Alternative Michael Bittner über Johann Gottlieb Fichte und die intellektuellen Rechten, die zum großen Erstaunen trotz Bildung rechts sind — ein Thema, dem sich Thomas Freyer in seinem neuen Stück widmet
letztes Fest. bleicher Mann — von Thomas Freyer — Regie: Tilmann Köhler — Bühne: Karoly Risz — Uraufführung im März 2019 — Im Central, Kleine Bühne
Auch Demokratinnen und Demokraten haben Vorurteile. Eines der hartnäckigsten ist die Annahme, Rechtsradikale wären dumm, geistig beschränkt durch mangelnde Intelligenz oder fehlende Bildung. Taucht doch einmal ein radikaler Rechter auf, der in ganzen Sätzen spricht, wird er als »Nazi in Nadelstreifen« angestaunt – so als wäre die naturgemäße Bekleidung des Nazis die Jogginghose. Wie wenig das demokratische Vorurteil mit der Wirklichkeit zu tun hat, zeigt sich gerade in unseren Tagen wieder: Die rechtspopulistischen Parteien Europas ziehen Wählerinnen und Wähler aus allen sozialen Schichten an, gerade auch aus dem gebildeten Mittelstand. Es gibt im Bundestag keine Fraktion, die so viele Akademikerinnen und Akademiker in ihren Reihen hat wie die »Alternative für Deutschland«. Das demokratische Vorurteil ist alt und ehrenwert. Letztlich geht es zurück auf die von Platon seinem Lehrer Sokrates zugeschriebene Überzeugung, kein Mensch tue absichtlich und wissentlich das Böse. Wer übel handle, dem mangele es an Vernunft oder an Wissen. Auf dieser Prämisse beruht die europäische Aufklärung. Deren politische Vertreter, die Liberalen und Demokraten, machten sie zur Basis ihrer Programme: Lasst uns zu den Menschen, die noch in der Finsternis der Dummheit hausen, das Licht der Bildung tragen! An der optimistischen Maxime wurde allerdings auch schon immer gezweifelt. Bestimmt wirklich der Verstand unser Handeln? Ist er nicht eher Sklave von Neigungen, die viel tiefer in unserer Seele wurzeln als er? Ist der Intellekt in Wirklichkeit womöglich nur eine Waffe im Kampf um Macht? Um die Sache besser zu verstehen, hilft es vielleicht, den Blick einmal von den Schreihälsen der Gegenwart abzuwenden. Schauen wir stattdessen auf einen bemerkenswerten Mann des Übergangs, der zugleich Kind der Aufklärung und Großvater der intellektuellen Rechten in Deutschland war: Johann Gottlieb Fichte. Wer in den Schriften des Philosophen schmökert, fühlt eine überraschende Gegenwärtigkeit. Wie da auf intellektuell höchs-
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D’haus — Spielzeit 2018/19 — Essays
tem Niveau haarsträubender Unsinn und moralisch Widerwärtiges begründet wird, das erinnert auffällig an die Rechtsintellektuellen unserer Zeit. Dabei war Fichte auch ein überzeugter Republikaner. Doch stößt man schon in einer frühen Schrift zum Lobe der Französischen Revolution auf eine merkwürdige Passage, in der Fichte behauptet, die Juden als fremdes Volk könnten nie eingebürgert werden, es sei denn, es gelinge, »in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei«. Die philosophische Vernunft dient hier offenkundig nur noch dem Zweck, einer tiefer sitzenden Abneigung Worte zu verleihen. Fichte war der erste deutsche Denker, für den die »deutsche Nation« zum höchsten Ideal und Mittelpunkt aller politischen Überzeugungen wurde. Er entwarf die Utopie eines »geschlossenen Handelsstaates«, in dem die soziale Gerechtigkeit durch die Ausweisung der Fremden und die Schließung der Grenzen errungen werden sollte – der erste Entwurf eines nationalen Sozialismus. In seinen »Reden an die deutsche Nation« erhob er das »Volk« selbst zur philosophischen Kategorie. Ziemlich bekannt kommt einem heute auch die wütende Rechthaberei vor, mit der Fichte seine abstrusen Theorien verteidigte. Eine seiner Schriften nannte er allen Ernstes »Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen«, einen seiner gelehrten Widersacher wünschte er öffentlich an den Galgen. »Was für eine Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist.« Mit diesen Worten bekannte Fichte, seine Weltanschauung sei ein Ausdruck des Charakters und das Ergebnis einer Entscheidung, nicht bloß Resultat universeller Vernunft. Diese Worte lösen auch unser Rätsel: Rechte Ideologen können klug und gebildet sein, aber sie unterscheiden sich von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern durch eine Entscheidung, das Bekenntnis zum absoluten Höchstwert der Nation. Dass die neurechten Agitatoren dabei ihre ganz eigene Fassung dessen, was wahres
Volkstum sei, allen anderen aufzwingen wollen, versteht sich von selbst. Allgemeine Humanität ist in ihren Augen ein Hirngespinst, es zählen die Völker, in deren Dienst sich der Einzelne vorbehaltlos zu stellen habe, auf dass es dem ewigen Krieg der Kulturen nie an Menschenmaterial mangele. Der Deutsche müsse »die Bedingtheit der eigenen Kultur akzeptieren, seine Zugehörigkeit aber nicht als Zufall, sondern als Schicksal verstehen, da die Kultur das notwendige Gehäuse seiner Existenz ist«, predigte der neurechte Vordenker Karlheinz Weißmann im Programmbuch »Die selbstbewusste Nation«. Gefordert wird ein Salto mortale in den nationalen Glauben: Wo das Schicksal waltet und das Blut spricht, hat die Vernunft zu schweigen. Wer dabei nicht mittun will, der ist zu feige zum Sprung oder hat keinen wahrhaft deutschen Charakter – die Verachtung der radikalen Rechten ist ihm in beiden Fällen sicher. Der nationale Glaube beruht auf einem einfachen völkischen Credo: Was meinem Volk dient, ist gut; schlecht ist, was ihm schadet. Radikale Rechte mögen belesen und zivilisiert sein, die Aufklärung muss an ihnen dennoch scheitern, weil sie von heiligen Grundsätzen ausgehen, die nicht infrage gestellt werden können. Wer hofft, man müsse nur lange und verständnisvoll genug »mit Rechten reden«, um sie zu bekehren, der macht sich etwas vor. Eine Welt ganz nach ihren Wünschen ist auch durchaus nicht unmöglich. Sie lässt sich nicht widerlegen, sie lässt sich nur verhindern.
Michael Bittner ist Autor und lebt in Berlin. Seit 2009 ist er Kolumnist bei der Sächsischen Zeitung, zurzeit in der Rubrik »Besorgte Bürger«. 2017 veröf fentlichte er den Band »Der Bürger macht sich Sor gen. Neue Satiren und Kolumnen«. Auf seinem Blog michaelbittner.info kommt er mit seinen Leser*innen ins Gespräch.