Am Beginn des 9. Jahrhunderts n. Chr., also bereits gegen Ende des Frühmittelalters, geben die Quartinus-Urkunden („Traditio Quartini“) einen wichtigen Hinweis zur Besiedelungsgeschichte des südli-

Die Bergung der Baumsarkophage zu Füßen des Burghügels von Reifenstein und der Kirche St. Zeno

chen Wipptales. Am 31. Dezember 827 schenken ein gewisser Quartinus und seine Mutter Clauza dem zum Bistum Freising zugehörigen Benediktinerkloster Innichen bedeutende Liegenschaften im südlichen Wipptal und zwar in der Umgebung von Sterzing, in der Burg und in den umliegenden Dörfern

Die Quartinus-Urkunden stellen ein einmaliges rechtshistorisches Zeugnis dar. Sie lassen erkennen, dass es auch noch im 9. Jahrhundert im südlichen Wipptal eine besitzende und freie romanische Bevölkerungsgruppe gab. Diese Romanen hatten sich in das bajuwarische Rechtssystem integriert und traten als freie Rechtssubjekte auch öffentlich in Erscheinung. Aus der Nennung verschiedener Örtlichkeiten kann dort auf eine Siedlungskontinuität von der Spätantike bis ins Frühmittelalter geschlossen werden. Mit dem Beginn des Hochmittelalters verdichten sich die schriftlichen Quellen zunehmend und ermöglichen ein genaueres und umfassenderes Bild der Vergangenheit des Wipptales. Doch dies ist eine andere Geschichte ... Harald Kofler

Die Quartinus-Urkunden („Traditio Quartini“) Der Romane Quartinus (Quartus) und seine Mutter Clauza schenken am 31. Dezember 827 dem zum Bistum Freising zugehörigen Benediktinerkloster Innichen bedeutende Liegenschaften im südlichen Wipptal. Es heißt u. a. wörtlich: „[...] in illis locis, hoc es ad Uuipitina in castello et in ipso vico et in aliis villulis ibidem adiacentibus: ad Stilues, Torrentes, Ualones, Zedes, Telues, Teines, Tuluares“ Quartinus (Quartus) wurde gleichsam ein Lehensmann des Bischofs Die „Traditio Quartini“ aus dem Jahr 827 von Brixen und erhielt in (A. Sparber, Schlern-Schriften 12, 1927) Toblach für seine Schenkung ein Gut verliehen. Die ursprüngliche Schenkung wird am 17. Jänner 828 erneut vor Bischof Arbeo (Aribo) von Brixen und weiteren Zeugen bestätigt. Eine weitere Urkunde wurde am 4. Juli 828 in Brixen ausgestellt. Quartinus (Quartus) bestätigte darin vor Zeugen seine Schenkung vom Vorjahr erneut. Diese drei Urkunden bilden zusammen die Überlieferung des Quartinus („Traditio Quartini“) und liegen im Original leider nicht mehr vor. In einem Traditionsbuch des Bistums Freising haben sie sich jedoch in Form von Abschriften erhalten. erker oktober 12


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